Inhalt

LG Memmingen, Endurteil v. 01.10.2020 – 22 O 1857/19
Titel:

Vertragsschluss, Frist, Berechnung, Beteiligung, Versicherungsmakler, Versicherung, Nutzungsersatz, Widerspruchsrecht, Versicherungsnehmer, Belehrung, Anlage, Mitteilung, Teilnahme, Privatgutachten, fehlende Angabe, nicht ausreichend, Sinn und Zweck

Schlagworte:
Vertragsschluss, Frist, Berechnung, Beteiligung, Versicherungsmakler, Versicherung, Nutzungsersatz, Widerspruchsrecht, Versicherungsnehmer, Belehrung, Anlage, Mitteilung, Teilnahme, Privatgutachten, fehlende Angabe, nicht ausreichend, Sinn und Zweck
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 09.09.2021 – 14 U 5950/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 50915

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Rückzahlung von Versicherungsbeiträgen und Nutzungsersatz.
2
Die Beklagte ist ein britisches Lebensversicherungsunternehmen und firmierte bis 31.12.2015 als „…“. Aufgrund Antrag des Klägers vom 1.8.2005 (Anl. K1 d. Akten) kam es mit der Beklagten im Antragsmodell zum Abschluss einer Kapitallebensversicherung des Typs … mit einer Laufzeit von 87 Jahren bis 1.9.2092. Der Versicherungsschein (Anl. K2) wurde mit Policenbegleitschreiben vom 11.8.2005 (Anl. K 2) übersandt. Darin wurde fettgedruckt unter Hinweis auf § 5 a VVG a.F. hingewiesen, dass der Vertrag innerhalb von 30 Tagen nach Zugang des Schreibens durch Brief, Fax oder E-Mail widerrufen werde könne.
3
Der Antrag selbst enthält auf Seite vier unter der Überschrift „K. Unterschriften“ fettgedruckt folgende Erklärung:
Antragsteller: Ich bin darüber belehrt worden, dass ich innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins, der Verbraucherinformationen und Policen - bedingungen von dem Vertrag zurücktreten kann. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung.
4
Die überreichten Verbraucherinformationen enthalten keine Mitteilung über die Zugehörigkeit der Beklagten zu einem Sicherungsfonds entsprechend Anlage D Abschnitt I VAG. Der Kläger erhielt jährlich eine Mitteilung über den Stand der Versicherung. Im Juli 2011 reduzierte er den monatlichen Versicherungsbeitrag auf 75 €.
5
Mit Anwaltsschreiben vom 09.09.2019 (Anl.K5) erklärte der Kläger Widerspruch, hilfsweise Rücktritt vom Vertrag, was beklagtenseits zurückgewiesen wurde. Mit Anwaltsschreiben vom 06.11.2019 forderte der Kläger die Rückzahlung eines Hauptsachebetrags in Höhe von 54.790,04 €, was die Beklagte mit Schreiben vom 12.11.2019 zurückwies.
6
Der Kläger behauptet, dass ihm ein Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 VVG alter Fassung zustehe, da die Rücktrittsbelehrung im Antragsformular nicht ausreichend drucktechnisch hervorgehoben gewesen sei und außerdem in den Verbraucherinformationen die Angaben zur Teilnahme an einem Sicherungsfonds gem. Anlage D I VAG a.F. fehle. Hinsichtlich der Berechnung der Höhe zurückzuzahlenden Beiträge und der Nutzungsentschädigung wird auf das Privatgutachten Anlage K 8 der Akten verwiesen.
7
Der Kläger hat beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 54.097,04 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten per anno über dem Basiszinssatz seit dem 24.09.2019 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von Gutachterkosten der … in Höhe von 1290,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten per anno hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 12.11.2019 freizustellen.
8
Die Beklagte hat beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
9
Die Beklagte bestreitet ein Fortbestehen des Rücktrittsrechts und behauptet, dass die Belehrung im Antragsformular ausreichend drucktechnisch hervorgehoben sei. Zudem sei sie auch mündlich durch den Versicherungsmakler Schließer erfolgt.
10
Darüber hinaus sei im Begleitschreiben zusätzlich deutlich ein Widerrufsrecht eingeräumt worden. Es sei egal, dass insoweit auf § 5 a VVG a.F. (Widerspruchsrecht) hingewiesen worden sei. Der Rücktritt sei daher wirksam auf 30 Tage befristet gewesen. Jedenfalls sei es rechtsmissbräuchlich den Rücktritt erst 14 Jahre nach Vertragsschluss zu erklären, zumal der Kläger weder bei der Beitragsreduzierung noch im Rahmen der jährlichen Mitteilung des Standes der Versicherung habe erkennen lassen dass er sich vom Vertrag lösen wolle, weshalb sich die Beklagte auf den Fortbestand eingerichtet habe.
11
Die fehlende Angabe zur Teilnahme an einem Sicherungsfonds sei unerheblich und führe nicht zu einem Vertragsloslösungsrecht. Insoweit handle es sich nämlich um eine reine Information, durch deren Unterbleiben der Kläger nicht von einem Rücktritt habe abgehalten werden können, nachdem die Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds für ihn lediglich vorteilhaft gewesen wäre.
12
Auch im Falle einer fehlerhaften Rücktrittsbelehrung sei die Zubilligung eines Rücktrittsrechts jedenfalls unverhältnismäßig entsprechend der Entscheidung EuGH 19.12.2019, C 355/18.
13
Darüber hinaus sei die Berechnung des Rückzahlungsanspruchs unzutreffend.
14
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Hauptverhandlungsprotokoll vom 27.8.2020 verwiesen.

Entscheidungsgründe

15
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
16
Dem Kläger stand bei Erklärung des Rücktritts am 09.09.2019 kein Recht zum Rücktritt gemäß § 8 Abs. 5 VVG a.F. mehr zu, weil die 30-tägige Frist insoweit bereits abgelaufen war. Ein Widerspruchsrecht nach § 5 a I 1 VVG a.F. stand ihm ohnehin nicht zu, da der Vertrag nicht im Policenmodell, sondern im Antragsmodell zustandegekommen war. Auch hinsichtlich dem durch das Policenbegleitschreiben eingeräumten Widerrufsrecht war die 30-tägige Frist abgelaufen.
17
1. Der unstreitig nicht erfolgte Hinweis auf die Beteiligung der Beklagten an einem Sicherungsfonds führt nicht dazu, dass die 30-Tage-Frist nicht in Gang gesetzt worden wäre. Eine entsprechende Mitteilung wäre - wenn überhaupt - nur im Falle eines gesetzlichen Widerspruchsrechts gemäß § 5 a I 1 VVG a.F. bei Vertragsschluss im Policenmodell notwendig gewesen, um die Frist gemäß § 5 a II 1 VVG a.F. in Gang zu setzen. Beim Vertragsschluss im Antragsmodell, welches hier unstreitig vorlag, wird eine entsprechende Mitteilung vom Gesetz in § 8 Abs. 5 VVG a.F. nicht verlangt. Von daher ist der Verweis der Klägerseite auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 28.06.2019, VuR 2019, 342, welche einen Hinweis für erforderlich hält, unbehelflich und neben der Sache liegend.
18
2. Es kann dahinstehen, ob die Belehrung über das Rücktrittsrecht im Antragsformular ausreichend drucktechnisch hervorgehoben war (dies wird nach dem Gesetzeswortlaut zwar nicht verlangt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2015, 1023), der sich die Kammer anschließt, jedoch erforderlich) und die 30-Tage-Frist dadurch gemäß § 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F. in Lauf gesetzt hat.
19
Selbst wenn die Belehrung insoweit unzureichend gewesen wäre und die 30-tägige Frist deshalb nicht in Gang gesetzt hätte, so wäre der Rücktritt rund 14 Jahre nach Vertragsschluss jedenfalls rechtsmissbräuchlich, denn im Übersendungsschreiben vom 11.08.2005 war der Kläger jedenfalls deutlich darauf hingewiesen worden, dass er sich durch Absendung eines einfachen Schreibens binnen 30 Tagen nach Erhalt dieses Schreibens und der beigefügten Unterlagen vom Vertrag lösen kann. Jedenfalls ab Erhalt dieses Schreibens musste dem Kläger daher klar sein, dass er ein voraussetzungsloses Lösungsrecht vom Vertrag hat, auch wenn in dem Übersendungsschreiben hinsichtlich dem Loslösungsrecht fälschlicherweise auf § 5 a VVG a.F. hingewiesen wurde, obwohl ihm von Gesetzes wegen kein Widerspruchsrecht nach § 5 a VVG a.F., sondern ein Rücktrittsrecht nach § 8 VVG a.F. bzw. ein durch das Begletschreiben begründetes Widerrrufsrecht zustand. Diese Belehrung mag zwar hinsichtlich der Rechtsgrundlage falsch gewesen sein und sie war auch nicht durch Unterschrift bestätigt, wie dies § 8 Abs. 5 Satz 3 VVG a.F. verlangt, aber Sinn und Zweck der Belehrungspflicht, nämlich den Kläger von dem voraussetzungslosen Loslösungsrecht zu unterrichten, waren jedenfalls erreicht. Der Kläger hat diese Kenntnis auch nicht bestritten. Dementsprechend hat auch der Europäische Gerichtshof (vgl. NJW 2020, 667 ff Rn 79) ausgeführt, dass wenn dem Versicherungsnehmer durch die fehlerhafte Belehrung nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, es unverhältnismäßig wäre, wenn es ihm ermöglicht würde, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen.
20
Bei einer Gesamtschau ist dem Kläger durch die nicht ganz korrekte Belehrung im Zuleitungsschreiben im Ergebnis jedenfalls nicht die Möglichkeit genommen worden, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Die Geltendmachung des Rücktrittsrechts rund 14 Jahre nach Vertragsschluss ist damit jedenfalls rechtsmissbräuchlich und deshalb zu versagen.
21
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
22
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
Verkündet am 01.10.2020