Titel:
Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein Fahrzeug mit EA 189-Dieselmotor
Normenkette:
BGB § 31, § 826
Leitsatz:
Dem Käufer eines Gebrauchtwagens mit EA 189-Dieselmotor kann ein Anspruch aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB auf Ersatz des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs zustehen. Der Anspruch ist jedoch insoweit zu kürzen, als dem Käufer Vorteile aus der Nutzung des Fahrzeugs entstanden sind. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dieselskandal, Gebrauchtwagen, Dieselmotor, Typ EA 189, Abschaltvorrichtung, Vermögensschaden, Schadensersatz, Sittenwidrigkeit, Verjährung, Nutzungsentschädigung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 5089
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges VW Golf Plus mit der Fahrgestellnummer ... an den Kläger 10.610,66 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.05.2019 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 08.01.2019 mit der Rücknahme des in Klageantrag Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Rechtsanwaltes ... in Höhe von 1.266,16 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.05.2019 freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 37 % und die Beklagte 63 % zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 17.340,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei nimmt die Beklagte, mit der am 25.04.2019 beim Landgericht Regensburg eingegangenen und am 22.05.2019 zugestellten Klage wegen deliktischer Produktmanipulation auf Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Anspruch.
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Die Klagepartei erwarb am 04.11.2013 das Fahrzeug VW Golf Plus, 16 TDI, FIN ... Erstzulassung Januar 2013, als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 23.277 km von dem Autohaus ... zu einem Kaufpreis von 16.990,00 € brutto. Der Kilometerstand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung betrug 117.146 km.
3
Der klägerische Pkw verfügt über einen Dieselmotor vom Typ EA 189 und ist von der Beklagten, dem Hersteller dieses Motors, mit einer Software ausgestattet worden, die den Stickoxidausstoß im Prüfstandbetrieb optimiert (Prüfstandentdeckungssoftware). Nur aufgrund dieser Software, die erkennt, ob das Fahrzeug einem Prüfstandtest unterzogen wird oder sich auf der Straße befindet und im Prüfstand die Abgasrückführungsrate erhöht, hält der genannte Motor während des Prüfstandtests die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte ein. Unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr wird das Fahrzeug anderweitig, nämlich mit einer geringeren Abgasrückführungsrate betrieben und es werden die im Prüfstand erzielten Stickoxidwerte überschritten.
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Die Beklagte veröffentlichte am 22. September 2015 eine Ad-hoc-Mitteilung zum Einbau der Prüfstandserkennungssoftware in den Ea 189-Dieselmotoren sowie eine zugehörige Pressemitteilung, in der sie u.a. ausführte:
„Auffällig sind Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA 189 mit einem Gesamtvolumen von weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen, Ausschließlich bei diesem Motortyp wurde eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt. Volkswagen arbeitet mit Hochdruck daran, diese Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen. Das Unternehmen steht dazu derzeit in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Deutschen Kraftfahrtbundesamt.“
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Anfang Oktober 2015 schaltete die Beklagte eine Website frei, auf der Autobesitzer unter Angabe der FIN überprüfen konnten, ob ihr Fahrzeug von dem Dieselskandal betroffen war.
6
Die Beklagte wurde mit anwaltlichem Schreiben vom 18.12.2018 aufgefordert, das streitgegenständliche Fahrzeug Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises zurückzunehmen. Mit Schreiben vom 07.01.2019 wies die Beklagte den Anspruch zurück.
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An dem streitgegenständlichen Fahrzeug wurde das von der Beklagten angebotene Software-Update auf deren Kosten vorgenommen. Bei einer Weigerung das Update aufzuspielen, sei nach dem Vorbringen der Klagepartei mit einem Entzug der Zulassung zu rechnen.
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Nach dem Vorbringen der Klagepartei habe die Beklagte vorliegend das streitgogenständliche Fahrzeug nicht ohne Kenntnis des Vorstandes mit der sogenannten Prüfstandentdeckungssoftware versehen. Die Robert Bosch GmbH sei bereits im Jahre 2004 vom damaligen Forschungs- und Entwicklungsleiter und Mitglied des Vorstandes Prof. Dr. W. beauftragt worden, das Motorsteuergerät EDC 17 zu entwickeln. Die Entwicklungsingenieure der Beklagten hätten in den Jahren 2005 und 2006 bei der Optimierung der Stickoxidwerte und den jeweiligen Abgasrückführungswerten festgestellt, dass die Erhöhung der Abgasrückführungswerte zu einem schnellen Zusetzen des Partikelfilters geführt habe Das wiederholte Freibrennen und die Beschleunigung der Vorgänge im Partikelfilter haben dazu geführt, dass die Partikelfilter bereits um die 50.000 km Laufleistung ihren Dienst eingestellt hätten. Mit diesen Testergebnissen im Rücken habe Prof. Dr. W. Ende des Jahres 2006 entschieden, dass es unmöglich sei, das Abgasrückführungssystem so zu optimieren, dass Langzeitschäden an Motor und Partikelfilter verhindert werden. Vor diesem Hintergrund haben sich die Entwicklungsingenieure in Kenntnis des Prof. Dr. W. entschieden, die Prüfstandsentdockungssoftware“ einzusetzen, um ausschließlich für den Rollenprüfstand einen Testmodus zu besitzen, der für die Phase des Prüfbetriebes die erforderlichen Stickoxidwerte einhält.
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Die von der Beklagten vorgenommene Optimierung der Motorsteuerungssoftware sei gesetzeswidrig, da sie gegen Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.v.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 verstoße.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug entspräche nicht den geltenden Vorschriften hinsichtlich der EURO 5 - Abgasnorm und sei daher aufgrund der tatsächlichen Nichterfüllung der Voraussetzungen weder gem. § 8 FZVO zulassungsfähig, noch verfüge das strertgegenständliche Fahrzeug über eine wirksame allgemeine Betriebserlaubnis nach § 19 StVZO Der Klagepartei sei damit jederzeit dem Risiko ausgesetzt, dass die Betriebserlaubnis entzogen werde.
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Ferner entspräche das Fahrzeug aufgrund der eingesetzten Software nicht der Sollbeschaffenheit. Dies verursache einen massiven Wertverlust des Fahrzeugs.
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Hinzu komme die Möglichkeit, dass die Klagepartei zukünftig mit einer Erhöhung der KFZ-Steuer rechnen müsse.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug halte die vorgeschriebenen Abgaswerte nicht ein. So werde der gem. § 38 Abs. 1 BlmSchG vorgeschriebene Grenzwert beim Stickoxid um das 4,7 fache überschritten.
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Die Klagepartei habe vorliegend davon ausgehen dürfen, dass ihr Fahrzeug die Schadstoffgrenzwerte auch im Straßenbetrieb einhalte; andernfalls hätte sie dieses Fahrzeug nicht erworben.
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Das von der Beklagten angebotene Softwareupdate führe zu Leistungseinbußen, einem erhöhten Kraftstoffverbrauch und einem erhöhten CO 2 Ausstoß, Problemen mit den Abgasrückführungsventil sowie zu einer Verringerung der allgemeinen Lebensdauer des Fahrzeuges.
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Die Beklagte habe das streitgegenständliche Fahrzeug unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung in dan Verkehr gebracht, zum Zwecke des Weiterverkaufs u.a. in Fahrzeugen, deren Motorsteuerungssoftware so programmiert war, dass sie den Betrieb des Fahrzeuges auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkannte und die Abgasbehandlung „optimierte“. Die Beklagte hätte den Endverbraucher hierüber aufklären müssen, dass in dem Fahrzeug eine Software verbaut wurde, die dafür sorgt, dass der Schadstoffausstoß nur im Prüfstandsbetrieb die angegebenen Grenzwerte einhält. Die Beklagte habe bei der zur Typengenehmigung und Schadstoffklasseneinstufung die erforderliche Prüfstandsmessung manipuliert. Bei Kenntnis der Manipulation wäre keine Genehmigung erfolgt.
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Die Beklagte habe die Klagepartei vorsätzlich und in sittenwidnger Weise geschädigt. Der Einbau einer Programmierung, die eine beim Test eines Motors auf dem Prüfstand erfolgende Verbrennung von Stickoxiden während des normalen Betriebs des Fahrzeuges auf öffentlichen Straßen abschalte, könne nur vorsätzlich geschehen. Dies entspräche bereits der allgemeinen Lebenserfahrung. Aus dem Verschweigen einer solchen, gegen die Typengenehmigung verstoßenden Einrichtung gegenüber jedem Käufer folge, dass dessen Täuschung, Irrtum, Schaden und Entreicherung von der Beklagten gewollt und ihr bewusst gewesen sei. Dabei sei der Beklagten klar und wichtig gewesen, dass die Verkäufer von Fahrzeugen mit einem solchen (manipulierten) Motor statt des bloßen Materialwertes die am Markt üblichen Preise erzielen und erhalten würden. Denn auf diese Weise habe die Beklagte ihren weiteren Absatz solcher Fahrzeuge gefördert.
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Der Klagepartei sei insbesondere auf die Umweltfreundlichkeit des streitgegenständlichen Fahrzeuges ankommen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Es sei ihr insbesondere sehr darauf angekommen ein wertstabiles Fahrzeug mit geringem Kraftstoffverbrauch zu erwerben.
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Der Schaden bestehe darin, dass die Klagepartei das streitgegenständliche Fahrzeug gekauft habe, obwohl sie bei Kenntnis der Sachlage dieses Fahrzeug nicht erworben hätte. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sei ein Schaden auch dann gegeben, wenn eine Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung oder die Vermögensgefährdung durch Eingehung eines nachteiligen Geschäftes eingetreten sei. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung einer solchen Belastung sei der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, nicht der Zeitpunkt einer tatsächlichen Realisierung des Schadens.
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Vorliegend sei kein Vorteilsausgleich durchzuführen. Die Anrechnung des Vorteils müsse dem Zweck des Schadensersatzes entsprechen.
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Die Beklagte habe ferner die von den außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten freizustellen. Der Anspruch auf Erstattung ergäbe sich aus den §§ 826, 249 I BGB. Bei einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung seien die Anwaltskosten Teil des zu ersetzenden Schadens.
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Die Klagepartei hat sich Ende des Jahres 2018 unter dem Aktenzeichen ... zu der beim Oberlandesgericht Braunschweig anhängigen Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte angemeldet. Am 21.04.2019 erfolgte die Abmeldung der Klagepartei von der Musterfeststellungsklage.
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Mit Schriftsatz vom 09.12.2019 hat die Klagepartei die Klage um Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.11.2013 erweitert und den Anspruch insoweit auf § 849 BGB gestützt.
24
Die Klagepartei beantragt zuletzt:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges VW Golf Plus mit der Fahrgestellnummer ... an den Kläger 17.340,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 04.11.2013 zu zahlen.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 08.01.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwaltes ... in Höhe von 1.514,63 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
25
Die Beklagte beantragt,
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Nach dem Vorbringen der Beklagten liege keine Abschalteinrichtung vor, sondern eine Fahrzykluserkennung. Für die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte zur Erlangung der EG-Typgenehmigung sei nach den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben nur der synthetische Fahrzyklus unter Laborbedingungen mit fünf künstlichen Fahrkurven maßgeblich (der sog. NEFZ), der nicht den Bedingungen im normalen Fahrbetrieb entspreche. So komme es naturgemäß - und nicht nur bei Fahrzeugen der Beklagten - zu Abweichungen zwischen den angegebenen Abgaswerten (Laborwerten) und denjenigen Werten, die auf der Straße erzielt werden.
27
Es liege weder eine Abweichung von einer angeblichen Beschaffenheitsvereinbarung vor, noch weiche das streitbefangene Fahrzeug von der gewöhnlichen Beschaffenheit ab, oder eigne es sich nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte oder die gewöhnliche Verwendung. Entgegen der Behauptung der Klagepartei bestehe kein Risiko, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht „zulassungsfähig“ ist oder seine Betriebserlaubnis verliere Schließlich drohe auch keine höhere Steuerbelastung.
28
Die Klagepartei lege zudem nicht hinreichend substantiiert dar, warum die Beklagte sittenwidrig gehandelt haben sollte. Dies sei auch nicht ersichtlich. Insbesondere habe die Beklagte die Klagepartei nicht getäuscht. Es sei allgemein bekannt, dass die in den Herstellerangaben angegebenen Werte, die unter Laborbedingungen gemessen werden, nicht den Emissionswerten im normalen Straßenverkehr entsprechen können. Die bloße Verwendung der Software sei nach dem maßgeblichen Anstandsgefühl aller Teilnehmer des Fahrzeugmarkts nicht als sittenwidrig einzustufen. Die Software sei nämlich allenfalls - was bestritten wird - als ein Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Bestimmungen anzusehen. Das allein genüge nicht, um die Mangelhaftigkeit im Sinne des Kaufrechts und erst recht nicht, um die Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten zu begründen. Zudem scheitere ein Schadensersatzanspruch am Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen einer - insoweit unterstellten - arglistigen Handlung in Form einer angeblichen Täuschung oder der Verwendung der Software und dem Vertragsabschluss.
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Es sei auch weder substantiiert dargelegt noch ersichtlich, dass Personen, deren Kenntnisse der Beklagten zuzurechnen wären, Umstände gekannt hätten, die eine Sittenwidrigkeit begründen würden und mit Vorsatz hinsichtlich eines angeblichen Schadens der Klagepartei gehandelt hätten. Richtig sei allein, dass die Beklagte die genaue Entstehung der in den EA 189-Motoren zum Einsatz kommenden Software, die die NOx-Werte auf dem Prüfstand optimiert, derzeit aufkläre. Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass einzelne Vorstandsmitglieder an der Entwicklung der Software beteiligt waren. Die Beklagte bestreite daher, dass einzelne Vorstandsmitglieder oder Organe die Entwicklung oder Verwendung der streitgegenständlichen Software angeordnet haben, an der Entwicklung der Software beteiligt waren oder im Zeitpunkt der Entwicklung von der Software wussten und deren Einsatz billigten. Die damaligen Vorstandsmitglieder der Beklagten im Sinne des Aktienrechts hätten erst am Wochenende des 19./20. September 2015 von der Verwendung der Umschaltlogik in europäischen Dieselfahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 erfahren. Auf der Grundlage ihrer derzeitigen Erkenntnisse stelle die Beklagte klar, dass die Umschaltlogik von Mitarbeitern der Beklagten auf der Arbeitsebene programmiert und bedatet worden sei. Die Beklagte macht in diesem Zusammenhang weiter geltend, dass sie hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs keine sekundäre Darlegungslast treffe. Soweit man von einer solchen ausgehe, sei die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen. Jedenfalls könne ein Vorsatz der Vertreter der Beklagten nicht unterstellt werden.
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Der Klagepartei sei überdies durch den Vertragsabschluss zum Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs kein Schaden entstanden. Zunächst bestehe nach der Differenzhypothese kein Schaden, weil der Marktwert der betroffenen Fahrzeuge aufgrund der Software nicht negativ beeinträchtigt sei, das Fahrzeug mangelfrei sei und über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Schließlich lasse sich auch unter normativen Gesichtspunkten kein Schaden begründen, weil das Fahrzeug für die Nutzungszwecke der Klagepartei uneingeschränkt gebrauchstauglich sei. Durch das Software Update werde die monierte, ursprünglich verwendete Umschaltlogik beseitigt. Nach der Überprüfung aller Fahrzeugmodelle durch das KBA ergäben sich keine negativen Auswirkungen auf Kraftstoffverbrauchswerte, CO2 - Emissionswerte, Motorleistung, Drehmoment und Geräuschemissionen durch das Software Update; insbesondere würden auch die Grenzwerte eingehalten und das Abgasrückfuhrungsventil nicht negativ beeinträchtigt.
31
Der Klagepartei stehe auch kein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu. Die Beklagte habe die Klagepartei nicht über die Gesetzeskonformität des Fahrzeugs getäuscht. Zudem habe die Klagepartei keinem Irrtum über Tatsachen unterlegen und es liege auch keine kausale Vermögensverfügung der Klagepartei vor, die einen Vermögensschaden verursacht habe. Zuletzt lasse sich auch kein Vorsatz bezüglich der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des Betrugs und keine Bereicherungsabsicht feststellen und es fehle am Merkmal der Stoffgleichheit.
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Der Klagepartei stehe auch kein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 EG-FGV zu. Es fehle bereits an einer Rechtsverletzung durch die Beklagte. Zudem fehlt es an einem verletzten Schutzgesetz.
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Die Beklagte erhebt überdies die Einrede der Verjährung, Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt sei der Klagepartei seit dem Jahr 2015 bekannt. In Anbetracht der umfassenden Medienberichterstattung zur Dieselthematik im Herbst 2015, sowie weiterer von der Beklagten unternommener Schritte zur Aufklärung der betroffenen Fahrzeughalter durch Freischaltung der Internetseite zur Überprüfung der Fahrzeuge wäre es lebensfremd, anzunehmen, dass die Klagepartei im Herbst 2015 keine Kenntnis von der Dieselthematik und der individuellen Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs hatte. Zumindest würde die Unkenntnis der Klagepartei von der individuellen Betroffenheit auf grobfahrlässiger Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt beruhen, weil sich die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs der Klagepartei aufgrund der Medienberichterstattung hätte aufdrängen müssen.
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Die Beklagte macht überdies geltend, die Klagepartei könne sich auf die Hemmungswirkung der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage nicht berufen, weil die Anmeldung rechtsmissbräuchlich erfolgt sei. Viele Klägerkanzleien seien Ende des Jahres 2018 durch die Vorbereitung und Einreichung zahlreicher Individualklagen ausgelastet gewesen und hatten ihre Mandanten lediglich zur Verjährungshemmung in der Musterfeststellungsklage „geparkt“.
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Zuletzt macht die Beklagte geltend, die Klagepartei müsse sich jedenfalls die gezogenen Nutzungen des Fahrzeugs anrechnen lassen.
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Es bestehe auch kein Annahmeverzug. Die Klagepartei habe nicht dargelegt, dass sie der Beklagten das Fahrzeug überhaupt jemals in annahrneverzugsbegrundender Weise zur Rücknahme angeboten habe.
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Weil die Klagepartei keinen Schadensersatzanspruch habe, könne sie auch keinen Ersatz für außergerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten verlangen. Darüber hinaus sei die angesetzte 1,8-Geschäftsgebühr auch der Höhe nach nicht gerechtfertigt.
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Wegen des weiteren Sachvortrags wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Einlassungen im Haupttermin vom 09.12.2019 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
40
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Regensburg gem. § 32 ZPO örtlich zuständig, da der behauptete Schaden bei der Klagepartei, die im Bezirk des Gerichts wohnt, eingetreten ist.
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Die Klage ist teilweise begründet. Der Klagepartei steht ein deliktsrechtlicher Anspruch auf Ersatz des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu. Der Anspruch ist jedoch insoweit zu kürzen, als der Klagepartei Vorteile aus der Nutzung des Fahrzeugs entstanden sind.
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1. Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises ergibt sich aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB.
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a) Die Beklagte hat der Klagepartei einen Schaden zugefügt.
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Die Handlung, durch die die Beklagte die Klagepartei geschädigt hat, war das Inverkehrbringen von Dieselmotoren zum Zweck des Weiterverkaufs, deren Motorsteuerungssoftware so programmiert war, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkannte und die Abgasbehandlung in den Prüfstandsmodus versetzte, wobei der Einsatz der betreffenden Software den Käufern der Fahrzeuge verschwiegen wurde.
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Durch die Handlung der Beklagten hat die Klagepartei einen Vermögensschaden erlitten. Dieser besteht dann, dass sie in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware den streitgegenständlichen PKW erworben und damit einen ihr wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abgeschlossen hat.
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Die streitgegenständliche Programmierung der Motorsteuerungssoftware ist gesetzeswidrig. In der Verwendung von Abschaltvorrichtungen, die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge. Bei verständiger Auslegung muss die von der Beklagten installierte Programmierung als Abschalteinrichtung angesehen werden. Denn sie setzt die zu einem geringeren Stickoxidausstoß führende, ausschließlich für den Prüfstand bestimmte Programmierung der Motorsteuerung im Modus für den Fahrbetrieb auf der Straße außer Kraft mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Fahrbetrieb auf der Straße höher ist als auf dem Prüfstand Umgekehrt wird die im normalen Fahrbetrieb wirksame Programmierung etwa für die Abgasrückführung auf dem Prüfstand außer Kraft gesetzt, indem die Motorsteuerung den Betriebszustand für den normalen Fahrbetrieb auf der Straße, zu Gunsten eines ausschließlich für den Prüfstandbetrieb bestimmten Modus abschaltet. Dies gilt unabhängig davon, ob tatsächlich eine Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem vorhanden ist oder aber lediglich eine Einwirkung auf einen innermotorischen Vorgang erfolgt. Schon die Testzykluserkennung in Verbindung mit einer ausschließlich im Testzyklus erfolgenden Einwirkung auf die Abgasrückführung ist ein Verstoß gegen das Verbot von Abschalteinrichtungen Zudem liegt auf der Hand, dass auch eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand nur sinnvoll ist und einen Vergleich von Fahrzeugen verschiedener Hersteller ermöglicht, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist. Eine ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung kann deshalb nur als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften angesehen werden.
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In der Folge ergibt sich die wirtschaftliche Nachteiligkeit des von der Klagepartei abgeschlossenen Vertrags daraus, dass kein verständiger Kunde ein Fahrzeug mit dieser Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn er vor dem Kauf darüber informiert würde, dass die Software nicht gesetzeskonform sei und er deshalb im Falle der Entdeckung der Manipulation gegebenenfalls mit der Untersagung des Betriebs des Fahrzeugs rechnen müsse. Die Klagepartei hat damit nicht das bekommen, was ihr aus dem Kaufvertrag zustand, nämlich ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug, das für den Betrieb auf öffentlichen Straßen zulassungsfähig ist.
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b) Die schädigende Handlung ist der Beklagten zuzurechnen.
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Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat. Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich von der Klagepartei vorzutragen und zu beweisen.
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Vorliegend trifft allerdings die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast zu der Frage, welche Kenntnis ihre verfassungsmäßig berufenen Vertreter bzgl. der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatten und inwieweit sie das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren beeinflusst haben. Eine solche sekundäre Darlegungslast besteht, wenn der beweisbe lasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die bestreitende Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Der Gegner der (primär) darlegungspflichtigen Partei darf sich nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGHZ 140, 156, 158 f. - zit. nach juris). So liegt der Fall hier Die Klagepartei hat keinerlei Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten und ist auf Veröffentlichungen der Medien und auf Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen. Sie hat den ihr insoweit zuzumutenden Vortrag erbracht, indem sie konkret behauptet hat, die Robert Bosch GmbH sei bereits im Jahre 2004 vom damaligen Forschungs- und Entwicklungsleiter und Mitglied des Vorstandes Prof. Dr. W. beauftragt worden, das Motorsteuergerät EDC 17 zu entwickeln. Die Entwicklungsingenieure der Beklagten hätten in den Jahren 2005 und 2006 bei der Optimierung der Stickoxidwerte und den jeweiligen Abgasrückführungswerten festgestellt, dass die Erhöhung der Abgasrückführungswerte zu einem schnellen Zusetzen des Partikelfilters geführt habe. Das wiederholte Freibrennen und die Beschleunigung der Vorgänge im Partikelfilter haben dazu geführt, dass die Partikelfilter bereits um die 50.000 km Laufleistung ihren Dienst eingestellt hätten Mit diesen Testergebnissen im Rücken habe Prof. Dr. W. Ende des Jahres 2006 entschieden, dass es unmöglich sei, das Abgasrückführungssystem so zu optimieren, dass Langzeitschäden an Motor und Partikelfilter verhindert werden. Vor diesem Hintergrund haben sich die Entwicklungsingenieure in Kenntnis des Prof. Dr. W. entschieden, die Prüfstandsentdeckungssoftware einzusetzen, um ausschließlich für den Rollenprüfstand einen Testmodus zu besitzen, der für die Phase des Prüfbetriebes die erforderlichen Stickoxidwerte einhält. Die Beklagte hat vor diesem Hintergrund die Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgange und Entscheidungsprozesse darzulegen, um es so der Klagepartei zu ermöglichen, ihrerseits die ihr obliegende weitergehende Darlegung und den erforderlichen Beweisantritt vornehmen zu können. Zu einer substantiierten Darlegung hätte umso mehr Anlass bestanden, als es sich bei der Einführung einer manipulierten, auf Verzerrung der Prüfstandwerte ausgerichteten Motorsteuerungssoftware um eine wesentliche strategische Entscheidung mit enormer wirtschaftlicher Reichweite und - wie die wirtschaftlichen Folgen des sogenannten Abgasskandals zeigen - ebenso großen Risiken handelt, bei der kaum anzunehmen ist, dass sie von Mitarbeitern am unteren Ende der Betriebshierarchie in eigener Verantwortung getroffen worden ist. Deshalb muss in der hier zur Entscheidung stehenden prozessualen Lage mangels substantiierter gegenteiliger Darlegung durch die Beklagte davon ausgegangen werden, dass diese Entscheidung vom Gesamtvorstand angeordnet oder doch jedenfalls „abgesegnet“ worden ist.
51
c) Die Beklagte hat der Klegepartei den Schaden vorsätzlich zugefügt. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass den Organen der Beklagten völlig klar war, dass die Beklagte Dieselmotoren in den Verkehr brachte, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprachen, und dass somit die Kunden der Beklagten selbst und die ihrer Tochterunternehmen wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen. Die Beklagte wusste, dass die von ihr manipulierten Motoren in Kraftfahrzeugen eingebaut wurden, die für den Verkauf und in der Folge ggf. auch den Weiterverkauf an Abnehmer der Ersterwerber bestimmt waren.
52
d) Das Verhalten der Beklagten verstieß gegen die guten Sitten. Objektiv sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Abzustellen ist auf die in der Gemeinschaft oder in der beteiligten Gruppe anerkannten moralischen Anschauungen. Dabei ist ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen (BGHZ 10, 232); besonders strenge Anschauungen sind ebenso wie besonders laxe Auffassungen unbeachtlich (Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl., Rn. 4 zu § 826 und Rn. 2 ff zu § 138). Hinzutreten muss zu der objektiven Sittenwidrigkeit eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (Palandt/Sprau, a.a.O., Rn. 4 zu § 826). Der BGH (Urteil vom 3.12.2013 - XI ZR 295/12 -, NJW 2014, 1098, zitiert nach juris) hat hierzu ausgeführt: Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr. seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (BGH, Urteile vom 20. November 2012 - VI ZR 268/11, WM 2012, 2377 Rn. 25 und vom 4. Juni 2013 - VI ZR 288/12, WM 2013, 1310 Rn. 14, jeweils m.w.N.). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen (BGH, Urteile vom 20. November 2012 - VI ZR 268/11, a.a.O. und vom 4 Juni 2013 - VI ZR 288/12, a.a.O., jeweils m.w.N.).
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Unter Anwendung dieser Grundsätze muss auch das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig angesehen werden. Die Täuschung durch die Beklagte diente - andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich - dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit und lässt ihr Vorgehen weder als „Kavaliersdelikt“ noch als „lässliche Sünde“ erscheinen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Beklagte in Kauf nahm, dass die Kunden ein Fahrzeug mit einem Mangel erwerben, der sich dadurch qualifiziert, dass den Kunden die Untersagung der Betriebserlaubnis für das Fahrzeug droht, wenn sie nicht ihrerseits tätig werden und in dem Fahrzeug eine neue Software einbauen lassen. Ein solches, die Verbraucher täuschendes Verhalten ist auch bei Anwendung eines durchschnittlichen, nicht übermäßig strengen Maßstabs als sittenwidrig anzusehen und ebonso verwerflich wie in der Vergangenheit etwa die Beimischung von Glykol in Wein oder von Pferdefleisch in Lasagne. Das Verhalten der Beklagten wiegt umso schwerer, als es sich beim Kauf eines PKW für viele Verbraucher um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht mit oft deutlichen finanziellen Belastungen handelt, die durch das unredliche Verhalten der Beklagten nachteilig beeinflusst worden ist.
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e) Eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB scheidet nicht deshalb aus, weil die oben genannte Verordnung nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen dient. Denn die Haftung aus § 826 BGB hängt nicht davon ab, auf welchem Weg und unter Verstoß gegen welche Normen der Schädiger gehandelt hat.
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Unerheblich ist auch, dass die betroffenen Fahrzeugkäufer bei Nichtanwendung des § 826 BGB nicht rechtlos gestellt würden, weil sie in aller Regel über Rechtsschutzmöglichkeiten im Verhältnis zum Verkäufer verfügen würden. Denn das Bestehen von kaufrechtlichen Ansprüchen gegen den Verkäufer schließt deliktische Ansprüche gegen einen Dritten nicht aus.
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f) Im übrigen widerspricht hier die Haftung der Beklagten aus Delikt auch nicht den grundsätzlichen Wertungen des Kaufrechts. Denn dass das Fahrzeug der Klagepartei in das der von der Beklagten manipulierte Motor eingebaut war, einen Mangel hat, weil ihm konkret, gerade weil es den manipulierten Motor hat, der Entzug der Zulassung drohte, steht außer Frage. Es genügt nicht, dass ein Fahrzeug nur fahrbereit und technisch sicher ist.
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Dieser Mangel ist auch nicht unerheblich. Unterstellt man zu Gunsten der Beklagten, dass der Mangel mit einem geringen Kostenaufwand zu beseitigen sei, wäre der Mängelbeseitigungsaufwand in der Tat im Verhältnis zum Kaufpreis äußerst geringfügig. Damit läge nur eine unerhebliche Pflichtverletzung vor. Für die Beantwortung der Frage der Erheblichkeit ist jedoch nicht allein auf das Verhältnis des Mangelbeseitigungsaufwands zum Kaufpreis abzustellen, sondern es ist eine umfasste Interessenabwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles durchzuführen. Diese ergibt im konkreten Fall, dass der Mangel erheblich ist, weil die grundsätzliche Zulassungsfähigkeit des Fahrzeugs eine wichtige Eigenschaft des Fahrzeugs ist, die hier fehlte. Das Vorbringen der Beklagtenseite, das mit einem ganz geringfügigen Aufwand der Mangel behoben werden könnte, ist nicht nachvollziehbar, denn dann wäre zu fragen, warum rechtswidrige Software überhaupt eingesetzt worden ist. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags war vielmehr vollkommen offen, wie auf eine mögliche Aufdeckung der Software zu reagieren wäre, keinesfalls stand schon zu diesem Zeitpunkt fest, dass der Schaden mit nur geringem Aufwand zu beseitigen wäre.
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2. Der Anspruch der Klagepartei ist nicht verjährt.
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a) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
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b) Es Kann dahin gestellt bleiben, ob vor dem Hintergrund der Medienberichterstattung über den Dieselskandal im Herbst 2015 Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Klagepartei von den anspruchsbegründenen Umständen vorgelegen hat. Denn selbst wenn die Verjährungsfrist bereits mit Ende des Jahres 2015 zu laufen begonnen hätte, wäre die Verjährung jedenfalls durch den Ende des Jahres 2018 vollzogenen Anschluss der Klagepartei zur Musterfeststellungsklage beim Oberlandesgericht Braunschweig gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB gehemmt worden. Die Hemmung dauerte zum Zeitpunkt der Klageerhebung im hiesigen Verfahren noch an.
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c) Der von der Beklagten erhobene Einwand des Rechtsmissbrauchs bzgl. der Berufung auf die Hemmungswirkung der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage greift nicht durch. Soweit die Beklagte vorträgt, viele Klägerkanzleien seien Ende des Jahres 2018 durch die Vorbereitung und Einreichung zahlreicher Individualklagen ausgelastet gewesen und hätten ihre Mandanten lediglich zur Verjährungshemmung in der Musterfeststellungsklage „geparkt“, fehlt es dem Vortrag am Bezug zum hiesigen Fall, Bei diesem spricht jedoch der zeitliche Ablauf deutlich gegen eine Absicht der Klägerseite, mit der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage zur Arbeitsentlastung einen kurzfristigen Aufschub erlangen zu wollen. Hätte eine solche Motivation vorgelegen, hätte es keines Zuwartens von fast fünf Monaten mit der Klageerhebung bedurft.
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3. Die Beklagte hat als Rechtsfolge des Schadensersatzanspruches den Kaufpreis sowie den Wertersatz für des in Zahlung gegebene Fahrzeug Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs zu erstatten.
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Nach § 249 BGB ist im Rahmen des Schadensersatzes der Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Hätte die Beklagte den mit der manipulierten Software versehenen Motor nicht in den Verkehr gebracht, wäre er nicht in den streitgegenständlichen PKW eingebaut und der PKW so nicht verkauft worden. Dann hätte die Klagepartei den Kaufvertrag über dieses von ihm erworbene Fahrzeug nicht geschlossen. Also ist sie bei konsequenter Anwendung des Schadensersatzrechts so zustellen, wie sie ohne den Kaufvertrag stehen würde. Die Klagepartei ist nicht nur so zu stellen, wie wenn das Fahrzeug den Mangel nicht hätte, weil sie mit dieser Betrachtung gezwungen wäre, das Fahrzeug mit dem manipulierten Motor zu behalten.
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Damit hat die Beklagte grundsätzlich der Klagepartei den gezahlten Kaufpreis zu erstatten, also 16.990,00 €. Zug um Zug ist die Klagepartei verpflichtet, das Fahrzeug herauszugeben.
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4. Der Schaden ist auch nicht dadurch entfallen, dass die Klagepartei das von der Beklagten entwickelte Software-Update aufspielen konnte, weil dadurch der Schaden nicht vollständig kompensiert wurde.
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Zwar trägt die Beklagte vor, dass mit dem Update das Fahrzeug nunmehr nur noch in dem Modus betrieben werde, der vorher nur auf dem Prüfstand eingeschaltet war. Daher bestehe keine Gefahr mehr, dass die Zulassung entzogen werden könnte. Die Beklagte erklärt auch, dass das Update von den Behörden freigegeben worden sei. Es sei bescheinigt worden, dass es keine negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug habe.
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Nachträgliche Entwicklungen sind grundsätzlich bei der Beurteilung des Schadens einzubeziehen. Der Schaden entfällt aber nur dann, wenn er durch eine nachträgliche Entwicklung vollständig kompensiert wird. Im vorliegenden Fall kann der nachträgliche Einbau des Updates den Schaden, der durch den nachteiligen Vertrag für die Klagepartei eingetreten ist, nicht vollständig kompensieren. Dies folgt schon aus den Unsicherheiten, die in der öffentlichen Diskussion über die Folgen des Updates entstanden sind. Das Update ist nicht unumstritten, auch wenn die Beklagte nachteilige Folgen bestreitet. Die Gefahr negativer zukünftiger Folgen verbunden mit dem sich fortsetzenden negativen Makel, ein Auto zu besitzen, das vom „Abgasskandal“ betroffen war, genügt, um keine vollständige Kompensation annehmen zu können.
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5. Im Rahmen des Schadensersatzanspruches hat die Klagepartei sich die gezogenen Nutzungen anzurechnen lassen. Die Beklagte wird auch, wenn sich der Kläger Nutzungsvorteile anrechnen lassen muss, nicht unbillig entlastet, weil die Möglichkeit des Klägers das Fahrzeug zu nutzen durch den Mangel nicht wesentlich beeinträchtigt war.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde mit einer Laufleistung von 23.277 km erworben. Die Laufleistung von 117.146 km zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist unbestritten. Gem. § 287 ZPO legt das Gericht eine Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeuges von ca. 250.000 km zugrunde. Daraus errechnet sich ein Vorteilsausgleich in Höhe von 6.379,34 € wie folgt: Kaufpreis 16.990,00 € × Laufleistung der Klagepartei von 93.869 km : Gesamtlaufleistung 250.000 km = 6.379,34 €.
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Damit hat die Beklagte der Klagepartei einen Betrag von 10.610,66 € zu erstatten. Hinsichtlich des überschießenden Betrages ist die Klage abzuweisen.
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6. Die Pflicht zur Verzinsung dieses Betrages ab 22.05.2019 ergibt sich aus § 291 BGB Eine darüber hinausgehende Pflicht zur Verzinsung nach § 849 BGB besteht dagegen nicht, weil der als Kaufpreis bezahlte Geldbetrag nicht ersatzlos weggegeben wurde, sondern die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs bestand.
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7. Die Klagepartei hat einen Anspruch auf Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet. Die Klagepartei hatte der Beklagten im Schreiben vom 18.12.2018 das Fahrzeug wirksam angeboten.
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8. Dagegen steht dem Kläger ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten aus §§ 826 i.V.m. 249 BGB nur in Höhe von 1.266,16 € zu. Die Klage war im Übrigen insofern abzuweisen.
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Ein Gebührensatz von 1,8 ist bei den standardisierten Schriftsätzen deutlich überhöht und es wäre ein Gebührensatz von 1,3 angemessen. Angesichts des den Anwälten zustehenden Ermessen (BGH NJW-RR 2012, 887) ist ein Gebührensatz von 1,5 aus dem zugesprochenen Betrag in Ansatz zu bringen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO und für die Streitwertfestsetzung war § 3 ZPO maßgeblich.