Titel:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Leistungen, Berufung, Nachzahlung, Widerspruchsbescheid, Nichtzulassung, Gerichtsbescheid, Jobcenter, Kinderzuschlag, Beschwerde, Bescheid, Widerspruch, Verfahren, Teilanerkenntnis, Verpflichtungsklage, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, einstweiligen Anordnung, Sicherung des Lebensunterhaltes
Schlagworte:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Leistungen, Berufung, Nachzahlung, Widerspruchsbescheid, Nichtzulassung, Gerichtsbescheid, Jobcenter, Kinderzuschlag, Beschwerde, Bescheid, Widerspruch, Verfahren, Teilanerkenntnis, Verpflichtungsklage, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, einstweiligen Anordnung, Sicherung des Lebensunterhaltes
Rechtsmittelinstanz:
LSG München, Urteil vom 10.05.2021 – L 7 BK 2/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 49218
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren die Nachzahlung von Zinsen in Höhe von 436,96 € für den Kinderzuschlagsbetrag von 1.395,00 € für den Zeitraum November 2011 bis April 2012.
2
Der Kläger zu 1. (B.S.) lebt zusammen mit seiner Ehefrau M.S., der Klägerin zu 2., und den gemeinsamen drei Kindern I. (geboren 2003), S. (geboren 2005) und P. (geboren 2007) in einem gemeinsamen Haushalt.
3
Erstmals am 29. August 2007 beantragte die Klägerin zu 2. Kinderzuschlag bei der Beklagten. Die Beklagte hat an die Klägerin zu 2. ab August 2007 bis Dezember 2007 und an den Kläger zu 1. ab Oktober 2008 bis Oktober 2011 Kinderzuschlag bewilligt.
4
Auf den Antrag des Klägers zu 1. vom 30. November 2011 hin lehnte die Beklagte diesen mit Bescheid vom 17. Januar 2012 ab. Das (durchschnittliche) Einkommen und/oder Vermögen übersteige den Gesamtbedarf.
5
Hiergegen reichte der Kläger zu 1. am 6. Februar 2012 Widerspruch ein. Dieser wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2012 als unbegründet zurückgewiesen. Am 15. Mai 2012 reichte der Kläger zu 1. Klage ein (Az.: S 17 BK 14/12, ab 1. März 2016 S 9 BK 14/12). Das Sozialgericht Bayreuth hat mit rechtskräftigem Urteil vom 15. November 2017 die Beklagte nach ihrem Teilanerkenntnis verurteilt, an den Kläger zu 1. Kinderzuschlag für November 2011 in Höhe von 215,00 €, für Dezember 2011 in Höhe von 235,00 €, für Januar 2012 in Höhe von 255,00 € und für Februar bis April 2012 in Höhe von monatlich 230,00 € zu zahlen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Die Nachzahlung in Höhe von 1.395,00 € für den Zeitraum November 2011 bis April 2012 wurde am 29. Dezember 2017 von der Beklagten angewiesen.
6
Mit Bescheid vom 7. Mai 2018 hat die Beklagte Zinsen in Höhe von 331,04 € für den Kinderzuschlagsbetrag von November 2011 bis April 2012 (1.395,00 €) festgesetzt. Nach dem Eingang des Leistungsantrags am 30. November 2011 wurde die Verzinsung nach Ablauf von sechs Monaten mit 4 Prozent berechnet (1. Juni 2012 bis 7. Mai 2018). Am 14. Mai 2018 bedankten sich die Kläger für das Schreiben vom 7. Mai 2018. Sie baten um eine detaillierte Zinsberechnung. Sie wiesen darauf hin, dass die Verzinsung grundsätzlich den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) unterliegen würde und fünf Prozentpunkte statt der veranschlagten vier Prozentpunkte betragen würde.
7
Die Beklagte übermittelte den Klägern am 23. Mai 2018 eine Zinsberechnung.
8
Am 21. Juni 2018 und 28. Juni 2018 übermittelten die Kläger an die Beklagte E-Mails mit demselben Text wie die E-Mail vom 14. Mai 2018.
9
Die Kläger und ihre Töchter erhalten seit 1. September 2015 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Jobcenter A.
10
Am 9. Februar 2020 reichten die Kläger ein Eilverfahren (S 9 BK 1/20 ER) und eine Festsetzungs- und Leistungsklage (S 9 BK 2/20) gegen den Bescheid vom 7. Mai 2018 ein.
11
Das Gericht hat mit Beschluss vom 14. Februar 2020 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Verfahren S 9 BK 1/20 ER abgelehnt.
12
Die Kläger bringen vor, dass im Bescheid vom 7. Mai 2018 wohl nur die „einfache Verzinsung“ angewandt worden sei. Auf sämtliche Anfragen nach der konkret vorgenommenen Zinsberechnung sei nicht geantwortet worden. Sie würden auf insgesamt gerundet 768 € Gesamtverzinsung (Verzinsung aus § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) und § 291 BGB) kommen. Ihre E-Mails seien sehr wohl als Überprüfungsantrag und Widerspruch anzusehen gewesen. Entscheidend sei, was aus dem Begehr der Betroffenen hervorgehen würde. Es ergehe ergänzend Untätigkeits-, Feststellungs-, Leistungs- und Verpflichtungsklage.
13
Die Kläger beantragen (sinngemäß),
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 7. Mai 2018 zu verurteilen bzw. zu verpflichten bzw. festzustellen, den Klägern weitere Zinsen in Höhe von 436,96 € für den Kinderzuschlagsbetrag von 1.395,00 € für den Zeitraum November 2011 bis April 2012 nachzuzahlen und über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 7. Mai 2018 und den Überprüfungsantrag im Hinblick auf den Bescheid vom 7. Mai 2018 zu entscheiden.
14
Die Beklagte beantragt (sinngemäß),
15
Zu Begründung bringt die Beklagte vor, dass auf die bisherigen Ausführungen, insbesondere dem Schreiben der Beklagten vom 13. Februar 2020 im Eilverfahren S 9 BK 1/20 ER Bezug genommen werde.
16
Der für den 25. März 2020 geladene mündliche Verhandlungstermin wurde aufgrund der Corona-Pandemie aufgehoben.
17
Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 17. März 2020 zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG angehört. Die Beklagte hat sich mit Schreiben vom 15. April 2020 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Kläger haben mit mehreren Schreiben um richterliche Hinweise gebeten, wie das Gericht entscheiden will und weshalb.
18
Mit Gerichtsbescheid vom 21. April 2020 hat das Gericht im Verfahren die Klage abgewiesen.
19
Am 12. Mai 2020 haben die Kläger einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Es seien vom Gericht nicht die angeforderten richterlichen Hinweise erfolgt. Es sei sehr wohl ein Überprüfungsantrag gestellt worden und die besagten E-Mails seien als solche zu werten. Wären sie mit der erhaltenen Verzinsung zufrieden gewesen, hätten sie diese nicht hinterfragt. Die Berufung sei zuzulassen. Das Klagebegehren im Verfahren S 9 BK 4/20 sei nicht ersichtlich.
20
Eine mündliche Verhandlung fand im Verfahren am 30. Juni 2020 statt. Zu dieser sind die Beteiligten nicht erschienen. In der Ladung vom 26. Mai 2020 wurden die Kläger und die Beklagte darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.
21
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten S 9 BK 14/12, S 9 BK 1/20 ER, S 9 BK 2/20 sowie die vorgelegten Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
22
Das Gericht konnte trotz Nichterscheinens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung entscheiden. Die Kläger und die Beklagte wurden in der Ladung vom 26. Mai 2020 darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.
23
Verfahrenshindernisse bestehen nicht. Durch den Gerichtsbescheid vom 21. April 2020 war den Klägern hinreichend klar, wie das Gericht entscheiden wollte.
24
Über das Verfahren S 9 BK 4/20 war vorliegend nicht zu entscheiden. Bei sorgfältigem Lesen der Entscheidungen hätten die Kläger erkennen können, dass die Klage S 9 BK 4/20 mit Beschluss vom 10. März 2020 mit dem Klageverfahren S 9 BK 10/19 verbunden wurde (Berufung anhängig beim Bayerischen LSG gegen den Gerichtsbescheid vom 21. April 2020 im Verfahren S 9 BK 10/19, vgl. Gerichtsbescheid Seite 5 unten).
25
Die Klage der Klägerin zu 2. ist unzulässig. Für den Zeitraum ab 1. Oktober 2008 hat der Kläger zu 1. Kinderzuschlag beantragt und daher ist auch nur über einen solchen Antrag/Anspruch bzw. Zinsanspruch zu entscheiden (vgl. Bayerisches Landesozialgericht (LSG), Urteil vom 24. September 2019 - L 7 BK 13/17).
26
Die Klage des Klägers zu 1. ist unzulässig.
27
Die vom Kläger zu 1. erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) ist unzulässig. Das erforderliche Vorverfahren nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG wurde nicht durchgeführt. Der maßgebliche Bescheid vom 7. Mai 2018 ist mangels Widerspruchseinlegung bestandskräftig geworden ist (vgl. § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG); B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 77, Rdnr. 4 - BAYERN.RECHT). Aus den E-Mails vom 14. Mai 2018, 21. Juni 2018 und 28. Juni 2018 ergibt sich auch nicht durch Auslegung die Einreichung eines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 7. Mai 2018. In der Rechtsbehelfsbelehrung:zum Bescheid vom 7. Mai 2018 wurde der Kläger zu 1. eindeutig auf die Möglichkeit der Einreichung eines Widerspruchs hingewiesen. Diese Möglichkeit war dem Kläger zu 1. aus seinen seit vielen Jahren betriebenen (unzähligen) Widerspruchsverfahren bekannt. Trotzdem hat sich der Kläger zu 1. mit seinen o. g. E-Mails bei der Beklagten für das Schreiben vom 7. Mai 2018 bedankt und sich einen Hinweis auf die Verzinsung nach den Vorschriften des BGB erlaubt. Auch nach der Übermittlung der Zinsberechnung am 23. Mai 2018 hat der Kläger zu 1. sich wiederum bedankt und sich nur einen Hinweis auf die Verzinsung nach den Vorschriften des BGB erlaubt. Aus den o. g. E-Mails des Klägers ergibt sich somit nicht, dass sich der Kläger zu 1. durch den Bescheid vom 7. Mai 2018 beeinträchtigt fühlt (vgl. B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 83, Rdnr. 2 - BAYERN.RECHT).
28
Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 83, Rdnr. 2 - BAYERN.RECHT).
29
Auch die vom Kläger zu 1. erhobene Untätigkeitsklage ist unzulässig.
30
Durch die in § 88 SGG geregelte Untätigkeitsklage soll gewährleistet werden, dass ein Beteiligter nicht durch Untätigkeit in seinen Rechten beeinträchtigt wird (vgl. HeroldTews/Merkel, Der Sozialgerichtsprozess, 7. Auflage 2017, Rdnr. 116 - BAYERN.RECHT). Die Beklagte ist jedoch mangels Widerspruchseinlegung gegen den Bescheid vom 7. Mai 2018 nicht untätig geblieben. Die Voraussetzungen des § 88 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGG sind daher nicht gegeben.
31
Darüber hinaus ist die Beklagte mangels Stellung eines Überprüfungsantrags des Klägers zu 1. im Hinblick auf den Bescheid vom 7. Mai 2018 nicht untätig geblieben, vgl. § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG. Ein hinreichend konkretisierter Überprüfungsantrag wurde nicht gestellt. Ein Überprüfungsantrag liegt nur vor, wenn aus diesem selbst - ggfs. nach Auslegung - oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung erkennbar werden muss (vgl. Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. Mai 2019 - L 6 AS 25/18; BSG, Urteile vom 28. Oktober 2014 - B 14 AS 39/13 B und 13. Februar 2014 -B 4 AS 22/13 R - alle juris). Aus den E-Mails vom 14. Mai 2018, 21. Juni 2018 und 28. Juni 2018 ergibt sich auch nicht durch Auslegung die Stellung eines Überprüfungsantrags. Der Kläger zu 1. hat sich mit seinen o. g. E-Mails lediglich bei der Beklagten für das Schreiben vom 7. Mai 2018 bedankt und sich einen Hinweis auf die Verzinsung nach den Vorschriften des BGB erlaubt. Auch nach der Übermittlung der Zinsberechnung am 23. Mai 2018 hat der Kläger zu 1. sich wiederum bedankt und sich nur einen Hinweis auf die Verzinsung nach den Vorschriften des BGB erlaubt.
32
Zudem ist die vom Kläger zu 1. erhobene Verpflichtungsklage unzulässig.
33
Die Verpflichtungsklage ist die richtige Klageart, wenn die Behörde nicht zur Leistungsgewährung, sondern nur zur Erteilung eines neuen Verwaltungsaktes verurteilt werden kann oder wenn die Leistungsgewährung im Ermessen der Behörde steht (vgl. Keller in: MeyerLadewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 54, Rdnr. 24 - BAYERN.RECHT). Vorliegend könnte jedoch die Beklagte zur Leistungsgewährung und nicht nur zur Erteilung eines neuen Verwaltungsaktes verurteilt werden. Die Leistungsgewährung steht nicht im Ermessen der Behörde.
34
Schließlich ist die vom Kläger zu 1. erhobene Feststellungsklage unzulässig. Die Feststellungsklage ist hier subsidiär, da der Kläger zu 1. sein Ziel auch mit einer Anfechtungsund Leistungsklage verfolgen könnte (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 55, Rdnr. 19 ff. - BAYERN.RECHT).
35
Die Klage war insgesamt abzuweisen.
36
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.
37
Dieses Urteil kann nicht mit der Berufung angegriffen werden, da der Berufungsstreitwert von 750,00 € im Hinblick auf die begehrte Zinsnachzahlung in Höhe von 436,96 € nicht erreicht wird. Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht gegeben, vgl. § 144 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 SGG. Insbesondere hat die Entscheidung keine grundsätzliche Bedeutung.