Titel:
Entgeltgruppe, Eingruppierung, Arbeitnehmer, Tarifvertragsparteien, Auslegung, Anrechnung, Zahlung, Stufenlaufzeit, Feststellungsinteresse, Eingruppierungsfeststellungsklage, Verpflichtung, Streitwert, Anspruch, Einstufung
Schlagworte:
Entgeltgruppe, Eingruppierung, Arbeitnehmer, Tarifvertragsparteien, Auslegung, Anrechnung, Zahlung, Stufenlaufzeit, Feststellungsinteresse, Eingruppierungsfeststellungsklage, Verpflichtung, Streitwert, Anspruch, Einstufung
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG München, Urteil vom 09.12.2020 – 5 Sa 434/20
BAG Erfurt, Urteil vom 25.11.2021 – 6 AZR 150/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 53357
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf € 8.973,00 festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht zugelassen, soweit sie nicht kraft Gesetzes statthaft ist.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die zutreffende Einstufung des Klägers und über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung rückständiger Gehälter.
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Der Kläger ist seit dem 01.03.1991 bei der Beklagten als Schichtmeister im Baureferat Hauptabteilung Tiefbau beschäftigt. Der Kläger war vom 01.10.2007 bis 31.12.2016 - vor Inkrafttreten der neuen Entgeltordnung EGO - in der Entgeltgruppe 9 Stufe 5 TVöD (Endstufe) eingruppiert (sog. kleine 9). Zum 01.01.2017 wurde der Kläger in die neue Entgeltordnung des TVöD-VKA übergeleitet. Die Überleitung erfolgte auf der Grundlage des § 29c Abs. 3 S. 1 TVÜ-VKA. Darin heißt es:
„Beschäftigte der Entgeltgruppe 9, für die gemäß des Anhangs zu § 16 (VKA) TVöD in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung die Stufe 5 Endstufe ist, sind unter Mitnahme der in ihrer Stufe zurückgelegten Stufenlaufzeit in die Stufe der Entgeltgruppe 9a übergeleitet, deren Betrag dem Betrag ihrer bisherigen Stufe entspricht.“
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Der Kläger wurde daher von der Entgeltgruppe E9 Stufe 5 TVöD (Endstufe) in die neue Entgeltordnung in Entgeltgruppe 9a Stufe 6 TVöD (neu eingeführte Endstufe) eingruppiert, da dieser Betrag dem bisherigen Bruttobetrag entsprach. Eine bis dahin gewährte Meisterzulage wurde ab 01.01.2017 besitzstandsweise fortgezahlt.
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Der Kläger stellte am 05.10.2017 einen Höhergruppierungsantrag in die Entgeltgruppe 9b. Die Höhergruppierung erfolgte rückwirkend zum 01.01.2017 in die Entgeltgruppe 9b Stufe 5 TVöD. Hinsichtlich einer Höhergruppierung trifft § 29b Abs. 4 TVÜ folgende Regelung:
„„1 Sind Beschäftigte, die eine Besitzstandszulage nach § 29a Abs. 3 erhalten, auf Antrag nach Absatz 1 höhergruppiert, entfällt die Besitzstandszulage rückwirkend ab dem 1. Januar 2017. 2 Ergibt sich durch die Höhergruppierung die Zuordnung zu einer niedrigeren Stufe als in der bisherigen Entgeltgruppe, wird abweichend von Absatz 2 Satz 1 die in der bisherigen Stufe zurückgelegte Stufenlaufzeit auf die Stufenlaufzeit in der höheren Entgeltgruppe angerechnet. 3 Ist dadurch am Tag der Höhergruppierung in der höheren Entgeltgruppe die Stufenlaufzeit zum Erreichen der nächsthöheren Stufe erfüllt, beginnt in dieser nächsthöheren Stufe die Stufenlaufzeit neu.“
Gemäß § 29b Abs. 4 S. 1 TVÜ entfiel aufgrund der beantragten Höhergruppierung die besitzweise gewährte Meisterzulage rückwirkend zum 01.01.2017.“
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Der Kläger vertritt die Auffassung, er sei richtigerweise in die Entgeltgruppe 9b Stufe 6 einzugruppieren. Die Beklagte verkenne die Regelung des § 29b Abs. 4 S. 2 u. 3 TVÜ. Er habe bereits bis zum 31.12.2016 in der Entgeltgruppe 9 Stufe 5 (Endstufe) über 5 Jahre zurückgelegt, so dass er unter Anrechnung seiner Stufenlaufzeit zum 01.01.2017 bereits in die Entgeltgruppe 9b Stufe 6 einzugruppieren gewesen wäre. Die Zuordnung zu einer niedrigeren Stufe ergebe sich aus dem Vergleich mit der ursprünglichen Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9a Stufe 6.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab dem 01.01.2017 in die Entgeltgruppe 9b Stufe 6 EGO einzustufen und den Kläger ab dem 01.01.2017 gem. Entgeltgruppe 9b Stufe 6 EGO zu vergüten und die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Entgeltgruppe 9b Stufe 6 und der Entgeltgruppe 9b Stufe 5 beginnend ab dem 01.01.2017 und zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt an in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen hat.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die Anrechnung einer Stufenlaufzeit vor dem 01.01.2017 auf die Einstufung nach dem Antrag auf Höhergruppierung rückwirkend zum 01.01.2017 nicht möglich sei, da es bis zum 31.12.2016 in der Stufe 5 keine Stufenlaufzeiten gegeben habe, da es sich um die Endstufe gehandelt habe. Die Beklagte habe auch nicht die Regelung des § 29b Abs. 4 TVÜ übersehen. Diese käme ihrer Ansicht nach im vorliegenden Sachverhalt nicht zum Tragen, da je nach Auslegung entweder eine Stufenlaufzeit in Stufe 6 Null betragen habe oder eine Zuordnung zu einer niedrigeren Stufe nicht erfolgt sei. Betrachte man den Zeitraum ab 01.01.2017, so wäre der Kläger lediglich für eine juristische Sekunde in der Stufe 6 gewesen, da die Höhergruppierung rückwirkend erfolgt sei und es deshalb keine Stufenlaufzeit gebe. Vergleiche man die Zeiträume bis 31.12.2016 und nach der Höhergruppierung ab 01.01.2017, so fehle es an einer Zuordnung in eine niedrigere Stufe, da der Kläger in beiden Zeiträumen jeweils in Stufe 5 eingruppiert gewesen sei.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze vom 02.08.2018, vom 07.03.2019 und vom 14.05.2019 - jeweils nebst Anlagen - sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 11.12.2018 und vom 12.02.2020 Bezug genommen, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 495, 313 Abs. 2 ZPO.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG.
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Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München folgt aus §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 17 ZPO, da die Beklagte ihren Sitz im Bereich des Arbeitsgerichts München hat.
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Bei dem Feststellungsantrag des Klägers handelt es sich um eine Eingruppierungsfeststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 495 ZPO, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG. Das Feststellungsinteresse des Klägers ergibt sich aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und den divergierenden Ansichten hinsichtlich der Eingruppierung.
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Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen auch im Übrigen nicht.
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Die Klage ist unbegründet. Der Kläger ist richtigerweise in die Entgeltgruppe 9b Stufe 5 eingruppiert.
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Es ergibt sich weder aus der Regelung des § 29b Abs. 4 S. 2 TVÜ-VKA noch aus einem Zusammenspiel von § 29b Abs. 4 S. 2 TVÜ-VKA mit § 29c Abs. 3 S.1 TVÜ-VKA, dass dem Kläger ein Anspruch auf eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9b Stufe 6 zusteht.
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Für die vorliegende antragsgemäße Höhergruppierung trifft § 29b TVÜ-VKA eine eigenständige Regelung. Der Kläger leitet seinen Anspruch auf eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9b Stufe 6 daraus ab, dass er bei der Höhergruppierung in eine niedrigere Stufe als in der bisherigen Entgeltgruppe eingruppiert worden sei und in diesem Fall die in der bisherigen Stufe zurückgelegte Stufenlaufzeit auf die Stufenlaufzeit in der höheren Entgeltgruppe anzurechnen seien (§ 29b Abs. 4 S. 2 TVÜ-VKA). Für die Berechnung der bisher in der Stufe 6 zurückgelegten Stufenlaufzeit seien die bis zum 31.12.2016 in der Endstufe 5 zurückgelegten Zeiten hinzuzurechnen. Dies ergebe sich aus § 29c Abs. 3 S. 1 TVÜ-VKA. Da diese bereits mehr als 5 Jahre betragen, wäre er zum 01.01.2017 bereits in Stufe 6 einzustufen gewesen.
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1. Dieser Ansicht folgt die Kammer nicht. Es mag zwar durch die Höhergruppierung in die Entgeltgruppe 9b Stufe 5 eine Zuordnung zu einer niedrigeren Stufe als der bisherigen Entgeltgruppe 9a Stufe 6 erfolgt sein, wenn man davon ausgeht, dass die Regelung des § 29b TVÜ-VKA eine bereits erfolgte Überleitung voraussetzt. Der Kläger hat jedoch in der Stufe 6 keinerlei anrechenbare Stufenlaufzeit vorzuweisen.
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Bei einer rückwirkenden Höhergruppierung zum 01.01.2017 ist allein aus zeitlicher Sicht keine Stufenlaufzeit absolviert.
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Auch aus tarifsystematischer Sicht liegen keine anrechenbaren Stufenlaufzeiten vor. Die Beschäftigungszeiten in der bisherigen Endstufe 5 können nicht auf die Stufe 6 angerechnet werden. § 29c Abs. 3 S. 1 TVÜ-VKA regelt die Überleitung für Beschäftigte, die bislang in der sog. kleinen 9 eingruppiert waren. Die darin geregelte Mitnahme der in der jeweiligen Stufe zurückgelegten Stufenlaufzeiten gilt für den Kläger nicht. Dieser befand sich bereits seit geraumer Zeit in der Endstufe 5.
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In einer Endstufe werden keine tarifvertraglich anrechenbaren Stufenlaufzeiten zurückgelegt, da ein weiterer Aufstieg innerhalb der jeweiligen Entgeltgruppe nicht mehr möglich ist. Da die Tarifvertragsparteien aber nicht eine Formulierung gewählt haben, die sämtliche in den jeweiligen Stufen verbrachten Zeiten erfassen sollten, kann auch kein dahingehender Wille erkannt werden, ausnahmsweise auch rückwirkend für die bisherige Endstufe 5 eine Stufenlaufzeit zu definieren.
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Die Regelung des § 29c Abs. 3 S. 1 TVÜ-VKA wird durch diese einschränkende Auslegung auch nicht sinnentleert. Für die bisherigen Stufen 1 bis 4 wirkt sich der Regelungsgehalt voll aus. In diesen Stufen bestand die Aussicht, nach Ablauf der erforderlichen Jahre in der jeweiligen Stufe, eine Stufe höher zu steigen. Für diese Beschäftigten bedurfte es einer expliziten Regelung, dass die bisherigen Stufenlaufzeiten fortgelten und nicht durch die möglicherweise eintretende Höherstufung aufgrund Betragsidentität die Stufenlaufzeiten erneut beginnen, wie es § 17 Abs. 4 S. 2 TVöD vorsieht. Dies wollten die Tarifvertragsparteien explizit verhindern. Dem Kläger wäre auch kein Nachteil entstanden, da er betragsmäßig in die Entgeltgruppe 9a Stufe 6 und damit ebenfalls in die Endstufe übergeleitet worden ist.
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Somit scheidet eine anrechenbare Stufenlaufzeit in der bisherigen Stufe aus. Der Kläger hat in Stufe 6 sowohl in zeitlicher Hinsicht aufgrund der Rückwirkung der Höhergruppierung als auch in systematischer Hinsicht aufgrund der fehlenden Stufenlaufzeiten in einer Endstufe keine anrechenbare Zeit zurückgelegt.
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2. Der Kläger wird auch nicht dadurch benachteiligt, dass seine Stufenlaufzeit in der Entgeltgruppe 9b Stufe 5 am 01.01.2017 mit Null begann, während die unteren Stufen ihre bisherigen Stufenlaufzeiten mitnehmen können. Grundsätzlich zieht jede Höhergruppierung den Neubeginn der Stufenlaufzeit nach sich (§ 17 Abs. 4 S. 3 TVöD). Ausnahmen müssten explizit geregelt werden. Auch hier gilt das bereits Gesagte: Der Kläger hatte vor der Überleitung in die neue Entgeltordnung - anders als die Beschäftigten in den unteren Stufen - keine Aussicht auf eine Gehaltserhöhung durch einen Stufenaufstieg. Gleiches galt auch für die Eingruppierung in 9a Stufe 6. Durch die Höhergruppierung erhält der Kläger nun erstmalig die Chance, nach Ablauf der Stufenlaufzeit in der Stufe 5 eine Gehaltserhöhung durch den Stufenaufstieg in die Endstufe 6 zu erhalten.
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3. Ein Wille der Tarifvertragsparteien dahingehend, eine etwaige Ungerechtigkeit bei der Einstufung dienstälterer Arbeitnehmer zu beseitigen und ihnen zu einem Gehaltssprung zu verhelfen, ist nicht erkennbar. Vielmehr zeichnet sich die Überleitung in die neue Entgeltordnung dadurch aus, dass häufig auf eine betragsmäßige Gleichstellung abgestellt wird. Bereits die Regelung des § 29c Abs. 3 S. 1 TVÜVKA stellt auf eine Überleitung in die Stufe ab, deren Betrag dem Betrag der bisherigen Stufe entspricht. Auch ein Vergleich innerhalb der Höhergruppierungen zeigt für die Stufen 1, 3 und 4 eine lediglich betragsmäßig identische Höhergruppierung zwischen den Entgeltgruppen 9a und 9b. Die Tarifvertragsparteien wollten somit gerade keine allgemeinen Gehaltserhöhungen regeln.
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Um dem Antrag des Klägers stattgeben zu können, müsste im Ergebnis eine nachträgliche Stufenlaufzeit in einer Endstufe konstruiert werden. Dafür enthalten die Regelungen im TVÜ-VKA keine Anhaltspunkte.
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Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO.
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Für den Streitwert wurde der dreijährige monatliche Differenzbetrag zwischen der Entgeltgruppe 9b Stufe 5 und der Entgeltgruppe 9b Stufe 6 in Höhe von € 249,25 angesetzt (§ 42 Abs. 2 Satz 2 GKG).
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Gründe gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG, die Berufung gesondert zuzulassen, liegen nicht vor. Der Kläger kann gegen dieses Urteil nach Maßgabe der folgenden RechtsmittelbelehrungBerufung beim Landesarbeitsgericht München einlegen.