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LG Memmingen, Endurteil v. 19.02.2020 – 14 S 1269/19
Titel:

Mieter, Berufung, Anspruch, Abrechnung, Mietrecht, Beweislast, Leistungserbringer, Widerklage, Leistung, Versicherung, Vermieter, Vorlage, Beurteilung, Abweichung, rechtliches Interesse, erste Instanz, Versicherung an Eides statt

Schlagworte:
Mieter, Berufung, Anspruch, Abrechnung, Mietrecht, Beweislast, Leistungserbringer, Widerklage, Leistung, Versicherung, Vermieter, Vorlage, Beurteilung, Abweichung, rechtliches Interesse, erste Instanz, Versicherung an Eides statt
Vorinstanz:
AG Günzburg, Endurteil vom 30.07.2019 – 1 C 143/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 15.12.2021 – VIII ZR 66/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 53481

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin und Widerbeklagten wird das Urteil das Amtsgerichts Günzburg vom 30.07.2019, Az. 1 C 143/19, abgeändert und die Widerklage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz trägt die Klägerin 49 % und die Beklagten tragen 51 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die jeweils gegen sie gerichtete Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht die vollstreckende Partei zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Klägerin und Widerbeklagten hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und Abweisung der Widerklage.
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1. Hinsichtlich des Tatbestands wird auf die Darstellung im Endurteil des Amtsgerichts Günzburg vom 30.07.2019 (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO) und die weiter gewechselten Schriftsätze sowie das Protokoll vom 23.01.2020 verwiesen.
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2. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Günzburg haben die Mieter im vorliegenden Fall keinen Anspruch auf Einsicht in die Originale der Belege, welche den Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2015 bis 2017 zu Grunde liegen, denn ihr Anspruch und ihr rechtliches Interesse sind bereits erfüllt durch die im Verlauf des Verfahrens erster Instanz erfolgte Übersendung von Kopien bzw. Scan-Ausdrucken derjenigen Unterlagen, welche die Klägerin ihrer Abrechnung zu Grunde legt.
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Grundsätzlich besteht zwar aus § 259 I BGB ein Anspruch auf Vorlage von Belegen, soweit dem Rechenschaftspflichtigen Belege für seine Einnahmen und Ausgaben erteilt zu werden pflegen. § 259 I BGB spricht insoweit nicht von Kopien, sondern von den erteilten Belegen, weshalb von den Originalen auszugehen ist. Dabei ist „Original“ nicht zwingend ein Schriftstück im Sinn des § 126 BGB. Original ist ein Beleg in der Art und Weise wie er üblicherweise der Abrechnung zugrunde gelegt wird, gegebenenfalls auch Textform oder digital. Dass der Widerbeklagten die Vorlage der erteilten Originalbelege zur Einsichtnahme durch die Widerkläger unmöglich wäre (§ 275 I BGB), weil sie diese bereits gescannt und anschließend vernichtet habe, hat sie zwar entgegen dem Ersturteil behauptet (Bl. 32 d.A.), aber sie hat hierfür keinen Beweis angeboten, so dass vom Vorhandensein der Originalbelege auszugehen ist.
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Auch die wohl herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung bejaht den Anspruch auf Vorlage der Original-Belege (so Schmidt-Futterer, Mietrecht, 19.A.2019, Rn 481 zu § 556 BGB; Spielbauer/Schneider, Mietrecht. 2.A.2018, Rn 494 zu § 556 BGB; beck-online Großkommentar, Stand 1.10.2019, Rn 209 zu § 556 BGB, jeweils m.w.N.). Allerdings wird dies teilweise wiederum eingeschränkt auf die Fälle in denen mieterseits konkrete Gründe sich nicht mit Kopien zufrieden zu geben bzw. ein begründeter Verdacht von Manipulationen oder Unstimmigkeiten vorliegen, (vgl. Schmidt-Futterer, Mietrecht, 19.A.2019, Rn. 480 zu § 556 BGB; Ermann BGB, Kommentar, 15.A.2017, Rn 245 zu § 556 BGB; Lützenkirchen, NZM 2018, 266 ff; LG Hannover, WuM 19855, 346).
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Letzterer Ansicht folgt die Kammer. Im konkreten Fall besteht daher kein Anspruch mehr auf Vorlage der Originalbelege, nachdem bereits Kopien übersandt worden sind, was den Beklagten die Rechnungskontrolle grundsätzlich ohnehin wesentlich erleichtert, weil sie die Unterlagen in aller Ruhe zu Hause und nicht vor Ort beim Vermieter prüfen können. Hierdurch ist das rechtliche Interesse der Beklagten an einer ordnungsgemäßen Rechnungslegung bereits hinreichend gewahrt. Die Widerkläger haben keinen Mehrwert durch die Einsicht und Vorlage vorhandener Originalbelege. Von daher steht ihrem Verlangen der Einwand der Erfüllung oder jedenfalls das Schikaneverbot des § 226 BGB entgegen. Es ist nämlich kein vernünftiger Grund ersichtlich warum die Widerbeklagte nochmals durch die Vorlage von Originalen mit erheblichen Mühen durch eine angesichts des Umfangs der Unterlagen stundenlange Einsichtsgewährung unter Inanspruchnahme ihres Personals für die notwendige Überwachung belastet werden sollte, solange die Beklagten dafür nicht konkrete Gründe benennen.
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Der Einwand der Widerkläger, dass den Kopien oder Ausdrucken gescannter Dokumente nicht der Beweiswert von Urkunden zukommt und anhand dieser eine Fälschung oder sonstige Abweichung vom Original für sie weniger leicht festzustellen sei, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Insoweit ist es auch unerheblich, dass unstreitig - nicht hinsichtlich der streitgegenständlichen Abrechnungsperiode, sondern bei früheren Abrechnungszeiträumen - die Widerbeklagte in zwei Fällen unterschiedliche Belegkopien oder Scan-Ausdrucke mit voneinander abweichenden Rechnungserstellungsdaten bzw. Firmenbezeichnungen der Leistungserbringer für dieselbe Leistung vorgelegt hat. Entscheidend ist vielmehr, dass beim Streit um die Abrechnung von Betriebskosten die Beweislast nicht beim Mieter liegt, sondern der Vermieter die seiner Abrechnung zu Gründe liegenden Kosten zu beweisen hat. Er hat deshalb spätestens dann Beweis durch die Vorlage von Originalen bzw. Urkunden oder Zeugen zu führen, wenn er seine Ansprüche durchsetzen oder Rückzahlungsansprüche der Mieter abwehren will.
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Hinsichtlich der Vollständigkeit der Abrechnungsbelege birgt die Vorlage von Originalen ohnehin keinen Vorteil gegenüber der Vorlage von Kopien, da beide in gleicher Weise unvollständig sein können.
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Zudem sind die Mieter auch dadurch geschützt, dass sie bei Zweifeln an der Richtigkeit auch die Versicherung an Eides statt nach 259 II ZPO verlangen können bzw. dann auch Anspruch auf Vorlage der Originale besteht, soweit diese noch vorhanden sind (§ 275 I BGB).
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Soweit die wohl herrschende Meinung von einem unbeschränkten Einsichtsrecht in die Originalbelege ausgeht, wird dies zumeist nicht näher begründet, sondern apodiktisch behauptet und überzeugt die Kammer hinsichtlich dem hier konkret vorliegenden Fall nicht.
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Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt soweit ersichtlich, bislang nicht vor. Zwar ist im Urteil des BGH vom 7.2.2018 (VIII ZR 189/17, NJW 2018, 1599 ff) die Rede vom Einsichtsrecht in Originalbelege, allerdings ging in dem dort zu Grunde liegenden Fall der Streit nicht darum ob auch Belegkopien genügen, sondern ob ein Anspruch auf Übersendung besteht. Der Entscheidung ist daher nicht zu entnehmen, ob dem Anspruch aus § 259 I BGB nicht im Einzelfall der Einwand der Erfüllung oder das Schikaneverbot entgegenstehen kann, wenn - wie hier - bereits Belegkopien übersandt wurden.
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3. Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Entscheidungen der Instanzgerichte zur Frage des Anspruchs auf Vorlage von Originalbelegen ist die Frage von grundsätzlicher Bedeutung und eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weshalb die Revision zugelassen wird (§ 543 III ZPO).
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4. Die Kostenentscheidung folgt für die erste Instanz aus den §§ 269 III 2, 92 I ZPO und für das Berufungsverfahren aus § 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.