Titel:
Berufung, Annahmeverzug, Fahrzeug, Mangelhaftigkeit, Ersatzpflicht, Rechtsmittel, Divergenz, Beweislast, Berufungsverfahren, Schadenersatz, Bedeutung, Schaden, Verfahren, Widerspruch, Die Fortbildung des Rechts, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg
Schlagworte:
Berufung, Annahmeverzug, Fahrzeug, Mangelhaftigkeit, Ersatzpflicht, Rechtsmittel, Divergenz, Beweislast, Berufungsverfahren, Schadenersatz, Bedeutung, Schaden, Verfahren, Widerspruch, Die Fortbildung des Rechts, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 15.11.2019 – 41 O 2151/18
Fundstelle:
BeckRS 2020, 51583
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 15.11.2019, Aktenzeichen 41 O 2151/18, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.990,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten aus Deliktsrecht die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug, das vom sog. Dieselabgasskandal betroffen war. Bereits vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klägerin (verbindliche Bestellung vom 31.12.2016) war am 08.09.2016 das von der Beklagten hergestellte und vom Kraftfahrtbundesamt genehmigte Softwareupdate aufgespielt worden.
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Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung der Klägerin und Einvernahme des Ehemannes der Klägerin als Zeugen mit Urteil vom 15.11.2019 abgewiesen.
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Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 15.11.2019 sowie auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 09.03.2020, Bl. 365 ff d.A. Bezug genommen.
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Im Berufungsverfahren beantragt die Klägerin:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 22.990,00 nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 31.12.2016 bis zum 11.12.2018 und seither fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer …304 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 12.12.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.524,15 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2018 zu zahlen.
das erstinstanzliche Urteil des LG Ingolstadt, 41 O 2151/18, verkündet am 15.11.2019, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klagepartei zurückzuweisen.
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Zu den Ausführungen des Senats im Beschluss vom 09.03.2020 hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 09.04.2020, Bl. 373 ff. d.A., Stellung genommen. Sie meint, der Senat gehe irrig davon aus, dass die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs durch das Software-Update beseitigt worden sei, obwohl das Fahrzeug die geltenden Stickoxidwerte nach wie vor nicht einhalte. Dementsprechend sei auch der Zurechnungszusammenhang nicht entfallen, da dies der Beklagten bekannt sei. Die Messergebnisse seien erst 2020 veröffentlicht worden, mithin auch der Klägerin beim Erwerb nicht bekannt gewesen. Ohnehin könne auf die allgemeine Medienberichterstattung nicht abgestellt werden. Doch selbst wenn die Klägerin von dem Update gewusst habe, könne sie Ansprüche gegen die Beklagte geltend machen. Ergänzend verweist die Klagepartei auf Rechtsprechung, die ihrer Ansicht nach den Ausführungen des Senats entgegen stehen.
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Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 15.11.2019, Aktenzeichen 41 O 2151/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Zur Begründung wird auf das landgerichtliche Urteil sowie den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen, an dem der Senat auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin in deren Schriftsatz vom 09.04.2020 weiterhin festhält.
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Im Hinblick auf diesen Schriftsatz ist noch Folgendes auszuführen:
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1. Der Senat bleibt dabei, dass es sich hier um eine besondere Einzelfallkonstellation handelt, weil im Erwerbszeitpunkt auf das streitgegenständliche Fahrzeug das von der Beklagten entwickelte und vom Kraftfahrtbundesamt genehmigte Software zur Wiederherstellung des gesetzmäßigen Zustandes des Fahrzeugs bereits aufgespielt war. Dadurch drohte dem Fahrzeug nicht mehr die Betriebsstilllegung, weil vom Kraftfahrtbundesamt nur eine Nachrüstung der betroffenen Fahrzeuge angeordnet worden ist.
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In dem hier zu entscheidenden Einzelfall sind keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären, so dass eine Entscheidung im Beschlusswege nach § 522 Abs. 2 ZPO möglich ist. Auch der Hinweis darauf, dass es in der Bundesrepublik Deutschland (schätzungsweise) mehrere 10.000 Verfahren im sogenannten Abgasskandal gibt, bei denen der Fahrzeugkauf nach Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten erfolgt ist, ändert hieran nichts. Maßgeblich ist stets die konkrete Fallgestaltung, die vorliegend individuelle Besonderheiten aufweist. Allein der Umstand, dass eine einheitliche Entscheidung des Revisionsgerichts in mehreren denselben Sachverhalt betreffenden Parallelverfahren angestrebt wird, gibt der Sache noch keine allgemeine, grundsätzliche Bedeutung (vgl. BGH vom 22.09.2015, II ZR 310/14, ZIP 2016, 266, Rn. 5). Es ist nicht ersichtlich, dass sich konkret klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen stellen würden, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen können und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berühren. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Welche derartige Rechtsfrage sich vorliegend stellen soll, erschließt sich nicht. Ebenso wenig kann eine Divergenz zu abstrakten Rechtssätzen, die andere Senate der Oberlandesgerichte (oder der Bundesgerichtshof) aufgestellt haben, festgestellt werden. Eine Entscheidung im Wege des § 522 Abs. 2 ZPO ist daher möglich.
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2. Es stellt sich hier nicht die Frage, ob durch das Aufspielen des Softwareupdates auf das streitgegenständliche Fahrzeug sämtliche in Betracht kommenden nachteiligen Folgen beseitigt wurden, die aus der ursprünglichen Ausstattung des Wagens mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultieren können. Die allein in Betracht kommenden deliktischen Anspruchsgrundlagen gegen die Beklagte scheitern nach Überzeugung des Senats vielmehr daran, dass ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten der Beklagten und dem Eintritt eines etwaigen Schadens bei der Klägerin nicht gegeben ist. Der erforderliche Zurechnungszusammenhang ist hier aufgrund der von der Beklagtenpartei getroffenen Abwehrmaßnahmen zu verneinen.
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Eine Ersatzpflicht setzt voraus, dass der Schaden, der hier in dem Abschluss des Kaufvertrages durch die Klagepartei zu sehen wäre, durch das zum Schadenersatz verpflichtende Ereignis, das hier in dem Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware zur Unterscheidung des Fahr- und Prüfbetriebes läge, verursacht worden ist. In Fällen der mittelbaren Kausalität, in denen - wie hier - der Schaden erst durch ein Handeln des Geschädigten (mit-)verursacht wird, nämlich durch den Abschluss des Kaufvertrages, ist der Zurechnungszusammenhang nur gegeben, wenn die Handlung des Verletzten durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert worden ist. Die Beweislast für diese Herausforderung trägt dabei der Geschädigte (Palandt/Grüneberg, 70. Auf. 2020, Vorb. vor § 249 BGB, Rdnr. 24, 41; speziell im Hinblick auf § 826 BGB, BGH, Urteil vom 20.02.1979, Az. VI ZR 189/78).
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An die öffentliche Einräumung der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im September 2015 durch die V. AG und die auch von der Beklagten getroffenen Maßnahmen zur Information über den Sachverhalt schloss sich eine breite Diskussion der Thematik in der Öffentlichkeit an. In Umsetzung der vom Kraftfahrtbundesamt angeordneten Nebenbestimmungen wurde von der Beklagten ein Softwareupdate angeboten, das auf das streitgegenständliche Fahrzeug auch aufgespielt worden ist, bevor die Klägerin den Wagen erworben hat. Mit dem Aufspielen des genehmigten Updates droht für das Fahrzeug kein Entzug der Zulassung mehr. Damit hat die Beklagte aber ausreichende Maßnahmen durchgeführt, um ein Fortwirken einer - behaupteten - von ihr begangenen Täuschung zu unterbinden. Ein Zurechnungszusammenhang im Hinblick auf den nachfolgenden Fahrzeugerwerb durch die Klägerin kann damit nicht angenommen werden. Vor diesem Hintergrund kann auch dahinstehen, ob es überhaupt eine tatsächliche Vermutung dafür gibt, dass ein Käufer von dem Erwerb eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung regelmäßig bei Kenntnis der Umstände Abstand nehmen würde.
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3. Die Erholung von Sachverständigengutachten zur Wirkungsweise des von der Klägerin behaupteten Thermofensters, das mit dem Softwareupdate neu implementiert worden sei und dazu, ob die vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge nach dem Aufspielen des Updates nun alle maßgeblichen Schadstoffgrenzwerte einhalten, ist nicht veranlasst. Insoweit kommt es auf die Ausführungen des BGH in dem Beschluss vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19, ob es sich um Angaben ins Blaue hinein handelt oder ob genügend greifbare Anknüpfungspunkte für eine sachverständige Begutachtung bestehen, nicht an. Was das von der Klägerin behauptete Thermofenster betrifft, hat der Senat bereits im Hinweisbeschluss vom 09.03.2020 unter Ziffer 4. umfangreich Ausführungen gemacht, auf die Bezug genommen wird. Die unklare Formulierung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, anhand der beurteilt werden muss, ob es sich bei einem Thermofenster um eine zulässige oder unzulässige Abschalteinrichtung handelt, führt schon dazu, dass ein Schädigungsvorsatz der Beklagten vor dem Hintergrund der Prüfung und Freigabe des Updates durch das Kraftfahrtbundesamt nicht angenommen werden kann. Der Verweis der Klägerin auf eine angebliche Parallelsache vor dem OLG Celle ist schon deshalb nicht relevant, weil es sich dort um einen gänzlich anderen Motor handelt.
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Es ist auch weder konkret vorgetragen noch ersichtlich, dass das Fahrzeug ungeachtet der Freigabe des Updates durch das Kraftfahrtbundesamt weiterhin von einer Stilllegung bedroht ist.
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4. Soweit die Klägerin auf Entscheidungen anderer Oberlandesgericht zu Fällen des Kaufs nach der Adhoc Meldung der V. AG verweist, verkennt sie, dass es auch bei diesen Fällen unterschiedliche Fallkonstellationen gibt, mit ganz individuellen Fragestellungen. Es geht hier jedenfalls nicht um die „klassische“ Fallgruppe nach Bekanntwerden des Dieselabgasskandals, zu denen inzwischen divergierende Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte vorliegen. Diese Entscheidungen betreffen aber durchweg Fahrzeuge, die beim Verkauf noch kein Softwareupdate hatten, so auch die von der Klägerin zitierten Entscheidungen des OLG Köln und des OLG Koblenz. Eine Abweichung von tragenden Erwägungen in Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte vermag der Senat nicht zu erkennen.
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5. Das von der Klägerin zitierte Verfahren des hiesigen Senats, Az. 21 U 7506/19 befasst sich mit einer gänzlich anderen Thematik, nämlich mit der Frage, ob eine Verjährung des geltend gemachten Anspruchs anzunehmen ist und nicht mit der hier entscheidungserheblichen Frage, ob noch ein Zurechnungszusammenhang gegeben ist. Der Zurechnungszusammenhang gehört ebenso wie der Vorsatz zum Haftungstatbestand. Die Verjährung ist eine Einrede, sie knüpft an völlig andere Voraussetzungen an. Bei der Verjährung geht es um subjektive Aspekte auf Seiten der Klagepartei, nämlich um deren Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von Umständen, die eine gerichtliche Inanspruchnahme der Beklagten möglich und zumutbar machen. Es liegt auf der Hand, dass es sich bei der Zurechnung und der Verjährung um unterschiedliche Rechtsfragen handelt, die eigenständig geprüft werden müssen und dass dies bei einem Lebenssachverhalt für beide Aspekte zu verschiedenen Ergebnissen führen kann.
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6. Im Übrigen setzt sich die Klägerin mit ihrer Behauptung, dass sie beim Erwerb des Fahrzeugs am 31.12.2016 (nicht 2017) überhaupt nichts von den „betrügerischen Handlungen der hier Beklagten“ gewusst habe, in Widerspruch zur Aussage ihres Ehemanns vor dem Landgericht, der sich maßgeblich um die Verhandlungen beim Autokauf gekümmert hat. Dieser gab nämlich an, dass er vom Dieselskandal gehört und gewusst habe und ihm auch bekannt gewesen sei, dass es eine Rückrufaktion von Motoren mit der Kennung EA 198 oder so ähnlich gegeben habe. Ihm sei auch bekannt gewesen, dass A. eine Tochter von V. ist. Insoweit hat das Landgericht nachvollziehbar und schlüssig die angebliche Unkenntnis der Klägerin und ihres Ehemanns von den maßgeblichen Umständen als nicht vorstellbar und nicht glaubwürdig qualifiziert, zumal eingeräumt wurde, dass man sich regelmäßig und auf vielfältige Weise über tagespolitische Themen informiert. Da keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Landgericht getroffenen Feststellungen bestehen, hat der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen. Das Landgericht hat die erhobenen Beweise umfassend gewürdigt und ist zu nachvollziehbaren Ergebnissen gekommen, die der Senat in der Sache teilt.
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7. Die inhaltlichen Ausführungen im Schriftsatz der Beklagten vom 14.04.2020 hat der Senat zur Kenntnis genommen, sie waren jedoch für die Entscheidung, die Berufung der Klagepartei nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, nicht maßgeblich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
22
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG, 3 ZPO bestimmt.