Inhalt

LG Landshut, Beschluss v. 02.10.2020 – 62 T 2958/20
Titel:

Asylantrag, Asylverfahren, Bescheid, Beschwerde, Migration, Abschiebungshaft, Gemeinschaftsunterkunft, Feststellung, Dublin, Ingewahrsamnahme, Beamten, Verfahren, Anordnung, Regierung, Feststellung der Rechtswidrigkeit, entsprechende Anwendung, Bescheid des Bundesamtes

Schlagworte:
Asylantrag, Asylverfahren, Bescheid, Beschwerde, Migration, Abschiebungshaft, Gemeinschaftsunterkunft, Feststellung, Dublin, Ingewahrsamnahme, Beamten, Verfahren, Anordnung, Regierung, Feststellung der Rechtswidrigkeit, entsprechende Anwendung, Bescheid des Bundesamtes
Vorinstanz:
AG Eggenfelden vom -- – III AR 9/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 53651

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme der Betroffenen am 15.05.2019 bis zum Erlass des Haftbeschlusses des AG Eggenfelden vom selben Tag rechtswidrig war und die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat.
II. Die der Betroffenen entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.
1
Die Betroffene ist iranische Staatsangehörige und am 23.04.2017 erstmals in die Bundesrepublik eingereist.
2
Am 09.05.2017 stellte die Betroffene einen Asylantrag, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.06.2017 als unzulässig abgelehnt wurde. Die französischen Behörden hatten mit Schreiben vom 15.06.2017 ihre Zuständigkeit für das Asylverfahren nach Art. 12 Dublin III-VO erklärt.
3
Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach lehnte den Antrag der Betroffenen, im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 22.06.2017 anzuordnen, mit Beschluss vom 28.03.2018 ab.
4
Mit Schreiben vom 06.09.2018 kündigte die Regierung von Niederbayern - Zentrale Ausländerbehörde Niederbayern - der Betroffenen als Überstellungsdatum den 24.09.2018 an.
5
Die Betroffene konnte am 24.09.2018 jedoch nicht in der ihr zugewiesenen Unterkunft, x x, angetroffen werden. Da die Betroffene sich seit spätestens 13.09.2018 nicht mehr in dieser Unterkunft aufgehalten hatte und unbekannten Aufenthalts war, wurde sie von der Regierung von Niederbayern am 27.09.2018 zur Festnahme ausgeschrieben.
6
Aufgrund einer telefonischen Mitteilung des Heimleiters der Gemeinschaftsunterkunft x x x vom 15.05.2019 um 10:00 Uhr, wurde die Betroffene durch die Beamten der PI E. um 10:15 Uhr dort in Gewahrsam genommen.
7
Eine richterliche Anordnung zur Festnahme wurde im Vorfeld nicht eingeholt.
8
Am 15.05.2019 um 16:20 Uhr wurde die Betroffene dem zuständigen Richter beim Amtsgericht Eggenfelden vorgeführt, welcher sodann mit Beschluss vom selbigen Tag Haft zur Sicherung der Rücküberstellung anordnete.
9
Zwischenzeitlich wurde die Betroffene nach Frankreich abgeschoben.
10
Mit Schriftsatz vom 28.06.2019, eingegangen beim Amtsgericht Eggenfelden am 01.07.2019, beantragte die Betroffene über ihren Verfahrensbevollmächtigten, x, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme bis zum Erlass des Haftbeschlusses.
11
Mit Beschluss vom 22.05.2020 wies das Amtsgericht Eggenfelden den Antrag des Verfahrensbevollmächtigten vom 28.06.2019 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme am 15.05.2019 bis zum Erlass des Haftbefehls sowie den Antrag auf Beiordnung und Gewährung von Verfahrenskostenhilfe zurück.
12
Hiergegen legte die Betroffene über ihren Verfahrensbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 08.06.2020, eingegangen bei dem Amtsgericht Eggenfelden am 09.06.2020, Beschwerde ein.
13
Mit Beschluss des Amtsgerichts Eggenfelden vom 27.09.2020 wurde der Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen gegen den Beschluss vom 22.05.2020 nicht abgeholfen und die Akten dem zuständigen Landgericht Landshut zur Entscheidung vorgelegt.
II.
14
Die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen ist zulässig und begründet.
15
Die vorläufige behördliche Ingewahrsamnahme erweist sich als rechtswidrig und hat die Betroffene in ihren Rechten verletzt.
16
Die vorläufige Ingewahrsamnahme der Betroffenen durch die Behörde am 15.05.2019 erfolgte ohne entsprechende Rechtsgrundlage.
17
Zu diesem Zeitpunkt bestand insofern eine gesetzliche Regelungslücke im Hinblick auf das Verfahren auf Anordnung von Haft gemäß Art. 28 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatenangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (sog. Dublin-III-Verordnung).
18
Ausweislich der Gesetzesbegründung zu dem ab 21.08.2019 wirksam neu eingeführten § 2 Abs. 14 S. 3 AufenthG ergibt sich, dass die vorläufige Ingewahrsamnahme bzw. das Festhalten ohne vorherige richterliche Anordnung in der Dublin III-Verordnung nicht abschließend geregelt sei, weswegen durch die Gesetzesänderung eine Regelung eingeführt werde, welche sich an § 62 Abs. 5 AufenthG orientiere (BT-Drucksache 19/10047, Seite 30).
19
Da die Vorschrift des § 62 Abs. 5 AufenthG behördliche Freiheitsentziehungen zum Zwecke der Abschiebungshaft regelt und gerade Festnahmen zum Zweck der Beantragung der Haft nach der Dublin III-Verordnung nicht erfasst (Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Auflage 2016, Rdnr. 30), war folglich eine entsprechende Anwendung dieser Norm ausgeschlossen.
20
Im Hinblick auf Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG hätte die Betroffene somit zum damaligen Zeitpunkt nicht ohne vorherige richterliche Entscheidung in Gewahrsam genommen werden dürfen.
21
Es war daher gemäß § 62 Abs. 1 FamFG festzustellen, dass die Betroffene durch die angefochtene rechtswidrige Maßnahme in ihren Rechten verletzt wurde.