Inhalt

LG München I, Endurteil v. 23.07.2020 – 23 O 3719/19
Titel:

Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines mit einem Motor N 47 ausgestatteten BMW-Diesel-Fahrzeugs

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Zu BMW-Diesel-Fällen vgl. auch BGH BeckRS 2021, 37995; BeckRS 2021, 40856; OLG München BeckRS 2019, 19592; BeckRS 2021, 40857; OLG Bremen BeckRS 2020, 31082; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5654; OLG Schleswig BeckRS 2021, 11679; OLG Koblenz BeckRS 2020, 30105; OLG Celle BeckRS 2021, 43494. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein pauschaler und einer General- und Vorverurteilung gleichkommender Vortrag, BMW habe ebenso wie andere am „Dieselskandal“ beteiligte deutsche Auto-Hersteller die Abgasreinigung „manipuliert“, wird den Anforderungen der ZPO an einen substantiierten Klagevortrag nicht gerecht. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Keine der von offiziellen Stellen durchgeführten Untersuchungen hat ergeben, dass der von BMW hergestellte Motor des Typs N 47 mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zur Manipulation des Schadstoffausstoßes ausgestattet ist. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, BMW, N47, Sittenwidrigkeit, unzulässige Abschalteinrichtung, Motorsteuerungssoftware, Thermofenster, (kein) Schädigungsvorsatz, Deutsche Umwelthilfe, KBA, VO (EG) 715/2007
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 04.02.2021 – 1 U 4977/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 15.12.2021 – VII ZR 228/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 53436

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 28.617,68 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt von der beklagten Fahrzeugherstellerin … die Erstattung des gezahlten Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übereignung seines Fahrzeugs.
2
Der Kläger erwarb von der … mit Kaufvertrag vom 23.08.2016 (Anlage K1) den dieselbetriebenen Gebrauchtwagen der Marke … mit Erstzulassung im Jahr 2013 (Zulassungsbescheinigung Teil I, Anlage K2) und einer Laufleistung von 31.784 km für einen Kaufpreis i.H.v. EUR 28.617,68. Das Fahrzeug ist mit einem Motor der Typenbezeichnung N 47 ausgestattet und soll nach Herstellerangaben die Abgasnorm Euro 5 erfüllen. Ein SCR Katalysator ist nicht verbaut.
3
Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeuges.
4
Am 05.12.2017 wurde im Rahmen einer Pressemitteilung bekannt, dass die Deutsche Umwelthilfe (DUH) an einem … Diesel Messungen unter Realbedingungen angestellt und im Zuge dessen erhebliche Abweichungen von den Abgaswerten bei standardisierten Testzyklen festgestellt haben (Anlage 21, K6a).
5
Am 15.02.2018 erfolgte eine Pressemitteilung des Kraftfahrtbundesamtes unter der Überschrift „KBA-Untersuchung BMW 320d Euro 6“ mit folgendem Inhalt (Anlage B1):
„Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) hat das Modell BMW 320d Euro 6 untersucht und eige - ne Messungen durchgeführt. Die Abgasemissionen auf dem Rollenprüfstand und auch auf der Straße sind unter normalen Betriebsbedingungen nicht zu beanstanden. Es konn - te keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt werden. Die von der Deut - schen Umwelthilfe ermittelten Ergebnisse mit erhöhten NOx-Emissionen sind auf nicht normale Betriebsbedingungen zurückzuführen. Daher besteht keine Veranlassung zur Einleitung von Maßnahmen.“
6
Am 19.02.2018 erfolgte eine Mitteilung der Beklagten an das Kraftfahrtbundesamt hinsichtlich einer „fehlerhaften Bedatung“ bei den Fahrzeugtypen BMW 750 und M550 3.0 Diesel Euro 6, nachdem diese bei einer internen Überprüfung festgestellt wurden.
7
Danach gab das Kraftfahrtbundesamt am 03.04.2018 unter der Überschrift „Rückruf für BMW 750 und BMW M550 (Limousine und Touring) 3.0 Diesel Euro 6“ Folgendes bekannt:
„Bei der Überprüfung der Fahrzeugtypen BMW 750 3.0 Diesel Euro 6 und BMW M550 (Limousine und Touring) 3.0 Diesel Euro 6 wurden durch das Kraft - fahrt-Bundesamt (KBA) unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt. Mit Bescheid vom 13.03.2018 hat das Kraftfahrt-Bundesamt die BMW AG aufgefordert, bei diesen Fahrzeugtypen mittels eines Rückrufes die vorhandenen unzulässigen Abschalteinrich - tungen zu entfernen, um die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge wiederherzustellen. Hiervon sind laut BMW weltweit ca. 11.700 Fahrzeuge betroffen. Davon wurden europa - weit ca. 9.300 (einschließlich D) und in Deutschland rund 5.000 Fahrzeuge verkauft. Die von BMW vorgelegte technische Änderung wird derzeit im Kraftfahrt-Bun - desamt geprüft und soll zeitnah freigegeben werden.
Nach Freigabe der Updates ist der Hersteller aufgefordert, unverzüglich die betroffe - nen Feldfahrzeuge zurückzurufen und entsprechend umzurüsten.
Die betroffenen Halter werden dazu von BMW angeschrieben. Anschließend hat der Hersteller 18 Monate Zeit die Rückrufaktion abzuschließen.“
8
Die Staatsanwaltschaft München I teilte mit Pressemitteilung vom 25.02.2019 unter der Überschrift „Bußgeld über 8,5 Millionen Euro gegen die BMW AG“ Folgendes mit (Anlage B2):
„(…) Die Staatsanwaltschaft München I hat seit Anfang 2018 gegen unbekannte Mitarbei - ter der BMW AG im Zusammenhang mit prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtungen in den Fahrzeugen der Modellreihen M550xd und 750xd ermittelt. Prüfstandsbezogene Abschalteinrichtungen bezeichnen Mechanismen, die dazu führen, dass die Abgasreini - gung auf dem Prüfstand anders arbeitet als im realen Straßenverkehr und dass die gel - tenden NOX-Grenzwerte auf dem Rollenprüfstand eingehalten werden. In dem Ermittlungsverfahren ging es insoweit insbesondere um mögliche Betrugstaten zu Lasten der Käufer der betroffenen Fahrzeuge.
Die umfangreichen Ermittlungen, die in enger Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrt-Bun - desamt erfolgten und Ermittlungsmaßnahmen im europäischen Ausland umfassten, ergaben weder Nachweise dafür, dass bei den Modellreihen tatsächlich prüfstandsbezoge - ne Abschalteinrichtungen verbaut wären, noch, dass Mitarbeiter der BMW AG vorsätzlich gehandelt hätten. Der Vorwurf des Betruges hat sich insoweit nicht bestätigt.
Die Ermittlungen haben jedoch ergeben, dass auf Grund einer fehlerhaften Bedatung des für die Abgasreinigung zuständigen Bereichs der Motorsteuerungssoftware ab dem Erreichen einer gewissen Wärmemenge die Regeneration des NOX-Speicherkatalysa - tors bis zum nächsten Zündungswechsel unterbleibt, was zu einem Anstieg der Stickoxid - emissionen bis zum nächsten Zündungswechsel führt, wenn und sobald die Kapazität des NOX-Speicherkatalysators erreicht ist. Von diesem Fehler waren weltweit potentiell 7.965 Fahrzeuge betroffen.
Die Staatsanwaltschaft legt dem Unternehmen daher zur Last, damals keine geeigne - ten Qualitätssicherungssysteme eingerichtet zu haben, die die Entstehung und Imple - mentierung des Fehler in die Motorsteuerungssoftware verhindert oder dessen nachträg - liche Entdeckung ermöglicht hätten. Dies erfüllt den Tatbestand einer fahrlässigen Aufsichtspflichtverletzung des Unternehmens nach § 130 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitenge - setz (OWiG). Spezifische gesetzliche oder sonstige Vorschriften wurden von der BMW AG allerdings nicht missachtet. (…)“
9
Am 09.09.2019 gab das Kraftfahrtbundesamt eine amtliche Auskunft an das OLG München über das Fahrzeug der Beklagten …, ausgestattet mit einem Motor des Typs N47 mit folgendem Inhalt (Anlage K30):
„(…) Nach den dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) vorliegenden Informationen durch den Hersteller weist das oben genannte Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtun - gen auf.“
10
Am 17.10.2019 gab das Kraftfahrtbundesamt erneut eine amtliche Auskunft an das OLG München über das Fahrzeug der Beklagten … mit einem Motor N47 mit folgendem Inhalt (Anlage K31):
„(…) Hierzu kann ich Ihnen mitteilen, dass der oben genannte Fahrzeugtyp durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) überprüft wurde. Es wurden keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt. Das Fahrzeug ist im Rahmen des Nationalen Forum Diesel Teil einer freiwilligen Servicemaßnahme der Firma BMW. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen vom KBA angeordneten Rückruf, sondern um eine Maßnahme des Herstellers zur Verbesserung der Emissionen. (…)“
11
In Bezug auf den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp und dessen Bauteile hat das Kraftfahrtbundesamt keine Anordnungen getroffen.
12
Eine vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur schon am 22.09.2015 eingesetzte Untersuchungskommission „Volkswagen“ untersuchte auch Dieselfahrzeugmotoren anderer deutscher Fahrzeughersteller, darunter … im Hinblick auf etwaige abgasmanipulierende Abschalteinrichtungen (Anlage K 5). In diesem Rahmen wurden mehrere Fahrzeuge der Beklagten getestet, unter anderem auch der hier streitgegenständliche … mit der Abgasstufe Euro 5 und dem zum streitgegenständlichen fahrzeugidentischen Motor N 47. Dieser wurde nach dem Bericht als unauffällig bewertet. Es heißt dort auf Seite 26:
„… Euro 5 Das geprüfte Fahrzeug hält im NEFZ kalt den Grenzwert von 180 mg/km ein. Bei der Prüfstandmessung mit warmem Fahrzeug (NEFZ warm) wird der Wert leicht überschritten. PEM in den PEMS-Messungen werden Werte um den dop - pelten Grenzwert gemessen. Lediglich bei der Messung NEFZ +10 % mit 10 % erhöhter Geschwindigkeit wird der Faktor 2,1 überschritten. Damit liegen die Messwerte des Fahrzeugs in unauffälliger Höhe“.
13
Der Kläger behauptet im Wesentlichen, dass sämtliche im Zeitraum zwischen 2006 bis 2017/2018 verkauften Dieselfahrzeuge der Beklagten, somit auch das streitgegenständliche Fahrzeug, die Grenzwerte der Euro 5 Norm von 180 mg/km bzw. der Euro 6 Norm von 80 mg/km im Realbetrieb massiv überschreiten würden. Aufgrund der Messwerte sei davon auszugehen, dass in sämtlichen Dieselfahrzeugen der Beklagten eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Diese sei in Form einer Software gegeben, welche ein „unnatürliches Fahrverhalten“ bzw. eine „Prüfsituation“ erkenne und den Motor in diesen Situationen anweise, die Abgasaufbereitung derart zu optimieren, dass für die Dauer der Prüfung die Schadstoffreduktion maximal effektiv erfolge. Die Software enthalte Programmzeilen, die eine Reduzierung und später eine Abschaltung der Abgasreinigung durch Zufügung von Harnstoff bei Drehzahlen ab 2.000 U/min bzw. 3.500 U/min vornehme.
14
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge zudem über ein sogenanntes „Thermofenster“, das die Funktionsweise bzw. den Wirkungsgrad der Abgasreinigung in Abhängigkeit von der Außentemperatur bei gleichbleibender Außentemperatur auch dauerhaft reduziere. Dabei sei es so gestaltet, dass die Abgasreinigung im Temperaturbereich zwischen 20 und 30 Grad Celsius, der für den NEFZ-Zyklus vorgeschrieben ist, zu 100 % arbeite. Bei niedrigen Temperaturen fahre die Abgasreinigung auf Grundlage dieses Thermofensters herunter bzw. schaltet sich aus.
15
Messungen anderer Fahrzeugmodelle mit dem Motoren N47 und B47 seien als Vergleichsmaßstab für das streitgegenständliche Fahrzeug heranzuziehen (Anlage K7).
16
Der Kläger trägt vor, das streitgegenständliche Fahrzeug sei von der Beklagten als besonders umweltfreundliches und sparsames Auto beworben worden. Er sei zudem davon ausgegangen, ein technisch einwandfreies Fahrzeug zu erwerben, das die gesetzlichen Grenzwerte beim Schadstoffausstoß einhalte und dessen Motor keine illegale Abschalteinrichtung zur Manipulation des Schadstoffausstoßes enthalte. Nur deshalb habe er das Fahrzeug erworben, anderenfalls hätte er von einem Erwerb abgesehen. Die Abschalteinrichtung sei ihm nicht bekannt gewesen.
17
Der Kläger behauptet, die Beklagte habe ihn über die Einhaltung der gesetzlichen Schadstoffgrenzen des streitgegenständlichen Fahrzeugs getäuscht und hätte ihn über die in seinem Fahrzeug verbaute illegale Abschalteinrichtung informieren müssen. Bei zutreffender Information hätte er den Wagen nicht gekauft.
18
Der Kläger beantragt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 28.617,68 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW …
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.564,26 freizustellen.
19
Die Beklagte beantragt,
Die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
20
Die Beklagte entgegnet, der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor des Typs N 47 sei weder manipuliert noch enthalte er eine unzulässige Abschalteinrichtung.
21
Die Dieselfahrzeuge der Beklagten seien nicht von dem sogenannten Diesel-Abgasskandal betroffen. Dies sei durch die Untersuchungen des Kraftfahrtbundesamtes (Anlagen B1, B7) sowie den Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ (Anlage K 5) bestätigt worden. Zudem trägt die Beklagte vor, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über keinen SCR-Katalysator und somit auf nicht über einen AdBlue Tank. Die Klägerin habe demgegenüber keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass in dem streitgegenständlichen Wagen eine den Schadstoffausstoß manipulierende Vorrichtung vorhanden sei. Der Beweisantrag der Klagepartei zur Erholung eines Sachverständigengutachtens sei ein reiner Ausforschungsbeweis. Schon gar nicht habe die Beklagte vorsätzlich oder in Schädigungsabsicht gehandelt.
22
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.07.2020 verwiesen.

Entscheidungsgründe

23
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
24
Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen vertraglichen Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Rückgabe und des Fahrzeugs, noch einen entsprechenden deliktischen Anspruch auf Schadensersatz.
25
1. Vertragliche Ansprüche bestehen zwischen den Parteien nicht. Der Kläger hat den streitgegenständlichen PKW … bei der „…“ gekauft, die nach unbestrittenem Vortrag der Beklagten nicht die gleiche Gesellschaft wie die Beklagte ist.
26
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen deliktischen Verhaltens nach § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB.
27
Gemäß § 826 BGB ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (Palandt-Sprau, BGB 79. Aufl., § 826 Rz. 4).
28
Für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB ist erforderlich, dass der Betrugstatbestand des § 283 StGB erfüllt ist. Dieser setzt voraus, dass das Vermögen des Geschädigten durch die vorsätzliche Vorspiegelung falscher Tatsachen durch den Täter mit der Absicht geschädigt wurde, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.
29
In subjektiver Hinsicht erfordern die beiden vorstehenden Anspruchsgrundlagen die Feststellung eines Schädigungsvorsatzes auf Seiten des Schädigers. Dieser enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben (BGH, NJW 2020, 1962 Rdn. 61). Etwaiges Wissen ihrer Organe müssen sich juristische Personen gemäß § 31 BGB analog zurechnen lassen (BGH, NJW 2020, 1962 Rdn. 29).
30
Die Klagepartei hat nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass der Beklagten gemessen an den oben genannten Maßstäben und bezogen auf das streitgegenständliche Fahrzeug ein solches Verhalten zum Vorwurf gemacht werden kann.
31
Es fehlt bereits an einem ausreichenden Vortrag der Klagepartei, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden ist. Die Klage beruht letztlich auf dem bloßen Verdacht, die Beklagte habe ebenso wie andere am „Dieselskandal“ beteiligte deutsche Auto - Hersteller die Abgasreinigung „manipuliert“. Ein derartiger letztlich pauschaler und einer General- und Vorverurteilung gleichkommender Vortrag wird den Anforderungen der ZPO an einen substantiierten Klagevortrag nicht gerecht. Der Beweisantrag der Klagepartei, ein Sachveständigengutachten allein zur Behauptung des Vorliegens einer den Schadstoffausstoß manipulierenden Abschalteinrichtung zu erholen, war als Ausforschungsbeweis zurückzuweisen.
32
Zwar ist zu berücksichtigen, dass der Kläger mangels eigener Sachkunde und hinreichenden Einblicks in die Konzeption und Funktionsweise des in seinem Fahrzeug eingebauten Motors einschließlich des Systems zur Verringerung des Stickstoffausstoßes keine genaueren Kenntnisse von dem Vorhandensein und der konkreten Wirkung einer Abschalteinrichtung haben kann. In einem solchen Fall würde es genügen, wenn der Kläger ausreichend greifbare Anhaltspunkte für die Ausstattung seines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorbringen würde (vergleiche BGH Beschluss vom 28.01.2020, AZ. VIII ZR 57/19, RZ 9.). In diesem Fall ist es dem Kläger jedoch nicht gelungen, einige ausreichend greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen unzulässigen Abschalteinrichtungen in seinem Wagen mit dem Motor des Typs N 47 vorzutragen.
33
Dass nicht nur nach den verschiedenen Herstellern von Diesel-Fahrzeugen, sondern auch innerhalb der Produktpalette eines Herstellers zwischen den verschiedenen Modellen zu differenzieren ist, ergibt sich bereits aus den im Tatbestand erwähnten und zwischen den Parteien unstrittigen Pressemitteilungen des Kraftfahrtbundesamts, wonach dieses bei dem Modell BMW 320d Euro 6 im Gegensatz zu den Modellen BMW 750 und BMW M550 (Limousine und Touring) 3.0 Diesel Euro 6 keinen Gesetzesverstoß erkannte.
34
Die Klagepartei bezieht sich bei ihren Ausführungen zur angeblichen „illegalen Abschalteinrichtung“ auf Veröffentlichungen und Presseartikel (Anlage K12, 14, 18, 21), wobei nur die Anlagen K 18 und K 21 schwerpunktmäßig die Beklagte betreffen. Derartige pauschale Bezugnahmen auf Presseberichte können in einem Zivilprozess konkrete, auf den jeweiligen Sachverhalt bezogene Tatsachenbehauptungen nicht ersetzen. Gleiches gilt für den als Anlage K9a vorgelegten Wikipedia-Auszug zu „BMW N47“. Bei Wikipedia handelt es sich nach eigenen Angaben zufolge, um eine private Enzyklopädie, welche von freiwilligen und ehrenamtlichen Autoren verfasst wird, wobei ausdrücklich jedermann dazu berufen ist, an dem Verfassen der Texte mitzuwirken. Ebensowenig ist der als Anlage K 6 vorgelegte Untersuchungsbericht des Deutschen Umwelthilfe e.V. geeignet, die klägerseits behauptete „Manipulation“ zu stützen. Gegenstand der dort veröffentlichten Testergebnisse war ein BMW 320d, Euro 6. Bei dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug handelt es sich jedoch um einen … Euro 5. Zudem hatte das getestete Fahrzeug eine Leistung von 140 kW (Anlage K 6a, S. 14), während das streitgegenständliche Fahrzeug lediglich über 129 kW (Anlage K2) verfügt. Folglich enthält die Anlage K 6 Messwerte eines anderen Fahrzeugs. Zudem erfolgten, bereits ausweislich des Titels des Untersuchungsberichts, die Tests im realen Fahrbetrieb. Im vorliegenden Fall geht es allerdings um die Frage, ob nach dem für die Norm Euro 5 anzuwendenden sogenannten „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) die Messwerte eingehalten sind. Hierfür gibt die Anlage K 6a nichts her. Dasselbe gilt für die Messwerte in Anlage K 27 hinsichtlich einem dem streitgegenständlichen vergleichbaren Fahrzeug, da auch hier lediglich Nox und CO2 Messungen im realen Betrieb vorgenommen wurden.
35
Die Klagepartei beruft sich zudem auf die Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamts für die Modelle … und … (Limousine und Touring) 3.0 Diesel Euro 6 der Beklagten. Im Rahmen dieses Rückrufs ist weder das hier streitgegenständliche Fahrzeug Gegenstand der Aktion noch ging es um das hier ebenfalls streitgegenständliche „Thermofenster“.
36
Das Ergebnis der Untersuchung durch das Kraftfahrtbundesamt spricht vielmehr für das Gegenteil. Dieses ergab nur, dass eine fehlerhafte „Bedatung“ des für die Abgasreinigung zuständigen Bereichs der Motorsteuerungssoftware ab dem Erreichen einer gewissen Wärmemenge die Regeneration des NOX-Speicherkatalysators bis zum nächsten Zündungswechsel unterbinde, was zu einem Anstieg der Stickoxidemissionen bis zum nächsten Zündungswechsel führt, wenn und sobald die Kapazität des NOX-Speicherkatalysators erreicht sei.
37
Verdeutlicht wird dies durch die amtlichen Auskünfte des Kraftfahrtbundesamts gegenüber Anfragen des OLG Münchens unter anderem zu dem hier streitgegenständlichen Fahrzeugtypen … Euro 5 vom 02.07.2018 (Anlage K 30), sowie zum BMW 520d vom 17.10.2019 (Anlage K 31). Beide Fahrzeugtypen sind mit demselben Motor ausgestattet, dem Motor des Typs N47. Das Kraftfahrzeugbundesamt teilte im Schreiben vom 17.10.2019 mit, dass der genannte Fahrzeugtyp (hier BMW 520 d mit dem Motortyp 47) durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) überprüft worden sei. Es seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden. Das Fahrzeug sei im Rahmen des „Nationalen Forum Diesel“ Teil einer freiwilligen Servicemaßnahme der Firma BMW gewesen; es habe sich nicht um einem von Kraftfahrbundesamt angeordneten Rückruf gehandelt, sondern um eine Maßnahme des Herstellers zur Verbesserung der Emissionen. Die Teilnahme sei freiwillig gewesen.
38
Auch die Ergebnisse sonstiger Untersuchungsmaßnahmen sprechen gegen die Ausstattung von Motoren des Typs in 47 mit einer illegalen Abschalteinrichtung zur Manipulation des Schadstoffausstoßes.
39
In Einer Pressemitteilung von 25.02.2019 (Anlage B 2) im Rahmen eines Bußgeldverfahrens gegen BMW hat die Staatsanwaltschaft München mitgeteilt, dass die umfangreichen Ermittlungen, die in enger Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrbundesamt erfolgt seien und Ermittlungsmaßnahmen im europäischen Ausland umfasst hätten, weder Nachweise dafür ergeben hätten, dass bei den Modellreihen tatsächlich prüfstandsbezogene Abschalteinrichtungen verbaut worden wären, noch dass Mitarbeiter der BMW AG diesbezüglich vorsätzlich gehandelt hätten. Der Vorwurf des Betrugs wegen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung wurde durch die Staatsanwaltschaft München I nicht bestätigt (Anlage B 2).
40
Auch der Bericht der Untersuchungskommission„Volkswagen“ (Anlage K 5), die das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur bereits am 20.09.2015 nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen VW wegen Abgasmanipulationen in den USA auch zur Untersuchung von Dieselfahrzeugen anderer Hersteller, darunter auch BMW beauftragt hatte, hat keinen Hinweis auf eine Vorrichtung zur Manipualtion des Schadstoffausstoßes beim Motortyp N 47 ergeben. Der hier streitgegenständliche …, Euro 5 war Gegenstand der Untersuchung (Seite 26 f. des Berichts der Untersuchungskommission). Das Ergebnis lautet wörtlich: „Das geprüfte Fahrzeug hält im NEFZ kalt den Grenzwert von 180 mg/km ein. Bei der Prüfstandmessung mit warmem Fahrzeug (NEFZ warm) wird der Wert leicht überschritten. In den PEMS-Messungen werden Werte um den doppelten Grenzwert gemessen. Lediglich bei der Messung NEFZ + 10 % mit 10 % erhöhter Geschwindigkeit wird der Faktor 2,1 überschritten. Damit liegen die Messwerte des Fahrzeugs in unauffälliger Höhe.“
41
Nach alledem haben keine der genannten, von offiziellen Stellen durchgeführten Untersuchungen ergeben, dass der im klägerischen Fahrzeug verbaute Motor des Typs N 47 mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zur Manipulation des Schadstoffausstoßes ausgestattet ist.
42
Die Beklagte hat damit einer sekundären Darlegungslast- und Beweislast Genüge getan. Die Klagepartei hat dem keine greifbaren Anhaltspunkte entgegengesetzt, die dennoch für die Ausstattung des streitgegenständlichen PkW mit einer Manipulationssoftware oder sonstigen Einrichtung zur vorsätzlichen Beeinflussung des Schadstoffausstoßes spricht.
43
Die Frage des Gerichts in der Sitzung vom 16.07.2020 an die Klagepartei, ob Sachvortrag zu ergänzen sei, verneinte der Klägervertreter und bezog sich auf den bisherigen Sachvortrag und auf den Beweisantrag zur Erholung eines Sachverständigengutachtens. Dem war mangels greifbarer Umstände, die für den Vortrag einer wissentlichen Abgasmanipulation durch die Beklagte sprechen könnten, nicht nachzugehen.
44
Auch der Vortrag der Klagepartei, es sei ein so genanntes „Thermofenster“ im streigegenständlichen Wagen verbaut, das geeignet sei, die Abgaswerte zu beeinflussen, führt nicht zu einer deliktischen Handlung der Beklagten. Unabhängig davon, ob überhaupt ein solches „Thermofenster“ in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut ist und ein solches als eine unzulässige Abschalteinrichtung qualifiziert werden könnte, fehlt es schon an einem vorsätzlichen Verhalten der Beklagten. Denn ein solcher verbauter Funktionsmechanismus ist eine Einrichtung, die durch die Ausnahmetatbestände des Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007/EG zumindest gedeckt sein kann. Die Ausnahmetatbestände sehen vor, dass Einrichtungen zulässig sind, die notwendig sind, um den Motor vor Beeinträchtigungen zu schützen. Ob eine derartige Notwendigkeit besteht, ist Frage der Auslegung der Verordnung. Jedenfalls ist bei der Einrichtung „Thermofenster“ zumindest ein Schutzzweck einschlägig, der in der Verordnung grundsätzlich als geeignet angesehen wird eine Abschalteinrichtung ausnahmsweise zu gestatten.
45
Damit besteht eine andere Sachlage als bei den Abschalteinrichtungen, welche ausschließlich dem Zweck dienen, bei erkannten Prüfungssituationen ein verändertes Emissionsverhalten herbeizuführen, um auf diese Weise eine Einhaltung der Grenzwerte zu gewährleisten. Bei der Einrichtung „Thermofenster“ ist für den Hersteller nicht ohne weiteres erkennbar, dass die Einrichtung aufgrund ihrer möglichen Motorschutzgründe nicht von den Ausnahmetatbeständen des Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO 715/2007/EG umfasst sein könnte. Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, dass ein Hersteller durch Verbau eines solchen „Thermofensters“ bewusst ein sachmangelbehaftetes Fahrzeug in den Verkehr gebracht hat.
46
Nach Alledem fehlt es schon am objektiven Vorliegen einer deliktischen Handlung der Beklagten.
47
Die Klage war daher abzuweisen.
II.
48
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt § 709 S. 1 ZPO.