Titel:
Erwerbsminderung, Rente, Bescheid, Berufskrankheit, Wartezeit, Arbeitsunfall, Versicherungspflicht, Arbeitsentgelt, Widerspruchsbescheid, Krankenhaus, Widerspruch, Anspruch, Ehezeit, Beitragszeiten, Rente wegen Erwerbsminderung, allgemeine Wartezeit, Rente wegen voller Erwerbsminderung
Schlagworte:
Erwerbsminderung, Rente, Bescheid, Berufskrankheit, Wartezeit, Arbeitsunfall, Versicherungspflicht, Arbeitsentgelt, Widerspruchsbescheid, Krankenhaus, Widerspruch, Anspruch, Ehezeit, Beitragszeiten, Rente wegen Erwerbsminderung, allgemeine Wartezeit, Rente wegen voller Erwerbsminderung
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 28.04.2021 – L 6 R 23/21
BSG Kassel, Beschluss vom 27.08.2021 – B 5 R 11/21 AR
BSG Kassel, Beschluss vom 28.10.2021 – B 5 R 35/21 C
Fundstelle:
BeckRS 2020, 53065
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 17.06.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2020 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
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Der 1975 geborene Kläger war mit Unterbrechungen in der Zeit zwischen März 1998 und April 2002 sowie von August 2003 bis Januar 2007 in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt bzw. Bezieher von Arbeitslosengeld II mit Arbeitslosigkeit.
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Am 09.02.2019 stellte der Kläger per E-Mail Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung; er sei seit 2009 erwerbsgemindert.
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Zuvor war ein entsprechender Antrag des Klägers bereits mit Bescheid vom 02.03.2010 wegen fehlender Wartezeit von fünf Jahren abgelehnt worden. Nach Widerspruch des Klägers erfolgte eine Kontenklärung bezüglich des Vorbringens des Klägers, dass er „über 32 Monate im Krankenhaus war und nur für zwei Monate Sozialbeiträge eingegangen seien“. Im sozialgerichtlichen Verfahren (Sozialgericht Landshut, S 12 R 1250/10 A) gegen die Ablehnung des Antrags auf Rente wegen Erwerbsminderung wies das Gericht den Kläger auf § 53 Abs. 2 SGB VI hin und forderte den Kläger auf, dem Gericht mitzuteilen, ob er eine Ausbildung absolviert hat. Ein entsprechender Vortrag erfolgte nicht. Die Klage wurde mit Urteil vom 28.11.2011 abgewiesen, weil die Wartezeit von 60 Monaten nicht erfüllt sei. Im Berufungsverfahren (Bayerisches Landessozialgericht, L 14 R 369/12) teilte der Kläger mit, dass er den Beruf des Kochs nicht erlernt hat, sondern angelernter Koch sei. Die Berufung wurde mit Beschluss vom 30.06.2014 zurückgewiesen, weil die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt sei.
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Im Februar 2016 hatte der Kläger erneut Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung gestellt, welcher mit Bescheid vom 17.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.06.2016 wegen fehlender Wartezeiterfüllung abgelehnt wurde. Die hiergegen erhobene Klage (Sozialgericht Landshut, S 3 R 522/16 A) nahm der Kläger zurück.
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Mit Bescheid vom 17.06.2019 lehnte die Beklagte den Antrag vom 09.02.2019 ab, weil der Kläger die Mindestversicherungszeit für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfülle. Das Versicherungskonto enthalte statt der erforderlichen 60 Monate nur 40 Wartezeitmonate. Die Wartezeit sei auch nicht vorzeitig erfüllt.
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Mit Schreiben vom 20.08.2019 erhob der Kläger gegen den Bescheid Widerspruch. Vom Sozialgericht Landshut seien ihm 90 Monate Krankenhaus anerkannt worden.
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Die Beklagte forderte den Kläger auf, den Versicherungsverlauf zu prüfen und mitzuteilen, welche Zeiten nach Ansicht des Klägers nicht aufgenommen seien. Die Beklagte holte eine Auskunft bei der vom Kläger angegeben Krankenkasse AOK Rheinland ein. Die von der AOK gemeldeten Zeiten waren bereits im Versicherungsverlauf des Klägers enthalten.
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Mit Bescheid vom 25.03.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil mit bislang 40 anrechenbaren Monate die erforderliche Wartezeit für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfüllt sei. Die Beklagte verwies auch auf den Bescheid vom 02.03.2010 sowie das Urteil des Sozialgericht Landshut vom 28.09.2011 und den Beschluss Bayerischen Landessozialgerichts vom 30.06.2014. Ein neuer Sachverhalt zum vergangenen Verfahren habe sich nicht ergeben, insbesondere hätten die Ermittlungen bei der AOK Rheinland keine weiteren Versicherungszeiten ergeben.
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Mit Schriftsatz vom 05.05.2020 erhob der Kläger gegen den Bescheid Klage. Der Kläger trägt vor, dass er 46 Monate Wartezeiten habe. Er bekomme in Kroatien Invaliditätszuschuss und sei arbeitsunfähig. Zum Nachweis übermittelt der Kläger den Beschluss des Zentrums für Sozialfürsorge S., Kroatien vom 02.07.2019, mit dem das Recht auf die persönliche Invalidenrente des Klägers anerkannt wird. Mit Schriftsatz vom 20.07.2020 teilte der Kläger mit, dass ihm vom Richter 46 Monate anerkannt worden seien, die er im Krankenhaus verbracht habe. Das Amt in Kroatien habe anerkannt, dass er wieder rückfällig geworden sei und er habe ein weiteres Gutachten gehabt. Er könne keine freiwilligen Beiträge einzahlen, das würde ihn monatlich 1350 Kuna kosten und er bekäme nur 1500 Kuna. Er habe schon genug gelitten, drei Arbeitsstellen verloren. Ein Arbeitgeber habe ihn rücksichtlos abgemeldet als er im Krankenhaus gewesen sei. Nach der Entlassung sei er mindestens sechs Monate krankgeschrieben gewesen. Telefonisch teilte der Kläger am 27.07.2020 mit, dass er gegoogelt habe und er auf jeden Fall einen Anspruch auf Rente habe. Es sei unmöglich, was ihm angetan werde. Mit Schriftsatz vom 19.08.2020 teilt der Kläger mit, dass er nach den Voraussetzungen des SGB VI Anspruch auf Erwerbsminderung habe, weil er 40 Monate hinterlegt habe. Der Kläger übermittelt verschiedene Befundberichte. Mit Fax vom 18.11.2020 teilte der Kläger mit, dass er in der Klinik gewesen sei und übermittelt den Befundbericht.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Bescheides vom 17.06.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2020 verurteilt, Rente wegen Erwerbsminderung ab Antragszeitpunkt zu gewähren.
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Die Beklagte verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und übermittelt den Versicherungsverlauf des Klägers vom 15.05.2020. Im Konto sind insgesamt 39 Monate mit Pflichtbeitragszeiten (davon 1 Monat in Kroatien) belegt sowie eine geringfügige nicht versicherungspflichtige Beschäftigung vom 01.02.2001 bis 31.03.2001.
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Die Beklagte beantragt,
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Das Gericht gab Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die Beklagtenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die form- und fristgerecht beim zuständigen Sozialgericht Landshut erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig, sachlich aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 17.06.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger/die Klägerin nicht in seinen Rechten.
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Das Gericht kann gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu gehört.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) oder Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 SGB VI kommt von vornherein nicht in Betracht, da der Kläger nicht vor dem 02.01.1961 geboren ist (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
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Gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
- 1.
-
teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
- 2.
-
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
- 3.
-
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
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Ein Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung besteht nicht, weil der Kläger die allgemeine Wartezeit (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI bzw. § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI) nicht erfüllt.
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Nach § 50 Abs. 1 SGB VI beträgt die allgemeine Wartezeit fünf Jahre. Auf diese Wartezeit werden angerechnet:
- Kalendermonate mit Beitragszeiten (§ 51 Abs. 1 SGB VI),
- Ersatzzeiten (§ 51 Abs. 4 SGB VI),
- Zeiten, die sich aufgrund eines zugunsten des Versicherten durchgeführten Versorgungsausgleichs ergeben, soweit die in die Ehezeit fallenden Kalendermonate nicht bereits für die Wartezeit berücksichtigt sind (§ 52 Abs. 1 SGB VI),
- Zeiten, die sich aufgrund eines Splittingzuwachses bei einem Rentensplitting unter Ehegatten ergeben, soweit die in die Splittingzeit fallenden Kalendermonate nicht bereits für die Wartezeit berücksichtigt sind (§ 52 Abs. 1a SGB VI),
- Zeiten, die sich durch Zuschläge an Entgeltpunkten für Arbeitsentgelt aus geringfügiger versicherungsfreier Beschäftigung ergeben, wobei Zuschläge an Entgeltpunkten aus geringfügiger versicherungsfreier Beschäftigung, die in Kalendermonaten ausgeübt wurde, die bereits auf die Wartezeit anzurechnen sind, unberücksichtigt bleiben (§ 52 Abs. 2 SGB VI).
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Die allgemeine Wartezeit ist nach § 53 Abs. 1 SGB VI vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte
- wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit,
- wegen einer Wehrdienstbeschädigung nach dem Soldatenversorgungsgesetz als Wehrdienstleistende oder Soldaten auf Zeit,
- wegen einer Zivildienstbeschädigung nach dem Zivildienstgesetz als Zivildienstleistende oder
- wegen eines Gewahrsams (§ 1 Häftlingshilfegesetz) vermindert erwerbsfähig geworden sind.
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Bei einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit ist die allgemeine Wartezeit allerdings nur dann vorzeitig erfüllt, wenn bei Eintritt des Arbeitsunfalls oder Berufskrankheit Versicherungspflicht bestand oder in den letzten zwei Jahren davor mindestens ein Jahr mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit liegt.
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Nach § 53 Abs. 2 SGB VI ist die allgemeine Wartezeit auch vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden sind und in den letzten zwei Jahren vorher mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Der Zeitraum von zwei Jahren vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung verlängert sich um Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren.
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Im Versicherungsverlauf des Klägers sind insgesamt 39 Pflichtbeitragszeiten in Deutschland sowie in Kroatien nachgewiesen. Weitere Beitragszeiten sind weder in Deutschland noch in Kroatien vorhanden. Aufgrund der geringfügigen versicherungsfreien Beschäftigung, die der Kläger in der Zeit vom 01.02.2001 bis 31.03.2001 ausübte, ist nach § 52 Abs. 2 i.V.m. § 76b SGB VI ein zusätzlicher Monat auf die Wartezeit anzurechnen. Weitere rentenrechtliche Zeiten, die auf die allgemeine Wartezeit anrechenbar sind, liegen nicht vor. Damit ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass 40 Kalendermonate vorliegen, die auf die allgemeine Wartezeit anzurechnen sind. Auch der Kläger selbst trägt vor, dass er „40 Monate“ habe. Die allgemeine Wartezeit beträgt aber fünf Jahre, d.h. 60 Monate.
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Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein Fall der vorzeitigen Wartezeiterfüllung nach § 53 SGB VI vorliegt. Insbesondere ist kein Fall des § 53 Abs. 2 SGB VI gegeben. Danach ist die Wartezeit vorzeitig erfüllt, wenn der Versicherte vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden ist und in den letzten zwei Jahren vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat. Besteht während der Ausbildung Versicherungspflicht, greift die Fiktion der Wartezeiterfüllung des § 53 Abs. 2 SGB VI nicht (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juni 2000 - B 4 RA 14/99 R -, SozR 3-2600 § 53 Nr. 1).
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Der Kläger hatte bereits im früheren Verfahren mitgeteilt, dass er keine Ausbildung absolviert hat, er sei als Koch nur angelernt worden. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass es sich dabei um eine versicherungsfreie Ausbildung im Sinne von § 53 Abs. 2 SGB VI gehandelt hat.
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Soweit der Kläger davon ausgeht, dass „40 Monate“ für einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung ausreichen, ist davon auszugehen, dass der Kläger die Voraussetzung der Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren (60 Monate) (vgl. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI bzw. § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB VI) mit der weiteren versicherungsrechtlichen Voraussetzung der Leistung von drei Jahren (36 Monate) Pflichtbeiträge innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung verwechselt (vgl. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI bzw. § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI). Die Voraussetzungen müssen jedoch kumulativ vorliegen, nicht alternativ.
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Da die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt ist, besteht kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
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Der streitgegenständliche Bescheid ist daher rechtmäßig und die Klage war abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.