Titel:
(kein) Ortsteil, Wintergartenanbau an Wochenendhaus im Außenbereich, Erweiterung einer Splittersiedlung, Verfestigung einer Splittersiedlung
Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1 Satz 1
BauGB § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7
BauGB § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5
Schlagworte:
(kein) Ortsteil, Wintergartenanbau an Wochenendhaus im Außenbereich, Erweiterung einer Splittersiedlung, Verfestigung einer Splittersiedlung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.09.2021 – 1 ZB 20.1674
Weiterführende Hinweise:
Das in Rn. 4 gemeinte Breitbrunn ist nur ein eingemeindeter Ortsteil der Gemeinde Herrsching, so dass hier stehen muss "Die Gemeinde Herrsching erteilte ..."; die Gemeinde Breitbrunn liegt am Westufer des Chiemsees im Landkreis Rosenheim und wäre beim VG München der 1. Kammer zu geordnet, nicht wie der Landkreis Starnberg der 11. Kammer (die Red.)
Fundstelle:
BeckRS 2020, 51152
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt eine Baugenehmigung.
2
Die Ehefrau des Klägers ist Eigentümerin des mit einem Wochenendhaus bebauten Grundstücks Flurnummer 135 der Gemarkung ********** (Vorhabengrundstück), das nicht im Umgriff eines Bebauungsplans liegt und im Westen an den Ammersee grenzt. Es ist mit einem im Jahr 1930 genehmigten Wochenendhaus bebaut, das etwa 30 m vom See entfernt liegt. Dieses Bestandsgebäude ist das mittlere von insgesamt 5 Gebäuden, die sich dort einzeilig entlang des Sees befinden, wobei die anderen Gebäude größtenteils etwas näher an den See heranrücken (Abstand zum See etwa 25 m). Südlich und östlich dieser 5 Gebäude befindet sich keine Bebauung. Die nächstliegende Bebauung zu diesen 5 Gebäuden befindet sich nordöstlich und nördlich davon in einem Abstand von mindestens 60 m bzw. 80 m.
3
Unter dem 11. Oktober 2017 beantragte der Kläger für das Vorhabengrundstück eine Baugenehmigung für den Anbau eines Wintergartens und eines Holzdecks an das bestehende Wochenendhaus. Nach den vorgelegten Plänen sollte der Wintergarten eine Grundfläche von etwa 21 m² aufweisen und an der dem See zugewandten Seite des Wochenendhauses angebaut werden. Unmittelbar vor dem Wintergarten sollte noch ein Holzdeck mit einer Fläche von etwa 15 m² errichtet werden.
4
Die Gemeinde Breitbrunn erteilte zu dem Vorhaben ihr Einvernehmen.
5
Die untere Naturschutzbehörde führte in ihrer Stellungnahme vom 18. Dezember 2017 aus, dass in dem Fall, dass aus rein baurechtlicher Sicht eine Genehmigung möglich wäre, für den Anbau grundsätzlich eine Befreiung möglich wäre, weil die Belange des Naturschutzes im Rahmen einer Abwägung aufgrund des bereits vorhandenen Bestandes in ihrem Gewicht zurücktreten könnten. Für diesen Fall erteile die untere Naturschutzbehörde ihr Einvernehmen ohne Auflagen.
6
Das Landratsamt Starnberg lehnte nach vorheriger Anhörung den Bauantrag mit Bescheid vom 31. Juli 2018 ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Das Vorhaben liege im Außenbereich und sei nicht privilegiert. Es widerspreche den Darstellungen des Flächennutzungsplans, der eine „Grünfläche“ vorsehe. Es lasse die Verfestigung der bereits bestehenden Splittersiedlung befürchten. Außerdem würden naturschutzrechtliche Belange berührt. Das Grundstück liege im Landschaftsschutzgebiet „Westlicher Teil des Landkreises Starnberg“. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nummer 5 BauGB sei auf Wochenendhäuser nicht anwendbar.
7
Der Kläger erhob am 24. August 2018 Klage mit dem Antrag,
den Beklagten unter Aufhebung des Versagungsbescheids vom 31. Juli 2018 zu verpflichten, die am 11. Oktober 2017 beantragte Baugenehmigung für den Anbau eines Wintergartens an das Gebäude *********** *** ******** *********** Flurnummer 135 Gemarkung **********, zu erteilen.
8
Mit Schriftsatz vom 22. November 2018 wurde die Klage näher begründet. Im Wesentlichen wurde vorgebracht: Das im Jahr 1930 genehmigte Bestandsgebäude werde seit jeher zu Wohnzwecken genutzt. Auf dem südlichen Nachbargrundstück Flurnummer 134 sei im Jahr 1991 ein Vorbau mit einer Grundfläche von 7 m mal 3 m genehmigt worden. Auf dem nördlichen Nachbargrundstück Flurnummer 137 sei im Jahr 1978 ein Wohnhaus genehmigt worden. In der „näheren Umgebung“ seien im Geltungsbereich des Landschaftsschutzgebiets zum Teil großzügige Mehrfamilienhäuser genehmigt worden, so auf den Flurnummern 121 und 121/1. Das Vorhaben widerspreche nicht den Darstellungen des Flächennutzungsplans. Die ausgewiesene Grünfläche sei durch die tatsächliche Entwicklung in der näheren Umgebung zwischenzeitlich und seit längerem überholt. Die angrenzenden Grundstücke Flurnummern 139, 137, 134 und 130 seien mit Wochenend- und teils mit Wohnhäusern bebaut. Die Verwirklichung der zugrundeliegenden Planungsabsicht, den Seeuferbereich von Bebauung freizuhalten, sei inzwischen ausgeschlossen. Dementsprechend habe die Gemeinde auch ihr Einvernehmen erteilt. Die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung sei nicht zu befürchten. Angesichts der vorhandenen Bebauung komme lediglich die Variante der Verfestigung in Frage. Wegen der tendenziell geringeren Außenbereichsunverträglichkeit sei eine Verfestigung einer Splittersiedlung grundsätzlich eher hinzunehmen als die Erweiterung oder gar die Entstehung einer Splittersiedlung. Die Annahme einer Verfestigung bedürfe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einer konkreten Begründung. Als Grund für eine Missbilligung komme insbesondere in Betracht, dass das Vorhaben eine weiterreichende oder jedenfalls doch nicht genau unübersehbare Vorbildwirkung besitze. Eine Zersiedelung sei hier jedoch nicht zu befürchten, weil im Bereich des Bauvorhabens bereits eine gefestigte Splittersiedlung vorliege. Es bestünden keine Baulücken mehr, die einer weiteren Bebauung zugeführt werden könnten. Die Bebauung auf den Grundstücken Flurnummern 139, 137, 135, 134 und 130 würde insofern einen in sich geschlossenen Bereich darstellen. Der Anbau des geplanten transparenten Wintergartens sei sowohl optisch als auch nach seinen Außenmaßen gegenüber dem Bestandsgebäude völlig untergeordnet. Die Außenbereichsverträglichkeit vergleichbarer untergeordneter Anbauten zeige sich insbesondere auch durch die wiederholte Genehmigung derartiger Anbauten auf den nördlich und südlich gelegenen Nachbargrundstücken. Das Bauvorhaben beeinträchtige die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht. Das Grund- stück liege am äußersten Rand des Landschaftsschutzgebiets. Die untere Naturschutzbehörde sei zum Ergebnis gekommen, dass die Belange des Naturschutzes gegenüber dem Baurecht des Klägers zurückzutreten hätten. Die Versagung der Baugenehmigung sei aus Gründen der Gleichbehandlung rechtswidrig. Auf dem nördlichen Grundstück Flurnummer 137 und auf dem südlichen Grundstück Flurnummer 134 seien vergleichbare Anbauten zugelassen worden, nördlich sogar ausdrücklich eine Wohnbebauung. Südlich sei ein ähnlich großer Anbau mit einer Fläche von 20 m² genehmigt worden.
9
Das Landratsamt beantragte,
10
Es verteidigte in der Klageerwiderung vom 9. April 2019 seinen Bescheid und führte insbesondere näher aus, welche Genehmigungen in den vergangenen Jahrzehnten für die Gebäude auf den umliegenden Grundstücken erteilt worden seien.
11
Mit Schriftsätzen vom 4. September 2019 und 19. September 2019 vertieften der Klägerbevollmächtigte und das Landratsamt ihr Vorbringen jeweils weiter.
12
Die Kammer hat am 12. März 2020 Beweis über die örtlichen Verhältnisse durch Einnahme eines Augenscheins erhoben und anschließend die mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der beim Augenschein getroffenen Feststellungen und des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschrift verwiesen.
13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
14
Die Klage ist nicht begründet.
15
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung. Der Bescheid des Landratsamtes vom 31. Juli 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
16
Der Erteilung der Baugenehmigung steht entgegen, dass das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig ist.
17
Das Vorhaben liegt im Außenbereich (§ 35 BauGB), da kein Bebauungsplan vorhanden ist und das Vorhabengrundstück nicht innerhalb eines Ortsteils im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB liegt. Ortsteil in diesem Sinne ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (st. Rspr. des BVerwG, z. B. Urteil vom 30. Juni 2015 - 4 C 5/14 - juris Rn. 11). Der Bebauungskomplex auf den Grundstücken Flurnummern 130, 134, 135, 137 und 139 besteht - abgesehen von insoweit unbedeutenden Nebengebäuden - aus insgesamt nur 5 Gebäuden, die unter Berücksichtigung des beim Augenschein gewonnenen Eindrucks insgesamt nicht das Gewicht haben, um einen eigenständigen Ortsteil bilden zu können. Auf die Frage, ob und inwieweit Wochenendhäuser insoweit berücksichtigt werden können, weil Gebäude, die nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen, grundsätzlich für sich genommen die prägende Kraft in Bezug auf das Vorliegen eines Ortsteils fehlt (BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2016 - 4 C 7/15 - juris Rn. 13; Urteil vom 30. Juni 2015 - a. a. O. Rn. 19, 21), kommt es dabei nicht an. Selbst wenn alle 5 Häuser als Wohnhäuser genehmigt wären, wäre die Ortsteilqualität zu verneinen. Im Übrigen hat der Kläger explizit lediglich für das Gebäude auf dem nördlichen Nachbargrundstück Flurnummer 137 behauptet, dass es als Wohnhaus genehmigt sei. Das Landratsamt ist dem entgegengetreten. Für die übrigen 4 Häuser ist eine Genehmi- gung als Wohnhaus weder den Angaben des Klägers noch denjenigen des Landratsamts in der Klageerwiderung vom 9. April 2019 zu entnehmen. Nicht berücksichtigt werden können bei der Beurteilung der Ortsteilqualität die nordöstlich vom Vorhabenstandort auf den Grundstücken Flurnummern 127/2 und 127/1 gelegenen Häuser sowie der Bebauungskomplex im Norden, beginnend auf den Flurnummern 121 und 121/1. Diese Anwesen sind nach dem beim Augenschein gewonnenen Eindruck zu weit entfernt, um mit dem Bebauungskomplex auf den Flurnummern 130, 134, 135, 137 und 139 noch in einem Bebauungszusammenhang zu stehen. Sie können deshalb zur Begründung der Ortsteilqualität nicht mehr herangezogen werden.
18
Das Vorhaben ist weder nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert noch nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB zulässig. Das Bestandsgebäude auf dem Vorhabengrundstück ist nur als Wochenendhaus genehmigt. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 BauGB ist auf Wochenendhäuser nicht anwendbar (BVerwG, Beschluss vom 13. September 1988 - 4 B 155/88 - juris - Rn. 2).
19
Das Vorhaben ist deshalb bauplanungsrechtlich an § 35 Abs. 2 BauGB zu messen. Es ist unzulässig, weil es öffentliche Belange beeinträchtigt. Denn es lässt jedenfalls i. S. d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB die Verfestigung einer Splittersiedlung, wenn nicht sogar deren Erweiterung befürchten.
20
Die „Erweiterung“ einer Splittersiedlung unterscheidet sich von deren „Verfestigung“ dadurch, dass im ersten Fall die Splittersiedlung räumlich ausgedehnt und im zweiten Fall der schon bisher in Anspruch genommene räumliche Bereich aufgefüllt wird (BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1977 - IV C 37.75 - juris Rn. 24). Die Ansicht des Klägers, im vorliegenden Fall komme von vornherein allenfalls eine Verfestigung infrage, beruht wohl auf der Erwägung, dass auf dem Vorhabengrundstück der räumliche Bereich der Splittersiedlung zum See hin nicht an der westlichen Außenwand des Bestandsgebäudes ende, sondern - weil dieses Gebäude gegenüber dem nördlichen und dem südlichen Nachbargebäude einige Meter zurückversetzt errichtet ist - an einer gedachten Verbindungslinie zwischen den westlichen Außenwänden des nördlichen und des südlichen Nachbargebäudes, wodurch der Wintergarten noch „in“ der Splittersiedlung zum Liegen käme, diese also nicht ausdehne. Ob dieser Ansicht zu folgen ist, kann offenbleiben, weil auch dann, wenn man zugunsten des Klägers annimmt, dass das Vorhaben innerhalb der Splittersiedlung liegt und diese nicht räumlich ausdehnt, zumindest eine zu missbilligende Verfestigung der Splittersiedlung zu befürchten wäre. Eine „Verfestigung“ läge vor, weil der Wintergarten im Verhältnis zur gesamten Splittersiedlung von seinen Abmessungen her nicht unbedeutend ist und aufgrund seiner Lage das Erscheinungsbild der Splittersiedlung vom See her nicht unerheblich mitprägen würde. Auch in der Verfestigung einer Splittersiedlung ist regelmäßig ein zu missbilligender Vorgang der Zersiedelung zu sehen (BVerwG a. a. O. Rn. 24). Allerdings bedarf diese Annahme im Gegensatz zur Situation bei der Erweiterung einer Splittersiedlung im Falle der Verfestigung einer konkreten Begründung (BVerwG a. a. O. Rn. 27). Diese liegt im vorliegenden Fall darin, dass das Vorhaben eine nicht genau abschätzbare negative Vorbildwirkung für die anderen Gebäude in der Splittersiedlung hat. Das Vorhaben könnte Erweiterungswünsche der anderen Eigentümer der Grundstücke in der Splittersiedlung zur Folge haben. Der Augenschein hat insbesondere gezeigt, dass sich auf dem südlichen Nachbargrundstück vor der zum See hin ausgerichteten Außenwand eine mit einem Satteldach überdachte Terrasse befindet. Die Befürchtung, dass der Eigentümer dieses Gebäudes das Vorhaben des Klägers zum Anlass nehmen könnte, seine überdachte Terrasse ebenfalls in einen Wintergarten umzubauen, ist nicht von der Hand zu weisen. Außerdem sind die einzelnen Gebäude der Splittersiedlung unterschiedlich groß. Die Zulassung des Vorhabens könnte zur Folge haben, dass insbesondere der Eigentümer des südlichsten Gebäudes der Splittersiedlung ebenfalls eine bauliche Erweiterung anstreben könnte, weil dieses Gebäude nicht unerheblich kleiner ist als die 3 mittleren Gebäude.
21
Der Ansicht des Klägers, die Versagung der Baugenehmigung sei jedenfalls aus Gründen der Gleichbehandlung rechtswidrig, kann nicht gefolgt werden. Dem Landratsamt ist hinsichtlich der Frage, ob der Kläger eine Baugenehmigung beanspruchen kann, kein Ermessensspielraum eingeräumt. Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung. Da Art. 3 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf Gleichheit im Unrecht gewährt, ist daher unerheblich, ob das Landratsamt in der Umgebung des Vorhabengrundstücks zu Recht oder zu Unrecht Baugenehmigungen erteilt hat.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.