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LG Traunstein, Urteil v. 19.10.2020 – 3 Ns 460 Js 18376/20
Titel:

Freiheitsstrafe, Berufung, Rechtsfolgenausspruch, Schuldspruch, Angeklagte, Strafrahmen, Diebstahl, form, Strafaussetzung, Psychotherapie, Betreuung, Tatzeit, Angeklagten, Geldstrafe, Widerruf der Strafaussetzung, kurze Freiheitsstrafen

Schlagworte:
Freiheitsstrafe, Berufung, Rechtsfolgenausspruch, Schuldspruch, Angeklagte, Strafrahmen, Diebstahl, form, Strafaussetzung, Psychotherapie, Betreuung, Tatzeit, Angeklagten, Geldstrafe, Widerruf der Strafaussetzung, kurze Freiheitsstrafen
Vorinstanz:
AG Rosenheim, Urteil vom 27.08.2020 – 7 Ds 460 Js 18376/20 (2)
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 04.10.2021 – 206 StRR 69/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 51751

Tenor

Die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 27.08.2020 wird als unbegründet kostenpflichtig verworfen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 27.08.2020 wegen Diebstahls zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt.
2
Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 14.09.2020 wurde die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
3
Die zulässige Strafmaßberufung der Angeklagten hatte in der Sache keinen Erfolg.
II.
4
Die Kammer hat in der Berufungshauptverhandlung folgende Feststellungen getroffen:
1. Zur Person der Angeklagten
Zur Sache:
5
Aufgrund der wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch stehen der Schuldspruch und die ihn tragenden Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Rosenheim vom 27.08.2020 gemäß §§ 318, 327 StPO bindend fest. Die Kammer ist mithin von folgendem Sachverhalt ausgegangen:
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Am 29.05.2020 gegen 18:30 Uhr entwendete die Angeklagte in den Geschäftsräumen der Firma Edeka, …, ein Pflegeshampoo L’Oreal, Fleischwaren, eine Gewürzdose Kümmel, Bourbon Vanillezucker sowie Zigarettentabak im Gesamtwert von 38,08 € um die Ware ohne zu bezahlen für sich zu behalten. Die Angeklagte steckte die Waren in die von ihr mitgeführte Handtasche, bezahlte an der Kasse lediglich mehrere Getränke und verließ dann den Kassenbereich in Richtung Ausgang. Dort wurde die Angeklagte von dem Geschäftsführer S… und der Verkäuferin R… festgehalten und die Polizei verständigt. Die entwendeten Waren konnten von der Geschädigten wieder in den Verkauf gegeben werden.
7
Strafantrag wurde an 29.05.2020 form- und fristgerecht gestellt.
III.
8
Die Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen beruhen auf den nachvollziehbaren und glaubhaften Angaben der Angeklagten, den vorgelegten und zu Protokoll genommenen Unterlagen sowie den Angaben der vernommenen Bewährungshelferin D. M… und den Ausführungen der Zeugin I. K… von der Diakonie R…. Die Feststellungen zu den bisherigen Verurteilungen folgen aus dem verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister sowie den diesen Verurteilungen zugrunde liegenden gerichtlichen Entscheidungen, die allesamt auszugsweise hinsichtlich der zugrunde liegenden Sachverhalte verlesen wurden und der glaubhaften Einlassung der Angeklagten hierzu.
IV.
9
Für den Diebstahl gemäß § 242 Abs. 1 StGB sieht das Gesetz einen Strafrahmen von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren vor.
10
Innerhalb dieses Strafrahmens war zugunsten der Angeklagten ihr bereits unmittelbar nach der Tat, aber auch in erster Instanz und in der Berufungsverhandlung wiederholtes offenes Geständnis zu berücksichtigen, das auch durch die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch zum Ausdruck kam. Die Angeklagte hat insoweit auch glaubhaft Einsicht und Reue gezeigt. Zu ihren Gunsten wurde weiterhin berücksichtigt, dass der Wert der entwendeten Gegenstände vergleichsweise gering war und diese auch neuerlich in den Verkauf gebracht werden konnten. Auch hat die Kammer zu Gunsten der Angeklagten berücksichtigt, dass die Angeklagte vorwiegend Nahrungsmittel entwendet hat.
11
Straferschwerend war demgegenüber zu berücksichtigen, dass die Angeklagte strafrechtlich bereits viermal, davon dreimal einschlägig, in Erscheinung getreten ist und zur Tatzeit unter zweifacher einschlägiger offener Bewährung stand.
12
So stand die Angeklagte im Hinblick auf die Verurteilung durch das Amtsgericht K… vom … wegen Diebstahls in sechs Fällen (BZR Nr. 2) unter offener Bewährung. Gegen die Angeklagte war weiterhin mit Urteil des Amtsgerichts L… vom … (BZR Nr. 4) eine unbedingte Freiheitsstrafe von vier Monaten wegen Diebstahls in Mittäterschaft verhängt worden. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde gem. § 35 BtMG zurückgestellt, der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt bis 19.02.2023.
13
Nach erfolgreicher Drogentherapie in der Fachklinik A… in … musste die Angeklagte die anschließende freiwillige Adaption im April 2014 aufgrund eines ersten Rückfalls aus disziplinarrechtlichen Gründen abbrechen. Trotz des doppelten Bewährungsdrucks beging die Angeklagte sodann am 29.05.2020 den neuerlichen gegenständlichen Diebstahl.
14
Das strafrechtliche Vorleben der Angeklagten zeigt, dass sie sich weder durch Geldstrafen noch durch Freiheitsstrafen von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lässt.
15
Angesichts dieser besonderen Umstände in der Persönlichkeit der Angeklagten konnte gegen sie vorliegend auch unter Berücksichtigung des § 47 Abs. 1 StGB, wonach kurze Freiheitsstrafen nur in Ausnahmefällen zu verhängen sind, nur eine kurze Freiheitsstrafe verhängt werden. Eine Geldstrafe kam insoweit nicht in Betracht.
16
Unter Abwägung der für und gegen die Angeklagten sprechenden Umstände erachtet die Kammer in Übereinstimmung mit dem Erstgericht die Verhängung einer Freiheitsstrafe von vier Monaten als tat- und schuldangemessen.
VI.
17
Eine erneute Strafaussetzung zur Bewährung kam vorliegend mangels günstiger Sozial- und Legalprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB nicht in Frage. Eine solche verlangt die durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit straffreier Führung, wobei für die Bejahung einer günstigen Prognose ausreichend ist, dass die Wahrscheinlichkeit künftig straffreien Verhaltens größer ist als diejenige neuer Straftaten (vgl. Thomas Fischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 56 StGB, Rn. 4a).
18
Nach Überzeugung des Gerichts ist vorliegend jedoch nicht zu erwarten, dass sich die Angeklagte allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine weiteren Straftaten mehr begehen wird. Die Angeklagte hat vielmehr gezeigt, dass auch der doppelte Bewährungsdruck sie vorliegend nicht von einem neuerlichen Diebstahl abhalten konnte. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass zur Begründung einer positiven Sozial- und Legalprognose nicht die absolute Gewissheit künftiger Straffreiheit erforderlich ist, sondern lediglich die durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit künftiger straffreier Führung. Solche Tatsachen sind vorliegend jedoch nicht ersichtlich.
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Auch die Überwindung ihrer Drogensucht hat die Angeklagte vorliegend nicht an der Begehung eines weiteren Diebstahls gehindert. So hat die Angeklagte die gegenständliche Tat nach erfolgreicher Drogentherapie und zu einem Zeitpunkt begangen, wo sie nach ihren eigenen Angaben clean und gerade keinem Suchtdruck mehr ausgeliefert war.
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Zwar hat die Angeklagte angegeben, sie habe den Diebstahl aufgrund von Hunger begangen. So habe sie zur Tatzeit noch keine Hartz IV-Leistungen bezogen, es sei zu einer verspäteten Auszahlung gekommen und sie habe nichts zu essen gehabt. Ein Diebstahl aus existenzieller Not erscheint zum einen jedoch zweifelhaft. Denn die Angeklagte hat - abgesehen von Zigarettentabak und L’Oreal Shampoo - die Lebensmittel Vanillezucker, Kümmel und Schweinebraten von der Fleischtheke entwendet. Hierbei handelt es sich mitnichten um Grundnahrungsmittel zur Stillung von existentiellem Hunger. Zudem hatte die Angeklagte, wie sie selbst eingeräumt hat, bei ihrem Aufgriff noch 10,00 € Barmittel bei sich.
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Vor allem aber befand sie sich am 29.05.2020 bereits seit über einem Monat im ambulant betreuten Wohnen des Diakonischen Werks R…. Zum Tatzeitpunkt stand sie bereits seit mehreren Wochen in regelmäßigem, fast täglichem jedenfalls telefonischem Kontakt mit den dortigen Mitarbeiterinnen und wurde von diesen - wie sie selbst geschildert hat - vorbildlich umsorgt und begleitet. Auch die Zeugin K… hat insoweit glaubhaft versichert, dass man der Angeklagten selbstverständlich geholfen hätte, wenn diese im Rahmen der fast täglichen Telefonate darauf hingewiesen hätte, dass sie sich nichts zu essen kaufen kann. Trotz dieser intensiven Betreuung und Einbindung durch die Diakonie Rosenheim und trotz zweier offener Bewährungen hat die Angeklagte lieber einen neuerlichen Diebstahl begangen, als ihre Bezugspersonen um Hilfe zu bitten. Dies lässt sich auch mit der von der Angeklagten vorgebrachten Scham nicht nachvollziehen. Vielmehr wird deutlich, dass auch zwei offene und einschlägige Bewährungen die Angeklagte nicht von einem weiteren Diebstahl abhalten konnten - trotz erfolgreicher Drogentherapie und intensiver Betreuung durch die Diakonie R….
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Zwar lebt die Angeklagte mittlerweile in einer neuen Beziehung. Diese neue Beziehung bestand jedoch auch bereits zum Tatzeitpunkt am 29.05.2020. Die Kammer verkennt nicht, dass die Angeklagte durchaus versucht, ihr künftiges Leben besser in den Griff zu bekommen. So können die angestrebte Privatinsolvenz und die gewünschte Betreuung durchaus stabilisierend auf die Angeklagte wirken. Insbesondere das für Dezember vereinbarte Erstgespräch beim Institut für Psychotherapie der …klinik R… zur Vorbereitung einer Psychotherapie und auch die Bemühungen um eine Tätigkeit im Sozialkaufhaus der Diakonie R… zeigen durchaus einen positiven Trend. Gleichwohl handelt es sich bei diesen Bemühungen nicht um eine tragfähige Grundlage für eine positive Bewährungsprognose. Ob die insoweit angestrebten Bemühungen tatsächlich zu einem Erfolg führen werden, ist derzeit nicht absehbar. Die Kammer konnte hieraus nicht die Erwartung ableiten, dass die Verurteilte sich im vorliegenden Fall die neuerliche Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe allein zur Warnung dienen lassen und künftig ein straffreies Leben führen wird.
23
Vielmehr zeigt das strafrechtliche Vorleben der Angeklagten, dass sich diese auch in der Vergangenheit Verurteilungen zu Bewährungsstrafen nicht zur Warnung dienen ließ. Die erfolgreiche Drogentherapie konnte die Angeklagte ebensowenig von einem neuerlichen Diebstahl abhalten wie die ihr eingeräumte Möglichkeit des ambulant betreuten Wohnens.
24
In Übereinstimmung mit dem Erstgericht ist die Kammer daher der Auffassung, dass die Voraussetzungen gemäß § 56 Abs. 1 StGB für eine Strafaussetzung zur Bewährung vorliegend nicht gegeben sind. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Angeklagte mit dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung im Hinblick auf zwei (Rest-)Freiheitsstrafen zu rechnen hat.
VII.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.