Titel:
Erfüllungsübernahme von Schmerzensgeldansprüchen, Tätlicher rechtswidriger Eingriff (hier: verneint), Herausforderungsfall, Fehlen einer unmittelbaren körperlichen Einwirkung
Normenkette:
BayBG Art. 97 Abs. 1 S. 1
Schlagworte:
Erfüllungsübernahme von Schmerzensgeldansprüchen, Tätlicher rechtswidriger Eingriff (hier: verneint), Herausforderungsfall, Fehlen einer unmittelbaren körperlichen Einwirkung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 03.12.2021 – 3 ZB 21.216
Fundstelle:
BeckRS 2020, 53098
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Erfüllungsübernahme eines Schmerzensgeldanspruchs.
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Der Kläger befand sich am 22.01.2016 als Polizeibeamter bei der Polizeiinspektion …als Fahrzeugführer in einem Dienst-PKW auf einer Streifenfahrt. In der … in … fiel der Streifenbesatzung ein PKW auf, woraufhin eine polizeiliche Kontrolle beabsichtigt war. Der Kraftfahrzeugführer versuchte sich dieser Kontrolle durch Flucht zu entziehen und es kam zu einer Verfolgungsjagd von mindestens 62 Kilometern. Da ein Abschütteln des Polizeifahrzeuges nicht gelangt, versuchte der flüchtende Kraftfahrzeugführer mehrfach durch starke Bremsmanöver bei winterlichen Straßenverhältnissen einen Auffahrunfall durch das Dienstfahrzeug zu provozieren. Im weiteren Verlauf der Verfolgungsfahrt bog der flüchtende Kraftfahrzeugführer auf einem verschneiten Feldweg ab und blieb zunächst stecken. Es gelang jedoch eine Weiterfahrt, welcher die Streifenbesatzung erneut zu folgen versuchte. Schließlich geriet das Dienstfahrzeug dabei ohne weitere Einwirkung durch den flüchtenden Kraftfahrzeugführer ins Rutschen und kollidierte in … mit einem Baum am Straßenrand, wobei der Kläger verletzt wurde.
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Der Unfall wurde mit Bescheid des Landesamtes für Finanzen, Dienststelle R., vom 07.03.2016 als Dienstunfall anerkannt. Als Dienstunfallfolgen wurden festgestellt: „Schädelprellung, Platzwunde Oberlid links, Platzwunde Unterlippe, Prellung rechte Hand.“. Die Anerkennung von Zahnschäden als Folge des Dienstunfalls wurde mit Bescheid vom 09.01.2017 abgelehnt.
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Der Kläger machte im Rahmen eines Adhäsionsverfahrens Schmerzensgeldansprüche geltend. Mit Teil-Versäumnis- und Endurteil des Amtsgerichts … vom 20.06.2017 - 15 C 1267/16 wurde ihm gegen den flüchtenden Fahrer ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,00 Euro zuzüglich Auslagenpauschale und Zinsen zugesprochen. Die Vollstreckung aus diesem Urteil blieb erfolglos.
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Mit Schreiben vom 07.12.2017 stellte der Kläger einen Antrag auf Erfüllungsübernahme von Schmerzensgeld in Höhe von 2.500,00 Euro.
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Mit Bescheid vom 27.06.2018 lehnte das Landesamt für Finanzen, Dienststelle R., den Antrag auf Erfüllungsübernahme ab, da bei dem geschilderten Unfall eine zielgerichtete Verletzungshandlung durch den Schädiger nicht erkennbar sei.
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Gegen den Bescheid vom 27.06.2018 erhob der Kläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 18.07.2018 Widerspruch, der mit weiterem Schriftsatz vom 03.09.2018 begründet wurde.
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Mit Bescheid vom 14.10.2019 wies das Landesamt für Finanzen, Dienststelle R., den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass von der Regelung des Art. 97 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) nach dem Willen des Gesetzgebers nur solche Fälle erfasst seien, denen ein tätlicher Angriff zugrunde liege. Hieran fehle es vorliegend, weshalb eine Erfüllungsübernahme nicht möglich sei. Der Schädiger habe durch seine rechtswidrige Flucht vor einer Verkehrskontrolle zwar den Anlass für die Verfolgung durch die Beamten gegeben. Er hafte damit zivilrechtlich auch für die Unfallfolgen, wobei sich das Zivilrecht bei solchen Fällen einer rechtlichen Konstruktion in Form der sog. „Herausforderungsfälle“ bedienen müsse, um das Kausalitätsproblem bei eigenverantwortlichen Verhalten auf Veranlassen anderer zu überwinden und aus Billigkeitserwägungen einen Anspruch auf Schadensersatz und damit Schmerzensgeld begründen zu können. Dies lasse aber keinesfalls auch den Rückschluss auf einen tätlichen Angriff im Sinne des Art. 97 BayBG zu. Ein tätlicher Angriff im Sinne von Art. 97 BayBG setze eine zielgerichtete Verletzungshandlung und eine unmittelbare räumlich-zeitliche Gefährdung voraus (vgl. Gesetzesbegründung, LT-Drs. 17/2871, S. 44, 45). Unmittelbar und zielgerichtet bedeute, dass der Schädiger durch bewusstes und gewolltes Handeln eine Körperverletzung des Beamten herbeiführen könne und wolle, ohne dass es dafür noch des Hinzutretens anderer Faktoren bedürfe, die er selbst nicht beeinflussen könne. Die Umstände des Unfallhergangs ließen sich vorliegend nicht mit dem Tatbestandsmerkmal des tätlichen Angriffs im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG vereinbaren. Zwischen den Ausbremsmanövern des Schädigers und der erst deutlich später sowie an anderem Ort erfolgten Kollision des Dienst-PKW mit dem Baum am Straßenrand habe weder ein unmittelbarer Zusammenhang bestanden noch sei diese auf eine zielgerichtete Verletzungshandlung seitens des Schädigers zurückzuführen. Der Schädiger habe hier zwar auf einen Fahrfehler der Beamten und einen daraus resultierenden Unfall hoffen können, „in die Hand genommen“ im Sinne einer physischen Einwirkung habe er die Herbeiführung des Unfalls allerdings nicht. Zum Unfallzeitpunkt sei der Schädiger nur noch geflüchtet, er habe nicht versucht, auf den verfolgenden Dienst-PKW etwa durch weitere Ausbremsmanöver oder sonstiges bedrängendes Verhalten Einfluss zu nehmen. Der Unfall sei vielmehr auf das eigenverantwortliche Fahrverhalten der Beamten zurückzuführen. Auch bei strafrechtlicher oder opferentschädigungsrechtlicher Betrachtung, wo der Begriff des tätlichen Angriffs ebenfalls im Gesetz verwendet werde, läge im vorliegenden Fall mangels unmittelbar auf den Körper eines Anderen zielender (feindseliger) Einwirkung gerade kein tätlicher Angriff im Sinne des § 114 Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB) bzw. des § 1 Abs. 1 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) vor.
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Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 13.11.2019, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag eingegangen, hat der Kläger Klage erhoben und beantragt mit Schriftsatz vom 13.01.2020,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.06.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2019 zu verpflichten, über den Antrag des Klägers vom 07.12.2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass zwischen den Parteien des Rechtsstreits die Auslegung des Tatbestandmerkmals des „tätlichen rechtswidrigen Angriffes“ des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG streitig sei. Insoweit nehme die Beklagte einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich des Tatbestandsmerkmals an. Dieser Auffassung müsse jedoch entgegengetreten werden. Denn ein tätliches Verhalten durch den Schädiger - in Abgrenzung zu psychologischen oder ehrverletzenden Handlungen - sei gegeben, da der Kläger einen kausalen Körperschaden davon getragen habe. Dieses Verhalten sei auch als rechtswidrig zu bewerten, da der geltend gemachte Anspruch auf einem Teil-Versäumnisurteil und Endurteil des Amtsgerichts … vom 20.06.2017 fuße, welches in Ziffer 2 des Urteilstenors feststelle, dass die Forderung des Klägers aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung resultiere. Auch ein Angriff im weiten Sinne sei gegeben. Zum einen sei dies einer Auslegung des Art. 97 BayBG zu entnehmen. Denn die Überschrift „Erfüllungsübernahme bei Schmerzensgeldansprüchen“ lasse die seitens des Beklagten vorgenommene Differenzierung nicht zu. Ausreichend sei allein ein titulierter Schmerzensgeldanspruch, welcher hier gegeben sei. Zum anderen sei es Intention des Gesetzgebers gewesen, geschädigten Beamten das Risiko der Nichterfüllung von Schmerzensgeldansprüchen zu verringern, um damit die Motivation der uneingeschränkten Dienstausübung zu erhalten. Der Betroffene solle nicht das Gefühl haben, im Zweifel auf seinem Schaden sitzen zu bleiben. Mit der vom Beklagten vorgenommenen Auslegung werde genau dieser Zweck verfehlt.
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Mit Schriftsatz vom 03.02.2020 beantragt das Landesamt für Finanzen für den Beklagten,
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Klage unbegründet sei. Insoweit werde auf die Ausführungen im Bescheid vom 27.06.2018 sowie im Widerspruchsbescheid vom 14.10.2019 verwiesen. Es fehle an der Tatbestandvoraussetzung eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs im Sinne des Art. 97 Abs. 1 BayBG. Die Erfüllungsübernahme sei laut Gesetzesbegründung „als Ausnahmetatbestand für schwerwiegende Übergriffe konzipiert, in denen Beamte und Beamtinnen ein erhebliches Sonderopfer für die Allgemeinheit erbringen“ (vgl. Haushaltsgesetz 2015/2016 - HG 2015/2016 vom 17. Dezember 2014, GVBl S. 511, Lt-Drs. 17/2871, S. 25). Seinem Sinn und Zweck nach sei Art. 97 BayBG für solche Fälle geschaffen, in denen die in Art. 45ff. des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes (BayBeamtVG) normierte Unfallfürsorge als ansonsten umfassender Ausgleich der durch einen Dienstunfall eingetretenen materiellen und immateriellen Schäden keine angemessene Abdeckung von besonderen Härten biete. Dies gelte insbesondere für den Schmerzensgeldanspruch, der auch im Zivilrecht eine Sonderstellung einnehme. Grundsätzlich solle es der Beamte selbst sein, welcher den Schmerzensgeldanspruch gegenüber dem Schädiger geltend mache. Dadurch komme der grundsätzlich „subsidiäre“ Charakter des Art. 97 BayBG zum Ausdruck, welcher den Dienstherrn nicht prinzipiell als ersten Adressaten für eine gegen Dritte gerichtete Schmerzensgeldforderung etablieren wolle. Art. 97 BayBG solle dem Beamten nur in Ausnahmefällen weiterhelfen, nicht jedoch den normativen Regelfall darstellen. Der insofern betonte Charakter als „Ausnahmetatbestand“ lasse nicht auf eine „weite“ Auslegung des Tatbestandes schließen, sondern indiziere, dass der Landesgesetzgeber von einer engen Auslegung ausgehe. Deshalb verbiete sich auch die vom Kläger vorgenommene weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals des tätlichen Angriffs.
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Mit Schriftsatz vom 20.10.2020 verzichtete das Landesamt für Finanzen für den Beklagten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Der Klägerbevollmächtigte teilte mit Schriftsatz vom 29.10.2020 mit, dass Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht.
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Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der vorgelegten Behördenakte, § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Entscheidungsgründe
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Mit Zustimmung der Beteiligten kann das Gericht nach § 101 Abs. 2 VwGO über die Verwaltungsstreitsache ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erfüllungsübernahme nach Art. 97 BayBG. Der Bescheid des Beklagten vom 27.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Dem Kläger steht der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Erfüllungsübernahme bzw. auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erfüllungsübernahme nicht zu.
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Nach Art. 97 Abs. 1 BayBG kann der Dienstherr die Erfüllung eines rechtskräftig festgestellten Anspruchs auf Schmerzensgeld übernehmen, welcher daraus resultiert, dass ein Beamter in Ausübung des Dienstes oder außerhalb dessen wegen seiner Eigenschaft als Beamter einen tätlichen rechtswidrigen Angriff erleidet. Der Dienstherr kann den Anspruch bis zur Höhe des festgestellten Schmerzensgeldbetrages übernehmen, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist. Eine solche liegt nach Art. 97 Abs. 2 BayBG insbesondere vor, wenn die Vollstreckung über einen Betrag von mindestens 500,00 Euro erfolglos geblieben ist. Die Übernahme der Erfüllung ist innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren nach Rechtskraft des Urteils schriftlich unter Nachweis der Vollstreckungsversuche zu beantragen (Art. 97 Abs. 3 BayBG).
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Diese Voraussetzungen der Erfüllungsübernahme sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
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Denn der Kläger begehrt vom Beklagten nicht die Erfüllung eines Schmerzensgeldanspruches, welcher aufgrund eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs im Sinne des Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG entstanden ist.
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Von Art. 97 BayBG sind nur diejenigen Schmerzensgeldansprüche erfasst, denen ein tätlicher rechtswidriger Angriff zugrunde liegt, da es nur bei diesen zu einem erheblichen Eingriff in die geschützten Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit oder Gesundheit kommt. Angriff in diesem Sinne ist die von einem Menschen drohende vorsätzliche Verletzung der Rechtsgüter Leben und körperliche Integrität. Der Angriff erfordert eine objektive unmittelbare räumlich-zeitliche Gefährdung (objektives Element) auf Grund einer zielgerichteten Verletzungshandlung (subjektives Element). Räumliche Gefährdung erfordert, dass sich der Beamte in Reichweite des mutmaßlichen Angreifers dergestalt befand, dass dieser in der Lage war, mit den ihm aktuell zur Verfügung stehenden Kenntnissen und Hilfsmitteln das Ziel zu erreichen. An der zeitlichen Gefährdung fehlt es, solange sich der Tatplan des mutmaßlichen Angreifers noch im Vorbereitungsstadium befindet. Für das Vorliegen einer zielgerichteten Verletzungshandlung ist die Sicht des mutmaßlichen Angreifers entscheidend, er muss bei der Vornahme der konkreten Handlung die Schädigung des Beamten zumindest billigend in Kauf nehmen. Tätlicher Angriff ist ein Angriff, der auf einen physischen Schaden gerichtet ist (vgl. Nr. 46.4.1 der Bayerischen Verwaltungsvorschriften zum Versorgungsrecht - BayVV-Versorgung - vom 20.09.2012, Az. 24 - P 1601 - 043 - 38 950/22, FMBl. S. 394). Es bedarf also einer unmittelbaren körperlichen Einwirkung auf den Beamten (vgl. Conrad in: Weiß/Niedermaier/Summer, Beamtenrecht in Bayern, September 2020, Art. 97 BayBG, Rn. 4; LT-Drs. 17/2871, S. 44).
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Bei Herausforderungs- bzw. Verfolgungsfällen wie dem vorliegenden besteht die Besonderheit darin, dass der Verletzungserfolg auf eine Willensentscheidung des Geschädigten selbst zurückzuführen ist. Die zivilrespektive deliktsrechtliche Rechtsprechung bejaht in diesen Fällen einen Anspruch bei Vorliegen enger Voraussetzungen. Denn das zivilrechtliche Deliktsrecht will nur vor Fremdschädigungen schützen, nicht jedoch vor Selbstschädigungen. Es stellt sich demnach bereits dort die Frage, inwieweit dem Schädiger noch ein Erfolg zuzurechnen ist, der auf einer eigenen Entscheidung des Geschädigten oder aber auch auf einem Dazwischentreten eines Dritten beruht. Die zivilrechtliche Rechtsprechung prüft derartige Fälle unter dem Schutzzweck der Norm und bejaht einen Anspruch grundsätzlich dann, wenn durch die Verfolgung ein erhöhtes Risiko für die Rechtsgüter des Verfolgers geschaffen wurde und sich dieses herausforderungstypische Risiko auch im eingetretenen Erfolg verwirklicht hat, der Verfolger sich durch das Verhalten des Verfolgten herausgefordert fühlte und dies auch durfte, seine Handlung also eine gewöhnliche Reaktion auf die Verfolgung darstellt und der Verfolgte subjektiv damit rechnen musste, verfolgt zu werden (vgl. Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, 18. Edition, Stand: 30.12.2019, Art. 97 BayBG, Rn.11.2 m.w.N.).
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Diese deliktsrechtlichen Grundsätze lassen sich jedoch nicht auf Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG übertragen. Denn die Norm spricht ausdrücklich von einem „tätlichen Angriff“. Im Hinblick auf § 114 Abs. 1 StGB, der ebenfalls den Terminus des „tätlichen Angriffs“ verwendet, ist anerkannt, dass dafür eine unmittelbar auf den Körper des Beamten abzielende feindselige Aktion ohne Rücksicht auf ihren Erfolg erforderlich ist (vgl. Eser in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 114, Rn. 4). Gleiches gilt für den Begriff des „tätlichen Angriffes“ in § 1 Abs. 1 OEG. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (U.v. 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - BSGE 118, 83, Ls. 1) setzt ein tätlicher Angriff im Sinne des Opferentschädigungsrechts eine unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus. Entscheidend sei insoweit, ob der Primärschaden und eventuelle Folgeschäden gerade die zurechenbare Folge einer körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person seien. Demnach reichen Verhaltensweisen ohne unmittelbare körperliche Einwirkung auf das Opfer nicht für einen tätlichen Angriff im Rahmen des Opferentschädigungsgesetzes aus. Der Terminus „tätlicher Angriff“ erfordert damit ein zielgerichtetes aktives Tun des Schädigers gegenüber dem Geschädigten. Ein bloßes Fluchtverhalten und damit die alleinige Inkaufnahme der Verwirklichung eines herausforderungstypischen Risiko stellt sich demgegenüber als ein qualitatives „Minus“ dar (vgl. Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, 18. Edition, Stand: 30.12.2019, Art. 97 BayBG, Rn. 11.3).
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Art. 97 BayBG stellt damit kein bloßes, unselbstständiges Abbild des Schmerzensgeldanspruches des § 253 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Beamtenrecht dar, sondern - trotz der zweifelsohne bestehenden Konnexität - einen eigenständigen, beamtenrechtlichen Fürsorgeanspruch mit eigens zu prüfenden Voraussetzungen. Soweit also der Dienstherr die Erfüllung von Schmerzensgeldansprüchen für immaterielle Schäden, die ein Dritter verursacht hat, übernimmt, wollte der Gesetzgeber damit einen Ausnahmetatbestand von den allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsregelungen schaffen, der aber nach dem Willen des Gesetzgebers auf die Fälle schwerwiegender Übergriffe beschränkt ist, in denen Beamte ein erhebliches Sonderopfer für die Allgemeinheit erbringen (vgl. LT-Drs. 17/2871, S. 44; Conrad in: Weiß/Niedermaier/Summer, Beamtenrecht in Bayern, September 2020, Art. 97 BayBG, Rn. 3; Buchard in: BeckOK Beamtenrecht Bayern, Brinktrine/Voitl, 18. Edition, Stand: 30.12.2019, Art. 97 BayBG, Rn. 11.3). Im Übrigen gewähren Art. 45ff. BayBeamtVG im Rahmen der Unfallfürsorge den bayerischen Beamten einen umfassenden Ausgleich der durch einen Dienstunfall eingetretenen materiellen und immateriellen Schäden (vgl. Conrad in: Weiß/Niedermaier/Summer, Beamtenrecht in Bayern, September 2020, Art. 97 BayBG, Rn. 1).
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Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es im vorliegenden Fall an einem tätlichen Angriff im Sinne von Art. 97 Abs. 1 Satz 1 BayBG. Denn ausweislich des zwischen den Beteiligten unstreitigen Sachverhalts erlitt der Kläger die in Rede stehenden Verletzungen, als sein Dienstfahrzeug ohne Einwirkung seitens des flüchtenden Schädigers ins Rutschen geriet und mit einem Baum am Straßenrand kollidierte. Eine unmittelbare körperliche Einwirkungshandlung des Schädigers, die die klägerischen Verletzungsfolgen herbeiführte, lag mithin nicht vor.
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Da der Beklagte mangels Vorliegen eines tätlichen Angriffs die Erfüllungsübernahme des Schmerzensgeldanspruchs zu Recht abgelehnt hat, konnte die Klage keinen Erfolg haben.
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Der Kläger hat als unterliegender Beteiligter die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung - ZPO -. Wegen der allenfalls geringen Höhe der durch den Beklagten vorläufig vollstreckbaren Kosten ist die Einräumung von Vollstreckungsschutz nicht angezeigt.