Titel:
Beweislast für den Zugang eines Einwurfeinschreibens
Normenketten:
BayVwVfG Art. 41 Abs. 2 S. 3
BayKAG Art. 8
Leitsatz:
Bestehenden wegen wiederholter Falscheinwürfe von Poststücken Zweifel am Zugang eines Bescheides am dritten Tag nach Aufgabe zur Post, trägt die Behörde die Beweislast sowohl für die Tatsache des Zugangs als auch für den Zeitpunkt des Zugangs des Verwaltungsaktes. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einwurfeinschreiben, Defekter Wasserzäher:, Zustellung, Benutzungsgebühren, kommunale Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (BGS-WAS), Ablauf der Eichfrist, Schätzung des Wasserverbrauchs
Rechtsmittelinstanzen:
VGH München, Urteil vom 15.06.2023 – 20 B 21.2421
VGH München, Beschluss vom 13.09.2021 – 20 ZB 21.225
Fundstelle:
BeckRS 2020, 51061
Tenor
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides über Benutzungsgebühren, Rechnungsnummer …
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Die Kläger sind Eigentümer eines Einfamilienhauses in … Das Haus ist mit einem Hauptwasserzähler versehen, der im Jahr 2000 hergestellt und am 25. Januar 2001 eingebaut wurde. Die Eichfrist des Hauptwasserzählers lief Ende 2006 ab. Auf das Schreiben der Beklagten aus dem Jahr 2018, eine Terminvereinbarung zur Auswechslung des Wasserzählers zu vereinbaren, reagierten die Kläger nicht.
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Die Kläger hatten die Zählerstände zur Erstellung einer Abrechnung der Benutzungsgebühren jahrelang selbst gemeldet.
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Am 8. August 2019 wechselte der Beklagte den Wasserzähler aus. Dabei fiel dem Wasserwart der Beklagten auf, dass die zugehörige Plombe nicht vorhanden war. Daher und aufgrund des sich aus dem Wasserzähler ergebenden Verbrauchs von insgesamt 2195 cbm schickte der Beklagte den Wasserzähler zur staatlich anerkannten Prüfstelle für Messgeräte für Wasser WSN 9 bei der Firma … Diese stellte Beschädigungen an einem Zahnrad beim Messgerät und Verschmutzungen fest sowie das Fehlen der Sicherungsplombe. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Messabweichungen nicht innerhalb der Verkehrsfehlergrenzen liegen (Bl. 9-14 Behördenakte (BA)).
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Mit Datum vom 2. September 2019 erließ der Beklagte einen Abrechnungsbescheid über Benutzungsgebühren gegenüber den Klägern in Höhe von insgesamt 13.620,67 Euro. Zugrunde gelegt wurde ein Wasserverbrauch vom 1. Januar 2019 bis 8. August 2019 von 2195 cbm. Der Bescheid wurde mit Einwurfeinschreiben versandt. Der Einlieferungsbeleg des Einwurfeinschreibens gibt als Aufgabedatum zur Post den 3. September 2019 an. Aus der Sendungsverfolgung ergibt sich, dass die Sendung am 4. September 2019 zugestellt wurde (Bl. 21 BA). Dem Bescheid war ein Anschreiben beigefügt, aus dem hervorgeht, dass der Wasserzähler einer Beschaffenheitsprüfung unterzogen worden sei. Hierbei seien Beschädigungen am Messgerät als auch Messabweichungen festgestellt worden. Bei den Messabweichungen verhalte es sich so, dass dieser Kaltwasserzähler nur bei niedrigem Nenndurchfluss eine korrekte Messung unterschreite und demzufolge zu wenig gezählt worden sei. Der gezählte Wert auf dem Zähler sei daher zugrunde gelegt worden. (Bl. 15 BA).
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Am 23. Oktober 2019 ging den Klägern von dem Beklagten eine Mahnung über den noch offenen Rechnungsbetrag zzgl. Mahngebühren betreffend die Benutzungsgebühren in Höhe von insgesamt 13.249,17 Euro zu. Am gleichen Tag rief der Kläger zu 1) bei dem Beklagten an und verwies darauf, dass ihm der streitgegenständliche Bescheid nicht zugegangen sei. Daraufhin wurde der Bescheid nochmals per E-Mail an den Kläger zu 1) versandt.
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Mit am 7. November 2019 bei dem Beklagten eingegangenem Schreiben legten die Kläger Widerspruch gegen den streitgegenständlichen Bescheid ein und beantragten vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung führten sie aus, vom streitgegenständlichen Bescheid hätten sie erst am 23. Oktober 2019 Kenntnis erlangt, als sie aufgrund der Mahnung bei dem Beklagten nachgefragt hätten, zu welcher Rechnung diese Mahnung gehöre. Vorher hätten sie den streitgegenständlichen Bescheid nicht erhalten. Bereits in der Vergangenheit habe es Unzuverlässigkeiten beim Postzusteller gegeben. Im Briefkasten der Kläger seien in der Vergangenheit öfter Briefe gelandet, die für Nachbarn oder Bewohner anderer Straßen bestimmt gewesen seien, deren Namen ähnlich klingen würden oder gleiche Hausnummern in anderen Straßen hätten etc.. Vorliegend müsse es vergleichbar gewesen sein. Der in Rechnung gestellte Wasserverbrauch sei nicht nachvollziehbar. Es sei eine verbrauchte Wassermenge von 2195 cbm in Rechnung gestellt worden, was einer Menge von 2.195.000 Litern entspräche. Die Gründe hierfür müssten entweder beim Ablesen entstanden sein oder aber durch einen defekten Wasserzähler, der nicht rechtzeitig, entsprechend den Vorschriften, ausgetauscht worden sei.
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Mit Schreiben vom 11. November 2019 teilte der Beklagte den Klägern mit, dass man dem Widerspruch nicht abhelfen könne, da dieser unzulässig sei (Bl. 31 BA). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werde nicht gewährt, die beantragte Akteneinsicht abgelehnt. Diese Mitteilung wurde mit einer Rechtsbehelfsbelehrungversehen. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2019 leitete der Beklagte den Widerspruch an das Landratsamt … als Widerspruchbehörde weiter.
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Mit Schreiben vom 23. Dezember 2019 wies das Landratsamt … - Widerspruchsbehörde - den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte es aus, der Widerspruch sei unzulässig. Der streitgegenständliche Bescheid sei mit Einwurfeinschreiben versandt worden. Nach Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG gelte der schriftliche Verwaltungsakt grundsätzlich am dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Die Aufgabe zur Post sei am 3. September 2019 erfolgt, so dass die Frist am 7. September 2019 geendet habe. Die Widerspruchsfrist habe daher am 7. Oktober 2019 geendet, daher sei die Einlegung des Widerspruchs am 7. November 2019 verspätet gewesen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werde versagt, da keine Gründe ersichtlich seien, weshalb die Kläger ohne Verschulden darin gehindert worden seien, die Widerspruchsfrist einzuhalten.
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Mit Schreiben vom 14. Januar 2020, bei Gericht eingegangen am 15. Januar 2020, ließen die Kläger einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren stellen sowie Klage erheben gegen den Abrechnungsbescheid über Benutzungsgebühren vom 2. September 2019. Sie kündigten an, in der mündlichen Verhandlung folgende Anträge zu stellen:
1. Der Bescheid vom 02.09.2019, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.12.2019, eingegangen am 02.01.2020, wird aufgehoben.
2. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den vorerwähnten Bescheid wird angeordnet.
3. Hilfsweise: Den Klägern und Antragstellern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, die Parteien stritten sich über den Zeitpunkt des Zugangs eines Abrechnungsbescheides bzw. über das Vorliegen der Voraussetzung des Wiedereinsetzens in den vorigen Stand. Die Kläger hätten am 23. Oktober 2019 überraschenderweise eine Mahnung erhalten. Unmittelbar nach Erhalt hätten sie sich bei dem Beklagten telefonisch nach dem Grund der Mahnung erkundigt. Dabei hätten sie erstmalig erfahren, dass es sich um einen Abrechnungsbescheid - streitgegenständlichen Bescheid - handle, der ihnen per Einwurfeinschreiben zugegangen sein solle. Die Kläger hätten diesen Abrechnungsbescheid jedoch bisher nicht erhalten, sondern erstmalig Kenntnis von ihm erhalten durch den auf ihre Bitte hin zugesandten Bescheid per E-Mail am 23. Oktober 2019. Rechtzeitig ab Kenntnis des Bescheides am 23. Oktober 2019 hätten sie Widerspruch eingelegt und rein vorsorglich Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Die gesetzliche Vermutung des Bescheidszugangs gelte nach Art. 41 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG bzw. § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG dann nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zugang zugegangen sei. Die gesetzliche Bekanntgabevermutung greife vorliegend nicht. Die Kläger hätten eine Beteiligtenvernehmung angeboten. Dies reiche aus. Auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München, 21 K 14.3864, wurde hingewiesen.
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Im Übrigen sei selbst ein bestandskräftiger Bescheid deshalb aufzuheben, weil die Aufrechterhaltung aufgrund dessen offensichtlicher Rechtswidrigkeit schlechthin unerträglich sei. Die Kläger versicherten zudem ausdrücklich, dass sich ihr Gebrauchsverhalten gegenüber den Vorjahren nicht geändert habe.
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Mit Schreiben vom 31. Januar 2020 nahm der Beklagte Stellung und beantragte unter anderem aufgrund der eindeutigen Sachlage einen Gerichtsbescheid nach § 84 VwGO. Weitere Anträge wurden nicht gestellt.
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Der Beklagte führte zur Begründung aus, dass die Eichfrist des Hauptwasserzählers Ende 2006 abgelaufen sei. Die zuständigen Wasserwarte des Beklagten hätten die Kläger regelmäßig darüber informiert, dass sie vor Ort gewesen seien, um den Hauptwasserzähler auszutauschen, und hätten darum gebeten, einen Termin zur Auswechslung zu vereinbaren. Diesen Aufforderungen seien die Kläger jahrelang nicht nachgekommen. Am 30. Juli 2019 habe der Beklagte letztmalig ein Schreiben mit einer Terminsetzung zum Zähleraustausch versandt. Dieses sei per Einwurfeinschreiben versandt worden. Der Zähleraustausch sei für den 8. August 2019, 11:00 Uhr anberaumt worden. An diesem Tag sei den Wasserwarten Zutritt zum Gebäude und den Kellerräumen gewährt worden. Dem zuständigen Wasserwart sei nach der Auswechslung aufgefallen, dass die zugehörige Plombe des Wasserzählers fehle. Der Wasserwart habe dem Kläger zu 1) angeboten, sich den Zählerstand zu notieren, was dieser jedoch abgelehnt habe. Nach Abgleich des Zählerstandes mit der Veranlagungsstelle für Verbrauchsgebühren sei deutlich geworden, dass sich ein sehr hoher Verbrauch seit der letzten Ablesung durch die Kläger ergeben habe. Die Zählerstände seien jahrelang durch die Kläger selbst gemeldet worden. Aufgrund des hohen Verbrauchs hätte der Beklagte den Wasserzähler an eine staatlich geprüfte Prüfstelle zur Befundprüfung geschickt. Der Wasserzähler habe die Befundprüfung nicht bestanden. Unter anderem seien Messabweichungen festgestellt worden. Der Kaltwasserzähler unterschreite bei einem niedrigen Nenndurchfluss eine korrekte Messung, demzufolge habe der Zähler zu wenig gezählt. Der auf dem Wasserzähler gemessene Verbrauch sei somit in jedem Fall verbraucht worden, laut Prüfbericht sogar mehr. Da der prozentuale Anteil der Entnahme von Wasser bei niedrigem Nenndurchfluss nicht bestimmt werden könne, sei eine Hochrechnung auf den tatsächlichen Verbrauch nicht möglich. Daher habe der Beklagte den Klägern lediglich die tatsächlich entnommene Menge an Wasser, nämlich 2195 cbm, berechnet und festgesetzt.
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Der Bescheid sei bestandskräftig. Der Beklagte könne durch den Zustellnachweis der Deutschen Post AG glaubhaft nachweisen, dass den Klägern der Abrechnungsbescheid am 4. September 2019 zugegangen sei. Auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei unzulässig. Im Übrigen sei die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Bescheides zurückzuweisen, da der Prüfbericht der staatlich geprüften Prüfstelle eindeutig darlege, dass der geprüfte Zähler zu wenig gezählt habe, somit seien die berechneten Kubikmeter auf jeden Fall auch verbraucht worden. Dies sei den Klägern mit Schreiben vom 2. September 2019 auch dargelegt worden.
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Die Zählerstände seien jahrelang von den Klägern selbst gemeldet worden. Es sei daher davon auszugehen, dass es hier zu Ablesefehlern gekommen sei und sich der Verbrauch eben nicht, wie von den Klägern behauptet, in den letzten acht Monaten erst entwickelt habe, sondern der stets gemeldete Verbrauch von 120-130 cbm von Beginn an inkorrekt gewesen sei. Verteile man den Endzählerstand in Höhe von 3.998 cbm über den gesamten Zeitraum von achtzehn Jahren, erhalte man einen Verbrauch von rund 220 cbm jährlich, was ein normales Verbrauchsverhalten für einen Haushalt vorliegender Größenordnung darstelle. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit, dass ein Schaden im Verbrauchsobjekt vorliege bzw. vorgelegen habe, der einen erhöhten Verbrauch verursacht habe, wie zum Beispiel defekte Ventile, Leitungsschaden, defekte Toilettenspülung.
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Mit Beschluss vom 12. Februar 2020 lehnte das Gericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ab. In der dagegen mit Schriftsatz vom 3. März 2020 erhobenen Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wurde ausgeführt, dass bei dem im Jahr 2001 eingebauten Zähler bereits die Plombe gefehlt habe. Auch bei dem 2019 eingebauten Zähler sei keine Plombe vorhanden. Im Übrigen sei es Aufgabe des Betreibers des Wasseranschlusses, sich um den rechtzeitigen Ausbau/Erneuerung der Wasseruhr zu kümmern und diese ggf. mit einer Plombe zu versehen. Zudem legte der klägerische Anwalt mit Telefax vom 18. März 2020 eine „Eidesstattliche Versicherung“ des Klägers vom 9. März 2020 vor, worin der Kläger unter anderem versichert: „Ich habe heute den Beschwerdeschriftsatz meines Anwaltes gelesen. Die dort wiedergegebenen Ausführungen aufgrund von mir gemachten Angaben zum Sachverhalt und zu meinem Krankenhausaufenthalt entsprechen der Wahrheit“ (Bl. 22 Akte VGH). Mit Beschluss vom 14. April 2020 vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wurde die zulässige Beschwerde als unbegründet abgelehnt. Auf die Entscheidung wird Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 14. Februar 2020 reichte der Klägerbevollmächtigte eine E-Mail des Klägers zu 1) ein. Darin schreibt der Kläger zu 1), dass die Kläger niemals Handzettel erhalten hätten betreffend den Zähleraustausch. Der Kläger zu 1) habe sich selbst gewundert, dass der Zähler erst nach erheblicher Ablauffrist ausgetauscht worden sei, d.h. sich der Beklagte erst mit einem Schreiben im Jahr 2018 an sie gewandt habe. Dieses Schreiben sei bei den Klägern jedoch in Vergessenheit geraten, da der Kläger zu 1) im Jahr 2018 geschäftlich viel unterwegs gewesen sei. Er könne sich noch daran erinnern, dass der Beklagte ihnen ein Schreiben mit fester Terminsetzung gesandt habe, worauf der Kläger zu 1) auch prompt reagiert und einen Termin vereinbart habe. Der Austausch der Zähler sei zum genannten Termin erfolgt, es sei dabei aber nicht erwähnt worden, dass der Kläger zu 1) sich den Zählerstand notieren solle. Herr …, der den Zähleraustausch vorgenommen habe, sei leicht unkonzentriert gewesen, so dass er den neuen Wasserzähler schräg montiert und erst auf Bitte hin, ob er dies korrigieren könne, den Wasserzähler gerade gestellt habe.
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Am 30. April 2020 übersandte der klägerische Anwalt eine Email des Klägers zu 1) vom 27. April 2020. Darin trägt der Kläger zu 1) vor, die Familie … aus … habe des Öfteren Post von ihnen erhalten wie auch umgekehrt. Sie hätten im Jahr 2018 einen dubiosen Briefumschlag aus Holland erhalten, adressiert auf … Diesen habe die von ihnen gerufene Polizei in Gewahrsam genommen. Am 25. April 2020 habe er Post vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erhalten. Diesen hätten ihm die Bewohner von … eingeworfen, da diese ihn erhalten hätten. Dieser ständige Falscheinwurf der Post komme seit mindestens drei Jahren zustande, da hier mittlerweile ein ständiger Wechsel an Briefboten sei.
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Mit Schreiben vom 15. Juli 2020 nahm der klägerische Bevollmächtigte nochmals zusammenfassend Stellung. Die Kläger nehmen auf die eidesstattlichen Versicherungen vom 9. März 2020 ausdrücklich Bezug. Zudem wurde vorgetragen, dass der Beklagte durch zwei Angestellte am 1. Juli 2020 den Wasserzähler fotografiert und eine neue Plombe an der Wasseruhr zum Wasserzähler hin montiert habe. Der Vorgang habe insofern Verwunderung bei den Klägern aufgebracht, als die Plombe erst beim Austausch des Zählers im August 2019 erneuert worden und noch völlig in Takt gewesen sei. Der Zählerstand habe am Kontrolltag bei 105 gelegen; der letzte seitens der Kläger im Herbst 2019 gemeldete Zählerstand habe bei 34 gelegen. Die Differenz daraus entspreche bei Zurechnung der noch verbleibenden Monate den durch die Kläger über die streitgegenständlichen Jahre hinweg abgelesenen und den Beklagten gemeldeten Zählerständen.
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Mit Schreiben vom 29. Juli 2020 ergänzte der Beklagte sein bisheriges Vorbringen. Anlässlich der in der Beschwerde vom 14. Februar 2020 vorgebrachten Behauptung der Klägerseite, es sei keine Plombe an dem neu verbauten Wasserzähler aus dem Jahr 2019 gewesen, und der dann wieder am 6. April 2020 revidierten Aussage, es sei doch eine Plombe an der Wasserzählvorrichtung gewesen, habe sich der Beklagte veranlasst gesehen, dies zu überprüfen. Des Weiteren nutze der Beklagte seit diesem Jahr neue Plomben, die nun nach und nach in allen Haushalten des Gemeindegebiets ausgetauscht würden.
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Seit dem 1. Juni 2019 sei eine Person weniger im Haushalt der Kläger gemeldet. Somit sei seit dem Zählerwechsel am 8. August 2019 nur noch ein 2-Personen Haushalt zur Berechnung anzusetzen und nicht wie in all den Vorjahren ein 3-Personen Haushalt.
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Ein in der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2020 geschlossener und für die Beklagtenseite widerruflicher außergerichtlicher Vergleich wurde von der Beklagtenseite widerrufen.
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Die Beteiligten verzichteten auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Akte vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Az. 20 CS 20.490, die Behördenakte sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die auf Grund der Verzichtserklärungen der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Die Klage ist zulässig. Der Vortrag der Kläger, vom Bescheid erstmalig Kenntnis erhalten zu haben durch die E-Mail der Mitarbeiterin der Beklagten vom 23. Oktober 2019, ist vor dem Hintergrund der angeführten Beispiele, die belegen, dass es immer wieder zu Unzuverlässigkeiten der Post gekommen sei, glaubhaft. Auch wenn im vorliegenden Fall ein Versand des Einwurfeinschreibens anstelle eines einfachen Briefes gewählt wurde, so ist dessen Beweiswert nicht höher einzustufen. Dem Gericht genügen die von den Klägern genannten Beispiele, um die ernsthafte Möglichkeit des Nichtzugangs des Bescheids zu begründen. In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger glaubhaft dargelegt, dass es immer wieder zu Falscheinwürfen von Postsendungen gekommen ist. Ihr Vortrag, dass ihre Beschwerde bei der Post dahingehend beantwortet worden sei, dass vermehrt Aushilfen eingesetzt würden und es daher leichter zu Falscheinwürfen kommen könnte, ist nachvollziehbar. Dabei möchte das Gericht auch betonen, dass gerade ein „Nichtzugang“ im Konkreten schwer nachzuweisen ist. Denn die Lebenserfahrung zeigt, dass die Empfänger von Briefen oftmals entweder nicht merken, dass die für sie bestimmte einfache Post nicht oder erst verspätet zugegangen ist, weil sie der ursprüngliche - falsche - Empfänger nachträglich und ohne Wissen des korrekten Adressaten in dessen Briefkasten geworfen hat. Daher genügen dem Gericht vorliegend die vom Kläger angeführten Beispiele, dass es in der Vergangenheit immer wieder zu Falscheinwürfen gekommen ist, um die ernsthafte Möglichkeit des Nichtzugangs des Bescheides zu begründen. Daran ändert auch das Einwurfeinschreiben nichts, da bei diesem ein Empfang wie beim einfachen Brief nicht zu quittieren ist. Aufgrund der dadurch bestehenden Zweifel am Zugang des Bescheides am dritten Tag nach Aufgabe zur Post, muss die Behörde den Zeitpunkt des Zugangs des Verwaltungsaktes nachweisen, Art. 41 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG. Dies war ihr nicht möglich.
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2. Die Klage ist jedoch unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid rechtmäßig ist.
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a) Gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) können die Gemeinden für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen Benutzungsgebühren erheben, wobei diese nach dem Ausmaß zu bemessen sind, in dem die Gebührenschuldner diese Einrichtung in Anspruch nehmen, Art. 8 Abs. 4 KAG. Von dieser Ermächtigung hat der Beklagte mit dem Erlass der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (BGS-WAS) vom 31. Oktober 2006 in der Fassung vom 15. November 2012 sowie der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS-EWS) vom 31. Oktober 2006 in der Fassung vom 18. Februar 2019 Gebrauch gemacht. Bedenken gegen das ordnungsgemäße Zustandekommen und die materielle Gültigkeit dieser Satzungen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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b) Die - hier allein strittige - Gebührenerhebung für Wasser und Abwasser findet seine satzungsrechtliche Grundlage in § 10 BGS-EWS und § 10 BGS-WAS. Nach § 10 Abs. 2 BGS-EWS und § 10 Abs. 2 BGS-WAS werden die Wassermengen bzw. der Wasserverbrauch durch Wasserzähler ermittelt. Gem. § 19 Abs. 1 der Satzung für die öffentliche Wasserversorgungseinrichtung des Marktes … (Wasserabgabesatzung - WAS -) vom 1. Dezember 2010 ist der Wasserzähler Eigentum des Beklagten. Die Lieferung, Aufstellung, technische Überwachung, Unterhaltung, Auswechslung und Entfernung der Wasserzähler sind dessen Aufgabe. Der Grundstückseigentümer hat hingegen gem. § 19 Abs. 3 Satz 2 WAS Verlust, Beschädigungen und Störungen dieser Einrichtungen dem Markt unverzüglich mitzuteilen. Gem. § 19 Abs. 4 WAS werden die Wasserzähler von einem Beauftragten des Marktes möglichst in gleichen Zeitabständen oder auf Verlangen des Marktes vom Grundstückseigentümer selbst abgelesen. Dieser hat dafür zu sorgen, dass die Wasserzähler leicht zugänglich sind. Nach § 21 Abs. 1 WAS kann der Grundstückseigentümer jederzeit die Nachprüfung der Wasserzähler durch eine Eichbehörde oder eine staatlich anerkannte Prüfstelle im Sinne des § 6 Abs. 2 des Eichgesetzes verlangen.
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Diesen satzungsrechtlichen Verpflichtungen sind die Kläger nicht nachgekommen. Trotz mehrfacher Schreiben des Beklagten haben sie einen Austausch des Wasserzählers über Jahre hinweg nicht ermöglicht. Zwar hat der Kläger zu 1) bestritten, jemals Handzettel zum Austausch des Wasserzählers erhalten zu haben. Für das Gericht ist jedoch aufgrund des Vortrags des Beklagten, der internen dienstlichen Erklärung eines Mitarbeiters der Beklagten vom 14. August 2019 sowie eines in der Akte befindlichen Schreibens an die Kläger vom 20. Februar 2019, dass der Hauptwasserzähler am 28. Februar 2019 ausgewechselt werden soll oder ein anderer Termin mit dem Beklagten vereinbart werden soll, auf das die Kläger nachweislich nicht reagiert haben, erwiesen, dass es bereits über Jahre hinweg von Seiten der Beklagten Aufforderungen zum Austausch des Wasserzählers gab, denen von Seiten der Kläger - wie zuletzt auch der dokumentierten Aufforderung - nicht nachgekommen wurde. Auch haben sie keine Nachprüfung des Wasserzählers durch eine Eichbehörde oder eine staatlich anerkannte Prüfstelle im Sinne des § 6 Abs. 2 des Eichgesetzes verlangt, wie dies durch § 21 Abs. 1 WAS ermöglicht wird. Dementsprechend ist es den Klägern versagt, sich auf die abgelaufene Eichfrist oder auf eine anderweitige Fehlfunktion des Wasserzählers, als sie nach Ausbau des Wasserzählers festgestellt worden ist, zu berufen.
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Zwar war der Wasserzähler vorliegend unstreitig defekt. Demzufolge ist gem. § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BGS-WAS bzw. BGS-EWS grundsätzlich der Wasserverbrauch zu schätzen. Vorliegend hat sich der Beklagte bei seiner Schätzung an den auf der Wasseruhr angegebenen Wert gehalten. Dies hat jedenfalls keine Rechtsverletzung der Kläger zur Folge. Aus dem Prüfgutachten vom 21. August 2019 ergibt sich, dass der Zähler bei hohem und normalem Durchfluss einen etwas zu niedrigen Durchfluss misst, der jedoch innerhalb der Verkehrsfehlergrenze liegt. Bei minimalem Durchfluss hingegen lag die Abweichung bei - 96,3% und damit außerhalb der Verkehrsfehlergrenze, die eine Abweichung von bis zu +/- 10% zulässt. Diese Abweichung führte zu einer zu geringen Aufzeichnung des Wasserverbrauchs durch den Wasserzähler. Der Beklagte hat dennoch die aufgezeichneten Werte seinem Bescheid zugrunde gelegt, da nicht nachvollzogen werden konnte, wann nur ein niedriger Wasserdurchfluss vorhanden war. Ob der Beklagte zurecht den gemessenen - zu niedrigen Wert - der Gebührenberechnung zugrunde gelegt hat oder er zusätzlich noch weitere Gebühren für den - geschätzten - niedrigeren Durchfluss hätte erheben müssen, kann vorliegend dahinstehen, da in der Zugrundelegung des abgelesenen Wertes jedenfalls keine Rechtsverletzung der Kläger liegt, weil der zugrunde gelegte Wert allenfalls zu gering angesetzt worden ist und damit die geforderten Gebühren zu niedrig sind.
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c) Der Wasserverbrauch von 2195 m³ im strittigen Abrechnungsjahr ist exorbitant hoch. Diesem errechneten Verbrauch liegt allerdings die Meldung der Kläger zugrunde. Legt man den letzten von der Behörde abgelesenen Wert - das ist der Einbau des Wasserzählers und somit der Verbrauch „0“ - zugrunde, so ergibt sich über die letzten 18 Jahre ein durchschnittlicher Wasserverbrauch von etwa 222 m³ pro Jahr. Dies liegt bei einem Dreipersonenhalt zwar auch über dem Durchschnitt von etwa 135 m² pro Jahr (so für das Jahr 2016 unter: https://www.umweltbundesamt.de/daten/private-haushalte-konsum/wohnen/wassernutzung-privater-haushalte#direkte-und-indirekte-wassernutzung), wobei der Wasserverbrauch in den letzten 20 Jahren stetig zurück ging (https://www.umweltbundesamt.de/daten/private-haushalte-konsum/wohnen/wassernutzung-privater-haushalte#direkte-und-indirekte-wassernutzung). Er weicht jedoch vom Durchschnitt, der sich ja gerade aus Nutzern mit höherem und Nutzern mit geringerem Wasserverbrauch zusammensetzt, nicht so weit ab, dass der von der Wasseruhr beim Ausbau angezeigte Wert nicht als Anhaltspunkt für die Abrechnung hätte herangezogen werden können.
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d) Ausgehend von dieser Sach- und Rechtslage konnte für die Wasser- und Abwassergebührenerhebung im Ausgangspunkt als Schätzung die auf der Wasseruhr angezeigte Menge zugrunde gelegt werden.
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3. Die Kostenentscheidung basiert auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.