Inhalt

LG Ansbach, Beschluss v. 10.12.2020 – 4 T 1344/20
Titel:

Genehmigung der Unterbringung und Einwilligung zur zwangsweisen Behandlung des Betreuten mit Haldol Decanoat

Normenketten:
BGB § 1904, § 1906, § 1906a
FamFG § 329 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Im Falle einer langjährigen, akut exazerbierten paranoiden Schizophrenie kann eine zwangsweise Heilbehandlung eines Betreuten durch Gabe von Haldol Decanoat einschließlich der erforderlichen medizinischen Kontrollmaßnahmen sowie eine zur Durchführung der Zwangsbehandlung erforderliche Fixierung und Isolierung des Betreuten zu genehmigen sein; die nach § 329 Abs. 1 S. 2 FamFG statthafte Höchstfrist ist zu beachten. (Rn. 7 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betreuer, Betreuter, Zwangsbehandlung, Unterbringung, Isolierung, Fixierung, betreuungsgerichtliche Genehmigung, Einwilligung, Höchstfrist, Haldol Decanoat
Vorinstanz:
AG Ansbach, Beschluss vom 27.11.2020 – 19 XVII 567/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 30.06.2021 – XII ZB 573/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 50584

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Ansbach vom 27.11.2020, Az. 19 XVII 567/19, wird aufrechterhalten mit der Maßgabe, dass unter Ziff. 1. die Frist der genehmigten Einwilligung des Betreuers in die ärztliche Zwangsmaßnahme einschließlich der medizinischen Kontrollmaßnahmen auf längstens 08.01.2021 festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde des Betreuten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ansbach vom 27.11.2020, Az. 19 XVII 567/19, zurückgewiesen.
2. Von der Erhebung der Kosten wird abgesehen.

Gründe

I.
1
Mit Beschluss vom 27.11.2020 hat das Amtsgericht Ansbach die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme, namentlich die Heilbehandlung durch Gabe von bis zu 150 mg Haldol Decanoat alle vier Wochen intramuskulär, nächstmals vor bzw. bis spätestens 02.12.2020 in einer Dosis von 100 mg einschließlich der medizinischen Kontrollmaßnahmen wie Blutentnahme und EKG-Messungen bis längstens 29.11.2020 genehmigt. Die genannte Maßnahme sei unter Verantwortung eines Arztes durchzuführen und zu dokumentieren.
2
Ferner wurde zum Zwecke der Zwangsmedikation eine zeitweilige Isolierung und Fünf-Punkt-Fixierung bis längstens 11.12.2020 genehmigt.
3
Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wurde angeordnet.
4
Bereits mit Beschluss vom 26.11.2020 war Rechtsanwalt … zum Verfahrenspfleger bestellt worden.
5
Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene mit Schreiben vom 27.11.2020, eingegangen per Fax am 28.11.2020, Beschwerde eingelegt und diese mit den Worten begründet: „Keine Zwangsbehandlung, sonst bist du tot! Ich verfluche dich! Wer mich spritzt, der stirbt! Mein Darm geht nicht mehr!“. Das Erstgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 30.11.2020 nicht abgeholfen und diese dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
6
Der Verfahrenspfleger hat mit Schreiben vom 07.12.2020 zur Beschwerde Stellung genommen, in welcher er die Genehmigung der Zwangsmedikation grundsätzlich befürwortete, allerdings darauf hinwies, dass der Genehmigungszeitraum dieser die nach § 329 Abs. 1 S. 2 FamFG für ärztliche Zwangsmaßnahmen statthafte Höchstdauer von sechs Wochen überschreite.
II.
7
Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die freiheitsentziehende Unterbringung durch den Betreuer nur zulässig, wenn auf Grund der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. In diesem Zusammenhang müssen objektivierbare, konkrete Anhaltspunkte für eine akute Suizidgefahr oder den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens bestehen (BGH NJW-RR 2010, 291; 2010, 1370 (1370, 1371); OLG München BeckRS 2005, 11854). Nicht erfasst sind dagegen grundsätzlich Schäden oder Gefährdungen anderer Rechtsgüter als Leben und Gesundheit des Betroffenen, wie z. B. Vermögensschäden. Ferner muss die Ursache für die bestehende Selbstschädigungsgefahr in der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen liegen. Hiermit soll klargestellt werden, dass Gesundheitsgefährdungen oder -schädigungen, die auch bei Nichtbetreuten üblich sind, keine freiheitsentziehende Unterbringung des Betroffenen rechtfertigen (BT-Drucks. 11/4528, S. 146). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung setzt die Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge psychischer Erkrankung in verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes weiterhin voraus, dass der Betroffene auf Grund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (BayObLG, FamRZ 1993, 600; NJW-RR 1998, 1014 (1015); NJWE-FER 2001, 150 (150)).
8
Eine freiheitsentziehende Unterbringung des Betroffenen kann nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB zudem erfolgen, wenn eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig sind. Die ärztlichen Maßnahmen i.S.v. § 1904 BGB, die durchgeführt werden sollen, können sowohl die Anlasskrankheit (insbesondere diejenige, die zur Betreuerbestellung geführt hat) betreffen, als auch andere Krankheiten, die nicht Grundlage der Betreuerbestellung waren. Weiterhin ist erforderlich, dass die beabsichtigte Maßnahme nicht ohne Unterbringung des Betroffenen durchgeführt werden kann und der Betroffenen auf Grund seiner psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Maßgeblich ist folglich nicht die Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen, sondern das Fehlen der natürlichen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit in Bezug auf die Notwendigkeit der Unterbringung, sowie die Notwendigkeit der durch die Unterbringung möglichen medizinischen Behandlung (vgl. BGH, NJW 2006, 1277 (1279, 1280); MüKo/BGB-Schwab, BGB, Kommentar, 6. Auflage 2012, § 1906 Rn. 22 m.w.N.).
9
§ 1906 Abs. 1 bis 3 BGB gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll (§ 1906 Abs. 4 BGB).
10
Gemäß § 1906 a Abs. 1 und 2 BGB ist die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur zulässig, wenn die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden, der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nach dieser Ansicht handeln kann, die ärztliche Zwangsmaßnahme dem nach § 1901 a BGB zu beachtenden Willen des Betreuten entspricht, zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen, der drohende erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere, den Betreuten weniger belastende Maßnahme abgewendet werden kann, sowie der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt und die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt wird.
III.
11
Der Sachverständige Dr. med. … (Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie) hat in seinem Gutachten vom 25.11.2020 festgestellt, dass bei dem Betroffenen eine langjährige paranoide Schizophrenie (ICD 10 Nr.: F 20.01) vorliege, welche im Zeitraum der Begutachtung akut exazerbiert sei.
12
Bei dem Betroffenen sei zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine Heilbehandlung erforderlich. Dabei handle es sich um die Verabreichung von Haldol Decanoat in Form von bis zu 150 mg alle vier Wochen intramuskulär, nächstmalig fällig am 02.12.2020. Es erscheine außerdem dringend notwendig, die Gabe von 100 mg zeitnah vorzuziehen aufgrund des aktuellen psychischen Zustandsbildes des Betroffenen.
13
Ohne diese Heilbehandlung bestünde erhebliche Selbstgefahr für den Betroffenen. Die psychotische Symptomatik sei wieder sehr stark ausgeprägt, es könnte deshalb zu Selbstmordgedanken oder auch zu massiven Aggressionen, wie in der jüngsten Vergangenheit bereits geschehen, kommen. Dadurch bestünde eine erhebliche Eigengefährdung des Betroffenen selbst.
14
Der Eintritt des gesundheitlichen Schadens könne auch nicht durch andere Mittel abgewendet werden. Der Betroffene könne aufgrund der vorliegenden psychischen Erkrankung die Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht erkennen und lehne diese ab. Durch die zwangsweise Heilbehandlung in Form einer Depot-Injektion könne zwar eine Traumatisierung eintreten. Die Depot-Injektion sei aber trotzdem das mildeste Mittel, um eine adäquate Behandlung herbeizuführen. Der zu erwartende Nutzen der Zwangsmaßnahme überwiege die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich. Als Nebenwirkung der Injektionen selbst könnte ein gesundheitlicher Schaden bei dem Betroffenen in Form einer Blutung oder Infektion, sowie durch Schädigung eines Muskels oder von Nerven eintreten. Durch den Wirkstoff Haloperidol könnte es zu extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen kommen in Form von Früh- und Spätdyskinesen, allergischen Reaktionen, Herzrhythmusstörungen, einer Erhöhung der zerebralen Erregbarkeit in Form von epileptischen Krampfanfällen, Blutbildveränderungen und im Extremfall zu einem malignen neuroleptischen Syndrom. Deshalb erscheine es auch notwendig, wegen der Medikation Blut- und EKG-Kontrollen in regelmäßigen Abständen zu veranlassen. Allerdings sei der Wirkstoff bei dem Betroffenen schon mehrfach zur Anwendung gekommen, wobei der Betroffene in der Vergangenheit den Wirkstoff immer gut vertragen habe, sodass solche Nebenwirkungen sehr unwahrscheinlich erschienen.
15
Die Zwangsbehandlung werde voraussichtlich für die Dauer von acht Wochen erforderlich sein. Zur Verabreichung der Zwangsmedikation, aber auch bei Eintritt von Selbstgefahr, seien dringend unterbringungsähnliche Maßnahmen für zwei Wochen sinnvoll und notwendig in Form einer Isolierung und Fünf-Punkt-Fixierung.
IV.
16
Die Kammer schließt sich diesen nachvollziehbaren, schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Arztes nach eigener kritischer Prüfung an. Aus diesen ist eindeutig erkennbar, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit seinen Willen in Bezug auf die freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht frei bestimmen kann; er kann die Notwendigkeit der beschriebenen Maßnahmen nicht erkennen und danach handeln.
17
Diese Ausführungen des Sachverständigen werden in tatsächlicher Weise auch gestützt durch die Ausführungen des Verfahrenspflegers in seinem Schreiben vom 07.12.2020, in welchem er darauf hinwies, dass der Betroffene ihm gegenüber am 04.12.2020 nochmals deutlich gemacht habe, dass er eine Behandlung mit Psychopharmaka ablehne, als auch die Feststellungen des anhörenden Richters, welcher angab, der Betroffene sei bei der Anhörung im Zimmer umher „getigert“, habe grimmig geblickt und vornehmlich mit nur einzeln hingeworfenen Wörtern gesprochen. Sein Zustand sei unverändert, eher schlecht erschienen. Auf den Hinweis, dass die Zwangsmedikation fortgesetzt werden solle, habe er geäußert „Niemals!“.
18
Die Kammer ist nach alledem davon überzeugt, dass die Durchführung der o. g. ärztlichen Zwangsmaßnahmen bis zum 08.01.2021 sowie die Fixierung und Isolierung bis zum 11.12.2020 zum Wohle des Betroffenen unabdingbar sind. Insbesondere kann der drohende gesundheitliche Schaden durch keine andere den Betroffenen weniger belastende Maßnahme abgewendet werden, zumal der Betroffene eine freiwillige Einnahme der Medikation nach den bisherigen Feststellungen deutlich ablehnt. Auch überwiegt der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahmen die zu erwartende Beeinträchtigung insbesondere im Hinblick auf den akut exazerbierten Zustand des Betroffenen deutlich.
19
Allerdings überschreitet die durch das Erstgericht angeordnete Dauer der Zwangsmedikation die in § 329 Abs. 1 S. 2 FamFG statthafte Höchstfrist von sechs Wochen und war dementsprechend durch das Beschwerdegericht zu reduzieren auf einen Zeitraum bis längstens 08.01.2021.
20
Eine Anhörung des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren ist nicht geboten, da dieser erst am 27.11.2020 vom Amtsgericht Ansbach angehört wurde. Neue Erkenntnisse auf Grund einer weiteren Anhörung sind - auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens - nicht zu erwarten, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG.
V.
21
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Absatz 1 FamFG, § 84 FamFG. Danach soll das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat. Die Fassung als Sollvorschrift ermöglicht es jedoch, bei Vorliegen besonderer Umstände ausnahmsweise ganz oder teilweise von der Kostenbelastung des Rechtsmittelführers abzuweichen. Ein besonderer Umstand ist - wie vorliegend - dadurch gegeben, dass das Rechtsmittel eine Angelegenheit der staatlichen Fürsorge (Betreuung, Unterbringung) betrifft und das Rechtsmittel vom Fürsorgebedürftigen selbst eingelegt wurde (Schulte-Bunert/Weinrich/Keske, FamFG, a. a. O., § 84, Rn. 5; Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Auflage, Rn. 15 zu § 84).