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AG München, Urteil v. 30.07.2020 – 814 Cs 451 Js 103458/20
Titel:

Strafbarkeit des sog. Stealthing

Normenkette:
StGB § 177
Leitsatz:
Eine sexuelle Nötigung liegt vor, wenn der Täter – nachdem er zunächst einvernehmlichen Geschlechtsverkehr unter Verwendung eines Kondoms mit der Geschädigten hatte – das Kondom abstreift und gegen den ihm bekannten entgegenstehenden Willen der Geschädigten versucht, ungeschützt vaginal einzudringen. (Rn. 38 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kondom, Geschlechtsverkehr, Stealthing, einvernehmlich
Rechtsmittelinstanzen:
LG München I, Urteil vom 18.11.2020 – 26 Ns 451 Js 103458/20
BayObLG, Beschluss vom 20.08.2021 – 206 StRR 87/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 51766

Tenor

I. Der Angeklagte J1. A1. D. G. ist schuldig der sexuellen Nötigung.
II. Der Angeklagte wird zur Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt.
III. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
IV. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Angeklagte ist spanischer und peruanischer Staatsangehöriger und verheiratet, lebt jedoch bereits seit 8 Jahren von seiner Ehefrau getrennt.
2
Der Angeklagte ist in Deutschland strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten, der Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 14.01.2020 enthält keine Eintragungen.
II.
3
Zur Überzeugung des Gerichts steht folgender Sachverhalt fest:
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Am 07.06.2019 zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt nach 02.30 Uhr befanden sich der Angeklagte und die Geschädigte in der Wohnung der Geschädigten J2. A2. in der S. Straße 337 in M.. Hier kam es zum zunächst einvernehmlichen Geschlechtsverkehr. Der Geschlechtsverkehr wurde unter Verwendung eines Kondoms durchgeführt, nachdem die Geschädigte J2. A2. den Angeklagten zuvor deutlich darauf hingewiesen hatte, das Geschlechtsverkehr ohne Verwendung eines Kondoms für sie nicht in Frage komme.
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Der Angeklagte und die Geschädigte vollzogen den Geschlechtsverkehr unter Verwendung des Kondoms bis zum Samenerguss des Angeklagten.
6
Unmittelbar nach dem Samenerguss streifte der Angeklagte das Kondom von seinem Penis, legte es auf dem Bett ab und versuchte mehrfach mit seinem noch erigierten Penis erneut, und dieses Mal ohne Verwendung eines Kondoms, vaginal in die Geschädigte einzudringen. Die Geschädigte, die aufgrund des bis kurz zuvor durchgeführten Geschlechtsverkehrs noch im Vierfüßlerstand vor dem Angeklagten war, bemerkte dies, drehte sich etwas um, so dass sie den Angeklagten sehen konnte, und forderte den Angeklagten mehrfach auf, dies zu unterlassen.
7
Der Angeklagte, der wusste und verstand, dass die Geschädigte auch weiterhin ohne Verwendung eines Kondoms keinen Geschlechtsverkehr mit ihm haben wollte, versuchte trotzdem, über einen nicht unerheblichen Zeitraum, mit seinem erigierten Penis in die Geschädigte einzudringen. Zu einem eindringen kam es jedoch nicht. Die Geschädigte konnte den erigierten Penis jedoch bereits an ihrer Scheide spüren.
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Nach einiger Zeit gab die Geschädigte dem Drängen des Angeklagten nach, drehte sich erneut um, sagte „Ok!“, und gestattete dem Angeklagten, an ihr vaginalen Geschlechtsverkehr ohne Verwendung eines Kondoms durchzuführen. Dieser Geschlechtsverkehr dauerte etwa 20 bis 30 Sekunden, zu einem weiteren Samernerguss kam es nicht.
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Sodann forderte die Geschädigte den Angeklagten auf, den Geschlechtsverkehr einzustellen, da ihr dies ohne Verwendung eines Kondoms unangenehm war. Dem kam der Angeklagte nach. Zu weiteren sexuellen Handlungen kam es im Verlauf der Nacht nicht.
III.
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Die Feststellungen unter Ziff. I. beruhen auf dem auszugsweise verlesenen Bundeszentralregisterauszug vom 14.01.2020 und den Angaben des Angeklagten, der sich zu seinen persönlichen Verhältnissen nicht weitergehend äußern wollte.
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Die Feststellungen unter Ziff. II. beruhen auf der durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere auf der Einlassung des Angeklagten sowie auf den Aussagen der Zeuginnen K. und A. sowie auf den in Augenschein genommenen Lichtbildern.
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Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, dass er die Geschädigte am Vorabend kennenlernte und mit ihr in einer Diskothek feierte. Man habe im Laufe des Abends Bier und Wein konsumiert, sei aber nicht betrunken gewesen. Dort habe es bereits einen Zungenkuss mit der Geschädigten gegeben. In der Nacht habe man beschlossen, dass er bei ihr übernachten könne, da seine letzte Bahn bereits weggefahren sei. Zu dem Zeitpunkt habe er noch nicht daran gedacht, dass er später mit der Geschädigten Geschlechtsverkehr haben könnte. Auf dem Weg zur Wohnung habe man über alles mögliche, belanglose gesprochen. Zu weiteren Zärtlichkeiten sei es nicht mehr gekommen. Erst in der Wohnung habe man begonnen sich zu küssen, sich gegenseitig auszuziehen und Zärtlichkeiten auszutauschen. Es sei auch zu gegenseitigem Oralverkehr gekommen, sodann habe die Geschädigte ein Kondom geholt, dass er angelegt habe. Dann habe man gemeinsam einvernehmlich den Geschlechtsverkehr unter Verwendung des Kondoms vollzogen. Nach dem Samenerguss habe er das Kondom abgezogen, man habe sich weiter geküsst. Er sei dann im Einvernehmen mit der Geschädigten ohne Verwendung eines Kondoms in diese vaginal eingedrungen und habe für die Dauer von geschätzt etwa 15 oder 20 Sekunden den Geschlechtsverkehr ohne Kondom durchgeführt. Dann habe diese ihm mitgeteilt, dass es besser sei, wenn man ein Kondom verwende. Sie habe ein zweites Kondom geholt, mit diesem habe man erneut Geschlechtsverkehr durchgeführt. Nachdem beide müde waren, habe man abgebrochen ohne dass es zu einem erneuten Samenerguss kam. Er habe die Nacht bei der Geschädigten verbracht und am nächsten Morgen gegen 7 Uhr das Haus verlassen und sei nach Hause gefahren.
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Die Verwendung eines Kondoms sei für ihn selbstverständlich gewesen, er habe ein eigenes Interesse daran, dass er keine Geschlechtskrankheiten bekomme und keine ungewollten Schwangerschaften verursache. Er habe auch in Beziehungen stets nur Geschlechtsverkehr unter Verwendung eines Kondoms.
14
Zu der in Augenschein genommenen und auszugsweise verlesenen Wh. Nachricht vom 07.06.2019, in der der Angeklagte mitteilt, er habe einen Fehler gemacht, könne sich nicht so genau erinnern und schäme sich für das was er gemacht habe, hat der Angeklagte sich dahingehend eingelassen, dass er die Geschädigte nur trösten wollte. Er trotz des konkreten Vorhalts in der Nachricht der Geschädigten nicht gewusst, was er falsch gemacht habe. Es sei in seiner Kultur üblich, sich zu entschuldigen. Ziel der Nachricht sei gewesen, dass man sich zu einem späteren Zeitpunkt noch persönlich unterhalte, die Geschädigte habe sodann jeden Kontakt mit ihm weiteren Verlauf verweigert. Ein Eingeständnis, dass er Geschlechtsverkehr ohne Kondom und gegen den Willen der Geschädigten durchgeführt habe, sei dies keineswegs. Er habe die Nachricht schnell, auf der Toilette, beantwortet und habe dann weiter arbeiten müssen. Vielleicht habe er die Nachricht daher auch nicht so genau gelesen.
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Die Zeugin A2. hat im Rahmen ihrer Einvernahme ebenfalls geschildert, dass sie mit dem Angeklagten in der Diskothek feierte und es dort bereits zu einem Zungenkuss, aber keinen weiteren Zärtlichkeiten, kam. Man habe zwar Alkohol konsumiert, sei aber nicht betrunken gewesen. Später, sie wisse nicht mehr genau um wie viel Uhr, sei man gemeinsam mit dem Bus zu ihrer Wohnung gefahren, um dort den Geschlechtsverkehr durchzuführen. In der Wohnung habe man sich ausgezogen und begonnen sich zu küssen. Beide seien bereits unbekleidet gewesen und man habe in einer Art Umarmung auf dem Bett gelegen und sich weiter geküsst. In dieser Situation habe der Angeklagte bereits versucht ohne Kondom vaginal in sie einzudringen. Dies habe nicht funktioniert, da sie noch nicht erregt genug und noch zu trocken gewesen sei.
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Sie habe den Angeklagten dann darauf hingewiesen, dass er noch kein Kondom anhabe und dass man noch ein Kondom benötige. Der Angeklagte habe keins dabeigehabt, deswegen sei sie aufgestanden und habe ein Kondom aus dem Kleiderschrank geholt. Sodann sei das Kondom entweder vom Angeklagten selbst oder von ihr angelegt worden, man habe dann begonnen, Geschlechtsverkehr durchzuführen. Die Zeugin gab an, dass dies zunächst in der Missionarsstellung durchgeführt wurde, nach etwa 1 bis 2 Minuten habe sie sich umgedreht, der Angeklagte sei hinter ihr gewesen, sie habe sich im Vierfüßlerstand auf dem Bett befunden.
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Nach einiger Zeit habe sie gemerkt, dass der Angeklagte aufhörte und habe sich halb umgedreht, um zu schauen, warum er aufhört. Da habe sie gesehen, dass der Angeklagte bereits einen Samenerguss gehabt hat und das Kondom nicht mehr auf seinem immer noch erigierten Glied war. Das Kondom habe auf dem Bett gelegen.
18
Sie habe abgewartet und ihre Position nicht verändert. Sie habe gedacht, vielleicht würde der Angeklagte sie auf andere Art weiter stimulieren. Der Angeklagte habe dann jedoch versucht ohne Kondom erneut in sie einzudringen. Sie habe ihm sofort gesagt, dass das ohne Kondom nicht gehe. Er habe das auch verstanden. Der Angeklagte habe es trotzdem öfter probiert, zu einem Eindringen seines erigierten Penis sei es dabei nicht gekommen. Sie habe den Penis jedoch bereits an ihrer Scheide spüren können.
19
Da der Angeklagte nicht aufgehört habe zu versuchen ohne Kondom vaginal in sie einzudringen, habe sie sich nach einiger Zeit umgedreht und ihm mitgeteilt, dass es nun „Okay“ sei. Damit habe Sie dem Angeklagten erlaubt, trotz ihrer Vorbehalte, den Verkehr ohne Verwendung eines Kondoms durchzuführen. Sodann habe man den Geschlechtsverkehr vaginal ohne Verwendung eines Kondoms für etwa 20 bis 30 Sekunden durchgeführt. Während dieser Zeit habe sie sich überlegt, dass sie nach wie vor keinen Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten ohne Verwendung eines Kondoms haben wolle, weil sie diesen nur sehr kurz kannte, und habe ihn deswegen aufgefordert, aufzuhören. Dem sei der Angeklagte nachgekommen, zu einem weiteren Samenerguss des Angeklagten sei es nicht gekommen.
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Sie wisse nicht, ob sie danach noch ein weiteres Kondom geholt habe und den Geschlechtsverkehr unter Verwendung eines neuen Kondoms noch fortgesetzt habe, oder nicht. Sie sei sich jedoch sicher, dass der Geschlechtsverkehr ohne einen zweiten Samenerguss abgebrochen wurde, da beide müde waren. Sodann habe sie sich hingelegt und geschlafen.
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Am nächsten Tag habe Sie den Angeklagten mit den Vorwürfen im Wh. Chat konfrontiert. Dieser habe sich entschuldigt. Sie habe dann den Kontakt abgebrochen und ihn ignoriert, er habe noch mehrmals versucht, mit ihr in Kontakt zu treten. Dies wünsche sie nicht.
22
Sie habe kein Interesse daran, dass der Angeklagte eingesperrt werde. Er solle aber wissen, dass das was er gemacht habe, falsch war. Deswegen habe Sie Anzeige erstattet. Die Folgen der Anzeige, insbesondere die Vernehmung bei der Polizei und im Gericht, bei der sie intime Details preisgeben müsse, seien ihr sehr unangenehm.
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Die Zeugin A2. ist aussagetüchtig, sie war zum Zeitpunkt der Taten fähig, dass, was sich ereignete, zuverlässig wahrzunehmen, dass von ihr Wahrgenommene im Gedächtnis abzuspeichern sowie sich bewahren. Die Zeugin hat zwar angegeben, dass sie einige Bier getrunken und angetrunken war, in einem Rauschzustand befand sie sich jedoch nicht.
24
Für die Glaubhaftigkeit der tatbezogenen Angaben der Zeugin spricht die Qualität ihrer Aussage. Die Zeugin schildert zahlreiche Details zum Kerngeschehen, aber auch eine Vielzahl nebensächlicher Details.
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Bei ihrer Aussage durchbrach die Zeugin wiederholt die äußere Handlungschronologie, um nebensächliche Details zu schildern und kehrte dann wieder zum Bericht über das eigentliche Tatgeschehen zurück. Die Wahrscheinlichkeit das eine bewusst lügende Person derartige für den Belastungszweck relevante Tatsachen bzw. Umstände schildern würde, ist gering, weil es eine schwierige Aufgabe mit hohen Anforderungen an die kognitive Leistungsfähigkeit darstellt, eine Aussage über ein komplexes Geschehen ohne eigene Wahrnehmungsgrundlage zu erfinden und zudem über längere Zeiträume aufrechtzuerhalten. Ein böswilliger Zeuge würde sich eher einen einfacheren Sachverhalt ohne so viele Einzelheiten ausdenken.
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In sehr hohem Maße auf die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben weist hin, dass die Zeugin keinerlei Belastungseifer hat. Sie hat im Rahmen ihrer Einvernahme in der Hauptverhandlung sowie im Rahmen ihrer Einvernahme bei der Polizei mitgeteilt, dass sie zwar möchte, dass der Angeklagte weiß, dass es falsch war was er tat. Sie möchte allerdings nicht, dass er dafür bestraft wird oder sogar ins Gefängnis kommt. Die Zeugin hat den Angeklagten zudem in weiten Teilen entastet. Die Zeugin hat insbesondere ausgeführt, dass der etwa 20 bis 30 Sekunden dauernde Geschlechtsverkehr ohne Verwendung eines Kondoms einvernehmlich durchgeführt wurde, sie habe sich schließlich umgedreht und dem Angeklagten auf dessen Drängen hin nachgegeben und ihm diese Sexualpraktik gestattet. Was Falschbeschuldigungen normalerweise kennzeichnen, nämlich die typische Überbetonung der belastenden Teile, fehlt in der Aussage der Zeugin vollständig. Die Zeugin hat auch nicht versucht, ihren eigenen Beitrag zu beschönigen, sondern hat sich offen zu Umständen geäußert, die sie dem Risiko aussetzen, dass sie in einem ungünstigen Licht erscheinen könnte; insbesondere hat sie freimütig zugegeben, dass sie den Angeklagten, den sie erst wenige Stunden kannte, bereits aus der Diskothek zu dem Zweck mit Hause einlud, um mit ihm den Geschlechtsverkehr durchzuführen.
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Zweifel, dass die auf das Tatgeschehen bezogenen Angaben der Zeugin wahr sind, spricht auch ihr konstantes Aussageverhalten. Die Zeugin, die mehrfach polizeilich vernommenen worden ist, hat den Kern des Geschehens, d. h. alles aus dem Geschehensablauf, was für sie in Moment ihres Erlebens subjektiv, also aus ihrer Sicht, von zentraler Bedeutung gewesen ist und ihre eigene Rolle, sowie in der Hauptverhandlung auch schon zuvor bei ihren polizeilichen Vernehmungen geschildert. Dass die Zeugin kleinere Erinnerungslücken hat, spricht nicht gegen ihre Gewaltwürdigkeit. Dies lässt sich ohne weiteres durch den Zeitablauf seit Tatbegehung erklären. Derartige Erinnerungslücken oder Verschiebungen kleinerer Art sowie Erweiterungen zum Randgeschehen, die nicht das Kerngeschehen betreffen, gibt es nicht selten in wahren Aussagen. Fantasie- und Lügengeschichten werden im Gegensatz dazu eher homogen sowie schlüssig erdacht und auswendig gelernt.
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Die Einlassung des Angeklagten stellt sich vor diesem Hintergrund nach Überzeugung des Gerichts als Schutzbehauptung dar. Der Angeklagte hat zahlreiche Erinnerungen zum Geschehen am Vorabend der Tat, insbesondere dazu, wie er die Geschädigte kennengelernt hat und was in der Diskothek und auf dem Weg zur Wohnung der Geschädigten passiert ist. Bei der Befragung zum eigentlichen Kerngeschehen, nämlich zum Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten, offenbarte der Angeklagte sodann zahlreiche Erinnerungslücken. Im Rahmen zahlreicher Nachfragen des Gerichts versteifte sich der Angeklagte wiederholt darauf, die Fragen des Gerichtes nicht zu beantworten, sondern stattdessen auszuführen, dass „alles einvernehmlich“ war.
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Ein weiteres Indiz für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin A2. und dafür, dass es sich bei der Einlassung des Angeklagten um eine Schutzbehauptung handelt, ist der Wh. Verkehr zwischen der Geschädigten und dem Angeklagten, wie er am 07.06.2019 stattfand.
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Die Geschädigte macht dem Angeklagten hier sehr konkrete Vorwürfe, sie schildert, dass er entgegen ihrem ausdrücklichen Wunsch den Geschlechtsverkehr ohne Kondom an ihr durchgeführt habe. Sie wirft ihm vor, dass dies sowohl die Gefahr einer gewollten Schwangerschaft als auch die Gefahr der Übertragung sexuell übertragbarer Krankheiten transportiere.
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Der Angeklagte antwortet darauf ebenfalls ausführlich und führte aus, dass er einen Fehler eingestehen müsse und froh sei, dass er noch aufgehört habe. Er habe sich in der Situation gehen lassen, er könne sich nicht mehr so ganz erinnern. Er habe einen Fehler gemacht und schäme sich.
32
Es fällt auf, dass der Angeklagte konkrete, zu den Vorwürfen der Geschädigten passende und Ausführungen macht und nicht einsilbig antwortet. Dies lässt die Einlassung des Angeklagten, er habe kurz und ohne der Nachricht zu viel Bedeutung zuzumessen, während einer Pause eine schnelle Entschuldigung geschrieben, als unglaubwürdig und als Schutzbehauptung erscheinen. Bei einer Antwort wie hier ist davon auszugehen, dass sich der antwortende mit dem Inhalt auseinandergesetzt hat. Es handelt sich gerade nicht nur um eine einsilbige, nur wenige Worte umfassende Entschuldigung.
33
Die Antwort des Angeklagten im Chat ist mit seiner Schilderung zum Geschehen am Tattag im Rahmen der Hauptverhandlung überhaupt nicht in Übereinstimmung zu bringen.
34
Folgt man der Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, so kam es ausschließlich zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen, so dass die Reaktion des Angeklagten auf die - nach seiner Darstellung unbegründeten, ja haltlosen - Vorwürfe der Zeugin in keiner Weise nachvollziehbar ist. Bei realistischer Betrachtung ist davon auszugehen, dass man Vorwürfe, die haltlos sind, weit von sich weist, oder, wenn man sie überhaupt nicht oder nur überfliegend liest, jedenfalls einsilbig beantwortet.
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Auch mit kulturellen Unterschieden ist nicht zu erklären, wieso der Angeklagte hier detailliert auf die Vorwürfe eingeht und die Verantwortung übernimmt, wenn sich so ein Geschehen überhaupt nicht abgespielt haben sollte.
36
Der Chatverkehr stützt die Angaben der Zeugin, da er, stark verkürzt, die Vorwürfe beinhaltet, die die Zeugin dem Angeklagten auch im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmungen und im Rahmen der Vernehmung in der Hauptverhandlung machte.
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Die Tatsache, dass die Zeugin erst am 17.07.2020 Anzeige erstattete, spricht nicht gegen ihre Glaubwürdigkeit. Das kommt in derartigen Fällen erfahrungsgemäß häufig vor, weil den Opfern die Sache peinlich ist, sie hin- und hergerissen oder ratlos sind, und zunächst nicht wissen, wie sie reagieren sollen.
IV.
38
Der Angeklagte hat sich damit schuldig gemacht der sexuellen Nötigung gemäß § 177 I StGB.
39
Der Angeklagte hat sich nicht, wie noch im Strafbefehl angenommen, der Vergewaltigung gemäß § 177 VI StGB schuldig gemacht, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststeht, dass der etwa 20 bis 30 Sekunden dauernde mit einem Eindringen verbundene ungeschützte Geschlechtsverkehr einvernehmlich stattgefunden hat.
40
Die sexuelle Nötigung liegt vorliegend in dem Verhalten des Angeklagten vor diesem einvernehmlichen ungeschützten Geschlechtsverkehr. Der Angeklagte hat in dem eindeutigen Wissen, dass die Geschädigte mit ihm den Geschlechtsverkehr nur unter Verwendung eines Kondoms durchführen möchte, über einen nicht unerheblichen Zeitraum versucht, vaginal mit seinem erigierten Penis in die Geschädigte ohne Verwendung eines Kondoms einzudringen.
41
Er hat davon auch nicht abgelassen, als die Geschädigte sich umdrehte und ihn erneut verbal darauf hinwies, dass sie ohne Kondom keinen Geschlechtsverkehr möchte, sondern hat seine Bemühungen über einen so langen Zeitraum fortgesetzt, bis die Geschädigte ihm die gewünschte Sexualpraktik gestattet.
42
Durch dieses Verhalten hat der Angeklagte gegen den erkennbaren Willen der Geschädigten sexuelle Handlungen an ihr vorgenommen und den Tatbestand des § 177 I StGB verwirklicht.
V.
43
Der Strafrahmen ist dem § 177 I StGB zu entnehmen und lautet auf Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren.
44
Anhaltspunkte für eine Strafrahmenverschiebung haben sich nicht ergeben, insbesondere war der Angeklagte zwar angetrunken, jedoch jederzeit Herr seiner Sinne.
45
Im Rahmen der Strafzumessung war strafmildernd zu werten, dass der Angeklagte bislang strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist.
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Strafschärfend war jedoch zu werten, dass der Angeklagte über einen längeren Zeitraum penetrant versucht hat, an der Geschädigten sexuelle Handlungen gegen ihren Willen vorzunehmen und er währenddessen mehrfach verbal darauf hingewiesen wurde, dass dies nicht erwünscht ist.
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Ferner war erheblich strafschärfend zu werten, dass die Tatauswirkungen auf die Geschädigte erheblich sind. Die Geschädigte, deren Einvernahme mehrfach unterbrochen werden musste, war von dem Geschehen sichtlich aufgewühlt. Der Geschädigten viel es schwer in der Atmosphäre des Gerichtssaals Details zu ihrem Intim- und Sexualleben preiszugeben und zahlreichen Fragen über sich ergehen zu lassen. Es war offensichtlich, dass die Tat und ihre Folgen auf die Geschädigte nach wie vor, also auch nach über einem Jahr, noch einwirken.
48
Strafmildernd musste gewertet werden, dass die Geschädigte vor und nach der Tat noch freiwillig und einvernehmlich mit dem Geschädigten Geschlechtsverkehr durchführte, so dass es sich um eine für ein Sexualdelikt untypische Gesamtsituation handelte.
49
Ferner war strafmildernd zu werten, dass die Geschädigte kein Strafinteresse hatte.
50
Unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte hielt das Gericht die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr für tat- und schuldangemessen.
51
Die Freiheitsstrafe konnte unter Zurückstellung nicht unerheblicher Bedenken zur Bewährung ausgesetzt werden, da dem Angeklagten eine positive Sozialprognose gestellt werden kann. Nachdem der Angeklagte sich im Rahmen der Hauptverhandlung zu seinen persönlichen Verhältnissen nicht eingelassen hat, beruht dies insbesondere darauf, dass es sich bei der Freiheitsstrafe um die erste gegen den Angeklagten verhängte Strafe handelt.
52
Das Gericht hat daher die Hoffnung, dass der Angeklagte sich bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lassen wird und in Zukunft keine Straftaten mehr begehen wird.
53
Zur Einwirkung auf den Angeklagten war es jedoch unumgänglich die Bewährungszeit auf 3 Jahre festzulegen sowie dem Angeklagten eine Geldauflage in Höhe von 2000,- Euro, zu zahlen an einen gemeinnützigen Verein, aufzuerlegen.
54
Durch die Zahlung der Geldauflage in monatlichen Raten von 100,- Euro soll der Angeklagte für einen längeren Zeitraum daran erinnert werden, dass er unter offener Bewährung steht und er beginnen muss, Verantwortung für seine Straftat zu übernehmen.
VI.
55
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464 I, 465 I StGB.