Inhalt

VG Bayreuth, Gerichtsbescheid v. 16.11.2020 – B 8 K 20.635
Titel:

Rückforderung einer BAföG-Leistung

Normenkette:
BAföG § 20 Abs. 1 Nr. 4, § 21, § 24 Abs. 1, Abs. 3 S. 3, S. 4, § 25 Abs. 6
Leitsätze:
1. Eine Verpflichtung zur Erstattung von Ausbildungsförderung nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG besteht nur dann, wenn sie unter einem rechtmäßigen Vorbehalt der Rückforderung geleistet worden ist. Ob einer der im Bundesausbildungsförderungsgesetz abschließend normierten Fälle zulässiger Vorbehalte vorliegt, unterliegt der Prüfung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen den Rückforderungsbescheid. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Inhalt eines bestandskräftigen Steuerbescheides ist für die Einkommensermittlung nach § 21, § 24 Abs. 1 BAföG rechtlich bindend. Dies beruht auf Gründen notwendiger Verwaltungsvereinfachung. Selbst Zweifel an der Richtigkeit der Vorgaben im Steuerbescheid begründen keine eigenständige Prüfpflicht der Ausbildungsämter. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Soweit die Bindung an die Steuerbescheide der Eltern für den Auszubildenden zu einem schlechthin unerträglichen Ergebnis führen würde, kann eine Ausnahme von der Bindungswirkung bestandskräftiger Steuerbescheide geboten sein. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Auszubildende hat Gründe, die nach seiner Auffassung die Zuerkennung eines Härtefreibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG rechtfertigen können, bei der Behörde unverzüglich geltend zu machen. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Auflösung und Rückforderung einer Leistung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz, die unter dem Vorbehalt der Rückforderung gewährt worden war, nachträglicher Härteantrag gemäß § 25 Abs. 6 BAföG nach Ablauf von fünf Monaten nach Kenntnis der elterlichen Einkommensverhältnisse nicht unverzüglich, Einkommensermittlung, bestandskräftiger Steuerbescheid, Bindungswirkung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 46106

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 19.03.2018. In diesem Bescheid wurde er zur Rückzahlung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Höhe von insgesamt 8.040,00 EUR verpflichtet.
2
Mit Formblattantrag (Bl. 123 ff. Beiakte), eingegangen bei dem Beklagten am 26.10.2010, beantragte der Kläger Ausbildungsförderung für sein Studium des Studienfaches Internationale Wirtschaft und Entwicklung mit dem Abschluss Bachelor an der Universität … Unter Zugrundelegung seiner Angaben wurde ihm mit Bescheiden vom 03.02.2011 (Bl. 147 ff. Beiakte) Ausbildungsförderung für die Zeit von 10.2010 bis 06.2011 in Höhe von monatlich 614,00 EUR und für die Zeit von 07.2011 bis 09.2011 in Höhe von monatlich 558,00 EUR bewilligt.
3
Der Kläger beantragte mit Formblattantrag (Bl. 131 ff. Beiakte), der beim Beklagten am 26.10.2010 einging, das Einkommen seines Vaters im aktuellen Bewilligungszeitraum, und mit weiteren, leicht veränderten Anträgen, die am 15.12.2010 eingingen, das Einkommen seines Vaters als auch seiner Mutter ebenfalls im aktuellen Bewilligungszeitraum zugrunde zu legen; die Umsätze sowohl des Vaters als auch der Mutter seien zurückgegangen.
4
Daraufhin wurde ihm mit insoweit bestandskräftigem Bescheiden vom 29.03.2012 (Bl. 161 ff. Beiakte) unter jeweiliger Aufhebung der Bescheide vom 03.02.2011 Ausbildungsförderung für die Zeit von 10.2010 bis 06.2011 sowie von 07.2011 bis 09.2011 unter dem Vorbehalt der Rückforderung in Höhe von monatlich 670,00 EUR bewilligt. Auf den monatlichen Gesamtbedarf des Klägers wurde kein Einkommen des Vaters angerechnet. Eine endgültige Bewilligung sei derzeit nicht möglich, weil sich das Einkommen seines Vaters im Bewilligungszeitraum 10.2011 bis 06.2011 und 07.2011 bis 09.2011 nicht abschließend feststellen lasse. Die Einkommensberechnung der Mutter nach ihrem aktuellen Einkommen wurde für den Zeitraum 10.2011 bis 06.2011 abgelehnt, da sich auch bei Berücksichtigung des aktuellen Einkommens der Mutter keine Änderung der monatlichen Förderung errechnen würde (Bl. 162 Beiakte).
5
In den Akten befindet sich der Einkommensteuerbescheid der Eltern für 2009 und 2010 (eingegangen beim Beklagten am 26.07.2011 und 17.10.2012, Bl. 183 ff., Bl. 222 Beiakte). Für 2009 ergab sich ein Gesamtbetrag der Einkünfte beider Eltern in Höhe von 11.220,00 EUR. Für 2010 wurde für die Eltern ein Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 41.174,00 EUR festgesetzt.
6
Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 07.05.2013, 29.09.2014, 12.02.2016 und 10.06.2016 (Bl. 164, 166, 167 und 168 Beiakte) auf, das jeweilige Formblatt zur Einkommenserklärung seines Vaters sowie den endgültigen Steuerbescheid als auch gegebenenfalls den Kirchensteuerbescheid seiner Eltern für das Kalenderjahr 2011 vorzulegen. Da diese Aufforderungen jeweils ergebnislos blieben, bat der Beklagte mit Schreiben vom 26.02.2018 (Bl. 169 Beiakte) das Finanzamt … um Auskunft zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Vaters und der Mutter des Klägers, da die erbetenen Angaben auf andere Weise nicht festgestellt werden können. Das Finanzamt … teilte unter dem 01.03.2018 mit (Bl. 170 RS Beiakte), dass sich aus dem Einkommensteuerbescheid vom 04.06.2013 für das Jahr 2011 ein Einkommen des Vaters aus Gewerbebetrieb in Höhe von 114.251,00 EUR und ein Einkommen der Mutter aus Gewerbebetrieb in Höhe von 12.597,00 EUR ergeben habe. Aus Vermietung und Verpachtung habe sich ein Minuseinkommen von 321,00 EUR errechnet. Einkommensteuer sei für die Eltern des Klägers i.H.v. 21.781,00 EUR und ein Solidaritätszuschlag i.H.v. 955,07 EUR festgesetzt worden.
7
Mit Bescheiden vom 19.03.2018 hob der Beklagte frühere Bescheide insoweit auf als in diesem Bescheid für gleiche Zeiträume Entscheidungen getroffen werden. Für die Zeiträume vom 10.2010 bis 06.2011 (Bl. 177) und vom 07.2011 bis 09.2011 (Bl. 175) wurde Ausbildungsförderung nicht bewilligt. Er forderte von dem Kläger für den Bewilligungszeitraum von 10.2010 bis 09.2011 insgesamt 8.040,00 EUR zurück (Bl. 178 Beiakte).
8
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Fax vom 29.03.2018, eingegangen beim Beklagten am 04.04.2018, Widerspruch ein (Bl. 249 Beiakte). Die endgültige Berechnung des Einkommens seines Vaters sei für ihn nicht nachvollziehbar. Der Beklagte erläuterte ihm im Schreiben vom 08.06.2018 (Bl. 254 Beiakte) die Sach- und Rechtslage. Der Kläger hielt mit Schriftsatz vom 03.07.2018 seinen Widerspruch aufrecht. Die Rückforderung sei nicht nachvollziehbar, da keine „Einkommensgrenzen beigelegen“ hätten. Dem Bundesverwaltungsamt seien falsche Berechnungsgrundlagen übermittelt worden, sodass die Tilgung der Darlehensschuld falsch berechnet worden sei. Ein Widerspruch gegen den Feststellungsbescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 16.05.2016 sei nicht mehr möglich. Eine einmalige Rückzahlung sei ihm nicht möglich, da die Darlehensrückzahlung bereits laufe.
9
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2018 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung ist ausgeführt, dass als Einkommen gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 BAföG die Summe der positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gelte. Maßgebend für die endgültige Berechnung des Einkommens des Vaters und der Mutter seien gemäß § 24 Abs. 3 BAföG die in den Einkommensteuerbescheiden der Kalenderjahre 2010 und 2011 ausgewiesene Summe der positiven Einkünfte.
10
Für den Bewilligungszeitraum von 10.2010 - 09.2011 sei die im Einkommensteuerbescheid vom 17.01.2012 festgestellte Summe der positiven Einkünfte des Vaters für das Kalenderjahr 2010 in Höhe von 41.598,00 EUR berücksichtigt worden. Die Mutter habe im Kalenderjahr 2010 keine positiven Einkünfte erzielt. Gemäß § 24 Abs. 3 und Abs. 4 BAföG seien 3/12, somit 10.399,50 EUR als Einkommen gemäß § 21 Abs. 1 BAföG anzusetzen.
11
Im Kalenderjahr 2011 (Einkommensteuerbescheid vom 04.06.2013) sei die im Einkommensteuerbescheid ausgewiesene Summe der positiven Einkünfte für den Vater in Höhe von 114.251,00 EUR zur Berechnung herangezogen worden. Davon sei ein Betrag von 9/12, womit 85.688,25 EUR zu berücksichtigen. Für das Einkommen der Mutter sei die Summe der positiven Einkünfte für das Kalenderjahr 2011 in Höhe von 12.597,00 EUR, mit einem Wert von 9/12, somit 9.447,75 EUR, zur Berechnung herangezogen worden. Nach Abzug der festgesetzten Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlags habe sich ein Einkommen des Vaters für die Kalenderjahre 2010 und 2011 in Höhe von insgesamt 96.087,75 EUR abzüglich Steuern in Höhe von 16.123,15 EUR (monatliches Einkommen von 8,007,31 EUR abzüglich Steuern von 1,343,60 EUR) errechnet. Das Einkommen der Mutter für die Kalenderjahre 2010 2011 betrage insgesamt 9.447,75 Euro abzüglich Steuern von 1.693,40 EUR (monatliches Einkommen von 787,31 EUR und Steuern von 141,12 EUR). Nach Abzug der pauschalierten Aufwendungen für die soziale Sicherung für den Vater und dem Freibetrag für die Eltern gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 1 BAföG in Höhe von monatlich 1.605,00 EUR seien der Freibetrag für das Geschwister J* … nach § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG in Höhe von monatlich 485,00 EUR sowie die prozentualen Freibeträge nach § 25 Abs. 4 BAföG berücksichtigt worden. Ebenso berücksichtigt worden sei der Freibetrag für das studierende Geschwister C* … gemäß § 11 Abs. 4 BAföG. Die Rückforderung erfolge gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG. Gemäß Nummer 18.5a.1 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG VwV) stehe ein unanfechtbarer Feststellungs- und Rückzahlungsbescheid des Bundesverwaltungsamtes und die darauf vom Darlehensnehmer bereits geleisteten Zahlungen einem Erlass eines Rückforderungsbescheides durch das Amt für Ausbildungsförderung nicht entgegen. Mit Aufhebung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides vom 29.03.2012 durch den Erlass des Rückforderungsbescheides vom 19.03.2018 erlösche das kraft Gesetzes entstandene Darlehensverhältnis für den entsprechenden Teil der geleisteten Ausbildungsförderung rückwirkend. Dabei seien bereits erfolgte Geldflüsse zwischen der auszubildenden Person und dem Bundesverwaltungsamt direkt abzuwickeln. Der Widerspruchsführer sei daher gehalten, sich wegen zu viel geleisteter Darlehensbeträge direkt mit dem Bundesverwaltungsamt in Verbindung zu setzen.
12
Der Bescheid wurde ausweislich eines Stempels auf dem Entwurf des Widerspruchsbescheides am 20.07.2018 per Zustellungsurkunde zur Post gegeben. Ausweislich der vom Beklagten übermittelten Kopie der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid am 21.07.2018 dem Kläger zugestellt.
13
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Fax seiner Prozessbevollmächtigten vom 20.08.2018, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am gleichen Tag, Klage. Er beantragt,
der Bescheid des Beklagten vom 19.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2018 wird aufgehoben.
14
Zur Begründung wird ausgeführt (Schriftsatz vom 16.11.2018), dass die grundsätzliche Bindungswirkung des Steuerbescheides entfalle, wenn die im Steuerbescheid der Eltern angesetzten positiven Einkünfte auf nachweislich unzutreffenden Schätzungen oder Hochrechnungen beruhten, oder von den Eltern des Auszubildenden tatsächlich keine positiven Einkünfte erzielt worden seien. Dasselbe gelte auch dann, wenn im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenes Einkommen der Eltern tatsächlich nicht erzielt worden sei. In beiden Fällen bilde der Einkommensteuerbescheid die realen Einkommensverhältnisse nachweislich nicht ab.
15
Vorliegend sei der Vater des Klägers zum damaligen Zeitpunkt als selbstständiger Handelsvertreter auch für die … GmbH tätig gewesen. Nach einem Rechtsstreit mit dieser wegen der Zahlung eines Handelsvertreterausgleiches, Schadensersatz und Verzugszinsen sei ein Vertrag geschlossen worden, wonach das Unternehmen dem Vater des Klägers einen Betrag von 88.000,00 EUR zahle. Dieser Vergleich sei in der mündlichen Verhandlung des Landgerichts … vom 10.11.2011 geschlossen worden. Es sei vereinbart worden, den Vergleichsbetrag in zwei Raten von jeweils 44.000,00 EUR, zum 15.12.2011 und 01.06.2012 zu zahlen. Mit Rechnung des Vaters des Klägers vom 03.11.2011 habe dieser von der oben genannten … GmbH einen Handelsvertreterausgleich in Höhe von 41.493,11 EUR zzgl. 7.883,69 EUR, somit einem Bruttobetrag von 49,376,80 EUR und weiterhin Schadensersatz in Höhe von 25.132,80 EUR zuzüglich Verzugszinsen von 13.490,40 EUR, somit insgesamt den vereinbarten Gesamtbetrag von 88.000 EUR, gefordert. Die … GmbH habe an den damaligen anwaltlichen Vertreter des Vaters des Klägers die erste vereinbarte Rate in Höhe von 44.000,00 EUR gezahlt: sie habe am 10.01.2012 drei Teilbeträge von jeweils 10.000,00 EUR und einen Restbetrag von 3.578,96 EUR überwiesen. Am 31.05.2012 habe sie vereinbarungsgemäß die zweite Rate in Höhe von 44.000,00 EUR direkt an den Vater des Klägers bezahlt. Obwohl der Vater des Klägers sämtliche Beträge erst im Jahr 2012 tatsächlich erhalten habe, seien diese aus steuerrechtlichen Gründen bereits im Jahr 2011 zu versteuern gewesen. Deshalb habe ein Einkommen des Vaters aus der selbstständigen Tätigkeit als Handelsvertreter in Höhe von 54.983,40 EUR (41.493,00 EUR + 3.490,40 EUR) anrechnungsfrei zu bleiben. Zur Berechnung der positiven Einkünfte des Vaters sei daher nicht ein Betrag von 114.251,00 EUR, sondern lediglich ein Betrag von 59.268,00 EUR heranzuziehen. Davon sei gemäß § 24 Abs. 2 und Abs. 4 BAföG ein Betrag von 9/12, somit 44.451,00 EUR zu berücksichtigen. Die festgesetzte Einkommensteuer und der festgesetzte Solidaritätszuschlag seien dagegen weiter mit 20.478,20 EUR zu berücksichtigen. Dass sich daraus errechnete Einkommen des Vaters für die Kalenderjahre 2010 und 2011 in Höhe von insgesamt 54.850,50 EUR (10.399,50 EUR + 44.451,00 EUR) ergebe einen Betrag von monatlich 4.570,88 EUR. Abzüglich der pauschalierten Aufwendungen für die soziale Sicherung des Vaters und der Steuern sowie Sozialabzüge errechne sich ein bereinigtes Einkommen von 1.646,69 EUR. Zuzüglich des Einkommens der Mutter belaufe sich das bereinigte Einkommen der Eltern auf monatlich 1.999,21 EUR. Abzüglich der Freibeträge gemäß § 25 Abs. 1 und 3 BAföG verbleibe kein anrechenbares Einkommen. Der Bescheid vom 19.03.2018 sei damit rechtswidrig.
16
Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 18.05.2020,
die Klage abzuweisen.
17
Zur Begründung ist im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen. Die Einkommensverhältnisse seien nach dem Auskunftsersuchen vom Finanzamt …unter Bezugnahme auf den Einkommenssteuerbescheid vom 04.06.2013 geklärt; das festgestellte Einkommen sei gemäß § 24 BAföG für das maßgebliche Kalenderjahr zu Grunde gelegt worden. Die Berechnung sei daher korrekt erfolgt.
18
Das Bayerische Verwaltungsgericht München erklärte sich mit Beschluss vom 02.07.2020 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Bayerische Verwaltungsgericht Bayreuth.
19
Mit Schreiben vom 10.09.2020 wies das Gericht die Beteiligten nach vorläufiger Sichtung der Akten und Prüfung der Rechtslage darauf hin, dass schlichtweg unerträglichen Ergebnissen bei der Einkommensanrechnung über das Instrument des Härteantrags gemäß § 25 Abs. 6 BAföG angemessen Rechnung getragen werden könne. Nach dem Wortlaut der genannten Norm müsse der Antrag für den außerordentlichen Freibetrag innerhalb des Bewilligungszeitraumes gestellt werden. Ausnahmsweise könnten nach der Rechtsprechung auch nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes Härtefallgesichtspunkte geltend gemacht werden, wenn der Auszubildende vorher die veränderten Umstände nicht erkennen habe können. Der Antrag müsse dann unverzüglich nach Kenntnis der Umstände gestellt werden.
20
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers machte im Schriftsatz vom 12.10.2020 geltend, dass der Antrag gemäß § 25 Abs. 6 BAföG konkludent in der Klagebegründung gestellt worden sei. Der Kläger selbst habe keine Kenntnis davon gehabt, dass seinem Vater das in dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2011 ausgewiesene Einkommen nicht vollständig im Jahr 2011, sondern teilweise erst im Jahr 2012 zugeflossen sei. Als Auszubildender habe der Kläger die veränderten Umstände vorher nicht erkennen können. Diese seien erst im Rahmen des Klageverfahrens nach Rücksprache mit dem Vater des Klägers bekannt geworden.
21
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 06.11.2020 legte der Kläger eine Bestätigung seines Vaters, …, vom 06.10.2020 vor. Darin bestätigt dieser, dass sein Sohn keine Kenntnis über sein zu versteuerndes Einkommen im Jahr 2011 gehabt habe und dass ihm Teilbeträge von dem zu versteuernden Einkommen tatsächlich erst im Jahr 2012 zugeflossen seien.
22
Der Beklagte machte mit Schriftsatz vom 06.11.2020 geltend, dass der Kläger keinesfalls unverzüglich, d.h. innerhalb der Rechtsbehelfsfrist des streitgegenständlichen Bescheids, einen Härtefallantrag gestellt habe. Auch in der Klageschrift sei die Vorschrift des § 25 Abs. 6 BAföG nicht erwähnt.
23
Das Gericht hörte die Beteiligten mit Schriftsatz vom 13.10.2020 gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur beabsichtigten Entscheidung über die Klage durch Gerichtsbescheid an. Der Beklagte erklärte mit Schriftsatz vom 19.10.2020 sein Einverständnis.
24
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

25
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
26
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg.
27
1. Die Bescheide vom 19.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Gericht verweist auf die zutreffende Begründung im angefochtenen Bescheid und im Widerspruchsbescheid (§ 117 Abs. 5 VwGO).
28
Die o.g. Bescheide stellen die nach § 24 Abs. 3 Satz 4 BAföG vorgesehene abschließende Entscheidung über den Antrag auf Ausbildungsförderung dar: Die Bewilligung der Ausbildungsförderung mit Förderbescheid vom 29.03.2012 (Bl. 163 Beiakte) erfolgte ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Rückforderung (§ 24 Abs. 3 Satz 3 BAföG), weil das - vom Kläger gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG beantragte - damals aktuelle Einkommen der Eltern noch nicht feststand.
29
Die Aufhebung der Bewilligungsbescheide vom 29.03.2012 durch die streitgegenständlichen Bescheide und die Rückforderung haben ihren Rechtsgrund in § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG. Danach ist der Bewilligungsbescheid insoweit aufzuheben und der Förderungsbetrag zu erstatten, wenn die Voraussetzungen für die Leistung von Ausbildungsförderung an keinem Tage des Kalendermonats vorgelegen hat, für den sie gezahlt worden ist.
30
Die o.g. Voraussetzungen liegen vor.
31
1.1 Die Bescheide vom 19.03.2018 sind sowohl formell- als auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die Auflösung des Vorbehalts in den Förderbescheiden vom 29.03.2012 und deren Aufhebung durch die streitgegenständlichen Bescheide, sowie die Rückforderung in Höhe von 8.040,00 EUR begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
1.1.1
32
Soweit vor Erlass der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide keine Anhörung gemäß § 24 SGB X i.V.m. § 68 Nr. 1 SGB I erfolgt ist, ist dieser Mangel durch das Widerspruchsverfahren (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X) geheilt.
33
Auch eine zeitliche Begrenzung für die Auflösung des Vorbehalts ist im Gesetz nicht vorgesehen. Anhaltspunkte für zeitliche Verwirkung des Beklagten sind angesichts ihrer jahrelangen und zahlreichen Bemühungen um die Sachaufklärung nicht ersichtlich.
1.1.2
34
Der Vorbehalt in den Förderbescheiden vom 29.03.2012 hinsichtlich des Einkommens des Vaters des Klägers in den Bewilligungszeiträumen von insgesamt 10.2010 bis 09.2011 ist nicht zu beanstanden.
35
Eine Verpflichtung zur Erstattung von Ausbildungsförderung nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG besteht nur dann, wenn sie unter einem rechtmäßigen Vorbehalt der Rückforderung geleistet worden ist. Ob einer der im Bundesausbildungsförderungsgesetz abschließend normierten Fälle zulässiger Vorbehalte vorliegt, unterliegt der Prüfung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen den Rückforderungsbescheid (BVerwG U. v. 17.04.1980 - 5 C 50.78 - juris).
36
Der besondere Antrag auf Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse im Bewilligungszeitraum war zulässig, da er vor Ablauf des Bewilligungszeitraum gestellt worden ist (§ 24 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz BAföG). Es war auch nachvollziehbar darlegt, dass das Einkommen der Eltern im aktuellen Bewilligungszeitraum niedriger ausfallen wird als in den im Regelfall zugrunde zu legenden Kalenderjahren.
37
Dass der streitgegenständliche Bewilligungsbescheid „unter Vorbehalt der Einkommensverhältnisse im Bewilligungszeitraum“ erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes ergangen ist, begegnet keinen rechtlichen Bedenken, zumal diese Regelung dem zulässigen Antrag des Klägers entsprach.
38
Die Voraussetzungen für Bescheiderlass „unter Vorbehalt“ waren auch nach dem Ablauf des Bewilligungszeitraumes gegeben, da für den in den Bescheiden festgelegten gesamten Bewilligungszeitraum von 07.2010 bis 09.2011 zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses weder der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2010 noch der für das Jahr 2011 vorgelegen haben.
39
Dass mit den Bescheiden vom 29.03.2012 die Förderbescheide vom 03.02.2011 für den gleichen Bewilligungszeitraum aufgehoben wurden, ist für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungsunerheblich. Insbesondere leben dadurch nicht die ersten - ohne Vorbehalt ergangenen - Bewilligungsbescheide vom 03.02.2011 wieder auf; denn durch die Auflösung des Vorbehalts und die Ersetzung des unter Vorbehalts ergangenen Bescheide vom 29.03.2012 durch den endgültigen Bescheid vom 19.03.2018 besteht keine rechtliche Lücke, die zum Wiederaufleben früherer Bescheide führen könnte. Dafür spricht auch der Gesetzeswortlaut: In § 20 Abs. 1 Satz 1 BAföG ist geregelt, dass der Bewilligungsbescheid (Anm. der den Vorbehalt enthält) nur „insoweit“ aufzuheben ist, als die Voraussetzungen für die Leistung von Ausbildungsförderung nicht vorgelegen haben. Weitere Regelungen des streitgegenständlichen Bewilligungsbescheides, wie die Aufhebung früherer Bescheide, sind davon nicht betroffen, sondern bestehen fort. Darüber hinaus hätte es einer Aufhebung früherer Bescheide gar nicht bedurft, da nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG U.v. 12.03.1987 - 5 C 37/84 - juris) der Vorbehalt in einem Förderbescheid, der - wie vorliegend - seinerseits rückwirkend an die Stelle eines ursprünglichen „normalen“ Bewilligungsbescheides getreten ist, in dem das Einkommen nach den Verhältnissen des vorletzten Kalenderjahres vor Beginn des Bewilligungszeitraums angerechnet war, auch die auf Grund des früheren Bescheides ohne Vorbehalt geleisteten Förderungsbeträge erfasst.
1.1.3
40
Die Auflösung des Vorbehalts mit endgültiger Berechnung des maßgeblichen Einkommens im Bewilligungszeitraum ist nicht zu beanstanden. Nach § 24 Abs. 3 Satz 4 BAföG wird über den Antrag auf Ausbildungsförderung erst dann abschließend entschieden, sobald sich das Einkommen im Bewilligungszeitraum endgültig feststellen lässt. Dies war nach Bekanntwerden des Einkommenssteuerbescheides der Eltern für das Jahr 2011 der Fall.
41
Die Berechnung des maßgeblichen Einkommens lässt keine Rechtsfehler erkennen. Sie beruht gemäß § 21 Abs. 1 i.V.m. § 24 Abs. 2 Satz 1 und 4 Satz 2 BAföG auf den Einkommenssteuerbescheiden für die Kalenderjahre 2010 und 2011.
42
1.1.3.1 Bei der Berechnung des maßgeblichen Einkommens sind rechtsfehlerfrei die maßgeblichen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011 zugrunde gelegt worden. Wie § 24 Abs. 2 BAföG zu entnehmen ist, kommt dem Steuerbescheid bei der Einkommensermittlung eine wesentliche Bedeutung zu. Der Inhalt eines bestandskräftigen Steuerbescheides ist für die Einkommensermittlung nach § 21, § 24 Abs. 1 BAföG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtlich bindend (Ramsauer/Stallbaum/Knoop, 7. Aufl. 2020, BAföG § 24 Rn. 8; BVerwG U.v. 10.05.1990 - 5 C 55/85 - juris). Dies beruht auf Gründen notwendiger Verwaltungsvereinfachung (vgl. BVerfG B.v. 15.09.1986 - 1 BvR 363/86 - juris). Selbst Zweifel an der Richtigkeit der Vorgaben im Steuerbescheid begründen keine eigenständige Prüfpflicht der Ausbildungsämter (vgl. BVerwG, B.v. 11.07.1990 - 5 B 143/89 m.w.N.; B.v. 18.02.1986 - 5 B 84/85 - juris). Die Bindung besteht auch hinsichtlich des - hier vorliegenden - besonderen Antrags auf Ausbildungsförderung nach § 24 Abs. 3 BAföG (BVerwG, B.v. 09.11.1988 - 5 B 143/87 -, juris).
1.1.3.2
43
Die Berechnung des maßgeblichen Einkommens des Vaters (vgl. Bl. 172 Beiakte) berücksichtigt die besonderen Vorgaben in § 24 Abs. 4 Satz 2 BAföG und ist nicht zu beanstanden. Danach ist abweichend von § 24 Abs. 4 Satz 1 BAföG in den Fällen des § 24 Abs. 3 BAföG der Betrag anzusetzen, der sich ergibt, wenn die Summe der Monatseinkommen des Bewilligungszeitraums durch die Zahl der Kalendermonate des Bewilligungszeitraumes geteilt wird; als Monatseinkommen gilt ein Zwölftel des jeweiligen Kalendereinkommens. Bedenken gegen die danach vorgenommene Berechnung wurden nicht erhoben und sind auch nicht ersichtlich.
1.1.4
44
Der Einwand des Klägers, der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2011 bilde nicht das real zur Verfügung stehende Einkommen seiner Eltern ab, das sie für seine Ausbildung hätten einsetzen können, weshalb eine andere Berechnungsweise angewendet müsse, hat keinen Erfolg.
1.1.4.1
45
Soweit die Bindung an die Steuerbescheide der Eltern für den Auszubildenden zu einem schlechthin unerträglichen Ergebnis führen würde, kann eine Ausnahme von der Bindungswirkung bestandskräftiger Steuerbescheide geboten sein (OVG Berlin-Brandenburg U.v. 23.05.2017 - OVG 6 B 85.15, vgl. Ramsauer/Stallbaum/Knoop, 7. Aufl. 2020, BAföG § 24 Rn. 9). Einer tatsächlich vorliegenden Diskrepanz zwischen im Steuerbescheid festgesetztem und tatsächlich zur Verfügung stehenden Einkommen kann durch das Instrument des Härteantrags gemäß § 25 Abs. 6 BAföG angemessen Rechnung getragen werden.
46
Nach § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG kann zur Vermeidung unbilliger Härten auf besonderen Antrag, der vor dem Ende des Bewilligungszeitraumes zu stellen ist, abweichend von den vorstehenden Vorschriften ein weiterer Teil des Einkommens anrechnungsfrei bleiben. Diese Vorschrift ergänzt die Regelungen in § 25 Abs. 1 bis 4 BAföG, in denen der Gesetzgeber mit dem gesetzestechnischen Mittel der Pauschalierung und Typisierung die Einkommensbeträge bestimmt hat, die im Regelfall für den angemessenen Lebensunterhalt der in § 25 Abs. 1 BAföG genannten Einkommensbezieher und der ihnen gegenüber Unterhaltsberechtigten erforderlich erscheinen und von einer Anrechnung auf den Bedarf des Auszubildenden frei zu lassen sind (vgl. BVerwG U.v. 15.11.1990 - 5 C 78/88 - juris, Rn. 19).
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Das Bedürfnis für eine Vermeidung von unbilligen Härten kann sich aber nicht nur während des Bewilligungszeitraums (entgegen § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG), sondern auch noch nach dessen Ende ergeben. Das Geltendmachen von Härtegesichtspunkten im Sinne des § 25 Abs. 6 BAföG nach dem Ablauf des Bewilligungszeitraums ist allerdings - vergleichbar den Anforderungen an das „nachträgliche“ Anbringen eines Aktualisierungsbegehrens nach § 24 Abs. 3 BAföG - davon abhängig, dass der Auszubildende vorher keinen Anlass hatte, zur Vermeidung unbilliger Härten von der Behörde die Einräumung eines weiteren Freibetrages zu verlangen (BVerwG U.v. 15.11.1990 - 5 C 78/88 - juris, Rn. 19). Ein solches Vorgehen kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn der Auszubildende vor dem Ergehen der abschließenden Entscheidung über seinen Förderungsantrag von dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Einkommensteuerbescheid keine Kenntnis erhalten und demzufolge erst später ersehen konnte, dass die Anrechnung des in dem nach § 24 Abs. 1 BAföG maßgebenden Berechnungszeitraum erzielten Einkommens zu einer Herabsetzung des in dem vorläufigen Bescheid bewilligten Förderungsbetrages führt (vgl. BVerwG U.v. 25.04.1985 - 5 C 42/82 - juris).
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Nur wenn sich für den Auszubildenden aus den Bewilligungszeitraum betreffenden Unterlagen, die ihm bekannt waren oder bekannt hätten sein müssen, keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die ihm bisher in voller Höhe gewährte Ausbildungsförderung reduziert wird, kann er sich demnach gegenüber der Behörde auch nachträglich noch auf Härtegesichtspunkte berufen. Bis zum Ergehen der abschließenden Entscheidung über seinen Förderantrag darf der Auszubildende aber auch hier grundsätzlich nur warten, wenn er erst im Zusammenhang mit dieser Entscheidung erkennen kann, dass das vom Amt für Ausbildungsförderung in Ansatz gebrachte Einkommen zu einer Anrechnung auf den Bedarf und damit zu einer Rückforderung der unter Vorbehalt geleisteten Ausbildungsförderung führt. Werden dem Auszubildenden Umstände bekannt, die derartige Folgewirkungen erwarten lassen, hat er Gründe, die nach seiner Auffassung die Zuerkennung eines Härtefreibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG rechtfertigen können, bei der Behörde unverzüglich geltend zu machen (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.1990 - 5 C 78/88 - BVerwGE 87, 103-115, Rn. 20).
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Unverzüglich bedeutet nach § 121 Abs. 1 BGB ein Handeln ohne schuldhaftes Zögern. Eine verzögerte Handlung ohne Verschulden liegt nur vor, wenn ein sachlicher Grund für die verzögerte Handlung besteht. Aus sachlichen Gründen (abhängig vom Einzelfall) darf etwas später gehandelt werden als sofort. Der Handelnde hat eine gewisse Überlegungsfrist. Wenn es die Sachlage erfordert, darf er eine Rechtsauskunft (Rat eines Rechtskundigen) einholen (vgl. BGH U.v. 24.01.2008 - VII ZR 17/07, Rn. 18).
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1.1.4.2 Unter Zugrundelegung obiger Ausführungen kann der Kläger keinen Härtefall mehr geltend machen, selbst wenn der Klageschriftsatz dahingehend ausgelegt werden könnte. Es kann also offenbleiben, inwieweit ein von einem Rechtsanwalt verfasster Klageschriftsatz einer dahingehenden weiten Auslegung zugänglich ist, da auch unter Zugrundelegung eines Härteantrags im Klageschriftsatz die Klage keinen Erfolg hat.
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Denn der Kläger hat seiner Pflicht, unverzüglich bei dem Beklagten nach Bekanntwerden der maßgeblichen Umstände (hier: tatsächliche Einkommenszuflüsse seines Vaters entgegen dem Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2011) Härtegesichtspunkte geltend zu machen, nicht Genüge getan.
52
Spätestens seit Bekanntwerden der Bescheide vom 19.03.2018 war dem Kläger die konkrete finanzielle Auswirkung des Einkommenssteuerbescheides seiner Eltern für das Jahr 2011 auf seinen Bezug von Ausbildungsförderung im Bewilligungszeitraum bekannt. Sein Widerspruchsschreiben vom 29.03.2018 lässt eine Auseinandersetzung mit der Rechtslage nicht erkennen und auf die ausführlichen Erläuterungen im Aufklärungsschreiben des Beklagten vom 08.06.2018 reagierte er in keiner Weise.
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Erstmalig in der Klageerhebung vom 20.08.2018, also nahezu fünf Monate nach Kenntnis, findet eine Auseinandersetzung mit der Rechtsmaterie statt und wird darauf hingewiesen, dass der tatsächliche Zufluss der finanziellen Mittel und die einkommenssteuerrechtliche Bewertung auseinanderfallen. Eine nachvollziehbare Darlegung, aus welchen sachlichen Gründen dieses nicht bereits früher, d.h. zeitnah nach Erlass der Bescheide, geschehen hätte können, fehlt. Auch die Erklärung des Vaters vom 07.10.2020 lässt die Frage unbeantwortet.
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Die Verzögerung ist auch schuldhaft. Soweit der Kläger darauf verweist, er habe erst im Rahmen des Klageverfahrens nach Rücksprache mit seinem Vater davon Kenntnis erhalten, verhilft ihm das nicht zum Erfolg. Denn abzustellen ist nicht allein auf das positive Wissen des Klägers um die konkreten finanziellen Zeitpunkte des Zuflusses, sondern darauf, wann für den Kläger genügend Anlass bestand, sich mit den finanziellen Einkommensverhältnissen seiner Eltern im Jahr 2011 auseinander zu setzen und gegebenenfalls einen Härteantrag zu stellen.
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Anlass zur Klärung der finanziellen Verhältnisse seiner Eltern im Jahr 2011 bestand allerspätestens seit dem Bekanntwerden der streitgegenständlichen Bescheide. Eine spätere, nicht mehr unverzügliche Auseinandersetzung mit dem Streitgegenstand geht zu seinen Lasten.
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Erschwerend kommt hinzu, dass dem Kläger die Bedeutung des Einkommenssteuerbescheids seiner Eltern für das Jahr 2011 bereits mit dem Erlass des ausdrücklich lediglich unter dem Vorbehalt der Rückforderung (wegen des nicht bestimmbaren Einkommens des Vaters) ergangenen Förderbescheides vom 29.03.2012 deutlich vor Augen geführt wurde. Deshalb bestand nicht nur genügend Anlass, sich um dessen Vorlage zu bemühen und damit auseinanderzusetzen, vielmehr war er dazu sogar verpflichtet (§ 60 Abs. 1 i.V.m. § 68 Nr. 1 SGB I). Darüber hinaus wurde er noch viermal über einen Zeitraum von insgesamt vier Jahren (zwischen dem 07.05.2013 und 10.06.2016) nachdrücklich unter Verweis auf deren Bedeutung für die abschließende Berechnung auf seine diesbezügliche Vorlagepflicht aufmerksam gemacht. Die fehlende Reaktion des Klägers hierauf ist insofern bedeutsam, als er die anderen - für ihn günstigeren - Einkommenssteuerbescheide seiner Eltern für die Jahre 2009 und 2010 jeweils zeitnah vorgelegt und er keinen Grund genannt hat, warum für das Jahr 2011 besondere Umstände vorgelegen hätten, die einer Vorlage des bereits am 04.06.2013 ergangenen Einkommenssteuerbescheids entgegengestanden hätten.
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Dass er seiner Vorlagepflicht offenbar bewusst nicht nachkam, geht zu seinen Lasten und stellt keinen sachlichen Grund für einen nachträglichen Härteantrag erst nach Aufdecken der finanziellen Verhältnisse von Amts wegen dar.
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1.2 Die Rückforderung in Höhe von 8.040,00 EUR ist nicht zu beanstanden. Sie beruht auf § 20 Abs. 1 BAföG. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung der Rückforderungshöhe sind nicht vorhanden und wurden auch nicht geltend gemacht. Da das monatlich anzurechnende Einkommen des Vaters, ausgehend von den Einkommensverhältnissen nach den Einkommenssteuerbescheiden für die Jahre 2010 und 2011 (s.o.), den bewilligten monatlichen Bedarf des Klägers in Höhe von 670,00 EUR im gesamten Bewilligungszeitraum übersteigt (vgl. die Berechnung des Beklagten Bl. 172 Beiakte), war die Fördersumme in Höhe von 8.040,00 EUR (670,00 EUR x 12 Monate) zurückzufordern.
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1.3 Soweit das Bundesverwaltungsamt gegenüber dem Kläger bereits Rückforderungen geltend gemacht hat, steht dies der Aufhebung des Förderbescheides und dem Rückforderungsverlangen des streitgegenständlichen Bescheids nicht entgegen. Bankdarlehen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 BAföG sind im Regelfall gemäß den Vorschriften des § 18c BAföG nach Aufforderung des Bundesverwaltungsamtes zurückzuzahlen. Nur basiert die Darlehensgewährung auf dem nunmehr aufgehobenen Förderbescheid vom 03.02.2011. Nach dessen Aufhebung ist dem kraft Gesetzes entstandenen Darlehensvertrag und der daraus resultierenden Rückzahlungsverpflichtung gemäß § 18c BAföG die Rechtsgrundlage entzogen. Entsprechende rechtsgrundlose Zahlungen sind aus diesem Grund vorrangig im Verhältnis zum Bundesverwaltungsamt zu klären (vgl. HessVGH, U.v. 20.02.2018 - 10 A 807/17 - juris).
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Das öffentlich-rechtliche Darlehensschuldverhältnis zwischen Auszubildendem und dem Bundesverwaltungsamt (§ 39 Abs. 2 Satz 1 BAföG) entsteht kraft Gesetzes und zwar aufgrund des Bewilligungsbescheides. Deshalb unterliegt dieses Schuldverhältnis in seinem Bestand und in seiner Höhe nicht dem Willen der Beteiligten, sondern folgt der maßgeblichen Bescheidlage. Dies bedeutet, dass die durch Bescheide geregelte Rechtslage das Darlehensverhältnis in seinen Modalitäten bestimmt und etwaige Änderungen der Bescheide auch zur Veränderung des Darlehensschuldverhältnisses führen. Hingegen gibt es keine „Einwirkungsmöglichkeit“ in der umgekehrten Richtung, so dass eine (teilweise) Abwicklung des Schuldverhältnisses im Verhältnis zum Bundesverwaltungsamt für das zuständige Amt für Ausbildungsförderung keine „Sperrwirkung“ entfalten kann. Dem zuständigen Amt verbleiben deshalb alle ihm gesetzlich eröffneten Möglichkeiten zur Aufhebung und Neuregelung von Bescheiden, einschließlich der Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen (nach § 20 BAföG oder § 50 SGB X; vgl. dazu HessVGH, U.v. 20.02.2018 - 10 A 807/17 - juris, Rn. 25).
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Inwieweit der Kläger beispielsweise Unterhaltsansprüche für den fraglichen Bewilligungszeitraum gegenüber seinen Eltern geltend machen kann, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich. Auch ein möglicher Ersatzanspruch des Beklagten gegenüber den Eltern gemäß § 47a BAföG ist hiervon unabhängig (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföGÄndVwV 2013 Nr. 20.1.2)).
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1.4 Da § 20 BAföG eine abschließende Regelung enthält, sind die Vorschriften der §§ 812 ff. BGB nicht anwendbar, so dass gegen die Rückzahlungsverpflichtung nicht der Einwand des Wegfalls der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) erhoben werden kann (vgl. BVerwG U.v. 22.10.1981 - 5 C 61/79 - juris, und NVwZ 1988, 933 ff.).
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2. Als unterliegender Teil trägt der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.