Titel:
Offensichtlich unbegründeter Asylantrag - Nigeria
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 3, § 3b, § 4, § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 4 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nigeria, vorläufiger Rechtsschutz, gesetzlicher Sofortvollzug, Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet (bestätigt), Abschiebungshindernisse (verneint), Abschiebung, Abschiebungsandrohung, Erkrankung, Christ, Edo, offensichtlich unbegründet, Erbstreitigkeiten, inländische Fluchtalternative
Fundstelle:
BeckRS 2020, 4640
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller, der keine Ausweispapiere vorlegen konnte, wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit seiner Abschiebung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat.
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Der nach eigenen Angaben am ... 1985 in ... (Nigeria) geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger mit Volkszugehörigkeit der Edo und christlichem Glauben.
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Seinen Angaben zufolge reiste der Antragsteller am 22. Dezember 2018 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 4. Februar 2019 Asylerstantrag stellte. Eine Beschränkung des Asylantrages gemäß § 13 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) im erfolgte im Verfahren nicht.
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Die persönliche Anhörung des Antragstellers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgte am 29. März 2019. Der Antragsteller trug hierbei im Wesentlichen vor, sein Vater sei im Jahr 1997 gestorben. Danach hätten ihm Leute den elterlichen Hof vorenthalten, weswegen er nach Lagos gegangen sei. Das Geld hierzu habe er von einem Freund seines verstorbenen Vaters erhalten. Er habe dann noch etwa acht oder neun Jahre in Lagos gelebt, bevor er Nigeria verlassen habe. Im August 2005 sei er nach Italien geflohen. Dort habe er bis zu seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2018 gelebt. In Italien habe er Probleme mit der Mafia gehabt, weswegen er das Land verlassen habe.
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Für das weitere Vorbringen des Antragstellers wird auf die über die persönliche Anhörung gefertigte Niederschrift des Bundesamts Bezug genommen.
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Für den Antragsteller wurde zunächst ein Dublin-Verfahren durchgeführt.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 10. April 2019 (Gz.: ...) wurde der Asylantrag des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland als unzulässig abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. Die Abschiebung nach Italien wurde angeordnet.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 28. Februar 2020 (Gz.:...) wurde der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10. April 2019 aufgehoben (Nr. 1 des Bescheids). In Nr. 2 und Nr. 3 des Bescheids wurden die vom Antragsteller gestellten Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Nr. 4 des Bescheids lehnt auch den Antrag des Antragstellers auf Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor (Nr. 5 des Bescheids). In Nr. 6 des Bescheids wird der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde dem Antragsteller die Abschiebung nach Nigeria bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Nr. 7 des Bescheids setzt das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung fest.
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Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt aus, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen. Der Antragsteller sei kein Flüchtling im Sinne des § 3 AsylG. Auch die Voraussetzungen für die Gewährung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG lägen nicht vor. Insbesondere bestehe in Nigeria kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG. Dem Antragsteller drohe bei einer Rückkehr nach Nigeria kein ernsthafter Schaden. Es sei auch kein staatliches Verfolgungsinteresse erkennbar. Der Asylantrag werde als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Der Vortrag des Antragstellers sei vollkommen substanzlos. Es sei für einen Zeitraum von mehr als neun Jahren keinerlei konkrete Verfolgung vorgetragen. Eine Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet dränge sich daher auf. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Eine Abschiebung gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG sei unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergebe. Eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllen. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Nigeria führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung nicht beachtlich. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit bestehe, ökonomisch eigenständig zu leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter zu überleben. Ein Ausnahmefall sei beim Antragsteller nicht zu erkennen. Es bestehe kein Grund zur Annahme, dass der Antragsteller in seinem Heimatland nicht mindestens das Existenzminimum erreichen könne. Es sei für den Antragsteller möglich und zumutbar, in sein Heimatland zurückzukehren. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Die Lebensgefährtin und das Kind des Antragstellers verfügten nicht über ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, so dass auch die Fristsetzung ermessensfehlerfrei sei.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 28. Februar 2020 wird ergänzend verwiesen.
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Der Antragsteller hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 5. März 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben (Az. Au 9 K 20.30326), über die noch nicht entschieden worden ist.
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Ebenfalls mit Schriftsatz vom 5. März 2020 hat der Antragsteller im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage (Az. Au 9 K 20.30326) gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anzuordnen.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass sich die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet als rechtswidrig erweise. Zwar sei es zutreffend, dass der Antragsteller keinerlei staatliche Verfolgung geltend gemacht habe. Allerdings sei vom Bundesamt zu prüfen gewesen, ob für den Antragsteller ein Abschiebeverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG bestehe. Der Antragsteller habe keinerlei Familienangehörige mehr in seinem Heimatland, die ihm finanziell zur Seite stehen könnten. Die in Nigeria begonnene Ausbildung habe der Antragsteller nicht abgeschlossen. Der langjährige Aufenthalt in Italien stelle darüber hinaus keinen Grund dar, der gegen ein Abschiebeverbot hinsichtlich Nigerias spreche. Die wirtschaftliche Lage der Länder sei nicht vergleichbar. Aus der Erwirtschaftung eines Existenzminimums in Italien könne nicht darauf geschlossen werden, dass dies in Nigeria ebenfalls der Fall sei. Der Vortrag des Antragstellers sei keineswegs „vollständig substanzlos“.
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Auf das weitere Vorbringen im Klage- und Antragsschriftsatz vom 5. März 2020 wird ergänzend verwiesen.
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Die Antragsgegnerin hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte vorgelegt; ein Antrag wurde nicht gestellt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Antragsgegnerin vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.
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Der zulässige, insbesondere fristgerecht innerhalb der hier maßgeblichen Wochenfrist (§ 36 Abs. 3 Satz 1 Asylgesetz - AsylG) gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Abschiebungsandrohung im angefochtenen Bescheid bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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1. Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens ist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) ausgesprochene Abschiebungsandrohung. Die mit dieser Verwaltungsentscheidung intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts des Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Anknüpfungspunkte der gerichtlichen Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist daher die Frage, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 - BVerfGE 94, 166 - juris Rn. 93). Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes daher die Einschätzung des Bundesamts, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung, Feststellung der Flüchtlingseigenschaft bzw. auf Zuerkennung subsidiären Schutzes offensichtlich nicht, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht besteht, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - a.a.O.; BVerfG [Kammer], B.v. 10.7.1997 - 2 BvR 1291/96 - juris).
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Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - a.a.O. - Rn. 98).
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2. Es bestehen hier keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit Bescheid des Bundesamts vom 28. Februar 2020 erfolgten Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet (§ 30 Abs. 1, 2 AsylG). Im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) bestehen an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Bundesamts vernünftigerweise keine Zweifel, so dass sich die Ablehnung des Asylantrags nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG [Kammer], B.v. 20.9.2001 - 2 BvR 1392/00; BVerfG [Kammer], B.v. 3.9.1996 - 2 BvR 2353/95 - beide juris). Der Asylantrag war als offensichtlich unbegründet abzulehnen, weil beim Antragsteller offensichtlich keine Gründe vorliegen, die für die Zuerkennung von Asyl oder internationalem Schutz relevant sind und auch (zielstaatsbezogene) Abschiebungshindernisse nicht vorliegen.
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Mit dem Bundesamt ist das erkennende Gericht der Auffassung, dass sich beim Antragsteller die Ablehnung des Antrags auf Gewährung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) geradezu aufdrängt. Der Antragsteller hat bei seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt am 29. März 2019 ausgeführt, dass er Nigeria bereits im Jahr 2005 dauerhaft verlassen habe. Die Gründe hierfür seien Streitigkeiten um das Erbe nach seinem verstorbenen Vater (1997) gewesen. Insoweit ist bereits keine Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal im Sinne der §§ 3, 3b AsylG aus dem Vortrag des Antragstellers zu erkennen. Der Antragsteller hat gerade nicht geltend gemacht, dass er sein Heimatland im Jahr 2005 aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) verlassen habe. Im Übrigen bestehen für den Antragsteller aufgrund des rein privaten Bezugs des geschilderten Konflikts um das Erbe nach seinem im Jahr 1997 verstorbenen Vater jedenfalls inländische Fluchtalternativen im Sinne des § 3 AsylG. Zusammenfassend ist das Gericht der Auffassung, dass der Antragsteller sich lediglich aus wirtschaftlichen Gründen bzw. der in Italien geschilderten Probleme in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Bezogen auf den Zielstaat der Abschiebung Nigeria ist der Asylantrag des Antragstellers vom Bundesamt zutreffend als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. Gemäß § 30 Abs. 1 AsylG ist ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Wegen der Begründung im Einzelnen folgt das Gericht dabei den Ausführungen in den mit der Klage angefochtenen Bescheid des Bundesamts vom 28. Februar 2020 und sieht deshalb von einer Darstellung der weiteren Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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3. Auch an der Rechtmäßigkeit der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, bestehen im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) keine ernstlichen Zweifel.
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Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beidem (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 25).
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Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, U.v. 21.1.2011 - 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 - 8319/07 und 11449/07 - NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (VGH BW, U.v. 24.7.2013 - A 11 S 697/13 - juris Rn. 79 ff.).
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Schlechte humanitäre Verhältnisse können somit nur in ganz „besonderen Ausnahmefällen“ Art. 3 EMRK verletzen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 26).
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Dabei können Ausländer aber grundsätzlich kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach der Rechtsprechung allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Denn Art. 3 EMRK verpflichtet die Staaten nicht, Unterschiede im Fortschritt in der Medizin sowie Interschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 23). Nur in ganz außergewöhnlichen Fällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, wie beispielsweise im Fall einer tödlichen Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat diesbezüglich keine Unterstützung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris Rn. 23 ff.).
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Dies zugrunde gelegt ist zu Gunsten des Antragstellers kein Abschiebeverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gegeben. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Antragsteller durchaus erwerbsfähig ist. Es ist dem Antragsteller im Zeitraum zwischen den Jahren 2005 und 2018 offensichtlich gelungen, sich in einem ihm zunächst fremden Land (Italien) ein Existenzminimum zu erwirtschaften. Warum dies bei einer Rückkehr nach Nigeria nicht der Fall sein sollte, erschließt sich für das Gericht nicht. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller nach seinem eigenen Vorbringen in Nigeria einen vierjährigen Schulbesuch aufzuweisen hat. Bei einer aktuellen Analphabetenquote in Nigeria bei Männern von etwa 30% erweist sich der Schulbesuch des Antragstellers noch als überdurchschnittlich. Weiter hat der Antragsteller vorgetragen, dass er in Nigeria bereits eine Ausbildung als Elektriker für technische Geräte zumindest begonnen habe. Nennenswerte gesundheitliche Einschränkungen sind beim Antragsteller nicht bekannt geworden. Überdies kann allgemein festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die - wie der Antragsteller vortragen lässt - in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, bei einer Rückkehr keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Derartige Personen können ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn im Konventionsstaat - Bundesrepublik Deutschland - Rückkehrhilfe angeboten wird (vgl. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich - BFA - Nigeria, Gesamtaktualisierung vom 12. April 2019, Nr. 19.1, S. 50). Auf den letztgenannten Umstand hat auch das Bundesamt in der mit der Klage und dem Antrag angegriffenen Entscheidung vom 28. Februar 2020 (dort S. 6 unten) zutreffend hingewiesen.
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Ein Abschiebeverbot lässt sich auch nicht mit der Tatsache begründen, dass sich auch die aktuelle Lebensgefährtin bzw. Ehefrau des Antragstellers und der gemeinsame Sohn in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Sowohl Lebensgefährtin/Ehefrau als auch gemeinsames Kind verfügen über keine Aufenthaltsberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland. Bei einer unterstellten gemeinsamen Rückkehr nach Nigeria weicht die Situation nicht von der übriger nigerianischer Familien ab. Dies bei einer vom Gericht zugrunde gelegten aktuellen Geburtenrate (2016) von 5,53.
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Schließlich liegen auch die Voraussetzungen für ein Abschiebeverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor. Diesbezüglich fehlt es bereits an einem berücksichtigungsfähigen Vortrag des Antragstellers. Nennenswerte gesundheitliche Einschränkungen sind im Verfahren nicht geltend gemacht worden. Überdies gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also - wie hier - die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
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4. Die auf die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Ausreiseaufforderung der einwöchigen Ausreisefrist und die gleichzeitig erfolgte Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG sind demnach ebenfalls nicht zu beanstanden.
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Der Antrag war daher abzulehnen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).