Inhalt

VG München, Beschluss v. 09.06.2020 – M 3 E 20.2371
Titel:

Antrag auf vorläufige Zulassung zum Abitur, Bewertung der Seminararbeit mit 0 Punkten

Normenketten:
VwGO § 123
FOBOSO § 31 Abs. 2 S. 1 Nr. 2
FOBOSO § 34 Abs. 2
Schlagworte:
Antrag auf vorläufige Zulassung zum Abitur, Bewertung der Seminararbeit mit 0 Punkten
Fundstelle:
BeckRS 2020, 49628

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit dem Antrag begehrt der Antragsteller die vorläufige Zulassung zur Abiturprüfung 2020 an der Beruflichen Oberschule R …
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Der volljährige Antragsteller besucht im laufenden Schuljahr 2019/2020 die 13. Jahrgangsstufe der Beruflichen Oberschule R … -FOSBOS (im Folgenden: die Schule).
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Für die Zulassung zum Abitur belegte der Antragsteller ein Seminar und fertigte eine Seminararbeit im Fach Englisch mit dem Thema „Gulliver`s Travels: Childrens` Book or Satire?“. Das Thema wurde ihm durch die Seminarbetreuerin vorgegeben.
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Ausweislich des Bewertungsbogens der schriftlichen Seminararbeit vom 26. April 2020 wurde die Seminararbeit mit 0 Punkten bewertet. Der Antragsteller habe zum einen ein längeres direktes Zitat aus Wikipedia nicht entsprechend gekennzeichnet bzw. die Quelle gänzlich verschwiegen. Noch gravierender sei jedoch die Tatsache, dass er sich, ohne dies irgendwie anzuführen, über mehrere Seiten hinweg einer Abhandlung bedient habe, die auf einer professionellen Ghostwriter-Website (ukessays.com) eingestellt sei. Diese „Quelle“ werde von dem Antragsteller in keiner Weise erwähnt, obwohl (oder gerade weil) er nicht nur die gesamte Argumentationskette samt Beispielen übernehme, sondern auch eine erhebliche Anzahl an Wörtern und Formulierungen beibehalte. Die Tatsache, dass Umformulierungen äußerst systematisch und in regelmäßigen Abständen vorgenommen worden seien, was ein Auffinden der Originalquelle im WorldWideWeb erheblich erschwere, beweise, dass es sich hier um eine bewusste Täuschung handele. Somit könne die Seminararbeit nur mit 0 Punkten bewertet werden, weswegen die Leistungen der gesamten Seminarphase mit 0 Punkten bewertet werden müssten.
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Mit Bescheid der Schule vom 12. Mai 2020 wurde dem Antragsteller mitgeteilt, seine Seminararbeit sei mit 0 Punkten bewertet worden. Das Seminar sei somit nicht bestanden und werde insgesamt mit 0 Punkten bewertet. Eine Teilnahme an der Abschlussprüfung sei daher ausgeschlossen. Er könne die Jahrgangsstufe wiederholen.
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Den dagegen vom Antragsteller mit Schreiben vom 14. Mai 2020 eingelegten Widerspruch wies die Schule mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2020 zurück.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 29. Mai 2020, eingegangen am selben Tag, erhob der Antragsteller dagegen Klage mit dem Antrag, den Bescheid der Schule vom 12. Mai 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Mai 2020 aufzuheben, den Beklagten zu verpflichten, die Seminararbeit des Antragstellers nicht als Plagiat, sondern inhaltlich zu bewerten sowie den Beklagten zu verpflichten, den Antragsteller zur Abiturprüfung 2020 zuzulassen (M 3 K 20.2365).
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Außerdem beantragte der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes,
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den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragsteller zur Abiturprüfung 2020 einstweilen zuzulassen (M 3 E 20.2371).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, bei der Seminararbeit des Antragstellers handle es sich nicht um ein Plagiat. Dies ergebe sich aus dem Ausdruck einer Plagiatsprüfung vom 15. Mai 2020 mit einem im Internet aufrufbaren Programm „Plagiat-Scan“, ausweislich dessen in der Arbeit des Antragstellers allenfalls bis zu 2,8% des Textes als nicht gekennzeichnete fremde Zitate zu werten wäre. Deshalb sei auch gegen die Bewertung der Seminararbeit mit 0 Punkten Widerspruch erhoben worden.
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Der Antragsteller sehe sich, auch im Vergleich zu seinen Mitschülern, übermäßig hart bewertet. Dies wohl auch wegen einer gewissen Voreingenommenheit seiner Lehrerin als Seminarbetreuerin ihm gegenüber; denn diese habe schon während des laufenden Schuljahres dem Antragsteller gegenüber einmal den - nicht gerechtfertigten - Vorwurf der Urkundenfälschung erhoben, weil er angeblich Unterschriften auf Belegen für den Besuch bzw. entschuldigten Nicht-Besuch von sogenannten Vorbereitungsmodulen gefälscht haben sollte.
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Aus den Ergebnissen eines Plagiat-Scans, den der Antragsteller durchgeführt habe, werde ersichtlich, dass die Arbeit nicht als Plagiat bewertet werden könne. Es fände sich höchstens bis zu 2,8% textliche Übereinstimmung.
13
Die Seminararbeit des Antragstellers sei zu Unrecht als Plagiat gewertet und mit 0 Punkten bewertet worden. Der Vorwurf sei nicht hinreichend belegt; alleine die Anmerkungen auf den Seiten 7 bis 11 der Seminararbeit seien unzureichend. Der Vorwurf werde durch den Plagiat-Scan des Antragstellers entkräftet. Dass der Vorwurf in aller Schärfe dem Antragsteller gemacht werde, liege in einer gewissen Voreingenommenheit der Seminarbetreuerin ihm gegenüber begründet. Der Antragsteller habe im Gegensatz zu anderen Schülern sein Fach und sein Thema für seine Seminararbeit auch nicht frei wählen können. Er sei im Vergleich zu seinen Mitschülern ungleich, nämlich schärfer, behandelt worden, worin ein Verstoß gegen die Chancengleichheit liege.
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Die Bewertung seiner Seminararbeit mit 0 Punkten und damit die Verwehrung seiner Abiturzulassung sei auch unverhältnismäßig und stelle für den Antragsteller eine unzumutbare Härte dar. Soweit die beanstandeten Textpassagen mit einer Quellenangabe zu versehen gewesen wären, wäre dieser Fehler als bloßer Zitierfehler einzustufen und in der Leistungsbewertung isoliert zu berücksichtigen. Die Bewertung der gesamten Arbeit mit 0 Punkten sei aber unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt. Der Plagiatsvorwurf entbehre einer sachlichen Grundlage und sei nicht haltbar.
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Dass eine inhaltliche Bewertung der Seminararbeit des Antragstellers mit tatsächlichen 0 Punkten erfolgen könnte, erscheine ausgeschlossen. Damit aber sei der Antragsgegner verpflichtet, ihn zur Abiturprüfung zuzulassen.
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Vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass entgegen § 34 FOBOSO der Vorwurf des Plagiats, somit des Unterschleifs, dem Antragsteller gegenüber nicht durch einen Prüfungsausschuss, sondern durch Beschluss der Lehrerkonferenz bestätigt worden sei. Dieser Beschluss werde deshalb auch als formal fehlerhaft und damit rechtswidrig anzusehen sein.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Antragsteller habe entgegen seiner persönlichen Erklärung am Ende der Seminararbeit auf Seite 7 der Seminararbeit wörtlich aus Wikipedia zitiert und dies nicht entsprechend gekennzeichnet. Er habe weiterhin ein auf www.ukessays.com existierendes Werk mit dem Titel „Gulliver´s Travels by Jonathan Swift - Analysis of Satire“ in seiner Arbeit auf Seite 8 unten bis Seite 11 nahezu exakt wiedergegeben, auch wenn er einzelne Wörter durch Synonyme ersetzt oder manche Sätze etwas umgestellt habe. Bei einer Arbeit von etwa 14 Seiten Text sei die ungekennzeichnete Übernahme von fast 5 Seiten Text ganz klar geeignet, eine bewusste Täuschung und die Bewertung mit 0 Punkten zu begründen.
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Substantiierte Einwände gegen die Bewertung bleibe der Antragsteller bis dato schuldig. Er gebe keinerlei Erklärung zu dem Plagiatsvorwurf ab, sondern wolle die von mehreren Korrektoren bestätigte Bewertung mittels eines „Plagiat-Scans“ entkräften. Statt einer eidesstattlichen Versicherung o.ä. über die korrekte Anfertigung der Arbeit werde der Seminarleiterin vorgeworfen, voreingenommen zu sein. Eine solche technische Überprüfung erkenne nur identisch übertragene Zitate, nicht jedoch bewusst umformulierte Fundstellen.
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Die behauptete Ungleichbehandlung des Antragstellers liege nicht vor. Der Antragsteller habe als sog. „Quereinsteiger“, wie alle anderen Quereinsteiger auch, ein Seminarthema zugewiesen erhalten. Anders als die Schüler, die die sog. Seminarphase im Juni und Juli 2019 besucht und ihr Seminarthema zusammen mit den Lehrern entwickelt hätten, habe der Antragsteller die Schule auf eigenen Wunsch vor dieser Seminarphase verlassen und sich erst für das Schuljahr 2019/2020 wieder angemeldet.
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Der Antragsteller könne weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft machen.
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Da der Antragsteller auch im Nachtermin im September die Abiturprüfungen 2020 ablegen könne, bestünden Zweifel am Vorliegen eines Anordnungsgrundes.
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Der Ausschluss von der Abiturprüfung sei formell und materiell rechtmäßig gewesen. Insbesondere sei in formeller Hinsicht die Entscheidung der Lehrerkonferenz über den Widerspruch nicht zu beanstanden, da der erwähnte Prüfungsausschuss nach § 34 FOBOSO nur im Falle der Abschlussprüfung zuständig wäre. Materiellrechtlich sei der Ausschluss gesetzlich zwingende Folge der mit 0 Punkten bewerteten Seminararbeit. Die zugrundeliegende Bewertung der Seminararbeit als Plagiat mit 0 Punkten sei formell und materiell nicht zu beanstanden.
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Die Bewertung sei von der zuständigen Seminarleiterin ordnungsgemäß vorgenommen und ausführlich begründet worden. Die beiden Nachkorrekturen hätten die Bewertung bestätigt.
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Dadurch, dass der Antragsteller es unterlassen habe, im Text und im Anhang anzugeben, welche Stellen der Arbeit er übernommen habe, habe er den Eindruck erweckt oder erwecken wollen, diese Stellen seien von ihm selbst verfasst worden und Ausdruck seines eigenen Leistungsvermögens. Darin liege die ihm vorzuhaltende Täuschung. Gravierend sei hier vor allem, dass über mehrere Seiten hinweg der Inhalt einer nicht einmal genannten Quelle übernommen worden sei, der teilweise umstrukturiert, teilweise durch Synonyme ersetzt worden sei. Die Parallelen der Seminararbeit des Antragstellers mit der Arbeit aus ukessays.com seien von nennenswertem Umfang und inhaltlich von Bedeutung. Der Antragsteller habe weite Passagen aus einem nicht angegebenen Werk nahezu wörtlich in seiner Arbeit übernommen und damit in gravierender Weise darüber hinweggetäuscht, dass die Seminararbeit nicht auf seiner eigenständigen Leistung beruhe.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Der gestellte Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO hat keinen Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht der Hauptsache auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO ist eine Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die Regelung nötig erscheint, um den Antragsteller vor bestimmten Nachteilen zu bewahren. Der Antrag ist somit begründet, wenn insbesondere der prozessuale Anspruch auf Sicherung des Hauptsacheanspruchs besteht. Das ist der Fall, wenn der zu sichernde Anspruch des Antragstellers nach den Vorschriften des materiellen Rechts besteht (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft (§ 294 ZPO) gemacht wird. Bei der Entscheidung nach § 123 Abs. 1 VwGO hat das Gericht die widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Für diese Abwägung ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BayVGH, B.v. 5.8.1992 - 7 CE 92.1896 - BayVBl 1992, 659) in erster Linie entscheidend, ob die Antragspartei mit einem Erfolg in einem Hauptsacheverfahren rechnen könnte.
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Der Antragsteller hat zwar einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht; er möchte an der bereits am 18. Juni 2020 beginnenden Abiturprüfung teilnehmen. Der Antragsteller hat jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des geltend gemachten Anspruchs des Antragstellers auf die Zulassung zur Abiturprüfung.
31
Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Schulordnung für die Berufliche Oberschule - Fachoberschulen und Berufsoberschulen (Fachober- und Berufsoberschulordnung - FOBOSO) vom 28. August 2017 (GVBl S. 451), zuletzt geändert durch Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl S. 98), ist eine Teilnahme an der schriftlichen und praktischen Abschlussprüfung ausgeschlossen, wenn das Seminar mit 0 Punkten bewertet wurde. Die Voraussetzung des § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FOBOSO ist beim Antragsteller gegeben, weil seine Seminararbeit und damit das Seminar zu Recht mit 0 Punkten bewertet wurde.
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Gemäß § 17 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FOBOSO werden die individuellen Leistungen im Seminar, die Seminararbeit und die Präsentation der Seminararbeit mit Diskussion jeweils gesondert gemäß § 19 Abs. 1 FOBOSO bewertet. Aus dem Durchschnitt der Bewertungen nach Satz 1 wird ein Gesamtergebnis für das Seminar ermittelt; dabei zählen die Seminararbeit zweifach, die übrigen Teile jeweils einfach. Soweit eine der in Satz 1 genannten Leistungen mit 0 Punkten bewertet wird, ist das Seminar nicht bestanden und wird insgesamt mit 0 Punkten bewertet (§ 17 Abs. 2 Satz 4 FOBOSO).
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Bei der Bewertung von Leistungsnachweisen, zu denen auch die Leistungen im Seminar gehören (§ 14 Abs. 1 Satz 1 FOBOSO), gilt gemäß § 19 Abs. 5 FOBOSO § 34 Abs. 2 FOBOSO entsprechend. Danach wird die Arbeit mit 0 Punkten bewertet, wenn sich Schülerinnen und Schüler unerlaubter Hilfe bedienen oder den Versuch dazu machen (Unterschleif).
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§ 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 34 Abs. 2 FOBOSO begegnen auch keinen Bedenken im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
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Soweit § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FOBOSO zur Folge hat, dass die Zulassung zur Abiturprüfung allein aufgrund der Bewertung der Seminararbeit mit 0 Punkten nicht erteilt wird, ist diese Regelung durch die Eigenart dieses Leistungsnachweises gerechtfertigt. Die Seminararbeit dient der Vorbereitung auf die Anforderungen eines Hochschulstudiums, das von den Studierenden wissenschaftliches Arbeiten abverlangt. Die Notenhürde bei der Seminararbeit als Voraussetzung für die Zulassung zur Abiturprüfung wird erheblich dadurch abgemildert, dass die Schüler das Thema der Seminararbeit in der Regel selbst wählen und ihnen für die Anfertigung der Seminararbeit eine mehrmonatige Bearbeitungszeit zur Verfügung steht, in der sie Anspruch auf Betreuung durch die Schule haben (vgl. im Einzelnen: Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus über das Seminar an der Fachoberschule und Berufsoberschule vom 18. Dezember 2018 (BayMBl. 2019 Nr. 5)). Vor diesem Hintergrund erscheint die Einschätzung gerechtfertigt, dass eine Bewertung mit 0 Punkten nur ausnahmsweise, nämlich dann erfolgen wird, wenn der betreffende Schüler keinerlei Mühe auf die Seminararbeit verwendet und die Betreuung durch die Schule entweder nicht in Anspruch nimmt oder die ihm dort erteilten Hinweise nicht beachtet; in diesem Fall erscheint die Nichtzulassung zur Abiturprüfung aber auch nicht unverhältnismäßig. Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht daraus, dass dem Antragsteller das Thema der Seminararbeit zugewiesen wurde, da weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass die Bewertung mit 0 Punkten mit besonderen Problemen bei der Bearbeitung gerade dieses Themas zusammenhängen würde.
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Soweit die Anwendung des § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FOBOSO auf die Seminararbeit zur Folge hat, dass die Zulassung zur Abiturprüfung versagt wird und nach § 31 Abs. 3 Satz 2 FOBOSO die Abiturprüfung als abgelegt und nicht bestanden gilt, ist im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Folgendes zu berücksichtigen: Es gehört zum Wesen der Seminararbeit, dass der Schüler die für den Erfolg maßgeblichen Leistungen persönlich und unverfälscht erbringt. Nur dann ist es im Hinblick auf die Chancengleichheit aller Prüflinge gerechtfertigt, ihm diesen Erfolg zuzurechnen. Zwar gehört die Verwendung von Literatur zur Eigenart eines derartigen zum wissenschaftlichen Arbeiten hinführenden schriftlichen Leistungsnachweises und ist bei der Anfertigung der Seminararbeit daher ein zulässiges Hilfsmittel. Sie ist jedoch dann unerlaubt, wenn der Schüler die von ihm verwertete Literatur nicht angibt oder gar fremde Texte wörtlich übernimmt, ohne kenntlich zu machen, dass es sich um ein Zitat handelt (BayVGH, B.v. 19.8.2004 - 7 CE 04.2058 - juris Rn. 18). Wegen der durch § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 31 Abs. 3 Satz 2 FOBOSO bedingten gravierenden Folgen der Bewertung der Seminararbeit mit 0 Punkten wegen Unterschleifs ist jedoch eine weitere Differenzierung erforderlich. Die nach dem Wortlaut des § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FOBOSO zwingende Folge der Note 6 schließt es nicht grundsätzlich aus, unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu weiteren Differenzierungen zu gelangen, die hinter der Rechtsfolge des Nichtbestehens der Abiturprüfung zurückbleiben. Maßstäbe sind hier der Grad der Verletzung der „Spielregeln des Wettbewerbs“ und das Maß der Beeinträchtigung der Chancengleichheit (vgl. zur nahezu gleichen Regelung in der Gymnasialen Schulordnung (GSO): BayVGH, B.v. 19.8.2004, a.a.O., Rn. 24 m.w.N.). Entsprechend dieser Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs lässt sich auch aus § 34 Abs. 2 FOBOSO ableiten, dass nach dem Willen des Verordnungsgebers die Folge, dass die gesamte Abiturprüfung wegen des Unterschleifs bei einer Einzelleistung als nicht bestanden gilt, nur dann eintreten soll, wenn es sich um einen schweren Fall des Unterschleifs handelt. Zwar ist § 34 FOBOSO direkt nur für die Abiturprüfung selbst, zu der die Seminararbeit nicht zählt, anwendbar; da ein Unterschleif bei der Seminararbeit sich jedoch unmittelbar und gravierend gerade auf die Abiturprüfung auswirkt, erscheint es geboten, auch hier die Wertung des § 34 Abs. 2 FOBOSO heranzuziehen und für die Vergabe von 0 Punkten einen schweren Unterschleif zu fordern (BayVGH, B.v. 19.8.2004, a.a.O). Mit dieser Maßgabe wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wie auch dem Gebot der Chancengleichheit aller Prüflinge hinreichend Rechnung getragen.
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Die Entscheidung der Schule, den Antragsteller wegen Unterschleifs bei der Seminararbeit nicht zum Abitur zuzulassen, lässt sich auf § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 31 Abs. 3 Satz 2 FOBOSO, in verfassungskonformer Auslegung stützen.
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Bedient sich eine Schülerin oder ein Schüler bei der Anfertigung einer zu benotenden schriftlichen oder praktischen Prüfungsarbeit unerlaubter Hilfe (Unterschleif), wird nach § 34 Abs. 2 Satz 1 FOBOSO die Arbeit mit 0 Punkten bewertet. Dabei stellen nicht nur wortwörtliche, sondern auch sinngemäße Übernahmen von Textpassagen ohne Kennzeichnung der Quelle einen Unterschleif dar (vgl. NdsOVG, B.v. 18.5.2009 - 2 ME 96/09 - juris Rn. 5; VGH BW, B.v. 13.10.2008 - 9 S 494/08 - juris Rn. 9; VG München, B.v. 22.4.2008 - M 3 E 08.1703 - juris Rn. 27). Für die Beurteilung des Schweregrads des Unterschleifs und damit im Rahmen der Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von Bedeutung sind nicht nur der Umfang, sondern auch die inhaltliche Bedeutung des Plagiats (BayVGH, B.v. 11.5.2006 - 7 CE 06.1197 - juris Rn. 3). Von einem schweren Fall des Unterschleifs ist auszugehen, wenn die Arbeit hinsichtlich des Umfangs und der inhaltlichen Bedeutung von nicht gekennzeichneten Drittquellen wesentlich geprägt ist (VG Ansbach, B.v. 14.4.2011 - AN 2 E 11.726 - juris Rn. 17). Im Fall der vom Antragsteller angefertigten Seminararbeit hat die Schule zu Recht angenommen, dass ein Fall des schweren Unterschleifs nach § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 31 Abs. 3 Satz 2 FOBOSO vorliegt.
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Die Seminararbeit des Antragstellers besteht aus ca. 15 Seiten Text. Auf ca. 8 Seiten davon setzt sich der Antragsteller mit der im Thema der Arbeit vorgegebenen Frage „Gullivers Reisen als Satire“ auseinander. Dieser Teil der Seminararbeit des Antragstellers beginnt mit einem, ca. eine Viertel Seite einnehmenden wörtlichen Zitat aus Wikipedia, das der Antragsteller nicht als solches gekennzeichnet hat (S. 7 unten). Beginnend auf S. 8 unten (letzter Absatz) bis einschließlich S. 11 der Seminararbeit des Antragstellers folgt auf ca. 3 ¼ Seiten die Übernahme von Teilen eines Textes, der sich unter dem Titel „Satire in Jonathan Swifts Gullivers Travels“ auf der Internetseite „ukessays.com“ wiederfindet. Dieser Text wurde zwar durch Auslassungen, Satzumstellungen und die Verwendung synonymer Wörter verändert, es ist jedoch eindeutig erkennbar, dass es sich bei den Ausführungen des Antragstellers um die Wiedergabe großer Teile dieses Textes aus der Internetquelle handelt. Diese Internetquelle zitiert der Antragsteller kein einziges Mal, sie ist auch in der Bibliographie nicht enthalten. Damit hat der Antragsteller ca. 50% eines für die Bearbeitung des Themas wesentlichen Teils der Arbeit, nämlich der Prüfung der Merkmale der Satire, aus einer anderen Arbeit übernommen, ohne dies zu kennzeichnen.
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Bei diesem Umfang einer insgesamt nicht sehr umfangreichen Arbeit und der Tatsache, dass es sich bei diesem Teil des Textes um die Kernfrage der Arbeit handelt, ist die Annahme eines schweren Unterschleifs gerechtfertigt.
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Soweit der Antragsteller zur versuchten Widerlegung des Plagiatsvorwurfs auf die von ihm durchgeführte Überprüfung seiner Arbeit mittels eines im Internet frei verfügbaren „Plagiat-Scans“ verweist, führt dies nicht zum Erfolg. Es ist auch dem Gericht bekannt, dass derartige rein technische Prüfungen in der Regel dann keine brauchbaren Ergebnisse liefern, wenn Texte durch Satzumstellungen, Satzbauveränderungen, Verwendung von Synonymen, einzelnen Auslassungen oder in ähnlicher Weise, sei es auch nur geringfügig, verändert werden. Darüber hinaus sind insbesondere im Internet frei verfügbare derartige Programme in aller Regel nicht die mit der höchsten Qualität. Diese Programme mögen zwar im Einzelfall geeignet sein, um eventuelle nicht gekennzeichnete Übereinstimmungen aufzuspüren. Bei bereits entdeckten verwendeten, nicht gekennzeichneten und leicht veränderten Texten ist die menschliche Überprüfung den technischen Möglichkeiten eindeutig überlegen. Die Ergebnisse der Überprüfung mittels „Plagiats-Scan“ sind daher weder geeignet, die Bewertung der Seminararbeit als Plagiat zu widerlegen noch schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers, seine Arbeit sei nicht als Plagiat zu behandeln, zu begründen.]
42
Soweit der Antragsteller vorträgt, er habe sich das Thema der Seminararbeit im Gegensatz zu den anderen Schülern nicht selbst aussuchen können, führt die Seminarleiterin aus, der Antragsteller sei gleich behandelt worden wie alle anderen „Quereinsteiger“. Während die Schüler, die bereits an der Seminarphase teilgenommen hätten, sich ihr Seminarthema selbst mit der Lehrkraft erarbeitet hätten, sei es den „Quereinsteigern“ zugewiesen worden. Der Begriff Quereinsteiger“ erklärt sich aus der bereits zitierten Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus über das Seminar an der Fachoberschule und Berufsoberschule vom 18. Dezember 2018. Die Blockphase findet am Ende der Jahrgangsstufe 12 nach der Fachabiturprüfung statt. Schülerinnen und Schüler, die gemäß § 5 Abs. 4 oder § 6 Abs. 4 FOBOSO in die Fachoberschule oder in die Berufsoberschule aufgenommen werden (diese werden in der Bekanntmachung als „Quereinsteiger“ bezeichnet), wählen ein Seminar und das Thema der Seminararbeit im Einvernehmen mit der zuständigen Lehrkraft zu Beginn der Jahrgangsstufe 13, sofern sie nicht gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 FOBOSO an der Seminarphase der Jahrgangsstufe 12 teilnehmen (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus über das Seminar an der Fachoberschule und Berufsoberschule vom 18. Dezember 2018, aaO).
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Letztlich kann dahingestellt bleiben, ob die Themenvergabe an die sog. Quereinsteiger ordnungsgemäß erfolgt ist. Unbestritten wurden offensichtlich alle Quereinsteiger gleichbehandelt. Außerdem handelt es sich bei dem vom Antragsteller insoweit erhobenen Einwand um die Rüge eines vermeintlichen Fehlers im Prüfungsverfahren, die im Gegensatz zu sogenannten Bewertungsfehlern unverzüglich nach Kenntnis des Mangels zu erheben ist. Dies ist seitens des Antragstellers jedoch nicht erfolgt.
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Die Rüge nach erfolgter Bearbeitung des Themas und einer unerwünschten Bewertung ist jedenfalls nicht mehr unverzüglich.
45
Auch der formalen Rüge, es habe entgegen § 34 Abs. 3 und 2 FOBOSO nicht ein Prüfungsausschuss, sondern die Lehrekonferenz entschieden, kann nicht gefolgt werden. Trotz der entsprechend anwendbaren Unterschleifsregelung des § 34 Abs. 2 FOBOSO für die Bewertung auch der Seminararbeit (§§ 14 Abs. 1,17 Abs. 2, 19 Abs. 1 und 5 FOBOSO) ist § 34 FOBOSO direkt nur im Rahmen der Abschlussprüfung anwendbar, was sich aus seiner Stellung in Teil 5 Kapitel 1 der FOBOSO ergibt. Nachdem die Seminararbeit aber nicht Teil der Abschlussprüfung ist, entscheidet insoweit auch nicht der Prüfungsausschuss, sondern der jeweilige Prüfer bzw. im Widerspruchsverfahren die Lehrerkonferenz.
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Der Antragsteller hat nach alldem voraussichtlich keinen Anspruch auf Zulassung zur Abiturprüfung.
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Angesichts der fehlenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache fällt die Abwägung der widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen zulasten des Antragstellers aus. Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, Nr. 38.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 15.11.2013.