Inhalt

LG München I, Endurteil v. 29.09.2020 – 20 O 5437/18
Titel:

Gesundheitszustand, Erblasserin, Zinsen, erben, Form, Rechtsanwaltskosten, Behandlung, Zeitpunkt, Auszahlung, Tod, Anlage, Klage, Beweis, Kopie, Kosten des Rechtsstreits

Schlagworte:
Gesundheitszustand, Erblasserin, Zinsen, erben, Form, Rechtsanwaltskosten, Behandlung, Zeitpunkt, Auszahlung, Tod, Anlage, Klage, Beweis, Kopie, Kosten des Rechtsstreits
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 19.04.2021 – 33 U 6447/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 24.11.2021 – IV ZR 132/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 52596

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 50.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.04.2018 sowie weitere 923,38 € vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.04.2018 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Vermächtnis.
2
Der Beklagte ist der testamentarisch eingesetzte Alleinerbe der am 28.08.2016 kinderlos im Alter von 94 Jahren verstorbenen Frau K. Die Erblasserin war sehr vermögend. Sie hatte stets Personal um sich, das sie versorgt und gepflegt hat.
3
Am 20.08.2016 verfasste die Erblasserin ein Schriftstück, in dem sie verfügte: Frau E. Sch. soll von meinem Vermögen 50.000,00 € erben erben. R., den 20.08.2016, Ma. K., vergleiche Anlage K 2 in Kopie.
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Die Klägerin machte ihren Anspruch gegen den Beklagten zunächst selbst geltend. Dieser erklärte mit Schriftsatz vom 18.11.2017, dass er den Betrag an die Klägerin überweisen werde und erkannte die Forderung an.
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Eine Auszahlung erfolgte jedoch nicht.
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Der Beklagte macht geltend, die letztwillige Verfügung sei gemäß § 2247 Abs. 4 BGB unwirksam, weil die Erblasserin im Zeitpunkt der Verfassung des Schriftstücks nicht mehr lesefähig gewesen sei.
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Die Klägerin behauptet, es treffe zwar zu, dass die Erblasserin in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Sie sei jedoch stets geistig klar gewesen und habe mit Brille bis zur ihrem Tod sehen und lesen können.
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Es treffe nicht zu, dass sie der Erblasserin bei der Errichtung der Urkunde die Hand geführt habe.
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Auch von einer Lupenbrille sei ihr nichts bekannt.
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Die Klägerin beantragt.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 50.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie weitere 923,38 € vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Der Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
12
Der Beklagte behauptet, die Erblasserin sei nicht mehr lesefähig gewesen, daher sei die letztwillige Verfügung unwirksam. Darüber hinaus behauptet er, sie sei auch am 20.08.2016 nicht mehr schreibfähig gewesen, ihre Hand habe geführt werden müssen.
13
Der Beklagte betont den schlechten Gesundheitszustand der Erblasserin und behauptet, im August 2016 sei sie nicht mehr in der Lage gewesen, selbst mit handelsüblichen Sehhilfen Texte zu lesen. Sie habe ihre Tabletten nur noch nach Größe und Form der Tabletten unterscheiden können und die Zeitung nur noch durchgeblättert, ohne in der Lage zu sein, die darin abgedruckten Texte zu lesen. Hierfür bietet er als Beweis Bekannte und Angestellte der Erblasserin an.
14
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu der Behauptung, die Hand der Erblasserin sei bei Verfertigen des Schriftstücks geführt worden und dazu, dass diese nicht mehr habe lesen können.
15
Es wurde ein gerichtliches Sachverständigengutachten der Schriftsachverständigen Frau F. erholt. Bezüglich des Gutachtens wird auf Bl. 148-175 der Akten Bezug genommen.
16
Zur Ergänzung des Tatbestands im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12.03.2019, Blatt 76-78 der Akten, die Sitzungsniederschrift von heute und die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.
18
Gemäß § 2174 BGB schuldet der Beklagte der Klägerin die Auskehrung der 50.000,00 €, denn die letztwillige Verfügung der Erblasserin ist wirksam. Gemäß § 2247 BGB ist das Vermächtnis wirksam errichtet.
19
Es ist eigenhändig verfasst, wie die erfahrene Sachverständige Frau F., nachvollziehbar feststellte. Dass die Hand der Erblasserin geführt worden sein soll, ist nicht nachgewiesen.
20
Dass die Erblasserin das Schriftstück nicht mehr lesen konnte, ist ebenfalls nicht nachgewiesen. Der Sachverständigen stand umfangreiches Vergleichsmaterial zur Verfügung. Sie stellte nachvollziehbar fest, dass sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, dass die Erblasserin nicht in der Lage war, dieses von ihr geschriebene Schriftstück zu lesen. Denn von den verschiedenen Möglichkeiten, die Lesbarkeit der Schrift weiter zu erhöhen, machte sie keinen Gebrauch, weil offenbar nicht die Notwendigkeit bestand, sich solcher Hilfsmittel zu bedienen.
21
Die Behauptung der Leseunfähigkeit damit, dass die Verstorbene zum fraglichen Zeitpunkt nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Tegernseer Zeitung mit ihrer Brille zu lesen, sondern nur noch Bilder angeschaut habe, widerlege dies nicht, „denn die Schrift einer Tageszeitung ist um ein Vielfaches kleiner als die Schrift des fraglichen Vermächtnisses und gehört damit zu den ersten Druckprodukten, die bei beginnender Alltagsweitsichtigkeit Probleme bereiten.“
22
Dass Frau K. weitsichtig war, ist belegt durch die vorgelegte Optikerrechnung vom 29.09.2015.
23
Aufgrund dieser plausiblen Ausführungen ist es entbehrlich, die von Beklagtenseite benannten Zeugen zu ihren angeblichen Beobachtungen zu vernehmen.
24
Soweit der Beklagtenvertreter nach Ablauf der Stellungnahmefrist zum Gutachten und nach Terminierung Einwände und Anmerkungen gegen das Gutachten vorgebracht hat, sind diese als verspätet zurückzuweisen, § 296 Abs. 1 ZPO, denn dann hätte der Termin von heute nicht gehalten werden können. Hierfür war nur eine dreiviertel Stunde vorgesehen, in der Annahme, dass lediglich die Anträge wiederholt werden würden.
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Daher wurde auch die dort beantragte Anhörung der Sachverständigen nicht angeordnet, da dies bedeutet hätte, den Termin auf einen deutlich späteren Zeitpunkt (Ende des Jahres oder Anfang des neuen Jahres) zu verlegen.
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Erst recht gilt das Verspätungsargument für die Ausführungen im Schriftsatz vom 15.09.2020, also 14 Tage vor dem Termin.
27
Augenärztliche Atteste fehlen gänzlich.
28
Nachvollziehbar und auch durch eigenes Betrachten der vorgelegten Unterlagen feststellbar kommt die Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der Vergleich, der in chronologischer Reihenfolge signierten Schriftproben ergibt, dass sich ab 2010 zunehmend graphomotorische Störungen in der Handschrift einstellten. Das Schreibvermögen verschlechterte sich nicht kontinuierlich, sondern unterlag einer gewissen Schwankungsbreite.
29
Soweit im Schriftsatz vom 15.09.2020 behauptet wird, ab Mai 2016 sei die Erblasserin nicht mehr in Besitz einer Brille gewesen, mit deren Hilfe sie das Schriftstück hätte lesen können, ist dieser Vortrag ebenfalls verspätet. Im übrigen ist nicht nachvollziehbar, dass angesichts der Vielzahl von Personen, die sich um die Erblasserin kümmerten, keiner in der Lage gewesen sein soll, ihr eine geeignete Brille oder Sehhilfe zu besorgen.
30
Die Zinsen sind gemäß den §§ 291, 288 BGB geschuldet.
31
Die Rechtsanwaltskosten sind unter Verzugsgesichtspunkten geschuldet.
32
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
33
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.