Inhalt

LArbG München, Beschluss v. 07.12.2020 – 4 TaBV 39/20
Titel:

Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Beschwerde, Betriebsrat, Mitbestimmungsrecht, Versetzung, Zwangsgeldandrohung, Frist, Zustimmung, Aufhebung, Beteiligung, Gesellschaft, Arbeitsvertrag, Betriebsteil, Zustimmung des Betriebsrats

Schlagworte:
Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Beschwerde, Betriebsrat, Mitbestimmungsrecht, Versetzung, Zwangsgeldandrohung, Frist, Zustimmung, Aufhebung, Beteiligung, Gesellschaft, Arbeitsvertrag, Betriebsteil, Zustimmung des Betriebsrats
Vorinstanz:
ArbG München, Beschluss vom 16.12.2019 – 29 BV 288/19
Rechtsmittelinstanz:
BAG Erfurt, Beschluss vom 15.11.2022 – 1 ABR 15/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 49594

Tenor

I. Das Verfahren hinsichtlich Herrn A wird infolge Erledigterklärung eingestellt.
II. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 16.12.2019, Az. 29 BV 288/19, in Ziffern 2) und 4) abgeändert und der Antrag insoweit abgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten zuletzt noch um die Aufhebung einer Versetzung.
2
Die Beteiligte zu 2) betreibt ein Mobilfunk- und Telefoniefestnetz und unterhält neben anderen einen Betrieb „Z“ mit derzeit etwa 545 Arbeitnehmern. Der Beteiligte zu 1) ist der in diesem Betrieb installierte Betriebsrat.
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Im Betrieb „Z“ wurde zur effizienteren Bewirtschaftung der genutzten Grundstücks- und Dachflächen innerhalb des Geschäftsbereichs Technik ein neuer Bereich Y installiert, dem die damit zusammenhängenden Assets und Aufgaben aus den bisherigen Organisationseinheiten, u.a. den Abteilungen TDI und TDR, zugewiesen wurden. Die mit den Aufgaben betrauten Arbeitnehmer wurden zum 01.05.2019 durch die Beteiligte zu 2) dem neuen Bereich zugeordnet und der Beteiligte zu 1) darüber informiert. Betroffen davon waren unter anderem die Herren X und W, die aus der Abteilung TDIF bzw. TDRB-S in die neue Abteilung TCIO bzw. TCII transferiert werden sollten und daher in die von der Beteiligten zu 2) dem Betriebsrat übersandte Liste aufgenommen waren.
4
Mit Email vom 08.05.2019 nahm der Beteiligte zu 1) für die Maßnahmen ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG in Anspruch, weil es sich nach seiner Auffassung um Versetzungen handle, was die Beteiligte zu 2) zurückwies.
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Mit seinem Antrag vom 30.07.2019 hat der Beteiligte zu 1) die Aufhebung der Versetzungen und die Androhung von Zwangsgeld verfolgt.
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Er hat zuletzt beantragt:
1. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, die Versetzung des Arbeitnehmers X aus dem Bereich „TDIF“ in den Bereich „TCIO“ aufzuheben.
2. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, die Versetzung des Arbeitnehmers W aus dem Bereich „TDRB-S“ in den Bereich „TCII“ aufzuheben.
3. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es unter Androhung eines der Höhe nach vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen, ohne durch den Beteiligten zu 1) vorherige - erteilte, als erteilt geltende oder gerichtlich ersetzt - Zustimmung Arbeitnehmer aus dem Bereich „TDIF“ in dem Bereich „TCIO“ einzusetzen, sofern nicht die Maßnahme aus sachlichen Gründen im Sinne von § 100 BetrVG dringend erforderlich ist. die Versetzung des Arbeitnehmers X aus dem Bereich „TDIF“ in den Bereich „TCIO“ aufzuheben.
4. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es unter Androhung eines der Höhe nach vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen, ohne durch den Beteiligten zu 1) vorherige - erteilte, als erteilt geltende oder gerichtlich ersetzt - Zustimmung Arbeitnehmer aus dem Bereich „TRDB-S“ in dem Bereich „TCII“ einzusetzen, sofern nicht die Maßnahme aus sachlichen Gründen im Sinne von § 100 BetrVG dringend erforderlich ist. die Versetzung des Arbeitnehmers W aus dem Bereich „TDRB-S“ in den Bereich „TCII“ aufzuheben.
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Das Arbeitsgericht München hat unter dem Aktenzeichen 29 BV 288/19 mit Beschluss vom 16.12.2019, auf den hinsichtlich seiner Sachverhaltsdarstellung wie rechtlichen Ausführungen ergänzend Bezug genommen wird, den ersten beiden Anträgen im vollen und den beiden letzten teilweise, nämlich in Bezug auf die beiden konkreten Personen, stattgegeben, weil es sich bei den Maßnahmen um Versetzungen gehandelt habe.
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Gegen diese ihr am 11.05.2020 zugestellte Entscheidung hat die Beteiligte zu 2) mit Schriftsatz vom 10.06.2020, der am selben Tag beim Landesarbeitsgericht München eingegangen ist, Beschwerde eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 10.08.2020 innerhalb der bis dahin verlängerten Frist begründet hat.
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Sie rekurriert insbesondere darauf, dass sich das Verfahren erledigt habe, nachdem Herr X zum 01.04.2020 mit Zustimmung des Beteiligten zu 1) eine neue Stelle angetreten hat. Selbes gelte für Herrn W, dessen Arbeitsverhältnis zum 25.05.2020 mit dem gesamten Bereich Y auf die Firma V, nunmehr umbenannt in U, auf die zu diesem Datum ein Betriebsübergang stattgefunden hat, übergegangen sei.
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Nach übereinstimmender Erledigterklärung hinsichtlich der Herrn X betreffenden Anträge in der Anhörung vom 07.12.2020 beantragt die Beteiligte zu 2) zuletzt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 16. Dezember 2019, Aktenzeichen - 29 BV 288/19 - aufzuheben und den Antrag des Beteiligten zu 1) vom 30. Juli 2019 zurückzuweisen.
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Der Beteiligte zu 1) beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er sieht das Verfahren durch die Ausgliederung des Bereichs Y in eine neue Gesellschaft nicht als erledigt an, weil gerade die Zuordnung von Herrn W zu diesem Bereich zwischen den Beteiligten in Streit stehe: wenn diese nämlich eine mitbestimmungspflichtige Versetzung gewesen sei, sei sie mangels Beteiligung auch individualrechtlich unwirksam und das Arbeitsverhältnis des Mitarbeiters damit nicht mit dem Betriebsteil übergegangen.
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Ergänzend zum Vortrag der Beteiligten und zu ihren Rechtsauffassungen wird auf die Schriftsätze samt Anlagen, namentlich die des Beteiligten zu 1) vom 30.07.2019 (Bl. 1 ff. d.A.) und 25.10.2019 (Bl. 33 ff. d.A.) in erster und vom 21.09.2020 (Bl. 117 ff. d.A.) in zweiter Instanz, die der Beteiligten zu 2) vom 12.08.2019 (Bl. 23 ff.d.A.), vom 27.09.2019 (Bl. 28 f. d.A.) und 06.11.2019 (Bl. 38 f.d.A.) vor dem Arbeits- und vom 10.06.2020 (Bl. 69 f. d.A.), 10.08.2020 (Bl. 91 ff.d.A.) und 27.11.2020 (Bl. 15 ff.d.A.) vor dem Landesarbeitsgericht sowie die Protokolle der Anhörungen erstinstanzlich vom 26.08.2019 (Bl. 20 f.d.A.) und 25.11.2019 (Bl. 40 f.d.A.) sowie zweitinstanzlich vom 07.12.2020 (Bl. 192 ff..d.A.) Bezug genommen.
II.
14
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist zulässig und begründet.
15
1. Die Beschwerde ist zulässig, namentlich ist sie nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft und mit den Schriftsätzen vom 10.06.2020 und 10.08.2020 nach §§ 87 Abs. 1 S. 1, 66 Abs. 1 S. 1, 89 Abs. 1und 2 ArbGG form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden: Die einmonatige Einlegungsfrist gegen den am 11.05.2020 zugestellten Beschluss lief nach §§ 222 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 11.06.2020 ab. Die Begründung erfolgte am 10.08.2020 innerhalb der bis zu diesem Tag verlängerten Frist.
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2. Die Beschwerde ist begründet; die zuletzt noch streitgegenständlichen Anträge sind infolge Übergangs des betroffenen Arbeitsverhältnisses überholt und unbegründet.
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a. Die Anträge sind zulässig.
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Insbesondere ist das Rechtschutzinteresse des Beteiligten zu 1) vorhanden, auch wenn das Arbeitsverhältnis von Herrn W infolge Teilbetriebsübergangs nicht mehr mit der Beklagten besteht. Denn die angegriffene Maßnahme ist in der Welt. Wenn die Kammer zeitweise überlegt hat, dass die Problematik des Übergangs des Arbeitsverhältnisses an dieser Stelle relevant sein könnte, folgt sie mit den Beteiligten dem Bundesarbeitsgericht (etwa in BAG v. 25.04.2018, 7 ABR 30/16), das die Frage nicht in der Zulässigkeit, sondern in der Begründetheit verortet sieht.
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b. Die Anträge sind jedoch unbegründet: Ein eventueller Aufhebungsanspruch ist infolge Unmöglichkeit ausgeschlossen, eine Zwangsgeldandrohung scheidet mangels zu erzwingender Handlung aus.
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Die Aufhebung der (eventuellen) Versetzung nach § 101 S. 1 BetrVG ist nicht mehr möglich; ein Anspruch darauf daher nicht gegeben.
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(1) Der Aufhebungsantrag dient der Beseitigung eines betriebsverfassungswidrigen Zustands, der dadurch eingetreten ist, dass der Arbeitgeber eine konkrete personelle Einzelmaßnahme ohne die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats durchführt oder aufrechterhält. Mit der Rechtskraft eines dem Antrag stattgebenden Beschlusses wird der Arbeitgeber verpflichtet, den betriebsverfassungswidrigen Zustand durch Aufhebung der personellen Einzelmaßnahme zu beseitigen. Entscheidungen im Aufhebungsverfahren haben nur Wirkung für die Zukunft; es geht nicht darum, ob die Maßnahme bei ihrer Durchführung betriebsverfassungsrechtlich zulässig war. Die Aufhebung einer Versetzung durch den Arbeitgeber kann demnach nur dann erfolgen, wenn der Arbeitgeber noch Zugriff auf das Arbeitsverhältnis hat. Ist dieses - etwa durch Kündigung - aufgelöst oder infolge Betriebsübergangs auf einen Dritten überführt, so kann der frühere Arbeitgeber eine womöglich rechtswidrige Versetzung nicht mehr korrigieren (BAG v. 25.04.2018, 7 ABR 30/16 Rn. 21 - zitiert nach juris; ErfK-Kania BetrVG § 101 Rn. 4).
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(2) Das Arbeitsverhältnis von Herrn W mit der Beteiligten zu 2) besteht seit 25.05.2020 nicht mehr; es ist mit dem gesamten Bereich Y auf die (jetzige) Firma U nach § 613 Abs. 1 BGB übergegangen.
23
Voraussetzung für den Übergang eines Arbeitsverhältnisses ist nach § 613 BGB die Übertragung des Betriebsteils, dem der Arbeitnehmer zugeordnet ist, auf einen anderen mittels Rechtsgeschäft.
24
Dies ist hier geschehen durch Ausgliederung des Betriebsteils Y auf die V, die spätere U.
25
Herr W war entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 1) dem übergehenden Betriebsteil zugeordnet.
26
(a) Für die Zuordnung eines Arbeitsverhältnisses ist in erster Linie auf den Willen der Arbeitsvertragsparteien, d.h. auf eine zwischen Veräußerer und Arbeitnehmer getroffene (ausdrückliche oder konkludente) Vereinbarung abzustellen. Fehlt eine solche, erfolgt die Zuordnung grundsätzlich durch den Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts. Fehlt es auch daran oder ist sie nicht eindeutig, ist nach objektiven Kriterien zu ermitteln, wobei eine wertende Gesamtbetrachtung aller Elemente vorzunehmen ist. Erforderlich ist außerdem, dass der Arbeitnehmer in den übertragenen Betrieb oder Betriebsteil eingegliedert war (insgesamt BAG v. 21.02.2013, 8 AZR 877/11 Rn. 35 - zitiert nach juris; BAG v. 20.04.2016, 10 AZR 111/15 Rn. 30 - zitiert nach juris; ErfK-Preis BGB § 613a Rn. 72; Herberger/Martinek u.a.-Kliemt-Teusch BGB § 613 a Rn. 81 - zitiert nach juris).
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(b) Herr W war dem Bereich Y zugeordnet. Namentlich war er tatsächlich darin tätig und von der Beteiligten zu 2) als Arbeitgeberin diesem unterstellt. Zudem fiel seine Tätigkeit unstreitig in das Aufgabenspektrum von Y.
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Die mögliche betriebsverfassungsrechtliche Fehlerhaftigkeit der Einordnung in diesen Bereich mangels Zustimmung des Beteiligten zu 1) ist für die Zuordnung unerheblich, so dass es auf die zwischen den Beteiligten eigentlich in Streit stehende Frage, ob es sich um eine (mitbestimmungspflichtige) Versetzung gehandelt hat, nicht ankommt.
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Denn jedenfalls, wenn die vom Arbeitgeber vorgenommene Umorganisation vollzogen und der Arbeitnehmer auf dem neuen Arbeitsplatz tätig ist, greift das Normenregime des § 613a BGB: Das Arbeitsverhältnis des in dem übergehenden Bereich tätigen Arbeitnehmers ist mit dem Bereich verbunden und geht wie dieser auf den neuen Inhaber über. Der Arbeitnehmer kann, wenn er an der Stelle, die er vor der Zuordnung innehatte, festhalten will, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen und dann die Unwirksamkeit der Versetzung gegenüber dem alten Arbeitgeber geltend machen.
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Ein derartiges Verständnis der Regelungszusammenhänge entspricht dem Verhältnis der Normen zueinander wie dem Sinn der jeweiligen Regelungen. Würde mit dem Beteiligten zu 1) die betriebsverfassungswidrige Versetzung die Zuordnung des betroffenen Arbeitnehmers zu dem neuen Bereich ausschließen, würde dies die Regularien des § 613a BGB, insbesondere die Frist des § 613a Abs. 6 BGB, innerhalb derer der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem früheren Arbeitgeber geltend zu machen ist, konterkarieren. Zudem wären die drei beteiligten Arbeitsvertragsparteien (Arbeitnehmer, der bisherige und der betriebserwerbende Arbeitgeber) der Unsicherheit ausgesetzt, wer nun Vertragspartner des Arbeitnehmers sei; denn die Klärung könnten nicht nur sie selbst herbeiführen; vielmehr könnten sie durch den Betriebsrat - auch noch sehr viel später - zu einer solchen - auch gegen ihren Willen - gezwungen werden.
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Umgekehrt endet das Mandat des Betriebsrats an den Grenzen des Betriebs. Erklärt ein Arbeitnehmer nicht aktiv, dass er bei dem bisherigen Arbeitgeber verbleiben wolle, so ist es nicht Sache des Betriebsrats dieses Arbeitgebers, den Arbeitnehmer ohne dessen Willen zurückzuholen, indem er sich auf die Unwirksamkeit der Versetzung und damit der Zuordnung zum übergehenden Betriebsteil beruft. Diese Betrachtung passt zu dem allgemeinen Verständnis, dass die Wirksamkeit eines Arbeitsvertrags nicht von der (unterbliebenen) Mitbestimmung der Einstellung berührt wird (BAG v. 02.07.1980, 5 AZR 1241/79 LS 2 und Rn. 22 ff.- zitiert nach juris; ErfK-Kania BetrVG § 99 Rn. 45). Ebenso kann hier der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers mit dem Betriebsübernehmer nicht von der Entscheidung des Betriebsrats (des bisherigen Arbeitgebers) abhängen.
III.
32
Eine Kostenentscheidung war im Hinblick auf § 2 Abs. 2 GKG i.V.m. § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG nicht veranlasst.