Inhalt

Anwaltsgerichtshof München, Urteil v. 28.10.2020 – BayAGH I – 5 – 5/20
Titel:

Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft nach mehreren Straftaten mit Vermögensbezug

Normenkette:
BRAO § 7 S. 1 Nr. 5
Leitsätze:
1. Wird die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt, ist iRd zu stellenden Prognose von Bedeutung, wie viele Jahre zwischen einer Verfehlung, die seinerzeit die Unwürdigkeit begründete, und dem Zeitpunkt der Wiederzulassung liegen; bei gravierenden Straftaten mit Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts ist ein Abstand von in der Regel 15 bis 20 Jahren erforderlich, wobei es einer einzelfallbezogenen Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände bedarf (ebenso BGH BeckRS 2020, 3630 Rn. 7). (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Bestimmung dieser Wohlverhaltensphase kann auch eine bloße straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden, wenn er noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand; vielmehr muss das beanstandungsfreie Verhalten geraume Zeit nach Erlass der Freiheitsstrafe wegen Ablaufs der Bewährungsfrist fortgesetzt worden sein. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsanwaltszulassung, Wiederzulassung, unwürdiges Verhalten, Unwürdigkeit, Prognose, Wohlverhaltensphase, straffreie Führung, Bewährungsstrafe
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 19.07.2021 – AnwZ (Brfg) 2/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 51220

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Wiederzulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft.
2
Der Kläger ist am … geboren. Am 21.12.1990 wurde er erstmals für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer München zur Rechtsanwaltschaft zugelassen.
3
Mit Schreiben vom 26.07.2007, eingegangen am 30.07.2007 verzichtete der Kläger im Rahmen eines gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens auf seine Zulassung als Rechtsanwalt. Daraufhin wurde die Anwaltszulassung von der Beklagten mit Verfügung vom 31.07.2007, infolge Rechtsmittelverzichts bestandskräftig seit 01.08.2007, gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 4 BRAO widerrufen.
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Durch Urteil des Amtsgerichts Traunstein vom 06.08.2007 (Az.: …), rechtskräftig seit 06.08.2007, wurde der Kläger wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Untreue (§§ 266, 53 StGB) zu einer Gesamtfreiheitstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
5
Dieser Verurteilung lag - nach dem Wortlaut des Urteils - folgender Sachverhalt zugrunde:
„Der Angeklagte ist als Rechtsanwalt zugelassen und betreibt seine Kanzlei unter der Anschrift … Am 01.06.2006 (sic!) beauftragte ihn M. H. aus B. mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen in einer erbrechtlichen Angelegenheit gegen ihre Tochter B. R. Die Mutter von Frau H. war am … verstorben. Frau H., die Kontovollmacht für ihre Mutter innehatte, ging davon aus, als Alleinerbin eingesetzt zu werden. Tatsächlich legte dann aber ihre Tochter B. R. ein Testament der Verstorbenen vor, welche sie, also die Enkelin der Erblasserin als Alleinerbin auswies. M. H. fürchtete nach der Vorlage des Testaments um die Möglichkeit der Realisierung ihrer Pflichtteilsansprüche und beauftragte daher den Angeklagten. Um ihre Pflichtteilsansprüche sicherstellen zu können, überwies sie in Absprache mit dem Angeklagten noch in der ersten Junihälfte 2003 einen Betrag in Höhe von 46.000 € auf ein Anderkonto des Angeklagten. Dieser Betrag stammte von einem Konto der Erblasserin, für das M. H. Kontovollmacht besaß. Am 23.06.2003 überwies M. H. wiederum in Absprache mit dem Angeklagten einen weiteren Betrag in Höhe von 132.400 € von einem Konto der Erblasserin auf das Anderkonto des Angeklagten. Bei dem Anderkonto, dem beide Überweisungen von Frau M. H. gutgeschrieben wurden, handelte es sich um ein alleiniges Treuhandkonto des Angeklagten bei der H., Filiale P., BLZ …, Kto.-Nr… Am 17.06.2003 buchte der Angeklagte die 46.000 € auf ein anderes Konto um und verwendete das Geld in der Folgezeit zur Bestreitung seiner Ausgaben. Auch die 132.400 € buchte er am 06.08.2003 auf ein Festgeldkonto um, um es dann zur Deckung seiner laufenden Kosten zu verwenden.
Schon bei den Umbuchungen der oben genannten Geldbeträge beabsichtigte der Angeklagte diese Mandantengelder für eigene Zwecke zu verwenden.
Neben dem oben genannten erbrechtlichen Mandatsverhältnis bestanden zwischen M. H. und dem Angeklagten weitere Mandate betreffend des Grundstücksverkaufs U. zu einem Kaufpreis von 5,3 Millionen € bzw. die Herausnahme einer Teilfläche aus diesem Grundstück zu einem Verkaufspreis von 1,65 Millionen €. Insoweit erfolgten Beurkundungstermine nach Abstimmung der Vertragsentwürfe mit dem Angeklagten.
Insoweit ist von Honoraransprüchen des Angeklagten von mindestens 118.400 € auszugehen, mit der Folge, dass letztlich ein Schaden in Höhe von 60.000 € eingetreten ist.“
6
Die Strafe aus dem Urteil wurde am 03.06.2011 erlassen. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, er habe Schadenswiedergutmachung geleistet, da er sich mit der Geschädigten in einem Vergleich geeinigt und 6.000,00 € an sie geleistet habe.
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Ab November 2007 musste der Kläger ALG II beantragen. Im April 2008 trennte sich die Ehefrau des Klägers von ihm, im Mai 2009 wurde die Ehe des Klägers geschieden. Das Verhältnis zu den Kindern und zu der geschiedenen Ehefrau gestaltete sich schwierig.
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Ebenfalls im Mai 2009 stellte der Kläger Insolvenzantrag wegen mehrerer Bürgschaften für gescheiterte Immobilienprojekte einiger GmbHs. Das Insolvenzverfahren des Klägers wurde mit der Annahme und Erfüllung eines Insolvenzplanes im September 2010 beendet.
9
Am 20.03.2011 wurde der Kläger durch Urteil des Amtsgerichts Rosenheim wegen fahrlässigen Bankrotts zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Nach den in dem Urteil getroffenen Feststellungen hatte es der Kläger versäumt gemäß § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB für die insolvente K. GmbH, für die er als Geschäftsführer tätig war, bis zum 30.06.2007 einen Jahresabschluss zu erstellen. Der Kläger erklärte, er habe als einer von drei Geschäftsführern der Gesellschaft erst im November 2007 von der Schieflage der Gesellschaft erfahren und sofort Insolvenzantrag gestellt. Laut der Eintragung im BZR ist Tatzeitpunkt der 24.06.2008, das Datum, zu dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
10
Aufgrund der persönlichen Krise hatte sich der Kläger nicht um verschiedene andere GmbHs gekümmert, deren Mitgesellschafter bzw. Geschäftsführer er war. Dies führte letztendlich am 23.11.2010 zu einer Hausdurchsuchung beim Kläger und einem weiteren Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzverschleppung und Bankrott.
11
Mit Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 15.01.2013 (Az.: …), rechtskräftig seit dem 23.01.2013, wurde der Kläger wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in 3 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Bankrott in 7 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt.
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Nach den in dem Urteil getroffenen Feststellungen hatte es der Kläger versäumt, trotz Kenntnis der spätestens zum 25.03.2009 eingetretenen Zahlungsunfähigkeit der C. Immobilien + M. GmbH als Gesellschafter bzw. (faktischer) Geschäftsführer Insolvenzantrag zu stellen. Zudem unterließ es der Kläger in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der GmbH spätestens ab Jahresbeginn 2009 gemäß § 238 HGB für die GmbH eine ordnungsgemäße Buchführung zu führen und gemäß §§ 264, 242 HGB für die Geschäftsjahre 2008 und 2009 binnen 6 Monaten nach Schluss des Kalenderjahres einen Jahresabschluss (Bilanz und GuV) zu erstellen.
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Nach den weiteren Feststellungen im Urteil war der Kläger bis zum 15.10.2009 als Geschäftsführer der J. Immobilien GmbH im Handelsregister eingetragen. Die GmbH war überschuldet und seit 16.07.2008 dauerhaft zahlungsunfähig. Auch hier habe es der Kläger unterlassen, rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen bzw. seit dem Jahr 2008 gemäß § 238 HGB für die GmbH eine ordnungsgemäße Buchführung zu führen und gemäß §§ 264, 242 HGB für das Geschäftsjahr 2008 binnen 6 Monaten nach Schluss des Kalenderjahres einen Jahresabschluss (Bilanz und GuV) zu erstellen. Für die GmbH wurde aufgrund Antrags vom 01.03.2009 am 07.09.2010 durch das Amtsgericht - Insolvenzgericht - Traunstein das Insolvenzverfahren eröffnet.
14
Schließlich war der Kläger nach den weiteren Feststellungen in dem Urteil faktischer Geschäftsführer der M. mbH, die seit Juni 2009 dauerhaft zahlungsunfähig war. Auch hier habe es der Kläger trotz Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit unterlassen, rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen bzw. seit dem Jahr 2008 gemäß § 238 HGB für die GmbH eine ordnungsgemäße Buchführung zu führen und gemäß §§ 264, 242 HGB für das Geschäftsjahr 2008 binnen 6 Monaten nach Schluss des Kalenderjahres einen Jahresabschluss (Bilanz und GuV) zu erstellen. Der von dem Notgeschäftsführer am 01.03.2010 gestellte Insolvenzantrag wurde vom Amtsgericht - Insolvenzgericht - Traunstein am 20.08.2010 mangels Masse abgelehnt. Im BZR ist hinsichtlich dieses Urteils als Datum der letzten Tat der 17.01.2012 angegeben.
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Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe wurde auf 4 Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Die als Bewährungsauflage verhängten 240 Sozialstunden leistete der Kläger in Vollzeit in einem Pflegeheim ab. Ab 2011 hatte sich der Kläger um seine kranken Eltern und seine Tante gekümmert, die 2013 bzw. 2014 verstarben. Mit Beschluss des Amtsgerichts Rosenheim vom 19.08.2016 wurde die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe erlassen, nachdem mit Beschluss vom 30.03.2016 die Bewährungszeit um 6 Monate auf den 22.07.2016 verkürzt worden war.
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Mit Schreiben vom 22.07.2019 beantragte der Kläger, ihn (erneut) als Rechtsanwalt zuzulassen. Er wies darauf hin, dass die Straftaten bereits 12 Jahre zurück lägen und er seither straffrei lebe. Auch seine private Situation habe sich stabilisiert, er sei mittlerweile in zweiter Ehe verheiratet. Seit dem 01.03.2008 arbeite er stundenweise in einer Anwaltskanzlei in Traunstein. Im Übrigen handele er in geringem Umfang mit Old- und Youngtimer.
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Mit Schreiben vom 15.10.2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie beabsichtige, die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 7 Nr. 5 BRAO zu versagen, da nach ihrer Auffassung die Wohlverhaltensphase aufgrund der Schwere der vorsätzlich begangenen Straftaten, die mit empfindlichen Freiheitsstrafen zu ahnden waren, noch nicht abgelaufen sei. Die Beklagte räumte dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme ein bis 14.11.2019.
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Mit Schreiben vom 24.10.2019 bat der Kläger um Mitteilung, wann nach Meinung der Beklagten die - ihrer Meinung nach - derzeit noch nicht abgelaufene Wohlverhaltensphase beendet sei. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 14.11.2019 mit, dass diesbezüglich keine verbindliche Auskunft erteilt werden könne, da es sich um eine einzelfallbezogene Entscheidung mit einer Abwägung aller für und gegen den Antragsteller sprechenden Umstände zum Zeitpunkt des Zulassungsantrages handele.
19
Mit Schreiben vom 09.12.2019 bekräftigte der Kläger unter Bezugnahme auf eine Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen seinen Standpunkt, dass die Voraussetzungen für eine erneute Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vorliegen würden. Die im Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit begangenen Delikte (Urteil des Amtsgerichts Traunstein vom 06.08.2007 (Az.: …)) lägen bereits 16 Jahre und damit sehr lange zurück. Dem Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 15.01.2013 lägen Unterlassungstaten zu Grunde, sodass der Unrechtsgehalt eher gering sei. Zudem stünden die Taten nicht im Zusammenhang mit dem Kernbereich anwaltlicher Tätigkeit, da zu diesem Zeitpunkt keine anwaltliche Zulassung mehr bestand. Der Zeitpunkt der letzten Tat sei bereits der 01.07.2010 gewesen und liege mindestens 9 Jahre zurück. Im Übrigen habe er es nicht zu vertreten, dass die Hauptverhandlung erst Anfang 2013 stattgefunden habe. Aufgrund der gesundheitlichen Probleme seiner Eltern habe er das Urteil des Amtsgerichts Rosenheim akzeptiert und die als Bewährungsauflagen aufgegebenen 240 Sozialstunden im Wege eine Vollzeittätigkeit in einem Pflegeheim in Rosenheim abgeleistet. Auch lebe er mittlerweile in vollständig geordneten Vermögensverhältnissen.
20
Mit Schreiben vom 19.12.2019 wies die Beklagte darauf hin, dass abweichend vom vorgelegten Führungszeugnis im Bundeszentralregisterauszug, der der Beklagten vorliege, noch eine weitere Verurteilung des Klägers aufgeführt sei, nämlich die Verurteilung wegen fahrlässigen Bankrotts durch das Amtsgericht Rosenheim vom 23.03.2011. Im Übrigen wurde der Kläger auf die Möglichkeit einer Antragsrücknahme hingewiesen.
21
Mit Schreiben vom 21.12.2019 lehnte der Kläger eine Antragsrücknahme ab und bat um alsbaldige Entscheidung.
22
Mit Bescheid vom 23.01.2020, Az. Zul … lehnte die Beklagte im Hinblick auf die Verurteilungen aus den Jahren 2007, 2011 und 2013 den Antrag des Klägers auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ab. Im Bescheid, der dem Kläger am 24.01.2020 zugestellt wurde, führt die Beklagte aus, dem Antrag könne gemäß § 7 Nr. 5 BRAO nicht stattgegeben werden, da sich der Kläger eines Verhaltens schuldig gemacht habe, das ihn unwürdig erscheinen lasse, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Die nach seinen Verurteilungen erforderliche Wohlverhaltensphase sei noch nicht abgelaufen.
23
Gegen den Versagungsbescheid wendet sich der Kläger mit seiner am 21.02.2020 eingegangenen Klage vom gleichen Tag. Der Kläger erklärt, dass nur der ersten Verurteilung eine Tat zugrunde liege, die den Kernbereich der anwaltschaftlichen Tätigkeit betreffe und die Tat bereits sechszehneinhalb Jahre zurückläge.
24
Er ist der Auffassung, dass hinsichtlich der Verurteilung wegen eines fahrlässigen Bankrotts der Zeitpunkt der letzten Tat im Bundeszentralregister falsch angegeben werde. Maßgeblich sei der 01.07.2007, da der Jahresabschluss 2006 bis zum 30.06.2007 hätte erstellt werden müssen. Am 24.06.2008 sei „nur“ das Insolvenzverfahren eröffnet worden, was objektive Bedingung der Strafbarkeit sei.
25
Die der Verurteilung durch das Amtsgericht Rosenheim vom 15.01.2013 zugrunde liegenden Delikte seien alle durch Unterlassen verwirklicht und lägen im Zeitpunkt des Bescheides der Beklagten zwischen neuneinhalb und zwölfeinhalb Jahre zurück. Auch hier sei der im BZR angegebene letzte Tatzeitpunkt 17.01.2012 falsch. Am 17.01.2012 sei die C. Immobilien + M. GmbH nur von Amts wegen wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht worden. Die Wohlverhaltensphase dauere somit schon viel länger an und sei für die beantragte Wiederzulassung ausreichend.
26
Die Beklagte habe sich mit dem Vortrag des Klägers und dessen gesamten Lebensumständen nicht hinreichend auseinandergesetzt. Im Hinblick auf seine im Übrigen untadelige Lebensführung, die mittlerweile geordneten Vermögensverhältnissen und die lange Zeit des straflosen Verhaltens sei nunmehr die erneute Zulassung zur Rechtsanwaltschaft geboten. Die Beklagte sei ihrer Darlegungslast für die behauptete Unwürdigkeit im hier zu entscheidenden konkreten Einzelfall nicht nachgekommen.
27
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 23.01.2020 die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu erteilen,
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, den Zulassungsantrag des Klägers vom 22.07.2019 nicht aus den in dem Bescheid vom 23.01.2020 angeführten Gründen zurückzuweisen.
28
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
29
Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft der Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO (Unwürdigkeit) entgegenstünde. Die Klage sei daher unbegründet.
30
Bei § 7 Nr. 5 BRAO sei entscheidend, ob der Antragsteller nach seiner Gesamtpersönlichkeit geeignet sei, berufener unabhängiger Vertreter des Mandanten in allen Rechtsangelegenheiten zu sein. Eine Gesamtabwägung führe vorliegend dazu, dass die Wohlverhaltensphase derzeit noch nicht abgelaufen sei. Soweit die Unwürdigkeit auf eine Mehrzahl von Taten beruhe, wie es vorliegend der Fall sei, beginne die maßgebliche Wohlverhaltensphase mit der letzten Tatbegehung (vgl. Henssler, in Henssler/ Prütting, 5. Auflage 2019, Rn. 43). Selbst wenn für den Beginn der Wohlverhaltensphase nicht auf das Ende der Bewährungszeit abzustellen sei, seien seit der letzten Tat erst etwas über 8 Jahre vergangen. Bei der Untreue handele es sich aber um ein schwerwiegendes berufsspezifisches Delikt, bei dem nach der Rechtsprechung des BGH eine Wohlverhaltensphase von 15-20 Jahre erforderlich sei.
31
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2020.

Entscheidungsgründe

32
I. Nach § 112 c Abs. 1 BRAO richtet sich das Verfahren nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung. Gemäß Art. 15 BayAGVwGO war ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht durchzuführen. Die form- und fristgerecht erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 74 Abs. 1 und 2 VwGO) ist zulässig erhoben. Gleiches gilt für den vom Kläger hilfsweise erhobenen Klageantrag (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).
33
II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
34
Der streitgegenständliche Versagungsbescheid vom 23.01.2020 ist rechtmäßig. Er verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer lässt keine Ermessensfehler erkennen, § 114 VwGO.
35
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. zuletzt Urteile v. 14.01.2019 - AnwZ (BrfG) 70/17 und AnwZ (BrfG) 50/17, jew. m.w.N. [jew. bei juris]) ist nach § 7 Nr. 5 BRAO die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Die mit der Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbundene Einschränkung der freien Berufswahl ist nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft (BVerfG NJW 2017, 3704 R. 25). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - wie Zeitablauf und zwischenzeitlicher Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden an der Integrität des Anwaltsstandes, das in der Regel nur im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege von Belang sein kann, einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen.
36
Im Rahmen der Prognoseentscheidung, die im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit zu erstellen ist, ist von Bedeutung, wie viele Jahre zwischen einer Verfehlung, die seinerzeit die Unwürdigkeit begründete, und dem Zeitpunkt der Wiederzulassung liegen. Auch eine durch ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten begründete Unwürdigkeit kann durch Zeitablauf und Wohlverhalten des Bewerbers derart an Bedeutung verloren haben, dass sie seiner Zulassung nicht mehr im Wege steht. Bei gravierenden Straftaten mit Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts hält der BGH (vgl. BGH Beschluss vom 19.02.2020 - AnwZ (Brfg) 66/19 - juris) in ständiger Rechtsprechung einen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich. Bindende feste Fristen gibt es jedoch nicht. Die Frage, wie viele Jahre zwischen einem die Unwürdigkeit begründenden Verhalten und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wieder möglich ist, lässt sich nicht durch eine schematische Festlegung auf bestimmte Fristen beantworten. Vielmehr bedarf es einer einzelfallbezogenen Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände.
37
Dabei kann auch eine bloße straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden, wenn er noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand. Vielmehr muss das beanstandungsfreie Verhalten geraume Zeit nach Erlass der Freiheitsstrafe wegen Ablaufs der Bewährungsfrist fortgesetzt worden sein. Neben dem Zeitablauf kommt besondere Bedeutung der Frage zu, wie der Bewerber in der Zwischenzeit mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat. Hat er sich zu seinem Fehlverhalten bekannt, insbesondere den angerichteten Schaden nach Möglichkeit wiedergutgemacht, und keine weiteren Verfehlungen begangen, schlägt dies positiv zu Buche. Umgekehrt wirkt sich ein Versuch, über das eigene Fehlverhalten zu täuschen, negativ aus.
38
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Versagung der Rechtsanwaltszulassung im Hinblick auf die Verurteilung des Klägers am 06.08.2007 durch das Amtsgericht Traunstein zu einer Bewährungsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten wegen Untreue und den weiteren Verurteilungen des Klägers ermessensgerecht.
39
Zwar sind seit dieser Tat - unter Berücksichtigung des weiteren Zeitablaufs seit der angefochtenen Entscheidung der Rechtsanwaltskammer - inzwischen 17 ½ Jahre vergangen. Allerdings war der Kläger nach den Taten, die der Verurteilung vom 06.08.2007 zugrunde lagen, erneut straffällig geworden. Am 20.03.2011 wurde der Kläger durch Urteil des Amtsgerichts Rosenheim wegen fahrlässigen Bankrotts zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Ferner wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Rosenheim vom 15.01.2013 (Az.: …) wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in 3 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Bankrott in 7 tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, die für 4 Jahre zur Bewährung ausgesetzt worden war.
40
Die erste Bewährungszeit dauerte bis 05.08.2010, die zweite Bewährungszeit war um 6 Monate verkürzt worden und endete am 22.07.2016. Dabei kann die bloße straffreie Führung innerhalb der Bewährungszeit nicht entscheidend zugunsten des Klägers berücksichtigt werden, da er in diesen 6 ½ Jahren noch unter dem Druck der zur Bewährung ausgesetzten Strafen stand. Ein beanstandungsfreies Verhalten kann somit erst nach Erlass der letzten Freiheitsstrafe ab Mitte 2016 festgestellt werden, auch wenn der Senat diesen Zeitpunkt nicht als Beginn der Wohlverhaltensphase wertet.
41
Der genaue Zeitpunkt der letzten Tat aus den Verurteilungen durch das Amtsgericht Rosenheim vom 20.03.2011 wegen fahrlässigen Bankrotts und vom 15.01.2013 wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in 3 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Bankrott in 7 tatmehrheitlichen Fällen ist - entgegen der Auffassung des Klägers - für die Entscheidung des Senats nicht von entscheidender Bedeutung. Zwar haben Kapitalgesellschaften für Jahresabschlüsse drei bzw. sechs Monate Zeit, § 264 Abs. 1 S. 2, 3 HGB, § 267 HGB (BeckOK StGB/Beukelmann, 47. Ed. 1.8.2020, StGB § 283 Rn. 68). Indes enden die Buchführungspflicht und die Pflicht zur Erstellung des Jahresabschlusses nicht mit Fristablauf. Gleiches gilt für die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags. Die Pflicht zur Stellung eines Eröffnungsantrags besteht grundsätzlich solange fort, bis entweder Eröffnungsantrag durch das Vertretungsorgan gestellt wurde oder auf einen Fremdantrag hin die Insolvenz eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt wurde. (Wabnitz/Janovsky WirtschaftsStrafR-HdB, 9. Kapitel. Insolvenz - Strafrechtlicher Teil Rn. 85, BAYERN.RECHT). Soweit der Kläger vorbringt, er sei spätestens nach der Hausdurchsuchung am 23.11.2010 an der Erstellung der Bilanzen gehindert gewesen, da sämtliche Unterlagen durch die Polizei beschlagnahmt worden waren, geht der Senat bei seiner Abwägung zugunsten des Klägers bezüglich der C. Immobilien + M. GmbH von dieser Prämisse aus. Allerdings liegt damit die letzte Tat aus der Verurteilung des Amtsgerichts Rosenheim vom 15.01.2013 auch erst 10 Jahre zurück.
42
Der Senat erkennt an, dass den weiteren Verurteilungen durch das Amtsgericht Rosenheim vom 20.03.2011 und 15.01.2013 eine fahrlässige Tatbegehung bzw. Unterlassungsdelikte zugrunde lagen, die nicht den Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit betroffen haben und bedingt waren durch die schwierige finanzielle und persönliche Situation des Klägers. Gesehen wird auch, dass hinsichtlich des fahrlässigen Bankrotts der K. GmbH der Kläger innerhalb der Gesellschaft aufgrund der internen Organisationsstruktur nicht primär für die Erledigung der Jahresabschlüsse zuständig war, so dass sein Verschulden hier eher als gering einzustufen ist. Andererseits ist hinsichtlich der Verurteilung vom 15.01.2013 aufgrund der Vielzahl der Taten und der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren von einem erheblichen Unrechtsgehalt auszugehen.
43
Zugunsten des Klägers war zu berücksichtigen, dass der Kläger sich in den ersten Jahren seiner anwaltlichen Tätigkeit, nämlich bis 2003, straffrei geführt und im Rahmen des ersten gegen ihn laufenden Strafverfahrens auf seine Zulassung verzichtet hat. Der Kläger zeigte sich in den Strafverfahren geständig und hat die gegen ihn verhängten Strafen - auch im Hinblick auf seine familiäre Situation - akzeptiert und die Bewährungsauflagen beanstandungsfrei erfüllt. So wurde die Bewährungszeit aus der Verurteilung vom 15.01.2013 verkürzt und mit Beschluss vom 19.08.2016 erlassen.
44
Der Senat hat auch das fortgeschrittene Alter des Klägers in den Blick genommen, das mit zunehmender Dauer seiner Nichtzulassung eine natürliche Grenze für die Ausübung des Anwaltsberufs bilden könnte und das es ihm erschwert, aus eigener Kraft eine anwaltliche Altersversorgung aufzubauen.
45
Gleichwohl überwiegen im Rahmen der Gesamtabwägung die gegen eine Zulassung des Klägers sprechenden Umstände. Die Straftaten aus dem Jahr 2003 betreffen den Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit, waren mit einem groben Vertrauensbruch gegenüber seiner Mandantin verbunden und lassen den Schluss auf Charaktermängel bei dem Kläger zu. Der entstandene Schaden war - auch unter Berücksichtigung der Gegenforderungen des Klägers - erheblich, auch wenn sich der Kläger mittlerweile mit der Geschädigten einigen konnte und einen Betrag in Höhe von 6.000,00 € als Schadenswiedergutmachung an sie geleistet hat. Der Kläger war in der Folgezeit erneut mehrfach straffällig geworden, die letzte Tat liegt erst 10 Jahre zurück. Seit der letzten Verurteilung sind erst 7 Jahre vergangen, seit dem Erlass der Strafe knapp 4 ½ Jahre. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Verfahrensdauer sehr lang war.
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Die umfassende Abwägung aller Umstände rechtfertigt es, die bei strafbaren Handlungen im Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit regelmäßig erforderliche Wohlverhaltensphase von 15 bis 20 Jahre im vorliegenden Fall eher am oberen Rand anzusiedeln, mit der Maßgabe, dass die Wartefrist derzeit noch nicht abgelaufen ist.
47
3. Der Hilfsantrag des Klägers erweist sich ebenso als unbegründet. Die Voraussetzungen eines Bescheidungsurteils liegen nicht vor. Denn ein solcher Bescheidungsausspruch wäre nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO nur dann möglich, wenn die Ablehnung des begehrten Verwaltungsaktes als rechtswidrig erachtet wird, die Sache aber aus anderen Gründen nicht spruchreif ist. Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Aus den vorangegangenen Ausführungen folgt, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig war, so dass eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung des Klägers auf der Grundlage des hier zu entscheidenden Sachverhaltes nicht in Betracht kam.
48
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
49
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 112c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 167 VwGO und § 709 S. 2 ZPO.
50
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 2 BRAO.