Inhalt

LG Bayreuth, Endurteil v. 30.01.2020 – 23 O 877/12
Titel:

Insolvenzanfechtung, Rückzahlung einer einem Gesellschafterdarlehen gleichgestellten Forderung

Normenketten:
InsO § 39 Abs. 1 Nr. 5
InsO § 135 Abs. 1 S. 2
Leitsätze:
1. Beschließt der Alleingesellschafter einer GmbH, einen festgestellten Gewinn auf neue Rechnung vorzutragen, kann der aus einem später gefassten, auf Ausschüttung des Gewinnvortrags gerichteten Gewinnverwendungsbeschluss folgende Zahlungsanspruch eine wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung darstellen.
2. Eine Behandllung als wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung scheidet aus, wenn bereits zum Zeitpunkt des ersten, auf einen Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung gerichteten Gesellschafterbeschlusses eine Gewinnausschüttung nicht vorgenommen werden durfte, weil und soweit die Auszalung zu diesem Zweitpunkt eine Unterbilanz herbeigeführt oder vertieft hätte.
Schlagworte:
Insolvenzanfechtung, Rückzahlung einer einem Gesellschafterdarlehen gleichgestellten Forderung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Urteil vom 15.09.2020 – 5 U 75/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 22.07.2021 – IX ZR 195/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 50366

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 200.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus einem Teilbetrag von 147.250,00 € seit dem 24.09.2011 und aus einem Teilbetrag von 52.750,00 € seit dem 13.09.2012 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter von der Beklagten die Erstattung einer Auszahlung.
2
Mit Beschluss des Amtsgerichts Amberg - Insolvenzgericht - (Az. …) vom 01.06.2010 wurde über das Vermögen der Firma M. O. GmbH (nachfolgend „Insolvenzschuldnerin“) auf deren eigenen Antrag vom 31.03.2010 hin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Gegenstand des Unternehmens der Insolvenzschuldnerin war der Betrieb einer Bauunternehmung.
3
Die Beklagte war die alleinige Gesellschafterin der Insolvenzschuldnerin (K 1). Sie verfügte außerdem bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über Einzelprokura samt der Ermächtigung zur Veräußerung und Belastung von Grundstücken (K 2).
4
Im Jahresabschluss der Insolvenzschuldnerin zum 31.12.2008 (B 2) ist ein Jahresüberschuss von 345.887,64 EUR ausgewiesen. Der den Jahresabschluss erstellende Steuerberater K. bescheinigte am 30.06.2009, dass der Jahresabschluss zum 31.12.2008 auf der Grundlage der ihm vorgelegten Bücher und Bestandsnachweise sowie der erteilten Auskünfte der Insolvenzschuldnerin erstellt worden sei. Eine Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit dieser Unterlagen und der Angaben der Insolvenzschuldnerin sei nicht Gegenstand seines Auftrags gewesen.
5
Mit Gesellschafterbeschluss vom 28.09.2009 hat die Beklagte beschlossen, dass der Jahresabschluss zum 31.12.2008 mit einer Bilanzsumme von EUR 4.647.746,33 und einem Jahresüberschuss von EUR 246.178,14 festgestellt werde. Des Weiteren wurde beschlossen, dass der Jahresüberschuss zum 31.12.2008 in Höhe von EUR 246.178,14 auf neue Rechnung vorgetragen wird, ferner, dass dem Geschäftsführer Entlastung für das Geschäftsjahr 2008 erteilt werde (B 3).
6
Als Alleingesellschafterin fasste sie am 01.12.2009 folgenden Gesellschafterbeschluss (B1):
„Die Gewinnausschüttung für das Geschäftsjahr 2008 im Jahr 2009 beträgt 200.000,00 EUR. Die Ausschüttung erfolgt zum 01. Dezember 2009.“
7
Am 09.12.2009 wurde von der Insolvenzschuldnerin an die Beklagte ein Gewinn in Höhe von 200.000,00 EUR durch Überweisung ausgezahlt (K 6). Am 10.12.2009 überwies die Beklagte einen Betrag in Höhe von 52.750,00 EUR zurück an die Insolvenzschuldnerin. Dieser Betrag entspricht der an das Finanzamt abzuführenden Kapitalertragssteuer und wurde fälschlicherweise an die Beklagte mitausgezahlt.
8
Mit Schreiben vom 25.08.2011 forderte der Kläger die Beklagte bis zum 23.09.2011 auf, einen Betrag in Höhe von 147.250,00 EUR an die Insolvenzmasse zu zahlen (K 9). Daraufhin erfolgte keine Zahlung. Mit Schreiben vom 03.09.2012 (K 10) wurde die Beklagte vom damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Zahlung von 200.000 EUR bis 12.09.2012 aufgefordert. Eine Zahlung erfolgt nicht.
9
Mit Schriftsatz vom 08.11.2013 hat der Kläger während des rechtshängigen Verfahrens zudem die Anfechtung der Zahlung vom 09.12.2013 erklärt, die der Beklagten am 20.11.2013 (Bl. 199 d.A.) zugegangen ist.
10
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Auszahlung von der Beklagten gemäß §§ 31 Satz 1, 30 GmbHG erstattet werden müsse, hilfsweise gemäß §§ 812 ff. BGB. Im Zeitpunkt der Auszahlung habe eine Unterbilanz vorgelegen und somit hätte das zu Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen nicht gemäß § 30 GmbHG an die Beklagte als Gesellschafterin ausgezahlt werden dürfen. Im Übrigen habe der Beklagten formell und materiell kein rechtswirksamer Gewinnanspruch zugestanden, so dass die Auszahlung mithin ohne Rechtsgrund erfolgte.
11
Der Kläger stütze seine Klage auf die vom Steuerberater B. auf die Stichtage 31.12.2008 und 30.09.2009 aufgestellten Jahresabschlüsse (Anlage K 4, K4a, K 5 und K5a), die zum 31.12.2008 einen Verlust in Höhe von 326.227,60 EUR und in der Zeit vom 01.01.2009 bis 30.11.2009 einen Verlust in Höhe von 1.116.862,80 EUR ausweisen.
12
Zudem macht der Kläger einen Anspruch auf Rückgewähr gemäß § 826 BGB (existenzvernichtender Eingriff) gemäß § 143 Abs. 1 InsO geltend. Mit Schriftsatz vom 08.11.2013 hat der Kläger die Anfechtung der Zahlung vom 09.12.2013 gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO wegen Befriedigung einer einem Gesellschafterdarlehen gleichgestellten Forderung im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sowie gemäß § 133 Abs. 1, Abs. 2 InsO wegen vorsätzlicher Benachteiligung.
13
Der Kläger beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 200.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz aus 147.250,00 € seit dem 24.09.2011 und aus weiteren 52.750,00 € seit dem 13.09.2012 zu zahlen.
14
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
15
Die Beklagte ist der Ansicht, dass von ihr keine Zahlung verlangt werden könne. Die vom Kläger herangezogenen Abschlüsse K 4 und K 5 hätten am 09./10.12.2009 noch nicht existiert. Es habe jedoch der positive Jahresabschluss (per 31.12.2008) des Steuerberaters K. vom 30.06.2009 vorgelegen (B 2). Die Beklagte habe am 09.12.2009 keine Kenntnis von einer Insolvenzlage oder drohenden Insolvenzlage der GmbH gehabt.
16
Die Abschlüsse K. und B. wichen nur in den Bilanzpositionen “Forderungen und Vermögensgegenstände“ - 6.207,37 EUR und „Vorräte“ - 59.005,91 EUR voneinander ab. Es sei jedoch für die Beklagte nicht ersichtlich, auf Grund welcher Tatsachen die Änderungen im Jahresabschluss der Steuerberatungsgesellschaft B. erfolgten, insbesondere sei der Jahresabschluss B 2 nicht fehlerhaft. Die klägerische Behauptung eines Jahresfehlbetrags für 2008 sei deshalb nicht einlassungsfähig, unbeachtlich und könne der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Im Übrigen bestreitet die Beklagte das Vorliegen einer Unterbilanz zum Stichtag 09.12.2009. Insoweit wird Bezug genommen auf die Klageerwiderung vom 15.03.2013 Seite 7 ff. sowie den Schriftsatz vom 02.09.2013 Seite 109 ff. Eine Rückforderung aus § 812 scheide aus, da in dem Gewinnausschüttungsbeschluss vom 01.12.2009 ein Rechtsgrund liege. Gegen die Anfechtung des Klägers wird vorgebracht, dass es sich bei der Entscheidung des OLG Koblenz vom 15.10.2013, Az. 3 U 635/13, um eine Einzelentscheidung handele. Die Vorschrift des § 135 InsO finde auf Mitgliedschaftsrechte wie dem Gewinnanspruch aus dem Gesellschaftsverhältnis keine Anwendung. Bis zur Fassung des Gewinnausschüttungsbeschlusses liege keine Verbindlichkeit der Gesellschaft vor, so dass eine wirtschaftliche Gleichstellung i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO entbehrlich sei. Eine Durchbrechung für eine haftungsbeschränkte Einmann-Gesellschaft würde die Rechtsformwahl ad absurdum führen. Im Übrigen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze vom 08.01.2014 Bl. 232 ff., vom 13.01.2014 Bl. 273 ff. und vom 31.12.2009, Bl. 574 ff.
17
Das Gericht hat über die Behauptung des Klägers Beweis erhoben, dass zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Auszahlung am 09.12.2009 eine dieser Zahlung entgegenstehende Unterbilanz der auszahlenden Gesellschaft bestanden habe, durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen H. vom 05.12.2018 samt Ergänzungsgutachten vom 13.06.2018. Insoweit wird Bezug genommen auf die jeweiligen Gutachten sowie die Niederschriften der mündlichen Verhandlungen vom 13.09.2013 (Bl. 115 ff. d.A.) und vom 10.10.2019 (Bl. 535 ff. d.A.).
18
Im Übrigen wird Bezug genommen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien samt Anlagen.

Entscheidungsgründe

19
I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Bayreuth nach §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gemäß §§ 12, 13 ZPO örtlich zuständig. Der Insolvenzverwalter war zur Prozessführung kraft Amtes befugt, § 80 Abs. 1 InsO.
20
Die Klage ist vollumfänglich begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch aus §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf Zahlung von 200.000 EUR zu.
21
1. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 08.11.2013 die Anfechtung hinsichtlich der Zahlung vom 09.12.2009 erklärt. Diesen Schriftsatz hat die Beklagte am 20.11.2013 erhalten (Bl. 199 d.A.).
22
2. Gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder für eine gleichgestellte Forderung Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.
23
Die Zahlung fällt in den Einjahreszeitraum vor dem Eröffnungsantrag (31.03.2010).
24
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sind erfüllt.
25
Die Einzelrichterin schließt sich dabei vollumfänglich den überzeugenden Ausführungen des OLG Koblenz in der rechtskräftigen Entscheidung vom 15.10.2013, Az. 3 U 635/13, an.
26
a) Bei der streitgegenständlichen Gewinnausschüttung handelt es sich nicht um die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens. Dafür fehlt es an einer Darlehensvereinbarung, § 488 Abs. 1 BGB.
27
Die Beklagte war zudem zum Zeitpunkt des Gewinnvortrags am 28.09.2009 noch nicht Gläubigerin eines Gewinnausschüttungsanspruchs.
28
b) Mit der Ausschüttung des Gewinnvortrags der Schuldnerin für das Jahr 2008 an die Beklagte als Gesellschafterin am 09.12.2009 wurde jedoch eine Forderung aus einer Rechtshandlung zurückgewährt, die einem Gesellschafterdarlehen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO wirtschaftlich entspricht.
29
Die Gesetzesbegründung zu § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO enthält zwar keine Konkretisierung möglicher Tatbestände (BT-Drucks. 16/6140 S. 56).
30
Die Qualifizierung einer Forderung als eine einem Gesellschafterdarlehen gleichgestellte Forderung erfordert nach Ansicht des Gerichts aber eine rein wirtschaftliche Betrachtung. Damit ist der sachliche Anwendungsbereich eröffnet, wenn die Gesellschafter bzw. ein Alleingesellschafter durch einen Gewinnvortrag auf neue Rechnung der Gesellschaft liquide Mittel zur Verfügung stellt. Dies war durch Beschluss der Beklagten vom 28.09.2009 der Fall (B 3).
31
Das Gericht schließt sich für den stets allein handlungsberechtigten Alleingesellschafter der Ansicht des OLG Koblenz an, dass der Anspruch auf den Bilanzgewinn eine einem Gesellschafterdarlehen gleichgestellte Forderung darstellt, wenn dieser auf der Auflösung einer Gewinnrücklage oder eines Gewinnvortrags besteht. Das Stehenlassen des Gewinns durch Gewinnvortrag der Beklagten am 28.09.2009 ist anfechtungsrechtlich als Gesellschafterdarlehen zu behandeln. Durch den Ergebnisverwendungsbeschluss vom 28.09.2009 verblieb der Gewinn bei der Gesellschaft und ging in den verteilungsfähigen Gewinn über.
32
Mit der Ausschüttung des Gewinnvortrags an die Beklagte wurde dieser Befriedigung gewährt.
33
3. An der nach § 129 Abs. 1 InsO erforderlichen Insolvenzgläuberbenachteiligung bestehen keine Zweifel, da sich die Befriedigung ohne Eintritt des rechtlichen Nachteils bei wirtschaftlicher Betrachtung günstiger gestaltet hätte, mithin die Befriedigung durch Auszahlung an die Beklagte vermindert worden ist (vgl. Amtsgericht Amberg, Az. 61 IN 126/10). Damit lagen die Anfechtungsvoraussetzungen vor.
34
4. Die Verzinsung folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 BGB (K 9 und K 10). Der Rückgewähranspruch wird mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens (01.06.2010) fällig, weil nach neuerem Verständnis des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 01.02.2007, IX ZR 96/14, Rn. 20 m.w.N.) die Insolvenzanfechtung keiner gesonderten Erklärung bedarf. Daher waren die beantragten Zinsen zuzusprechen, § 308 Abs. 1 ZPO.
35
Damit kommt es auf die durch Sachverständigengutachten erörterte Beweisfrage, ob am 09.12.2009 eine Unterbilanz der Insolvenzschuldnerin vorgelegen hat, nicht an. Der Rechtsstreit war daher entscheidungsreif.
36
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.