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OLG München, Hinweisbeschluss v. 24.07.2020 – 25 U 6414/19
Titel:

Erfolglose Ablehnung eines Sachverständigen in erster Instanz im Berufungsverfahren nicht überprüfbar

Normenkette:
ZPO § 406, § 522 Abs. 2, § 529 Abs. 1 Nr. 1
Leitsätze:
1. Die Entscheidung über einen Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen ist mit der Berufung nicht anfechtbar. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist in erster Instanz über einen Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen entschieden worden, kann derselbe Ablehnungsgrund in der Berufungsinstanz nicht mehr geltend gemacht werden. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unfallversicherung, Kausalität, Nachweis, Sachverständiger, Befangenheit, Antrag, Anfechtbarkeit, Berufung, Ablehnungsgrund
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 01.10.2019 – 12 O 8113/16
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 19.08.2020 – 25 U 6414/19
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 26.05.2021 – IV ZR 234/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 07.07.2021 – IV ZR 234/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 48550

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 01.10.2019, Az. 12 O 8113/16, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Entscheidungsgründe

1
Der Senat ist übereinstimmend der Auffassung, dass das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Auch die mit der Berufung geltend gemachten Gesichtspunkte rechtfertigen keine andere Entscheidung.
2
Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer zwischen den Parteien bestehenden Unfallversicherung. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil es den Nachweis, dass die vom Kläger geltend gemachten Beeinträchtigungen auf dem Unfall vom 27.06.2012 beruhen, als nicht geführt angesehen hat.
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I. Die Berufung kann nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass der vom Kläger mit Schriftsatz vom 20.12.2018 erhobene Befangenheitsantrag (Bl. 238/242 d.A.) gegen den durch das Erstgericht beauftragten Sachverständigen … vom Landgericht mit Beschluss vom 03.05.2019 (Bl. 261/268 d.A.) zurückgewiesen und die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers vom 22.05.2019 (Bl. 271/276 d.A.), nachdem das Landgericht dieser nicht abgeholfen hatte (Beschluss vom 18.06.2019, Bl. 282/285 d.A.), durch das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 02.09.2019 (Bl. 288/294 d.A.) zurückgewiesen wurde. Auch kann die Berufung nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass das Ersturteil schon deshalb unzutreffend sei, weil es auf den medizinischen Beurteilungen des Sachverständigen … beruhe, dieser aber wegen Befangenheit nicht herangezogen werden dürfe.
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Die Entscheidung über den Befangenheitsantrag des Klägers ist mit der Berufung nicht mehr angreifbar. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 02.09.2019, mit der die sofortige Beschwerde zurückgewiesen wurde, ist kein weiteres Rechtsmittel mehr statthaft, die Rechtsbeschwerde wurde nicht zugelassen (§ 574 ZPO). Sie kann auch mit der Berufung nicht mehr zur Überprüfung gestellt werden. Im Falle einer erfolglosen Ablehnung kann überdies auch derselbe Ablehnungsgrund in der Berufungsinstanz nicht mehr geltend gemacht werden (Greger in Zöller, ZPO, 32. Auflage, § 406 Rz. 16; Scheuch in BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 36. Edition, Stand: 01.03.2020, § 406 Rz. 44). Es handelt sich insoweit um ein besonderes Verfahren mit selbständiger Anfechtbarkeit, das geschaffen wurde, um die Frage der Ablehnung rasch und endgültig zu bereinigen (BGH, Urteil vom 6. 11. 1958 - III ZR 147/57, NJW 1959, 434). Auch das Schreiben des Bundesverfassungsgerichts vom 02.10.2019 rechtfertigt keine andere Entscheidung. Dort wird lediglich dargestellt, dass etwaige Verfassungsverstöße mit der Anfechtung der Endentscheidung gerügt werden könnten. Das bedeutet nicht, dass im Rahmen der Berufung noch gegen die Ablehnung des Befangenheitsantrags vorgegangen werden könne, sondern dass etwaige Verfassungsverstöße erst beim Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden könnten, wenn über das vorliegende Verfahren insgesamt eine Entscheidung getroffen wurde, gegen die kein anderes Rechtsmittel mehr gegeben ist, der Zivilrechtsweg also ausgeschöpft ist.
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II. Das Landgericht hat seinem Urteil zu Recht die Feststellungen des orthopädischen Sachverständigen … und des neurologischen Sachverständigen … zugrunde gelegt. Auch die mit der Berufung geltend gemachten Gesichtspunkte begründen nach übereinstimmender Auffassung des Senats keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
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Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen. Zweifel im Sinne dieser Vorschrift liegen vor, wenn aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt (BGH, Urteil vom 18.10.2005 - VI ZR 270/04, NJW 2006, 152, 153 Rn. 9 m.w.N.). Dies gilt grundsätzlich auch für Tatsachenfeststellungen, die auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens getroffen worden sind.
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Vorliegend ergeben sich jedoch auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Berufung keine Zweifel an der Richtigkeit der Beweiswürdigung durch das Landgericht.
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Der Kläger leidet seit dem Jahr 2000 an einer Fußheberschwäche und wurde zwischen dem 28.09.2000 und dem 07.11.2000 wegen eines Bandscheibenvorfalls stationär behandelt und dabei zweimal an der geschädigten Bandscheibe operiert. Der Kläger behauptet jedoch, dass er in der Zeit zwischen dem Jahr 2001 und dem Unfall im Jahr 2012 völlig schmerzfrei gewesen sei und meint, dass deshalb die streitgegenständlichen Beschwerden und Schmerzen nicht auf dem Bandscheibenvorfall aus dem Jahr 2000 beruhen könnten. Die Feststellung des Sachverständigen …, der insoweit angegeben habe, dass die streitgegenständlichen Beschwerden auf dem Bandscheibenvorfall aus dem Jahr 2000 beruhen könnten, wäre daher unzutreffend und das Landgericht hätte sich nicht darauf stützen dürfen. Von einer Fortdauer der Beschädigung am Nerv und der Schmerzen könne nicht ausgegangen werden, da der Kläger nach 2001 gerade keine Schmerzen mehr gehabt habe. Dies habe das Landgericht gar nicht erkannt.
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Der Einwand des Klägers verfängt nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger die Beweislast dafür trägt, dass er aufgrund des Unfalls dauerhaft beeinträchtigt ist. Diesen Nachweis hat der Kläger nicht führen können. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob die streitgegenständlichen Beschwerden und Schmerzen auf dem Bandscheibenvorfall aus dem Jahr 2000 beruhen oder ob dies nicht der Fall ist. Für das Landgericht maßgeblich war vorliegend allein, ob nachweisbar war, dass sie auf dem Unfall vom 27.06.2012 beruhen. Diesen Nachweis hat der Kläger - wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt - nicht führen können. Allein der zeitliche Zusammenhang, den der Kläger besonders hervorhebt, reicht insoweit nicht aus. Beide Sachverständigen haben vielmehr nach einer eingehenden Untersuchung des Klägers sorgfältig und unter ausführlicher Würdigung der ihnen vorliegenden medizinischen Dokumentation dargelegt, dass die vom Kläger beklagten Beschwerden und Schmerzen gerade nicht dem Unfallereignis vom 27.06.2012 zugeordnet werden können. So konnte von den Sachverständigen schon kein Erstschaden festgestellt werden, der mit den vom Kläger beklagten Schmerzen und Beschwerde verknüpft werden könnte. Der orthopädische Sachverständige … hat vielmehr ausgeführt, dass die klinischen und morphologischen Untersuchungsbefunde einen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Entstehung der vorgetragenen Beschwerden mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen. Alleine der zeitliche Zusammengang zwischen dem Ereignis vom 27.06.2012 und dem angegebenen Beschwerdebild sei kein Beleg für einen ursächlichen Zusammenhang (Seite 26 des Gutachtens). Der Sachverständige … hat vielmehr überzeugend dargelegt, dass eine dauerhafte gesundheitliche Schädigung durch das Unfallereignis mit daraus resultierenden Schmerzen anhand der ihm vorliegenden Befunden gerade nicht objektiviert werden könne. Gleichermaßen hat der Sachverständige … überzeugend dargelegt, dass weder eine durch den Unfall entstandene Nervenschädigung bzw. Nervenausfallsymptomatik festgestellt werden konnte, noch ein plausibel unfallabhängig zuzuordnendes Schmerzsyndrom. Der Sachverständige hat insoweit dargelegt, dass außer den unfallunabhängigen Vorschäden weder nach dem Unfall noch in der aktuellen neurologisch-gutachterlichen Untersuchung Nervenschädigungszeichen beschrieben bzw. festzustellen gewesen seien, die über die vorhandene Schädigung hinausgingen. Insbesondere liege keine Schädigung der L4-Wurzel oder eventuell andere lumbaler oder sakraler Wurzeln vor noch eine eventuelle traumatische Schädigung peripherer Nervenäste am rechten Bein. Auch sei eine solche nach dem Unfall niemals dokumentiert worden. Der Kläger konnte daher den Nachweis einer durch den Unfall entstandenen dauerhaften Beeinträchtigung nicht führen.
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Die Angabe des Sachverständigen …, dass die Schmerzen des Klägers sich plausibler mit der von ihm beschriebenen neurogenen Plastizität erklären lassen, stellen lediglich eine Möglichkeit dar, die vom Kläger beschriebenen Schmerzen zu erklären. Allerdings ergibt sich aus dem Gutachten auch, dass sich beim Kläger Aggravationstendenzen haben feststellen lassen. So führt der Sachverständige aus, dass die Schmerzen nicht mit entsprechenden Bewegungseinschränkungen einhergehen. Ferner legt er im Einzelnen gut nachvollziehbar begründet und überzeugend dar, dass eine Aggravation von Paresen festzustellen war. Im Hinblick auf diese Aggravationstendenz auf motorischem Gebiet, sei das Störungsbild Schmerz entsprechend zurückhalten zu bewerten, zumal es nicht von entsprechenden Bewegungseinschränkungen begleitet sei. Es besteht daher auch die Möglichkeit, dass die Schmerzangaben des Klägers nicht vollständig zutreffend sind. Letztlich kommt es hierauf jedoch - wie oben dargelegt - nicht an. Es kann offen bleiben kann, worauf die Schmerzen tatsächlich beruhen, da jedenfalls nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Beschwerden und Schmerzen auf dem Unfall beruhen, was allein maßgeblich ist. Im Hinblick darauf, dass auch eine Aggravation im Raum steht, sind darüber hinaus nicht mit hinreichender Sicherheit Tatsachen feststellbar, die eine konkrete Beurteilung der Beschwerden und eine darauf beruhende Ermittlung eines Invaliditätsgraden zulassen würden.
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Auch die vom Kläger vorgelegten Unterlagen K 5 bis K 8 führen insoweit zu keinem anderen Ergebnis. Soweit darin eine Unfallbedingtheit der streitgegenständlichen Beschwerden und Schmerzen angegeben wird, erfolgt dies allein mit der Begründung des zeitlichen Zusammenhangs. Wie oben dargelegt, reicht dieser jedoch gerade nicht aus, um die Unfallbedingtheit zu nachzuweisen.
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III. Auch soweit der Kläger mit der Berufung geltend macht, es sei ihm aufgegeben worden, Alternativmethoden zur Feststellung seiner Beeinträchtigungen anzugeben, kann dem nicht gefolgt werden. Das Landgericht hat dem Kläger insoweit keine Darlegungslast auferlegt, sondern ist nur auf das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung eingegangen, in der dieser dem Sachverständigen vorgehalten hatte, dass dessen elektroneurographische Untersuchung nicht fachgerecht gewesen sei, weil der Sachverständige zu viel Strom verwendet habe und außerdem die einzelnen Nervenadern hätte messen müssen. Im Hinblick darauf, dass der Kläger hier sehr detailliert das Vorgehen des Sachverständigen angegriffen hatte, hat das Landgericht lediglich dargelegt, dass sich aus diesem Vortrag keine andere, besser geeignete Methode ergeben habe, ohne jedoch dem Kläger damit eine Darlegungslast aufzuerlegen. Eine inhaltliche Unrichtigkeit des Sachverständigengutachtens hat der Kläger im Ergebnis insoweit nicht aufgezeigt. Den Einwand, dass die Messung an einzelnen Nervenadern eines Nervenstrangs hätte erfolgen müssen, hat der Gutachter entkräftet. Ein Fehler des Urteils ergibt daraus nicht.
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IV. Soweit der Kläger geltend macht, dass die Ausführungen des Erstgerichts auf Seite 6 im letzten Absatz unverständlich seien, weil sich auf Seite 13 des Gutachtens kein Hinweis auf ein sozialmedizinisches Gutachten finde, trifft zwar zu, dass auf Seite 13 des Sachverständigengutachtens von … nicht das sozialmedizinischen Gutachten bewertet wird. Es handelt sich jedoch insoweit ersichtlich nur um einen Tippfehler. Die Bewertung des sozialmedizinischen Gutachtens unter dem Gesichtspunkte einer besonders gründlichen Untersuchung findet sich auf Seite 21 des Sachverständigengutachtens von Dort heißt es im letzten Absatz: „In der meines gutachterlichen Erachtens sehr fundierten Untersuchung wird beschrieben:“ Insoweit erfolgte zwar eine falsche Seitenangabe. Die Ausführungen sind jedoch in sich verständlich und zutreffend.
14
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).