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ArbG München, Endurteil v. 24.06.2020 – 34 Ca 13113/19
Titel:

Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Arbeitgeber, Arbeitsbedingungen, Arbeitsleistung, Versetzung, Wirksamkeit, Zwischenzeugnis, Anordnung, Ermessen, Arbeitsplatz, Streitwert, Anlage, Organisationseinheit, Co KG, billigem Ermessen

Schlagworte:
Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Arbeitgeber, Arbeitsbedingungen, Arbeitsleistung, Versetzung, Wirksamkeit, Zwischenzeugnis, Anordnung, Ermessen, Arbeitsplatz, Streitwert, Anlage, Organisationseinheit, Co KG, billigem Ermessen
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Urteil vom 24.02.2021 – 5 Sa 774/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 50150

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin im Betrieb der C. in B-Stadt-Stadtteil, FStraße in B-Stadt zu beschäftigen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Der Streitwert wird auf € 4.943,76 festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Anweisungsschreibens vom 25.10.2019 sowie die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin am bisherigen Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen.
2
Die 1964 geborene Klägerin ist seit dem 01.12.1996 bei der Beklagten zuletzt im Betrieb Fa. C. B-Stadt-Stadteil als Sekretärin zu 32 Wochenstunden beschäftigt. Die Klägerin hat einen Grad der Behinderung von 20. Sie ist staatlich geprüfte Fremdsprachenkorrespondentin. Die Klägerin war vor dem 25.10.2019 für zwei verschiedene Vorgesetzte und Direct Reports, tätig, Herrn E., Head of Customer Line C. Service Companies and Corporate und Herrn M., Head of Real Estate Germany. Das Jahresbruttogehalt der Klägerin beträgt € 59.325,10 und somit durchschnittlich monatlich € 4.943,76 (vgl. Anlage K2 = Bl. 27 d.A.). Zwischen den Parteien gilt der Arbeitsvertrag vom 05.11.1996 / 14.11.1996 (Anlage K1 = Bl. 25 d.A.).
3
Zur Tätigkeit der Klägerin vgl. Zwischenzeugnis vom 31.03.2012 (Anlage K3 = Bl. 31 d.A.).
4
Am 30.04.2019 traf die Beklagte die Entscheidung, den Geschäftsbereich G. auszugliedern und als selbständiges Unternehmen Firma H. GmbH & Co. KG im Konzernverbund weiterzuführen. Am 24.10.2019 wurde hierzu ein Interessenausgleich mit dem bei der Beklagten gebildeten Gesamtbetriebsrat geschlossen (Anlage K4 = Bl. 33 d.A.). Mit Schreiben vom 25.10.2019 wies die Beklagte die Klägerin an, ihre Arbeitsleistung zukünftig ausschließlich im Bereich der Company G. zu erbringen.
(vgl. Anlage K5 = Bl. 57 d.A.).
5
Am 06.11.2019 erhielt die Klägerin ein Informationsschreiben zu einem Betriebsübergang. Die Klägerin forderte daraufhin die Beklagte auf, sie wie vor dem 25.10.2019 zu beschäftigen. Mit Schreiben vom 29.11.2019 widersprach die Klägerin vorsorglich einem Betriebsübergang (vgl. Anlage K7 = Bl. 118 d.A.). Am 01.01.2020 ging der Geschäftsbereich G. auf die Firma H. GmbH & Co. KG über. Ab dem 01.01.2020 führte die Beklagte die Klägerin im „G. - Restbetrieb“ (Anlage K9 = Bl. 121 d.A.) und stellte sie widerruflich frei.
6
Die Klägerin ist der Meinung, die Anweisung vom 25.10.2019 sei rechtsmissbräuchlich, da sie dem Betriebsteil G., der vom Betriebsübergang erfasst werden sollte, zugeordnet wurde, obwohl ihre Hauptaufgaben bisher in der Organisation des DE-Leitungskreises bestanden und sie für Herrn E. zuständig gewesen sei. Für den weiteren Vorgesetzten, Herrn M., der in der neuen Aufgabe nach dem Betriebsübergang Teilprojektleiter XY wurde, sei die Kollegin, Frau Sc., zuständig gewesen, die sie nur vertreten habe.
7
Darüber hinaus ist die Klägerin der Meinung, dass die Anordnung im Schreiben vom 25.10.2019 eine Versetzung darstelle, die mitbestimmungspflichtig nach § 99 BetrVG als individuelle Maßnahme gewesen sei. Mangels Vorliegen einer solchen Betriebsratsbeteiligung sei die Versetzung unwirksam.
8
Die Klägerin stellt folgenden Antrag:
1. Es wird festgestellt, dass die Anweisung der Beklagten vom 25.10.2019
Sehr geehrte Frau A.,
Wie Ihnen bereits durch Ihre Führungskraft mitgeteilt wurde, werden Sie ab sofort im Rahmen Ihres Aufgabengebietes innerhalb Ihrer Funktion bei Service Company SRE ausschließlich Service- und Beratungsleistungen für die Operating Company G. erbringen. Im Übrigen bleibt der Inhalt Ihrer Tätigkeit sowie Ihr Arbeitsort und Ihre sonstigen Arbeitsbedingungen unverändert.
Wir informieren Sie bereits jetzt darüber, dass Sie ab 01.12.2019 einen neuen G. Organisationseinheit an Ihrem Standort angehören werden und eine neue fachliche, übergeordnete G. Führungskraft erhalten. Diese wird Herr P. sein.
Mit freundlichen Grüßen Firma C. AG unwirksam ist.
hilfsweise zu I.:
Es wird festgestellt, dass die Klagepartei trotz der Anweisung der Beklagten vom 25.10.2019
Sehr geehrte Frau A.
Wie Ihnen bereits durch Ihre Führungskraft mitgeteilt wurde, werden Sie ab sofort im Rahmen Ihres Aufgabengebietes innerhalb Ihrer Funktion bei Service Company SRE ausschließlich Service- und Beratungsleistungen für die Operating Company G. erbringen. Im Übrigen bleibt der Inhalt Ihrer Tätigkeit sowie Ihr Arbeitsort und Ihre sonstigen Arbeitsbedingungen unverändert.
Wir informieren Sie bereits jetzt darüber, dass Sie ab 01.12.2019 einen neuen G. Organisationseinheit an Ihrem Standort angehören werden und eine neue fachliche, übergeordnete G. Führungskraft erhalten. Diese wird Herr P. sein.
Mit freundlichen Grüßen Firma C.
nicht der Organisationseinheit G. zugeordnet worden ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei dem Betrieb C. B-Stadt-Stadtteil, F.- Straße in B-Stadt zuzuordnen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin im Betrieb der C. in B-Stadt-Stadteil, F.- Straße in B-Stadt zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Sekretärin zu beschäftigen.
9
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Die Beklagte ist der Meinung, es liege keine mitbestimmungspflichtige Einzelmaßnahme vor. Sie trägt vor, der Betriebsrat habe eine sogenannte „Wanderliste“ von ihr erhalten und sei damit beteiligt worden. Sie trägt vor, die Klägerin sei vor dem 25.10.2019 auch für den Bereich G. zuständig gewesen und da die Klägerin mit Herrn M. gut zusammengearbeitet hätte, sei es sachlich gerechtfertigt gewesen, sie anzuweisen, nur noch Tätigkeiten für den Bereich G. zu erbringen.
11
Die Beklagte hält die Anträge 1 und 2 für unzulässig und überflüssig. Im Einzelnen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.
12
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gegeben (§ 46 Abs. 1 ArbGG i. V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG). Der Klageantrag Ziffer 3 ist zulässig. Die Anträge Ziffern 1 und 2 hingegen sind unzulässig. Sie sind als Vorfragen zu der Entscheidung über den Klageantrag Ziffer 3 auszulegen und verfolgen damit kein selbständiges Klageziel.
II.
13
Die Klage ist begründet, da die Beklagte mit dem Schreiben vom 25.10.2019 das Tätigkeitsfeld der Klägerin aus dem Arbeitsvertrag vom November 1996 nicht wirksam geändert hat und somit die Klägerin in der Folge nicht vom Betriebsübergang des Betriebsteils G. auf die neugegründete Gesellschaft zum 01.01.2020 erfasst wurde.
14
1. Nach § 106 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.
15
2. Der Arbeitsvertrag der Klägerin aus dem Jahr 1996 sieht lediglich die Beschäftigung als Sekretärin vor. Die Klägerin war bis zum 25.10.2019 in ihrer Aufgabe als Sekretärin für alle Geschäftsbereiche mit übergeordneten Aufgaben für die Beklagte tätig. Das Schreiben vom 25.10.2019 sah eine Reduzierung auf Service- und Beratungsleistungen für die Operating Company G. vor. Dies ist eine wesentliche Reduzierung der bisherigen Tätigkeit der Klägerin. Eine solche tatsächliche Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs erfordert für die Wirksamkeit die Beteiligung des Betriebsrates nach § 99 BetrVG. Nach § 99 Abs. 1 BetrVG ist in einem Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern vom Arbeitgeber der Betriebsrat vor jeder Versetzung zu unterrichten, und die Zustimmung des Betriebsrates zur geplanten Maßnahme ist einzuholen. Betriebsverfassungsrechtlich ist der Begriff „Versetzung“ in § 95 Abs. 3 BetrVG definiert, als die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Die erhebliche Veränderung der Umstände ergibt sich für die Klägerin zunächst in der deutlichen Reduzierung ihres bisherigen breitgefächerten Einsatzgebietes für alle Einheiten der Fa. C. auf nur eine Einheit. Prägend ist jedoch, dass diese Einheit zudem bereits zum Zeitpunkt 25.10.2019 aufgrund des Interessenausgleichs vom 24.10.2019 für einen Betriebsübergang zum 01.01.2020 auf die ausgegliederte Firma H. GmbH & Co. KG vorgesehen war. Dies ist ein prägendes Merkmal des Arbeitsplatzes. Eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne ist daher gegeben. Dies erfordert eine Einzelbeteiligung des Betriebsrates nach § 99 BetrVG. Die von der Beklagten zitierte „Wanderliste“ ist hierfür nicht ausreichend. Eine nichtmitbestimmte Versetzung ist auf der individualrechtlichen Ebene unwirksam (vgl. Fitting, Komm. zum BetrVG, § 99, Rn. 283). Die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes kann darin liegen, dass der Arbeitnehmer mit einer Tätigkeit betraut wird, die inhaltlich erheblich von der früheren Aufgabe sich unterscheidet. Dies ist etwa der Fall, wenn der Tätigkeitsbereich durch das Hinzufügen oder Wegnehmen von Teilfunktionen erweitert oder verkleinert wird und sich dadurch das Gesamtbild der Tätigkeit ändert (vgl. ErfK zum Arbeitsrecht 2020, § 99, Rn. 13). Der Wechsel der Klägerin ist nicht dadurch begründet, dass sie Herrn M. als Sekretärin folgen müsste, da dieser von Frau Sc. zuvor betreut wurde und die Klägerin nur Frau Sc. vertreten hat.
16
Die Klägerin wurde daher vom Betriebsübergang nicht erfasst und hat Anspruch auf Beschäftigung bei der Beklagten zu den vertraglich festgelegten Bedingungen. III.
17
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits, da sie unterlegen ist (§ 91 ZPO).
18
Der Streitwert wird in Höhe eines Bruttomonatsgehalts festgesetzt.
19
Die Beklagte kann gegen diese Entscheidung Berufung zum Landesarbeitsgericht München nach der beiliegenden Rechtsmittelbelehrungeinlegen.
20
Der Klägerin steht mangels Beschwer kein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung zu.