Titel:
Befreiung für eine Nebenwohnung
Normenketten:
RBstV § 4
Art. 6 GG - Art. 3 GG
Schlagwort:
Befreiung für eine Nebenwohnung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 20.04.2021 – 7 ZB 21.218
Fundstelle:
BeckRS 2020, 51408
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine Nebenwohnung.
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Der Kläger ist unter der im Rubrum genannten Anschrift seit dem 20.08.2018 mit Hauptwohnsitz gemeldet. Für diese Wohnung wird sein Vater unter der Beitragsnummer … bei dem Beklagten geführt. Seit dem 05.10.2012 ist der Kläger unter der Adresse: … mit einer Nebenwohnung gemeldet. Für diese Wohnung wird er bei dem Beklagten unter der Beitragsnummer … geführt.
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Mit Schreiben vom 29.08.2018 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für seine „Zweitwohnung“. Dabei gab er an, seiner gesetzlichen Beitragspflicht bezüglich seiner Erstwohnung in … nachzukommen. Unter Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 18.07.2018 sei er für seine Nebenwohnung von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien. Die Bemessung des Beitrags bei Zweitwohnungen verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Belastungsgleichheit. Im Formblattantrag vom 15.10.2018 gab er die Beitragsnummer der Hauptwohnung an (...). Er übersandte zudem eine Anmeldebestätigung der Gemeinde … vom 20.08.2018, in welcher die Anmeldung der Hauptwohnung in der … bescheinigt wird und eine Anmeldebestätigung über die Anmeldung einer Nebenwohnung in der … zum 05.10.2012.
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Mit Bescheid vom 02.02.2019 lehnte der Beklagte den Antrag auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Befreiung könne nicht gewährt werden, da nicht beide Wohnungen bei dem Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio auf den Kläger angemeldet seien.
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Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 20.02.2019 Widerspruch. Er berufe sich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Er sei nach dem Melderecht mit seinem Hauptwohnsitz in … gemeldet und damit Inhaber dieser Wohnung. Es sei nicht zutreffend, dass sich nur angemeldete Beitragszahler befreien lassen könnten. Volljährige Bewohner einer Wohnung würden gemäß § 2 Abs. 3 RBStV i.V.m. § 44 der Abgabenordnung als Gesamtschuldner haften. Aus diesem Grund sei es unerheblich, welcher der volljährigen Bewohner angemeldet sei. Es bestünde keine gesetzliche Rangfolge der Zahlungspflichtigen, die Mitbewohner könnten nach ihrem Willen entscheiden, wer angemeldet wird und den Beitrag entrichtet. Es sei insoweit irrelevant, ob seine Eltern den Beitrag bezahlten, er komme als Gesamtschuldner für seine Hauptwohnung der Rundfunkbeitragspflicht nach. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2020, welcher am 01.04.2020 versandt wurde, lehnt der Beklagte den Widerspruch ab. Zur Begründung führte er aus, der Kläger sei nur mit seiner Nebenwohnung beim Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio gemeldet. Für eine Befreiung sei es notwendig, dass ein Antragsteller mit mehr als einer Wohnung gemeldet sei. Zwar sei der Kläger melderechtlich mit einer Nebenwohnung in … und mit einer Hauptwohnung in … gemeldet. Die Hauptwohnung sei jedoch auf den Vater des Klägers als Beitragsschuldner gemeldet. Der Kläger würde damit nicht zur Zahlung von mehr als einem Rundfunkbeitrag herangezogen werden. Damit erfülle er nicht die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für eine Nebenwohnung.
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Mit Schreiben vom 27.04.2020, welches am 29.04.2020 bei dem Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth einging, erhob der Kläger Klage mit dem Antrag,
den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 02.02.2019 und den Widerspruchsbescheid vom 30.03.2020 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Antrag vom 15.10.2018 auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für meine Nebenwohnung (Beitragsnummer: …) zu genehmigen.
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Zur rechtlichen Begründung führte der Kläger aus, mit der Unterzeichnung des 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrages im Oktober 2019 hätten die Ministerpräsidenten zu erkennen gegeben, dass eine Befreiungsmöglichkeit auch für Inhaber von Nebenwohnungen bestehen soll, wenn sie zwar nicht selbst, aber ihre Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner den Rundfunkbeitrag für die gemeinsame Hauptwohnung entrichten. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sei durch den neu eingeführten Befreiungstatbestand in § 4 a Abs. 1 RBStV umgesetzt worden. Es werde mit dieser Vorschrift festgelegt, dass die Möglichkeit der Befreiung auch für Ehegatten und eingetragene Lebenspartner bestehe. Neben der Person, die die Rundfunkbeiträge für die Hauptwohnung entrichte, werde auch der in einer gemeinsamen Wohnung lebende Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht befreit. Mit der schon seit dem 01.11.2019 eingeführten Verwaltungspraxis des Beklagten sei er nicht einverstanden, er sehe einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es sei nicht ersichtlich, warum nur Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner eine Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG fänden. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehe Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Damit stünden auch die nahestehenden Familienmitglieder unter besonderem Schutz. Mit der Nichtberücksichtigung einer Befreiungsmöglichkeit für andere Familienangehörige sei eine Differenzierung innerhalb der Familie erfolgt, die nicht durch Sachgründe gerechtfertigt sei, die dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen seien. Es sei vielmehr eine willkürliche Entscheidung, eine Befreiungsmöglichkeit nur den Ehepartnern oder eingetragenen Lebenspartnern zu gewähren. Es scheine insbesondere unangemessen und nicht gerechtfertigt, Nachkömmlinge anders zu behandeln.
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Mit Schreiben vom 10.06.2020 beantragte der Beklagte,
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Die Voraussetzungen für eine Befreiung des Klägers von der Rundfunkbeitragspflicht lägen nicht vor. Die Rundfunkbeiträge für den Hauptwohnsitz des Klägers entrichte nicht er, sondern sein Vater. Der Kläger werde damit nicht für eine weitere Wohnung zur Entrichtung des Rundfunkbeitrags herangezogen. Verwiesen wurde auf mehrere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen und dargelegt, dass herangezogen nur derjenige werde, der als Beitragskontoinhaber mit einer eigenen Beitragsnummer beim Beitragsservice geführt und auf dessen Rechnung die Rundfunkzahlungen bewirkt würden. Entscheidend sei allein, auf wessen Rechnung im Außenverhältnis gegenüber dem Beklagten die Rundfunkzahlungen bewirkt würden. Diese Sichtwiese bestätigten auch die Ausführungen im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 18.07.2018 (insbesondere unter Rn. 111 des Urteiles). Ein Anspruch des Klägers auf Befreiung ergebe sich auch nicht aus der am 01.06.2020 in Kraft getretenen neuen gesetzlichen Regelung des § 4a RBStV.
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Der Kläger führte im Schreiben vom 03.07.2020 aus, sein Klagebegehren richte sich gegen den Inhalt des neuen Befreiungstatbestandes des § 4 a RBStV, da er eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG sehe. Der Gesetzgeber habe von seinem Gestaltungsspielraum im Bereich des Fördergebotes des Art. 6 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht. Wenn der Beklagte ausführe, es werde nur derjenige herangezogen, der als Beitragskontoinhaber mit einer eigenen Beitragsnummer beim Beitragsservice geführt werde und auf dessen Rechnung die Zahlungen bewirkt werden, widerspreche dies der Neuregelung in § 4 a RBStV. Zudem würden „andere Familienmitglieder“ in der Tatbestandseite des § 4 a RBStV nicht miteinbezogen werden. Es erscheine nicht ersichtlich, warum bei der Begründung nur dem Umstand Rechnung getragen wird, dass es gerade im Fall der ehelichen oder eingetragenen Lebenspartnerschaft oftmals vom Zufall abhängt, welche von beiden Personen den Rundfunkbeitrag für die Haupt- oder Nebenwohnung entrichte. In anderen familiären Konstellationen werde die Abhängigkeit des Zufalls der Entrichtung des Rundfunkbeitrags nicht in Betracht gezogen.
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Der Beklagte erwiderte mit Schriftsatz vom 28.10.2020, anders als bei Ehegatten und eingetragenen Lebenspartner stelle sich die Verbeitragung von Eltern und Kindern für den Familienwohnsitz (Hauptwohnsitz) und den Nebenwohnsitz nicht als zufällig dar. Während es in klassischen Ehegattenkonstellationen eher von Zufälligkeiten abhinge, welche Wohnung, im Falle des Zusammenziehens, abgemeldet werde, sei dies für die Fallgruppe des Klägers nicht der Fall. Es sei vielmehr so, dass ein Beitragskonto auf ein Elternteil angelegt sei und, wenn das Kind die Volljährigkeit erreiche und einen eigenen Hausstand begründe, ergebe sich eine eigene Beitragspflicht des Kindes für dessen neue (eigene) Wohnung. § 4 a RBStV verstoße nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 18.07.2018 mit Blick auf eine wegen des festgestellten Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG erforderlichen Neuregelung hinsichtlich der Erhebung von Rundfunkbeiträgen für Nebenwohnungsinhaber dem Gesetzgeber Mindestanforderungen aufgezeigt aber auch einen erheblichen Gestaltungsspielraum eingeräumt. § 4 a RBStV gehe über diese formulierten Mindestvoraussetzungen hinaus. Er enthalte die Erstreckung der personenbezogenen Befreiung von der Beitragspflicht für Nebenwohnungen (allein) auf den Ehepartner bzw. eingetragenen Lebenspartner des originär Befreiungsberechtigten. Von einer weitergehenden Befreiung zugunsten eines größeren Personenkreises sei abgesehen worden. Der Kläger berufe sich auf eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem. Die verfassungsrechtliche Abwägung sei hier an Art. 3 Abs. 1 GG vorzunehmen. Die Nichtberücksichtigung von in der Hauptwohnung ebenfalls lebenden Kindern würde nur dann gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoßen, wenn sie zugunsten des Ehegatten in einem solchen Ausmaß entrechtet wären, dass sich daraus eine Gefahr für die Institution der Familie ergäbe. Eine Entrechtung liege allerdings schon deshalb fern, da Familienmitglieder jedenfalls nicht gegenüber sonstigen, nicht privilegierten Nebenwohnungsinhabern diskriminiert würden. Am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG erweise sich die Ungleichbehandlung als verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der sachliche Grund für die Privilegierung der Ehe bzw. eingetragenen Lebenspartnerschaft liege darin, dass sich diese als Erwerbs- bzw. Wirtschaftsgemeinschaft darstellt. Zu dieser trage ein weiteres Familienmitglied, auch nicht das eigene Kind, nicht unmittelbar bei. Zudem sei die Ehe auch dann auf Fortführung und Beibehaltung jener Erwerbs- bzw. Wirtschaftsgemeinschaft angelegt, wenn ein Ehepartner eine zusätzliche Wohnung alleine bezieht. Ein Kind hingegen, das seine erste Wohnung bezieht, beabsichtige eben nicht eine Verfestigung der wirtschaftlichen Bände zu den Eltern, sondern gehe stattdessen den ersten Schritt in ein eigenständiges Wirtschaften und Leben.
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Mit seinem Schreiben vom 16.11.2020 macht der Kläger im Wesentlichen geltend, würde ein Kind mit Erreichen der Volljährigkeit einen eigenen Hausstand begründen wollen, würde es seine neue Wohnung als Hauptwohnsitz anmelden. Kinder, die ihren Mittelpunkt der Lebensinteressen am Hauptwohnsitz festlegen, würden eben keinen eigenen Hausstand in dem Nebenwohnsitz begründen wollen. Kinder müssten oftmals wegen der Aufnahme eines Studiums oder einer Arbeit an dem entfernten Ort einen Zweitwohnsitz beziehen. Der Beklagte übersehe zudem bei seiner Prüfung, dass auch andere Familienmitglieder, die im gemeinsamen Haushalt leben, eine Bindungs- und Wirtschaftsgemeinschaft bilden können. Zudem könne nicht uneingeschränkt davon ausgegangen werden, Kinder, welche ihre erste Wohnung beziehen, würden stets ein eigenständiges Leben und Wirtschaften beabsichtigen. Kinder, die sich aufgrund ihrer persönlichen Lebensbeziehungen oder Interessen für eine Fortführung des Hauptwohnsitzes am Familienwohnsitz entscheiden, verfolgten eine Fortsetzung des Zusammenlebens in wirtschaftlicher wie auch persönlicher Art mit den Eltern. Die Privilegierung der Ehe bzw. der eingetragenen Lebenspartnerschaft erweise sich am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG als nicht gerechtfertigt.
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Auf Anfrage des Gerichts erklärten der Kläger mit Schreiben vom 30.11.2020 und der Beklagte mit Schreiben vom 02.12.2020 jeweils das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
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Mit Beschluss vom 09.12.2020 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachte Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für die Wohnung in der … Die Ablehnung des Beklagten im Bescheid vom 02.02.2019, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2020, ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Der Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für die Wohnung des Klägers in … ergibt sich nicht (unmittelbar) aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 18.07.2018 (1 BvR 1675/16 - BGBl. 2018 Teil 1 S. 1349). Gemäß § 31 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG - hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Urteil Gesetzeskraft und gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG für die Gerichte bindende Wirkung.
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Der Tenor der Urteilsentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes lautet:
„1. Die Zustimmungsgesetze und Zustimmungsbeschlüsse der Länder zu Artikel 1 des Fünfzehnten Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 15. Dezember 2010 sind, soweit sie § 2 Absatz 1 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags (abgedruckt in der Anlage zu Artikel 1 des Gesetzes zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 18. Oktober 2011 <Gesetzblatt für Baden-Württemberg Seiten 477, 478>) in Landesrecht überführen, mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar, als Inhaber mehrerer Wohnungen über den Beitrag für eine Wohnung hinaus zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen werden.
2. Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung mit der Maßgabe weiter anwendbar, dass ab dem Tag der Verkündung dieses Urteils bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung diejenigen Personen, die nachweislich als Inhaber einer Wohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Absatz 1 und 3 des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags nachkommen, auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien sind. Ist über Rechtsbehelfe noch nicht abschließend entschieden, kann ein solcher Antrag rückwirkend für den Zeitraum gestellt werden, der Gegenstand des jeweils angegriffenen Festsetzungsbescheids ist.
3. Die Gesetzgeber sind verpflichtet, spätestens bis zum 30. Juni 2020 eine Neuregelung zu treffen.“
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Die vom Bundesverfassungsgericht normierten Tatbestandsvoraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor, denn der Kläger kommt bzw. kam seiner Rundfunkbeitragspflicht als Inhaber seiner Erstwohnung in … nicht nach. Zwar ist der Kläger Inhaber der Wohnung in …, da er dort melderechtlich gemeldet ist bzw. für den streitgegenstädlichen Zeitraum gemeldet war. Zudem unterliegt er auch für diese Erstwohnung der Rundfunkbeitragspflicht (§ 2 Abs. 1 RBStV).
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Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes ist es mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, für ein und denselben beitragsgerechten Vorzug von ein und demselben Beitragszahler den Rundfunkbeitrag doppelt zu erheben. Bereits aus dem o.g. Tenor wird deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht auf den Begriff herangezogen abstellt, wenn es ausführt, „… mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes insoweit unvereinbar, als Inhaber mehrerer Wohnungen über den Beitrag für eine Wohnung hinaus zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen werden“. Unter Rn. 106 des Urteils führt das Bundesverfassungsgericht zudem aus: „Dabei darf dieselbe Person jedoch für die Möglichkeit der privaten Rundfunknutzung nicht zu insgesamt mehr als einem vollen Beitrag herangezogen werden“. Das Gericht sah damit die doppelte Heranziehung für denselben Vorteil als unzulässig an. Der Vorteil sei bereits abgegolten, soweit Wohnungsinhaber für eine Wohnung bereits zur Leistung eines Rundfunkbeitrages herangezogen würden. Der Vorteil sei personenbezogen in dem Sinne, dass es auf denjenigen Vorteil aus dem Rundfunkempfang ankomme, den die Beitragspflichtigen selbst und unmittelbar ziehen können. Der Rundfunkbeitrag könne aber von einer Person auch in mehreren Wohnungen zur gleichen Zeit nur einmal genutzt werden. Das Innehaben weiterer Wohnungen erhöhe den Vorteil der Möglichkeit zur privaten Rundfunknutzung nicht, und zwar unabhängig davon, wie viele Personen in den jeweiligen Wohnungen zusammenwohnten (vgl. BVerfG, U.v. 18.7.2018 - 1 BvR 1675/16 - Rn 106-107). Unter Rn. 111 des Urteils wird weiter ausgeführt, dass bei einer Neuregelung der Gesetzgeber zu beachten habe, dass auf keinen Fall von derselben Person Beiträge für die Möglichkeit der Rundfunknutzung über die Erhebung eines insgesamt vollen Beitrages hinaus verlangt werden dürften.
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Eine solche Doppelbelastung lag bzw. liegt in dem hier zu entscheiden Fall gerade nicht vor. Durch die Heranziehung des Herrn … (Vater des Klägers) für die Wohnung in … ist nicht bereits der Vorteil auch für die Nebenwohnung des Klägers abgegolten. Wie oben dargelegt, ist den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes zu entnehmen, dass der Vorteil zur Rundfunknutzung nicht wohnungsbezogen, sondern personenbezogen zu verstehen ist. Das Bundesverfassungsgericht zeigt deutlich auf, dass es darum geht, dass das Rundfunkangebot von einer Person auch in mehreren Wohnungen zur gleichen Zeit nur einmal genutzt werden kann. Es ging in dieser Entscheidung gerade nicht darum, dass Mehrpersonenhaushalte entlastet werden sollten und es so zu einer Art „Familienbefreiung“ kommen sollte. In dem hier zu entscheidenden Fall verhält es sich gerade so, dass durch das Innehaben einer zweiten Wohnung der Vorteil einer Möglichkeit zur privaten Rundfunknutzung erhöht wird. Der Kläger hat selbst nicht einmal geltend gemacht, dass er die Rundfunkbeiträge für die Hauptwohnung bezahlt hat.
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Für eine personenbezogene Auslegung spricht im Übrigen auch die Konzeption des RBStV. Nach § 4 Abs. 1 RBStV wirkt eine Befreiung oder Ermäßigung von der Rundfunkbeitragspflicht grundsätzlich nur personenbezogen. Es wird grundsätzlich nur derjenige befreit, bzw. wird eine Ermäßigung gewährt, der die Voraussetzungen für die Befreiung oder Ermäßigung erfüllt. § 4 Abs. 3 RBStV regelt insoweit abschließend, auf wen sich die Befreiung bzw. Ermäßigung erstreckt. Es wäre damit systemfremd, würde man den durch das Bundesverfassungsgericht geschaffenen Übergangstatbestand dahingehend auslegen, dass die Befreiung desjenigen für die Nebenwohnung, der den Rundfunkbeitrag für die Hauptwohnung entrichtet, im Wege eines Automatismus auf sämtliche weitere Wohnungsinhaber erstrecken würde, ohne dass es eines mit § 4 Abs. 3 RBStV vergleichbaren Erstreckungstatbestand bedürfe (vgl. VG Schleswig-Holstein, U.v. 26.2.2020 - 4 A 317/19 - juris Rn 37).
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Der vom Bundesverfassungsgericht geschaffene Befreiungstatbestand ist bei dem Kläger nicht gegeben. Er wurde nicht für den Rundfunkbeitrag für die Erstwohnung herangezogen. Für Haupt- und Nebenwohnung wurden vielmehr verschiedene Personen herangezogen.
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Das Gericht folgt ausdrücklich nicht der Entscheidung des VG Greifswald vom 10.03.2020 - 2 A 120/20 HGW -. Dieses stellt für seine Begründung auf die Vorschrift des § 2 Abs. 3 RBStV ab und meint, durch die Erfüllung der Beitragsschuld durch einen Beitragspflichtigen sei die Beitragspflicht für die weiteren Bewohner der Wohnung erloschen, was zur Folge hätte, dass es unerheblich sei, wer in einem Beitragskonto des Beklagten erfasst sei und welches Familienmitglied tatsächlich den Rundfunkbeitrag bezahle. Im Rahmen des hier zu entscheidenden Falles geht es jedoch nicht um die Beitragsschuld für die Erstwohnung und ob diese erloschen ist, sondern darum, ob der Inhaber zweier Wohnungen zur Abschöpfung desselben Vorteils mehrfach herangezogen wird bzw. wurde.
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2. Ein Anspruch auf Befreiung ergibt sich für den Kläger auch nicht aus der seit dem 01.06.2020 geltenden Vorschrift des § 4 a Abs. 1 Satz 1 RBStV. Diese regelt ausdrücklich, dass eine natürliche Person für ihre Nebenwohnung von der Beitragspflichtig nach § 2 Abs. 1 befreit wird, wenn sie selbst, ihr Ehegatte oder ihr eingetragener Lebenspartner den Rundfunkbeitrag für die Hauptwohnung an die zuständige Landesrundfunkanstalt entrichtet. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
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Der Kläger kann sich auch nicht auf einen entsprechenden Befreiungsanspruch berufen, weil er meint, es liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dadurch vor, dass gemäß § 4 a RBStV volljährige Nebenwohnungsinhaber im Vergleich zu Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern mit ebenfalls einer Hauptwohnung ungleich behandelt werden, weil sich die volljährigen Nebenwohnungsinhaber nicht für ihre Nebenwohnung befreien lassen könnten, wenn sie nicht selbst den Rundfunkbeitrag für die Hauptwohnung entrichten.
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Soweit sich der Kläger auf Art. 6 Abs. 1 GG bezieht, ist auszuführen, dass er einen Anspruch über eine gleichheitswidrige Begünstigung der Ehe anstatt der Familie nicht herleiten kann. Art. 6 Abs. 1 GG bestimmt, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Selbst wenn man in Bezug auf den Begriff der Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG anerkennt, dass auch volljährige Kinder und ihre Eltern eine Familie bilden, kann sich der Kläger nicht auf eine Diskriminierung berufen. Eine auf dem Vergleich zweier Sachverhalte beruhende Bewertung kann aus dieser Norm nur hergeleitet werden, wenn Ehegatten oder Familienangehörige gegenüber Ledigen oder Nicht-Familienangehörigen benachteiligt sind. Für die Verteilung von Begünstigungen zwischen „Ehe“ und „Familie“ gibt Art. 6 Abs. 1 GG keinen Maßstab ab. Die Nichtberücksichtigung der „Familie“ würde nur dann gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoßen, wenn sie zugunsten der Ehegatten in einem solchen Ausmaß entrechtet wäre, dass sich daraus eine Gefahr für die Institution der Familie ergäbe (vgl. BVerfG, B.v. 4.5.1960 - 1 BvL 17/57 - beck-online). Hiervon ist nicht auszugehen.
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Soweit sich der Kläger auf einen Verstoß gegen Art. 3 GG beruft, weil ihm eine Befreiung verwehrt werde, obwohl er mit seinem Hauptwohnsitz bei seinen Eltern in … gemeldet sei und zudem seine Nebenwohnung in … bewohne, sieht das Gericht keinen Verstoß, der einen Anspruch des Klägers auf eine Befreiung von der Beitragspflicht für seine Nebenwohnung begründen könnte. Selbst wenn man eine verfassungsrechtlich gebotene Notwendigkeit zur Gleichbehandlung der Ehe bzw. eingetragener Lebenspartner gegenüber der Familie als Einheit von volljährigen Kindern und deren Eltern sehen würde, wäre eine Ungleichbehandlung im rundfunkbeitragsrechtlichen Kontext als verfassungsrechtlich gerechtfertigt anzusehen. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Einführung des § 4a RBStV auf der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 18.07.2018 (1 BvR 167/16) basiert, welches festgestellt hat, dass die Geltendmachung eines weiteren Rundfunkbeitrages für Nebenwohnungen gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Belastungsgleichheit verstößt. Mit Blick auf eine notwendige Neuregelung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, die Gesetzgeber könnten die Befreiung von dem Rundfunkbeitrag für die Zweitwohnungen von einem Antrag sowie einem Nachweis der Anmeldung von Erst- und Zweitwohnung als solche abhängig machen, um Verwaltungsschwierigkeiten zu vermeiden. Dabei könnten sie auch für solche Zweitwohnungsinhaber von der Befreiung absehen, die die Entrichtung eines vollen Rundfunkbeitrags für die Erstwohnung durch sie selbst nicht nachweisen. Auf keinen Fall dürften die Gesetzgeber aber von derselben Person Beiträge für die Möglichkeit der Rundfunknutzung über die Erhebung eines insgesamt vollen Betrages hinaus verlangen. Maßgeblich ist, dass die Gesetzgeber sicherstellen, dass Beitragspflichtige nicht mit insgesamt mehr als einem Rundfunkbeitrag belastet werden.
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§ 4 a RBStV regelt nunmehr eine über die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts mögliche Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht, weil er die Befreiung von der Beitragspflicht für Nebenwohnungen auch auf den Ehepartner bzw. eingetragenen Lebenspartner des Befreiungsberechtigten erstreckt. Aus der Begründung zum Dreiundzwanzigsten Rundfunkänderungsstaatsvertrages ergibt sich, dass im Hinblick auf die Möglichkeit der Befreiung auch für Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner vom Gestaltungsspielraum im Bereich des Fördergebotes des Art. 6 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht werden sollte. Es sollte zudem dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es gerade im Fall der ehelichen oder eingetragenen Lebenspartnerschaft oftmals vom Zufall abhängt, welche von beiden Personen den Rundfunkbeitrag für die Hauptoder Nebenwohnung entrichtet.
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Die Differenzierung zwischen der Befreiungsmöglichkeit für Ehegatten bzw. eingetragene Lebenspartner und Kinder, die mit ihrem Hauptwohnsitz bei den Eltern gemeldet sind, stellt sich nicht als willkürlich dar. Vielmehr zeigt der Beklagte einen sachlichen Grund auf, der darin liegt, dass Ehepartner bzw. eingetragene Lebenspartner auf die Anlage und Fortführung einer Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft gerichtet sind und es insoweit oftmals tatsächlich vom Zufall abhängt, welcher der beiden Partner die Rundfunkbeiträge für die Nebenwohnung entrichtet. Ein volljähriges Kind hingegen, welches (aus welchen Gründen auch immer) eine Nebenwohnung bezieht und dennoch mit Hauptwohnsitz bei seinen Eltern gemeldet bleibt, entfernt sich von dieser Gemeinschaft und eine Zuordnung der Nebenwohnung gerade dem Nutzen des Kindes erscheint klar vornehmbar. Mit der Nutzung der Nebenwohnung durch das Kind geht auch unzweifelhaft ein Vorteil der Nutzung des Rundfunkangebots einher. Entgegen der Meinung des Klägers kommt es bei dieser Betrachtung nicht darauf an, dass Kinder auch nachdem sie eigenständig wohnen, weil sie in einer anderen Stadt arbeiten, eine Ausbildung absolvieren oder studieren, weiterhin Verantwortung innerhalb der Familie tragen wollen. Der Beklagte hat insbesondere nicht in jedem Einzelfall zu überprüfen, welche Beweggründe die Beitragspflichtigen dazu veranlasst haben mögen, ihren Hauptwohnsitz bei den Eltern zu belassen. Bereits der Umstand, dass das volljährige Kind den elterlichen Wohnsitz verlässt und einen Nebenwohnsitz begründet, zeigt auf, dass eine Trennung dergestalt vorliegt, dass eine Verselbstständigung beabsichtigt ist. Vor dem Hintergrund, dass im Rahmen einer Familie mehrere differenzierte Fallgestaltungen im Hinblick auf die Nutzung von Nebenwohnungen in Betracht kommen, weil die Kinder zu unterschiedlichen Zwecken einen Nebenwohnsitz begründen, erscheint es nicht willkürlich, hinsichtlich der Möglichkeit der Befreiung vom Rundfunkbeitrag für eine Nebenwohnung im Bereich des Fördergebotes des Art. 6 Abs. 1 GG nur die Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner zu bevorteilen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterlegener Beteiligter hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Das Verfahren ist nicht gerichtskostenfrei gemäß § 188 Satz 2 VwGO, da keine Befreiung aus sozialen Gründen beantragt wurde, sondern Gegenstand des Verfahrens ein Befreiungsantrag betreffend eine Zweitwohnung ist. Damit handelt es sich nicht um eine Angelegenheit der Fürsorge (vgl. auch VG Würzburg, B.v. 26.2.2019 - W 3 K 19.50 - juris Rn 12).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff.