Inhalt

ArbG Würzburg, Endurteil v. 04.08.2020 – 2 Ca 600/20
Titel:

Coronavirus, SARS-CoV-2, Erkrankung, Arbeitnehmer, Versorgung, Arbeitgeber, Arbeitsentgelt, Bescheid, Urlaubsabgeltung, Arbeitsleistung, Arbeit, Wirksamkeit, Entgeltfortzahlung, Urlaub, Pflichtverletzung, Streitwertfestsetzung, wichtiger Grund, Darlegungs und Beweislast

Schlagworte:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Erkrankung, Arbeitnehmer, Versorgung, Arbeitgeber, Arbeitsentgelt, Bescheid, Urlaubsabgeltung, Arbeitsleistung, Arbeit, Wirksamkeit, Entgeltfortzahlung, Urlaub, Pflichtverletzung, Streitwertfestsetzung, wichtiger Grund, Darlegungs und Beweislast
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 27.07.2021 – 7 Sa 359/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 51806

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 08.04.2020 nicht aufgelöst worden ist.
2. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein Endzeugnis zu erteilen, das Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit enthält sowie sich auf Führung und Leistung erstreckt.
3. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.327,61 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.035,30 € brutto seit 21.04.2020, aus weiteren 1.800,00 € brutto seit 21.05.2020, aus weiteren 1.800,00 € brutto seit 23.06.2020 und aus weiteren 692,31 € brutto seit 01.07.2020 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Der Streitwert wird auf 7.266,07 € festgesetzt.
Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung sowie über die Erteilung eines Arbeitszeugnisses, Urlaubsabgeltung und Arbeitsentgelt.
2
Die Klägerin war bei dem Beklagten seit 01.12.2017 als Arzthelferin beschäftigt. Bei einer 30-Stunden-Woche betrug ihre Bruttomonatsvergütung 1.800,00 €. Es wurde eine Kündigungsfrist von acht Wochen zum Ende eines Kalendervierteljahres vereinbart. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrages vom 01.11.2017 wird auf Bl. 9 und 10 d. A. Bezug genommen.
3
Für den Zeitraum 03.04.2020 bis 13.04.2020 (Osterferien) hatte der Beklagte eine Praxisschließung geplant und sämtlichen Mitarbeiterinnen Urlaub erteilt. Nachdem eine Mitarbeiterin des Beklagten am 18.03.2020 positiv auf das Coronavirus getestet worden war, verhängte das Gesundheitsamt für die erkrankte Mitarbeiterin sowie für alle Kontaktpersonen eine Quarantäne. Auch die Klägerin wurde mit Bescheid vom 06.05.2020 (Bl. 40-43 d. A.) für den Zeitraum 19.03.2020 bis 03.04.2020 in häusliche Quarantäne geschickt. Deshalb war die Hausarztpraxis des Beklagten ab 19.03.2020 geschlossen. Am 27.03.2020 informierte der Beklagte die Klägerin und ihre Kolleginnen per WhatsApp, dass die ursprünglich urlaubsbedingt geplante Praxisschließung in der Zeit vom 03.04.2020 bis 13.04.2020 aufgrund der sicherzustellenden medizinischen Versorgung seiner Patienten, insbesondere aufgrund der Pandemie, unverantwortlich sei. Sämtliche Mitarbeiterinnen einschließlich der Klägerin widersprachen der geplanten Praxisöffnung und bestanden auf den bereits bewilligten Urlaub. Hinsichtlich des vorgelegten WhatsApp-Verlaufs wird auf Bl. 26-30 d. A. Bezug genommen. Am 03.04.2020 meldeten sich die Klägerin, Frau M. S1. und Frau N. S2. arbeitsunfähig krank. In der am 03.04.2020 für die Klägerin ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Bl. 31 d. A.) wird dieser eine Arbeitsunfähigkeit für den Zeitraum 03. bis 09.04.2020 bescheinigt. Hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Mitarbeiterinnen S1-W. und S2 wird auf Bl. 32 und 33 d. A. Bezug genommen.
4
Am 14.04.2020 (Dienstag nach Ostern) erschien die Klägerin wieder zur Arbeit. Dort übergab ihr der Beklagte das Kündigungsschreiben vom 08.04.2020, mit dem er das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung und hilfsweise ordentlich fristgemäß zum 30.06.2020 kündigt.
5
Die Klägerin äußert in der am 22.04.2020 bei Gericht eingegangen Klage die Auffassung, die fristlose Kündigung sei unwirksam. Es fehle an einem wichtigen Grund. Die Einhaltung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB werde mit Nichtwissen bestritten.
6
In der am 23.07.2020 bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung beansprucht die Klägerin ein qualifiziertes Arbeitszeugnis, Urlaubsabgeltung und Vergütung bis 30.06.2020. Der Beklagte habe trotz Aufforderung vom 15.07.2020 bislang kein Zeugnis erteilt. Gemäß § 4 des Arbeitsvertrages habe sie einen Urlaubsanspruch von 26 Tagen pro Kalenderjahr, von denen sie im Jahr 2020 bereits drei Urlaubstage genommen habe. Bei Ausscheiden zum 14.04.2020 seien 6,5 Urlaubstage entstanden, also noch 3,5 Urlaubstage abzugelten. Dies entspreche einem Betrag von 290,77 € brutto. Bei Ausscheiden zum 30.06.2020 seien 13 Urlaubstage entstanden und noch zehn Urlaubstage abzugelten. Dies entspreche einem Betrag von 830,77 € brutto. Lohn sei lediglich bis zum 14.04.2020 gezahlt worden. Für den Fall der Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht am 14.04.2020 aufgelöst worden sei, sondern erst mit Ablauf des 30.06.2020 geendet habe, bestehe ein Lohnanspruch bis 30.06.2020. Der Beklagte befinde sich in Annahmeverzug.
7
Die Klägerin stellt folgende Klageanträge:
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 08.04.2020 nicht am 14.04.2020 aufgelöst worden ist, sondern erst mit Ablauf der Kündigungsfrist am 30.06.2020 endet. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ein Endzeugnis zu erteilen, das Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit enthält sowie sich auf Führung und Leistung erstreckt.
Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsantrag zu Ziffer 1. wird folgender Antrag gestellt:
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 290.77 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.04.2020 zu zahlen.
Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu Ziffer 1. werden folgende Anträge gestellt:
3. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat April 2020 1.035,30 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.04.2020 zu zahlen.
4. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat Mai 2020 1.800,00 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.05.2020 zu zahlen.
5. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Monat Juni 2020 1.800,00 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.06.2020 zu zahlen.
6. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 830.77 EUR brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.07.2020 zu zahlen.
8
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
9
Der Beklagte hält die außerordentliche Kündigung für wirksam. Da das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finde, sei das Arbeitsverhältnis spätestens zum 30.06.2020 beendet. Die Klägerin habe eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab 03.04.2020 eingereicht, obwohl sie nicht krank gewesen sei. Die Täuschung über eine tatsächlich nicht vorhandene Arbeitsunfähigkeit sei ein Betrug oder zumindest ein Betrugsversuch zu Lasten des Arbeitgebers. Dies stelle einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Die Mitarbeiterinnen N. G., M. S.-W., N. S. und die Klägerin hätten ihm am 03.04.2020 exakt zur selben Uhrzeit das Hinweisschild auf den vormals geplanten Praxisurlaub gepostet, obwohl sie gewusst hätten, dass die Praxis am 03.04.2020 wiedereröffnet worden sei. Frau N. G. sei der Urlaub wegen Umzugs gewährt worden. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könne erschüttert sein, wenn mehrere Arbeitnehmer sich nach einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber krankschreiben lassen. Durch den WhatsApp-Chat werde belegt, dass die Klägerin und ihre Kolleginnen unter jeglichen Umständen an der damals vereinbarten Praxisschließung wegen Urlaubs vom 03.04.2020 bis 13.04.2020 festhalten wollen. Sie hätten gewusst, dass am 03.04.2020 die Praxis wiedereröffnet werde. Allerdings hätten die Klägerin und ihre Kolleginnen Frau M. S1. und Frau N. S2. am 03.04.2020 ihre Arbeit nicht wiederaufnehmen wollen. Ohne Rücksicht auf die bestehende Pandemie und der damit einhergehenden medizinischen Bedürfnisse der Bevölkerung hätten sie auf den zuvor angekündigten Urlaub insistiert und damit ihre privaten Interessen über die Gesundheit der ihnen anvertrauten Patienten gestellt. Mit dem - schon trotzigen - Post des Hinweisschildes auf die Schließung der Praxis sowie dem zeitgleichen Hinweis „Wir machen Urlaub, Ihr Praxisteam“ hätten sie ihren Willen, als Praxisteam am 03.04.2020 nicht zur Arbeit zu erscheinen, manifestiert und zeitgleich ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen am 03.04.2020 eingereicht. Durch vorstehende Handlungsweisen der Klägerin - gemeinsam mit ihren Kolleginnen - sei der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 03.04.2020 entkräftet. Für die vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit spreche auch die Tatsache, dass die Klägerin ab Karfreitag „wieder genesen gewesen sei“ und am Dienstag, den 14.04.2020 zur Arbeit erschienen sei. Eine Abmahnung sei in Anbetracht der Schwere der Pflichtverletzung entbehrlich. Die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage sei völlig zerstört.
10
Die Klägerin erwidert hierauf Folgendes:
11
Sie und ihre Kolleginnen hätten während der Quarantäne mit ihren privaten Arbeitsmitteln von zu Hause aus gearbeitet, um den Praxisbetrieb soweit wie möglich aufrecht erhalten zu können (Rezeptausstellungen, Terminkoordinierungen, Telefondienst, u. a.). Wie jedes Jahr sei der Jahresurlaub vom Beklagten einseitig festgelegt worden, so auch der Urlaub und die entsprechende Praxisschließung in der Zeit vom 03.04.2020 bis 13.04.2020. Nachdem weder sie noch die anderen Mitarbeiterinnen mit der einseitigen Rücknahme des Urlaubs einverstanden gewesen seien, habe der Beklagte mit Kurzarbeit gedroht. Aufgrund von Cluster-Kopfschmerzen habe sie sich am 03.04.2020 krankgemeldet, was vom Beklagten zur Kenntnis genommen worden sei. Da sie mit der Einführung von Kurzarbeit nicht einverstanden gewesen sei, habe sie das ihr am 09.04.2020 zugegangene Schreiben des Beklagten vom 02.04.2020 (Bl. 48 d. A.) nicht unterschrieben. Am 14.04.2020 habe der Beklagte die Belegschaft aufgefordert, sich zu der geplanten Kurzarbeit zu äußern und die Konsequenzen aus seiner Sicht erläutert, nämlich die Kündigungsmöglichkeit, wenn kein Einverständnis mit der Einführung von Kurzarbeit bestehe. Nachdem weder sie noch die anderen Mitarbeiterinnen mit der Einführung von Kurzarbeit einverstanden gewesen seien, habe er zu Einzelgesprächen aufgefordert. Im Rahmen dieses Gesprächs sei dann das vorbereitete Kündigungsschreiben übergeben worden. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege nicht vor. Die Arbeitsunfähigkeit betreffe keinen Zeitraum von nicht gewährtem Urlaub. Urlaub könne nicht einseitig vom Arbeitgeber zurückgenommen werden. Sie habe keine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht. Die Arbeitsunfähigkeit sei Folge ihrer Kopfschmerzen gewesen. Bereits seit 2014 leide sie unter aplastischer Anämie, einer schweren Knochenmarkserkrankung, die zu einer Störung des blutbildenden Systems führe. Folge dessen seien häufige Kopfschmerzen und verminderte Leistungsfähigkeit. Darüber sei ihre langjährige Hausärztin, Frau I. K., informiert. Auch dem Beklagten sei diese Erkrankung bekannt. Die Gesamtsituation habe bei ihr zu einer Stresssituation geführt, die Kopfschmerzen, Unwohlsein und entsprechende Arbeitsunfähigkeit ausgelöst habe. Der Beklagte wisse sicher selbst nur allzu gut, dass es den Berufspflichten eines Arztes widerspreche, ein Falschattest auszustellen. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte für ein Gefälligkeitsattest, insbesondere in Anbetracht dessen, dass sie schon seit vielen Jahren bei Frau K. in Behandlung sei und häufig unter Kopfschmerzen leide. Der Beklagte verhalte sich wiederholt widersprüchlich. Es sei anzunehmen, dass er darüber verärgert gewesen sei, dass sie und ihre Kolleginnen ihren geplanten und genehmigten Urlaub nicht zurückgeben wollten und er deshalb mit der Einführung von Kurzarbeit gedroht habe. Die Kündigung beruhe lediglich darauf, dass sie nicht seinem Willen gefolgt sei und sich entsprechend mit der Einführung von Kurzarbeit einverstanden erklärt habe. Gegen die Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnissees bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist spreche, dass der Beklagte die Kündigung gegenüber der Kollegin N. G. zwischenzeitlich zurückgenommen habe und im Rahmen dessen erklärt habe, dass er „etwas hochgefahren“ sei.
12
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
14
Die außerordentliche Kündigung vom 08.04.2020 ist rechtsunwirksam. Die Klägerin hat Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses, auf Vergütung für den Zeitraum 14.04.2020 - 30.06.2020 in Höhe von insgesamt 4.635,30 € brutto und auf Urlaubsabgeltung in Höhe von 692,31 € brutto.
15
Im Einzelnen gilt Folgendes:
I.
16
Die Klage ist zulässig.
17
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 b und a ArbGG. Das Arbeitsgericht Würzburg ist gemäß § 48 Abs. 1 a Satz 1 ArbGG örtlich zuständig.
II.
18
Die Klage ist überwiegend begründet.
19
1. Die außerordentliche Kündigung vom 08.04.2020 ist rechtsunwirksam. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde deshalb erst durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 30.06.2020 beendet. Da das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, hat die Klägerin diese hilfsweise ordentliche Kündigung nicht angefochten.
20
Für die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung fehlt es an einem wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB.
21
Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist in zwei Stufen zu prüfen. Zunächst ist zu klären, ob ein wichtiger Grund „an sich“ besteht. In der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
22
Bereits auf der ersten Prüfungsstufe liegen keine Tatsachen vor, die die außerordentliche Kündigung vom 08.04.2020 rechtfertigen können.
23
Das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Der Arbeitnehmer verletzt damit zum einen seine Hauptleistungspflicht erheblich, indem er keine Arbeitsleistung erbringt, obwohl er arbeiten könnte. Zum anderen erhält er bei einer vorgetäuschten Erkrankung regelmäßig unberechtigt Entgeltfortzahlung, was zugleich den Straftatbestand des Betruges erfüllen kann (LAG MecklenburgVorpommern, Urteil vom 30.07.2019 - 5 Sa 246/18 m. w. N.).
24
Dem Arbeitgeber obliegt im Kündigungsschutzprozess, den Beweis für den erhobenen Kündigungsvorwurf zu führen (LAG Hamm, Urteil vom 13.03.2015 - 1 Sa 1534/14 m. w. N.). Der Beklagte hat nicht bewiesen, dass die Klägerin ab 03.04.2020 eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht hat.
25
Die Klägerin hat für den Zeitraum 03.04.2020 bis einschließlich 09.04.2020 (Gründonnerstag) eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne von § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG vorgelegt. Einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Sie hat die Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit für sich. Erhebt der Arbeitgeber trotzt vorgelegter ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Vorwurf, die Arbeitsunfähigkeit sei nur vorgetäuscht, muss er einerseits vortragen, dass der Arbeitnehmer ihn vorsätzlich über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit getäuscht hat und darüber hinaus ausreichende Tatsachen darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlass geben und den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit erschüttern. Ist ihm dies gelungen, so ist es unter Berücksichtigung der im Kündigungsschutzprozess greifenden abgestuften Darlegungs- und Beweislast Sache des Arbeitnehmers, darzulegen, welche Erkrankungen zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen diese mit sich gebracht haben und welche Verhaltensweisen ihm ärztlicherseits auferlegt worden sind. Bei ausreichender Substantiierung ist es sodann Aufgabe des Arbeitgebers, den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers, dem es obliegt, die ihn behandelnden Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden, zu widerlegen (LAG Hamm, a.a.O., m.w.N.).
26
Der Beklagte hat keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen, die den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern könnten. Zu beachten ist, dass die Klägerin die von ihr vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht dafür „benötigte“, um sich eine von ihr gewünschte Befreiung von der Arbeitspflicht zu verschaffen. Für den 03.04.2020 bestand ohnehin keine Arbeitspflicht, weil sich die Klägerin an diesem Tag noch in häuslicher Quarantäne befand. Im Übrigen hatte der Beklagte auch der Klägerin für den Zeitraum der geplanten Praxisschließung (03.04.2020 bis 13.04.2020) gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG Urlaub erteilt. An diese Erklärung ist der Beklagte gebunden. Der Urlaub konnte nicht einseitig unter Hinweis auf die Sicherstellung der medizinischen Versorgung der Patienten rückgängig gemacht werden. Mag sein, dass durch den vorgelegten WhatsApp-Chat belegt ist, dass die Klägerin und ihre Kolleginnen unter allen Umständen an der damals vereinbarten Praxisschließung wegen Urlaubs vom 03.04.2020 bis 13.04.2020 festhalten wollten. Der Wunsch eines Arbeitnehmers einen bereits bewilligten Urlaub auch antreten zu dürfen, ist nicht geeignet, den Beweiswert einer für den Urlaubszeitraum vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Auch die Tatsache, dass drei Mitarbeiterinnen ab dem 03.04.2020 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt haben, erschüttert den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Klägerin nicht. Dies ergibt sich bereits daraus, dass weder die Klägerin noch die beiden anderen Mitarbeiterinnen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung brauchten, um ab dem 03.04.2020 der Arbeit fernzubleiben. Der Beklagte behauptet jedenfalls nicht, die Klägerin und ihre beiden Kolleginnen hätten sich dahingehend abgesprochen, sich gleichzeitig arbeitsunfähig krank zu melden, ohne tatsächlich krank zu sein. Wenn vier Mitarbeiterinnen (einschließlich Frau NG.) in der WhatsApp-Gruppe am 03.04.2020 praktisch zeitgleich das ursprünglich erstellte Hinweisschild bezüglich der Praxisschließung vom 03.04.2020 bis 13.04.2020 verbunden mit dem Hinweis „Wir machen Urlaub, Ihr Praxisteam“ posten, bringen sie damit zum Ausdruck, dass sie an der ursprünglichen Urlaubsplanung festhalten wollen. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Klägerin ist durch diese „Aktion“ jedoch nicht erschüttert.
27
Selbst wenn man die Auffassung vertreten würde, der Beklagte habe ausreichende Tatsachen dargelegt und bewiesen, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit der Klägerin Anlass geben und damit den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert, ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin konkrete Angaben zu ihrer Erkrankung und den daraus folgenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen gemacht hat. Außerdem hat sie deutlich gemacht, dass sie nach entsprechendem gerichtlichen Hinweis bereit ist, ihre behandelnde Ärztin von der Schweigepflicht zu entbinden. Es wäre damit auf jeden Fall Sache des Beklagten gewesen, den konkreten Sachvortrag der Klägerin zu widerlegen (LAG Hamm, a.a.O., m.w.N.), zB. durch Benennung der behandelnden Ärztin als Zeugin (§ 373 ZPO). Nicht die Klägerin muss beweisen, dass sie arbeitsunfähig krank war, sondern der Beklagte muss beweisen, dass die Klägerin eine Erkrankung nur vorgetäuscht hat, also dass sie tatsächlich nicht arbeitsunfähig krank war.
28
2. Der Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin gemäß § 109 Abs. 1 GewO ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen.
29
3. Der Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin restliche Vergütung für April 2020 in Höhe von 1.035,30 € brutto sowie Vergütung für die Monate Mai und Juni 2020 in Höhe von jeweils 1.800,00 € brutto zu zahlen.
30
Der Anspruch ergibt sich aus §§ 611 a Abs. 2, 615 S. 1, 296 BGB. Durch Ausspruch der unwirksamen außerordentlichen Kündigung kommt der Beklagte automatisch in Annahmeverzug, ohne dass die Klägerin ihre Arbeitsleistung anbieten musste (BAG Urteil vom 24.09.2003 - 5 AZR 500/02 m.w.N.).
31
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Da gemäß § 5 S. 2 des Arbeitsvertrages das Gehalt jeweils zum 20. eines Monats zur Zahlung fällig ist, tritt Verzug grundsätzlich ab 21. des laufenden Monats ein. Eine Ausnahme gilt für den Monat Juni 2020. Da der 20.06.2020 ein Samstag war, ist gemäß § 193 BGB die Leistung erst am nächsten Werktag, also am 22.06.2020, zu bewirken, so dass Verzug erst ab 23.06.2020 eintritt.
32
4. Die Klägerin hat gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG einen Anspruch auf Abgeltung von 10 Urlaubstagen in Höhe von 692,31 € brutto.
33
Soweit die Klägerin im Schriftsatz vom 23.07.2020 ausgehend von einer Fünf-TageWoche einen Betrag in Höhe von 830,77 € brutto errechnet, ist diese Berechnung fehlerhaft.
34
Der Urlaubsanspruch beträgt gemäß § 4 des Arbeitsvertrages jährlich 26 Werktage und nicht 26 Arbeitstage. Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2020 ergibt sich gemäß § 5 Abs. 1 c) BUrlG ein Teilurlaubsanspruch von 13 Werktagen. Unstreitig wurden bereits 3 Urlaubstage genommen, so dass noch 10 Werktage in entsprechender Anwendung des § 11 BUrlG wie folgt abzugelten sind: 1.800 €x3 : 78x 10 = 692,31 €.
35
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
III.
36
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
IV.
37
Hinsichtlich der Streitwertfestsetzung (§ 61 Abs. 1 ArbGG) gilt Folgendes:
38
Für die Kündigungsschutzklage ist gemäß § 42 Abs. 2 S. 1 GKG grundsätzlich die Höhe der Vergütung maßgeblich, die für den Zeitraum ab Zugang der fristlosen Kündigung 14.04.2020 bis zum 30.06.2020 zu zahlen ist. Da die Klägerin mit den Klageanträgen Ziffern 4), 5) und 6) die Annahmeverzugsvergütung ebenfalls geltend macht, erfolgt wegen wirtschaftlicher Identität insoweit nur die einmalige Berücksichtigung eines Wertes von 4.635,30 €. Hinzuzurechnen ist der Streitwert für das Arbeitszeugnis in Höhe eines Bruttomonatsgehalts von 1.800,00 € und der Wert der geltend gemachten Urlaubsabgeltung in Höhe von 830,77 € (§ 45 Abs. 1 S. 2 GKG), so dass sich insgesamt ein Streitwert von 7.266,07 € ergibt.
V.
39
Es besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, die Berufung gesondert zuzulassen (§ 64 Abs. 3 ArbGG).