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VG München, Beschluss v. 17.04.2020 – M 26 E 20.1619
Titel:

Ausnahmegenehmigung für Versammlung

Normenkette:
BayIfSMV
Schlagwort:
Ausnahmegenehmigung für Versammlung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 50656

Tenor

I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, über den Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Die Entscheidung ergeht gemäß §§ 123 Abs. 2, § 80 Abs. 8 VwGO angesichts der geltend gemachten Eilbedürftigkeit durch die Vorsitzende.
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Der Antrag vom 16.04.2020 ist zulässig und begründet.
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Der Antragsteller hat gemäß § 1 Absatz 1 Satz 3 der Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie vom 27.03.2020 (BayIfSMV) in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31.03.2020 einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag vom 15.04.2020.
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1. Bei summarischer Prüfung ist § 1 Abs. 1 BayIfSMV mit der Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes, geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) sowie mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG, Art. 113 BV) und auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 GG vereinbar.
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Die vorübergehende Einschränkung der Versammlungsfreiheit und der Meinungsfreiheit, die § 1 Abs. 1 BayIfSMV beinhaltet, ist zum Zwecke des Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung vor der raschen Ausbreitung des Corona-Virus und der Überlastung des Gesundheitssystems als eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes derzeit wohl verfassungsrechtlich gerechtfertigt (vgl. für Betriebsuntersagungen VG München, Beschlüsse v. 20.03.2020 - M 26 E. 20.1209 und M 26 S 20.1222; B.v. 31.3.2020 - M 26 E 20.1343; BayVGH, B.v. 30.3.2020 - 20 CS 20.611). Die dortigen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit greifen mutatis mutandis auch für die vorübergehende Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch § 1 Abs. 1 Platz. § 28 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 IfSG sehen ausdrücklich die Einschränkung der Versammlungsfreiheit vor. Auch das Veranstaltungs- und Versammlungsverbot hat, wie die übrigen Verbote der Verordnung, ausschließlich zum Ziel, die Verbreitung des Corona-Virus durch Unterbrechung der Infektionsketten zu verlangsamen. Das Bundesverfassungsgericht hat es unter Verweis auf die staatliche Verpflichtung zum Schutz des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 GG im Eilverfahren abgelehnt, die bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung außer Vollzug zu setzen (BVerfG, B.v. 7.4.2020 - 1 BvR 755/20). Der Verordnungsgeber hat mit der Befristung bis zum 19. April 2020 in gebotener Weise dokumentiert, dass er die Erforderlichkeit und Wirksamkeit der Regelung - wie es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert - weiterhin fortlaufend überprüfen wird.
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2. § 1 Abs. 1 und 3 BayIfSMV ist als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt ausgestaltet und soll dem grundgesetzlich besonders geschützten Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG Rechnung tragen, indem Ausnahmen vom infektionsschutzrechtlich bedingten generellen Versammlungsverbot zugelassen werden können, soweit dies im Einzelfall aus Gründen des Infektionsschutzes vertretbar erscheint.
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Die Ausnahmegenehmigung steht nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BayIfSMV im Ermessen der zuständigen Behörde. Umstände, welche auf eine Ermessensreduzierung auf Null hindeuten, sind nicht ersichtlich. Vielmehr dürfte eine Ausnahmegenehmigung nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BayIfSMV unter strengen Auflagen erteilt werden können, die die Eindämmung der infektionsschutzrechtlichen Gefahren sicherstellen (BayVGH, B. v. 9. 4. 2020, Az. 20 CE 20.755).
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3. Die Antragsgegnerin hat in dem Bescheid, mit dem der Antrag des Antragstellers abgelehnt wird, dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht ausreichend Rechnung getragen, wie es bei der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen für Versammlungen geboten ist (siehe auch BVerfG, B. v. 15.4.2020, 1 BvR 828/20).
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a) Angesichts des Versammlungsortes und der Zeit der Versammlung (Marienplatz, 12:00 Uhr mittags) sind die Gefahrenprognosen des Polizeipräsidiums München vom 15.04.2020 sowie des Referats für Gesundheit und Umwelt vom 15.04.2020, wonach aufgrund der Versammlung mit größeren und unkontrollierbaren Menschenansammlungen gerechnet werden müsse, nicht plausibel.
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Der Antragsteller hat durch Vorlage einer Lichtbildaufnahme des Marienplatzes vom 16.04.2020, 12:00 Uhr mittags, glaubhaft gemacht, dass dieser zentrale Platz an diesem Datum bei schönem Wetter zu dieser Zeit fast menschenleer war. Dies ist auch gerichtsbekannt. Damit ist zu prognostizieren, dass dies auch heute zum Versammlungszeitpunkt so sein wird.
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b) Die Antragsgegnerin wird zu prüfen haben, ob aus infektionsschutzrechtlichen Gründen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die Erteilung des Genehmigungsbescheides unter Auflagen möglich ist. Dabei können in Abwägung des Rechts auf Versammlungsfreiheit mit den infektionsschutzrechtlichen Gefahren, die sich insbesondere aus der Möglichkeit des Entstehens von Menschenansammlungen außerhalb der Versammlung ergeben können, nach Auffassung des Gerichts insbesondere folgende Auflagen in Betracht gezogen werden:
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- Einhaltung des nach der BayIfSMV erforderlichen Mindestabstands zwischen den Teilnehmern und zu Passanten;
13
- Begrenzung der Teilnehmerzahl unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der Ausweichmöglichkeiten von Passanten unter Einhaltung des erforderlichen Mindestabstands (vgl. auch § 2 Abs. 5 BayIfSMV, der hierbei zumindest als grobe Richtschnur dienen kann);
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- keine Bewerbung der Versammlung;
15
- keine Interaktion mit Passanten im Wege des physischen Kontakts (z.B. durch Verteilung von Flyern im unmittelbaren persönlichen Kontakt, sondern nur Auslegen)
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- Verbot der Benutzung eines Megaphons, um Passanten nicht auf die Versammlung aufmerksam zu machen;
17
- zeitliche Begrenzung der Versammlung.
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Im Übrigen ist davon auszugehen, dass die Polizei, die ohnehin die Einhaltung der BayIfSMV insbesondere auch am Versammlungsort durch vermehrte Kräfte kontrolliert, in der Lage sein wird, im Rahmen einer mit entsprechenden Auflagen versehenen Genehmigung den Eintritt Infektionsschutzrechtlicher Gefahren durch Menschenansammlungen zu unterbinden. Der Entstehung von Spontanversammlungen oder Gegendemonstrationen kann erforderlichenfalls durch eine Umzäunung und Kenntlichmachung des Versammlungsgeländes sowie durch den Hinweis auf das nach der BayIfSMV derzeit bestehende Erfordernis einer Ausnahmegenehmigung zur Durchführung einer Versammlung begegnet werden.
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Die Argumentation der Antragsgegnerin, die Ausnahmegenehmigung könne aufgrund dieser Vorgehensweise zum Regelfall werden, greift nicht, da die infektionsschutzrechtliche Situation stets aufgrund einer konkreten Einzelfallbetrachtung der näheren Umstände (Zeit, Ort, Anzahl der Teilnehmer, Veranstaltungsmotto) zu beurteilen ist.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.