Inhalt

LG München II, Endurteil v. 16.06.2020 – 8 O 153/20
Titel:

Keine Ansprüche bei Kauf eines Daimler-Diesel OM 651

Normenkette:
BGB § 249, § 281 Abs. 1, § 325 Abs. 3, § 823, § 826
Leitsätze:
1. Lässt sich eine behauptete Abschalteinrichtung eines Motors durch ein Update beseitigen, wäre dieser Mangel kaufrechtlich unerheblich im Sinne des § 325 Abs. 5 Satz 2 bzw. § 281 Abs. 1 Satz 3 BGB. (redaktioneller Leitsatz)
2. Verfügt ein Kfz über eine für die Emissionsklasse erforderliche EG-Typengenehmigung und ist voll verkehrstauglich, hat der Käufer keinen über Delikt ersatzfähigen Schaden erlitten; auch der Ansatz eines normativen Schadens oder eines merkantilen Minderwertes scheiden dann aus.  (Rn. 18 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Daimler, OM 651, Diesel, Softwareupdate, Gewährleistung, Delikt, normativer Schaden, merkantiler Minderwert
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 01.03.2021 – 8 U 4122/20
OLG München, Beschluss vom 08.04.2021 – 8 U 4122/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 46371

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III.
Das Urteil ist für die Beklagte im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar  

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt Rückabwicklung eines Automobilkaufvertrages bezüglich eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Fahrzeuges.
2
Die Klägerin erwarb von der Beklagten am 19.09.2018 den streitgegenständlichen Mercedes Benz C 250 Blue mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer ...17 zu einem Kaufpreis von 26.802,00 Euro als Gebrauchtwagen mit einer damaligen Laufleistung von 24.186 km (vgl. Anlage K 1). Im streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein von der Beklagten entwickelter und hergestellter Motor OM 651 und ein SCR-Katalysator (sogenannte BlueTec-Technology) verbaut.
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Die Klägerin behauptet, im streitgegenständlichen Fahrzeug sei ferner eine sogenannte Abschalteinrichtung verbaut, die zu einer Manipulation des Abgasausstoßes auf Abgasprüfungsanlagen führe.
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Sie ist daher der Auffassung, sowohl aus kaufvertraglichen Gesichtspunkten als auch auf Grund deliktischer Ansprüche von der Beklagten eine Rückabwicklung des geschlossenen Kaufvertrages verlangen zu können.
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Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben die Parteien unstreitig gestellt, dass der Kilometerstand zum 11.05.2020 62.790 km betragen hat.
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Die Klägerin beantragt zuletzt zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 24.099,20 € sowie Zinsen in Höhe von 1.351,11 €, nebst weiterer Zinsen aus 26.802,00 € in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 01.01.2020 zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Mercedes Benz C 250 Blue mit der FIN: ...17.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeugs zwei Wochen nach Rechtshängigkeit in Annahmeverzug befindet.
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Die Beklagte beantragt zu erkennen,
die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, dass weder ein Sachmangel am streitgegenständlichen Kraftfahrzeug festzustellen sei, noch ein konkreter Schaden der Klägerin substantiiert vorgetragen werde. Im Übrigen beruft sich die Beklagte auf die Einrede der Verjährung.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenteilen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage erwies sich als unbegründet, da nach Auffassung des Gerichts die Klägerin weder kaufvertragliche noch deliktische Ansprüche auf Rückabwicklung des geschlossenen Kaufvertrages hat:
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Eine kaufvertragliche Rückabwicklung scheidet von vornherein aus, da - selbst bei unterstelltem Vorliegen eines Sachmangels - dieser jedenfalls unerheblich im Sinne des § 325 Abs. 5 Satz 2 bzw. § 281 Abs. 1 Satz 3 BGB wäre:
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Nach zutreffender obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 28.05.2014, VIII ZR 94/13) ist ein Mangel in der Regel nur dann erheblich, wenn die Beseitigungskosten mindestens 5% der vereinbarten Gegenleistung ausmachen. An dieser Voraussetzung - für die die Klägerin darlegungs- und beweispflichtig ist - fehlt es im vorliegenden Fall. Die durchschnittlichen Entwicklungskosten für ein Upgrade liegen ebenso wie die Kosten für das Aufspielen eines Updates bei jeweils weniger als 100,00 Euro pro Fahrzeug - wie dem Gericht aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt ist -. Im Übrigen wurden von der Klägerpartei substantiiert nicht höhere Beseitigungskosten vorgetragen.
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Das Gericht weist ferner darauf hin, dass die Rechtsprechung selbst für von einem Rückruf betroffene Fahrzeuge des VW-Konzerns regelmäßig eine Erheblichkeit des Mangels verneint (vgl. hierzu auch OLG Koblenz, Beschluss vom 27.09.2017, Az.: 2 U 4/17).
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Wegen der Unerheblichkeit des vorgetragenen Mangels im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB scheiden damit kaufvertragliche Rückabwicklungsansprüche aus.
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Darüber hinaus scheiden nach Auffassung des Gerichts auch jegliche Ansprüche des Deliktsrechts auf Rückabwicklung (§ 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 263 StGB) aus, da die Klägerpartei zur Überzeugung des Gerichts nicht in substantiierter Weise einen konkreten Schaden im Sinne der §§ 249 ff. BGB darlegen bzw. beweisen konnte.
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Zunächst lässt sich ein Schaden nach der sog. herrschenden Differenzhypothese nicht zur Überzeugung des Gerichts begründen:
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Nach der sog. Differenzhypothese würde ein Schaden nur vorliegen, wenn ein Missverhältnis von Leistung (Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges) und Gegenleistung (Kaufpreis) gegeben ist. Dieses lässt sich nach Auffassung des Gerichts nicht schlüssig darlegen:
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Durch den Abschluss des Kaufvertrages und die Eingehung der Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises hat der Kläger einen objektiv gleichwertigen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Pkws erworben. Es ist insofern nicht darlegbar, dass der Kläger gerade durch die im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Abschaltsoftware einen Minderwert am Fahrzeug „erlitten“ hat. Sofern tatsächlich eine schlechtere Weiterverkaufsmöglichkeit des Fahrzeuges (im hypothetischen Falle einer Weiterveräußerung) entstehen sollte, kann nicht dargelegt werden, dass sich diese adäquat-kausal zurechenbar auf Handlungen der Beklagten gründet. Vielmehr können verschiedene und vielfältige Ursachen als sog. wertbildende Faktoren Einfluss auf die Kaufpreisentwicklung des Fahrzeuges im Fall der Wiederveräußerung nehmen. Insbesondere ist hierbei festzustellen, dass die in der Gesellschaft einsetzende allgemeine Diskussion über die Werthaltigkeit von Dieselfahrzeugen nicht unerheblichen Einfluss auf die Marktentwicklung des Wertes des Pkws haben kann (vgl. hierzu insbesondere Landgericht Braunschweig, Urteil vom 25.04.2017, Az. 11 O 4/17).
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Insofern kann die Klägerin nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen, dass etwaige Wertverschiebungen sich gerade auf die verfahrensgegenständliche Software gründen und nicht etwa darauf, dass aus anderen Gründen die Gunst von Dieselfahrzeugen im Rahmen des Automobilmarktes nachgelassen hat.
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Ein sog. merkantiler Minderwert kann ebenfalls nicht schlüssig zur Überzeugung des Gerichts dargelegt werden:
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Ein merkantiler Minderwert kommt nur dann in Betracht, wenn eine nicht unwesentliche Beeinträchtigung der Kaufsache vorliegt (vgl. Oetker MüKo-BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 BGB, Rz. 55).
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Nach Überzeugung des Gerichts ist im vorliegenden Fall dieser Grad der Beeinträchtigung nicht überschritten. Sowohl in Literatur als auch in Rechtsprechung ist hierbei von einem unbeachtlichen Bagatellschaden auszugehen, wenn die aufzuwendenden Reparaturkosten 10% des Wiederbeschaffungswertes nicht übersteigen (vgl. hierzu Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl., § 251 R. 16). Die zu veranschlagenden Kosten für ein Software-Update betragen lediglich 35,00 € netto, sodass sie jedenfalls unterhalb der Bagatellgrenze liegen.
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Auch nach der sog. normativen Korrektur der Differenzhypothese lässt sich nach Überzeugung des Gerichts ein dem Kläger angeblich entstandener Schaden nicht schlüssig begründen:
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Nach der sog. normativen Korrektur der Differenzhypothese kann nach höchst richterlicher Rechtsprechung ein Schaden ausnahmsweise dann angenommen werden, wenn zwar die Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung objektiv gegeben ist, das streitgegenständliche Fahrzeug jedoch für die subjektiven Zwecke des Anspruchstellers nicht oder nicht voll brauchbar ist (vgl. hierzu BGH, Az. VI.ZR 306/03). Hierfür muss jedoch die Tauglichkeit des Kaufgegenstandes zu dem gewöhnlichen oder dem individuell vorausgesetzten Gebrauch aufgehoben oder gemindert sein (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.1997, Az. V ZR 112/96). Nach Auffassung des Gerichts ist im vorliegenden Fall die seitens des Klägers vorausgesetzte Tauglichkeit zum Gebrauch des streitgegenständlichen Fahrzeuges durch die verbaute Software in keiner Weise negativ beeinträchtigt. Das Fahrzeug ist nach wie vor in vollem Umfang im Straßenverkehr nutzbar. Unter verkehrstechnischer und sicherheitsrechtlicher Sicht bestehen keine Bedenken gegen die Nutzung des Fahrzeuges im Straßenverkehr. Auch verfügt es darüber hinaus über eine für die Emissionsklasse erforderliche EG-Typengenehmigung und einen wirksamen Versicherungsschutz.
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Die Klägerin nutzt das Fahrzeug bis zum heutigen Zeitpunkt ohne jegliche Beeinträchtigung.
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Bei dieser Sachlage lässt sich auch unter dem Gesichtspunkt einer normativen Korrektur der Differenzhypothese keinerlei Schaden der Klägerin feststellen.
27
Da sämtliche denkbaren Schadensersatzansprüche der Klägerin in jedem Falle die schlüssige Darlegung eines Schadens im Sinne der § 249 ff. BGB voraussetzen und sich ein solcher nicht feststellen lässt, ist die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.