Inhalt

SG Bayreuth, Urteil v. 03.12.2020 – S 9 BK 14/20
Titel:

Verzinsung umfasst nicht Zinseszins

Normenkette:
SGB I § 44
Leitsatz:
Nur Ansprüche auf „Geldleistungen“ sind zu verzinsen, nicht aber Zinsen, so dass Zinseszins nicht beansprucht werden kann. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verzinsung, Sozialleistungsansprüche, Geldleistungen, kein Zinseszins
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 10.05.2021 – L 7 BK 17/20
BSG Kassel, Beschluss vom 16.09.2021 – B 14 KG 4/21 BH
Fundstelle:
BeckRS 2020, 51517

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren die Nachzahlung von Zinsen inklusive Zinseszinsen ab 1. Mai 2013.
2
Der Kläger zu 1. (A.B.) lebt zusammen mit seiner Ehefrau C.D., der Klägerin zu 2., und den gemeinsamen drei Kindern, den Klägerinnen zu 3., 4. und 5. - E. (geboren 2003), F. (geboren 2005) und G. (geboren 2007) - in einem gemeinsamen Haushalt.
3
Erstmals am 29. August 2007 beantragte die Klägerin zu 2. Kinderzuschlag bei der Beklagten. Die Beklagte hat an die Klägerin zu 2. ab August 2007 bis Dezember 2007 und an den Kläger zu 1. ab Oktober 2008 bis Oktober 2011 Kinderzuschlag bewilligt.
4
Für den Zeitraum von November 2011 bis April 2012 hat das Sozialgericht Bayreuth mit rechtskräftigem Urteil vom 15. November 2017 die Beklagte nach ihrem Teilanerkenntnis verurteilt, an den Kläger zu 1. Kinderzuschlag für November 2011 in Höhe von 215,00 €, für Dezember 2011 in Höhe von 235,00 €, für Januar 2012 in Höhe von 255,00 € und für Februar bis April 2012 in Höhe von monatlich 230,00 € zu zahlen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
5
Für den Zeitraum von Mai 2013 bis Oktober 2013 (Klageverfahren S 9 BK 7/15) hat die Beklagte Leistungen abgelehnt. Diese Entscheidung wurde durch rechtskräftige Urteile vom 15. November 2017 (Sozialgericht Bayreuth, Az.: S 9 BK 7/15) und 24. September 2019 (Bayerisches Landessozialgericht, Az.: L 7 BK 13/17) bestätigt.
6
Das Sozialgericht Bayreuth hat mit Urteil vom 15. November 2017 (Az. S 9 BK 6/15) die Klage der Kläger für den Zeitraum von November 2012 bis April 2013 abgewiesen. Im Berufungsverfahren (Az.: L 7 BK 12/17) wurde das beigeladene Jobcenter H. durch das Bayerische Landessozialgericht (LSG) verurteilt, an die Kläger für Dezember 2012 Leistungen zur Sicherung nach dem SGB II in Höhe von 577,80 € (Kläger zu 1.), 503,00 € (Kläger zu 2.) bzw. 233,00 € bzw. 233,00 € bzw. 195,00 € (für Töchter der Kläger) zu gewähren, im Übrigen wurden die Berufung zurückgewiesen.
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Im Klageverfahren S 17 AS 585/15 hat das Sozialgericht Bayreuth mit Gerichtsbescheid vom 6. September 2018 die Klage des Klägers zu 1. im Hinblick auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II gegenüber dem Jobcenter H. für den Zeitraum ab März 2013 bis August 2015 abgewiesen, da den Klägern und ihren Töchtern kein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen des SGB II im o. g. Zeitraum zusteht. Das Bayerisches Landesozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 7. August 2019 festgestellt (Az.: L 11 AS 381/19 KL), dass das Berufungsverfahren L 11 AS 894/18 gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 6. August 2018 durch Berufungsrücknahme vom 13. März 2019 erledigt ist. Diesbezüglich sind Wiederaufnahmeverfahren beim Sozialgericht Bayreuth und beim Bayerischen LSG anhängig.
8
Die Kläger und ihre Töchter erhalten seit 1. September 2015 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Jobcenter H..
9
Am 4. März 2020 reichten die Kläger Klage beim Bayerischen LSG u. a. wegen der Verzinsung gemäß § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ab 1. Mai 2013 ein (Az.:).
10
Mit Schreiben vom 4. Mai 2020 erhoben die Kläger Feststellungs-, Leistungs- und Verpflichtungsklage u. a. über die Bescheidung und Auszahlung Verzinsung für Juni 2015 (S 14 AS 417/20).
11
Das Sozialgericht Bayreuth hat mit rechtskräftigem Urteil vom 30. Juni 2020 die Klage S 9 BK 9/19 gegen den Bescheid vom 23. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2020 im Hinblick auf die Gewährung von Kinderzuschlag für Juni 2015 abgewiesen.
12
Mit Beschluss vom 21. Juli 2020 hat sich das Bayerische LSG nach Beiladung des Jobcenters H. für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Bayreuth verwiesen. Nach Eingang der Akten am 30. Juli 2020 hat das Sozialgericht Bayreuth das Jobcenter H. mit Beschluss vom 30. Juli 2020 nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtgesetz (SGG) zum Verfahren beigeladen.
13
Das Gericht hat die Kläger mit Schreiben vom 3. August 2020, 10. September 2020 und 9. Oktober 2020 um Konkretisierung des Streitgegenstandes gebeten. Das Gericht bat um Mitteilung, welche Ansprüche auf Geldleistungen verzinst werden sollen und um konkrete Benennung der Ansprüche, die verzinst werden sollen.
14
Die Kläger teilen im Schreiben vom 27. Oktober 2020 mit, dass der Streitgegenstand auch in Art und Höhe bereits umfassend und erschöpfend dargelegt und aus zahlreichen tangierenden Verfahren hinlänglich bekannt sei.
15
Die Kläger fragen das Gericht: was ist mit der Verzinsung. Diese würde per Gesetz (vgl. § 44 SGB I) greifen. Darüber würde das Gericht kein Wort verlieren.
16
Die Kläger beantragen (sinngemäß),
die Beklagte und/oder die Beigeladene über § 75 SGG dazu zu verpflichten, uns Verzinsung gemäß § 44 SGB I ab 1. Mai 2013 zu leisten zu müssen (Zinsesverzinsung).
17
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
die Klage abzuweisen.
18
Zu Begründung bringt die Beklagte vor, dass auf die Begründungen zu anderen Berufungsverfahren (L 7 SF 53/20 AB, L 7 SF 55/20 AB, L 7 BK 2/20 ER und L 7 BK 3/20 ER) Bezug genommen werde. Eine weitergehende Stellungnahme sei aus Sicht der Beklagten nicht angezeigt.
19
Der Beigeladene beantragt,
die Klage zurückzuweisen.
20
Er bringt vor, dass ein Anspruch auf Verzinsung nicht ersichtlich sei, nachdem bereits ein Zahlungsanspruch des Beigeladenen ab Mai 2013 nicht bekannt sei.
21
Eine mündliche Verhandlung fand im Verfahren am 3. Dezember 2020 statt. Zu dieser sind die Kläger und der Beigeladene nicht erschienen. In der Ladung vom 28. Oktober 2020 wurden die Kläger und der Beigeladene darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.
22
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift und der Gerichtsakten S 9 BK 7/15, S 17 AS 585/15, S 9 BK 9/19, S 9 BK 14/20 und S 14 AS 417/20 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

23
Das Gericht konnte trotz Nichterscheinens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung entscheiden. Die Kläger und der Beigeladene wurden in der Ladung vom 28. Oktober 2020 darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.
24
Die Klage der Klägerinnen zu 2., 3., 4. und 5. ist unzulässig. Für den Zeitraum ab 1. Oktober 2008 hat der Kläger zu 1. Kinderzuschlag beantragt und daher ist auch nur über einen solchen Antrag/Anspruch bzw. Zinsanspruch zu entscheiden (vgl. Bayerisches Landesozialgericht (LSG), Urteil vom 24. September 2019 - L 7 BK 13/17).
25
Die vom Kläger zu 1. erhobene Verpflichtungsklage ist unzulässig.
26
Die Verpflichtungsklage ist die richtige Klageart, wenn die Behörde nicht zur Leistungsgewährung, sondern nur zur Erteilung eines neuen Verwaltungsaktes verurteilt werden kann oder wenn die Leistungsgewährung im Ermessen der Behörde steht (vgl. Keller in: MeyerLadewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 54, Rdnr. 24 - BAYERN.RECHT).
27
Gemäß § 44 Abs. 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Die Verzinsung beginnt frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger, beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung, vgl. § 44 Abs. 2 SGB I. Verzinst werden volle Euro-Beträge; der Kalendermonat ist mit dreißig Tagen zugrunde zu legen, vgl. § 44 Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB I.
28
Vorliegend steht die Leistungsgewährung nicht im Ermessen der Behörde. Zudem sind Geldansprüche, die zu verzinsen sind, nicht ersichtlich. Für den Zeitraum ab Mai 2013 wurde mit rechtskräftigen Entscheidungen des Sozialgerichts Bayreuth (Urteil vom 15. November 2017 - S 9 BK 7/15 und Gerichtsbescheid vom 21. April 2020 - S 9 BK 9/19) und des Bayerischen LSG (Urteil vom 24. September 2019 - L 7 BK 13/17) entschieden, dass dem Kläger zu 1. kein Anspruch auf Kinderzuschlag zusteht. Eine Verurteilung des Beigeladenen nach § 75 Abs. 2 SGG scheidet aus, nachdem auch hier Geldansprüche, die zu verzinsen sind, nicht ersichtlich sind. Für den Zeitraum von März 2013 bis August 2015 wurden Leistungen zur Sicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) abgelehnt (Gerichtsbescheid vom 6. September 2018 - S 17 AS 585/15). Ab September 2015 erhalten die Kläger laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Mit seiner am 4. Mai 2020 erhobenen Klage (S 14 AS 417/20) begehrt der Kläger bereits in einem anderen Klageverfahren die Verzinsung für Juni 2015. Diesbezüglich sind somit zwei Klageverfahren anhängig; ein Fall der doppelten Rechtshängigkeit liegt vor. Die zeitlich später erhobene Klage (S 14 AS 417/20) ist demnach unzulässig.
29
Im Übrigen weist das Gericht darauf hin, dass ein Anspruch auf Prozesszinsen nicht besteht (vgl. auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 8. Mai 2017 - L 10 AL 73/17 NZB und Hessisches LSG, Urteil vom 15. Januar 2004 - L 4 VS 754/03 - beide juris; Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage, § 44 SGB I (Stand 9. April 2020), Rdnr. 46); Mrozynski in: Mrozynski, SGB I, 6. Auflage 2019, § 44, Rdnr. 2 - BAYERN.RECHT). Das ein „Zinseszins“ nicht beansprucht werden kann, folgt bereits aus dem Wortlaut des § 44 Abs. 1 SGB I, nachdem lediglich Ansprüche auf „Geldleistungen“ zu verzinsen sind, zu denen Zinsen nicht gehörten (BSG, Urteil vom 18. März 2008 - B 2 U 32/06 R - juris). § 44 SGB I ist hier lex specialis (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 94, Rdnr. 5a - BAYERN.RECHT; Müller in: SGb 2010, S. 336 ff. (S. 340)).
30
Die Klage war insgesamt abzuweisen.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.