Inhalt

Anwaltsgerichtshof München, Urteil v. 02.12.2020 – BayAGH I - 5 - 7/20
Titel:

Anwaltszulassung bei kürzlicher strafrechtlicher Verurteilung und ungeordneten Vermögensverhältnissen

Normenkette:
BRAO § 7 Nr. 5, Nr. 9
Leitsätze:
1. Die (Wieder-)Zulassung zur Rechtsanwaltschaft kann einem Bewerber nach § 7 Nr. 5 BRAO versagt werden, wenn er bei Abwägung seines Verhaltens und aller erheblicher Umstände - wie z.B. Zeitablauf, früheres und späteres Wohlverhalten und seine Lebensumstände im Ganzen - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheint (ebenso BGH BeckRS 2019, 966 Rn. 10). Unwürdigkeit ist vor allem bei strafrechtlicher Verurteilung wegen gravierender Delikte anzunehmen, wobei besondere Sorgfalt bei berufsbezogenem Fehlverhalten angezeigt ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von einem Vermögensverfall gem. § 7 Nr. 9 BRAO kann unter Umständen nicht mehr ausgegangen werden, wenn sich der Betreffende in Vergleichs- und Ratenzahlungsvereinbarungen mit seinen Gläubigern zur ratenweisen Tilgung seiner Verbindlichkeiten verpflichtet hat, diesen Ratenzahlungen nachkommt und während dessen keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden (ebenso BGH BeckRS 2005, 3053 unter II.4). (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dieser Ausnahmefall ist nicht gegeben, wenn der Bewerber der Hilfe der Schuldnerberatung bedarf, um zu verifizieren, welche Forderungen gegen ihn in welcher Höhe bestehen, er mithin Schulden in unbekannter Höhe hat und selbst nicht in der Lage ist, deren Höhe festzustellen und diese zu bezahlen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anwaltszulassung, Wiederzulassung, Unwürdigkeit, Gesamtpersönlichkeit, strafrechtliche Verurteilung, berufsbezogenes Fehlerverhalten, Vermögensverfall, Ratenzahlung, Vollstreckungsmaßnahme, Schuldnerberatung
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 20.07.2021 – AnwZ (Brfg) 6/21
Fundstellen:
BRAK-Mitt 2021, 115
BeckRS 2020, 46700
LSK 2020, 46700

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist im Kostenausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert für das Verfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um die Wiederzulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft.
I.
2
Der Kläger, geb. am … in …, ist derzeit arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld II in Höhe von 890 € sowie für eine Nebentätigkeit als Webdesigner 50 € monatlich (Bl. 57/ 58).
3
Aus dem dem Senat vorgelegten Konvolut an Personalakten, die im Rahmen der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung ausgewertet wurden, ergibt sich zum Werdegang des Klägers, insbesondere seiner Zulassung als Rechtsanwalt - historisch betrachtet - folgendes:
4
Der Kläger wurde, soweit ersichtlich, erstmals im August 1997 zunächst bei der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg als Rechtsanwalt zugelassen. Er geriet in Zahlungsschwierigkeiten, auch hinsichtlich der Beitragszahlungen an die Rechtsanwaltskammer (Bl. 91, 206, Band I der Beiakten), worauf seine Zulassung erstmals mit Bescheid vom 05.05.2010 (Bl. 132, Band I der Widerrufsakten) wegen Vermögensverfalls widerrufen wurde. Im Zuge dessen berichtete der Kläger über seit längerem bestehende, psychische Probleme (Bl. 152 Band I der Widerrufsakten). Nach einer Konsolidierung seiner Vermögenslage wurde der Widerrufsbescheid von der Rechtsanwaltskammer am 11.10.2010 wieder aufgehoben.
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Nachdem der Kläger erneut in Zahlungsschwierigkeiten, auch hinsichtlich der Begleichung des Kammerbeitrags, geraten war und mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 21.06.2011 über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (Bl. 65, Band II der Widerrufsakten), widerrief die Hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg seine Zulassung erneut mit Bescheid vom 24.08.2011 (Bl. 139 Band II der Widerrufsakten) wegen Vermögensverfalls. Sein hiergegen gerichteter Widerspruch wurde - nach Gewährung von Wiedereinsetzung - mit Bescheid vom 28.12.2011 (Bl. 250, Band II der Widerrufsakten) bestandskräftig zurückgewiesen.
6
In den Jahren 2015/ 2016 beantragte der Kläger mehrfach seine Wiederzulassung - nach einem Umzug in deren Bezirk - bei der Rechtsanwaltskammer Bamberg, die ihm am 27.09.2017 gewährt wurde. Mit Bescheid vom 30.05.2018 (gelb markiert im Personalordner „Bamberg“), dem Kläger zugestellt am 04.06.2018, wurde seine Zulassung zum dritten Mal wegen Vermögensverfalls widerrufen, der Bescheid am 04.07.2018 bestandskräftig. Das hiergegen von dem Kläger (nach Ablauf der Klagefrist) am 27.07.2018 angestrengte Verfahren vor dem Bayerischen Anwaltsgerichtshof, Az.: BayAGH I …, mit dem er auch einstweiligen Rechtsschutz erstrebte, endete mit einer Klagerücknahme in der mündlichen Verhandlung vom 10.10.2018 (gelb markiert im Personalordner „Bamberg“).
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Parallel dazu beantragte der Kläger mit Schreiben vom 19.09.2018 seine Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft.
8
Durch Urteil des Amtsgerichts Haßfurt vom 10.07.2019 (gelb markiert im Personalordner „Bamberg“), rechtskräftig seit 18.07.2019, wurde der Kläger des Missbrauchs einer Berufsbezeichnung schuldig gesprochen und gegen ihn eine Verwarnung mit Strafvorbehalt einer Geldstrafe von 25 TS zu je 30 € mit einer Bewährungszeit von einem Jahr verhängt. In den Urteilsgründen wird auf S. 3 zum Tatgeschehen ausgeführt:
„Mit Schreiben vom 18.07.2018, das beim Angeklagten mit einfacher Post einging, hatte die Rechtsanwaltskammer Bamberg den Angeklagten darauf hingewiesen, dass er mit Ablauf des 04.07.2018 aus der Anwaltschaft ausgeschieden war. Das am 27.07.2018 eingegangene Widerspruchsschreiben des Angeklagten leitete die Rechtsanwaltskammer Bamberg an den Bayrischen Anwaltsgerichtshof in München weiter, wo es am 31.07.2018 einging. Mit Schriftsatz vom 27.07.2018 beantragte der Angeklagte beim Bayrischen Anwaltsgerichtshof die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz gegen den Zulassungswiderruf. Im Zeitraum vom 25.07.2018 bis 20.08.2018 trat der Angeklagte im Schriftverkehr gegenüber dem Landgericht Coburg und dem Rechtsanwalt M. im Gerichtsverfahren Aktenzeichen … mehrfach unter der Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ auf.“
9
Die Strafe ist - laut mündlicher Auskunft des Klägers in der Verhandlung vom 02.12.2020 - zwischenzeitlich erlassen.
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Nachdem sich das Zulassungsverfahren nicht zuletzt aufgrund dem Kläger mehrfach gewährter Fristverlängerungen zur Stellungnahme in die Länge zog, versagte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 28.01.2020, Az.: Z … (Anhang zur Klage), zugestellt an den Kläger persönlich am 30.01.2020, die (Wieder-) Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 7 Nr. 5 und § 7 Nr. 9 BRAO:
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Im Rahmen des Versagungsgrundes des § 7 Nr. 5 BRAO sei bei der gebotenen Gesamtabwägung zu berücksichtigen, dass sich der Kläger kurz vor dem Antrag auf Wiederzulassung eines berufsbezogenen, strafrechtlichen Fehlverhaltens schuldig gemacht und auf die strafrechtlichen Ermittlungen im Rahmen des Antragsverfahrens nicht hingewiesen habe, dass seit der rechtskräftigen Ahndung nur eine kurze Zeit des Wohlverhaltens innerhalb offener, noch nicht abgelaufener Bewährungszeit vergangen sei und dass der Zeitraum seiner (letzten) Zulassung nicht einmal 12 Monate betragen habe. Zudem stelle die Nichtzulassung auch angesichts des Alters des Klägers, der derzeit in der Lage sei für seine Lebenshaltungskosten aufzukommen, keine untragbare Härte dar. Aufgrund dessen könne der Kläger dem rechtssuchenden Publikum noch nicht als unbedenklich dargestellt werden.
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Im Übrigen sei, auch wenn die gesetzliche Vermutung jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Wiederzulassung nicht mehr durchgreife, ein Vermögensverfall im Sinn von § 7 Nr. 9 BRAO weiterhin zu bejahen, da es dem Kläger offensichtlich schwer falle, sich um seine wirtschaftlichen und finanziellen Belange zu kümmern und berechtigte Forderungen, selbst in geringer Höhe, zu akzeptieren und auszugleichen. Es sei ihm nicht gelungen, seine Vermögensverhältnisse im Detail darzulegen und zu ordnen.
II.
13
Gegen den Versagungsbescheid vom 28.01.2020 wendet sich der Kläger - unter Beantragung der Gewährung von Prozesskostenhilfe - mit seiner am 02.03.2020 eingegangenen Klage vom selben Tag.
14
Der Kläger beantragt (Bl. 1),
die Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 28.01.2020 und eine Verpflichtung der Beklagten den Kläger im Hinblick auf das Wiederzulassungsverfahren neu zu bescheiden sowie ihn nach Maßgabe des Gerichts erneut zur Anwaltschaft zuzulassen.
15
Die Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 25.03.2020 (Bl. 7/8),
die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
16
Der Kläger begründet seine Klage im Wesentlichen wie folgt:
17
Ein unwürdiges Verhalten i.S.d. § 7 Nr. 5 BRAO liege nicht vor, da es sich bei der Straftat um ein „einmaliges Versagen“ in zeitlichem Zusammenhang mit dem Widerruf der Anwaltszulassung gehandelt habe, dem „ein schwieriges und komplexes PKH-Mandat mit einem schwierigen Mandanten, der, körperlich und möglicherweise auch psychisch angeschlagen, um sein wirtschaftliches Überleben kämpfte“ (Bl. 42), zugrunde gelegen habe. Sein damaliges Bemühen, sich gegen den Widerrufsbescheid zur Wehr zu setzen, seien allesamt gescheitert. Unberücksichtigt geblieben sei die Konfliktsituation, in der er sich befunden habe. Es sei ihm darum gegangen, seinen Mandanten nicht in einem laufenden Verfahren von einem Moment auf den anderen schutzlos und „anwaltslos“ zu lassen. Eine nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gebotene, umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Umstände und des Sachverhalts hätten nicht zu einer ablehnenden Entscheidung der Beklagten führen dürfen, die mit einem nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Berufsfreiheit des Klägers einhergehe.
18
Auch ein Vermögensverfall nach § 7 Nr. 9 BRAO sei nicht gegeben. Die offene Forderung der Beklagten hinsichtlich Kammerbeiträgen, wegen der es nur aufgrund eines Missverständnisses zur Zwangsvollstreckung gekommen sei, habe er beglichen, sobald ihm die Gesamthöhe bewusst geworden sei. Das Vollstreckungsportal weise zum 02.03.2020 keinerlei Eintragungen mehr aus, die letzte Löschung sei im Mai 2019 erfolgt. Steuerschulden, die derzeit nicht vollstreckt würden, bestünden in nicht genau geklärter Höhe und würden von ihm beglichen, sobald ihm dies auch mithilfe von Einnahmen aus seinem erlernten Beruf möglich sei. Die „Mehrheit der gegen ihn eingeleiteten Verfahren“ (Bl. 41) sei erledigt, ein Insolvenzverfahren werde gegen ihn nicht betrieben. Seine wirtschaftliche Lage sei zwar angespannt, aber es bestehe Aussicht, dass sich dies ändern werde, wenn er wieder als Rechtsanwalt tätig und Einnahmen erwirtschaften könne. Im Übrigen sei der Bescheid schon formal nicht wirksam, da er nicht an seinen Prozessbevollmächtigten zugestellt worden sei (Bl. 43).
19
Auf Hinweis des Senats vom 03.11.2020 (Bl. 49) trug der Kläger mit Schriftsatz vom 20.11.2020 (Bl. 53/55) im Hinblick auf § 7 Ziffer 9 BRAO (Bl. 53) ergänzend zu seinen Vermögensverhältnissen vor: Auch aktuell weise das Schuldnerverzeichnis keine Eintragungen auf. Es bestünden nach wie vor Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse für begründet gegen den Kläger erhobene Forderungen z.B. des Landesbetriebs Verkehr, des Finanzamtes und der Gerichtskasse Bamberg. Insoweit nehme der Kläger ausweislich des Schreibens vom 30.10.2020 (Anlage K 6) „ergänzend auch die Schuldner - und Regulierungsberatung der Caritas in Anspruch, um die gegen ihn begründet erhobenen Forderungen mittels einer „vermittelnden Stelle“ im Vergleichswege zu erfüllen und zu reduzieren“ (Bl. 54). Der Gläubiger Landesbetrieb Verkehr habe erklärt, dass er künftig keine weiteren Maßnahmen zur Forderungsdurchsetzung mehr ergreifen würde. Bezüglich der Gerichtskasse Bamberg „wurde/ wird ein Stundungs-/ Ratenzahlungsantrag gestellt“. Mit dem Finanzamt sei „eine Absprache getroffen worden, wonach der Kläger Steuererklärungen zeitnah einreichen wird und woraus sich deutlich reduzierte Forderungen des Finanzamtes ergeben werden“ (Bl. 54). „Die Klärungen und Aufklärungen“ (Bl. 54) befänden sich in einem laufenden Prozess und rechtfertigten die Annahme eines Vermögensverfalls nicht. Zu dem Schreiben seines Brudes vom 23.04.2020 (gelb markiert im Personalordner „Bamberg“) trägt der Kläger vor, dass dieser ihn nur in einer vorübergehenden Situation vorübergehend unterstützt habe (Bl. 55).
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Die Beklagte rügt die Klage als verspätet (Bl. 7/8, 13, 26/27) und erachtet im Übrigen die Versagung der Zulassung weiterhin für rechtmäßig (Bl. 26/27). Offensichtlich sei der Kläger ausweislich eines Schreibens seines Bruders vom 23.04.2020, wo dieser unter Vorlage einer Vollmacht vom 05.02.2020 mitteilte, dass er den erkrankten Kläger in Angelegenheiten bezüglich Bank, Jobcenter, Auftraggeber, Arbeitgeber, Kunden, Vermieter und Versicherungen vertrete, nicht mehr in der Lage, sich um seine Angelegenheiten selbst zu kümmern. In der Gesamtschau sei es ausgeschlossen, dass sich der Kläger mit der gegebenen Einschränkung, die das ganze Verwaltungsverfahren gekennzeichnet habe, zuverlässig um Belange eigener Mandanten kümmern könne (Bl. 27). Hinsichtlich des Versagungsgrundes des Vermögensverfalls habe sie keine Ermittlungsbefugnisse, so dass ihr nicht bekannt sei, ob z.B. Steuerrückstände des Klägers, deren genaue Höhe er nicht angegeben habe, bestünden. Die pauschalen Angaben des Klägers zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen seien nicht belegt (Bl. 47/48).
21
Mit Beschluss vom 09.06.2020 (Bl. 20/24), auf den Bezug genommen wird, wies der Senat den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht zurück, da diesem die kurz nach dem Widerruf seiner Zulassung beantragte Wiederzulassung derzeit gemäß § 7 Nr. 5 BRAO zu versagen sei. Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schriftsatz vom 13.07.2020 (Bl. 30/31) zunächst mit einer Anhörungsrüge, die er nach Hinweis des Senats vom 16.07.2020 (Bl. 32) mit Schriftsatz vom 10.08.2020 (Bl. 34) unter Weiterverfolgung seines Klagebegehrens zurückgenommen hat.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf die beigezogenen Personalakten und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2020 (Bl. 56/60), in der der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter ausführlich angehört bzw. Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten haben.

Entscheidungsgründe

23
Die zulässige Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen.
I.
24
Nach Maßgabe von § 112c Abs. 1 BRAO richtet sich das Verfahren nach den Vorschriften der VwGO. Gemäß Art. 15 BayAGVwGO war ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht durchzuführen. Die formgerecht erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 74 Abs. 1 und 2 VwGO) ist zulässig, insbesondere auch fristgerecht erhoben worden. Der Versagungsbescheid wurde dem Kläger persönlich formell ordnungsgemäß, §§ 32 Abs. 1, 34 BRAO, § 41 Abs. 1 S. 2 VwVfG am 30.01.2020 zugestellt. Die einmonatige Klagefrist endete damit gemäß § 32 Abs. 1 BRAO, § 31 Abs. 1 VwVfG, § 188 Abs. 2 BGB, 31 Abs. 3 VwVfG am 02.03.2020, da das eigentliche Fristende (29.02.2020) auf einen Samstag fiel, so dass die Klagefrist gewahrt wurde. Dies gilt im Übrigen erst recht, wenn man den Klägervortrag als richtig unterstellt, wonach sich bereits vor der Bekanntgabe des Bescheids sein Prozessbevollmächtigter unter Vorlage einer Prozessvollmacht bestellt hatte. In diesem Fall hätte gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG, § 7 Abs. 1 S. 2 VwZG eine Zustellung an seinen Bevollmächtigten erfolgen müssen. Eine etwaige Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften führt gemäß § 8 VwZG dazu, dass der Verwaltungsakt als in dem Zeitpunkt zugestellt gilt (und damit eine Heilung eines etwaigen Zustellungsmangels eintritt), in dem er dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Davon ist hier (mangels anderweitiger Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers) jedenfalls mit dem Zeitpunkt der Klageerhebung auszugehen.
II.
25
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Versagungsbescheid vom 28.01.2020 ist rechtmäßig, da der Zulassung des Klägers unter Berücksichtigung aller Umstände zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2020 die Versagungsgründe des § 7 Nr. 5 und § 7 Nr. 9 BRAO entgegenstehen. Der Versagungsbescheid verletzt den Kläger mithin nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO
26
Der (Wieder-) Zulassung des Klägers steht auch noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO entgegen.
27
a) Der Senat legt seiner Entscheidung folgende Rechtssätze zugrunde:
28
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. z.B. BGH, Urteil v. 14.01.2019 - AnwZ (Brfg) 70/17, m.w.N.; BVerfG, Bes. v. 26.02.1986, NJW 1986, 1802 und NJW 2017, 3704, Rn. 25 ff.) kann einem Bewerber die (Wieder-) Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen schuldhaften Verhaltens, das ihn als unwürdig erscheinen lässt, nach § 7 Nr. 5 BRAO den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben, versagt werden, wenn er bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblicher Umstände - wie z.B. Zeitablauf, früheres und späteres Wohlverhalten und seine Lebensumstände im Ganzen - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheint. Unwürdigkeit ist vor allem bei strafrechtlicher Verurteilung wegen gravierender Delikte anzunehmen, wobei besondere Sorgfalt bei berufsbezogenem Fehlverhalten angezeigt ist (Heussen/Hamm/Scharmer, Beck´sches Rechtsanwalts-Handbuch, § 56 Rn. 11; Weyland/Vossebürger, BRAO, 10. Aufl. 2020, § 7, Rn. 57).
29
Die mit der Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbundene Einschränkung der freien Berufswahl ist nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsstandes, das in der Regel nur im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege von Belang sein kann, einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen.
30
Im Rahmen der Prognoseentscheidung, die im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit zu erstellen ist, ist von Bedeutung, wie viele Jahre zwischen einer Verfehlung, die seinerzeit die Unwürdigkeit begründete, und dem Zeitpunkt der (Wieder-) Zulassung liegen. Bindende feste Fristen gibt es jedoch nicht. Vielmehr sind alle für und gegen den jeweiligen Bewerber sprechenden Umstände einzelfallbezogen zu gewichten. Wurde die Unwürdigkeit durch die Begehung von Straftaten seitens des Rechtsanwalts begründet, ist neben der seit der Begehung der letzten Straftat vergangenen Zeitspanne zu berücksichtigen, wie der Bewerber in der Zwischenzeit mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat.
31
Eine etwaig schlechte gesundheitliche Verfassung eines Bewerbers kann sich auf die Prognose einer künftigen, einwandfreien Berufsausübung negativ auswirken (Weyland/Vossebürger, aaO, § 7, Rn. 45).
32
Maßgeblich für die Beurteilung ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bzw. bei Entscheidung nach mündlicher Verhandlung dieser Zeitpunkt (BGH, Urteil vom 09.02.2015, AnwZ (Brfg) 16/14, Rn. 8; Weyland/ Vossebürger, aaO, § 7 Rn. 37 f.).
33
b) Nach diesen Maßstäben ist der Kläger zur Überzeugung des Senats nach seiner Gesamtpersönlichkeit derzeit für den Anwaltsberuf (noch) nicht tragbar, die insoweit gebotene Prognoseentscheidung fällt zu seinen Lasten aus.
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Zugunsten des Klägers sprechen:
- Er hat sich keiner schweren Straftat schuldig gemacht, die dementsprechend auch nur milde geahndet wurde.
- Er befand sich zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat jedenfalls aus seiner subjektiven Sicht in einer Konfliktsituation, mit der er nicht anders umzugehen wusste.
- Die Strafe wurde zwischenzeitlich erlassen (der Senat unterstellt zugunsten des Klägers, dass dem so ist), er hat sich straffrei geführt.
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Zulasten des Klägers sprechen folgende Aspekte:
- Bei der vom Kläger im Sommer 2018 begangenen Straftat des Titelmissbrauchs handelt es sich um ein berufsbezogenes Täuschungsdelikt.
- Dieses Handeln wie auch sein Auftreten in diesem Rechtsstreit sind geprägt von der fehlenden Einsicht in die Strafbarkeit seines Tuns, durch das er als nicht (mehr) zugelassener Anwalt seine(n) Recht suchenden Mandanten vor Gericht in Wirklichkeit alleine und anwaltslos gelassen hat.
- Zwischen seinem Fehlverhalten im Sommer 2018 und der nunmehr begehrten Zulassung liegt nur ein sehr kurzer Zeitraum, wobei die Bewährungsstrafe frühestens im Sommer 2020 erlassen worden sein kann, so dass die straffreie Führung des Klägers jedenfalls weitgehend auch unter dem Druck der offenen Bewährung erfolgt ist.
- Der Kläger ist kein „unbeschriebenes Blatt“. Seine jeweils kurzen Zulassungszeiten als Rechtsanwalt waren geprägt von Problemen verschiedener Art und auch in der jüngeren Vergangenheit bedurfte er z.B. nach seinem eigenen Vortrag der Unterstützung seines Bruders bei seiner Lebensführung.
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Eine auf dieser Grundlage vorzunehmende Abwägung des Interesses des Klägers nach beruflicher und sozialer Eingliederung, die sich allerdings nicht „von selbst“ allein mit seiner (Wieder-) Zulassung einstellen wird, und des durch das Berufsrecht geschützten Interesses der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden an der Integrität des Anwaltsstandes/ einer funktionierenden Rechtspflege, das der Kläger weiterhin nicht hinreichend in den Blick nimmt, führt vorliegend - auch nach dem persönlichen Eindruck, den der Kläger im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat hinterlassen hat - zu einer negativen Prognose. Zur Überzeugung des Senats bestehen die Gründe für die Versagung der Wiederzulassung nach § 7 Nr. 5 BRAO (noch) fort, der Kläger ist für den Anwaltsberuf derzeit nicht tragbar.
2. Versagungsgrund des § 7 Nr. 9 BRAO
37
Unabhängig von dem Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO steht der Wiederzulassung des Klägers zur Anwaltschaft vorliegend auch der Versagungsgrund des § 7 Nr. 9 BRAO entgegen.
38
a) Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn ein Bewerber in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Er wird vermutet, wenn über das Vermögen des Antragstellers ein Insolvenzverfahren eröffnet oder der Antragsteller in das vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis, § 26 Abs. 2 InsO, § 882 b ZPO, eingetragen ist. In diesen Fällen spricht daher eine widerlegliche gesetzliche Vermutung für den Vermögensverfall (Weyland/Vossebürger, aaO, § 7, Rn. 142). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, Bes. v. 07.12.2004 - AnwZ (B) 40/04, NZI 2005, 274) kann unter Umständen von einem Vermögensverfall nicht mehr ausgegangen werden, wenn sich der Betreffende in Vergleichs- und Ratenzahlungsvereinbarungen mit seinen Gläubigern zur ratenweisen Tilgung seiner Verbindlichkeiten verpflichtet hat, diesen Ratenzahlungen nachkommt und während dessen keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet werden.
39
Maßgeblich für die Beurteilung ist auch insoweit der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bzw. bei Entscheidung nach mündlicher Verhandlung dieser Zeitpunkt.
40
b) Ausgehend von diesen Rechtssätzen ist beim Kläger derzeit auch der Versagungsgrund des § 7 Nr. 9 BRAO zu bejahen.
41
Zwar greift beim Kläger die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls nicht ein, zur aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Senats steht jedoch fest, dass er sich (weiterhin) in ungeordneten, schlechten finanziellen Verhältnissen befindet. Dies ergibt sich unter anderem auch aus seiner Darstellung im Schriftsatz vom 20.11.2020 und im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung. Danach kommt er zwar seinen laufenden Zahlungsverpflichtungen nach, bedarf jedoch nach seinen eigenen Angaben der Hilfe der Schuldnerberatung der Caritas, um zu verifizieren, welche Forderungen gegen ihn in welcher Höhe bestehen und erhofft sich damit eine für ihn günstige Gläubigervereinbarung zu erzielen. Er hat mithin Schulden in unbekannter Höhe und ist selbst nicht in der Lage deren Höhe festzustellen und diese zu bezahlen. Auch hat er seine Steuerschulden noch immer nicht durch Abgabe einer Steuererklärung begonnen zu ordnen, so dass noch immer die vom Finanzamt bislang geschätzte, nach Angaben des Klägers deutlich überhöhte Steuerschuld im Raum steht. Mithin ist vorliegend auch der vom BGH normierte Ausnahmefall, wonach die Annahme eines Vermögensverfalls ausscheiden kann, wenn der Betreffende sich in Vergleichs- und Ratenzahlungsvereinbarungen mit seinen Gläubigern zur ratenweisen Tilgung seiner Verbindlichkeiten verpflichtet hat und diesen Ratenzahlungen nachkommt, nicht gegeben. Davon ist der Kläger noch weit entfernt. Offensichtlich hat der Kläger auch nur unter dem Druck der bevorstehenden mündlichen Verhandlung den Versuch unternommen, seine schlechten finanziellen Verhältnisse zu ordnen. Bei all dem darf im Übrigen nicht außer Acht gelassen werden, dass seine Zulassung wegen Vermögensverfalls bereits mehrfach widerrufen werden musste.
42
Im Interesse der Allgemeinheit an einer funktionsfähigen Rechtspflege und damit dem Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes muss dem Kläger unter den derzeitigen Umständen des vorliegenden Einzelfalls daher die Wiederzulassung zur Anwaltschaft auch nach § 7 Nr. 9 BRAO versagt bleiben.
43
Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass Anhaltspunkte, die eine weitere Amtsermittlung geboten hätten, nicht gegeben sind. Der Kläger hat am Ende der mündlichen Verhandlung lediglich darum gebeten, sich weiter zum Sachverhalt zu erklären. Er hatte zuvor jedoch bereits sowohl schriftsätzlich als auch im Rahmen seiner Anhörung ausreichend Gelegenheit sich zu allen entscheidungserheblichen Punkten zu äußern.
III.
44
Die Kostenentscheidung folgt aus § 112c Abs. 1 BRAO, § 154 Abs. 1 und 3 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 112c Abs. 1 BRAO, § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, § 709 S. 1 und 2 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 2 BRAO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung sind nicht gegeben, § 112 e BRAO i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO.