Titel:
Angeklagte, Asylantrag, Erkrankung, Hauptverhandlung, Anklageschrift, Gesundheitszustand, Afghanistan, Untersuchungshaft, Konsum, Angeklagten, Ware, Gesamtfreiheitsstrafe, Freiheitsstrafe, Staatsanwaltschaft, nicht geringe Menge, nicht geringer Menge, geringer Menge
Normenketten:
BtMG i.V.m. Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30a Abs. 1, § 1 Abs. 1, § 3
StGB § 52, § 53
JGG § 17, § 18, § 105 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1
BtMG i.V.m. Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 2, § 1 Abs. 1, § 3
StGB § 27 Abs. 1, § 52, § 64, § 67b Abs. 1
JGG § 1, § 3, § 7 Abs. 1, § 17, § 18, § 21 Abs. 1 und 2
Schlagworte:
Angeklagte, Asylantrag, Erkrankung, Hauptverhandlung, Anklageschrift, Gesundheitszustand, Afghanistan, Untersuchungshaft, Konsum, Angeklagten, Ware, Gesamtfreiheitsstrafe, Freiheitsstrafe, Staatsanwaltschaft, nicht geringe Menge, nicht geringer Menge, geringer Menge
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 02.06.2021 – 3 StR 33/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 52020
Tenor
1. Es haben sich schuldig gemacht:
des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
sowie zweier tateinheitlicher Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, diese jeweils in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, in weiterer Tateinheit mit drei tateinheitlichen Fällen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, diese Fälle jeweils zudem in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem Fall zudem mit vorsätzlicher Abgabe von Betäubungsmitteln;
der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
2. Im Übrigen (Fall II.1 der Anklageschrift vom 14. April 2020) wird der Angeklagte … freigesprochen.
3. Es werden daher verurteilt:
a) der Angeklagte … zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und acht Monaten.
b) der Angeklagte … zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
4. Die Unterbringung des Angeklagten … in einer Entziehungsanstalt wird angeordnet. Ihre Vollstreckung wird zur Bewährung ausgesetzt.
5. Gegen den Angeklagten … wird die Einziehung des Wertes von Taterträgen von 54.000 Euro angeordnet.
6. Es wird davon abgesehen, den Angeklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen; ihre notwendigen Auslagen haben sie selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe
1
Die Anklage war ursprünglich gegen insgesamt zehn Angeklagte gerichtet, denen verschiedene Handlungen im Zusammenhang mit dem verfahrensgegenständlichen Absatz von Rauschmitteln in M. zur Last gelegt wurden.
2
Die Kammer hat mit Beschluss vom 14. April 2020, mit dem sie auch die Anklage gegen die beiden Angeklagten unter Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens in einem dem Angeklagten … betreffenden Vorwurf und teils abweichender rechtlicher Würdigung zur Hauptverhandlung zugelassen hat, zugleich das Verfahren in Richtung gegen zum einen die früher Mitangeschuldigten … und … und zum anderen gegen die früher Mitangeschuldigten … und … abgetrennt und das Verfahren in Richtung gegen den früheren Mitangeschuldigten … auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Mit Beschluss vom 20. April 2020 hat die Kammer dann - bedingt durch ihre eingeschränkten Möglichkeiten zur Durchführung von Hauptverhandlungen aus Gründen des Infektionsschutzes zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie - auch das Verfahren in Richtung gegen die früher Mitangeklagten … und … abgetrennt.
3
Die Staatsanwaltschaft hat gemäß § 207 Abs. 3 StPO am 14. April 2020 eine dem Eröffnungsbeschluss entsprechende neue Anklageschrift gefertigt, die hinsichtlich der Nummerierung der angeklagten Taten von der ursprünglichen Anklageschrift abweicht. Soweit nicht anders angegeben wird im Folgenden auf die Anklageschrift gemäß § 207 Abs. 3 StPO vom 14. April 2020 Bezug genommen.
4
Mit weiterer auf den 14. April 2020 datierten Anklageschrift, die im Hauptverhandlungstermin am 5. Mai 2020 verlesen wurde, erhob die Staatsanwaltschaft eine Nachtraganklage gegen den Angeklagten … wegen des nachfolgend als Fall II.1.a.aa dargestellten Lebenssachverhalts, den sie zuvor allein - als Fall II.1 der Anklageschrift vom 17. Oktober 2019 dem Mitangeklagten … zur Last gelegt hatte. Die Kammer hat die weitere Straftat des Angeklagten … mit im Hauptverhandlungstermin vom 7. Mai 2020 verkündetem Beschluss in das Verfahren einbezogen (§ 266 Abs. 1 StPO).
I. Persönliche Verhältnisse
5
Der heute 21- oder 22jährige Angeklagte … ist afghanischer Staatsangehöriger und lebte zuletzt in M..
a) Lebenslauf und Werdegang
6
Der Angeklagte wurde an einem nicht genau feststellbaren Tag im Jahr 1998, nicht ausschließbar erst nach dem 21. Januar, als vorletztes von insgesamt zehn Kindern aus zwei Ehen seines Vaters in Na. in Afghanistan geboren und wuchs dort in städtischen Verhältnissen auf. Der damals zwischen 40 und 45 Jahre alte Vater wurde im Jahr 2002 aufgrund eines privaten Streits getötet. 2008 ist auch ein Bruder des Angeklagten gewaltsam ums Leben gekommen; dieser während des Militärdiensts. Die übrigen Geschwister leben ebenso wie die als Teppichknüpferin tätige Mutter weiterhin in Afghanistan.
7
Der Angeklagte besuchte in Afghanistan für etwa vier Jahre allgemeinbildende Schulen, ohne einen Schulabschluss zu erwerben. Hiernach arbeitete er zwei Jahre, bis zum 15. Lebensjahr, bei einem Betrieb in Dsch., der aus Metall Schränke und Transportkoffer fertigte.
8
Im Jahr 2015 begab sich der Angeklagte dann auf die von einem Onkel finanzierte Flucht nach Europa. Die etwa dreimonatige Flucht führte ihn auf dem Landweg über den Iran und die Türkei nach Bulgarien und von hier auf der sogenannten Balkanroute schließlich nach Deutschland, wo er im Februar 2016 anlangte und später Asylantrag stellte. Das asylrechtliche Verfahren ist noch nicht bestandskräftig abgeschlossen.
9
In Deutschland war der Angeklagte zunächst in verschiedenen Aufnahmeeinrichtungen in Mühldorf am Inn und im Landkreis Traunstein untergebracht. Er besuchte einen Deutschkurs, durch den er Grundkenntnisse der deutschen Sprache erlernt hat. In der Untersuchungshaft hat er diese Kenntnisse im Rahmen eines weiteren Sprachkurses ausgebaut. Mit dem Gericht kommunizierte der Angeklagte teils in deutscher Sprache, teils unter Zuhilfenahme eines Dolmetscher für die Sprache Paschtu.
10
Ab dem Jahr 2017 begann der Angeklagte - nachdem er zuvor kurzzeitig als Reinigungskraft tätig war - bei einer Spenglerei in G. bei M. ais Helfer zu arbeiten. Seit November 2017 und bis zuletzt wohnte er in einer ihm vom Arbeitgeber gegen eine monatliche Miete von 450 € vermietete Wohnung in der …. Er erzielte aus seiner Tätigkeit eine monatliches Nettoeinkommen von etwa 1.500 €, wovon er regelmäßig Beträge zwischen 200 € und 400 €, vereinzelt auch höhere Beträge, an seine weiterhin in Afghanistan lebende Mutter transferierte.
b) Gesundheitszustand und Substanzkonsum
11
Der Angeklagte zog sich im Jahr 2010 kleinere Glassplitterverletzungen als Folge einer Explosion der Bombe eines Selbstmordattentäters zu. Im Jahr 2013 wurde er dann Zeuge weiterer Explosionen von Selbstmordattentäter-Sprengsätzen in der Nähe seines Arbeitsplatzes in Dschalalabad. Der Angeklagte erlitt hierbei zwar keine körperlichen Verletzungen, hatte aber mit dem Geschehen verbundene Alpträume und auch sogenannten „Flashbacks“ im wachen Zustand. Die damit verbundenen mentalen Beeinträchtigungen erreichten - nicht ausschließbar - in der Vergangenheit ein Gewicht, das die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (im Sinne einer Klassifikation nach ICD-10 F43.1) erlaubte. Der Zustand war aber bereits im Vorfeld der hier verfahrensgegenständlichen Handlungen abgeklungen und wirkte sich in diesen nicht handlungsleitend aus.
12
Der Angeklagte konsumiert illegale Substanzen nicht in einem über den gelegentlichen „Partykonsum“ von Ecstasy-Tabletten hinausgehenden Umfang. Alkohol trinkt er nicht häufiger als ganz vereinzelt.
13
Strafrechtlich ist der Angeklagte bislang noch nicht in Erscheinung getreten. Das Bundeszentralregister enthält über ihn keine Eintragungen.
14
Der Angeklagte wurde in dieser Sache am 21. Januar 2019 vorläufig festgenommen. Er befindet sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 22. Januar 2019 (ER VII Gs 263/19) ununterbrochen in Untersuchungshaft, bis 31. Januar 2019 in der Justizvollzugsanstalt M. und seitdem in der Justizvollzugsanstalt N..
15
Der heute 17jährige Angeklagte … ist syrischer Staatsangehöriger und lebte zuletzt in M..
a) Lebenslauf und Werdegang
16
Der Angeklagte wurde am … in Da. in Syrien geboren. Sein Vater betrieb ein Restaurant in Dam., die Mutter war Hausfrau. Aus der Ehe der Eltern sind neben dem Angeklagten 15 Kinder hervorgegangen, von denen zwei bereits verstorben sind. Die Übrigen Geschwister sind heute zwischen vier und 25 Jahren alt und leben überwiegend noch bei den Eltern.
17
Die Kindheit des Angeklagten war dadurch geprägt, dass er sich seit frühester Kindheit zur Behandlung einer Tumorerkrankung, einem Lymphom am Hals, wiederholt mehrmonatigen stationären Krankenhausbehandlungen unterziehen musste. Die gegen die Erkrankung verabreichten Medikamente führten neben Haarausfall auch zu schmerzhaften Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates. Als der Angeklagte sechs Jahre als war floh die Familie von Syrien nach Jordanien. Auch in Jordanien unterzog sich der Angeklagte weiteren stationären Behandlungen der Tumorerkrankung. Aufgrund der regelmäßigen und langandauernden Krankenhausaufenthalte besuchte der Angeklagte keine Schule und erwarb nur geringe Fähigkeiten im Lesen und Schreiben.
18
Im Alter von zehn Jahren floh der Angeklagte dann gemeinsam mit einem älteren Bruder und einem Onkel nach Deutschland, wo er einen Asylantrag stellte. In Deutschland lebte er zunächst mit dem Onkel und seinem Bruder zusammen in einer Unterkunft bei M.. Vom Onkel wurde der Angeklagte auch geschlagen. Zu Beginn des Jahres 2016 wurde der Angeklagte durch das Stadtjugendamt in M. in Obhut genommen. Er war seitdem und bis zu seiner Festnahme in wenigstens sieben verschiedenen Einrichtung in M. und im Umland untergebracht, zuletzt seit Juni 2018 im … in M.. Anlass für die häufigen Einrichtungswechsel waren Regelverstöße des Angeklagten.
19
Zuletzt hielt sich der Angeklagte nur noch an einzelnen Tagen im Heim auf, übernachtete im Übrigen bei Bekannten, insbesondere bei dem Mitangeklagten.
20
Im Oktober 2018 wurde durch Ärzte des H.-Klinikums in M. für den Angeklagten die Diagnose einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens (im Sinne einer Klassifikation nach ICD-10 F.90.1) gestellt. Seine Unterbringung in einer stationären Maßnahme war geplant. Hierzu kam es indes wegen der Verhaftung des Angeklagten nicht mehr.
21
Der Angeklagte hat grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache erworben. Mit dem Gericht kommunizierte er teilweise in Deutsch, teilweise vermittelt durch eine Dolmetscherin für die syrische Sprache.
22
Für die Zukunft plant der Angeklagte den Besuch einer Schule und die Aufnahme einer Ausbildung zum Automechaniker.
b) Gesundheitszustand und Substanzkonsum
23
Die in der Kindheit aufgetretene Tumorerkrankung ist - schon vor der Flucht nach Deutschland - zwischenzeitlich geheilt. Regelmäßig durchgeführte Blutuntersuchungen haben keine Auffälligkeiten mehr ergeben. Im Übrigen ist es zu schweren Erkrankungen oder Unfällen, insbesondere solchen unter Beteiligung des Kopfes, beim Angeklagten nicht gekommen.
24
Der Angeklagte raucht seit dem 13. Lebensjahr Haschisch, seit dem 15. Lebensjahr nimmt er auch Ecstasy-Tabletten zu sich. Jedenfalls während der letzten neun Monate vor seiner Verhaftung in dieser Sache am 17. Dezember 2018 nahm er beide Substanzen regelmäßig ein. Haschisch rauchte er in dieser Zeit täglich, je nach Verfügbarkeit bis zu fünf Gramm an einem Tag. Ecstasy-Tabletten nahm er mehrmals je Woche zu sich, wobei er deren Konsum in den letzten drei Monaten vor der Verhaftung reduzierte, wenn auch nicht einstellte. Daneben nahm er in diesem Zeitraum auch mehrfach Amphetamin zu sich und probierte einmalig Kokain.
25
Der Angeklagte ist bereits jugendstrafrechtlich vorgeahndet. Mit Entscheidung des Amtsgerichts Eggenfelden vom 25. April 2018 wurde ihm wegen einer am 30. November 2017 mit Mittätern begangenen Sachbeschädigung die Erbringung von Arbeitsleistungen auferlegt.
26
Der Angeklagte befand sich seit dem 17. Dezember 2018 und bis zu seiner Entlassung am 24. Juni 2019 ununterbrochen in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt M., zunächst aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts München vom 13. Januar 2018 (1032 Gs 1877/18 jug) und dann aufgrund Haftbefehls des Landgericht München I vom 17. April 2020 (9 J KLs 367 Js 224603/18 jug).
27
Während der Haft konnte der Angeklagte nur dreimal telefonischen Kontakt zu seiner seit 2018 in Ägypten lebenden Familie aufnehmen.
28
Der Angeklagte … betätigte sich im Zeitraum von jedenfalls Oktober 2018 bis zu seiner Festnahme am 21. Januar 2019 als Händler von Rauschmitteln, insbesondere Cannabis-Produkten, in M., wobei er Teile der von ihm bei Verkäufern in B. erworbenen Drogen an verschiedenen offen zugänglichen, aber verborgenen Orten in der Münchener Innenstadt aufbewahrte, um sie seinen Kunden dort übergeben zu können.
29
Die Drogen verkaufte er dabei nicht in Kleinmengen, sondern die Cannabisprodukte beginnend erst ab einer Menge von 50 Gramm und bis zu 500 Gramm sowie zu erheblich über dem von ihm für den Ankauf der Rauschmittel aufgewendeten liegenden Preisen zwischen 200 und 300 € je 100 Gramm.
1. Rauschmittelhandel bis zur Festnahme des Angeklagten …
30
Dabei bediente er sich bis zu dessen Festnahme am 17. Dezember 2018 der Mithilfe des Angeklagten … dem dabei die Aufgabe zukam, die mit dem Kunden vereinbarten Teilmengen aus den Lagerörtlichkeiten zu holen, sie im Innenstadtbereich von M. an die Kunden zu übergeben und von diesen die Kaufpreise entgegen zu nehmen, die er später an den Angeklagten … aushändigte. Er beteiligte sich teilweise aber auch im Zusammenwirken mit dem Mitangeklagten … an der Lagerung und Umlagerung größerer Rauschmittelmengen in den verschiedenen Lagerörtlichkeiten.
31
Als Gegenleistung für die Erfüllung dieser Aufgaben stellte der Angeklagte … dem Angeklagten … unentgeltlich Cannabisprodukte zum eigenen Konsum zu Verfügung, erbrachte Geldzahlungen von insgesamt 3.000 €, die er allerdings direkt an die in Ägypten wohnenden Eltern des Mitangeklagten leistete, und schenkte dem Mitangeklagten Kleidungsstücke und insbesondere auch ein Mobiltelefon des Typs „iPhone XS max“.
32
Der Angeklagte … wollte durch sein Tätigwerden den Rauschmittelhandel des Mitangeklagten, den er billigte, fördern. Er war dabei jeweils nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug, das Unrecht der Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
a) Ankäufe von Drogenmengen vor dem 17. Dezember 2018
33
Während der Zeit des Zusammenwirkens mit dem Mitangeklagten … einigte sich der Angeklagten … (jedenfalls) den nachfolgenden beiden Fällen mit Verkäufern in B. über den Ankauf und die Lieferung von Haschisch, wobei er allerdings die erste dieser vereinbarten Lieferungen nicht erhielt, weil der Kurier noch vor der Übergabe verhaftet wurde.
aa) (Gescheiterte) Lieferung vom 12. Oktober 2018
[Fall der Nachtragsanklage]
34
Im Rahmen von Gesprächen im Vorfeld des 12. Oktober 2018 einigte sich der Angeklagte … verbindlich mit dem früheren Mitangeschuldigten … über die Lieferung von zehn Kilogramm Haschisch zu einem nicht genau feststellbaren Preis, um diese gewinnbringend in M. zu verkaufen.
35
In Ausführung dieser Bestellung erwarb und übernahm … am oder kurz vor dem 12. Oktober 2018 von einem unbekannten Rauschmittelhändler in B. zehn Gebinde mit je zehn Haschisch-Platten mit Einzelgewichten von jeweils annähernd 100 Gramm, die er - in einen Koffer verpackt - dem von ihm ausgewählten Kurier, dem gesondert Verurteilten … übergab. Dieser verbrachte sie mit dem Zug von B. nach M., wo er sie, dem Auftrag des … folgend, an den Angeklagten … übergeben wollte. Noch bevor Mir, der am 12. Oktober 2018 gegen 20:35 Uhr in M. angekommen war, mit dem Angeklagten … aber telefonisch die Einzelheiten der Übergabe besprechen konnte, wurde er einer - nicht auf konkreten Hinweisen beruhenden - polizeilichen Kontrolle unterzogen. Die Drogen wurden in dem mitgeführten Koffer aufgefunden und sichergestellt.
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Die insgesamt 100 Platten hatten ein Gesamtgewicht von 9.601,9 Gramm und einen Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) von jeweils wenigstens 10,3 Gewichtsprozent, was einem Wirkstoffanteil von 988 Gramm THC entspricht.
bb) Lieferung vor dem 20. November 2018
37
Im Rahmen von zeitlich nicht näher eingrenzbaren Gesprächen vor dem 20. November 2018 einigte sich der Angeklagte … verbindlich nunmehr - da er in Streit mit dem früheren Mitangeschuldigte … wegen der gescheiterten Lieferung geraten war - mit dem früheren Mitangeschuldigte … über die Lieferung von weiteren rund zehn Kilogramm Haschisch zu einem nicht genau feststellbaren Preis, um diese gewinnbringend in M. zu verkaufen.
38
In Ausführung dieser Bestellung erwarb und übernahm … von einem unbekannten Rauschmittelhändler in B. die vom Angeklagten … angeforderten rund zehn Kilogramm Haschisch und übergab sie einem nicht genauer feststellbaren Kurier, wahrscheinlich dem gesondert Verfolgten … der sie nach M. verbrachte, wo sie der Angeklagte … jedenfalls vor dem 20. November 2018 in Empfang nahm.
39
Die Cannabis-Produkte wiesen einen Wirkstoffanteil von jeweils wenigstens 8 Gewichtsprozent auf, was einem Anteil von insgesamt 800 Gramm THC entspricht.
b) Individualisierbare Förderungsbeiträge des Angeklagten …
40
Den Weiterverkauf dieser schließlich vom Mitangeklagten … erfolgreich angekauften Rauschmittel unterstütze der Angeklagte … im Folgenden durch (jedenfalls) die nachfolgenden, individualisierbaren Handlungen:
aa) Umlagern von Drogen am 30. November 2018
[Fall I.8 der Anklageschrift]
41
Am 30. November 2018 gegen 15.30 Uhr entnahm der Angeklagte … entsprechend des telefonisch durch den Mitangeklagten … erteilten Auftrags fünf Platten Haschisch mit einem Gewicht von jeweils etwa 100 Gramm aus einer der von ihnen genutzten Lagerörtlichkeiten, einer Hecke am …, und verbrachte vier dieser Platten zunächst zu einer weiteren Lagerörtlichkeit an einem Bauzaun in der …. Die fünfte Platte übergab er im Anschluss, gegen 16:00 Uhr, im Bereich des K.platz/Stachus gegen Bezahlung an einen unbekannten Kunden.
42
Im weiteren Verlauf dieses Tages wurden die beiden genannten Lagerörtlichkeiten durch Polizeikräfte kontrolliert. Dabei konnten am … zehn Platten Haschisch mit insgesamt 954,48 Gramm und in der … vier Platten Haschisch mit insgesamt 383,63 Gramm Haschisch noch aufgefunden und sichergestellt werden. Das sichergestellte Haschisch hatte einen Wirkstoffgehalt von wenigstens 8 Gewichtsprozent THC, was bezogen auf die vom Angeklagten … umgelagerten 383,63 Gramm einem Wirkstoffanteil von rund 30 Gramm THC und bezogen auf die von ihm übergebenen weiteren etwa 100 Gramm einem Wirkstoffanteil von rund 8 Gramm entspricht.
bb) Deponieren von Rauschmitteln und Festnahme am 17. Dezember 2018
[Fall I.20 der Anklageschrift]
43
Am 17. Dezember 2018 verteilte der Angeklagte gemeinsam mit dem Mitangeklagten … für den Verkauf an Kunden bestimmte 16 Platten Haschisch, eine hiervon in der Mitte durchgebrochen, mit einem Gewicht von insgesamt 1.480,31 Gramm hinter zwei Handläufen an Treppenaufgängen in den Stachus-Passagen, die ihnen als weitere Lagerörtlichkeiten dienten. Eine weitere Haschischplatte mit einem Gewicht von 94,23 Gramm nahm der Angeklagte … später an sich, um sie im unmittelbaren Fortgang an einen Kunden zu übergeben. Hierzu kam es indes nicht, weil er einer polizeilichen Kontrolle unterzogen und festgenommen wurde.
44
Die von ihm mitgeführten Rauschmittel wurden - ebenso wie die kurz zuvor hinter den Handläufen verborgenen aber auch hinter weiteren Handläufen versteckte Drogen - sichergestellt. Von den sichergestellten Haschisch-Platten, mit welchen der Angeklagte zuvor Umgang hatte, hatte eine Platte bei einem Gewicht von 94,34 Gramm einen Wirkstoffmindestgehalt von 8 Gewichtsprozent THC, was 7,5 Gramm THC entspricht, und die restlichen insgesamt - einschließlich der vom Angeklagten mitgeführten Platte - 16 Platten hatten ein Gesamtgewicht von 1.480,20 Gramm und Wirkstoffmindestgehalt von 13,1 Gewichtsprozent THC, was 193,9 Gramm THC entspricht.
cc) Einzelne Abgabehandlungen
45
Darüber hinaus lassen sich nachfolgend tabellarisch aufgeführte Abgaben von Rauschmitteln an Kunden durch den Angeklagten … individualisieren:
[Die tabellarische Aufstellung der Einzelfälle folgt dabei nachfolgendem Schema:
(1) Fallnummer der Anklageschrift;
(3) übergebene Rauschmittelmenge und -art;
(5) Empfänger der Rauschmittel.]
I.1
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20.11.2018, gegen 16.40 Uhr, K.platz/Stachus
|
…
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150 g Haschisch
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I.2
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20.11.2018, gegen 17:00 Uhr, K.platz/Stachus
|
…
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50 g Haschisch
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I.3
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23.11.2018, gegen 15:00 Uhr, K.platz/Stachus
|
…
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75 g Haschisch
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I.4
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23.11.2018, gegen 15:45 Uhr, K.platz/Stachus
|
…
|
50 g Haschisch
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I.5
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24.11.2018, gegen 18:30 Uhr, K.platz/Stachus
|
…
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100 g Haschisch
|
I.6
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27.11.2018, gegen 18:55 Uhr, K.platz/Stachus
|
…
|
50 g Haschisch
|
I.7
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27.11.2018, gegen 19:55 Uhr, K.platz/Stachus
|
|
50 g Haschisch
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I.9
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30.11.2018, gegen 17:50 Uhr, K.platz/Stachus
|
…
|
50 g Haschisch
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I.10
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01.12.2018, gegen 19:10 Uhr, K.platz/Stachus
|
…
|
50 g Haschisch
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I.11
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04.12.2018, gegen 17:20 Uhr, K.platz/Stachus
|
…
|
50 g Haschisch
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I.13
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05.12.2018, gegen 19:05 Uhr, K.platz/Stachus
|
|
36 g Haschisch
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2. Rauschmittelhandel bis zum 7. Januar 2019
46
Nach der Festnahme des Mitangeklagte … gewann der Angeklagte … den früheren Mitangeklagten … für die Übernahme derjenigen Aufgaben, die zuvor der Mitangeklagte übernommen hatte, wobei er auch diesen jedenfalls durch die Überlassung von Cannabisprodukten zu dessen Eigenkonsum entlohnte. Auch der frühere Mitangeklagte … wollte in Kenntnis der Umstände den gewinnbringenden Drogenhandel des Angeklagten … den er billigte, fördern.
47
In der Folgezeit kaufte und übernahm der Angeklagte … weitere Drogenmengen vom früheren Mitangeschuldigten … die er in der Folge, nunmehr unter Mithilfe des früheren Mitangeklagten … gewinnbringend in M. weiterverkaufte.
48
In allen Fällen, in denen der Angeklagte … Rauschmittel vom früheren Mitangeschuldigten … ankaufte - einschließlich auch des Falles II.1.a.bb -, überschnitten sich - nicht ausschließbar - die Zahlungsvorgänge für die Ankaufsgeschäfte jeweils in der Weise, dass er bei der Bezahlung einer Lieferung bereits eine Vorauszahlung auf die nächste Lieferung leistete oder einen noch nicht beglichenen Restbetrag aus der vorangehenden Lieferung bezahlte.
a) Lieferung vom 18. Dezember 2018
[Fall II.2.a der Anklageschrift]
49
Im Rahmen von Gesprächen im Vorfeld des 18. Dezember 2018 einigte sich der Angeklagte … verbindlich mit dem früheren Mitangeschuldigten … über die Lieferung von weiteren rund fünf Kilogramm Haschisch und rund einem Kilogramm Marihuana zu einem nicht genau feststellbaren Preis, um diese gewinnbringend in M. zu verkaufen.
50
In Ausführung dieser Bestellung erwarb und übernahm … am oder kurz vor dem 18. Dezember 2018 von einem unbekannten Rauschmittelhändler in B. die vom Angeklagten … angeforderten rund fünf Kilogramm Haschisch und rund ein Kilogramm Marihuana und übergab sie dem gesondert Verfolgten … der sie mit einem Reisebus von B. nach M. verbrachte. … selbst händigte die Drogen, nachdem er gegen 22:15 Uhr des 18. Dezember 2018 am Zentralen Omnibusbahnhof in M. angekommen war, dem Angeklagten … aus.
51
Die Cannabis-Produkte wiesen einen Wirkstoffanteil von jeweils wenigstens 5 Gewichtsprozent auf, was einem Anteil von insgesamt 300 Gramm THC entspricht.
b) Handel mit (Imitaten von) Ecstasy-Tabletten
[Fälle I.41 und I.92 der Anklageschrift]
52
Zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt vor dem 4. Januar 2019 kaufte und übernahm der Angeklagte … bei einem nicht feststellbaren Rauschgifthändler wenigstens 438 Tabletten, von denen er jedenfalls noch am 4. Januar 2019 davon ausging, es handle sich um den Wirkstoff MDMA enthaltende Ecstasy-Tabletten. Tatsächlich waren die Tabletten frei von einem Wirkstoff. Die Tabletten beabsichtigte der Angeklagte, wie die Cannabisprodukte, zu einem höheren als dem von ihm für ihren Erwerb aufgewendeten Preis weiterzuverkaufen.
53
Diesem Plan folgend wies der Angeklagte … - nachdem ein Kunde bei ihm eine entsprechende Bestellung aufgegeben hatte - am Nachmittag des 4. Januar 2019 den früheren Mitangeklagten … an, 50 dieser Tabletten gemeinsam mit aus der Lieferung vom 18. Dezember 2018 stammenden 50 Gramm Marihuana und 200 Gramm Haschisch aus deren Lagerort - wahrscheinlich im Keller des Anwesens … in M. - zu holen und sie ihm an der Trambahnhaltestellte Hauptbahnhof-Nord zu übergeben. Gegen 15:05 Uhr traf sich der Angeklagte dann dort auch tatsächlich mit dem früheren Mitangeklagten und sie übergaben die von diesem auftragsgemäß gebrachten Rauschmittel dem Kunden gegen Bezahlung eines nicht bekannten Kaufpreises.
c) Lieferung vom 23. Dezember 2018
[Fall II.2.b der Anklageschrift]
54
Im Rahmen von Gesprächen im Vorfeld des 23. Dezember 2018 einigte sich der Angeklagte … verbindlich mit dem gesondert Verfolgten … über die Lieferung von weiteren rund zehn Kilogramm Haschisch zu einem nicht genau feststellbaren Preis von jedenfalls mehr als 11.700 €, um diese gewinnbringend in M. zu verkaufen.
55
In Ausführung dieser Bestellung erwarb und übernahm … am oder kurz vor dem 23. Dezember 2018 von einem unbekannten Rauschmittelhändler in B. die vom Angeklagten … angeforderten rund zehn Kilogramm Haschisch und übergab sie erneut dem gesondert Verfolgten … der sie mit dem Fernreisebus von B. nach M. verbrachte. Die Rauschmittel übergab … nachdem er gegen 20:25 Uhr des 23. Dezember 2018 am Zentralen Omnibusbahnhof in M. angekommen war, dem ….
56
Das Haschisch wies einen Wirkstoffanteil von wenigstens 5 Gewichtsprozent auf, was einem Anteil von insgesamt 500 Gramm THC entspricht.
d) Abgabe von Haschisch an die gesondert Verurteilte …
[Fall III.3 der Anklageschrift]
57
Am 7. Januar 2019 überließ der Angeklagte … der sich zu diesem Zeitpunkt in seiner Wohnung im der … befand, der mit ihm wohnenden gesondert Verurteilten M. 25 Gramm des am 23. Dezember 2018 erhaltenen Haschischs, das er sich zuvor vom früheren Mitangeklagten … hatte bringen lassen, zu deren freien Verwendung.
3. Weiterer Rauschmittelhandel bis zum 21. Januar 2019
58
Seinen Rauschmittelhandel setzte der Angeklagte … auch hiernach zunächst unverändert vor.
a) Lieferung vom 12. Januar 2019
[Fall II.3 der Anklageschrift]
59
Hierzu einigte er sich im Rahmen von Gesprächen im Vorfeld des 12. Januar 2018 verbindlich mit dem gesondert Verfolgten … über die Lieferung von weiteren rund zehn Kilogramm Haschisch zu einem nicht genau feststellbaren Preis, um diese gewinnbringend in M. zu verkaufen.
60
In Ausführung dieser Bestellung erwarb und übernahm … am 11. Januar 2019 von einem unbekannten Rauschmittelhändler in B. die vom Angeklagten … angeforderten rund zehn Kilogramm Marihuana. Die Rauschmittel übergab … dem gesondert Verfolgten …, der sie mit dem Reisebus von B. nach M. verbrachte.
61
… fuhr noch am Abend des 11. Januar 2019 mit den in einer Tasche verpackten Rauschmitteln von B. nach M., wo er am 12. Januar 2019 gegen 4:45 Uhr am Zentralen Omnibusbahnhof anlangte. Von dort fuhr er mit dem Taxi in die Nähe des ihm als Übergabeort genannten Anwesens … in M., wo der gesondert Verfolgte … im Auftrag … auf ihn wartete, die Drogen übernahm und dem … 650 € übergab.
62
Das Haschisch wies einen Wirkstoffanteil von wenigstens 5 Gewichtsprozent auf, was einem Anteil von insgesamt 500 Gramm THC entspricht.
63
Am 13. Januar 2019 wurde dann der frühere Mitangeklagte … im Besitz von drei Haschischplatten, die er Kunden übergeben wollte, einer polizeilichen Kontrolle unterzogen und verhaftet.
64
Der Angeklagte … kam in Reaktion hierauf zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt, spätestens zum 20. Januar 2019, mit dem früheren Mitangeschuldigten … und jedenfalls einer weiteren Person, „…“, - wahrscheinlich der frühere Mitangeschuldigte … - überein, den gewinnbringenden Verkauf des noch verbliebenen Haschischs aus der Lieferung vom 12. Januar 2019 und einer unbestimmten Mehrzahl weiterer, erst noch zu erwerbender Rauschmittelmengen nunmehr unter deren Beteiligung durchzuführen. Dabei sollte der frühere Mitangeschuldigte … für die Lagerung der Drogen im Innenstadtbereich und deren Übergabe an die Kunden und „…“ für die Entgegennahme der Kaufpreise zuständig sein. Auch der frühere Mitangeschuldigte … und „…“ wollten in Kenntnis der Umstände den gewinnbringenden Drogenhandel des Angeklagten … den sie billigten, fördern.
65
Im Folgenden verfuhren die drei auch entsprechend dieser Abrede und der frühere Mitangeschuldigte … und „…“ verkauften und übergaben in M. das in einem nicht genau feststellbaren Umfang noch verbliebene Haschisch - jedenfalls aber mehr als 150 Gramm - aus der Lieferung vom 12. Januar 2019.
b) Rauschmitteltransport vom 21. Januar 2019
[Fall I.92 der Anklageschrift]
66
Der Angeklagte … selbst hielt sich in den Tagen vor dem 21. Januar 2019 in B. auf, weil er dort in Umsetzung der getroffenen Abrede Rauschmittel für den Weiterverkauf in M. beim früheren Mitangeklagten … weitere Drogen ankaufen wollte.
67
Er kaufte und übernahm von … im Weiteren auch tatsächlich seinem Plan entsprechend 30 Haschisch-Platten mit einem Gesamtgewicht von 2.882,30 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 13,9 Gewichtsprozent THC, was 400,6 Gramm THC entspricht, weitere 20 Haschisch-Platten mit einem Gesamtgewicht von 1.905,52 Gramm und einen Wirkstoffmindestgehalt von 14,0 Gewichtsprozent THC, was 266,7 Gramm THC entspricht, sowie Marihuana mit einem Gesamtgewicht von 1.926,15 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 10,8 Gewichtsprozent THC, was 208,0 Gramm THC entspricht, die er in diesem Fall selbst von B. nach M. transportierte.
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Weil die Telekommunikation des Angeklagten … bereits seit dem 14. Dezember 2018 überwacht wurde und die Ermittlungsbehörden aufgrund der so gewonnenen Erkenntnisse mit dem getätigten Geschäft bereits rechneten, wurde der Angeklagte … kurz nachdem er die Drogen in einem Kellerabteil des Anwesens … in M. deponiert hatte festgenommen; die Drogen wurden sichergestellt.
69
Die Angeklagten waren sich bei allen vorbeschriebenen Handlungen bewusst, dass sie nicht über eine für ihren Umgang mit Rauschmitteln erforderliche Erlaubnis verfügten. Sie hielten es jeweils für möglich, dass die Drogen, mit denen sie Umgang hatten, den festgestellten Wirkstoffgehalt hatten und billigten dies, wobei sie an den Einzelheiten kein Interesse hatten.
70
Der Angeklagte … hatte bei allen vorbeschriebenen Ankäufen von Drogen bereits bei deren Bestellung einkalkuliert, einen Anteil von einem Zehntel nicht dem gewinnbringenden Verkauf zuzuführen sondern ihn den seinen Handel unterstützenden Personen als Gegenleistung für diese Unterstützung zu deren eigenem Konsum zu überlassen.
1. Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen
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Die Feststellungen der Kammer zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten folgen in wesentlichen Teilen deren eigenen Angaben, die auch dem entsprechen, was sie den Vertretern der Jugendgerichtshilfe und den sie untersuchenden psychiatrischen Sachverständigen mitteilten. Diese Angaben wurden ergänzt durch die Aussagen einzelner der gehörten Zeugen, namentlich der Zeuginnen … und … der Lebensgefährtinnen der Angeklagten zu den Zeitpunkten der Tathandlungen, und die verlesenen Auskünfte aus dem Bundeszentralregister.
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Der näheren Erläuterung bedürfen allein die Feststellungen zum Alter des Angeklagten … (unten a) sowie zum Gesundheitszustand und Substanzkonsum der beiden Angeklagter (unten b und c).
a) Altersbestimmung beim Angeklagten …
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Beim behördlich registrierten Geburtsdatum des Angeklagten … dem … handelt es sich um eine durch die fehlende tagesgenaue Aufzeichnung im Herkunftsstaat bedingte Zuschreibung. Der Angeklagte selbst gab hierzu an, bei dem Jahr … handele es sich um sein tatsächliches Geburtsjahr. Eine genaue Eingrenzung des Tags seiner Geburt innerhalb dieses Jahres sei ihm nicht möglich.
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Zur näheren Bestimmung des Geburtsdatums, das hier Bedeutung auch für die tatbestandliche Eingrenzung der Abgaben von Rauschmitteln an teils minderjährige Personen erlangte, hat die Kammer das mündlich erstattete Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen … fruchtbar gemacht. Dem Sachverständigen standen dabei als Grundlage seiner Bewertung die Ergebnisse von im Institut für Rechtsmedizin der Universität M. am 27. Februar 2019 durchgeführten körperlichen und zahnärztliche Untersuchungen sowie die Röntgenaufnahme der linken Hand sowie eine Computertomographie der Brustbein-Schlüsselbein-Gelenke vom gleichfalls 27. Februar 2019 zur Verfügung.
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Nach dem Gesamteindruck aus den bei der körperlichen Untersuchung gefertigten Lichtbilder wirke der Beschuldigte zwar, so der Sachverständige, erheblich älter als 21 Jahre. Bei einer Beurteilung der Einzeluntersuchungsbefunde anhand medizinischen Erfahrungswissen im Sinne einer Berechnung des Mindestlebensalters habe dieses aber zum Untersuchungszeitpunkt, also am 27. Februar 2019, noch 19,7 Jahre betragen können. Maßgeblich für die Beurteilung des jedenfalls erreichten Lebensalters sei dabei das Entwicklungsstadium, welches das rechte Brustbein-Schlüsselbein-Gelenk zeigte. Dieses Stadium sei frühestens bei Personen mit 19,7 Jahren beobachtet worden; die „mittleren 50 %“ der Untersuchten wiesen ein Alter zwischen 21,4 und 24,1 Jahren auf. Die Weisheitszähne im Oberkiefer seien zwar vollständig ausgewachsen und zeigten zudem Kariesbefall, was für einen mehre Jahre zurückliegenden Durchbruch spreche. Immerhin 15 % der Untersuchten mit voll ausgebildeten Weisheitszähnen im Oberkiefer seien aber noch unter 18 Jahre alt, so dass auch dieser Befund einem Alter von möglicherweise erst 19,7 Jahren nicht durchgreifend entgegenstehen müsse. Bei einem Weisheitszahn im Unterkiefer links war das Wurzelwachstum noch nicht vollständig abgeschlossen; dieses Stadium werde durchschnittlich von Personen in einem Altersbereich von 18,3 ± 1,9 Jahren erreicht. Das vollständig verschlossene Skelett der linken Hand erlaube schließlich keine über die Feststellung, dass der Angeklagte 19 Jahre und beliebig älter sei, hinausgehenden Rückschlüsse.
76
Angesichts dessen kann sich die Kammer der nicht nur denktheoretischen Möglichkeit, dass der Angeklagte bei Vornahme auch der letzten hier angeklagten Tathandlungen noch 20 Jahre alt war, nicht verschließen. Dies war daher zu seinen Gunsten zu unterstellen.
b) Gesundheitszustand und Substanzkonsum des Angeklagten …
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Zu den denkbaren Auswirkungen der vom Angeklagten nach seiner Schilderung erlebten Bombenexplosionen hat die Kammer den psychiatrischen Sachverständigen … gehört, der den Angeklagten hierzu am 11. Juni 2020 exploriert hat. Dem sachverständigen gegenüber schilderte der Angeklagte das Auftreten von Alpträumen und „Flashbacks“ im wachen Zustand. Allerdings gab er an, diese Beeinträchtigungen hätten sich nach etwa zwei Jahren gebessert. Aktuell gab er an, „traurig“ zu werden, wenn er Explosionen im Fernsehen sehe und gelegentlich auch von solchen zu träumen. In Haft habe er nur einmal ein Schlafmittel eingenommen, dieses sei ihm „zu stark“ gewesen. Suizidgedanken habe er noch nie gehabt. Während der Exploration zeigten sich, so der Sachverständige, auch beim Gespräch über mit dem (mutmaßlichen) Trauma assoziierten Themen beim Angeklagten keinerlei Affektdurchbrüche. Sonstige Beeinträchtigungen schilderte der Angeklagte weder gegenüber dem Sachverständigen noch gegenüber der Kammer. Auch die seinem sozialen Nahfeld zur Tatzeit angehörigen Zeuginnen … und … oder der Mitangeklagte … schilderten keine Auffälligkeiten des Verhaltens.
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Der Sachverständige kam auf Basis dieser Erkenntnisse zu dem Schlussfolgerung, dass beim Angeklagten - ausgehend von seinen eigenanamnestischen Angaben - früher eine Posttraumatische Belastungsstörung mit auch krankheitswertigen Beeinträchtigungen des Wohlbefindens vorgelegen haben kann. Diese sei aber naheliegend innerhalb eines Zeitraums von etwa zwei Jahren ohne therapeutische Intervention abgeklungen, wie dies dem Verlauf des Störungsbildes bei dem Großteil der Betroffenen entspreche. Würde der Angeklagte aktuell noch in einem Ausmaß unter den Traumafolgen leiden, die seine soziale Funktionsfähigkeit in einem relevanten Maße beeinträchtigt, wären, so der Sachverständige, auch Affektdurchbrüche im Rahmen der Exploration zu erwarten gewesen. Anhaltspunkte, dass sich die Befindlichkeit erst vor kurzem besserte ergaben sich auch aus der Schilderung des Angeklagten nicht, so dass davon ausgegangen werden könne, dass die relevante Beeinträchtigungen schon zur Zeit der vorgeworfenen Taten nicht länger bestanden. Diesen Schlussfolgerungen des Sachverständigen schließt sich die Kammer aufgrund eigener Bewertung an.
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Jenseits dessen ergaben sich auch weder aus der Schilderung des Angeklagten noch sonst Anhaltspunkte dafür, in welcher Weise sich eine - unterstellt fortbestehende - Posttraumatische Belastungsstörung handlungsleitend bei der Begehung der abgeurteilten Taten, die nicht spontan unter der möglichen Einwirkung affektiver Durchbrüche sondern vorausgeplant und abwägend begangen wurden, ausgewirkt haben könnte.
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Zum Konsum berauschender Substanzen gab der Angeklagte … selbst an, keine illegalen Drogen und auch nicht häufiger als ausnahmsweise Alkohol zu konsumieren. Dieses Konsumverhalten wurden auch durch den Mitangeklagten … und die - gleichfalls dem näheren Umfeld des Angeklagten jedenfalls in den Monaten vor seiner Verhaftung zugehörigen - Zeuginnen … und … bestätigt.
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Diese Angaben deckten sich in ihren Grundzügen mit den vom toxikologischen Sachverständigen … erläuterten Ergebnissen einer am 21. Januar 2019, also am Tag seiner Festnahme, beim Angeklagten … genommen Haarprobe mit einer Länge von 4,5 Zentimetern, die eine Rückschau über einen Zeitraum von vier bis fünf Monaten erlaube. Dabei seien zwar im Haar hohe Werte an THC feststellbar gewesen. Diese ließen sich aber auch aus einer bloßen Exposition gegenüber Cannabis(rauch) erklären. THC-Carbonsäure (THC-COOH), die für eine Körperpassage spreche, sei im Haar nicht feststellbar gewesen. Dass in einer am 21. Januar 2019 um 16:40 Uhr entnommenen Blutprobe im grenzwertigen Bereich THC-COOH festgestellt wurde, könne durch eine zwei bis drei Tage zurückliegende Aufnahme einer Konsumeinheit - etwa im Rahmen des Überprüfens der Qualität der in diesem Zeitraum erworbenen Drogen - aber gegebenenfalls auch durch eine sehr starke Exposition gegenüber Cannabisrauch zeitnah zur Blutentnahme erklärt werden; tatsächlich stellten die Festnahmebeamten fest, dass unmittelbar vor der Festnahme in der Wohnung noch Cannabis durch eine oder mehrere der anwesenden Personen - neben dem Angeklagten auch die gesondert Verfolgten … und … - konsumiert wurde. Die daneben im Haar aufgefundenen Spuren des Schmerzmittelwirkstoffs Tramadol lag in einem therapeutischen Bereich und waren mit der vom Angeklagten angegebenen Aufnahme verschreibungspflichtiger Schmerzmittel zur Behandlung von „Knochenschmerzen“ beim Jogging - aus der Telekommunikationsüberwachung ergaben sich auch Hinweise auf die zeitnahe Beteiligung an einer gewalttätigen Auseinandersetzung - vereinbar. Lediglich der Nachweis von MDMA und dessen Stoffwechselprodukt MDE legen nahe, dass der Angeklagte einen tatsächlich stattgefundenen Konsum von Ecstasy im Sinne sozialer Erwünschtheit wahrheitswidrig verschwieg, namentlich vor dem Hintergrund des vom Angeklagten praktizierten islamischen Glaubens. Auch hier lagen die Werte allerdings in einem, so der Sachverständige, unterdurchschnittlichen Bereich, der mit der mehrfachen Aufnahme einzelnen Konsumeinheiten erklärbar sei, etwa im Sinne eines gelegentlichen „Partykonsums“.
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Hinweise auf einen ausgedehnteren Konsum von berauschenden Substanzen eines sich gegebenenfalls auch handlungsleitend auswirkenden Umfangs ergaben sich damit insgesamt nicht.
c) Gesundheitszustand und Substanzkonsum des Angeklagten …
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Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Angeklagten, insbesondere auch zu seiner zwischenzeitlich geheilten Tumorerkrankung beruhen neben den Schilderungen des Angeklagten selbst auch auf den vom Sachverständigen … mitgeteilten Erkenntnisse aus der von ihm ausgewerteten Gefangen-Krankenakte des Angeklagten.
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Hinsichtlich des im Vorfeld der Verhaftung des Angeklagten gestellten Diagnose einer Hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens erläuterte der Sachverständige, dass sich - was auch die Zeugin … die als Sozialarbeiterin mit dem Angeklagten in Haft arbeitete, bestätigte - Anzeichen für ein solches Störungsbild während der Haft noch nicht zeigten. Allenfalls einzelne disziplinarische Auffälligkeiten könnten darauf hindeuten; zu solchen kam es allerdings nur während der ersten drei Monate der Haft. Insgesamt liege nicht fern, dass es sich bei den früher beobachteten Auffälligkeiten um Folgen eines damals starken Substanzkonsums handelte.
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(1) Der Angeklagte … selbst schilderte einen umfangreichen Rauschmittelkonsum. Nach seinen Angaben habe er im Alter von zwölfeinhalb Jahren begonnen, illegale Drogen zu sich zu nehmen. Zu Beginn habe sich sein Konsum noch auf einen Joint mit Cannabis je Woche beschränkt, den er mit dem Taschengeld habe finanzieren können, das ihm von der jeweiligen Jugendhilfeeinrichtung gewährt worden sei. Sein Konsum habe sich gesteigert, als er in ein Heim in Giesing gekommen sei. Dort habe ein Freund über „Gras“ verfügt und ihm kostenlos hiervon abgegeben. Er habe den Konsum hiernach gesteigert, um die gewünschte betäubende Wirkung noch zu erreichen. Ab dem Alter von dreizehn Jahren habe er dann bereits „sehr viel“ konsumiert. Insbesondere als er mit dem Mitangeklagten … zusammenarbeite und von diesem Haschisch erhielt, habe er große Mengen zu sich genommen. Er habe in dieser Zeit und bis zu seiner Verhaftung sogar 15 Gramm an einem Tag in sieben „großen Joints“ geraucht, wobei das ihm von … überlassene Haschisch aber keinen hohen Wirkstoffanteil gehabt habe.
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Mit 14 Jahren habe er begonnen auch Ecstasy-Tabletten zu konsumieren. Nachdem er zunächst während eines halben Jahres lediglich einen Wochenendkonsum betrieb, habe er auch hier die Dosis gesteigert, bis er etwa fünf Tabletten je Woche eingenommen habe. Im Sommer des Jahres 2018 - drei oder vier Monate vor seiner Festnahme am 12. Dezember 2019 und jedenfalls noch vor dem in diesem Jahr am 22. September beginnenden Oktoberfest - habe er dann einmalig nacheinander acht Tabletten eingenommen, woran er „fast gestorben“ sei. Danach habe er kein Ecstasy mehr konsumiert.
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Kokain habe er nur einmal probiert, „Speed“ mehrfach - sechs- bis siebenmal - zu sich genommen und Heroin zu keinem Zeitpunkt konsumiert.
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In Haft habe er dann keine Drogen mehr konsumiert und stattdessen insgesamt 30 Gespräche in der Suchtberatung wahrgenommen. Er sei aber „schwer runtergekommen“.
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(2) Auch zur Überprüfung dieser Angaben hat die Kammer den toxikologischen Sachverständigen … zu den Ergebnissen der Analysen von beim Angeklagten … am Tag von dessen Festnahme, dem 17. Dezember 2018, genommenen Blut- und Haarproben gehört. In der um 18:30 Uhr genommenen Blutprobe hatten sich dabei Spuren von THC (2,7 µg/L) und THC-Carbonsäure (38 µg/L) gezeigt. Erstere liegen, so der Sachverständige, in einem noch wirksamen Bereich und sprächen für einen sechs bis acht Stunden zurückliegenden Konsum. Die Konzentration an THC-Carbonsäure sei hingegen für einen sehr regelmäßigen Cannabis-Konsum eher erwartungswidrig niedrig. Allerdings zeigten sich in der 8,5 Zentimeter langen und damit eine Rückschau über acht bis neun Monaten erlaubenden Haarprobe insbesondere in den kopfhautferner Bereichen seht hohe Konzentrationen an THC; auch die Untersuchung der kopfhautnäheren sechs Zentimeter auf THC-COOH ergab hohe Werte. Die Werte ließen sich, so der Sachverständige, mit einem hohen, auch mehrmals täglichen Konsum vereinbaren, der lediglich während der letzten beiden Wochen - mit Blick auf die Blutwerte - wohl reduziert worden sei; 15 Gramm erschienen freilich eher unwahrscheinlich, fünf Gramm täglich aber durchaus realistisch.
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In der Haarprobe zeigten sich auch hohe Werte an Amphetamin, die für eine häufigere - häufiger auch als siebenmalige - Aufnahme etwa im Sinne eines „Wochenendkonsums“ sprächen. Daneben fanden sich sehr hohe Werte an MDMA und MDE, die für einen regelmäßigen, sogar exzessiven Konsum sprächen. Die Werte lägen dabei zwar in den kopfhautnächsten drei Zentimetern der Probe niedriger als in den übrigen Segmenten. Die Konzentrationsabnahme sei aber im Falle eines - wie vom Angeklagten behaupteten - eingestellten Konsums auch unter Berücksichtigung verfälschender „Schmiereffekte“ zwischen den Segmenten und des Einflusses von Althaaren auf die Ergebnisse erwartungswidrig gering. Schließlich zeigten sich geringe Werte an Kokain, die eine Körperpassage schon nicht belegten und jedenfalls mit dem beschriebenen „Probierkonsum“ vereinbar seien.
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(3) Angesicht der Ergebnisse der Haaruntersuchungen schenkt die Kammer der Behauptung des Angeklagten, er habe den Konsum von Ecstasy-Tabletten nach Einnahme einer sehr hohen Menge bereits Monate vor der Festnahme vollkommen eingestellt nicht. Sie ist stattdessen im Licht der Analyseergebnisse überzeugt, dass er bis zuletzt in allerdings reduziertem Umfang solche Tabletten einnahm. Im Übrigen fanden die Angaben des Beschuldigten zu einem regelmäßigen und hohen Konsum von Haschisch eine Bestätigung. Insgesamt konnte sich die Kammer von einem Rauschmittelkonsum im oben festgestellten Umfang überzeugen.
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(4) Zu den möglichen Auswirkungen des Substanzkonsums des Angeklagten auf seine Schuldfähigkeit zu den Tatzeitpunkten hat die Kammer den Sachverständigen … gehört. Dieser stellte die Möglichkeit einer Einschränkung der Steuerungsfähigkeit in Zusammenhang mit der Bindung des Angeklagten an Substanzen wegen der motivierenden Folgen eines etwaigen „Suchtdrucks“ in den Raum.
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Insoweit kann die Kammer indes ausschließen, dass die in Betracht kommenden Beeinträchtigungen ein Gewicht erlangt haben könnten, das die Zuordnung zu einem der Eingangsmerkmale des § 20 StGB erlauben würde.
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Im Hinblick auf denkbare akute Rauschzustände während der Tatbegehung liegen diese - so auch der Sachverständige - fern. Jedenfalls Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Handlungssteuerung ergaben sich gerade nicht. Und auch relevante Einwirkungen auf die Fähigkeit, Tatanreizen wirksam Hemmungen entgegen zu setzen, sind bei der hier inmitten stehenden, auf Dauer angelegten Zusammenarbeit nicht ersichtlich.
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Die vom Sachverständigen dagegen erörterten Auswirkungen der Bindung des Angeklagten an Rauschmittel, die freilich motivierend auf die Tatbegehung auswirkte, für die der Angeklagte auch mit Drogen entlohnt wurde, erreichen das normativ zu fordernde Gewicht nicht. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die Abhängigkeit von Drogen für sich gesehen keine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Eine rechtlich erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ist bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise gegeben, etwa wenn langjähriger Betäubungsmittelmissbrauch zu schweren Persönlichkeitsveränderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, und in Ausnahmefällen auch dann, wenn die Angst vor unmittelbar bevorstehenden Entzugserscheinungen, die der Täter schon einmal als äußerst unangenehm („intensivst“ oder „grausamst“) erlitten hat, zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit führen. All dies war beim Angeklagten - auch nach den Ausführungen des Sachverständigen - nicht festzustellen. Allein der Umstand, dass ein deutlich unterhalb dieser Schwelle liegender allgemeiner „Suchtdruck“ beim Angeklagten möglicherweise mit den konzentrationsbeeinträchtigenden Symptomen einer Hyperkinetischen Störung zusammentraf, rechtfertigt insoweit keine andere Beurteilung.
2. Feststellungen zum Tatgeschehen
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Die Angeklagte haben sich zu den Tatvorwürfen jeweils weitgehend geständig eingelassen (dazu unten a). Die Kammer hat die geständigen Angaben im Rahmen einer umfangreichen Beweisaufnahme insbesondere an den Ergebnissen der durchgeführten Ermittlungshandlungen, darunter Observationen der Angeklagten, Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung und Sicherstellungen von Rauschmitteln, gemessen und durch Zeugenvernehmungen überprüft (dazu unten b). Die Angaben der Angeklagten haben durch die Beweisaufnahmen eine weitgehende Bestätigung und hinsichtlich der Einzelheiten eine Ergänzung erfahren. Eine bedeutsame Abweichung von der Einlassung des Angeklagten … ergab sich insoweit, als die Kammer sich entgegen dessen Angabe, er habe nach der Verhaftung des früheren Mitangeklagten … den Handel mit Drogen allein fortbetrieben, davon zu überzeugen vermochte, dass er stattdessen in den Fällen II.3.a und II.3.b sogar bandenmäßig zu Handeln begann; anderseits konnte sich die Kammer - entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft - nicht etwa auch davon überzeugen, dass eine Bande von Rauschmittelhändlern bereits zu früheren Zeitpunkten um den Angeklagten … bestand (dazu unten b.ff).
a) Einlassungen der Angeklagten
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(1) Der Angeklagte … hat zu Beginn des ersten Hauptverhandlungstags seine Verteidiger eine schriftlich vorbereitete Erklärung zu Sache verlesen lassen, deren Inhalt er als seine Angaben autorisierte.
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Danach treffe es dazu, dass er im Zeitraum zwischen Oktober 2018 und Januar 2019 „Haschischgeschäfte“ in M. tätigte. Zunächst habe er Kontakt mit dem gesondert Verfolgten … in B. gehabt, der ihm zehn Kilogramm Haschisch mit einem Kurier habe schicken wollen. Der Kurier sei aber nicht angekommen. Wie der Angeklagte später erfahren habe, sei der Kurier festgenommen worden … habe gleichwohl das Geld für die zehn Kilogramm - etwa 12.000 € - gefordert, weshalb es zum Streit zwischen ihm und dem Angeklagten gekommen sei.
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Stattdessen habe der gesondert Verfolgte nunmehr Kontakt zum gesondert Verfolgten … aufgenommen und bei diesem Haschisch bestellt. Im Folgenden habe … ihm mehrfach Haschisch aus B. - durch vier Einzellieferungen - geliefert. Die erste Lieferung habe Anfang bis Mitte November 2018 stattgefunden und zehn Kilogramm Haschisch zu einem Preis von 12.500 € betroffen. Eine zweite Lieferung von wiederum zehn Kilogramm zu einem Preis von 12.500 € sei im Anschluss an eine Ende November oder Anfang Dezember 2018 aufgegebene Bestellung geliefert worden. Wohl Ende Dezember 2018 habe … ihm dreizehn Kilogramm geliefert, wobei zuvor telefonisch über 20 Kilogramm verhandelt worden sei. Nach dieser Lieferung habe er nochmals acht Kilogramm Haschisch vom Angeklagten … geliefert erhalten; hier sei zuvor über den Ankauf von zehn Kilogramm gesprochen worden.
100
Als sich der Angeklagte gemeinsam mit dem Mitangeklagten … in B. aufgehalten habe, habe er einen Teil der im November und Anfang Dezember gelieferten Haschischmengen bezahlt. Am 22. Dezember 2018 habe er dem … 13.600 € übergeben, was teilweise Anzahlung für die Ende Dezember 2018 und teilweise Restzahlung für die bereits Anfang Dezember 2018 gelieferten Drogen gewesen sei. Bei Erhalt der Lieferung über acht Kilogramm - also der vierten Lieferung - habe er „noch den Rest für die 13 kg Haschisch“ bezahlt und „wiederum eine Anzahlung für das im Januar 2019 gelieferte Haschisch“ geleistet.
101
Die Rauschmittel, die er in verschiedenen Verstecken gelagert habe, habe er - teilweise gemeinsam mit den gesondert Verfolgten … und … - in M. in Mengen zwischen fünfzig und fünfhundert Gramm weiterverkauft. Der Angeklagte … sei ausschließlich sein „Lieferant“ und weder an der Durchführung der Verkäufe in M. noch den durch sie erzielten Gewinnen beteiligt gewesen. … habe ihm vielmehr jeweils den Preis für das Haschisch mitgeteilt, den der gesondert Verfolgte dann so bezahlt habe.
102
(2) Nachfragen der Verfahrensbeteiligten zu dieser geschlossenen Darstellung ließ der Angeklagte … im Grundsatz nicht zu. Allerdings ergänzte er im Verlauf der Hauptverhandlung teilweise die Angaben und beantwortete situationsabhängig auch vereinzelt Fragen.
103
So äußerte er sich im Rahmen seiner eigenen Angaben zu den persönlichen Verhältnissen zu seinen Tatmotiven. Danach leide seine Mutter an Herzbeschwerden; der Angeklagte habe sie finanziell unterstützen wollen. Dazu habe er sich auch zur Möglichkeit einer Kreditgewährung bei einer Sparkasse erkundigt, ein Darlehen aber nicht erhalten können. Jemand habe ihm dann den Rat erteilt, durch Drogenverkauf Geld zu verdienen. Auf Nachfrage des psychiatrischen Sachverständigen bestätigte er, den Mitangeklagten … im Sommer 2018 kennengelernt, erst später aber angefangen zu haben, mit ihm Drogen zu verkaufen. Der Mitangeklagte habe seinerseits „Familienprobleme“ gehabt und deshalb Geld benötigt.
104
Am Zweiten Hauptverhandlungstag ließ er seine Einlassung durch eine von ihm als seine Angaben autorisierte weitere Erklärung dahin ergänzen, dass er „im Wesentlichen“ Haschisch erworben habe. Im Übrigen habe er auch die am 21. Januar 2019 sichergestellten Cannabis-Produkte über … in B. bezogen.
105
Schließlich relativierte der Angeklagte am siebten Hauptverhandlungstag - angesprochen auf insoweit Zweifel weckende Inhalte der überwachten Kommunikation - dass die von ihm angegeben Zeiten und Mengen seiner Erinnerung entsprächen, er insoweit aber auch Irrtümer unterliegen könne. So könnten durchaus die in der Anklageschruft angenommenen Lieferdaten jeweils zutreffen. Denkbar sei auch, dass er am 18. Dezember 2019 lediglich fünf Kilogramm Haschisch und ein Kilogramm Marihuana erhielt; die Lieferung Ende Dezember könne auch nur zehn Kilogramm - statt dreizehn - umfasst haben.
106
Auch der Angeklagte … ließ seinen Verteidiger zunächst zu Beginn der Hauptverhandlung eine Erklärung zur Sache abgeben, die er als seine eigene Aussage autorisierte.
107
Danach räume er die Anklagevorwürfe, soweit sie zur Hauptverhandlung zugelassen wurden, in großem Umfang ein. Allerdings sei er nicht Mitglied einer Bande gewesen. Sein alleiniger Ansprechpartner sei vielmehr der Mitangeklagte … gewesen. Der Angeklagte sei aus seiner Sicht auch der einzige „Verkäufer“ des … gewesen. Der gesondert Verfolgte … habe als bloßer „Lieferant“ fungiert.
108
An die einzelnen Verkaufshandlungen habe er keine genauen Erinnerungen mehr. Die in der Anklageschrift genannten Größenordnungen träfen aber zu. Das gehandelte Haschisch habe er stets von … erhalten. Von diesem habe er auch ein altes Nokia-Mobiltelefon zur Abwicklung bekommen unter der Behauptung, dieses könne nicht abgehört werden. Mit der Zeit habe er einzelne Geschäfte auch eigenhändig abgewickelt, wobei ihm von … ein Preis von 300 € je 100 Gramm Haschisch vorgegeben gewesen sei, den er im Einzelfall auf bis zu 200 € habe senken dürfen. Am Tagesende habe … die verkauften Mengen kontrolliert und das erwirtschaftete Geld vom Angeklagten übernommen.
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Dass der Mitangeklagte … im in Zusammenhang mit einer gescheiterten Lieferung am 12. Oktober 2108 durch den gesondert Verfolgten … (Fall II.1.a.aa) ihn mit irgendwelchen Aufgaben beauftragt habe, erinnere der Angeklagte nicht.
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Der Aufenthalt des Angeklagten gemeinsam mit … zwischen dem 15. und den 17.12.2018 in B. habe der Verabredung eines Drogengeschäfts gedient. Bei dieser Gelegenheit sei an den Lieferanten Geld übergeben worden. Die Rauschmittel sollten später durch einen Kurier überbracht werden. Diejenigen Drogen, die am 17. Dezember polizeilich sichergestellt wurden, rührten dagegen - entgegen der Annahme in der Anklageschrift - aus einem älteren Bestand des Mitangeklagten ….
111
Den Mitangeklagten … habe der Angeklagte M. des Jahres 2018 kennengelernt. Dieser habe dem Angeklagten - zu einem ihm nicht mehr genau erinnerlichem - Zeitpunkt angeboten, für ihn Drogen zu verkaufen. Die Eltern des Angeklagten hätten sich zu dieser Zeit in einer schwierigen Lage befunden und geplant, von Jordanien nach Ägypten zu migrieren; der Angeklagte habe ihnen hierbei mit Geld helfen wollen. … habe dann auch als Gegenleistung Überweisungen über den Finanzdienstleister Western Union an die Eltern des Angeklagten geleistet. Der Angeklagte selbst habe von ihm Haschisch zum eigenen Konsum sowie teils Kleidung und das sichergestellte Mobiltelefon „iPhone XS max“ erhalten.
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Auf Nachfragen der Verfahrensbeteiligten machte der Angeklagte auch eigene Ausführungen. Dabei gab er an, die Zahlungen … an seine Eltern hätten insgesamt 3.000 € in vier Tranchen zwischen 600 € und 900 € umfasst; nach seiner Verhaftung sei es noch zu einer Zahlung in dem Angeklagten unbekannter Höhe gekommen. Der Umfang der Zahlungen sei dem Angeklagten aufgrund eines Telefonats mit seinen Eltern bekannt, das er aus der Haft führte. Der Angeklagte sei auch einmal selbst bei der Veranlassung einer Zahlung zugegen gewesen; … ihabe die Übertragung in einem Supermarkt veranlasst.
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Als sie am 17.12.2018 aus B. zurückgekehrten, seien die beiden Angeklagten zunächst zur Wohnung des … in G. gefahren. Später seien sie mit dem Taxi in die Innenstadt, wobei der Mitangeklagte 1,5 oder zwei Kilogramm Haschisch in 100-Gramm-Platten bei sich gehabt habe, die er dann an Treppenabgängen zu den „Stachus-Passagen“ versteckt habe. Der Angeklagte habe sich dann am Stachus aufgehalten und später - er denke gegen 20:00 Uhr - einen Anruf von … erhalten. Dieser habe ihn aufgefordert, 100 Gramm Haschisch an Endkunden zu übergeben. Der Angeklagte habe dann bei einem der Treppenabgänge die Drogen entnommen und sei mit diesen zum Treffpunkt, einem Fitnessstudio, gegangen; auf dem Weg sei er verhaftet worden. Die Drogenverstecke seien die Idee des Mitangeklagten gewesen. Von diesem habe er Anweisungen erhalten, welche Drogen er aus ihnen entnehmen und gegebenenfalls umlagern sollte.
114
Den früher Mitangeklagten … kenne der Angeklagte nicht. Die früher Mitangeklagten … und … seien Freunde des Angeklagten, die allerdings nur „mitgeraucht“ hätten; bei seinen Verkäufen von Rauschmitteln seien sie nicht dabei gewesen. Die Zeugin … sei die damalige Freundin des Angeklagten, die Zeugin … diejenige des Mitangeklagten … gewesen.
b) Sonstige Beweismittel und Gesamtwürdigung
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Die (überwiegend) geständigen Einlassungen der Angeklagten hat die Kammer im Rahmen einer umfangreichen Beweisaufnahme überprüft. Sie haben hierdurch eine weitgehende Bestätigung und zudem Ergänzung erfahren.
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Von erheblicher Bedeutung für die Beurteilung der Kammer waren dabei die Ergebnisse von mehreren Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung. Die auf diesem Wege aufgezeichneten Gesprächsinhalte hat die Kammer durch die Verlesung von zahlreichen Verschriftungen, teilweise nach Übersetzung aus dem Arabischen, Paschtu und Farsi ins Deutsche, zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht.
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Die für die Überzeugungsbildung der Kammer bestimmenden Erwägungen werden im Folgenden gegliedert nach den auf ihnen fußenden Feststellungen dargestellt. Dabei werden zunächst Feststellungen von einzelfallübergreifender Bedeutung dargestellt (sogleich aa), namentlich zum Hintergrund der durchgeführten Telekommunikationsüberwachung und der Sprecherzuordnung (aa.(1) und (2)), den verschiedenen Sicherstellungen von Rauschmitteln (aa.(3)), den gerichtlichen Schätzungen von Wirkstoffgehalten und Eigenkonsummengen (aa.(4) und aa.(5)), sowie zum Umsatz von anderen Substanzen als Haschisch (aa.(6) und (7)). Im Anschluss werden die Grundlagen der Feststellungen zu den einzelnen Tathandlungen der Angeklagten erläutert (bb bis ee), bevor die Feststellungen zum - erst zuletzt - Bildung einer Bande um den Angeklagten … häher dargestellt werden (ff)
aa) Einzelfallübergreifende Feststellungen
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Erkenntnisse von einzelfallübergreifender Bedeutung konnte die Kammer dabei insbesondere aus den Angaben der Zeugen Kriminalhauptmeister … und Kriminalhauptkommissar … die als hauptsachbearbeitende Ermittlungsbeamte zahlreiche Ermittlungshandlungen aus eigener Kenntnis erläutern konnten, sowie den Ergebnissen der Telekommunikationsüberwachung gewinnen.
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(1) Insoweit wurden die - aufgrund einer durchgeführten Personenkontrolle bekannten - vom Angeklagten … genutzten beiden Mobilfunkendgeräte seit dem 20. November 2018 überwacht. Im Rahmen einer Observation des Angeklagten … am 30. November 2018 konnte festgestellt werden, dass er, während er sich im Bereich des Stachus in M. aufhielt und Kontakt mit verschiedenen Personen hatte, wiederholt Handlungsanweisungen über einen Mobilfunkanschluss mit der Nummer … von einer - später als der Angeklagte … identifizierten - Person erhält, die in den Gesprächen als „…“ angesprochen wird. Dabei gibt der Gesprächspartner dem Angeklagten Anweisungen, von als „Blumen“ oder „Baustelle“ bezeichneten Örtlichkeiten Gegenstände zu holen und umzulagern. Die vom Angeklagten … im Anschluss an solche Anweisungen angelaufenen Örtlichkeiten, ein Bauzaun in der … und eine Hecke am … wurden noch während der laufenden Observation durch Polizeikräfte kontrolliert. Dabei wurden Rauschmittel aufgefunden, nämlich:
- in einem Versteck am Bauzaun vier Haschisch-Platten mit einem Gesamtgewicht von 383,63 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 8 Gewichtsprozent THC, was (abgerundet) 30,6 Gramm THC entspricht;
- an der Hecke versteckt insgesamt zehn Haschisch-Platten mit einem Gesamtgewicht von 954,48 Gramm und gleichfalls einem Wirkstoffmindestgehalt von 8 Gewichtsprozent THC, was 76,3 Gramm THC entspricht.
120
Ab dem 14. Dezember 2018 wurde auch der Anschluss mit der Nummer … überwacht - wie zudem ein weiterer Anschluss mit der Nummer … über den sich „Kamran“ beim Angeklagten … gemeldet hatte. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen wurden auch die Endgeräte überwacht, die mit SIM-Karten der Anschlüsse des „…“ genutzt wurden. Im Rahmen dieser Maßnahmen wurde die Nutzung eines weiteren Mobilfunkanschlusses mit der Nummer … durch den „…“ festgestellt, der im Folgenden gleichfalls überwacht wurde. Über diesen Anschluss hatte er Kontakt insbesondere mit einer sich nach den Gesprächsinhalten in B. aufhaltenden und als „…“ angesprochenen - später als der früher Mitangeschuldigte … identifizierten - Person, die den Mobilfunkanschluss mit der Nummer … nutzte; auch dieser Anschluss wurde daraufhin überwacht. Die durch die Kammer in die Hauptverhandlung eingeführten Gesprächsverschriftlichungen resultieren aus diesen Überwachungsmaßnahmen.
121
(2) Hinsichtlich der Sprecherzuordnung gilt dabei Folgendes:
122
(a) Der Angeklagte … konnte bereits in Rahmen von Observationen am 5. und 17. Dezember 2018 als Kontaktperson des Angeklagten … festgestellt und auch fotografiert werden; der sowohl an den Observationsmaßnahmen als auch der Festnahme des Angeklagten … am 21. Januar 2019 beteiligte Zeuge … konnte dabei in dem Festgenommenen die vorher festgestellte Person erkennen. Dafür, dass der Angeklagte … mit dem in der überwachten Kommunikation als „…“ auftretenden Sprecher personenidentisch ist, spricht insbesondere, dass die beiden Angeklagten am Vormittag des 17. Dezember 2018 am Münchener Hauptbahnhof beim Verlassen eines Zuges aus B. festgestellt wurden, nachdem aus den Inhalten von Gesprächen und erhobenen Standortdaten ersichtlich war, dass der Angeklagte … und „…“ sich am vorangehenden Wochenende in B. aufgehalten hatten. Vom Bahnhof fuhren beide zum Anwesen … in G. bei M., der damaligen Melde- und Wohnanschrift des Angeklagten …. Nach dorthin wurde über den überwachten Anschluss mit der Nummer … am Nachmittag ein Taxi bestellt, das von den beiden Angeklagten bestiegen wurde. Im Folgenden hielten sich beide im Bereich des Stachus auf, wo sie - wie bereits am 5. Dezember 2018 - auch wiederholt die Treppenabgänge zu den „Stachus-Passagen“ im Zwischengeschoss des U-Bahnhofs Stachus anliefen. Spätere Kontrollen der Handläufe an diesen Abgängen führten zu Sicherstellungen von zahlreichen Haschischplatten. Die im Rahmen dieser Observationsmaßnahme erfolgte Festnahme des Angeklagten … thematisiert naheliegend der Nutzer des überwachten Anschlusses … mehrfach gegenüber insbesondere dem „…“. So erwähnt er in einem Gespräch am 19. Dezember 2018, 10:32 (Gesprächs-ID …), mit den Feststellungen bei der Observation vom 17. Dezember 2018 übereinstimmende Vorkommnisse:
123
Ich habe an dem Tag vier Mal von der Ablagestelle Ware geholt, beim fünften Mal hatte ich ein seltsames Gefühl, dann habe ich dem Araber gesagt, er solle die Ware holen, er hat sich zuerst geweigert, als ich ihn dann mehrmals gebeten habe, ist er gegangen und gleich von der Polizei verhaftet worden.
124
Schließlich war aus durch die Überwachung der dem „…“ zugeordneten Mobilfunkanschlüsse gewonnenen Gesprächsinhalten und Standortdaten ein dem 21. Januar 2019 vorangehender Aufenthalt des Nutzers in B. und dessen Rückreise an diesem Tag mit - ab Augsburg - einem Taxi anzunehmen. Aufgrund dieser Informationen konnte das Taxi durch Observationskräfte bei der Anfahrt auf das Anwesen … in M. festgestellt werden, das der im Anschluss festgenommene … dann auch mit einer Sporttasche betrat. Die Tasche, die Rauschmittel enthielt, wurde in einem Kellerabteil des Anwesens aufgefunden.
125
(b) Auf die Personenidentität des früher Mitangeschuldigten … mit dem im Rahmen der überwachten Gespräche als „…“ auftretenden Sprecher schlossen die Ermittlungsbehörden namentlich daraus, dass dieser nach Mitteilung von Polizeikräften der „EG Alex“ der B.er Polizei, die am 20. Januar 2019 auf Ersuchen der Münchener Ermittler eine Observation vornahmen, festgestellt werden konnte, als er sich kurz nach dem Eintreffen des Angeklagten … der Zielperson der Observationsmaßnahme, in B. mit diesem traf. Den B.er Beamten war der frühere Mitangeschuldigte … aufgrund der damals regelmäßigen Bestreifung des Alexanderplatzes als Treffpunkt von jungen Männern aus Afghanistan bereits zuvor persönlich bekannt. Schließlich konnte im Rahmen der Überwachung des dem „…“ zugeordneten Anschlusses - so der die Auswertung vornehmende Zeuge … - auch ein Gespräch aufgezeichnet werden, in dem der Nutzer des überwachten Anschlusses seinem Gesprächspartner auf die Frage, unter welchem Namen er einen Messangerdienst nutze, „…“ antwortet.
126
(c) Dass es sich bei dem früher Mitangeschuldigten … um die in der überwachten Kommunikation als „…“ bezeichnete Person handelt, die mit dem Angeklagten …, insbesondere über Vorgänge spricht, in denen die Kammer die Lieferfahrt des gesondert Verfolgten Zeugen … erkennt, wird zunächst dadurch nahegelegt, dass der Zeuge … selbst den Angeklagten … als denjenigen benannte, der ihm den bei ihm am 12. Oktober 2018 aufgefundenen Koffer mit Rauschmitteln übergab, wobei das bei der Festnahme vom Zeugen … mitgeführte Mobiltelefon - so der dieses auswertende Zeuge … - bis jedenfalls 13:26 Uhr des 12. Oktober 2018 in eine W-LAN mit der Bezeichnung „FRITZ! Box … eingewählt war. Die Bekanntschaft zwischen dem Zeugen … und dem früher Mitangeschuldigten … die nahelegt, dass es sich bei dem die Vorkommnisse in Zusammenhang mit … erörternden Gesprächsteilnehmer „…“ um den Angeklagten … handelt, fand schließlich auch … in dem Umstand, dass im Rahmen der Durchsuchung der Wohnung des … der Reisepass und die Bankkarte des Zeugen … und ein dessen Konto betreffender Einzahlungsbeleg aufgefunden wurden.
127
(d) Dass es sich bei den früheren Mitangeschuldigten … und … um die Nutzer der diesen von den Ermittlungsbehörden zugeschrieben Anschlüsse handelte, ergab sich zur Überzeugung der Kammer namentlich aus Telefongesprächen, in denen diese den Angeklagten … von der Festnahme des früheren Mitangeklagten … in Kenntnis setzen. Die früheren Mitangeschuldigten … und … waren bei dieser Festnahme, wie der Zeige Polizeiobermeister … berichtete, zugegen und geben in der Kommunikation entsprechende Schilderungen ab. Insbesondere aus dem Inhalt dieser Gespräche ist auch ersichtlich dass es sich bei der von den Gesprächsteilnehmern als „…“ oder „…“ bezeichneten Person um den früheren Mitangeklagten … handelt.
128
Soweit im Folgenden auch vereinzelt Gespräche unter Beteiligung des früheren Mitangeschuldigten … Erwähnung finden, kommt es auf dessen - freilich schon wegen seiner Anwesenheit bei der Festnahme des Angeklagte … durchaus plausiblen - Identifizierung als die in der Kommunikation als „…“ bezeichnete Person für die Schlussfolgerungen der Kammer nicht durchgreifend an; im Interesse der besseren Nachvollziehbarkeit der Darstellung wird die Zuschreibung der Ermittlungsbehörden in Folgenden übernommen.
129
(e) Insgesamt wurden - so die Zeugen … und … - während des Überwachungszeitraums weder von ihnen noch den mit der Übertragung der - teils in Paschtu, Dari oder Farsi geführten - Gespräche ins Deutsche betrauten Übersetzern Auffälligkeiten wahrgenommenen, die die Möglichkeit eines Wechsels des dauerhaften Nutzers der den jeweiligen Personen zugeordneten Anschlüssen nahelegten.
130
Bei der Kammer sind damit insgesamt keine begründeten Zweifel an der Richtigkeit der Sprecherzuordnung durch die Ermittlungsbehörden aufgekommen.
131
(3) Im Rahmen der Ermittlungen kam es neben der anlässlich der Observation vom 20. November 2018 getätigten (oben (1)) zu weiteren Sicherstellungen von Rauschmitteln, die jeweils durch das Kriminaltechnische Institut des Bayerischen Kriminalamts dünnschichtchromatograhisch und gaschromatographisch auf ihre Wirkstoffgehalte untersucht wurden; der Ergebnisse der Analysen hat sich die Kammer durch die Verlesung der hierzu erstellten schriftlichen Gutachten versichert.
132
Im Einzelnen handelt es sich um nachfolgende Sicherstellungen:
- Anlässlich der Festnahme des gesondert Verurteilten … am 12. Oktober 2018 wurden in dem von diesem mitgeführten Gepäckstück die in den Feststellungen zu dieser Tat erwähnten insgesamt 100 Platten Haschisch mit einem Gesamtgewicht von 9.601,9 Gramm und einen Wirkstoffmindestgehalt an THC von jeweils 10,3 Gewichtsprozent, was einem Wirkstoffanteil von 988 Gramm THC entspricht, aufgefunden.
- Im Rahmen einer vom Zeugen … erläuterten Observation der Angeklagten am 5. Dezember 2019 konnten versteckt hinter den Handläufen verschiedener Treppenabgänge der „Stachus-Passagen“ zum Zwischengeschoss der U-Bahnstation Stachus, die von den Angeklagten mehrfach angelaufen wurden, eine Platte Haschisch mit einem Gewicht von 94,33 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 0,63 Gewichtsprozent THC, was 0,59 Gramm THC entspricht, acht Platten, eine hiervon in der Mitte durchgebrochen, mit einem Gesamtgewicht von 712,18 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 8 Gewichtsprozent THC, was 56,9 Gramm THC entspricht, und weitere acht Platten mit einem Gesamtgewicht von 742,23 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 13,4 Gewichtsprozent THC, was 99,4 Gramm THC entspricht, insgesamt also 1.548,74 Gramm Haschisch mit einem Anteil an THC von wenigstens 156,8 Gramm aufgefunden werden.
- Im Rahmen der zur Festnahme des Angeklagten … führenden Observation am 17. Dezember 2019 wurden in solchen Handläufen dann zwei Haschisch-Platten mit einem Gesamtgewicht von 182,99 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 8 Gewichtsprozent THC, was 14,6 Gramm THC entspricht, und weitere 17 Platten, eine hiervon in der Mitte durchgebrochen, mit einem Gesamtgewicht von 1.573,59 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 13,1 Gewichtsprozent THC, was 206,1 Gramm THC entspricht, insgesamt also 1.756,58 Gramm Haschisch mit einem Anteil an THC von wenigstens 220,7 Gramm THC aufgefunden. Daneben wurde in der Jackentasche des Angeklagten … eine weitere, nach der abgehörten Telekommunikation für die unmittelbare Übergabe an einen Kunden bestimmte Haschisch-Platte mit eine Gewicht von 94,23 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 13,1 Gewichtsprozent THC, was 12,3 Gramm THC entspricht, aufgefunden.
- Anlässlich der Festnahme des früheren Mitangeschuldigten … (näher dazu unten ee.(3)(f)) wurden drei Platten Haschisch mit einem Gesamtgewicht von 277,82 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 4,8 Gewichtsprozent THC, was 13,33 Gramm THC entspricht, sichergestellt;
- Schließlich wurden bei der Festnahme des Angeklagten … in einem von ihm kurz zuvor aufgesuchten Kellerabteil des Anwesens … in M. 30 Platten Haschisch mit einem Gesamtgewicht von 2.882,30 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 13,9 Gewichtsprozent THC, was 400,6 Gramm THC entspricht, weitere 20 Platten mit einem Gesamtgewicht von 1.905,52 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 14,0 Gewichtsprozent THC, was 266,7 Gramm THC entspricht, sowie Marihuana mit einem Gesamtgewicht von 1.926,15 Gramm und einem Wirkstoffmindestgehalt von 10,8 Gewichtsprozent THC, was 208,0 Gramm THC entspricht aufgefunden. Daneben wurden in dem Kellerabteil auch 36 rosafarbene und 352 lilafarbene Tabletten mit für Ecstasy-Tabletten typischen Logoprägungen („FC Barcelona“ und „Chanel“) aufgefunden, die sich aber bei der chemischen Analyse als hauptsächlich aus Calciumhydrogenphosphat bestehend und frei von Betäubungsmitteln herausstellten. Die Tabletten waren - so der an der Durchsuchung beteiligte Zeuge … - in einer Tüte außerhalb der Tasche, die die Cannabis-Produkte beinhaltete und die der gesondert Verfolge … bei seinem Eintreffen mit sich gehabt hatte, aufgefunden worden, weshalb die Kammer es - trotz auf ein Aufsuchen von „Tabletten“ durch den früheren Mitangeschuldigten … im Vorfeld des 21. Januar 2019 hindeutende Kommunikation - als unwahrscheinlich bewertet, dass die aufgefundenen Tabletten Teil der Rauschmittelmenge waren, die der unmittelbar zuvor in B. erworben hatte.
133
(4) Die Wirkstoffgehalte der sichergestellten Rauschmittelmengen waren Ausgangspunkt für die von der Kammer im Wege einer Schätzung unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 07.12.2011 - 4 StR 517/11, NStZ 2012, 339, m.w.N.) vorgenommene Bestimmung des Wirkstoffgehalts der endgültig in den Verkehr gebrachten Mengen.
134
Der von der Kammer - im Anschluss an die Anklageschrift - angenommene Mindestwirkstoffgehalt von regelmäßig fünf Gewichtsprozent THC liegt dabei unterhalb dessen, was in den sichergestellten Mengen weit überwiegend tatsächlich nachgewiesen werden konnte. Da andererseits aber einzelne sichergestellte Mengen auch einen unterhalb von fünf Gewichtsprozent liegenden Wirkstoffanteil aufwiesen, eine Platte sogar einen sehr geringen Wert von nur 0,63 Gewichtsprozent, ohne dass im Einzelnen nachvollzogen werden konnte, aus welcher Quelle die Rauschmittel bezogen wurden, hielt die Kammer gleichwohl eine vorsichtige Schätzung für geboten. Dass indes die von den abgeurteilten Fällen betroffenen Rauschmittel bei einer Mischbetrachtung Wirkstoffgehalten von sogar unter fünf Gewichtsprozent aufgewiesen haben könnten, schließt die Kammer aus, zumal dann zu erwarten gewesen wäre, dass die schlechte Qualität in den Gesprächen der Beteiligten, die auch sonst die Rauschmittelgüte teilweise thematisieren, Erwähnung gefunden hätte.
135
Etwas anderes gilt allerdings in Fall II.1.a.bb. Angesichts der Sicherstellung zweiter Teilmengen aus dieser Lieferung, die jeweils Wirkstoffmindestgehalte von 8 Gewichtsprozent und mehr aufwiesen, schließt die Kammer aus, dass der durchschnittliche Wirkstoffgehalt der Gesamtmenge diesen Wert unterschritten haben könnte.
136
(5) Auch die Feststellungen dazu, der Angeklagte … habe beim Erwerb der im Grundsatz zum Weiterverkauf bestimmten Cannabis-Produkte bereits die Entnahme eines Anteils von zehn Prozent einkalkuliert, um diese als Entlohnung für ihre Mitarbeit insbesondere an den Mitangeklagten … und den früheren Mitangeklagten … zu deren eigenem Konsum weiterzugeben, beruhen hinsichtlich der mengenmäßigen Abgrenzung auf einer Schätzung unter Beachtung des Zweifelssatzes (vgl. BGH Beschlüsse vom 22.01.2013 - 1 StR 619/12; und vom 19.09.2001 - 3 StR 268/01, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 5).
137
Dabei hat die Kammer in den Blick genommen, dass zwar der Angeklagte … selbst keine Cannabis-Produkte konsumierte, der Konsum jedenfalls des Mitangeklagten … aber einen erheblichen Umfang hatte und mit diesem zudem - wie die Zeuginnen … und … bestätigten - weitere Personen konsumierten; beim früheren Mitangeklagten … lag ein ähnliches Muster nicht fern. Die Annahme der Anklageschrift freilich, es könnten sogar „ca. 1/4 des Haschisch“ (S. 6 der Anklageschrift) zum Eigenkonsum bestimmt gewesen sein, erscheint angesichts des Umfangs der hier umgesetzten Drogen weit übersetzt. Die Kammer schließt vielmehr aus, dass der Angeklagte … mehr als zehn Prozent der angekauften Mengen für den Eigenkonsum seiner Helfer oder sonstige kostenlose Abgaben eingeplant haben könnte.
138
(6) Die Zeugen … und … konnten der Kammer aufgrund ihrer durch die Auswertung der Verschriftungen gewonnenen Kenntnisse über die Inhalte der überwachten Telekommunikation auch grundlegende Erkenntnisse zu den so möglichen Rückschlüssen auf die Art des Weiterverkaufs der Drogen in M. vermitteln. Danach ergaben sich aus der Telekommunikation zahlreiche naheliegend Anfragen von Käufern betreffende Telefonate, die überwiegend an den Angeklagten … gerichtet waren. Dieser vereinbarte teilweise selbst Treffen mit den anfragenden Kunden; teilweise erteilte er dem Mitangeklagten … und dem früher Mitangeklagten … Aufträge zu Entnahme von Rauschmitteln aus Bunkerörtlichkeiten und zu Treffen mit den anfragenden Kunden. Diese Feststellungen decken sich mit den eigenen Angaben der Angeklagten, an deren Richtigkeit insoweit auch sonst keine Zweifel geweckt wurden.
139
Die Kammer hat daneben zu den dem Angeklagten … von der Anklageschrift im einzelnen vorgeworfenen Abgabehandlungen Verschriftungen von aufgezeichneten Telekommunikationsereignissen durch Verlesung eingeführt, um den Umfang von dessen Tatbeitrag im Einzelnen aufzuklären (vgl. dazu unten dd).
140
Eine darüberhinausgehende Feststellung der in der Anklageschrift im einzelnen aufgeführten Abgabehandlungen erschien der Kammer dagegen zur Aufklärung der vom Angeklagten … begangenen Taten nicht erforderlich, nachdem die Abgabehandlungen jeweils unselbständige Teile der nach den Feststellungen von diesem bereits durch die Ankaufshandlungen verwirklichten Taten des Handeltreibens mit den jeweils durch die Ankaufsmengen bestimmten Bewertungseinheiten waren und über die Ermittlungsbeamten sein - vom Angeklagten auch nicht abgestrittener - sowohl andere Personen dirigierenden als auch unmittelbar selbst Abgaben durchführender Beitrag allgemein aufgeklärt werden konnte.
141
Auch soweit die Kammer Verschriftungen zu den Telekommunikationsereignissen durch Verlesung eingeführt hat, aus denen die Ermittlungsbehörden eine Beteiligung der früheren Mitangeschuldigten … und … als - neben dem Angeklagten … und dem früheren Mitangeschuldigten … - „Läufer“ annahmen, war eine Rekonstruktion der einzelnen Geschäfte unter deren Beteiligung nicht etwa zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung geboten. Die auf dieser Grundlage gewonnenen Erkenntnisse über die - von der Staatsanwaltschaft noch im Schlussvortrag angenommenen - durchgehende Einbindung der früheren Mitangeschuldigten in eine um den Angeklagten … gruppierten Bande werden gesondert dargestellt (unten ee).
142
Kein Bedürfnis zur detaillierten Feststellung weiterer Abgabehandlungen ergab sich auch daraus, dass mit der Anklageschrift teilweise Verkäufe von Marihuana angenommen werden (Fälle I.41, I.42, I.53, 1.54, I.56, I.58, I.59, I.65 und I.67 der Anklageschrift), die in ihrer Summe nicht vollständig aus der am 18. Dezember 2018 erhaltenen Menge von - so die vom Anklagevorwurf abweichende Feststellung der Kammer - nur einem Kilogramm Marihuana stammen können. Denn jedenfalls in Fall 1.65 der Anklageschrift erwies sich die Annahme, hier seien 550 Gramm Marihuana verkauft und übergeben worden, als von den Ermittlungsergebnissen nicht gedeckt. Denn die Individualisierung dieses Geschäfts beruht - wie die mit der Auswertung betrauten Ermittlungsbeamten erläutern konnten - auf dem Inhalt eines Telefonats, das der Angeklagte … am 9. Januar 2018 mit dem früheren Mitangeschuldigten … führte. In diesem erklärt … er habe „fünfeinhalb Tachta“ einer als „Hotelier“ bezeichneten Person gegeben. Dafür, dass der Ausdruck „Tachta“, der ins Deutsche übersetzt eine Platte oder Tafel bezeichnet, hier nicht - wie es auch sonst der Ausdeutung durch die Ermittlungsbehörden entsprach - Haschisch, sondern Marihuana bezeichnet haben könnte, spricht nichts. Stattdessen liegt nahe, dass der Anklagesatz (jedenfalls) insoweit aufgrund einer Nachlässigkeit bei seiner Abfassung die Cannabisprodukte verwechselt. Bereits nach Abzug dieser Menge lassen sich aber die sonst im Anklagesatz angeführten Marihuana-Teilmengen insgesamt aus der am 8. Dezember 2018 gelieferten Menge erklären.
143
(7) Nähere Aufklärung bedurften allerdings die Fälle I.39 und 1.41 der Anklageschrift, in denen dem Angeklagten … der Verkauf von (auch) Ecstasy-Tabletten vorgeworfen wird, zu denen die Kammer einen bestimmten Ankaufsvorgang nicht feststellen konnte. Auch insoweit standen der Kammer als Erkenntnisquelle, nachdem die an den Geschäften mutmaßlich beteiligten gesondert Verfolgten … und … von der Kammer hierzu nicht gehört werden konnten, allein die Inhalte der überwachten Telekommunikation zur Verfügung. Die Verschriftungen auch der insoweit maßgeblichen Gespräche hat die Kammer verlesen. Hieraus ließen sich für die beiden betroffenen Vorgänge nachfolgende Erkenntnisse gewinnen:
- Am 30. Dezember 2018 (Fall I.39 der Anklageschrift) meldet sich um 21:00 Uhr (Gesprächs-ID …) der frühere Mitangeschuldigte … beim Angeklagten … um sich bei diesem nach „Kopfschmerztabletten“ zu erkundigen; eine nicht bezeichnete Person brauche „5.000 oder 10.000“. Auf die Erwiderung … es seien lediglich „450 oder 500“ da, bietet dieser zwar an, die „Tabletten“ zu besorgen, wenn die Person „Geld zeige[…]“. Abschließend äußert … aber, er werde „reden“ und sich nochmals melden. Das in Aussicht gestellte Folgegespräch war nicht mehr festzustellen. Auch Gespräche, die auf ein zeitnahes Bemühen … eine derart erhebliche Menge an „Tabletten“ zu erlangen, schließen ließen, waren nicht festzustellen.
144
Angesichts dessen blieb aber offen, ob es zu dem zunächst nur unverbindlich angefragten Geschäft über (naheliegend) Ecstasy-Tabletten im Folgenden gekommen ist oder sich die Beteiligten wenigstens noch verbindlich zu dessen Vornahme verabredeten. Für die der Anklageschrift - soweit nachvollziehbar - zugrundeliegende Annahme, … oder die unbekannte Person würden jedenfalls 450 Ecstasy-Tabletten letztlich erworben haben, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Weder existiert ein Erfahrungssatz, wonach ein Rauschmittelerwerber der - nahliegend in der Absicht des Weiterverkaufs - eine (sehr) große Drogenmenge zu erwerben wünscht, selbst weniger als ein Zehntel umfassende Teilmengen akzeptieren werde, noch erscheint dies auch nur lebensnah.
- Zu Fall I.41 der Anklageschrift boten eine Reihe von Gesprächen zwischen dem Angeklagten … und dem früheren Mitangeklagten … am Nachmittag des 4. Januar 2019 Anhaltspunkte. Dabei versichert sich … zunächst in einen Gespräch um 14:27 Uhr (Gesprächs-ID …), ob aktuell „50 Gramm Grüne, zwei Tachta Schwarze, zehn Tabletten“ benötigt würden. In einem Gespräch um 14:54 Uhr (Gesprächs-ID … gibt … auf Nachfrage des Angeklagten … an, er habe „Marihuana und Tabletten […] in eine[…] Tüte und die schwarze Ware in eine andere Tüte“ gegeben. Aus einem Gespräch um 15:05 Uhr (Gesprächs-ID …) ergibt sich dann, dass die beiden sich zeitnah an der Trambahnhaltestellte Hauptbahnhof-Nord treffen wollen. Die Kammer gewinnt - mangels entgegenstehender weiterer Gesprächsinhalte - hieraus auch die Überzeugung, dass es zu dem Treffen und der Verkauf der Drogen an einen in den Gesprächen nicht benannten Abnehmer in der Folge auch tatsächlich kam. Die oben unter II.2.b getroffenen Feststellungen beruhen auf diesen Schlossfolgerungen.
- Die Annahme der Kammer, es habe sich bei den Tabletten nicht ausschließbar um wirkstofflose Imitate gehandelt, die sowohl der Angeklagte … als auch sein Abnehmer für Ecstasy-Tabletten (mit dem Wirkstoff MDMA) hielten, beruht zum einen auf dem Umstand, dass bei der Durchsuchung des Kellerabteils im Anwesen … im Zuge der Festnahem des Angeklagten … am 21. Januar 2019 - wie erwähnt - auch insgesamt 388 Tabletten mit für Ecstasy-Tabletten typischen Logoprägungen aufgefunden wurden, die sich aber bei der chemischen Analyse als frei von Betäubungsmitteln herausstellten. Die Tabletten waren - so der an der Durchsuchung beteiligte Zeuge … - in einer Tüte außerhalb der Tasche aufgefunden worden, die die zugleich aufgefundenen Cannabis-Produkte beinhaltete und die der Angeklagte … bei seinem Eintreffen mit sich gehabt hatte. Es liegt daher wie bereits erwähnt - entgegen der Annahme der Anklageschrift - nicht nahe, dass der Angeklagte … diese Tabletten bei seinem Aufenthalt in B. ab dem 18. Januar 2018 erworben hatte. Angesichts des noch überschaubaren zeitlichen Abstands zum 4. Januar 2019 erscheint es auch als nicht allein denktheoretische Möglichkeit, dass die am 4. Januar 2019 abgegeben 50 Tabletten aus derselben größeren Menge stammten, wie die am 21. Januar 2019 aufgefundenen, zumal die aufgefunden Menge und die verkaufen 50 Tabletten zusammen nahezu genau das ergeben, was der Angeklagte … am 30. Dezember 2020 als noch vorhanden bezeichnete.
- Im Hinblick auf eine etwaige Kenntnis des Angeklagten … vom Fehlen eines Rauschstoffs in den Tabletten, spricht aus der überwachten Telekommunikation, insbesondere aus Anfragen des Angeklagten … an den früheren Mitangeschuldigten … dieser möge sich wegen der großen Nachfrage nach „Tabletten“ umsehen, nichts dafür, dass er trotz der damit verbundenen Gefahr, seine Abnehmer, mit denen er überwiegend regelmäßig Geschäfte betrieb, durch die Überlassung von Imitaten zu verärgern, bewusst mit Ecstasy-Imitaten gehandelt haben könnte. Die Kammer ist daher überzeugt, dass er jedenfalls zum Zeitpunkt der Abgabe von 50 Tabletten in dem Glauben handelte, diese würden den Wirkstoff MDMA enthalten.
145
Freilich führten der Angeklagte und der frühere Mitangeklagte … die in einem nicht näher feststellbaren Vorgang erworbenen Ecstasy-Imitate im Rahmen des Verkaufsvorgangs am 4. Januar 2019 teilweise zu einem einheitlichen Verkaufsvorrat mit Teilen der zuvor - am 18. Dezember 2019 - gemeinsam erworben Marihuana- und Haschischmengen zusammen, so dass die Ecstasy-Imitate insgesamt Teil derselben Bewertungseinheit wurden (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 13.02.2019 - 4 StR 12/19; und vom 28.5.2018 - 3 StR 95/18).
bb) Einzelne Rauschmittelankäufe
146
Die die geständige Einlassung des Angeklagten … bestätigenden Feststellungen und ergänzenden Feststellungen der Kammer zu den einzelnen Rauschmittelankäufen durch ihn beruhen maßgeblich auf dem Inhalt der überwachten Telekommunikation, der insbesondere durch die Angaben mehrere Zeugen ergänzt wurde, darunter auch diejenigen des Kuriers ….
(1) Lieferung vom 12. Oktober 2018
147
(a) Zu der unter dessen Mitwirkung in Angriff genommenen, letztlich gescheiterten Rauschmittellieferung vom 12. Oktober 2018 (Fall II.1.a.aa) hat der - in dem wegen dieses Sachverhalts gegen ihn geführten Strafverfahren seit November 2019 rechtskräftig wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilte - gesondert Verfolgte … Angaben gemacht, die sich mit der geständigen Einlassung des Angeklagten … decken. Danach habe der frühere Mitangeschuldigte …, der selbst gegenüber der Kammer umfassend von einem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch machte, dem Zeugen das Gepäckstück, in dem später anlässlich der polizeilichen Kontrolle des Zeugen am Hauptbahnhof in M. Drogen aufgefunden wurden, mit dem Auftrag übergeben, dieses in M. einem „…“ auszuliefern. Hierzu habe … ihm auch ein Foto des „…“ gezeigt, das sich auf seinem Mobiltelefon befunden habe. Der Zeuge habe sich letztlich, nachdem er durch … zu spät darauf hingewiesen worden sei, dass er bereits am Bahnhof Pasing hätte aussteigen sollen, am M.platz in M. mit … treffen sollen. Der Zeuge habe mit dem „…“ auch telefoniert als er schon in M. gewesen sei, bevor er schließlich einer polizeilichen Kontrolle unterzogen wurde, zu der die Kammer auch den Zeugen Polizeihauptmeister … gehört hat.
148
(b) Der Zeuge Kriminalhauptmeister … berichtete hierzu auch über die Ergebnisse seiner Auswertung des beim Zeugen … anlässlich seiner Festnahme sichergestellten Mobiltelefons. Danach hatte dieser am 12. Oktober 2018 vor und nach seiner Festnahme um 20:41 Uhr zahlreiche Anrufe auch von dem Angeklagten … zuzuordnenden Anschlüssen erhalten. So wird vom Anschuss … dreimal um 23:34 Uhr, 23:43 Uhr und 24:00 Uhr erfolglos versucht, den … anzurufen; um 21:32 Uhr kommt es zu einem Anrufversuch vom Anschluss …. Vor allem aber wird vom Mobiltelefon des Zeugen … der zuletzt genannte Anschluss um 20:33 Uhr angerufen und es kommt zu einem Gespräch von 31 Sekunden Dauer.
149
(c) Weitere Hinweise auf die Durchführung und den Hintergrund dieser Lieferung konnten schließlich aus den Inhalten einzelner überwachter Telefongespräche gewonnen werden. So spielt etwa der Angeklagte … naheliegend in einem Gespräch mit dem früheren Mitangeschuldigten … am 14. Dezember 2018, 22:00 Uhr (Gesprächs-ID …), auf die gescheiterte Lieferung an, als er dort ausführt:
150
… Ich habe seit dem Vorfall mit dem Inder den Verdacht gegen ihn, weil … den Inder mit zehn Kilo Ware in den Zug gesetzt hat und die Polizei den Inder vor der Tür im Zug mit sieben Kilo Ware erwischt hat. Wo sind die drei Kilo geblieben und woher weiß die Polizei, wie der Kurier aussieht, wo er sitzt und was er bei sich hat? Weißt du wie ich das mit dem sieben Kilo weiß? Es wurden schon zwei Kuriere erwischt, einer von ihnen war … der rief mich an und sagte, dein Kurier wurde mit sieben Kilo erwischt. Sie haben den Inder mit dem … zusammengesperrt gehabt. Das kann nur … sein, der das der Polizei durchgesteckt hat. Von mir hat er für zehn kassiert und in der Tasche waren nur sieben Kilo drin, dieser Arsch.
151
Dafür, dass es sich bei der in diesen Gesprächen durch den Angeklagten … thematisierten Lieferung um diejenige handelte, die der Zeuge … vornahm, spricht neben der Bezugnahme auf einen „Inder“ als Kurier und dessen Festnahme direkt am Zug auch der - vom Zeugen Vorlauff erläuterte - Umstand, dass die beim Zeugen … aufgefundenen Drogen zunächst mit einer ungeeichten Waage durch die kontrollierenden Beamten gewogen worden waren und auf dieser Grundlage irrtümlich von einem Gewicht der einzelnen Pakete von etwa 800 Gramm und insgesamt damit von - zwar nicht sieben aber - etwa acht Kilogramm ausgegangen und dem Zeugen … ein entsprechender Verdacht eröffnet worden war. Anhaltspunkte, dass alle drei Gesichtspunkte - Festnahme, indischer Kurier, Verdacht einer Mankolieferung - in einem weiteren Fall zusammengetroffen haben könnten, ergaben sich nicht. Der in dem Gespräch erörterte Vorgang gibt zudem eine Erklärung für den auch vom Angeklagten … angegebenen Streit zwischen ihm und dem früheren Mitangeschuldigten ….
152
(d) Insgesamt verblieben bei der Kammer damit keinerlei Zweifel, dass der Angeklagte … wie er dies eingeräumt hat, Besteller der vom Zeugen … transportierten Drogen war und diese dem von ihm betriebenen gewinnbringenden Verkauf in M. zuzuführen beabsichtigte.
153
(2) Hinsichtlich der einzelnen Rauschmittellieferungen unter Beteiligung des gesondert Verfolgten … (Fälle II.2.a und II.2.c), der sich ebenso wie der frühere Mitangeschuldigte … selbst gegenüber der Kammer umfassend auf sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berief, findet die geständige Einlassung des Angeklagten … eine Bestätigung und Ergänzung namentlich im Inhalt von jeweils zeitnah zu den festgestellten Tatzeitpunkten geführten Telefonaten zwischen ihm und dem früheren Mitangeschuldigten … sowie den Ergebnissen der polizeilichen Ermittlungen zu Busfahrten des (naheliegend) … zwischen B. und M. mit dem Busreiseanbieter „FlixBus“.
154
Im Einzelnen bewertet die Kammer insbesondere die nachfolgenden Inhalte der überwachten Kommunikation für aussagekräftig im Hinblick auf die einzelnen Liefervorgänge:
155
(a) Am 18. Dezember 2018 äußert der frühere Mitangeschuldigte … zunächst in einem Telefonat um 15:15 Uhr (Gesprächs-ID …) eingangs, er habe „den Kurier gerade losgeschickt“. Ein weiteres Gespräch um 21:58 Uhr desselben Tages (Gesprächs-ID …) beinhaltet dann nachfolgenden Dialog:
…
|
[…] Gib’ dem Kurier die Adresse erst, wenn er im Taxi sitzt, ich nehme die Ware selber an.
|
…
|
Okay, mach’ ich.
|
…
|
Wieviel soll ich … zahlen?
|
…
|
500 plus Ticket.
|
…
|
650 passt also?
|
…
|
Ja, bezahl’ ihn und schick ihn zurück, brauchst keinen Small-Talk machen.
|
…
|
Nein. Was soll ich denn mit dem reden?
|
156
Schließlich meldet sich … erneut um 22:15 Uhr (Gesprächs-ID …) und teilt zum einen mit, der „Kurier“ sitze im Taxi und brauche vier Minuten; abschließend teilt er mit, er habe „ein ‚Grüne‘ und fünf andere“.
157
Schon diese Kommunikationsinhalte belegen eine Drogenlieferung am 18. Januar 2018 von nämlich bei lebensnaher Betrachtung - und entgegen der wohl irrtümlichen Annahme in der Anklageschrift - rund fünf Kilogramm Haschisch und rund ein Kilogramm Marihuana („ein Grüner“). Soweit der Angeklagte … in seiner Einlassung zunächst für (wohl) diese Lieferung von zehn Kilogramm Haschisch ausging, was er später als möglichen Irrtum relativierte, bewertet die Kammer dies anhand des Kommunikationsinhalts als nicht naheliegend.
158
(b) Im Vorfeld des 23. Dezember 2018 erklärt … in einem Telefonat am 22. Dezember 2018, 23:45 Uhr (Gesprächs-ID …), er habe „zehn SIM-Karten“ gekauft; dies wird von ihm in nachfolgend wiedergegebener Weise näher erläutert:
…
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Ich habe meinen Schwiegervater vorgeschoben und die Ware von 1.300 für 1.170 bekommen. […]
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…
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Das hast du gut gemacht, die zehn SIM-Karten werden uns sehr weit bringen.
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…
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Das glaubst du mir vielleicht nicht aber wegen 170 € hat mein Schwiegervater mit denen über drei Stunden auf Arabisch verhandelt. Es bleiben uns knapp 2.000 bei zehn SIM-Karten, das deckt viermal die Ausgaben von den Kurieren.
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159
Angesichts dieser Gesprächsinhalte („zehn SIM-Karten“) konnte die Kammer für die - von ihm später ohnehin relativierte - Einlassung es sei nach seiner Erinnerung Ende Dezember 2018 zu einer Lieferung von dreizehn Kilogramm Haschisch gekommen, gerade keine Bestätigung finden. Nachdem die Angaben des Angeklagten zu konkreten Mengen und Geldbeträgen insgesamt nicht ohne Weiteres mit dem Kommunikationsinhalten in Deckung zu bringen waren, hat die Kammer auch hier die aus den Gesprächen nachvollziehbare Menge, zehn Kilogramm, den Feststellungen zu Grunde gelegt.
160
(c) Die geführten Gespräche bieten schließlich auch Anhaltspunkte dafür, dass bereits die vor dem 18. Dezember 2019 - noch unter Mitwirkung des Angeklagten … - getätigten Absatzhandlungen aus einer einheitlich beim früheren Mitangeschuldigten … erworbenen größeren Menge getätigt wurden, die der Angeklagte … - insoweit wegen der mehrfachen Wiederholung dieser Ankaufsmenge trotz der Unsicherheiten des Angeklagten bei der Rekonstruktion konkreter Mengen plausibel - mit zehn Kilogramm einräumte (Fall II.1.a.bb).
161
Denn Niazi und der Angeklagte U. tauschen sich in einem Gespräch am 21. Dezember 2018, 21:57 Uhr (Gesprächs-ID 186595206), über das in den vorangegangenen Monaten erfolgte „Verschicken“ von „Ware“ in nachfolgend wiedergegebener Form aus:
…
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[…] Überleg’ mal selber, du hast mir allein in den letzten dreieinhalb Monaten 39 Stück geschickt.
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…
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Nein, 44 Stück und ein Grüner.
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…
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Die paar, die du in den letzten Tagen geschickt hast, brauchst du nicht mitzählen. 39 hast du geschickt, 255 Kilo hat er geschickt, das sind insgesamt 295. Außerdem hat „…“ mir sehr viel Ware gegeben.
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162
Soweit der Gesprächsinhalt noch über das vom Angeklagten … Eingeräumte hinausgehende frühere Lieferungen von weiteren 29 „Stück“ nahelegt, wurden - jenseits der pauschalen Erwähnung von im Jahr 2018 verkauften „mindestens insgesamt ca. 255 Kilo an Cannabisprodukten“ (dort Seite 7) - nicht zum Gegenstand der Anklageschrift gemacht und dadurch auch der Kognitionspflicht der Kammer nicht unterstellt.
163
Dafür, dass der Angeklagte … - wie die Anklageschrift vermutet (Fall I.20 der Anklageschrift) - am 17. Dezember 2018 eine weitere, am vorangehenden Wochenende in B. erworbene Menge mit nach M. gebracht haben könnte, ergaben sich dagegen keine Hinweise. Der Umstand, dass sowohl er als auch der ihn begleitende Mitangeklagte … bei ihrer observierten Ankunft mit dem Zug in M. kein Gepäck bei sich hatten, spricht vielmehr durchgreifend hiergegen.
164
(d) Ergänzend hierzu konnte der Zeuge Vorlauff berichten, dass nach einer von ihm erholten Auskunft des Busunternehmens „FlixBus“ sowohl für - unter anderem - den 18. als auch den 23. Dezember 2018 Bustickets auf den Namen … oder „…“ für Fahrten zwischen B. und M. erworben wurden.
165
(e) In Zusammenschau insbesondere dieser Beweisanzeichen sind bei der Kammer keinerlei Zweifel verblieben, dass die festgestellten Lieferungen auch tatsächlich erfolgten. Der Inhalt der Telefongespräche belegt dabei auch, dass der frühere Mitangeschuldigte … selbst Preisverhandlungen mit seinen Lieferanten in B. führte und dass der Angeklagte … bei Erhalt der Drogen die zwischen 500 € und 700 € liegenden Kosten für den Kurier bezahlte.
166
(3) Auch hinsichtlich der unter Beteiligung der früheren Mitangeschuldigten … und … die sich gegenüber der Kammer ebenfalls jeweils umfassend auf eine Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO beriefen, durchgeführten Lieferung vom 12. Januar 2019 (Fall II.3.a) konnte sich die Kammer bei ihrer Überzeugungsbildung neben den geständigen Einlassungen des Angeklagte … auf die Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung stützen.
167
(a) Insbesondere erklärt der Angeklagte … dem frühere Mitangeschuldigte … in einem Gespräch am 12. Januar 2019, 00:37 Uhr (Gesprächs-ID …), zunächst, dass er dem … einen „Screenshot in Instagram“ mit einer Adresse - naheliegend des Übergabeortes - schicke. Dies deckt sich mit der vom Zeugen … erläuterten Sicherung eines entsprechenden Lichtbildes auf dem Mobiltelefon des gesondert Verfolgten …. Im weiteren Verlauf tauschen sich … und der Angeklagte … dann in nachfolgend wiedergegebener Weise aus:
…
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Die Ware, die unterwegs ist, wieviel SIM-Karten sind es?
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…
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Zehn Stück, nicht dass du ohne Ware bleibst.
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[…]
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…
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An dem Tag hab’ ich dich dreimal angerufen als ich bei dem Lieferanten war, wollte dich fragen, ob fünf oder zehn nehmen soll, hast nicht geantwortet. Auf dem Markt war keine Ware, deswegen hab’ ich zehn genommen.
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…
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Ja keine Sorge, wird schon verkauft. […]
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168
In einem Gespräch um 00:59 Uhr des 12. Januar 2019 (Gesprächs-ID …) bittet … den Angeklagten … auch, dieser solle zusehen, dass „er keine Probleme bekommt, ist sein erstes Mal, er ist neu und auch noch mein Cousin“. Aus weiteren Gesprächen, auch zwischen … und … ergibt sich schließlich, dass es zu einer Übergabe der Drogen tatsächlich kam; insbesondere bestätigt … in einem Gespräch mit … um 5:05 Uhr des 12. Januar 2019 (Gesprächs-ID …), dass die „Ware“ in einer Tüte und „eine Tachta […] gebrochen“ gewesen sei.
169
Auch hier deckt sich die aus der Kommunikation rückschließbare Lieferung mit der dem Zeugen … durch das Unternehmen „FlixBus“ übermittelten Auskunft, dass sich auf der
170
Passagierliste für einen Busfahrt von B. nach M. mit einer geplanten Ankunft um 4:45 Uhr des 12. Januar 2019 auch der Name des früheren Mitangeschuldigten … befand.
171
(b) Angesichts der aussagekräftigen Gesprächsinhalte sind auch in diesem Fall keine Zweifel bei der Kammer verblieben, dass die von den Angeklagten … und … eingeräumte Drogenlieferung auch in der festgestellten Form stattfand. Dabei zeigen die Gespräche zudem, dass der Angeklagte … auch in diesem Fall eigenständig mit Lieferanten in B. verhandelte und sich dabei im Wesentlichen nur durch die Mengenanforderungen des … gebunden fühlte.
172
Soweit der Angeklagte … angab, in (wohl) diesem Fall seien ihm lediglich acht von zunächst besprochenen zehn Kilogramm geliefert worden, schließt die Kammer diese Möglichkeit unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er später auch selbst die Möglichkeit von Fehlerinnerungen bei den einzelnen Mengen einräumte, anhand des auch insoweit aussagekräftigen Inhalts der Kommunikation zwischen ihm und … aus. Denn darin äußert der frühere Mitangeschuldigte … zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kurier … seine Fahrt bereits angetreten hatte, mehrfach, dass „zehn Stück“ angekauft und auf den Weg gebracht worden seien. Dass er bei dieser Angabe einem Irrtum unterlegen haben könne oder den Angeklagten … bewusst täuschte, liegt gänzlich fern. Auch aus der Mitteilung des früheren Mitangeklagten …, eine „Tachta“ sei „gebrochen“ gewesen, lässt sich eine erhebliche mengenmäßige Abweichung nicht erkennen, obwohl dieser die Rauschmittel daraus erkennbar bereits in Augenschein genommen hatte.
173
(4) Die Feststellungen zur Beschaffung einer weiteren Drogenmenge im Vorfeld des 21. Januars 2019 beruhen auf den - bereits erläuterten (oben aa.(2)(a) und aa.(3)) - Beobachtungen im Zusammenhang mit der Festnahme des Angeklagten …, die ergänzt wurden durch verlesene Verschriftlichungen der Kommunikation zwischen dem Angeklagten … und dem früheren Mitangeschuldigten … im Vorfeld, aus denen sich Anfragen zu Beschaffung der Rauschmittel durch … ergaben.
174
(5) Schließlich ergaben sich aus der Telekommunikationsüberwachung auch Anhaltspunkte dafür, dass sich - wie der Angeklagte … dies behauptete - die Zahlungsvorgänge für mehrere Rauschmittellieferungen teilweise überschnitten.
175
So erklärt … dem Angeklagten … in einem Gespräch am 18. Dezember 2018, 15:15 Uhr (Gesprächs-ID …), von diesem - übereinstimmend mit dessen Einlassung zu einer Geldübergabe während seines Aufenthalts mit … in B. - „12.000“ „für Ware“ erhalten gehabt zu haben; „2.800“ seien zudem „der Rest vom letzten Mal“, was erneut auf ein Geschäft bereits vor dem 18. Dezember 2018 hindeutet. Ausgehend hiervon hätte … über von … stammende 14.800 € - nahliegend: bis zum Ankauf der am 18. Dezember 2018 gelieferten Ware - verfügt gehabt. Im Rahmen eines Telefonats vom 19. Dezember 2018, 10:32 Uhr (Gesprächs-ID …), erwähnt … gegenüber dem Angeklagten … dann, er habe von dem Geld 3.000 € genommen („Von dem Geld hab’ ich 2.000 nach Hause geschickt für die Verlobung von meinem Bruder, 300 hatte ich Schulden bei … der dir die Ware gebracht hat, wegen Jacke, das hab ich beglichen, 700 hab’ ich für mich behalten“), ein Rest von „etwas mehr als 4.200“ oder - an anderer Stelle im Telefonat - „4.100“ sei „gebunkert“. Den Differenzbetrag von etwa 7.600 hätte … dann - durchaus plausibel - für die am 18. Dezember 2018 gelieferten Rauschmittel aufgewendet gehabt.
176
Am 22. Dezember 2018, gegen 15:24 Uhr, kommt es zu einem - telefonisch vorangekündigten - kurzen persönlichen Treffen zwischen … und dem Angeklagten … in M. im Bereich des Anwesens … das durch Polizeibeamte - wie der daran mitwirkende Zeuge … erläuterte - observiert wurde. Dass es sich bei dem dort übergeben Gegenstand - wie von … angegeben - um Bargeld im Wert vom 13.600 € handelte, lässt sich einem Telefonat um 16:47 Uhr desselben Tages (Gesprächs-ID …) entnehmen, in dem … dem Angeklagten … mitteilt: „Das Geld, was du mir gegeben hast, ist 13.6. Du hattest .8 gesagt, ich hab’s zweimal gezählt, es sind nur .6“. In einem Telefonat vom 26. Dezember 2018, 18:44 Uhr (Gesprächs-ID …), gibt … gegenüber dem Angeklagten … an, er habe „das Restgeld von den letzten zwei Lieferungen, 5.250 €“, an seinen Vater „geschickt“. In einem weiteren Gespräch am 4. Januar 2019, 15:25 Uhr (Gesprächs-ID …), teilt er dann ihm im Rahmen eines Dialogs darüber, dass und wie vom Angeklagten … Geld transferiert werden sollte, mit: „Ich habe auch kein Geld mehr“.
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Aus diesen Aussagen waren freilich die genauen Zahlungsflüsse nicht im Einzelnen aufklärbar. Sie wiesen aber jedenfalls auf Überschneidungen der Zahlungsflüsse in der Weise hin, dass Restbeträge aus der Zahlung einer früheren Lieferung von … verwahrt und (auch) als Anzahlung für künftige Lieferungen genutzt wurden. Dass es daneben auch die vom Angeklagten … beschriebenen Restzahlungen auf bereits geleiferte Mengen gab, ist dagegen zwar nicht ohne Weiteres zu erkennen. Angesichts der nicht möglichen lückenlosen Aufklärung der Zahlungsflüsse und der jedenfalls ersichtlichen Überschneidung bewertete die Kammer aber auch diese als nicht fernliegend und ging daher - der Einlassung des Angeklagten folgend - davon aus, dass sich nicht ausschließbar die Zahlungsvorgänge für sämtliche Mengen teilweise überschnitten.
cc) (Um)Lagerung von Drogen
178
Die unter II.1.b.aa und II.1.b.bb dargestellten Handlungen (insbesondere) des Angeklagten … wurden während der 30. November 2018 und 17. Dezember 2018 durchgeführten Observationsmaßnahmen durch die eingesetzten Beamten beobachte. Die einzelnen Feststellungen beruhen auf den Angaben des die Observationsmaßnahmen koordinierenden und selbst an ihnen teilnehmenden Zeugen ….
179
Dabei war, so der Zeuge …, nur zu beobachten, wie die Angeklagten im Zusammenwirken zwei Handläufe bestückten; in diesen wurden später die oben unter II.1.b.bb aufgeführten Haschisch-Platten gefunden. In den Handläufen von weiteren zwei Treppenabgängen wurden weitere Platten aufgefunden, die - wovon auch der Zeuge ausging - noch aus einer früheren Befüllung stammten; hieraus resultieren die oben unter aa.(3) dargestellten abweichenden Werte.
dd) Einzelne Verkaufshandlungen des Angeklagten …
180
Die Feststellungen zu den einzelnen, individualisierbaren Verkaufshandlungen des Angeklagten … beruhen wiederum wesentlich auf den Erkenntnissen aus der Telekommunikationsüberwachung.
181
Dabei handelt es sich bei den - wegen ihrer Rekonstruierbarkeit aus der Telekommunikation - individualisiert angeklagten Abgabehandlungen um Fälle, in denen der Angeklagte … selbst mit den Käufern telefonierte und dabei mit den Kunden … und … über Mengen und Preise spricht, woraus auch die Einlassung des Angeklagten, dass die Preise zwischen 200 € und 300 €, regelmäßig bei 250 €, je 100 Gramm Haschisch lagen, eine Bestätigung fanden. Dabei ging die Kammer im Lichte der Angaben der Angeklagten davon aus, dass Bezugnahmen in den Gesprächen auf „eine“ oder „eine halbe“ sich auf 100 Gramm-Platten Haschisch beziehen und damit Mengen von 100 und 50 Gramm bezeichnen. Angesichts des Inhalts der jeweiligen Kommunikation sind bei der Kammer auch keine Zweifel verblieben, dass die darin vereinbarten Treffen zur Übergabe auch tatsächlich erfolgten.
182
Von den Käufern konnte die Kammer allein den gesondert Verurteilten … als Zeugen hören; die Zeugen … und … waren für die Kammer nicht greifbar. Die durch Verlesung seiner polizeilichen Vernehmung eingeführte, schon für sich wenig lebensnahe Behauptung des Zeugen …, am 29. November 2018 „eineinhalb“ Ecstasy-Tabletten erworben zu haben, bewertet die Kammer vor dem Hintergrund der Telekommunikation als unwahr.
183
Der Zeuge … gab an, den Angeklagten über einen Freund vom M.platz in M. zu kennen; der Freund habe dem Zeugen erklärt, man könne bei … Haschisch kaufen. Er habe dann Ende des Jahre 2018 ein- bis zweimal selbst etwas bei … geholt. Dabei hätte er sich telefonisch mit dem Angeklagten … verabredet. Über Mengen hätten sie dabei nicht sprechen müssen, weil der Zeuge stets 50 Gramm bestellt habe. Die ihm übergebene Menge sei dann aber immer weniger gewesen; dies habe der Zeuge zwar nicht abgewogen, sehe es aber „mit den Augen“. Die Preise hätten zwischen 250 € und 300 € - wohl: für 100 Gramm - gelegen. Auf Vorhalt, dass sich aus der überwachten Kommunikation mehr als zwei, nämlich wenigstens sechs Verabredungen zu Treffen ablesen ließen, erklärte er Zeuge, den Angeklagten ja auch gekannt zu haben; im Übrigen erinnere er sich „nicht wirklich an viel“. Soweit der Zeuge … in diesen - teilweise wenig plausiblen - Angaben eine geringere als die festgestellte Anzahl von Abgabehandlungen behauptete, bewertet die Kammer dies vor dem Hintergrund der eigenen Angaben des Angeklagten …, der die in der Anklageschrift genannten Mengen bei fehlender detaillierter Erinnerung für plausibel hielt, als der Selbstentlastung des Zeugen dienende Falschangaben. Die Inhalte der überwachten Gespräche, die im Fall des Zeugen … - anders als bei den Käufern … und … - tatsächlich keinerlei Mengenangaben enthalten, weisen auf einen eingespielten Ablauf hin, der sich aus der Abwicklung von lediglich zwei tatsächlich durchgeführten Geschäften kaum etablieren lässt. Andere Anlässe für den Zeugen, den Angeklagten … zu treffen, sind auch aus seinen eigenen, ausweichenden Angaben nicht zu ersehen.
184
Hinweise auf eine (einmalige) Mankolieferung ergaben sich dagegen auch aus der überwachten Kommunikation: In einem Gespräch am 5. Dezember 2018, 19:08 (Gesprächs-ID …), meldete sich der Zeuge - der einen unter seinen tatsächlichen Personendaten registrierten Anschluss nutzte - beim Angeklagte … und erklärt, die „Ware“ sei „nicht vollständig“; es würden „13 oder 14 Gramm“ fehlen. Auf Nachfrage des Angeklagten gibt er an, es sei etwas „abgebrochen“ gewesen, woraufhin der Angeklagte zusagt, er werde es „ergänzen“, wenn der Zeuge komme. Die Kammer hat auf Grundlage dieses Gesprächsinhalts, der im Übrigen auch dafürspricht, dass der Zeuge … die Mengen entgegen seinen Angaben nach dem Erwerb abwog, ihren Feststellungen in diesem Fall eine Menge von lediglich 36 Gramm zugrunde gelegt. Angesichts des Fehlens ähnlicher Beschwerden in der übrigen Kommunikation ist die Kammer dagegen überzeugt, dass in den weiteren Fällen die vereinbarte Menge von 50 Gramm jedenfalls nicht mehr unterschritten wurde, als dies beim Brechen von Haschisch-Platten in zwei etwa geleichgroße Teilstücke unvermeidlich ist.
ee) Abgabe von Haschisch an die gesondert Verfolgte …
185
Zum Anklagevorwurf der Abgabe von Rauschmitteln an die Zeuginnen … und … im Zeitraum von 1. bis zum 21 Januar 2019 (Fall III.3 der Anklageschrift) konnte sich die Kammer anhand der Angaben der Zeuginnen jenseits einer Abgabe einer größeren Menge von 25 Gramm nicht von konkreten Abgabehandlungen des Angeklagten … überzeugen.
186
Beide Zeuginnen gaben übereinstimmend an, seit etwa Ende August 2019 in der Wohnung des Angeklagten … in der … in Garching gewohnt zu haben, die Zeugin … die aber auch danach noch tagsüber dorthin kam, bis kurz vor der Festnahme des Angeklagten … ihres damaligen Freundes, am 17. Dezember 2019 und die Zeugin … auch hiernach - unterbrochen durch einen vorübergehenden Aufenthalt bei der Zeugin … - bis zur Festnahme des Angeklagten … selbst. Konkrete Abgabehandlungen durch den Angeklagten … schilderten beide, abgesehen von der von der Zeugin … eingeräumten einmaligen kostenlosen Überlassung einer größeren Menge am 7. Januar 2019, für die Anhaltspunkte sich auch aus der Telekommunikationsüberwachung ergeben hatten, nicht. Sie gaben vielmehr an vornehmlich mit dem Angeklagten … gemeinsam während des Tages - als der Angeklagte … in der Arbeit war - Cannabis-Produkte in größerem Umfang konsumiert zu haben; daneben auch Ecstasy-Tabletten und vereinzelt „Speed“. Der Angeklagte … habe dagegen nicht selbst Rauschmittel zu sich genommen. An Cannabis-Produkten hätten, so die Zeugin … 20 bis 50 Gramm immer in der „Wohnung“, in der vor seiner Verhaftung auch der Angeklagten … gewohnt habe, „rumgelegen“.
187
Auf Grundlage dieser Angaben konnte die Kammer die nicht fernliegende Möglichkeit, dass es sich bei den von den Zeuginnen … und … (mit)konsumierten Rauschmitteln um solche des Angeklagten … handelte, insbesondere diejenigen Cannabis-Produkte, die ihm vom Angeklagten … als „Entlohnung“ für seine Mitwirkung an den verfahrensgegenständlichen Rauschmittelhandel überlassen wurden, ihrem Urteil zugrunde legen. Angesichts der beschriebenen „rumliegenden“ Mengen von bis zu 50 Gramm erscheint auch nicht fernliegend, dass eine vom Angeklagten … nach seiner Verhaftung „zurückgelassene“ Menge den - nunmehr mengenmäßig reduzierten - Konsum noch während des Januars decken konnte, zumal dann, wenn sie auch die zu Beginn dieses Monats dann übergebenen 25 Gramm diesem Konsum zuführten. Insgesamt konnte sich die Kammer damit allein davon überzeugen, dass der Angeklagte … einmalig selbst der Zeugin … die unmittelbare Sachherrschaft an einer Drogenmenge verschaffte. Dass er dieses Haschisch der letzten vor dem 7. Januar 2019 gelieferten Menge, also der Menge aus Fall II.2.c, entnommen hatte, drängt sich auf.
ff) Bandenmäßige Begehungsweise
188
Davon, dass der Angeklagte … mit Rauschmitteln als Mitglied einer Bande Handel treibt, konnte sich die Kammer - entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft noch im Schlussvortrag - nur in Bezug auf Absatzhandlungen überzeugen, die die letzten beiden Erwerbsmengen vom 12. und 21. Januar 2019 betreffen.
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(1) Dabei ist die Kammer bei ihrer Beurteilung von nachfolgendem Verständnis des Begriffs der Bande im Rechtssinne ausgegangen:
190
Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyps - hier: des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln - zu begehen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 22.03.2001 - GSSt 1/00, BGHSt 46, 321, 325 ff.). Ob jemand Mitglied einer Bande ist, bestimmt sich allein nach der deliktischen Vereinbarung, der so genannten Bandenabrede, die auch stillschweigend getroffen werden kann (BGH, Beschlüsse vom 22.01.2019 - 2 StR 212/18, insoweit in NStZ 2019, 414, nicht abgedruckt; und vom 10.11.2011 - 3 StR 355/11, NStZ 2012, 90). Mitglied einer Bande kann auch derjenige sein, dem nach der Bandenabrede nur Aufgaben zufallen, die sich bei wertender Betrachtung als Gehilfentätigkeit darstellen (BGH, Beschluss vom 15.01.2002 - 4 StR 499/01, BGHSt 47, 214, 216 ff.). Es ist nicht erforderlich, dass sich sämtliche Bandenmitglieder persönlich verabredet haben und untereinander kennen, wenn nur jeder den Willen hat, sich zur künftigen Begehung von Straftaten mit (mindestens) zwei anderen zu verbinden (BGH, Urteil vom 16.06.2005 - 3 StR 492/04, BGHSt 50, 160, 164).
191
Bei Handelsketten im Betäubungsmittelhandel bedarf das Vorliegen einer Bande sorgfältiger Prüfung. Ein auf Dauer angelegtes Zusammenwirken mehrerer selbständiger, eigene Interessen verfolgender Geschäftspartner begründet hier auch dann noch keine Bande, wenn die Beteiligten in einem eingespielten Bezugs- und Absatzsystem im Rahmen einer andauernden Geschäftsbeziehung tätig sind (BGH, Beschlüsse vom 22.04.2020 - 1 StR 61/20; vom 08.05.2007 - 1 StR 203/07; und vom 06.02.2007 - 4 StR 612/06, NStZ-RR 2007, 153; siehe auch Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl., § 30 Rn. 42 ff.; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 30 Rn. 66 ff.). Ob die auf Verkäufer- und Abnehmerseite beteiligten Personen in einer Ankaufs- und Vertriebsorganisation zusammenwirken oder sich als selbständige Geschäftspartner gegenüberstehen, beurteilt sich wesentlich nach der getroffenen Risikoverteilung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 05.06.2019 - 1 StR 223/19, NStZ 2020, 47; vom 14.04.2015 - 3 StR 627/14, NStZ 2015 589; und vom 31.07.2012 - 5 StR 315/12, NStZ 2013, 49). Wer regelmäßig von einer Person Betäubungsmittel zu deren gewinnbringendem Weiterverkauf bezieht ist naheliegend dann in die Vertriebsseite von dessen Ankaufs- und Vertriebsorganisation als deren „verlängerter Arm“ eingebunden, wenn ihm die Höhe des (Weiter)Verkaufspreises von dieser Person vorgegeben wird und die Person Zeitpunkt und Umfang der Weiterveräußerungen bestimmt sowie an deren Gewinn und Risiko beteiligt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31.07.2012 - 5 StR 315/12, NStZ 2013, 49; und vom 04.07.2011 - 3 StR 129/11). Als Bezugspunkt für die Prüfung einer Bandenzugehörigkeit sind freilich sämtliche Teilakte des Handeltreibens in den Blick zu nehmen. Auch eine arbeitsteilige Beschaffung kann Ausfluss eines bandenmäßigen Zusammenschlusses sein (vgl. BGH, Urteil vom 03.09.2014 - 1 StR 145/14, NStZ 2015, 227, 228). Eher für eine selbständiges Tätigwerden auf Lieferantenseite spricht es aber, wenn der Verkäufer die Kuriere beauftragt und den Transport der Drogen koordiniert (vgl. BGH, Beschluss vom 22.04.2020 - 1 StR 61/20).
192
(2) Ausgehend von diesem Maßstab konnte sich die Kammer zunächst nicht die Überzeugung verschaffen, dass die früheren Mitangeschuldigten … und … - gegebenenfalls gemeinsam mit den von diesen eingesetzten Kurieren … und … - auf deren Ankaufsseite Teil einer um den Angeklagten … gruppierten Ankaufs- und Vertriebsorganisation waren.
193
Denn zwar deuten einzelne Beweisanzeichen darauf hin, die früher Mitangeschuldigten … und … könnten jeweils mit dem Angeklagten … auf gemeinsame Rechnung und mit geteiltem Risiko zusammengearbeitet haben. Sie legten andererseits aber auch jeweils im Umgang mit dem Angeklagten … auch ein Gebaren an den Tag, wie es unter selbständigen, jeweils eigene Interessen verfolgenden „Geschäftspartnern“ üblich ist. Insgesamt erschien der Kammer bei Gesamtwürdigung aller Beweisanzeichen die Möglichkeit, dass sich die von B. aus agierenden Lieferanten und der Angeklagte … innerhalb eines eingespielten Bezugs- und Absatzsystem selbständig auf Verkäufer- und Käuferseite gegenüberstanden, als so bedeutsam, dass sie sich von deren Zusammenschluss zu einer Bande nicht zu überzeugen vermochte.
194
(a) Der Angeklagte … selbst hat die früher Mitangeschuldigten … und … als seine „Lieferanten“ beschrieben, erkennbar mit der Zielrichtung, eine Bandenabrede zwischen ihnen zu bestreiten und sie stattdessen als selbständig agierende Verkäufer auszuweisen.
195
Der von der Kammer festgestellte äußere Ablauf der einzelnen Lieferungen spricht eher für ein Agieren selbständiger Geschäftspartner innerhalb eines eingespielten Bezugs- und Absatzsystems. Insbesondere wurden die Verhandlungen mit den eine weitere Handelsstufe höherstehenden B.er Verkäufern durch … und … geführt, und nicht durch den Angeklagten … selbst, für den sich schon keine Anhaltspunkte ergaben, dass er die jeweils konkret genutzten Bezugsquellen kannte. Auch die Kuriere wurden danach von … und … ausgewählt, mit den Rauschmitteln ausgestattet und instruiert. Lediglich die Kosten für sie übernahm der Angeklagte … als Empfänger der Ware, allerdings erst bei deren Erhalt. Dass er dem früheren Mitangeschuldigten … das für den Ankauf der Rauschmittel benötigte Bargeld jedenfalls teilweise vorab zahlte, besagt noch nicht Durchgreifendes über die maßgebliche Risikoverteilung. Andererseits stehen die Feststellungen zur Abwicklung der Geschäfte einer Tätigkeit der Angeklagten als „verlängerte Arme“ des … im Rahmen einer arbeitsteilig organisierten Beschaffung freilich auch nicht zwingend entgegen.
196
(b) Die Zahlungsflüsse zwischen dem Angeklagte … und … ließen sich aus den Inhalten der überwachten Gespräche nur unvollständig nachvollziehen. Dennoch ergaben sich durch die Telekommunikationsüberwachung einzelne Gesprächsinhalte, die darauf hindeuten könnten, dass … und … - was für das Vorliegen einer Bande spräche - ein auf sie entfallender Anteil am durch den Verkauf in M. erwirtschafteten Gewinn durch den Angeklagten … zugeteilt wurde.
- So erscheint insbesondere auffällig, dass … dem Angeklagten … offenlegt, zu welchen Preisen er selbst die Rauschmittel kaufte, wenn er im bereits erwähnten Gespräch zwischen … und … vom 22. Dezember 2018, 23:45 Uhr (Gesprächs-ID …), einen ausgehandelten Preis von 1.170 € je Kilogramm anstelle erwarteter 1.300 € erläutert. Diese Offenlegung der eigenen Einkaufspreise erscheint für einen selbständige Interessen verfolgenden Verkäufer ungewöhnlich. Allerdings lässt sich aus der Kommunikation nicht etwa auch entnehmen, dass der Angeklagte … an … und … allein die mitgeteilten Einkaufspreise (zunächst) bezahlte oder bezahlen sollte, um sie dann gegebenenfalls aus dem später erwirtschafteten Gewinn zu entlohnen.
197
Stattdessen erläutert etwa der - auch sonst über die Zahlungsflüsse zwischen … und … gut informiert erscheinende - frühere Mitangeschuldigte … in dem Telefonat vom 19. Dezember 2018, 10:32 Uhr (Gesprächs-ID …), … habe dem Angeklagten … der insoweit nicht widerspricht, „vor drei Monaten Ware für 1.400 oder 1.500 verkauft“, obwohl die „Araber“ die Ware „damals einem hinterhergeschmissen“ hätten, was dafür spricht, dass jedenfalls … einen eigenen Gewinnanteil aufschlug. Und auch die oben bereits erwähnte Übergabe von 13.600 € im Vorfeld einer Lieferung von zehn Kilogramm trotz noch bei … befindlicher wenigstens 4.100 € spräche - auch wenn man von einem zunächst erwarteten, später reduzierten Preis von 1.300 € ausginge - immer noch für einen aufgeschlagenen Gewinnanteil.
198
Insgesamt ließen sich die Zahlungsflüsse zwischen dem Angeklagten … und den früheren Mitangeschuldigten … und … mit den der Kammer zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht in einem Umfang aufklären, der es ihr erlauben würde, die Möglichkeit auszuschließen oder auch nur als in hohem Maße unwahrscheinlich zu beurteilen, dass eine Offenlegung der eigenen Einkaufspreise alleine der Vertrauensbildung diente und keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die Gewinn- und Risikoverteilung erlaubt.
- Auffällig für das Gebaren selbständig agierender Geschäftspartner erscheint auch, dass der frühere Mitangeschuldigte … dem Angeklagten … nicht nur in einem Gespräch am 19. Dezember 2018, 10:32 Uhr (Gesprächs-ID …), die Entnahme von 3.000 € aus den bei ihm verbliebenen Restgeldern mitteilt, sondern hierzu bereits in einem Telefonat vom 18. Dezember 2018, 15:15 Uhr (Gesprächs-ID …), in nachfolgend wiedergegebener Weise anfragt:
…
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Hab’ meiner Familie gesagt, was ich mache. Wenn es dir recht ist wollte ich bisschen Geld nach Hause schicken.
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…
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Kein Thema, schick.
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…
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Wieviel darf ich denn schicken, hab’ gerade Mutter gesagt, dass jemand
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…
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kommt, hat sich gefreut.
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…
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Schick soviel du willst, deine Familie ist ja meine Familie, ist kein Problem.
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…
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Nee, sag’ mir wieviel ich schicken soll, nicht dass du denkst, dass ich auch so link bin wie ….
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199
Als Abschluss teilt … freilich nur mit, dass er nochmals anrufen werde, ohne dass er in einem der späteren Gespräche auch einen Betrag nennt, den … schicken dürfe; stattdessen teilt … - wie erläutert - selbst den entnommenen Betrag mit.
200
Diese Anfrage zeigt zunächst, dass der Angeklagte … und … nicht etwa eine „gemeinsame Kasse“ führten, sondern … vielmehr etwa überschüssige Restgelder als das Geld des Angeklagten betrachtete. Sie kann freilich dennoch darauf hindeuten, dass der Angeklagte … dem … einen ihm zustehenden Gewinnanteil zuteilte. Allerdings kann sie - zumal mit der von … gegebenen Erklärung - auch allein als Hinweis darauf verstanden werden, dass der Angeklagte … von den Geldern des Angeklagten … solange nicht ungefragt etwas für sich entnehmen wollte, wie er den Betrag noch nicht durch ein Verkaufsgeschäft „verdient“ hatte. Für dieses Verständnis kann auch sprechen, dass er in dem späteren Gespräch - zu einem Zeitpunkt, als er durch die zwischenzeitlich erfolgte Lieferung am Abend des 18. Dezember 2018 den Betrag bereits „verdient“ haben konnte - nicht mehr die Nennung eines Betrags von … erwartet, sondern nunmehr die von ihm entnommene Summe schlicht benennt.
201
Auch insoweit erscheint der Kammer daher nicht gänzlich fernliegend, dass die offene Kommunikation über Zahlungsflüsse allein der Vertrauensbildung und Transparenz des Standes der Abrechnung von Restgeldern diente, ohne durchreifende Rückschlüsse auf die Gewinn- und Risikoverteilung zu erlauben.
202
(c) Soweit Gesprächsinhalte in Zusammenhang mit der am 17. Oktober 2018 beim gesondert Verurteilten … sichergestellten Rauschmittelmenge die Risikoverteilung zwischen den Lieferanten aus B. und dem Angeklagten … anschneiden, sprechen sie eher für selbständig agierende Geschäftspartner innerhalb eines eingespielten Bezugs- und Absatzsystem.
203
Insoweit erklärt etwa der frühere Mitangeschuldigte … in dem bereits erwähnten Gespräch am 14. Dezember 2018, 22:00 Uhr (Gesprächs-ID …), in dem der Angeklagte … auch seinen Verdacht, … habe den Kurier … an die Polizei verraten und entgegen ihrer Vereinbarung nur sieben Kilogramm auf den Weg gebracht, die Araber würden von … Geld fordern, dieser habe aber auf den „Typen in M.“ verwiesen, dem er die „Ware“ geschickt habe. Hierauf erwidert der Angeklagte …. „Die Araber können mir nichts anhaben, ich habe mit denen nichts zu tun und ich schulde denen auch nicht.“ Später im Gespräch führt er hierzu näher aus:
…:
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Ich habe keine Angst vor Araber, ich habe mit ihnen nichts zu tun. Ich habe weder mit dem Araber geredet, Geschäfte gemacht, noch was mit ihm zu tun.
|
204
Diese Aussagen sprechen dafür, dass der Angeklagte … von der Tragung des Transportrisikos durch … ausging, der danach auch die Geschäfte mit den „Arabern“ gemacht habe. In den Reaktionen seines Gesprächs Partners, des früheren Mitangeschuldigten …, ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser der vom Angeklagten angenommenen Risikoverteilung widerspreche.
205
(d) Die Kammer vermag sich auf Grundlage einer Gesamtbewertung der wie dargelegt in unterschiedliche Richtungen weisenden Umstände insgesamt noch nicht die Überzeugung zu verschaffen, dass die früheren Mitangeschuldigten … oder … sich mit dem Angeklagten … zu einer bei der Drogenbeschaffung arbeitsteilig vorgehenden Bande zusammenschlossen. Die hierauf hinweisenden Anzeichen überwiegen in ihrem Erklärungswert die gegenläufigen Umstände schon nicht, geschweige denn, dass sie die durch diese begründeten Zweifel zum Schweigen zu bringen vermögen. Angesichts dessen kann auch dahinstehen, ob - wofür die Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung allerdings sprechen - die früheren Mitangeschuldigten … und … Kenntnis davon hatten, dass der Angeklagte … den Absatz der ihm gelieferten Rauschmittel an Kunden in M. in arbeitsteiligem Zusammenwirken mit jedenfalls einer weiteren Person vornahm.
206
(3) Aber auch davon, dass der Angeklagte … auf der Vertriebsseite des von ihm betriebenen Rauschmittelhandels jenseits des Angeklagten … und - nach … Verhaftung - den früheren Mitangeklagten … jedenfalls eine weitere Person auf der Grundlage einer Bandenabrede einband, konnte sich die Kammer im Ergebnis nicht mit der erforderlichen Sicherheit überzeugen.
207
(a) Dafür, dass die Einlassung auch des Angeklagten … zutreffend ist, während seiner Zusammenarbeit mit dem Mitangeklagten habe nach seiner Kenntnis keine weitere Person am Vertrieb der Drogen in M. mitgewirkt, lassen sich Belege in der abgehörten Telekommunikation befinden.
208
So erkundigt sich der frühere Mitangeschuldigte … in einem Gespräch mit dem Angeklagten … am 19. Dezember 2018, 10:32 Uhr (Gesprächs-ID …), wie es dem „Jungen“ gehe, der verhaftet worden sei. Im weiteren Verlauf des Gesprächs kommt es dann - naheliegend auch unter Bezugnahme auf die vorangehende Lieferung vom 18. Dezember 2018 - zu nachfolgendem Austausch zwischen den beiden:
…
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[…] Hast du jemanden gefunden oder bist du jetzt ganz allein?
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…
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Nein, Arbeit läuft mit oder ohne Mitarbeiter.
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Sei vorsichtig, nicht dass sie dich hochnehmen. Mein Freund hat auch gesagt, dass du die Ware selber in Empfang genommen hast. Hab’ gesagt du bist gerade unterbesetzt.
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…
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Den Treffpunkt hab’ ich mir vorher genau angeschaut. Wenn es nicht wäre, hätte ich die Ware gar nicht erst angenommen.
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209
(b) Vor diesem Hintergrund verlieren auch Gespräche, in denen der Angeklagte … in zeitlicher Nähe zum zuletzt genannten Telefonat in Zusammenhang mit naheliegend seinen Rauschgiftgeschäften von „Jungs“, „Schülern“ oder auch nur „Leuten“ spricht, an Aussagekraft.
210
So erwähnt er beispielsweise in dem Telefonat mit … am 15. Dezember 2018, 1:49 Uhr (Gesprächs-ID …), in dem er das dem Angeklagten … geschenkte Mobiltelefon erwähnt, dass seine „Schüler“ nur das Beste bekämen, da diese auch die meiste Arbeit tätigten. In einem Telefonat mit … am 21. Dezember 2018, 21:57 Uhr (Gesprächs-ID …), meint er, er habe „die Jungs eingesammelt, [weil] sehr viel Polizei unterwegs“ sei. Am 7. Januar 2019, 14:06 Uhr (Gesprächs-ID …), behauptet der Angeklagte … gegenüber einer nicht identifizierten, als „Onkel“ bezeichneten Person, deren Telefonanschluss mit der Ländervorwahl für Pakistan nutzt, es würden „Leute“ für ihn arbeiten.
211
Hätte aber der Angeklagte … zu den Zeitpunkten, zu denen er diese Behauptungen aufstellte, tatsächlich mehrere Personen für die Übernahme von Hilfsarbeiten im Rahmen seines Rauschmittelhandels beschäftigt und entlohnt, hätte tatsächlich - wovon ersichtlich auch der frühere Mitangeschuldigten … ausging - nahegelegen, dass er sich dieser bei der gefahrenträchtigen Übernahme von großen Rauschgiftmengen bedient. Seine Aussage vom 19. Dezember 2018, die Arbeit laufe auch „ohne Mitarbeiter“, steht solchen Behauptungen ohnehin entgegen.
212
Dafür, dass der Angeklagte die insoweit von ihm verwendeten Begriffe stattdessen auch auf solche Abnehmer ausgedehnt haben könnte, die die bei ihm erworbenen Drogen auf eigene Rechnung an Dritte weiterveräußern, spricht zudem der Inhalt eines Telefonats mit dem früheren Mitangeschuldigten … am 14. Dezember 2018, 16:42 Uhr (Gesprächs-ID …), in dem er diesem mit folgender Begründung aufgibt, zukünftig andere Ware zu kaufen:
…
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[…] die letzte Ware war so hart, die Jungs mussten es mit den Zähnen brechen, wenn sie kleine Mengen verkaufen wollten.
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213
Die Inhalte der überwachten Telekommunikation sprechen aber dafür, dass der Angeklagte …, wie dies auch er selbst behauptete, das von ihm selbst vertriebene Haschisch nicht in Kleinmengen abgab, sondern keine kleineren als 50 Gramm-Einheiten, die sich durch das einfache Zerteilen einer 100 Gramm-Platte herstellen ließen, vertrieb.
214
(c) In ähnlicher Weise verlieren vor dem Hintergrund dieser, die Zusammenarbeit mit einer Mehrzahl von Gehilfen jedenfalls im Vorfeld des 17. Dezember 2018 gerade nicht naheliegenden, Kommunikation auch vereinzelte, vom Zeugen … berichtete Beobachtungen anlässlich der Observationen vom 30. November und 5. Dezember 2018 in großem Umfang ihren Beweiswert.
215
Dass dabei etwa beobachtet werden konnte, wie die Angeklagten insbesondere im Bereich vor einem Schnellrestaurant am Stachus Kontakt zu zahlreichen Personen haben, ist angesichts des Umstandes, dass sie Drogen an eine Mehrzahl von Personen abzugeben beabsichtigten, ohnehin nicht von relevantem Aussagewert. Warum das die Umgebung beobachtende Verhalten einzelner dieser Personen - darunter nach der Hypothese der Anklageschrift die früheren Mitangeschuldigten … und … - den Observationskräften als „Ablenkung“, Herstellung eines „Sichtschutzes“ oder gar „Gegenobservation“ imponierten, konnte der Zeuge … nicht nachvollziehbar erläutern. Und soweit am 5. Dezember schließlich beobachtet werden konnte, wie der Angeklagte … kurzzeitig einen von ihm mitgeführten Rucksack einer nicht identifizierten Person übergab und später mit dem Rucksack und in Begleitung des früheren Mitangeschuldigten … ein Anwesen an … betritt, um dieses wenig später ohne den Rucksack wieder zu verlassen, bleibt die Annahme, diese Umstände stünden im Zusammenhang mit dem Drogenhandel ohne weitere Anhaltspunkte nicht mehr als eine Vermutung.
216
Dafür dass der Angeklagte … stattdessen keinen Bedarf sah, Maßnahmen zur „Ablenkung“ oder zur Schaffung eines „Sichtschutzes“ zu ergreifen spricht dagegen die gleichfalls vom Zeugen … berichtete Beobachtung, dass er auch mit einer offen in der Hand getragenen Haschischplatte den belebten Stachus überquerte, naheliegend in der Annahme, im dortigen Gedränge dennoch nicht aufzufallen.
217
Ohnehin könnte aus derart vereinzelten Beobachtungen nicht bereits der Rückschluss gezogen werden, dass ein solches Verhalten, wenn ihm überhaupt den Rauschmittelhandeln fördernde Bedeutung beigemessen werden könnte, auf einer zumindest konkludent getroffenen Bandenabrede beruhte.
218
(d) Von den nach der Hypothese der Anklageschrift an einem bandenmäßigen Zusammenwirken auf der Vertriebsseite jedenfalls später neben dem früheren Mitangeklagten … mitwirkenden früheren Mitangeschuldigten … und … haben … und … gegenüber der Kammer umfassend von einem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch gemacht; … war für das Gericht - ebenso wie der frühere Mitangeschuldigte … - zunächst nicht greifbar und ließ dann außerhalb der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger seine feste Entscheidung mitteilen, gleichfalls vom Recht des § 55 StPO umfassend Gebrauch machen zu wollen, so dass auf weitere Ladungsversuche verzichtet wurde.
219
(e) Nachdem der frühere Mitangeklagte … in der Hauptverhandlung der gegen ihn gerichteten, aus dem hiesigen Verfahren abgetrennten Sache, in dem er - zum Zeitpunkt des hiesigen Urteilserlasses nicht rechtskräftig - wegen „bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 14 Fällen und bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 7 Fällen sowie Beihilfe zur unerlaubten Gebrauchsüberlassung von Betäubungsmitteln durch eine Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahre“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, wobei auch seine Unterbringung in er Entziehungsanstalt daneben angeordnet wurde, geständige Angaben zu Sache gemacht hatte, zu denen er aber erklärte, sie im Ramen hiesiger Hauptverhandlung nicht wiederholen, sondernd unverändert vom seinem Recht nach § 55 StPO Gebrauch machen zu wollen, hat die Kammer zu diesen Angaben die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in jenem Verfahren, die Staatsanwältin als Gruppenleiterin … als Zeugin vernommen.
220
Diese gab an, die Einlassung … sei Gegenstand einer Verständigung gewesen, die auf Anregung der Verteidigung zustande gekommen sei und bei der ihm im Falle des angekündigten vollumfänglichen Geständnisses eine Gesamtfreiheitsstrafe innerhalb eines Rahmens von fünf Jahren und vier Monaten und sechs Jahren zugesichert war. Der frühere Mitangeklagte habe den Anklagesachverhalt dann zunächst pauschal über seine Verteidigerin einräumen lassen; anschließend habe er vereinzelte eigene Angaben gemacht. Danach habe der Angeklagte … den … gefragt, ob er für ihn arbeiten wolle, nachdem … selbst aus früherer Haft entlassen worden war. Dies sei zu einer Zeit gewesen, als der Angeklagte … bereits festgenommen worden war. Als Bezahlung seien ihm 600 € zugesichert gewesen, die er aber nicht erhalten habe; dies sei für die Übernahme von zehn Kilogramm gedacht gewesen (wohl: in Fall II.3.a). Daneben habe er als Lohn Betäubungsmittel für seinen eigenen Konsum erhalten. … sei der „Kopf“ gewesen. … habe für … kein Geld in Empfang genommen. Seine Aufgabe sei es aber gewesen, im Auftrag des … an „Kunden“ und „Zwischenhändler“ Rauschmittel zu übergeben, die er zuvor aus Verstecken geholt habe. Als „Zwischenhändler“ habe er dabei etwa als „…“ oder „…“ bezeichnete Personen benannt. Daneben seien auch die die früheren Mitangeschuldigten … und … gestanden, denen … auch im Auftrag … Drogen übergab. Diese hätten die Drogen an andere Personen weitergegeben und Geld an … gegeben. Ob … und … sich von den … unterschieden und worin der Unterscheid im Einzelnen lag, habe sich der Zeugin … aus den Angaben des … nicht erschlossen. Nach ihrem Verständnis hätten die „Zwischenhändler“ höheren Gewinn gemacht als die früheren Mitangeschuldigten … und … Einzelheiten zur Abrechnungen zwischen dem Angeklagten … und den früheren Mitangeschuldigten … und … oder der Risikoverteilung zwischen ihnen habe … jedenfalls nicht dargestellt.
221
Die Kammer hat insoweit in den Blick genommen, dass der frühere Mitangeklagte … bereit war, eine Verurteilung wegen (auch) Bandenhandels gegen sich zu akzeptieren und die damit verbundenen tatsächlichen Annahmen der Anklageschrift pauschal einzuräumen. Nachvollziehbare Angaben zur genauen Art des Zusammenwirkens, die die Richtigkeit der rechtlichen Bewertung insbesondere im Hinblick auf eine Abgrenzung der früheren Mitangeschuldigten … und … von „Zwischenhändlern“, also naheliegend Personen, die dem … im Rahmen einer andauernden Geschäftsbeziehung als Käufer mit eigenem Weiterverkaufsinteresse gegenüberstanden, belegten, waren dem aber nicht zu entnehmen. Zudem war bei der Würdigung der Angaben der Zeugin … zu berücksichtigen, dass diese als Zeugin vom …ensagen über Angaben des früheren Mitangeschuldigten berichtete, zu denen ihn die Beteiligten hiesigen Verfahrens nicht konfrontieren konnten (vgl. zu diesen Aspekten etwa BGH, Beschlüsse vom 04.07.2018 - 5 StR 650/17; und vom 26.04.2017 - 1 StR 32/17), und die überdies Gegenstand einer Verständigung waren (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 29.01.2020 - 1 StR 471/19; und vom 28.03.2019 - 1 StR 598/18). Dabei entfaltete die Verständigungssituation trotz der erheblichen Gesamtfreiheitsstrafe naheliegend einen nicht unerheblichen Anreizeffekt dadurch, dass sich Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit einer - dann auch angeordneten - Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ohne Anordnung eines Vorwegvollzuges bereits ergeben hatten. Insgesamt kam den Angaben damit für die Klärung der hier inmitten stehenden Fragen ein nur sehr geringer Beweiswert zu.
222
(f) Wesentlich darüber hinausweisende Erkenntnisse waren auch nicht durch die Beweiserhebungen zu den Umständen der Verhaftung des früheren Mitangeklagten …, namentlich die Angaben der Zeugen Polizeiobermeister … und der Zeugin … zu gewinnen.
223
Der Zeuge …, der an der Verhaftung … beteiligt war, schilderte glaubhaft, dieser sei am 13. Januar 2019 gegen 18:30 Uhr durch ihn und einen Kollegen im Bereich des Hauptbahnhofs in M. einer Kontrolle unterzogen worden, weil er „orientierungslos“ gewirkt habe und der Verdacht auf Rauschmittelkonsum aufgekommen sei. Wie zu Beginn - da … vorausgegangen sei - nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen sei, war dieser Teil einer aus sieben Personen bestehenden Gruppe, die sich anlässlich der Kontrolle dann um die beiden kontrollierenden Beamten versammelte. Auch habe sich gezeigt, dass … wohl auf zwei weitere Personen zugesteuert habe, die sich aber umgehend entfernt hätten. Zu den sieben Personen aus der Gruppe des … hätten neben der Zeugin … auch die früheren Mitangeschuldigten … und … gehört; die übrigen zwei männlichen Personen hätten sich entfernt, ohne dass sie für die Beamten zu stoppen gewesen seien. Im Rahmen der Kontrolle habe … der Zeugin … dann unter der Vorgabe, sein Handy weitergeben zu wollen, etwas in die Jacke gesteckt. Bei der Kontrolle hätten sich die Gegenstände als die später sichergestellten drei Haschischplatten erwiesen.
224
Die Zeugin … bestätigte diesen Ablauf. Die beiden Personen, die sich unidentifiziert aus der Gruppe entfernten, kenne sie nicht. Zu den Hintergründen des Vorfalls erklärte sie, der frühere Mitangeschuldigte … ihr damaliger Freund, habe vor dem Beginn ihrer Beziehung im November 2018 nach seinen Angaben teils Drogen verkauft, wie auch andere Personen aus seinem Umfeld; als sie ein Paar waren, habe er dies nicht mehr getan. Nach … Angaben sei der Angeklagte … „chefmäßig“ oder der „Anführer“, weil er die „Sachen“ habe und „Aufträge“ gebe. Zum Inhalt solcher „Aufträge“ konnte sie indes nur angeben, dass „sie“ einmal mit dem Zug „irgendwohin“ gefahren seien. An wen … „Aufträge“ vergebe, wisse sie im Übrigen nicht. Die Rolle des … kenne sie nicht. … habe „auch verkauft“, wobei er ihr gegenüber angegeben habe, an „…“ - also naheliegend den früheren Mitangeklagten … - verkauft zu haben. Alle hätten auch neben Smartphones kleinere, funktionsarme Handys genutzt. Was die einzelnen Personen bei dem Vorfall am 13. Januar 2019 vorgehabt hätten, wisse sie nicht. Die beiden Angeklagten kenne sie selbst nur „vom Sehen“.
225
Aus den von diesen Zeugen geschildeten Umständen waren nähergehende Feststellungen zur Art einer etwaigen Zusammenarbeit der an diesem Tag gemeinsam mit dem früheren Mitangeklagten … zum Bahnhof gehenden Personen nicht zu gewinnen.
226
(g) Aus im Wege der Verlesung eingeführten Telekommunikationsereignissen ist jenseits dessen zwar ersichtlich, dass der Angeklagten … vom früheren Mitangeschuldigten … und … über die Verhaftung des … unterrichtet wird. Insbesondere enthält ein Telefonat zwischen dem Angeklagte … und dem früheren Mitangeschuldigten … vom 13. Januar 2019, 20:19 Uhr (Gesprächs-ID …) nachfolgenden Austausch:
227
Hieraus lässt sich rückschließen, dass der frühere Mitangeschuldigte … Kenntnis von einem Drogenhandel unter Beteiligung des Angeklagten … und des früheren Mitangeklagten … hatte, er generell dem Umfeld … nahesteht und sie sich auch über die mit bestimmten Drogenübergabeorten verbundenen Gefahren austauschen. Nähere Erkenntnisse zu einer etwaigen eigenen Rolle, die … insoweit eingenommen haben könnte, ergaben sich daraus aber nicht. Insbesondere wird auch hieraus eine nachvollziehbare Funktion, die er oder … innerhalb des Geschäfts am 13. Januar eingenommen haben könnten nicht ersichtlich, zumal … in dem Gespräch auf Nachfrage des Angeklagten … auch angibt, nur zu wissen, dass eine der drei „Tachta“ für „…“ bestimmt gewesen sei, während er den Empfänger der weiteren beiden Platten nicht kenne.
228
(h) Auch aus der übrigen überwachten Telekommunikation zwischen dem Angeklagten … und den früheren Mitangeschuldigten … und … ergibt sich - bis in den Januar 2019 hinein - kein ausreichend tragfähiger Beleg dafür, dass sie - wie die Anklageschrift annimmt - als „verlängerte Arme“ am Vertrieb der Drogen durch … beteiligt waren. In ihrem Verhalten gegenüber dem Angeklagten … sind sie vielmehr nicht ausreichend von solchen selbständig agierenden Zwischenhändlern abzugrenzen, die - wie hier nach der Annahme der Anklageschrift etwa der gesondert Verurteilte … der gegenüber der Kammer angab, er habe in dem gegen ihn gerichteten Verfahren, in dem er die hier von der Anklageschrift geschilderten Ankaufshandlungen als in Weiterverkaufsabsicht getätigt einräumte, die Wahrheit gesagt - in enger zeitlicher Folge Rauschmittel bei demselben Händler ankaufen um sie unmittelbar unter Gewinnerzielung auf eigenen Rechnung an Dritte weiterzuverkaufen.
…
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[…] Hatte die Polizei euch beschattet oder wie haben die euch gefasst?
… saß am M.D.’s, dann ist er raus und wollte Ware holen. Er hat mich gefragt, ob ich mitkomme, dann hat … [der Vorname des früheren Mitangeschuldigten … lautete … gesagt, er kommt auch mit, sonst langweilt er sich.
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…
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Warum habt ihr die Ware da platziert? Ihr wisst, dass es da gefährlich ist.
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…
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Wie oft hab’ ich gestern Abend vor dir zu ihm gesagt, dass er die Ware da nicht lassen soll, er hört auf niemanden. Sogar auf dem Weg hab’ ich ihm noch gesagt, er solle die Ware nicht dahin nehmen zu U-Bahn-Linie 5, da ist meistens Polizei. Er sagt, keine Angst, passiert nichts. Als er mit der Ware da war, wollte er … die Ware geben und hat die Ware vorgestreckt. … hat ihn stattdessen umarmt, weil … die Polizei gesehen hatte.
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229
Exemplarisch kann insoweit eine Folge von Gesprächen am 4. Januar 2019 (Fälle I.43 bis I.46 der Anklageschrift) auszugsweise wiedergegeben werden, aus denen sich ein dem auch sonst zu beobachtenden Ablauf vergleichbares Geschehen erschließen lässt.
18:46 Uhr
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… ruft … an (Gesprächs-ID …):
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…
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Ich brauche noch eine Tachta, also insgesamt zwei Tachta.
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…
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Ich habe vorhin mit … gesprochen, er sagt nur halbe Tachta.
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…
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Nein, ich brauche zwei.
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…
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Warte ich komme selber.
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18:59 Uhr
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… ruft … an (Gesprächs-ID …)
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[…]
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…
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Bring’ mir die zwei Halben, eine Ganze hatte ich in die Vase gelegt, das nehme ich.
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…
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Okay.
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19.33 Uhr
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… ruft … an (Gesprächs-ID …)
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…
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Ich brauche eine Tachta Ware. Hast du schwarze Ware?
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…
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Nein. Schwarze Ware ist fertig.
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…
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Gar nichts mehr, nicht mal halbe Tachta.
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…
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Halbe Tachta hab’ ich gerade jemandem gegeben. Wer braucht die Ware? Vorhin hatte … gesagt, dass du eine Tachta Ware brauchst. Ist es dasselbe oder brauchst du noch eine Tachta?
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…
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Derselbe Typ hatte bestellt, ist noch bei mir.
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…
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Wartet da bei der Treppe. Ich bin auf dem Weg.
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19:41 Uhr
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… ruft … an (Gesprächs-ID …)
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…
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Hallo. Ich brauche noch eine Tachta.
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…
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Wo bist du?
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[…]
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19:46 Uhr
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… ruft … an (Gesprächs-ID …)
Ein Junge ist gekommen. Er braucht eine Tachta Ware, hat 50 € zu wenig.
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…
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Er will es jemand in der Nähe von der Hackerbrücke in eine Wohnung liefern und das Geld in 30 Minuten bringen.
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…
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Nein, da musst du passen. Ware gibt’s nur gegen Bares.
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Er ist vertrauenswürdig. Das letzte Mal hat er das Geld auch gebracht.
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…
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Wer ist das überhaupt? Kennst du ihn selber?
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…
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Ja, ich kenne ihn.
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…
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Wenn du ihn kennst, gib’s ihm. Ich nehme das Geld von dir, er interessiert mich nicht.
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230
Aus diesen Gesprächen wird zunächst ersichtlich, dass der frühere Mitangeschuldigte … in enger zeitlicher Folge Haschisch-Platten beim Angeklagte … bestellt, die er erkennbar an Dritte weiterveräußern will. Dass … - wie in der Anklageschrift angenommen - durch den Angeklagten … zu Abnehmern geschickt wird, ergibt sich aus ihnen gerade nicht. Ob er auf eigene Rechnung oder auf gemeinsame Rechnung mit … arbeitet, wird nicht ohne Weiteres erkennbar. Jedenfalls in dem letzten der Gespräche wird thematisiert, dass das Risiko einer ausbleibenden Zahlung durch den Kunden des … dieser tragen solle, wenngleich das Gespräch auch dahin verstanden werden kann, dass die Letztentscheidung über die Abwicklung beim Angeklagten … liegen solle. Erkennbar wird auch, dass der frühere Mitangeschuldigte keine Kenntnis über die Aufbewahrungsorte von sogar einzelnen Haschisch-Platten besitzt, so dass er jeweils auf eine Übergabe durch den Angeklagten … ober den … angewiesen ist.
231
Die Gesprächsbeiträge des … können in dieser Form tatsächlich von einem unmittelbaren Zugang zu Rauschmittelbunkern nicht besitzenden „Läufer“ herrühren, dessen Beitrag auf den Kontakt zu Kunden im Straßenhandel beschränkt ist. Sie könnten aber in gleicher Weise auch von einem eigenständigen Zwischenhändler geführt werden, der selbständige und auf eigene Rechnung mit Kunden Geschäfte schließt und die zur Abwicklung benötigten Drogen lediglich im Rahmen eines eingespielten Bezugssystems jeweils kurzfristig beim Angeklagten bestellt und von diesem oder … übernimmt.
232
(i) Als gegen das Bestehen einer Bandenabrede des Angeklagte … mit dem früheren Mitangeschuldigten … jedenfalls noch zu Beginn des Januar 2019 sprechend bewertet die Kammer schließlich, dass der Angeklagte nach der Auslegung des Gesprächsinhalts durch die Kammer in einem Gespräch am 5. Januar 2019, 21:28 (Gesprächs-ID …), gegenüber einem unbekannten Gesprächsteilnehmer den Verdacht äußert, … und der gesondert Verurteilte … hätten „abgelegte“ Drogen an sich genommen, nachdem sie den betrunkenen … zum Bunkerort verfolgt hätten. Ein solches Verhalten wäre unter Angehörigen einer auf gemeinsame Rechnung arbeitenden Organisation jedenfalls ungewöhnlich.
233
(j) In Gesamtabwägung aller der Kammer zugänglichen Beweisanzeichen, denen sie ausreichend aussagekräftige Hinweise auf ein Tätigwerden im Rahmen einer entsprechenden Bandenabrede nicht zu entnehmen vermochte, konnte die Kammer bis zur Lieferung vom 12. Januar 2019 einen bandenmäßigen Zusammenschluss mit namentlich den früheren Mitangeschuldigten … und … nicht mit der gebotenen Sicherheit feststellen. Insbesondere vermochte sie - trotz gewichtiger Anhaltspunkte für ein Zusammenwirken auf gemeinsame Rechnung - letztlich nicht auszuschließen, dass diese beiden früheren Mitangeschuldigten dem Angeklagten … lediglich in einem eingespielten Bezugs- und Absatzsystem als Käufer im Rahmen einer andauernden - in diesem Fall dann besonders engen und vertrauensvollen - Geschäftsbeziehung gegenübertraten. Dies würde aber für die Annahme einer Bande nicht genügen.
234
(4) Hinweise, die eine veränderte Art der Zusammenarbeit mit (jedenfalls) dem früheren Mitangeschuldigten … und zudem eine Einbindung des früheren Mitangeschuldigten … mit hinreichender Sicherheit belegen, vermag die Kammer der überwachten Telekommunikation erst für die Zeit nach der Festnahme des früheren Mitangeklagten … am 13. Januar 2019, die naheliegend auch erst den Bedarf für eine Umstrukturierung des Vertriebs schaffte, zu entnehmen.
235
(a) So erteilt der Angeklagte … nunmehr in einem Telefonat am 18. Januar 2019, 23:19 Uhr (Gesprächs-ID …), dem früheren Mitangeschuldigten … den Auftrag, seine „Ware und die Ware, die draußen ist, irgendwo sicher ab[zu]legen“; in einem Folgegespräch am 19. Januar 2019, 16:32 Uhr (Gesprächs-ID …), teilt … dem Angeklagte den Ablageort mit.
236
Diese Gesprächsinhalte sprechen dafür, dass der Angeklagte … nach der Festnahme des früheren Mitangeklagten … nunmehr den … gewonnen hatte, um die zuvor von … übernommene Verwaltung der nahe den Verkaufsorten in der Innenstadt gelegenen Bunkerörtlichkeiten zu verwalten und insbesondere dort Rauschmittel „abzulegen“. Dies stellt, nachdem er … am 5. Januar 2019 noch verdächtigt hatte, eine Bunkerörtlichkeit durch Verfolgung des … ausspioniert zu haben, eine erkennbare Veränderung dar.
237
(b) Dafür, dass er den Vertrieb der Rauschmittel jenseits der Übernahme der Aufgaben des … durch … verändert strukturierte, nunmehr unter Einschaltung einer weiteren, in der Kommunikation als „…“ auftretenden Person, bei der es sich nach der Zuschreibung durch die Ermittlungsbehörden um den früheren Mitangeschuldigten … handelt, sprechen insbesondere Telefongespräche, die … während seines Aufenthalts in B. im Vorfeld des 21. Januar 2019 mit Kunden führt.
238
Aussagekräftig ist etwa ein Telefonat, das der Angeklagte … am 20. Januar 2019, 17:36 Uhr (Gesprächs-ID …), mit einem „…“ führt und das nachfolgenden Inhalt hat:
…
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Hallo.
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…
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Gib mir Halbe, der Markt ist nicht gut momentan.
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…
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Ok, geb’ ich. Du musst aber deine alten Schulden begleichen.
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…
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Wo soll ich hinkommen, hab’ Geld.
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…
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Kommst du Stachus, der Kleine ist da. Gib ihm das Geld, dann sag ich dir, wo du die Ware bekommst.
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…
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Sag ihm er soll gleich herkommen, dann geb’ ich das Geld und nehme die Ware. Warum so hin und her fahren?
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…
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Gib ihm das Geld, die Ware bekommst du von jemand anderen, und gib bisschen mehr Geld, weil du gestern zu wenig gegeben hattest. Waren nur 400, das ist zu wenig.
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… …
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Ok. Zu wem soll ich am Stachus gehen?
Zu dem Kleinen.
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239
Auch einem anderen Kunden („…“), an den „…“ das Telefon weitergibt, weil dem Kunden offenbar der Ablauf unklar ist, erklärt der Angeklagte … in einem Gespräch am 20. Januar 2019, 18:06 Uhr (Gesprächs-ID …): „Gib ihm das Geld, ich sage … er bringt dir die Ware.“ Schließlich äußert ein dritter Kunde („…“) gegenüber dem Angeklagten … in einem Telefonat vom wiederum 20. Januar 2019, 18:14 Uhr (Gesprächs-ID …): „Hab’ ihm das Geld gegeben, mach’ aus dem einen 1,5“; der Angeklagte … erwidert: „Okay, ich sag’s …. Er bringt es dir“.
240
Diese Gespräche belegen zur Überzeugung der Kammer, dass der Angeklagte … spätestens zu diesem Zeitpunkt, und damit zu einer Zeit, als nahliegend noch Drogen aus (alleine) der letzten Lieferung vom 12. Januar 2019 vertrieben wurden, den Verkauf der Rauschmittel - erkennbar auch für die Kunden neuartig und „umständlich“ erscheinend - an seine Kunden unter Einschluss zweier weiterer Personen organisierte, wobei eine Person die von ihr verwalteten Drogen übergab während die andere Person die Gelder entgegennahm. In ihrer Zusammenschau belegen sie auch, dass so insgesamt jedenfalls mehr 150 Gramm Haschisch und damit - bei einem Wirkstoffgehalt von (wenigstens) 5 Gewichtsprozent - auch für sich betrachtet noch eine nicht geringe Menge umgesetzt wurden.
241
(c) Dass sie dabei gemeinsam wirtschafteten zeigt sich schließlich auch in einem Telefonat vom 20. Januar 2019, 18:01 Uhr (Gesprächs-ID …), in dem der Angeklagte … dem früheren Mitangeschuldigten … nachfolgende Anweisungen zum Umgang mit den eingenommenen Geldern erteilt:
…
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„Ja, bitte tut das Geld zusammen und vorbereiten. Sammelt das Geld bei …. Ich bin jetzt in B. und habe mein Problem mit dem Araber gelöst. Ich fahre am späten Abend zurück. Nur sorgt dafür, dass das Geld vorbereitet und am Bahnhof bei … hinterlassen wird. Das ist bei Warenlieferung zu zahlen. Ich habe noch keine Ware kaufen können. Aber ich versuche.“
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242
(d) Insgesamt konnte sich die Kammer anhand dieser Beweisanzeichen, die die Behauptung des Angeklagte … er habe nach der Festnahme des früheren Mitangeschuldigten die Drogen alleine verkauft widerlegen, davon überzeugen, dass er vielmehr nach der Festnahme … und spätestens zum 20. Januar 2019 den Vertrieb der verbliebenen Rauschmittel aus der Lieferung vom 12. Januar 2019 unter Einschaltung von jedenfalls zwei weiteren Personen organisierte.
243
Angesichts der hohen Risiken, die mit der Einbindung von weiteren Personen in einen Drogenhandeln des hier inmitten stehenden Umfangs verbunden sind, hält es die Kammer auch für so hochwahrscheinlich, dass diese Einschaltung weiterer Personen auf einer getroffenen Abrede über eine zukünftige, unbestimmt andauernde gleichgelagerte Zusammenarbeit beruhte, dass sie sich auch hiervon zu überzeugen vermochte.
244
Damit waren aber die Voraussetzungen einer Bande noch während der Vornahme von auf den Vertreib der am 12. Januar 2019 gelieferten Drogenmenge bezogenen Handlungen und in Bezug auch auf die zuletzt von dem Angeklagten … selbst nach M. verbrachten Rauschmittel, auch wenn es hinsichtlich dieser zu einem Tätigwerden der weiteren Personen nicht mehr kommen konnte, erfüllt.
1. Angeklagter Lebenssachverhalt
245
Die Staatsanwaltschaft legte dem Angeklagten … auch nachfolgenden, von der Anklageschrift als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gewerteten Lebenssachverhalt zur Last (Fall 11.1 der Anklageschrift nach § 207 Abs. 3 StPO vom 14. April 2020):
„Der anderweitig Verfolgte Mir wurde im Auftrag des [gesondert Verfolgten] … tätig. Er benutzte hierfür jeweils den ICE aus B. nach M..
Als Kurierlohn erhielt er eine nicht näher bekannte Summe, sowie die Fahrtkosten.
Am 12.10.2018 gegen 14:26 Uhr übernahm der anderweitig Verfolgte Q von dem [gesondert Verfolgten] … in dessen Wohnung in der …, ... B. insgesamt 8 Kilogramm Haschisch um mit diesen Betäubungsmitteln anschließend mit dem ICE von B. zum Münchner Hauptbahnhof zu fahren.
Das Betäubungsmittel sollte er anschließend im Bereich des Münchner Hauptbahnhofes an den [Angeklagten] … übergeben.
Bevor es zu einer Übergabe an den [Angeklagten …] kam, konnte der anderweitig Verfolgte … am 12.10.2018 gegen 20:35 Uhr am Münchner Hauptbahnhof Bahngleis 23 in ... M. mit 9.601,9 Gramm Haschisch in 10 Paketen zu je ca. 960 Gramm von Polizeibeamten nach einer Personenkontrolle festgenommen werden.
Das sichergestellte Haschisch weist einen Wirkstoffgehalt von 12,0 % +/- 1,2 % (bei 12 der sichergestellten Platten) und 11,5 % +/- 1,2 % THC (bei 2 der sichergestellten Platten) und damit einen Wirkstoffmindestgehalt von 989-1.037 g THC.“
2. Feststellungen der Kammer
246
Die Kammer konnte sich keine über die zu dieser Lieferung getroffenen Feststellungen zur Mitwirkung des Angeklagten … sowie des früheren Mitangeschuldigten … und des gesondert Verurteilten … (oben Fall 11.1.a.aa) hinausgehende Überzeugung von jedenfalls auf die Förderung des Drogenumsatzes gerichteten Handlungen des Angeklagten … verschaffen.
247
Der Verdacht gegen den Angeklagten … beruhte insoweit darauf, dass, wie die Auswertung des Mobiltelefons des Zeugen … ergab, am 21. Oktober 2018 zwischen 21:17 Uhr und 23:06 Uhr - also jeweils deutlich nach dessen Festnahme - vom Anschluss … jeweils erfolglos versucht wurde, das Mobiltelefon des Zeugen … anzurufen.
248
Zwar gab der Angeklagte … selbst an, dass diese Anschlussnummer, deren registrierter Inhaber sein Bruder ist, von ihm genutzt wurde; sein Bruder habe den Vertrag für ihn geschlossen. Er gab indes auch an, von der geplanten Lieferung keinerlei Kenntnis gehabt zu haben. Auch dem Zeugen … war eine andere Person auf Empfängerseite neben „…“ nicht mitgeteilt worden. Der Mitangeklagte … beschrieb eine Beteiligung des Angeklagten … an dem von ihm eingeräumten Geschäft gleichfalls nicht. Auch sonst hat die Beweisaufnahme Anzeichen, die auf dessen Beteiligung an dieser Lieferungen schließen ließen, nicht ergeben.
249
Schon angesichts der wegen deren Bekanntschaft bestehenden Möglichkeit, dass der Angeklagte … auch das Mobiltelefon des Angeklagten … nutzte, um den Versuch zu unternehmen, den ausbleibenden Kurier telefonisch zu erreichen, kann aus den bloßen Anwahlversuchen kein Schluss auf eine Beteiligung des Angeklagten … am oder auch nur Kenntnis von dem Rauschgiftgeschäft jenseits einer bloßen Vermutung geschlossen werden.
250
Angesichts dessen war der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freizusprechen, weil ein Tatnachweis gegen ihn nicht geführt werden konnte.
1. Strafbarkeit des Angeklagten …
251
Der Angeklagte … hat sich damit des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.1.a.aa) sowie zweier tateinheitlicher Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, diese jeweils in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (Fälle II.3.a und II.3.b), in weiterer Tateinheit mit drei tateinheitlichen Fällen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fälle II.1.a.bb, II.2.a und b sowie II.2.c), diese Fälle jeweils zudem in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem Fall (Fall II.2.c) zudem mit vorsätzlicher Abgabe von Betäubungsmitteln (Fall II.2.d), strafbar gemacht, §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2, 30a Abs. 1 Nr. 1, 1 Abs. 1, 3 BtMG i.V.m. Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG, §§ 52, 53, 129 Abs. 1 und 2 StGB.
252
Der näheren Erläuterung bedarf insoweit allein Nachfolgendes:
a) Bandenhandel (Fälle II.3.a und II.3.b)
253
Aufgrund welcher Erwägungen und unter Anlegung welchen rechtlichen Maßstabs die Kammer in den Fällen II.3.a und II.3.b einen Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erblickt, wurde bereits im Rahmen der Beweiswürdigung näher dargelegt (oben III.2.b.ff). Entsprechendes gilt für diejenigen Erwägungen, die dazu geführt haben, dass die Kammer den Handel mit (wirkstofflosen) Ecstasy-Tabletten (Fall II.2.b) als unselbständigen Teil der Bewertungseinheit betrachtet, die im Übrigen durch die in Fall II.2.a in einem Vorgang erworbene Rauschmittelmenge gebildet wird (oben III.2.b.aa.(7)).
b) Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung
254
Angesichts der vom Gesetzgeber beabsichtigten herabgesetzten Anforderungen bewertet die Kammer den Zusammenschluss des Angeklagten … in den Fällen II.3.a und II.3.b mit zwei weiteren Personen auch als Bildung einer kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 2 StGB. Durch die von ihm entfalteten, den Tatbestand eines Handeltreibens erfüllenden Handlungen hat sich der Angeklagte auch als Mitglied an dieser Vereinigung beteiligt. Das Gründen der Vereinigung selbst hat die Staatsanwaltschaft dagegen mit der Anklageschrift, die insoweit nur allgemeine Ausführungen enthält und im abstrakten Anklagesatz allein auf das Sich-Beteiligen abstellt, schon nicht der Kognitionspflicht der Kammer unterstellt. Das Sich-Beteiligen steht im Übrigen jeweils im Verhältnis der Tateinheit zum dem Vereinigungszweck dienenden Bandenhandel (vgl. dazu nur Sternberg-Lieben/Schittenhelm, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 129 Rn. 27).
255
Die Kammer kann freilich in der Verwirklichung des Tatbestandes einen relevant über den Bandenhandel hinausreichenden Unrechtsgehalt nicht erkennen. Sie hat daher der tateinheitlichen Verwirklichung der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung im Rahmen der Ahndungszumessung kein eigenes Gewicht beigemessen.
c) Abgabe von Betäubungsmitteln (Fall II.2.d)
256
Die durch die Überlassung von 25 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von fünf Gewichtsprozent, also einer Normalmenge, an die gesondert Verurteilte … verwirklichte vorsätzliche Abgabe von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) steht im Verhältnis der Tateinheit zum Besitz von Betäubungsmitteln durch die Ausübung der Sachherrschaft über die dem Eigenkonsum zugedachten Rauschmittel in Fall II.2.c, der insoweit, da die Abgabe die Besitzmenge nicht ausschöpft, auch nicht verdrängt wird (vgl. dazu nur Weber, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rn. 1393).
257
Die einzelnen Taten des Bandenhandels stehen, soweit sie beim früheren Mitangeschuldigten … bestellte Mengen betreffen, schließlich zueinander jeweils im Verhältnis der Tateinheit, weil nach den Feststellungen der Kammer die Zahlungsvorgänge jeweils der Erfüllung von Verbindlichkeiten aus zwei Betäubungsmittelgeschäften dienten. Es liegen damit jeweils teilidentische Ausführungshandlungen vor, die in ihrem Zusammenwirken alle beim früheren Mitangeschuldigten … bezogene Rauschmittelmengen betreffenden Fälle zu einer Tat im Sinne des § 52 StGB verbinden (vgl. zum Ganzen BGH, Beschlüsse vom 22.04.2020 - 1 StR 641/19; vom 03.12.2020 - 4 StR 239/19; und vom 10.07.2018 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1).
258
Darüber hinaus wird eine Verbindung zur Tateinheit auch dadurch begründet, dass - angesichts der Feststellungen zur mehrfachen Einlagerung von Teilmengen jedenfalls in den Handläufen der Treppengeländer an den „Stachus-Passagen“ naheliegend und nicht ausschließbar - die Rauschmittel auch aus unterschiedlichen Ankaufsmengen zeitgleich jedenfalls an den Bunkerörtlichkeiten im öffentlichen Verkehrsraum gelagert wurden. Zwar hat der bloße gleichzeitige Besitz zweier Handelsmengen grundsätzlich nicht die Kraft, die Taten des Handeltreibens zur Tateinheit zu verbinden. Etwas anderes gilt aber, wenn die Art und Weise der Besitzausübung über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht und die Wertung rechtfertigt, dass - etwa wegen eines räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs - die tatsächliche Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die andere darstellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10.10.2019 - 4 StR 329/19; vom 05.06.2019 - 2 StR 287/18 vom 05.03.2019 - 3 StR 552/18; und vom 28.05.2018 - 3 StR 95/18). So liegt der Fall hier.
2. Strafbarkeit des Angeklagten …
259
Der Angeklagte … hat sich der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht, §§ 29 a Abs. 1 Nr. 2, 1 Abs. 1, 3 BtMG i.V.m. Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG, §§ 27 Abs. 1, 52 StGB.
260
Die Kammer bewertet aufgrund einer Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände die Tatbeiträge des Angeklagten … als das Handeltreiben des Mitangeklagten mit der in Fall II.1.a.bb umgesetzten Rauschmittelmenge fördernde Beihilfehandlungen.
261
Ob ein Beteiligter eine Tat als Täter oder Gehilfe begeht, ist in wertender Betrachtung nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zu ihr sein. Es ist daher nicht zulässig, jede schon unter das Merkmal des Handeltreibens zu subsumierende Tätigkeit ohne Rücksicht auf ihr Gewicht für das Gesamtgeschehen und das Interesse des Beteiligten am Gelingen des Umsatzgeschäfts mittäterschaftlichem Handeltreiben gleichzusetzen. Auch beim Betäubungsmittelhandel deutet eine ganz untergeordnete Tätigkeit eines Tatbeteiligten im Rahmen eines Gesamtgeschäftes schon objektiv darauf hin, dass der Beteiligte nur Gehilfe ist (vgl. zum Ganzen nur BGH, Beschlüsse vom 13.05.2020 - 1 StR 43/20; vom 04.12.2019 - 4 StR 74/19; und vom 13.02.2019 - 4 StR 22/19, jeweils m.w.N.). Wer im Rahmen eines organisierten Rauschmittelhandels im Wesentlichen die Aufgaben eines „Läufers“ übernimmt, nämlich den Transport und die Übergabe des Rauschgifts sowie die Entgegennahme des Geldes, ist regelmäßig nur Gehilfe (BGH, Beschluss vom 24.04.2013 - 5 StR 135/13, NStZ 2013, 549; 550).
262
Gemessen daran liegen hier nur Beihilfehandlungen des Angeklagten … vor. Seine Beiträge waren im Wesentlichen auf den Transport - einschließlich der Ein- und Umlagerung an Bunkerörtlichkeiten -, die Übergabe der Drogen an Kunden und die Entgegennahme von Geld beschränkt. Er war am Gewinn nicht anteilig beteiligt, sondern erhielt eine vom Willen des Mitangeklagten abhängige Entlohnung. Soweit er Verhandlungsspielräume hatte, waren diese durch den Mitangeklagten eingeschränkt. Einfluss auf die Beschaffung der Rauschmittel, konnte er nicht nehmen.
b) Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
263
Durch seinen tatsächlichen Zugriff auf die im öffentlichen Raum zum Zweck der Übergabe an Kunden gelagerten Rauschmittel hatte der Angeklagte aber (täterschaftlichen) Besitz an einer nicht geringe Menge von Betäubungsmitteln; auf die ihm daneben als Entlohnung zum Eigenkonsum überlassenen Rauschmittelmengen kommt es für die rechtliche Bewertung nicht mehr an.
264
Die verschiedenen die Haupttat des Mitangeklagten fördernden Handlungsbeiträge des Angeklagten …, die jeweils auf den Umsatz einer einzigen Handelsmenge bezogen waren, stellen nur eine Tat der Beihilfe dar. Denn soweit die Handlungen sich als Beihilfe zum Handeltreiben darstellen, sind auch allein auf den Absatz von Einzelverkaufsmengen bezogene Tathandlungen - wegen der Akzessorietät der Beihilfe - als eine (Beihilfe)Tat im Rechtssinn zu qualifizieren (BGH, Urteil vom 06.04.2017 - 3 StR 5/17, insoweit in NStZ 2017, 546 nicht abgedruckt; Beschluss vom 21.01.2014 - 1 StR 664/13, NStZ 2014, 465, m.w.N.; anders - nicht tragend - BGH, Urteil vom 11.12.2003 - 3 StR 375/02, NStZ-RR 2004, 146, 148).
265
Der täterschaftliche Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge tritt hinter der Beihilfe zum Handeltreiben mit derselben Menge auch nicht etwa im Wege der Konkurrenz zurück (vgl. dazu nur Weber, BtMG, 5. Aufl., § 29 a Rn. 216).
a) Anwendung von Jugendstrafrecht
266
Bei der Ahndung des Angeklagten … hat die Kammer Jugendstrafrecht zur Anwendung gebracht, weil er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung - nicht ausschließbar - noch einem Jugendlichen gleichstand (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG).
267
Insoweit kommt es maßgebend darauf an, ob er sich noch in einer für Jugendliche typischen Entwicklungsphase befand und in ihm noch Entwicklungskräfte in größerem Umfang wirksam waren, was aufgrund einer Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit unter Berücksichtigung der sozialen Lebensbedingungen zu beurteilen ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 13.02.2020 - 1 StR 613/19). Dies kann die Kammer beim Angeklagten - den Ausführungen der Jugendgerichtshilfe insoweit folgend - jedenfalls nicht ausschließen. Zwar spricht das professionelle Vorgehen, das der Angeklagte bei den abgeurteilten Taten an den Tag legte, indem er mit gutem Organisationstalent große Rauschgiftmengen besorgte und deren Vertrieb in M. organsierte, hiergegen. Auch hat er trotz der Erschwernisse durch die Migration und der fehlenden Ausbildung in Deutschland beruflich Fuß gefasst. Dem damit an sich hohen erreichten Entwicklungsniveau im Leistungsbereich stehen aber Auffälligkeiten in anderen Bereichen gegenüber, die durchgreifend besorgen lassen, dass es beim Angeklagten vor dem Hintergrund der Migration und bei gewichtigen Belastungsfaktoren in der Kindheit wie namentlich dem Tod naher Angehöriger zu einem verlangsamten Entwicklungsverlauf gekommen ist. Hierfür spricht etwa, dass er mit dem Mitangeklagten … und weiteren Personen in etwa dessen Alter seine Freizeit verbrachte und zur Tatzeit in einer Beziehung mit der 2002 geborenen Zeugin … lebte. Dabei wurde der Angeklagte durch den Mitangeklagten … zwar - ähnlich den Angaben auch der Zeugin …, er sei insoweit „chefmäßig“ gewesen - als bei der Abwicklung der Rauschmittelgeschäfte bestimmend beschrieben. Sowohl er als auch die Zeuginnen … und … beschrieben aber den sonstigen sozialen Umgang des Angeklagten mit seinem teils deutlich jüngeren Umfeld als freundschaftlich und gleichgeordnet. Angesichts dessen erscheint jedenfalls nicht ausschließbar, dass der Angeklagte insbesondere im Hinblick auf die in der Tat erkennbaren gewichtigen Mängel der Normorientierung zur Zeit der Taten noch formbar war und Entwicklungskräften in größerem Umfang unterlag. Angesichts dessen musste Jugendstrafrecht zur Anwendung gelangen, zumal dem Angeklagten bei Heranziehung von Erwachsenenstrafrecht - schon mit Blick auf den Strafrahmen des auch verwirklichten § 30 a Abs. 1 BtMG - die Verhängung einer höheren Freiheitsstrafe gedroht hätte (vgl. zur Anwendung des Zweifelssatzes MünchKomm-StGB/Laue, 3. Aufl., JGG § 105 Rn. 28 m.w.N.).
b) Verhängung von Jugendstrafe
268
Die Kammer hielt die Verhängung von Jugendstrafe für erforderlich.
aa) Fehlen schädlicher Neigungen
269
Allerdings konnte sie - unter Berücksichtigung der von der zur selben Schlussfolgerung gelangenden Jugendgerichthilfe aufgezeigten Umstände - zum Zeitpunkt der Entscheidung fortbestehende schädliche Neigungen (§ 17 Abs. 2 1. Alt. JGG) beim Angeklagten … nicht feststellen. Solche wären dann zu bejahen, wenn bei ihm anlagebedingte oder durch unzulängliche Erziehung oder Umwelteinflüsse verursachte Persönlichkeitsmängel bestünden, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer Straftaten eines nicht nur gemeinlästigen oder bagatellhaften Ausmaßes nach sich zögen (vgl. nur die Nachw. bei MünchKomm-StGB/Radtke, 3. Aufl., JGG § 17 Rn. 28).
270
Zwar sind in den Taten gewichtige Defizite der Normorientierung zum Vorschein gekommen, die für einen Bedarf zur längeren erzieherischen Einwirkung in diesem Entwicklungsbereich sprechen, um künftiger Delinquenz entgegenzuwirken. Angesichts des sonst hohen sozialen Leistungsniveaus des Angeklagten erscheint aber nicht fernliegend, dass es ihm möglich ist, schon auf unrechtsverdeutlichende Maßnahmen mit dem notwendigen Nachvollzug der insoweit erforderlichen Entwicklungsschritte zu reagieren. Solch unrechtsverdeutlichenden Gehalt hat aber bereits der Vollzug der Untersuchungshaft entfaltet, so dass die Kammer sich der Annahme der Jugendgerichtshilfe, beim Angeklagten habe während der Untersuchungshaft eine relevante Nachreife stattgefunden, nicht zu verschließen vermochte. Die Kammer sieht zwar angesichts des Gewichts der Taten auch unter erzieherischem Gesichtspunkt ein Bedürfnis zu weiterer Unrechtsverdeutlichung; dass der Angeklagte aber derzeit noch einer längeren Gesamterziehung bedürfte, um die Gefahr weiterer Straftaten abzuwehren, konnte nicht sicher festgestellt werden.
271
Die Schwere der dem Angeklagten anzulastenden Schuld macht aber die Verhängung von Jugendstrafe erforderlich (§ 17 Abs. 2 2. Alt. JGG).
272
Die Anordnung der Jugendstrafe allein wegen der Schwere der Schuld ist nicht etwa auf „Kapitalstrafsachen“ beschränkt; sie kommt auch jenseits dessen bei besonders schweren Straftaten in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 06.05.2013 - 1 StR 178/13, NStZ 2013, 658, 659). Fälle des - wie hier - Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge können hierunter fallen.
273
Auch die individuelle Schuld des Angeklagten wiegt vorliegend schwer im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG. Insoweit war der Schuldgehalt der Taten jugendspezifisch zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit nicht vorrangig der äußere Unrechtsgehalt der Taten und deren Einordnung nach dem allgemeinen Strafrecht. Entscheidend ist vielmehr, ob und in welchem Umfang sich die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Angeklagten vorwerfbar in der Tat manifestiert haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat und das Tatbild sind insofern von Belang, als hieraus Schlüsse auf die innere Tatseite gezogen werden können (vgl. zum Ganzen BGH, Urteile vom 13.11.2019 - 2 StR 217/19; und vom 09.01.2018 - 1 StR 239/17, NStZ 2018, 659 f.; Beschluss vom 14.08.2012 - 5 StR 318/12, NStZ 2013, 289).
274
Dabei hat die Kammer als die charakterliche Haltung des Angeklagten in einem positiven Licht präsentierende Umstände insbesondere gesehen, dass er weitgehend geständig war und dabei schon vor der Erhebung der Nachtragsanklage den darin gemachten Vorwurf eingeräumt hatte, bislang keiner jugendstrafrechtlichen Ahndung ausgesetzt werden musste, sich sein Handel überwiegend auf die „weiche“ Droge Cannabis beschränkte, wobei er allerdings im Vorfeld des 21. Januar 2019 in Gesprächen mit dem früheren Mitangeschuldigten … auch ein Interesse am Handel mit Kokain zu bekunden beginnt (Gespräch vom 17. Januar 2019, 19:54 Uhr, Gesprächs-ID …: „Business von den Weißen“) und er schließlich - angesichts der fehlenden Hinweise auf beim Angeklagten verbliebene relevante Vermögenswerte oder einen „verschwenderischen“ Lebensstil nicht ausschließbar - auch durch einen Geldbedarf der Mutter zur Tatbegehung motiviert wurde. Als zwar keine Rückschlüsse auf die innere Tatseite eröffnende, aber dennoch schuldlimitierend wirkende Umstände waren zudem zu sehen, dass die Kommunikation des Angeklagten während des Großteils der Geschäfte überwacht war, es zu Sicherstellungen von nicht unerheblichen Anteilen des Haschischs kam, die so dem Verkehr entzogen wurden, und es sich bei den gehandelten Ecstasy-Tabletten um wirkstofffreie Ware handelte.
275
Dem steht indes gegenüber, dass der Angeklagte die bestimmende Gestalt in einem planvoll verwirklichten Handel mit großen Mengen einer - freilich überwiegend „weichen“ - Droge war, bei dem er dirigierend auf weitere Beteiligte einwirkte. Der Angeklagte hat insbesondere durch den Handel an öffentlichen Plätzen hohe Risiken für sich und die Beteiligten in Kauf genommen und diese durch geschickte Organisation der Abläufe zu minimieren versucht, mithin mit hoher krimineller Energie gehandelt. Trotz der Verhaftung von auch seinem persönlichen Nahfeld angehörenden Personen, namentlich dem Mitangeklagten … und dem früheren Mitangeklagten …, hat er Zweifel an seinem Drogenhandel nicht aufkommen lassen und stattdessen kühl kalkulierend durch die Einbindung neuer Personen auf die veränderte Situation reagiert. Hierin zeigt sich ein so gewichtiger Mangel an charakterlicher Haltung, dass die Schuld des Angeklagten auch in Abwägung mit den zu seinen Gunsten sprechenden Umständen als schwer wiegend im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG zu bewerten ist.
c) Dauer der Jugendstrafe
276
Auch bei der Festlegung der dem Rahmen des §§ 18 Abs. 1 Satz 1, 105 Abs. 3 Satz 1 JGG zu entnehmenden Dauer der Jugendstrafe hat die Kammer den in der dargelegten Weise bewerteten Schuldumfang in den Blick genommen.
277
Sie hat dabei auch berücksichtigt, dass bei Anwendung von Jugendstrafrecht die Strafe nicht über das Maß der individuellen Schuld hinausgehen darf. Die Kammer hat daher auch erwogen, ob nach Erwachsenenstrafrecht beim Angeklagten eine Strafrahmenverschiebung in Betracht gekommen wäre, die zu einer niedrigeren Höchststrafe führen würde, als sie das Jugendstrafrecht vorsieht. Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Die Kammer hätte insbesondere unter Abwägung der erwähnten Schuldminderungsgesichtspunkte mit dem Umfang des hier betriebenen Drogenhandels keinen minder schweren Fall nach § 29 a Abs. 2 BtMG angenommen.
278
Bei der Bemessung der Dauer der Jugendstrafe konnte die Kammer im Übrigen auf dasjenige abstellen, was angesichts der jugendspezifisch bestimmten Schuld als noch schuldangemessene Strafe anzusehen war. Denn bei der Jugendstrafe bildet das Ausmaß der individuellen Schuld den Rahmen, innerhalb dessen die erzieherisch erforderliche Strafe gefunden werden muss. Das Mindestmaß der Jugendstrafe muss schuldangemessen sein, ihr Höchstmaß darf auch bei Berücksichtigung des Erziehungszwecks nicht über das Maß der Tatschuld des Jugendlichen hinausgehen (BGH, Urteil vom 13.11.2019 - 2 StR 217/19, m.w.N.).
279
Vorliegend hätte die Kammer unter Abwägung der vorerwähnten, die individuelle Schuld des Angeklagten kennzeichnenden Umstände und Berücksichtigung auch der engen zeitlichen Zusammenhänge der Tathandlungen eine vier Jahre und acht Monate Jugendstrafe unterschreitende Strafe für nicht mehr schuldangemessen gehalten. Die Kammer sieht beim Angeklagten zwar weiterhin auch unter erzieherischem Gesichtspunkt den Bedarf, durch Maßnahmen auf ihn einzuwirken, die geeignet sind, das von ihm verwirklichte Unrecht angemessen zu verdeutlichen; eine über das untere Ende des Schuldangemessenen hinausreichende Strafe wurde hierdurch aber gerade nicht nötig.
280
Der Angeklagte … war zur Zeit der hier abgeurteilten Tat 15 Jahre alt und damit Jugendlicher im Sinne des § 1 Abs. 2 JGG. Er verfügte über die nötige Reife, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (§ 3 JGG). Die angemessene Ahndung war daher nach Maßgabe der §§ 5 ff. JGG und unter vorrangiger Ausrichtung am Erziehungsgedanken (§ 2 Abs. 1 Satz 2 JGG) zu finden.
a) Verhängung von Jugendstrafe; schädliche Neigungen
281
Auch beim Angeklagten … hielt die Kammer - entsprechend auch der Anregung der Jugendgerichtshilfe - die Verhängung von Jugendstrafe für erforderlich. Er weist schädliche Neigungen im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG auf.
282
Der Angeklagte hat nach einer von Krankheit überschatteten Kindheit und der Migration nach Deutschland hier eine Entwicklung hin zu einem dissozial geprägten Milieu genommen und sich auch nach seiner Inobhutnahme erzieherischen Einwirkungen weitgehend entzogen, so dass zuletzt auch eine längere stationäre therapeutische Betreuung nötig erschien. In den durch Regelverstöße gekennzeichneten häufigen Wechsel der Unterbringungsstellen, der Entwicklung zu einem zuletzt erheblichen Rauschmittelkonsum und die in den Taten zum Ausdruck kommende Etablierung eines zuletzt dissozialen Lebensstils zeigt sich ein erheblicher Erziehungsbedarf, der die längere Gesamterziehung nötig macht. Dass die insoweit nötige Einwirkung schon im Rahmen der Untersuchungshaft erreicht worden sein könnte, liegt - trotz der dort positiven Entwicklung des Angeklagten - fern. Der von der Kammer zum Konsumverhalten gehörte Sachverständige … erläuterte denn auch nachvollziehbar und überzeugend, dass - auch eingedenk des jungen Alters und der noch nicht sehr langen Dauer des Konsums - ohne die Einbindung des Angeklagten in einen engen Rahmen mit der Rückkehr in frühere Konsummuster zu rechnen ist. Auch die von der Kammer gehört Zeugin … die als Sozialpädagogin mit dem Angeklagten Gespräche in der Justizvollzugsanstalt vornehmlich zum Drogenkonsum aber auch sonst zur psychosozialen Entwicklung führte, ging davon aus, dass der Angeklagte ohne enges Betreuungssystem in seinen alten Bekanntenkreis zurückkehren und dort in frühere Verhaltensmuster verfallen würde.
b) Dauer der Jugendstrafe
283
Bei der Festlegung der Dauer der Jugendstrafe innerhalb des Rahmens des § 18 Abs. 1 Satz 2 JGG hat die Kammer zum einen von ihm verwirklichte, nach dem oben dargelegten Maßstab bemessene Schuld in den Blick genommen.
284
Die in der Tat zum Ausdruck gekommene charakterliche Haltung des Angeklagten erscheint zwar insoweit in einem positiveren Licht, als er sich geständig gezeigt hat, sein zudem auf den Handel mit einer „weichen“ Droge bezogenes Verhalten wesentlich durch die - allerdings nicht unerheblich entlohnte - Förderung fremder Taten innerhalb eines ihm weitgehend vom Mitangeklagten vorgegebenen Ablaufs gekennzeichnet und er bislang strafrechtlich nur in geringem Umfang auffällig geworden war. Auch bei ihm hat die Kammer die zwar keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die innere Tatseite zulassenden, gleichwohl aber schuldlimitierend wirkenden Umstände gesehen, dass seine Kommunikation während der Taten überwacht war und es zu Sicherstellungen von nicht unerheblichen Anteilen auch desjenigen Haschischs kam, auf das seine Handlungen bezogen waren. Diesen Gesichtspunkten stand indes auch bei ihm ein angesichts seiner an Berufsausübung erinnernden - der Angeklagte bezeichnet den Mitangeklagten in Gesprächen auch teilweise aus seinen „Chef“ - Beteiligung an dem Handel mit großen Mengen an Haschisch offenbar werdenden gewichtiger Mangel an charakterlicher Haltung gegenüber, der die Tat aus der bei Jugendlichen sonst zu beobachtenden Delinquenz heraushebt.
285
Die Kammer hat bei der Betrachtung des Schuldumfangs auch bedacht, ob bei Heranziehung von Erwachsenenstrafrecht Strafrahmenverschiebungen in Betracht gekommen wären, die gegebenenfalls limitierend wirken können. Dies war allerdings nicht der Fall. Die Kammer hätte auch bei ihm unter Abwägung der erwähnten Schuldminderungsgründe und mit Blick insbesondere auch auf die faktischen Beschränkungen des Angeklagten in seiner Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die besessenen Drogen und die im Hinblick auf das Handeltreiben eine fremde Tat bloß fördernde Stellung einen minder schweren Fall im Sinne des § 29 a Abs. 2 BtMG noch nicht angenommen, da die genannten Umstände die Tat in Abwägung mit insbesondere dem Umfang des Drogenumsatzes noch nicht in einem Maß nach unten absetzen, die die Heranziehung des Regelstrafrahmens unangemessen erscheinen ließe.
286
Insgesamt hätte der Kammer unter Berücksichtigung auch der besonderen Belastungen des noch jungen Angeklagten in der - bedingt auch durch die Verfahrensgestaltung durch die Staatsanwaltschaft - ungewöhnlich langen Untersuchungshaft eine ein Jahr und zehn Monate Jugendstrafe unterschreitende Strafe für nicht mehr schuldangemessen gehalten.
287
Die Kammer hat daneben und vor allem aber auch den Umfang des beim Angeklagten noch bestehenden Erziehungsbedarfs in den Blick genommen.
288
Sie hat hierbei insbesondere auch die von der Zeugin … vermittelten Einsichten in die weitere Entwicklung des Angeklagten während der Untersuchungshaft fruchtbar gemacht. Danach zeigte der Angeklagte nach anfänglichen Schwierigkeiten - die, worauf auch der Sachverständige … hinwies, auch Ausfluss der erzwungenen Drogenabstinenz sein konnten - eine insgesamt positive Entwicklung genommen. Im Vollzugsalltag habe er sich nunmehr beanstandungsfrei und freundlich gezeigt. Im Rahmen der Gespräche mit der Sozialpädagogin habe er sich glaubhaft motiviert gezeigt, nicht nur im Hinblick auf eine dauerhafte Drogenabstinenz, sondern auch eine darüberhinausgehende Änderung seines Sozialverhaltens, namentlich auch die Lösung aus seinem bisherigen Milieu. Die Möglichkeit im Falle einer Entlassung aus der Haft in eine heiltherapeutisch Intensivwohngruppe in Oy-Mittelberg aufgenommen zu werden, sei auch auf seinen Wunsch hin abgeklärt worden. Mit den dort vorgesehenen strengen Verhaltensregeln habe er sich vertraut gemacht und sich motiviert gezeigt, ihnen nachzukommen.
289
Vor diesem Hintergrund kann die Kammer trotz der oben beschriebenen bisherigen Fehlentwicklung, die an sich einen erheblichen Erziehungsbedarf indiziert, ein Bedürfnis zu einer insgesamt die Dauer von einem Jahr und zehn Monaten überschreitenden Gesamterziehung nicht (mehr) erkennen, wobei aber auch mit Blick auf den auch nach Verbüßung des Großteils dessen in der Untersuchungshaft noch fortbestehenden Bedarf zu einer Einwirkung auf die weitere Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten und daneben vor allem die in diesem Zusammenhang auch erzieherisch gebotene Verhängung einer angemessen unrechtsverdeutlichenden Strafe eine Jugendstrafe von solcher Dauer geboten erscheint.
290
Die Kammer hat danach unter Abwägung der genannten Gesichtspunkte und unter vornehmlicher Orientierung am Erziehungsgedanken die verwirkte Strafe mit einem Jahr und zehn Monaten Jugendstrafe bemessen.
c) Verhängung neben einer Maßregel
291
Die Verhängung dieser Jugendstrafe wurde auch nicht durch die zugleich angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (zu deren Anordnungsvoraussetzungen sogleich unten VII) entbehrlich (§ 5 Abs. 3 JGG). Dies wäre zu bejahen gewesen, wenn der mit der Jugendstrafe verfolgte Zweck bereits durch die Unterbringung erreicht werden kann, so dass eine darüberhinausgehende Einwirkung auf den Jugendlichen unnötig oder sogar ungeeignet ist (vgl. MünchKomm-StGB/Laue, 2. Aufl., JGG § 5 Rn. 24). So liegt der Fall hier nicht. Wie dargelegt erachtete die Kammer die Verhängung der - hier freilich durch die Untersuchungshaft bereits weitgehend verbüßten - Jugendstrafe auch unter erzieherischen Gesichtspunkten zur Verdeutlichung des erheblichen verwirklichten Unrechts durch den dadurch ausgedrückten gewichtigen Tadel für erforderlich. Dieser Zweck kann durch die Maßregel, die das mit der Jugendstrafe verbundene sozialethische Unwerturteil nicht zum Ausdruck bringt, nicht erreicht werden.
d) Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung
292
Die verhängte Jugendstrafe kann hier aber zu Bewährung ausgesetzt werden, weil zu erwarten ist, dass sich der Angeklagte … schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird (§ 21 Abs. 1 JGG).
293
Dem Angeklagten kann unter Berücksichtigung der durch und während der Untersuchungshaft bewirkten Nachreife zwischenzeitlich eine positive Sozialprognose gestellt werden. Der oben erläuterte Bedarf weitergehender Gesamterziehung kann auch außerhalb der Haft erzielt werden. Die Aufnahme in die auch auf den Wunsch des Angeklagten ausgewählte heiltherapeutische Intensivwohngruppe in Oy-Mittelberg, über deren Konzept sich die Kammer gleichfalls durch die Vernehmung der Zeugin … informieren konnte, verspricht - flankiert durch weitere suchttherapeutische Maßnahmen - eine angemessene erzieherische Einwirkung auf die weitere Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten unter Loslösung aus seinem bisherigen Milieu und eine Fortführung der bereits in Haft begonnenen Drogenentwöhnung. Damit ist aber zu erwarten, dass die wesentlichen, bisher in seinem Leben kriminogen wirkenden Faktoren dauerhaft beseitigt werden können, ohne dass hierzu der Vollzug weiterer Haft erforderlich wäre.
294
Durch den Vollzug der Untersuchungshaft ist es zu einer auch unter erzieherischem Gesichtspunkt gebotenen eindringlichen Verdeutlichung des mit der Straftat verbundenen erheblichen Unrechts auch bereits gekommen. Die Vollstreckung der Jugendstrafe ist auch sonst nicht etwa im Hinblick auf die Entwicklung des Angeklagten geboten (§ 21 Abs. 2 JGG).
VII. Maßregelentscheidung
295
Die Kammer bejaht - sachverständig beraten - beim Angeklagten … zudem die Voraussetzungen für seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB, § 7 Abs. 1 JGG).
1. Hang zum Übermaßkonsum
296
Beim Angeklagten ist angesichts der getroffenen Feststellungen ein Hang zum Übermaßkonsum im Sinne des § 64 StGB begründet, da er eine durch Übung erworbene Neigung zeigt, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, aufgrund deren er sozial gefährdet und gefährlich erscheint (vgl. zum Maßstab nur BGH, Beschlüsse vom 21.03.2019 - 1 StR 582/18; vom 09.01.2019 - 1 StR 603/18;; und vom 06.07.2018 - 1 StR 261/18, jeweils m.w.N.).
297
Die Kammer schließt auch aus, dass der Angeklagte die ihn in der Vergangenheit zum zuletzt intensiven Konsum von Drogen treibende Neigung während der Haft und der darin bestehenden Drogenabstinenz bereits verloren haben könnte. Insoweit führte der Sachverständige … aus, dass nach psychiatrischem Erfahrungswissen auch unter Berücksichtigung des jungen Alters des Angeklagten und der noch nicht sehr langen Dauer des Konsums vor der Haft nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Neigung zum Drogenkonsum bereits überwunden wurde. Jedenfalls beim Auftreten von sozialen Stressmomenten sei vielmehr zu erwarten, dass er in etablierte Muster zu deren Bewältigung und insoweit insbesondere auch zum Drogenkonsum zurückkehren werde. Auch die Zeugin … gab - wie erwähnt - an, dass sie ohne Intervention eine Rückkehr des Angeklagten in seinen alten Bekanntenkreis und dann auch eine Wiederaufnahme des Drogenkonsums besorge, zumal er während der Beratungsgespräche auch vereinzelt einen Konsumwunsch äußerte.
298
Bei Wiederaufnahme des Drogenkonsums bestünde aber - neben den negativen Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Angeklagten - auch die naheliegende Wahrscheinlichkeit neuer erheblicher Taten der unmittelbaren oder mittelbaren Beschaffungskriminalität, da ihm weder Möglichkeiten zur Finanzierung seines Konsums zur Verfügung stünden noch mit einer Beschränkung auf den Besitz kleinerer Mengen zum eigenen Konsum gerechnet werden kann.
2. Symptomwert der Anlasstat
299
Die Konsumneigung des Angeklagten war auch mitursächlich für die Begehung der abgeurteilte Tat. Es handelt sich um eine Tat der (auch) Beschaffungskriminalität, da der Angeklagte für seine Handlungen insbesondere durch den Zugang zu Rauschmitteln für seinen eigenen Konsum entlohnt wurde (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 18.10.2018 - 3 StR 262/18; und vom 06.12.2017 - 1 StR 415/17; Urteil vom 20.09.2017 - 1 StR 112/17).
300
Es besteht auch eine hinreichend konkrete Aussicht, den Angeklagten durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und ihn so von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten. Der Angeklagte hat sich - wie ausgeführt - bereits in der Haft drogenabstinent verhalten, an Beratungsgesprächen teilgenommen und dabei eine hohe Motivation zur therapeutischen Intervention gegen das Wiederaufkeimen der Konsumneigung gezeigt. Faktoren in seiner Person, die den Erfolg solcher Maßnahme relevant in Frage stellen könnten, waren nicht ersichtlich.
4. Aussetzung der Vollstreckung
301
Auch die Vollstreckung der Unterbringung konnte aber zur Bewährung ausgesetzt werden, weil besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann (§ 67 b As. 1 Satz 1 StGB).
302
Bei ihrer Bewertung hat die Kammer dabei insbesondere auch das vom Sachverständigen … vermittelte suchttherapeutische Erfahrungswissen herangezogen. Der Sachverständige ist Leiter der Abteilung Jugendforensik des Bezirkskrankenhause Parsberg und damit der Maßregelvollzugseinrichtung, in der die Unterbringung des Angeklagten vollstreckt würde. Der Sachverständige erläuterte, dass bei der Unterbringung von Jugendlichen im Maßregelvollzug mit Blick auf die Langfristigkeit des Behandlungserfolges zu berücksichtigen sei, dass dort Kontakt mit einer schwierigen Klientel bestehe, von dem tendenziell auch nachteilige Wirkungen ausgehen können. Der Angeklagte sei eher am unteren Ende des Altersspektrums der in Parsberg Untergebrachten, so dass die Gefahr unerwünschter Effekte bei ihm eher erhöht sei. Auf der anderen Seite komme bei Jugendlichen mit noch nicht sehr verfestigten Konsumneigungen den spezifisch persönlichkeitsbildenden Aspekten einer therapeutischen Intervention besonderes Gewicht auch m Hinblick auf die Therapie der Konsumneigung zu. Obwohl die Betreuung in einer therapeutischen Wohngruppe in ihrer spezifisch suchttherapeutischen Ausgestaltung hinter den Möglichkeiten der Maßregelvollzugseinrichtung zurückbliebe, seien von ihr daher hier - bei Flankierung durch weitere suchttherapeutischen Maßnahmen - durchaus gleichwertige Erfolgsaussichten zu erwarten. Die Gefahren einer weiteren Annäherung an dissozial geprägte Personengruppen bestehe dort in geringerem Umfang.
303
Vor dem Hintergrund dieser Schlussfolgerungen, denen sich die Kammer aufgrund eigener Bewertung anschließt, sieht sie eine ausreichende Aussicht, im Rahmen der Betreuung in einer therapeutischen Wohngruppe auch die Drogenproblematik zu beheben, ohne den Angeklagten hierbei möglichen negativen Effekten der Unterbringung auszusetzen. Diese Umstände rechtfertigen die Aussetzung auch der Vollstreckung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.
VIII. Einziehungsentscheidung
304
1. Die gegen den Angeklagten … angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 54.000 € beruht auf §§ 73 Abs. 1, 73c StGB.
305
a) Den Wert der vom Angeklagten durch seinen Handel mit Betäubungsmitteln erlangten Erlöse hat die Kammer dabei, da sichere Feststellungen hierzu anhand der ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel nicht möglich waren, nach § 73 d Abs. 2 StGB geschätzt.
306
Bei ihrer Schätzung hat sie zunächst darauf abgestellt, dass der Angeklagte … aus den geglückten Lieferungen - in den Fällen II.1.a.bb, II.2.a, II.2.c und II.3.a - insgesamt 36 Kilogramm an Cannabisprodukten bezog, die er in der Folge dem Weiterverkauf zuführen konnte. Hiervon hat die Kammer zunächst den von ihr angenommenen Eigenkonsumanteil von einem Zehntel, also 3.600 Gramm, abgezogen. Sie hat daneben berücksichtigt, dass insgesamt 5.015,48 Gramm (383,63 Gramm + 954,48 Gramm + 1.548,74 Gramm + 1.756,58 Gramm + 94,23 Gramm + 277,82 Gramm; vgl. oben unter III.2.b.(1) und III.2.b (3)) sichergestellt und so dem Handel entzogen wurden. Die verbleibende Menge von 27.384,52 Gramm hat die Kammer mit einem erwirtschafteten Erlös von (wenigstens) 2 € je Gramm multipliziert. Dabei hat die Kammer auf den niedrigsten der in den Einzelfällen vereinbarten Preise von 200 € für eine 100-Gramm-Platte Haschisch abgestellt. Es liegt nahe, dass der Angeklagte durchschnittlich tatsächlich höhere Erlöse erzielte. Die Kammer geht aber davon aus, dass durch die Ansetzung von lediglich 2 € je Gramm auch sonstige erlösmindernde Umstände wie etwa Zahlungsausfälle und - angesichts der teilweisen Art der Lagerung der Rauschmittel im öffentlichen Raum nicht ganz fernliegende - etwaige Verluste weiterer Mengen jedenfalls ausgeglichen werden. Den so errechneten Wert von 54.769,04 € hat die Kammer zur Vermeidung jedweder Schlechterstellung des Angeklagten auf 54.000 € abgerundet.
307
b) Die Kammer hielt es nicht für geboten, im Tenor eine (teilweise) gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten zu kennzeichnen. Denn zwar nahm jedenfalls der Mitangeklagte … auch Kaufgelder von Kunden entgegen, um sie an den Angeklagten weiterzuleiten, wobei er (wohl) über einen bloß transitorischen Besitz hinausgehende faktische Verfügungsgewalt erlangte (vgl. dazu BGH, Urteil vom 09.10.2019 - 1 StR 170/19). Der Kammer war aber eine tragfähige Eingrenzung derjenigen Beträge, an denen neben dem Angeklagten auch eine andere Person faktische oder wirtschaftliche Verfügungsgewalt erlangte, letztlich nicht möglich. Die Bestimmung einer Quote, in Höhe derer der Angeklagte als Gesamtschuldner haftet, hätte vor diesem Hintergrund willkürlich erschienen. Die Kammer hielt sie auch nicht für erforderlich, um zu verhindern, dass dem Angeklagten … das aus der Tat Erlangte mehrfach entzogen wird (vgl. zu dieser Zwecksetzung etwa BGH, Beschlüsse vom 28.05.2020 - 3 StR 128/20; vom 21.01.2020 - 2 StR 592/19; und vom 25.04.2018 - 2 StR 14/18). Zum einen hat die Kammer gegen den Mitangeklagten … gerade keine Einziehungsmaßnahmen verhängt. Zum anderen wird die Einwendung der Erfüllungswirkung (§ 422 Abs. 1 Satz 1 BGB) im Falle der erfolgreichen Inanspruchnahme von Beteiligten durch den Staat dem Angeklagten durch die unterlassene Tenorierung nicht genommen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 22.08.2019 - 1 StR 205/19).
308
c) Die Kammer kann auch dahinstehen lassen, ob im Jugendstrafverfahren die Einziehung des Werts von Taterträgen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zwingend anzuordnen oder von einer Ermessenausübung des Gerichts abhängig ist (vgl. einerseits BGH, Beschluss vom 8. Juli 2020 - 1 StR 467/19; und andererseits BGH, Beschlüsse vom 16.10.2019 - 3 ARs 11/19; vom 06.02.2020 - 5 ARs 20/19; vom 10.03.2020 - 4 ARs 10/19; und vom 06.05.2020 - 2 ARs 203/19). Denn angesichts des im Erkenntnisverfahren weitgehend nicht aufklärbaren Verbleibs der vom Angeklagten erzielten Erlöse hätte die Kammer auch dann, wenn ihr ein Ermessensspielraum eröffnet gewesen wäre, von der Anordnung der Einziehung im Ergebnis nicht abgesehen, sondern dies dem Verlauf des Vollstreckungsverfahrens überlassen, um auf nachträglich etwa noch bekannt werdende Umstände angemessen reagieren zu können. Eine Anordnung nach § 459 g Abs. 5 Satz 1 StPO wird freilich schon deshalb naheliegen, um die Resozialisierung des noch jungen Angeklagten nicht unangemessen zu belasten.
309
2. Raum für eine Einziehungsentscheidung gegen den Angeklagten … bestand dagegen nicht.
310
a) Hinsichtlich des sichergestellten Mobiltelefons des Typs „iPhone XS max“, das er vom Mitangeklagten für seine Tatteilnahme erhalten hat und das daher der Einziehung nach § 73 StGB unterlag, hat sich der Angeklagte am sechsten Hauptverhandlungstag mit der „form- und ersatzlosen Einziehung“ einverstanden erklärt. Aufgrund des darin liegenden wirksamen Verzichts bedurfte es keiner Einziehungsanordnung mehr (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12.09.2018 - 5 StR 400/18; vom 01.08.2018 - 5 StR 320/18; und vom 07.03.2018 - 2 StR 127/17).
311
b) Zwar wäre auch - ausgehend davon, dass der Angeklagte … einen mehr als nur transitorischen Besitz an diesen erlangte - die Einziehung des Werts derjenigen Kaufgelder in Betracht gekommen, die der Angeklagte … entgegennahm, um sie an den Mitangeklagten weiterzuleiten, §§ 73 Abs. 1, 73 c StGB.
312
Denn das vom Mitangeklagten erhaltenen Handy war - auch eingedenk des Umstandes, dass der Angeklagte … dieses ausweislich eines von ihm geführten Telefonats am 4. Dezember 2018, 15:56 Uhr (Gesprächs-ID 184112209), zu diesem Zeitpunkt und also noch vor Vornahme der letzten beiden ihm individualisiert zuordenbaren Abgabehandlungen bereits erhalten hatte - naheliegend vom Mitangeklagten … aus den Verkaufserlösen des Rauschmittelhandels erworben worden. Es war damit unter Verwertung der unmittelbaren Tatbeute erlangtes Surrogat im Sinne des § 73 Abs. 3 StGB. Neben der - hier nur durch den Verzicht des Angeklagten entbehrlich gewordenen - Surrogatseinziehung kann aber nur noch auf Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe der Differenz zwischen dem Gesamtwert des ursprünglich Erlangten und dem Surrogatwert erkannt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21.08.2018 - 2 StR 311/18; vom 03.07.2018 - 2 StR 117/18; Urteil vom 08.02.2018 - 3 StR 560/17, NJW 2018, 2141, 2142).
313
Zum Wert des Mobiltelefons hat indes der Mitangeklagte in einem Telefonat vom 15. Dezember 2018, 01:39 Uhr (Gesprächs-ID …), behauptet, es habe 1.700 € gekostet; diesen Wert bestätigte der Zeuge V. aufgrund eigener Recherche. Die Kammer geht davon aus, dass der Wert zum Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin wenigstens 1.000 € beträgt. Dass aber der Angeklagte … in den ihm individualisierbar zuordenbaren Verkaufsgeschäften mehr als diesen Betrag (bereits) „eingesammelt“ und an den Mitangeklagten … weitergegeben hatte, konnte die Kammer nicht feststellen, zumal die Observationen ergaben, dass auch der Mitangeklagte sich teilweise zeitgleich mit dem Angeklagten in der Nähe der Übergabeorte aufhielt und Kontakt mit zahlreichen Personen pflegte, so dass nicht fernliegt, dass er jedenfalls teilweise die Gelder selbst in Empfang nahm und lediglich die Drogenübergabe dem Angeklagten … überließ. Dass der Mitangeklagte … dann mehr für den Angeklagten … aufgewendet haben würde, als dieser bereits unmittelbar für ihn „erwirtschaftet“ hatte, muss dem nicht entgegenstehen. Denn zum einen übernahm der Angeklagte … auch Aufgaben, die nicht mit der Entgegennahme von Geldern einhergingen, und zum anderen erschiene es auch nicht ungewöhnlich, wenn der Mitangeklagte ihn durch besondere Großzügigkeit zu Beginn der Zusammenarbeit langfristig an sich zu binden suchte.
314
c) Soweit schließlich die Staatsanwaltschaft mit dem Schlussvortrag davon ausging, der Wert der vom Mitangeklagten … an die Eltern des Angeklagten … übermittelten Gelder von 3.000 € könne bei diesem eingezogen werden, verkennt dies, dass der Angeklagte durch die Zahlungen selbst schon nichts erlangt hat. Weder wurde der Angeklagte durch die Zahlungen an seine Eltern von Verbindlichkeiten befreit noch ist es hierdurch mittelbar zu einer tatsächlichen Vermögensmehrung bei ihm gekommen.
315
d) Die Einziehung des Wertes der ihm zum eigenen Konsum überlassenen Drogen kam schließlich gleichfalls nicht in Betracht. Bei diesen handelt es sich um Tatobjekte gemäß § 33 Satz 1 BtMG, § 74 Abs. 2 StGB. Der Einziehung von deren Wert steht entgegen, dass der Angeklagte gemäß § 134 BGB kein Eigentum an ihnen erwerben konnte (§ 74 Abs. 3 Satz 1 StGB; vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 10.06.2020 - 3 StR 37/20; und vom 10.10.2019 - 1 StR 413/19).
316
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464 Abs. 1, 465 Abs. 1, 466 StPO, §§ 74, 109 Abs. 2 JGG.