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VG Bayreuth, Urteil v. 29.07.2020 – B 4 K 18.1057
Titel:

Fremdenverkehrsbeitrag, Tankstelle mit Shop, Vorteilssatz

Normenkette:
KAG Art. 6
Schlagworte:
Fremdenverkehrsbeitrag, Tankstelle mit Shop, Vorteilssatz
Fundstelle:
BeckRS 2020, 53582

Tenor

1.Die Fremdenverkehrsbeitragsbescheide der Beklagten vom 25.05.2018 für die Jahre 2011 bis 2016 werden aufgehoben.
2.Die Beklagte trägt die Kosten der Verfahren.
3.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.  

Tatbestand

1
Der Kläger betreibt in … eine Tankstelle mit der Bezeichnung „tanken und mehr“. In den Geschäftsräumen werden auch Backwaren, Shop-Artikel, Zeitungen und Zeitschriften, Getränke mit und ohne Alkohol, Tabakwaren, E-Zigaretten, Snacks, Post- und Postbankdienstleistungen sowie ein kostenloser Internet- und PC-Zugang mit Ausdruckmöglichkeit angeboten. Darüber hinaus können auch E-Bikes oder normale Fahrräder geliehen werden.
2
Mit der Klage wendet sich der Kläger gegen seine Heranziehung zu Fremdenverkehrsbeiträgen für die Jahre 2011 bis 2016.
3
Anfang 2018 übersandte die Beklagte dem Kläger Erhebungsbögen für die Veranlagung zum Fremdenverkehrsbeitrag für die Jahre 2011 bis 2016. Die ausgefüllten Erklärungen zu Gewinn und Umsatz sandte der Kläger an die Gemeinde zurück, wo sie am 23.02.2018 eingingen.
4
Mit sechs Bescheiden vom 25.05.2018 setzte die Beklagte für die Tankstelle des Klägers Fremdenverkehrsbeiträge fest, für das Jahr 2011 in Höhe von 373,20 Euro, für das Jahr 2012 in Höhe von 290,71 Euro, für das Jahr 2013 in Höhe von 356,71 Euro, für das Jahr 2014 in Höhe von 288,02 Euro, für das Jahr 2015 in Höhe von 375,14 Euro, für das Jahr 2016 in Höhe von 307,70 Euro.
5
Im Bescheid für 2016 wurde eine Vorauszahlung für 2018 und die Folgejahre jeweils in Höhe von 307,70 Euro festgesetzt. Die Beitragsfestsetzung erfolgte in allen Bescheiden nach dem steuerpflichtigen Gewinn unter Ansatz eines Vorteilsatzes von 20% und eines Beitragssatzes von 4%.
6
Gegen alle Bescheide erhob der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 22.06.2018 Widerspruch. Eine Widerspruchsentscheidung erging in der Folgezeit nicht.
7
Mit Schriftsatz vom 11.10.2018, eingegangen bei Gericht am 12.10.2018, erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers beim Verwaltungsgericht Bayreuth Untätigkeitsklage und beantragte,
1.
Der Bescheid der Beklagten über die Veranlagung zum Fremdenverkehrsbeitrag für das Jahr 2011 vom 25.05.2018 wird aufgehoben.
2.
Der Bescheid der Beklagten über die Veranlagung zum Fremdenverkehrsbeitrag für das Jahr 2012 vom 25.05.2018 wird aufgehoben.
3.
Der Bescheid der Beklagten über die Veranlagung zum Fremdenverkehrsbeitrag für das Jahr 2013 vom 25.05.2018 wird aufgehoben.
4.
Der Bescheid der Beklagten über die Veranlagung zum Fremdenverkehrsbeitrag für das Jahr 2014 vom 25.05.2018 wird aufgehoben.
5.
Der Bescheid der Beklagten über die Veranlagung zum Fremdenverkehrsbeitrag für das Jahr 2015 vom 25.05.2018 wird aufgehoben.
6.
Der Bescheid der Beklagten über die Veranlagung zum Fremdenverkehrsbeitrag für das Jahr 2016 mit Anpassungen der Vorauszahlungen für 2018 und 2019 ff. vom 25.05.2018 wird aufgehoben.
8
Zur Begründung wird vorgetragen, die Beklagte habe über die Widersprüche gegen die Bescheide vom 25.05.2018 ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden. Die Beitragsbescheide seien rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten. Die Beitragsforderungen für die Jahre 2011, 2012 und 2013 seien wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist verjährt. Die Bescheide vom 25.05.2018 seien verfristet erlassen worden. Außerdem gelte für diese Bescheide, wie auch für die Bescheide für die Jahre 2014 bis 2016, dass die Schätzung und Annahme eines Vorteilsatzes von 20% fehlerhaft sei und dass die erhobenen Beiträge weder dem Äquivalenz- noch dem Kostendeckungsprinzip entsprächen. Außerdem liege bei allen Bescheiden ein gravierender Rechenfehler vor. Auf welcher Grundlage die Beklagte den offensichtlich willkürlichen Vorteilssatz von 20% ermittelt habe, ließen sämtliche Bescheide offen. Die vorzunehmende Schätzung sei keine Ermessensentscheidung, sie müsse auf einer plausiblen Tatsachengrundlage beruhen. Die Beklagte habe nicht in die Ermittlung einbezogen, dass die Übernachtungszahlen in der Gemeinde drastisch zurückgegangen seien. Nach den Zahlen der Tourismus- und Marketing GmbH … seien die Übernachtungen in der Gemeinde vom Jahr 1990 mit 135.025 abgesunken auf 81.305 im Jahr 2011, auf 74.854 im Jahr 2012, auf 61.919 im Jahr 2013 und auf 56.355 im Jahr 2014. Sollte ein Vorteilssatz von 20% einmal richtig geschätzt worden sein, so hätten sich die mittelbaren und unmittelbaren Vorteile des Klägers aus dem Fremdenverkehr deutlich reduziert. Allerdings sei es de facto so, dass dem Betrieb des Klägers weder mittelbare noch unmittelbare Vorteile aus dem Fremdenverkehr erwüchsen. Dies könne dadurch nachgewiesen werden, dass die Umsatzzahlen des Betriebes des Klägers unabhängig von der Anzahl der Touristen und unabhängig von den Übernachtungszahlen, also unabhängig vom saisonal schwankenden Tourismus konstant geblieben seien. Sie seien auch in den Ferienzeiten nicht nennenswert angestiegen. Es stelle sich angesichts der finanziellen Situation der Gemeinde die Frage, wie sie in den Jahren 2011 bis 2018 den Fremdenverkehr gefördert habe, ohne Fremdenverkehrsbeiträge zu erheben. Das letzte Mal sei beim Kläger ein Fremdenverkehrsbeitrag für das Jahr 2009 erhoben worden. Für das Jahr 2010 liege überhaupt kein Bescheid über den Fremdenverkehrsbeitrag vor. Da offenbar keine Notwendigkeit einer zeitnahen Festsetzung von Beiträgen bestanden habe, scheine der gemeindliche Aufwand gedeckt gewesen zu sein. Die mittelbaren und unmittelbaren Vorteile des Klägers aus dem Fremdenverkehr hätten sich im Laufe der Jahre deutlich reduziert, sodass sich Vorteilssätze allenfalls in Höhe von 8 bis 12% ergäben.
9
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat mit Schriftsatz vom 03.12.2018 beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Mit Schriftsatz vom 08.11.2019 wurde zur Klageerwiderung vorgetragen, das Angebot des Klägers wende sich nicht nur an Ortsansässige, sondern auch an Ortsfremde. Die Beklagte gehöre zu den Gemeinden, in denen die Zahl der Fremdübernachtungen im Jahr in der Regel das Siebenfache der Einwohnerzahl übersteige. Damit sei sie berechtigt, Fremdenverkehrsbeiträge zu erheben. In den Jahren 2011 bis 2017 sei es aufgrund verschiedenster Schwierigkeiten in der Gemeinde zu Defiziten bei der Erhebung der Fremdenverkehrsbeiträge gekommen. In der Folgezeit seien die Rückstände abgearbeitet und die Abgabepflichtigen zur Erklärung mit entsprechenden Formblättern aufgefordert worden. Für die streitgegenständlichen Kalenderjahre 2011 bis 2016 habe der Kläger entsprechende Erklärungen abgegeben. Daraufhin seien die sechs Fremdenverkehrsbeitragsbescheide vom 25.05.2018 ergangen. Gegen die Zulässigkeit der Untätigkeitsklage würden keine Einwendungen erhoben. Auch wenn die Übernachtungszahlen rückläufig seien, so sei die Gemeinde mit einer Einwohnerzahl von 1.762 und mehr als 12.500 Fremdenübernachtungen erhebungsberechtigt. Die Festsetzungsfrist betrage nach § 169 AO vier Jahre. Es entspreche gefestigter Rechtsprechung des BayVGH, wonach die über Art. 13 a Abs. 1 Nr. 5 b) cc) BayKAG anwendbare Regelung des § 170 Abs. 1 AO den Beginn der Festsetzungsfrist hinausschiebe, wenn die Forderung im Zeitpunkt ihres Entstehens aus tatsächlichen Gründen nicht berechnet werden könne und diese erst mit Ablauf desjenigen Jahres beginne, in dem die Berechnung möglich sei. Die Meldeformblätter seien der Beklagten am 23.02.2018 zugegangen. Somit habe die Festsetzungsfrist für die Veranlagungsjahre 2011 bis 2016 erst zum Ablauf des 31.12.2018 zu laufen begonnen. Vorher sei sie gehemmt gewesen. Der Kläger könne sich auch nicht auf Verwirkung berufen. Der Umstand, dass es zu Verzögerungen gekommen sei, führe nicht zu Verwirkung, denn die Beklagte habe in keiner Weise den Eindruck erweckt, als würde sie für die Jahre 2010 ff. auf die Erhebung des Fremdenverkehrsbeitrags verzichten. Aus der bloßen Untätigkeit folge keine Abgabebefreiung. Nach § 2 Abs. 1 der Fremdenverkehrsbeitragssatzung (FBS) sei der Vorteil aus dem Fremdenverkehr der Beitragsmaßstab. Dieser bestimme sich, bezogen auf das Veranlagungsjahr, aus einer vergleichenden Betrachtung des Gewinns einerseits und des steuerbaren Umsatzes andererseits. In § 3 FBS sei bestimmt, wie die Beitragsermittlung beim Gewinn und wie beim steuerbaren Umsatz erfolge. Für die Veranlagung sei der jeweils höhere Beitrag maßgeblich (§ 2 Abs. 2 FBS). Insoweit sei der Kläger in allen sechs Beitragsbescheiden bisher rechtswidrig begünstigt worden, weil nicht der höhere, nach dem Umsatz zu bestimmende Beitrag angesetzt worden sei, sondern der niedrigere aus dem Gewinn. Möglicherweise liege dies an einem Programmierungsfehler, der mittlerweile behoben worden sei. Die nach dem Umsatz ermittelten richtigen Beiträge ergäben:
für das Jahr 2011: 1.099,40 Euro für das Jahr 2012: 1.132,52 Euro für das Jahr 2013: 1.126,59 Euro für das Jahr 2014: 1.015,05 Euro für das Jahr 2015: 967,10 Euro für das Jahr 2016: 1.087,65 Euro.
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Eine Nacherhebung bleibe vorbehalten. Dass eine Tankstelle auch von Fremden aufgesucht werde und damit ein unmittelbarer Vorteil in Betracht komme, liege auf der Hand. Darüber hinaus hätten Tankstellen auch einen mittelbaren Vorteil, soweit dort Personen, die selbst einen unmittelbaren Vorteil vom Fremdenverkehr hätten, ihren fremdenverkehrsbedingten Bedarf deckten. Dies gelte in gleicher Weise für alle anderen Geschäftszweige des Klägers. Der Vorteil des Klägers sei nicht unmittelbar davon abhängig, ob ein Gast übernachte oder nicht. Maßgeblich seien auch Tagesgäste, die ortsfremd seien. Bei der Beklagten seien in den Jahren 2010 bis 2016 erhebliche Ausgaben für den Fremdenverkehr angefallen, die weit über den Einnahmen aus Fremdenverkehrsbeiträgen gelegen hätten. Die pauschale Behauptung des Klägers, dass die erhobenen Beiträge weder dem Äquivalenz- noch dem Kostendeckungsprinzip entsprächen, sei durch die haushaltsmäßig belegten Ausgaben widerlegt. Die Festsetzung von Vorauszahlungen seien aufgrund von § 5 FBS rechtmäßig.
12
Am 14.11.2019 führte das Gericht einen Erörterungstermin durch. Auf das dazu gefertigte Protokoll wird verwiesen. Im Termin wurde seitens des Gerichts vorgeschlagen, die Beitragserhebung für die Jahre ab 2011 auf der Grundlage eines Vorteilsatzes von 15% neu zu berechnen.
13
Mit Schriftsatz vom 11.12.2019 teilte die Klägerseite mit, dass der Kläger seinen Verjährungseinwand weiterhin aufrechterhalte. Wenn die Beklagte Jahre lang keine Aufforderungsschreiben mehr versandt habe, habe sie selbst die Gründe geschaffen, warum sie die Fremdenverkehrsbeiträge nicht berechnen konnte. Es würde die Verjährungsfrist von vier Jahren konterkarieren, wenn das Handeln der Beklagten noch mit Vorteilen bei der Berechnung der Verjährung belohnt würde. Weder ein Vorteilssatz von 20%, noch ein solcher von 15% erscheine plausibel.
14
Mit Schriftsatz vom 12.12.2019 erwiderte die Beklagte, die Berechnung der Fremdenverkehrsbeiträge sei erst möglich geworden, als der Kläger die Erklärungsbögen ausgefüllt und an die Beklagte zurückgesandt hatte. Es komme nicht darauf an, ob und ggf. wann die Beklagte die entsprechenden Erklärungsbögen versandt habe. Eine Überschreitung der Höchstgrenze für die Beitragserhebung nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) BayKG liege nicht vor. Es sei nicht zu beanstanden, dass es die Beklagte zum Teil in der Hand habe, durch die Versendung der Ermittlungsbögen Einfluss auf den Beginn der Festsetzungsverjährung zu nehmen. Auch in anderen Bereichen des kommunalen Abgabenrechts könnten Gemeinden Einfluss auf den Beginn des Laufs der Festsetzungsverjährung nehmen.
15
Mit Schriftsatz vom 23.07.2020 teilte die Beklagte mit, dass die aktuellen Vorteilssätze für Tankstellen in vergleichbaren Fremdenverkehrsgemeinden bei 25% bis 40% lägen. Der Vorteilssatz von 20% sei daher angemessen, umso mehr als der Kläger nicht nur Treibstoffe verkaufe, sondern in seinem Shop ein umfangreiches Sortiment von für Fremde interessanten Artikeln und Leistungen anbiete.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen. Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

17
1. Die gemäß § 75 VwGO zulässigen Untätigkeitsklagen haben Erfolg. Die Fremdenverkehrsbeitragsbescheide der Beklagten vom 25.05.2018 für die Jahre 2011 bis 2016 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
18
Gemäß Art. 6 KAG können Gemeinden, in denen die Zahl der Fremdenübernachtungen im Jahr in der Regel das Siebenfache der Einwohnerzahl übersteigt, zur Deckung des gemeindlichen Aufwands für die Fremdenverkehrsförderung u. a. von den selbstständig Tätigen, natürlichen und juristischen Personen, denen durch den Fremdenverkehr im Gemeindegebiet unmittelbar oder mittelbar wirtschaftliche Vorteile erwachsen, einen Fremdenverkehrsbeitrag erheben.
19
Von dieser Ermächtigung hat die Antragsgegnerin durch den Erlass der Satzung für die Erhebung eines Fremdenverkehrsbeitrags vom 30.09.1981 (FVBS) Gebrauch gemacht. Gegen die Gültigkeit dieser Satzung wurden keine Einwände erhoben. Gegen die Gültigkeit sprechende Gründe sind nicht ersichtlich.
20
Nach § 1 Abs. 1 FVBS wird von allen selbstständig Tätigen, natürlichen und juristischen Personen, denen durch den Fremdenverkehr im Gemeindegebiet Vorteile erwachsen, ein Fremdenverkehrsbeitrag erhoben. Mit dem Beitrag wird der Vorteil, der dem Beitragsschuldner durch den Fremdenverkehr mittelbar oder unmittelbar erwächst, abgegolten (§ 2 Abs. 1 FVBS). Unmittelbare Vorteile entstehen durch den direkten Geschäftsverkehr mit Fremden. Mittelbare Vorteile resultieren daraus, dass jemand aufgrund seiner selbstständigen Tätigkeit zwar nicht mit den Ortsfremden selbst, wohl aber im Rahmen der Bedarfsdeckung für den Fremdenverkehr mit den unmittelbar daran Beteiligten Geschäfte tätigt.
21
Grundsätzlich besteht eine Fremdenverkehrsbeitragspflicht des Klägers. Der Fremdenverkehr führt bei Tankstellen zu einer Steigerung des Treibstoffverbrauchs, sei es unmittelbar durch entsprechende Nachfrage der Fremden oder mittelbar durch die am Fremdenverkehr direkt beteiligten Personen (vgl. Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Teil IV, Art. 6 KAG, Frage 3, Tz. 6.30). Das Gleiche gilt für die weiteren im Betrieb des Klägers angebotenen Waren und Dienstleistungen. Fremdenverkehrsbedingte Vorteile hat der Kläger im Erörterungstermin vom 14.11.2019 auch grundsätzlich eingeräumt. Er wendet sich aber gegen die Höhe des angesetzten Vorteilssatzes.
22
Der Vorteilsatz bezeichnet den auf dem Fremdenverkehr beruhenden Teil des steuerbaren Umsatzes. Er wird durch Schätzung für jeden Fall gesondert ermittelt, wobei insbesondere Art und Umfang der selbständigen Tätigkeit, die Lage und Größe der Geschäfts- und Beherbergungsräume, die Betriebsweise und die Zusammensetzung des Kundenkreises von Bedeutung sind (§ 3 Abs. 3 FVBS).
23
Dass ein Vorteilsatz im Wege der Schätzung ermittelt wird, ist rechtlich nicht zu beanstanden, insbesondere auch mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar (BayVerfGH E.v. 21.10.1960 - Vf. 24-VII-59 - VerfGH 13, 127/132). Die Legitimation für eine Schätzung des Vorteilsatzes ergibt sich daraus, dass es praktisch kaum möglich ist, die dem Einzelnen aus dem Fremdenverkehr erwachsenden Vorteile exakt zu ermitteln und die Geschäfte mit Fremden und Ortsansässigen jeweils gesondert zu erfassen. Bei der Schätzung ist derjenige Betrag festzustellen, der bei Berücksichtigung aller Umstände die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hat. Die Schätzung ist dabei nicht dem Bereich der Ermessensausübung, sondern der Tatsachenfeststellung zuzurechnen; sie unterliegt daher der vollen gerichtlichen Nachprüfung (std. Rspr. des BayVGH - vgl. U.v. 09.05.1984 - 4 B 82 A.1097 - BayVBl 1985, 244 ff.; U.v. 05.12.2006 - 4 B 05.3119 - juris Rn. 28; B.v. 01.02.2007 - 4 ZB 06.167 - juris Rn. 7). Das Gericht überprüft demgemäß, ob die Schätzung der einzelnen Vorteilsätze von einer plausiblen Tatsachengrundlage getragen ist. Ausreichend - aber auch notwendig - ist die objektive Möglichkeit der Erzielung von Umsätzen in Höhe der festgesetzten Vorteilsätze. Zwar kann die Gemeinde beim Fehlen ausreichender Daten auf Erfahrungswerte zurückgreifen (BayVGH, B.v. 01.02.2007, a.a.O. Rn. 8), die Schätzungsbefugnis entbindet die Gemeinde aber nicht von der Verpflichtung, nach Möglichkeit alle Tatsachen zu ermitteln und zu berücksichtigen, die für die Abgabenpflicht von Bedeutung sind. Es ist bei der Schätzung derjenige Betrag festzustellen, der bei Berücksichtigung aller Umstände die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hat (BayVGH, U. v. 01.12.1989 - 4 B 88.1720).
24
Die Beklagte hat im gerichtlichen Verfahren keine Angaben dazu gemacht, wie sie zu dem gewählten Vorteilssatz von 20% für das Jahr 2011 und die Folgejahre gekommen ist. Der vorgelegten Behördenakte ist zu entnehmen, dass für den Betrieb des Klägers in den Jahren 1989 bis 1999 ein Vorteilssatz von 20% angesetzt wurde. Auf Antrag des Klägers wurde ab dem Jahr 2000 bis einschließlich 2005 ohne nähere Darlegung ein reduzierter Vorteilssatz von 5% zu Grunde gelegt. Im Jahr 2005 stellte die Beklagte Ermittlungen für eine Anpassung der Fremdenverkehrsbeiträge durch Umfragen bei anderen Fremdenverkehrsgemeinden an. Am 09.05.2006 beschloss der Gemeinderat, den Vorteilssatz für den Betrieb des Klägers auf 15% anzuheben. Davon wurde der Kläger mit Schreiben vom 22.06.2006 verständigt. In dem Bescheid vom 09.09.2008 wurde für den Fremdenverkehrsbeitrag 2006 aber ein Vorteilssatz von 20% angesetzt, ebenso in der Folgezeit bis einschließlich 2010, sowie für die Jahre 2011 bis 2016 durch die streitgegenständlichen Bescheide vom 25.05.2018. Die Beklagte räumte im Erörterungstermin ein, dass sie keine Erklärung für den Ansatz eines Vorteilssatzes von 20% anstatt des 2006 beschlossenen Vorteilssatzes von 15% hat. Es seien seither auch keine weiteren Ermittlungen dazu erfolgt, ob der damals beschlossene Vorteilssatz noch den aktuellen Gegebenheiten entspricht. Der Kläger verweist hierzu auf die seit Jahren rückläufigen Übernachtungszahlen, die für sich genommen zwar keinen konkreten Nachweis, aber doch ein gewichtiges Indiz für rückläufige Vorteile aus dem Fremdenverkehr darstellen. Die Beklagte führt die statistischen Landesdaten für den ländlichen Raum in Bayern mit einer Fremdenverkehrsquote von 12,89% an, die für Art und Umfang der selbständigen Tätigkeit des Klägers allein nicht aussagekräftig sind, und einen Vorteilssatz von 20% ebenfalls nicht rechtfertigen.
25
Somit ergibt sich, dass der in den Bescheiden vom 25.05.2018 angesetzte Vorteilssatz von 20% nicht auf einer hinreichend belegbaren Tatsachengrundlage beruht, zumal seit der letzten Schätzung mehr als zehn Jahre vergangen sind.
26
Zwar kann die Gemeinde grundsätzlich bei der Schätzung auch allgemeine Erfahrungswerte zu Grunde legen. Das gilt jedoch nur dann, wenn konkrete Umstände nicht oder nicht mit zumutbarem Aufwand ermittelt werden können, oder wenn der Abgabenschuldner insoweit keine ausreichenden oder keine brauchbaren Angaben macht (BayVGH, U. v. 01.12.1989 - 4 B 88.1720). Von Letzterem ist hier nicht auszugehen.
27
Die Beklagte hat auch seit dem Erörterungstermin vom November 2019 keine neuen Tatsachen ermittelt, die den Vorteilssatz für das Unternehmen des Klägers in den fraglichen Jahren stützen. Der Hinweis auf andere in Oberfranken gelegene Tankstellen, für die von den zuständigen Gemeinden sogar höhere Vorteilssätze (bis zu 40%) angesetzt werden, genügt nicht den Anforderungen des § 3 Abs. 3 FVBS, wonach die Schätzung unter Berücksichtigung von Art und Umfang der selbständigen Tätigkeit, der Lage und Größe der Geschäfts- und Beherbergungsräume, der Betriebsweise und der Zusammensetzung des Kundenkreises für jeden Fall gesondert zu ermitteln ist.
28
Es ist auch im Klageverfahren nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, die tatsächlichen Grundlagen für die Festsetzung des Beitrags selbst festzustellen, wenn dies im Verwaltungsverfahren nicht erfolgt ist. Vielmehr kann sich das Gericht auf die Aufhebung der für rechtswidrig erkannten Bescheide beschränken und der Gemeinde die ihr obliegende Ermittlung der Bemessungsgrundlagen überlassen (vgl. BayVGH, U.v. 01.12.1989 a.a.O., juris Leitsatz 2; VG München, B.v. 23.11.2010 - Az. M 10 S 10.4524, juris Rn. 37).
29
Die Bescheide vom 25.05.2018 waren somit aufzuheben. Auf die Frage der Festsetzungsverjährung für die Jahre 2011 bis 2013 kommt es nicht mehr an, ebensowenig darauf, dass die Beiträge (zugunsten des Klägers) falsch berechnet wurden.
30
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.