Titel:
Reichweite einer vergleichsweise getroffenen Abgeltungsregelung
Normenkette:
BGB § 397 Abs. 2, § 810
Leitsätze:
1. Eine vergleichsweise getroffene Regelung, wonach die Parteien "keine Ansprüche mehr gegeneinander aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung haben, gleich, ob sie bekannt oder unbekannt sind, gleich, auf welchem Rechtsgrund sie beruhen mögen", ist als konstitutives negatives Schuldanerkenntnis iSd § 397 Abs. 2 BGB auszulegen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Derartige Abfindungs- bzw. Erledigungsklauseln sind weit auszulegen und erfassen regelmäßig nicht nur Ansprüche, über welche die Parteien vorher gestritten haben, sondern auch solche, an welche die Parteien nicht gedacht haben. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgeltungsregelung, Auslegung, Abfindung, negatives Schuldanerkenntnis, Urkundeneinsicht
Rechtsmittelinstanzen:
LG Passau vom 25.02.2021 – 3 S 33/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 07.12.2021 – VI ZR 101/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 53595
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 2.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Einsicht in bei der Beklagten befindliche Urkunden geltend.
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Der Kläger war bei der …. Vor dem Arbeitsgericht Passau führte der Kläger gegen seinen früheren Arbeitgeber einen Rechtsstreit (Az: 5 Ca 1172/17). Unter anderem begehrte der Kläger in dem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Passau die Zahlung von Provisionen aus Geschäften seiner früheren Arbeitgeberin mit der hiesigen Beklagten, …. Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht endete am 30.01.2019 mit einem Vergleich.
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Der Vergleich lautet wie folgt:
„I. Die Beklagte zahlt an den Kläger für die Monate April bis September 2017 ausstehende Vergütung in Höhe von monatlich jeweils 2.215,44 EUR brutto - vorbehaltlich auf Dritte übergegangener Ansprüche. Soweit rechtlich zulässig, erfolgt die Abrechnung monatsweise für die vorgenannten Monate.“
V. Mit der Erfüllung dieses Vergleichs haben der Kläger einerseits und die Beklagte und der Beigetretene andererseits keine Ansprüche mehr gegeneinander aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich, ob sie bekannt oder unbekannt sind, gleich, auf welchem Rechtsgrund sie beruhen mögen. Urlaubskonten und sonstige Zeitkonten sind ausgeglichen.
VI. Damit sind die Rechtsstreitigkeiten 5 Ga 1/19, 5 Ca 1172/17 und 5 Ca 1112/18 erledigt.
VII. Die Kosten der Rechtsstreitigkeiten 5 Ga 1/19, 5 Ca 1172/17 und 5 Ca 1112/18 werden gegeneinander aufgehoben."
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Unstreitig ist, dass der Kläger durch diesen vor dem Arbeitsgericht Passau geschlossenen Vergleich sämtliche Provisionszahlungen aus Geschäften seiner ehemaligen Arbeitgeberin mit der Beklagten erhalten hat, die von ihm in dem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Passau begehrt worden sind.
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Der Kläger behauptet, dass seine frühere Arbeitgeberin, … ihn um Provisionen betrogen habe. Dies dergestalt, dass deren Geschäftsführer Provisionsabrechnungen manipuliert habe. Insbesondere sei dies auch bei Geschäften mit der hiesigen Beklagten, dem … geschehen. Der Kläger behauptet insoweit, dass er seinerzeit als Vertriebsmitarbeiter seiner ehemaligen Arbeitgeberin mit der Beklagten einen Kaufvertrag über neue kundenspezifisch anzufertigende Endoskopieuntersuchungsliegen nebst Kopflagerungskissen bewirkt habe. Gemäß den arbeitsvertraglichen Regelungen hätte dem Kläger hierfür eine Provision zugestanden, jedoch habe sich seine ehemalige Arbeitgeberin geweigert, die aus diesem Geschäft resultierende Provision zu bezahlen.
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Zuletzt war der Kläger der Ansicht, ein Interesse an der Einsicht in die Urkunden zu haben, da ihm im Rahmen des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht weitere Kosten wie Fahrtkosten, Kopierkosten und sonstige Ermittlungskosten entstanden seien und die begehrte Urkundseinsicht notwendig sei, um diese Kosten gegenüber der … geltend zu machen.
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Das Gericht hat die Akten aus dem arbeitsgerichtlichen Verfahren (5 Ca 1172/17) beigezogen. Ursprünglich hat der Kläger zudem begehrt, die Beklagte zu verurteilen, ihm Einsicht in Bankdokumente zu gewähren, aus denen hervorgeht, dass/ob und zu welchem Zeitpunkt die Beklagte gegenüber … Forderungen aus der mit dem Klageantrag Ziff. 1 begehrten Rechnung erfüllt hat. In der mündlichen Verhandlung am 05.12.2019 hat der Kläger die Klage hinsichtlich dieses Antrags für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich dieser Erledigungserklärung noch in der mündlichen Verhandlung angeschlossen.
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Der Kläger beantragt zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Einsicht in die in ihrem Besitz befindliche Rechnung … in der diese die Lieferung der zuletzt bei der Beklagten beschafften Endoskopie-Liegen berechnet hat, zu gewähren und ihm zu gestatten, auf seine Kosten Kopien zu fertigen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Einsicht in die in ihrem Besitz befindlichen Liefer- und Warenannahmescheine betreffend den Beschaffungsvorgang der zuletzt bei der Beklagten über … beschafften Endoskopie-Liegen zu gewähren und ihm zu gestatten, auf seine Kosten Kopien zu fertigen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Einsichtsgewährung bezüglich der zu 1. bis 2. begehrten Urkunden in Verzug befindet.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass es an einem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers fehle, da aufgrund der Erledigung des Rechtsstreits vor dem Arbeitsgericht Passau kein berechtigtes Interesse mehr für die Einsicht in Unterlagen vorläge. Ferner sei die Beklagte schon nicht passivlegitimiert, da die Klage vielmehr gegen seine frühere Arbeitgeberin zu richten sei.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird verwiesen auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2019. Ferner wird verwiesen auf die beigezogene Akte des Arbeitsgerichts Passau, insbesondere auf den Vergleich vom 30.01.2019 (Blatt 762/763 d. A. 5 Ca 1172/17).
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Einsicht in die streitgegenständlichen Urkunden aus § 810 BGB.
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1. Die Beklagte ist zwar passivlegitimiert, denn Schuldner des Anspruchs nach § 810 BGB ist der Besitzer der Urkunden, in die Einsicht begehrt wird (MüKoBGB, § 810, RdNr. 12). Besitzerin der hier streitgegenständlichen Urkunden ist hier - jedenfalls auch - die Beklagte.
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2. Jedoch hat der Kläger vorliegend kein rechtliches Interesse im Sinne des § 810 BGB an der begehrten Urkundeneinsicht. Ein rechtliches Interesse in diesem Sinne liegt vor, wenn die Einsichtnahme der Förderung, Erhaltung oder Verteidigung einer Rechtsposition dienen soll (BGH, NJW 1981, 1733; MüKoBGB, § 810, RdNr. 10). Ein solches Interesse liegt hier nicht vor.
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2.1. Ausweislich der Ziffer V. des zwischen dem Kläger und seiner früheren Arbeitgeberin, … am 30.01.2019 vor dem Arbeitsgericht Passau geschlossenen Vergleichs wurde zwischen dem Kläger und seiner früheren Arbeitgeberin eine nach der Rechtsprechung sogenannte „Erledigungs- bzw. Abgeltungsregelung“ vereinbart. Die in der vorliegenden Form getroffene Klausel ist dabei als konstitutives negatives Schuldanerkenntnis im Sinne des § 397 Abs. 2 BGB auszulegen (vgl. BAG, NZA 2010, 883; BAG, NJW 2009, 3529). Nach der gewählten ausdrücklichen Formulierung wollten die Parteien des Rechtsstreits vor dem Arbeitsgericht sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung erledigen. Damit hatten sie auch ihnen nicht bekannte Ansprüche zum Erlöschen bringen wollen, so dass die Erklärung als konstitutives negatives Schuldanerkenntnis auszulegen ist (§§ 133, 157 BGB).
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2.2. Ursprünglich begehrte der Kläger Urkundeneinsicht, um gegen seine frühere Arbeitgeberin aus seiner Sicht bestehende Provisionsansprüche beziffern und sodann im Klagewege geltend machen zu können (Bl. 4 d. A.). In dem arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 30.01.2019 verpflichtete sich die frühere Arbeitgeberin des Klägers unter Ziff. I., sämtliche vom Kläger geltend gemachten Provisionszahlungen an diesen zu leisten.
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Zuletzt begehrt der Kläger die Urkundeneinsicht, um gegen seine frühere Arbeitgeberin den Ersatz von Kosten geltend zu machen, die ihm im Rahmen des Prozesses vor dem Arbeitsgericht im Verfahren gegen seine frühere Arbeitgeberin entstanden seien, etwa Kosten für Fahrten, Kopien oder sonstige private Ermittlungen.
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Hierbei handelt es sich jedoch um Ansprüche, die von der Klausel gemäß Ziff. V. des Vergleichs erfasst werden. Die vom Kläger genannten Kosten wie Fahrtkosten o.ä. stellen Kosten dar, die jedenfalls mittelbar aus dem Arbeitsverhältnis bzw. aus dessen Beendigung herrühren. Denn diese - unterstellten - Kosten hat der Kläger aufgewandt, um Ansprüche aus dem zwischen ihm und seiner früheren Arbeitgeberin bestehenden Arbeitsverhältnis, insbesondere Provisionsansprüche, geltend zu machen. Somit stehen diese Kosten in untrennbarem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis bzw. mit dessen Beendigung und werden demzufolge auch von der umfassenden Abgeltungs- bzw. Erledigungsklausel unter Ziffer V. des Vergleichs erfasst.
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Hierfür spricht insbesondere auch, dass nach der Verkehrsauffassung im Arbeitsleben sich derartige Abfindungs- bzw. Erledigungsklauseln regelmäßig nicht nur auf Ansprüche, über welche die Parteien vorher gestritten haben, sondern auch auf solche, an welche die Parteien nicht gedacht haben, beziehen. Daher sind derartige Klauseln im Regelfall weit auszulegen (vgl. BAG, NZA 2010, 883). Im Übrigen ist hierbei auch Ziff. VI. des Vergleichs heranzuziehen, der nochmals ausdrücklich die Rechtsstreitigkeiten 5 Ga 1/19, 5 Ca 1172/17 und 5 Ca 1112/18 für erledigt erklärt. Dies kann in der Gesamtheit nur dahingehend verstanden werden, dass die damaligen Parteien diese Rechtsstreitigkeiten „ein für alle mal“ beendigen wollten.
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Die Geltendmachung von Fahrtkosten, Kopierkosten oder ähnlichem, die insbesondere der Vorbereitung bzw. Durchführung des Rechtsstreits vor dem Arbeitsgericht dienten, wäre nicht mit den im Vergleich unter Ziff. V. und VI. getroffenen Klauseln vereinbar, sondern ist durch diese ausgeschlossen. Die Klauseln „Mit der Erfüllung dieses Vergleichs haben der Kläger einerseits und die Beklagte und der Beigetretene andererseits keine Ansprüche mehr gegeneinander aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich, ob sie bekannt oder unbekannt sind, gleich, auf welchem Rechtsgrund sie beruhen mögen“ sowie „Damit sind die Rechtsstreitigkeiten 5 Ga 1/19, 5 Ca 1172/17 und 5 Ca 1112/18 erledigt“ sind einer Auslegung dahingehend, dass Kosten die zur Vorbereitung oder Durchführung des Prozesses angefallen sind, hiervon ausgenommen sein sollen, nicht zugänglich.
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2.3. Ferner trifft Ziff. VII. des Vergleichs eine endgültige Kostenregelung. Da die vom Kläger vorgetragenen Kosten (Kopierkosten, Fahrtkosten, sonstige Ermittlungskosten) Prozessvorbereitungskosten darstellen und als solche grundsätzlich unter die Prozesskosten i.S.d. § 91 ZPO gefasst werden (vgl. BeckOK, ZPO, § 91, Rn. 95; der Kostenbegriff des § 91 ZPO gilt dabei auch im Arbeitsgerichtsverfahren, s. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, ArbGG, § 12 a, Rn. 1), spricht letztlich auch dies dafür, dass die vom Kläger vorgetragenen Kosten unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt von dem Vergleich vom 30.01.2019 umfasst sind.
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2.4. Da aufgrund des konstitutiven negativen Schuldanerkenntnisses die begehrten Ansprüche des Klägers erloschen sind, § 397 Abs. 2 BGB, besteht insoweit kein rechtliches Interesse des Klägers im Sinne des § 810 BGB, da die Einsichtnahme nicht der Förderung, Erhaltung oder Verteidigung einer Rechtsposition dienen kann. Denn angesichts des Erlöschensgrundes kann der Kläger diese Ansprüche gegen seine frühere Arbeitgeberin, … nicht mehr geltend machen. Das vom Kläger vorgetragene Interesse besteht mithin nicht.
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Ein sonstiges Interesse wurde dabei nicht dargelegt, auch haben sich dem Gericht hierfür keine Anhaltspunkte ergeben. Insbesondere wurden wie dargelegt sämtliche vom Kläger geforderten Provisionszahlungen aus Geschäften mit der Beklagten unstrittig beglichen.
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Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 91 Abs. 1, 91 a Abs. 1 ZPO.
26
Der Kläger wäre unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- u Streitgegenstandes auch bezüglich des für erledigt erklärten Antrags unterlegen.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.