Titel:
Einkommensteuer
Normenketten:
EStG § 10d
FGO § 68, § 135 Abs. 1, § 143 Abs. 1
Leitsatz:
Die Ausübung des Wahlrechts nach § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG (2003) ist formlos möglich, nicht gesetzlich befristet und grundsätzlich bis zur bestandskräftigen Verwertung widerruflich (Schmidt/Heinicke EStG, 22.A, § 10d RZ 37). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einkommensteuer, Ermittlung, Einkommensteuerveranlagung, gesonderte Feststellung, Rechtsschutzbedürfnis, negative Einkünfte, Vermietung, Verlustrücktrag
Rechtsmittelinstanz:
BFH München, Beschluss vom 12.05.2021 – IX B 72/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 48318
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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Streitig ist der Abzug von in 2003 entstandenen Verlusten aus Vermietung und Verpachtung betreffend das Objekt „ABC 7, PLZ1 Ort1“.
2
Der Kläger hat 2003 das Grundstück ABC 7 angeschafft und machte hieraus ab dem Jahr 2003 Verluste geltend.
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Diese Verluste betreffend die Jahre 2003 und 2004 waren Gegenstand des durch Hauptsacheerledigung in der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2017 abgeschlossenen Verfahrens 7 K 1750/13. In der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2017 ist auch eine Verständigung betreffend die Jahre 2006 bis 2008 (7 K 475/14) getroffen worden. Auch in diesem Verfahren ist der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt worden.
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Mit der Klage 7 K 1750/13 hatte der Kläger u.a. in Ziff. 2 seines Schriftsatzes vom 10.04.2014 auch beantragt, den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 14.12 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20.11.2013 dahingehend zu ändern, dass die in 2003 nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte in Höhe von 8.721 € in 2004 gem. § 10d EStG abgezogen werden.
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Das Finanzamt setzte die in der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2017 im Verfahren 4 K 1750/13 getroffenen Vereinbarungen durch Änderungsbescheide, jeweils vom 03.03.2017, um.
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Zudem änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2002 vom 24.03.2006 nach § 10d Abs. 1 S. 5 u.6 EStG und verminderte den ursprünglichen Verlustrücktrag aus 2003 von 8.721 € auf nunmehr 4.403 € entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2017 errechneten Verlust.
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Da infolge des durchgeführten Verlustrücktrags zum 31.12.2003 kein vortragsfähiger Verlust mehr verblieb, wurde im Rahmen der Veranlagung 2004 kein Verlustvortrag berücksichtigt und ein Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.2004 nicht gefertigt. Der letzte Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12.2004 ist vom 12.06.2006.
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Die Einsprüche vom 06.04.2017 gegen die Änderungsbescheide vom 03.03.2017 begründete der Klägervertreter nicht. Sie wurden mit Einspruchsentscheidung vom 13.06.2018 als unbegründet zurückgewiesen.
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Der Klägervertreter macht mit seiner Klage vom 18.07.2018 geltend, die Streitjahre 2003 und 2004 seien Gegenstand eines finanzgerichtlichen Rechtsstreits gewesen, den die Klageparteien mit einem Vergleich beigelegt hätten. Man sei im Rahmen des Vergleichs übereinstimmend davon ausgegangen, dass im Veranlagungszeitraum 2003 ein Verlust aus Vermietung und Verpachtung entstanden war, der im Wege des Verlustabzugs nach § 10d EStG in den Veranlagungszeitraum 2004 vorzutragen war, und dass sich die negativen Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Jahres 2003 und damit auch der Verlustabzug nach § 10d EStG im Veranlagungszeitraum 2004 aufgrund des Vergleichs vermindern würden.
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Tatsächlich habe das beklagte Finanzamt nicht nur geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2003 und 2004, sondern zusätzlich auch für das nicht vom damaligen Rechtsstreit betroffene Veranlagungsjahr 2002 erlassen. Der Verlustrücktrag nach 2002 entspreche nicht der im Vergleich getroffenen Vereinbarung.
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Der fehlerhafte Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2003 vom 06.03.2006 i.H.v. 8.721 € sei ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2017 gewesen. Der Klägervertreter habe bereits damals beantragt, den verbleibenden Verlustvortrag zum 31.12.2003 i.H.v. 8.721 € als Verlustvortrag in 2004 abzuziehen und darauf hingewiesen, dass dies unabhängig davon erfolgen müsse, ob der Verlustfeststellungsbescheid fehlerhaft sei.
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Das Finanzamt habe aus der erklärten Hauptsacheerledigung falsche Schlussfolgerungen gezogen.
13
Der Klägervertreter beantragte schriftsätzlich,
- 1.
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den Einkommensteuerbescheid 2002 vom 03.03.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.06.2018 ersatzlos aufzuheben;
- 2.
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den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2003 vom 03.03.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.06.2018 dahingehend zu ändern, dass der verbleibende Verlustvortrag zum 31.12.2003 auf 4.403 € festgestellt wird;
- 3.
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den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 03.03.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.06.2018 dahingehend zu ändern, dass bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens 2004 ein Verlustvortrag i.H.v.4.403 € abgezogen wird;
- 4.
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den vom Finanzamt aufgehobenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2004 vom 03.03.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.06.2018 wieder aufleben zu lassen und dahingehend zu ändern, dass der verbleibende Verlustvortrag zum 31.12.2004 nach Durchführung des Verlustvortrags im Veranlagungszeitraum 2004 auf 0 Euro festgestellt wird;
- 5.
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hilfsweise den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2003 und den Einkommensteuerbescheid 2004 bei der vom 03.03.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.06.2018, dahingehend zu ändern, dass wie bisher ein verbleibender Verlustvortrag zum 31.12.2003 i.H.v. 8.721 € festgestellt wird und im Einkommensteuerbescheid 2004 bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens ein Verlustvortrag i.H.v. 8.721 € abgezogen wird.
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Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen.
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Die Umsetzung des Vergleichs durch das Finanzamt entspreche dem protokollierten Wortlaut im Verfahren 7 K 1750/13.
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Ergänzend wird auf die dem Gericht vorliegenden sowie die zum Verfahren beigezogenen Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig bezüglich Ziff. 1 und 4 des Klageantrags, im Übrigen unbegründet.
18
1. a) Die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 ist unzulässig, da für die Geltendmachung eines - höheren - Verlustrücktrags durch den Antrag auf Verlustvortrag im Klageverfahren 7 K 1750/13 das Rechtsschutzbedürfnis entfallen ist.
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Negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, sind vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums abzuziehen (Verlustrücktrag), § 10d Abs. 1 S. 1 EStG (2003).
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Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist ganz oder teilweise von der Anwendung des Satzes 1 abzusehen § 10d Abs. 1 S. 7 EStG (2003).
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Im vorliegenden Streitfall hat der Klägervertreter mit Schreiben vom 01.03.2006 zunächst einen Verlustrücktrag aus 2003 ins Jahr 2002 beantragt, um eine Verlängerung der Antragsfrist für die Einkommensteuerveranlagung 2002 zu erwirken.
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Im Klageverfahren 7 K 1750/13 hat er dann in Ziff.2 seiner Klage (Schriftsatz v. 10.04.2014) sowie in der mündlichen Verhandlung am 20.01.2017 beantragt, die Verluste aus 2003 ins Jahr 2004 vorzutragen.
23
Die Ausübung des Wahlrechts nach § 10d Abs. 1 Satz 7 EStG (2003) ist formlos möglich, nicht gesetzlich befristet und grundsätzlich bis zur bestandskräftigen Verwertung widerruflich (Schmidt/Heinicke EStG, 22.A, § 10d RZ 37).
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Der Steuerpflichtige entscheidet sich mit seinem Antrag auf Verlustvortrag gleichzeitig gegen die Anwendung des Verlustrücktrags. Dies hat zur Folge, dass er zugleich einen Antrag auf Rücktrag derselben Verluste - hier aus 2003 - nicht stellen kann. Dies hat wiederum zur Folge, dass er auch mit seiner Klage keinen Antrag betreffend den Verlustrücktrag nach 2002 stellen kann, solange ein Verlustvortrag nach 2004 im Raum steht. Insoweit entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für Ziff.1 des Klageantrags betreffend den Einkommensteuerbescheid 2002.
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1. b) Klage gegen den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12. 2004 vom 03.03.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.06.2018 Die Klage ist unzulässig, da es einen Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12. 2004 vom 03.03.2017 nicht gibt.
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2. Die Klage ist unbegründet betreffend Ziff. 2, 3 und 5 der Klageanträge, weil bereits die Einsprüche gegen die Bescheide vom 03.03.2017 unzulässig gewesen sind, die Bescheide somit unanfechtbar geworden sind.
27
Der Verlustfeststellungsbescheid zum 31.12. 2003 sowie der hier angefochtene Einkommensteuerbescheid 2004 waren Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens 7 K 1750/13.
28
Es entspricht der gefestigten BFH-Rechtsprechung, dass der Streit über die korrekte Umsetzung einer Zusage, welche dazu geführt hat, dass der ursprüngliche Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, nur im Wege der Fortführung des ursprünglichen Prozesses geklärt werden kann. Eine solche Fortsetzung des ursprünglichen Prozesses ist nicht nur dann geboten, wenn in Frage steht, ob die ursprünglich abgegebenen Erledigungserklärungen unwirksam sind oder angefochten bzw. widerrufen werden können (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom 29. November 1987 X R 1/80, BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121, unter 1. der Urteilsgründe, und BFH-Beschluss vom 4. April 1990 IV B 126/88, BFH/NV 1991, 550).
29
Der ursprüngliche Prozess ist auch dann fortzusetzen, wenn wie im Streitfall darüber zu entscheiden ist, ob die von der Finanzbehörde in diesem Prozess abgegebene Änderungszusage korrekt umgesetzt worden ist (BFH-Urteil in BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121, und BFH-Urteil in BFHE 193, 494, BStBl II 2001, 303). Der BFH-Rechtsprechung kann nicht entnommen werden, dass ein Kläger im Falle einer (angeblichen) Nichteinhaltung einer solchen Zusage ein Wahlrecht hat, entweder den ursprünglichen Prozess fortzusetzen oder stattdessen ein neues Rechtsbehelfsverfahren zu führen. Ein solches Wahlrecht kann nicht den Aussagen des BFH in den Urteilen in BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121 und in BFHE 193, 494, BStBl II 2001, 303 entnommen werden, wonach „der Kläger den Rechtsstreit mit dem Antrag fortsetzen kann, das Finanzamt zum Erlass des zugesagten Änderungsbescheids zu verpflichten“. Hiergegen spricht der vom BFH für seine Rechtsprechung angeführte Gesichtspunkt der analogen Anwendung des Rechtsgedankens des § 68 FGO, der in der seit dem Jahr 2001 geltenden Fassung die Anwendung der Vorschrift nicht mehr von einem Antrag abhängig macht. Gegen ein solches Wahlrecht spricht auch der vom BFH in dem im Urteil in BFHE 193, 494, BStBl II 2001, 303 gegebene Hinweis, wonach es prozesswirtschaftlich ist, einen Streit betreffend die Umsetzung einer Zusage im bisherigen Verfahren austragen zu lassen, da der Streitstoff dem Gericht und den Beteiligten bekannt ist und ihnen damit Kosten und Aufwand eines neuen Rechtsstreits erspart bleiben (zum Ganzen BFH-Beschluss vom 14.12.2011 X B 42/11, BFH-NV 2012, 439 m.w.N.; BFH-Beschluss vom 23. Juli 2020 V R 37/18, Rn. 29, juris).
30
Ein Antrag auf Fortführung des Verfahrens 7 K 1750/13 wurde nicht gestellt.
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Bereits in der Einspruchsentscheidung vom 21.03.2019, die die Einsprüche gegen die Änderungsbescheide für 2006 bis 2008 betrafen, die im Rahmen der Umsetzung der in der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2017 getroffenen Zusage für das mit verhandelte Verfahren 7 K 475/14 erlassenen worden sind, wies das Finanzamt darauf hin, dass bei Streit über die konkrete Umsetzung einer Zusage, welche dazu geführt hat, dass der ursprüngliche Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, nur im Wege der Fortführung des ursprünglichen Prozesses geführt werden kann.
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Für den Klägervertreter musste aufgrund dieses Hinweises klar sein, dass diese vom Finanzamt vertretene Rechtsansicht zur Unzulässigkeit seiner Einsprüche gegen die aufgrund der Zusage ergangenen Änderungsbescheide betreffend das Verfahren 7 K 1750/13 führt. Dass der erkennende Senat die Rechtsansicht des Finanzamts teilen könnte, kam für ihn daher nicht überraschend.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 143 Abs. 1, 135 Abs. 1 FGO.