Titel:
Keine Umschreibung einer tschechischen Fahrerlaubnis wegen Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis
Normenketten:
Führerschein-RL Art. 2 Abs. 1, Art. 12
FeV § 7 Abs. 1 S. 2, § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von durch EU-Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnissen darf dann durchbrochen werden, wenn aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass die Wohnsitzvoraussetzung nicht beachtet wurde. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Prüfung, ob Informationen über den ordentlichen Wohnsitz des Fahrerlaubnisinhabers zum Zeitpunkt der Erteilung des Führerscheins als vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührend und unbestreitbar eingestuft werden können, obliegt dabei den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (hier tschechischer Scheinwohnsitz bejaht). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
kein Anspruch auf Umschreibung einer tschechischen Fahrerlaubnis, Rücknahme der Fahrerlaubnis durch tschechische Behörde, Scheinwohnsitz, EU-Fahrerlaubnis, Anerkennung, Umschreibung, Wohnsitzerfordernis, Prüfung, unbestreitbare Informationen, Tschechische Republik
Fundstelle:
BeckRS 2020, 46086
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Umschreibung seiner tschechischen Fahrerlaubnis.
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Am 11. Februar 2009 wurde dem Kläger eine tschechische Fahrerlaubnis erteilt (Gültigkeit bis zum 10. Februar 2019, Wohnort: V …, Ausstellungsbehörde: …O …). Mit Schreiben vom 2. Januar 2019 beantragte der Kläger beim Landratsamt … (nachfolgend: Landratsamt) die Erteilung der Fahrerlaubnis infolge Umschreibung der tschechischen Fahrerlaubnis (Klassen A und B).
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Das Landratsamt forderte beim Kraftfahrt-Bundesamt einen Auszug aus dem tschechischen Fahrerlaubnisregister an. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Kläger zum Ausstellungszeitpunkt 2009 und auch durchgängig in E … gemeldet gewesen sei. Auf Nachfrage, ob er in Tschechien gewohnt habe oder einer Beschäftigung nachgegangen sei, habe der Kläger keine Angaben machen können. Er habe auf seinen Führerschein verwiesen und gesagt, dass sich hieraus ergebe, dass er dort gemeldet gewesen sei.
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Die tschechischen Behörden beantworteten auf dem am 11. März 2019 unterschriebenen Fragebogen die Frage: „Adress on the driving licence“ mit „…V …“, die Fragen „Place where person usually lives for at least 185 days each calender year, place of close family members, existence of accomodation, place of property interests“ jeweils mit „unknown”.
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Das Kraftfahrt-Bundesamt übermittelte dem Landratsamt einen Bescheid der Stadt S … vom 3. April 2019 (mit dem Vermerk rechtskräftig seit 24. April 2019) über den Entzug der Fahrerlaubnis des Klägers. Die Fahrererlaubnis der Klassen AM, A1, A2, A, B1 und B, eingetragen in den am 11. Februar 2009 durch die Stadt O … ausgestellten Führerschein Nr. …, werde entzogen, da der Kläger bei der Erteilung die Bedingung eines ordentlichen Wohnsitzes nicht erfüllt habe. Die Stadt S … habe am 7. März 2019 die Mitteilung vom Kraftfahrt-Bundesamt erhalten, dass der Führerschein unter Missachtung der Anforderung des Aufenthalts und der Richtlinien 91/439 EEC bzw. 2006/126/EEC ausgestellt worden sei. Der Verwaltungsbehörde sei ein offizieller Fragebogen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zugestellt worden, in dem angegeben worden sei, dass der Besitzer der Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland gehabt hätte und habe. Der Besitzer der Fahrerlaubnis sei zum Nachweis seines ordentlichen Wohnsitzes aufgefordert worden. Obwohl die Aufforderung vom Besitzer der Fahrerlaubnis am 15. März 2019 persönlich in Empfang genommen worden sei, habe er seinen ordentlichen Wohnsitz auf dem Gebiet der Tschechischen Republik nicht nachgewiesen.
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Die Übersetzung dieses Bescheids erfolgte erst auf Anfrage durch das Gericht mit Vorlage zum 21. Januar 2020.
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Der Kläger ließ durch seinen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 30. April 2019 vortragen, dass ein vorübergehender Aufenthalt in der Tschechischen Republik vom 21. Juli 2008 bis zum 30. November 2009 bestätigt worden sei. Daraus ergebe sich, dass der Kläger in diesem Zeitraum seinen Aufenthalt in der Tschechischen Republik gehabt habe. Seinen Wohnsitz in E … habe er weiter beibehalten. Die Bescheinigung über den „vorübergehenden Aufenthalt im Staatsgebiet seit dem 21. Juli 2008“ wurde am 30. November 2009 mit laut Vermerk des Dolmetschers unleserlicher Unterschrift unterschrieben. Es befindet sich ein Rundsiegel mit Wappen der Polizei der Tschechischen Republik (Rest laut Dolmetscher unleserlich) darauf. Als „Aufenthaltsadresse in der Tschechischen Republik“ ist …, Kreis S … eingetragen. Der Ausweis werde vom Inspektorat der Ausländerpolizei … ausgegeben.
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Mit weiterem Schreiben vom 14. Juni 2019 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass der Kläger deshalb zu seinem zweiten Wohnsitz in Tschechien keine Angabe gemacht habe, weil er ein Verhältnis zu einer Person gehabt habe, die in manchen Kreisen unter moralischen Gesichtspunkten nicht präferiert werden würde.
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Auf die Anhörung des Landratsamts hin ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mitteilen, dass zum Zeitpunkt des Antragseingangs beim Landratsamt eine gültige tschechische Fahrerlaubnis vorgelegen habe. Dass die Fahrerlaubnis zwischenzeitlich ihre Gültigkeit infolge Zeitablaufs verloren habe, sei irrelevant.
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Mit Bescheid vom 23. August 2019 (zugestellt am 27. August 2019) wurde der Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen A und B infolge Umschreibung der tschechischen Fahrerlaubnis durch das Landratsamt … abgelehnt (Nr. 1). Es wurde eine Gebühr von 100 EUR festgesetzt und Auslagen in Höhe von 4,11 EUR erhoben (Nr. 2). Die tschechische Fahrerlaubnis sei mit Entscheidung … vom 24. April 2019 widerrufen worden. Eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis liege daher nicht vor.
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Mit Schreiben vom 5. September 2019, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 9. September 2019, ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Klage erheben mit dem Antrag:
1. Der Bescheid des Landratsamts … vom 23. August 2019 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Fahrerlaubnis der Klassen A und B infolge der Umschreibung der tschechischen Fahrerlaubnis mit der Führerscheinnummer … zu erteilen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Kläger laut des Dokuments vom 30. November 2019 in …S … wohnhaft gewesen sei. Die tschechische Fahrerlaubnis sei deshalb widerrufen worden, weil der Kläger zum 10. Februar 2019 keinen Wohnsitz mehr dort gehabt habe. Zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Umschreibung am 2. Januar 2019 sei die tschechische Fahrerlaubnis nicht erloschen gewesen, sodass der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die Umschreibung vorzunehmen. Dass zum Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags die Fahrerlaubnis ihre Gültigkeit verloren habe, könne nicht zu Lasten des Klägers gehen.
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Mit Schreiben vom 10. September 2019 beantragte das Landratsamt …,
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Eine Umschreibung sei auch ohne den Widerruf der Fahrerlaubnis nicht möglich gewesen, da nur eine Bescheinigung über den vorübergehenden Aufenthalt vorgelegt worden sei, was einer einmaligen Anmeldung gleichkomme. Dies belege nicht, dass ein Wohnsitz vorliege.
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Der Klägerbevollmächtigte äußerte mit Schreiben vom 24. Oktober 2019, dass es nicht richtig sei, dass die tschechische Fahrerlaubnis wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltserfordernis zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis widerrufen worden sei. Der Widerruf sei ausschließlich erfolgt, weil eine Verlängerung der Fahrerlaubnis nicht möglich gewesen sei. Bei der Bestätigung vom 30. November 2019 handele es sich nicht um eine einmalige Anmeldung.
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Die Berichterstatterin forderte den Kläger zu Beantwortung von Fragen auf. Auf die Frage, wozu die Bescheinigung zum tschechischen Aufenthalt ausgestellt worden sei, wie oft und zu welchem Zweck sich der Kläger im Ausstellungszeitpunkt des Führerscheins dort aufgehalten habe und warum in der Bescheinigung eine andere Adresse als auf dem Führerschein angegeben sei, antwortete der Kläger, dass er sich im Frühjahr 2008 in eine tschechische Frau verliebt habe, die in O … gelebt habe. Der Kläger habe sich dort angemeldet und sich überwiegend dort aufgehalten. Dies sei zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins seine Meldeadresse gewesen. Einige Monate später sei die Frau in einen kleinen Ort unweit der Stadt S … gezogen. Der Kläger habe sich an dieser Adresse anmelden müssen. Er habe sich seit dem Frühsommer 2008 mehr oder weniger ständig in O … aufgehalten. Wegen des Wohnsitzwechsels seiner damaligen Beziehung sei die neue Adresse eingetragen worden.
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Mit Schreiben vom 5. März 2020 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
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Der Klägerbevollmächtigte äußerte mit Schreiben vom 10. März 2020, dass er erstmals nach der Anforderung der Übersetzung durch das Gericht vom Inhalt des Bescheids der Stadt S … Kenntnis erhalten habe. Zwar sei der Bescheid bestandskräftig, dennoch sei er falsch, da er der Bestätigung des vorübergehenden Aufenthalts widerspreche.
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Die Bestätigung des vorübergehenden Aufenthalts wurde im Original vorgelegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 84 Abs. 1 Satz 3, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
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Die Versagung der Umschreibung erfolgte, mangels Anspruchs des Klägers auf die Umschreibung seiner tschechischen Fahrerlaubnis, rechtmäßig und hat dadurch den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 FeV ist eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat, unter erleichterten Bedingungen in eine deutsche Fahrerlaubnis umzutauschen. Inhaber einer EU-/EWR-Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Inland sind grundsätzlich nicht verpflichtet, ihre Fahrerlaubnis in eine deutsche Fahrerlaubnis umzutauschen, d.h. die deutsche Fahrerlaubnis zu erwerben. Sie können dies jedoch auf freiwilliger Basis tun und haben bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen einen Rechtsanspruch. Dabei wird der Begriff des „Umtauschs“ durch die Vorschrift nicht verwendet und § 30 FeV ist auch nicht als klassische Anspruchsgrundlage ausgestaltet. Vielmehr wird ein dahingehender Anspruch in § 30 Abs. 1 FeV als bestehend vorausgesetzt und lediglich hinsichtlich seiner Voraussetzungen und Rechtsfolgen konkretisiert (Neu in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, Stand: 4.6.2020, § 30 FeV Rn. 6 m.w.N.).
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2. Ein Anspruch auf Umschreibung der ausländischen Fahrerlaubnis nach § 30 Abs. 1 FeV besteht jedoch nur dann, wenn die ausländische EU-/EWR-Fahrerlaubnis auch zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt oder berechtigt hat. Wann dies im Einzelfall der Fall ist, richtet sich nach Maßgabe der §§ 28 und 29 FeV. Voraussetzung ist demnach, dass es sich um eine gültige EU- oder EWR-Fahrerlaubnis handelt, deren Umschreibung begehrt wird. Dies ist hier nicht der Fall, da die Stadt S … dem Kläger die Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 3. April 2019 (rechtskräftig seit 24. April 2019) entzogen hat.
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Zu einem ähnlich gelagerten Fall erging jüngst ein Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vom 31.3.2020 - 11 ZB 20.189 - juris), in welchem Folgendes ausgeführt wird (Rn. 15 ff.):
„Zwar besagt der Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 1 FeV, dass auch eine Fahrerlaubnis umgetauscht werden kann, die zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt hat. Ein Vergleich mit der Sondervorschrift des § 30 Abs. 2 Satz 1 FeV ergibt jedoch, dass gleichwohl eine gültige Fahrerlaubnis vorliegen muss. Denn es wäre nicht nachvollziehbar, welchen Anwendungsbereich § 30 Abs. 2 Satz 1 FeV haben sollte, wenn eine aufgrund einer Befristung abgelaufene Fahrerlaubnis ohnehin nach § 30 Abs. 1 Satz 1 FeV umgetauscht werden könnte. Darüber hinaus entspricht es auch nicht Sinn und Zweck der Vorschrift, abgelaufene Fahrerlaubnisse unter erleichterten Voraussetzungen umzutauschen, sondern § 30 Abs. 1 Satz 1 FeV setzt voraus, dass eine umschreibungsfähige Fahrerlaubnis existiert (vgl. VGH BW, B.v. 24.11.2014 - 10 S 1996/14 - VRS 127, 325 = juris Rn. 4). Der Hauptanwendungsbereich des § 30 Abs. 1 Satz 1 FeV ist wohl der Fall, dass nach der Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes in einem anderen Mitgliedstaat zwar die unbefristet erteilte Fahrerlaubnis weiterhin besteht, das befristete Führerscheindokument aber seine Gültigkeit verliert.
Soweit der Kläger vorträgt, es hätte vom Verwaltungsgericht geprüft werden müssen, ob der Bescheid in tschechischer Sprache, der er nicht mächtig sei, überhaupt rechtmäßig sei, kann dem nicht gefolgt werden. Es wäre Sache des Klägers gewesen, einen Rechtsbehelf gegen diesen Bescheid zu ergreifen, wenn er der Auffassung ist, die Fahrerlaubnis dürfe ihm von den tschechischen Behörden nicht entzogen werden (vgl. zu einer Auskunft aus einem ausländischen Register: BayVGH, B.v. 28.4.2015 - 11 ZB 15.220 - Blutalkohol 52, 286 = juris Rn. 17). Dass er der tschechischen Sprache nicht mächtig ist, kann ihn dabei nicht entlasten. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass er selbst behauptet, über ein Jahr einen Wohnsitz in Tschechien gehabt zu haben und dort auch eine Fahrerlaubnis erworben hat, wäre es ihm ohne Weiteres zumutbar gewesen, dieses Schreiben nicht erst auf Anforderung des Verwaltungsgerichts, sondern schon vorher übersetzen zu lassen und einen Rechtsanwalt in der Tschechischen Republik mit der Wahrnehmung seiner Interessen zu beauftragen.“
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3. Hinzu kommt Folgendes: Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung, von einer gültigen EU-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten. Als ordentlicher Wohnsitz gilt nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV, Art. 12 RL 2006/126/EG der Ort, an dem der Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher oder - bei fehlenden beruflichen Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt.
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Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von durch EU-Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnissen nach Art. 2 Abs. 1 RL 2006/126/EU darf nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dann durchbrochen werden, wenn aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass die Wohnsitzvoraussetzung nicht beachtet werde (vgl. EuGH, U.v. 9.7.2009 - C 445/08 - NJW 2010, 20174, Rn. 51 ff; U.v. 1.3.2012 - Akyüz, C 467/10 - NJW 2012, 1341, Rn. 62 ff.). Die Prüfung, ob Informationen über den ordentlichen Wohnsitz des Fahrerlaubnisinhabers zum Zeitpunkt der Erteilung des Führerscheins als vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührend und unbestreitbar eingestuft werden können, obliegt dabei den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 - Akyüz, C-467/10 - NJW 2012, 1341 Rn. 73 f.; EuGH, U.v. 21.5.2015 - C 339/14 - NJW 2015, 3219, Rn. 39 ff.).
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Die Fahrerlaubnisbehörde ist auch durch den Eintrag eines tschechischen Wohnsitzes im vorgelegten Führerschein nicht gehindert, die über das Kraftfahrt-Bundesamt beigebrachten Erkenntnisse der tschechischen Behörden zu berücksichtigen. Vielmehr dürfen Angaben im Führerschein selbst und andere vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen als Erkenntnisquelle gleichrangig herangezogen werden (vgl. EuGH, B.v. 9.7.2009 - C-445/08 - NJW 2010, 2017 Rn. 51). Dabei muss die Begründung eines Scheinwohnsitzes aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedstaat stammenden Informationen nicht bereits abschließend erwiesen sein (vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2018 - 11 CS 17.1257 - juris Rn. 10; B.v. 23.1.2017 - 11 ZB 16.2458 - juris Rn. 12; OVG NRW, B.v. 9.1.2018 - 16 B 534/17 - juris Rn. 14 ff. m.w.N). Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf „hinweisen“, dass der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 - a.a.O. Rn. 75). Dann können die Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats auch inländische Umstände zur Beurteilung der Frage, ob die Wohnsitzvoraussetzung eingehalten ist, heranziehen (st. Rspr., vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2018, a.a.O., Rn. 10; B.v. 23.1.2017, a.a.O., Rn. 12; OVG NRW, B.v. 9.1.2018, a.a.O., Rn. 14 ff.).
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Der Bescheid der Stadt S … stellt eine vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende unbestreitbare Information dar, da ausgeführt wird, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Erteilung seiner tschechischen Fahrerlaubnis seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatte.
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Hierzu führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B.v. 31.3. 2020 - 11 ZB 20.189 - juris) Folgendes aus:
„Aus dem Bescheid ergibt sich, unabhängig davon, ob die Fahrerlaubnis ex tunc oder ex nunc entzogen worden ist, dass Grund für die Ungültigerklärung ein Wohnsitzverstoß ist und daher die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland nach § 28 Abs. 1 FeV zu keinem Zeitpunkt bestanden hat. Daran muss sich der Kläger, der dagegen kein Rechtsmittel eingelegt hat, festhalten lassen. … Da mit dem Bescheid der tschechischen Behörde in Sokolov vom 22. Februar 2019 hinreichende Informationen vorliegen, die auf einen Wohnsitzverstoß hinweisen, muss die vom Kläger gestellte Frage, ob es sich bei der Beantwortung aller Fragen durch die tschechischen Behörden im übersandten Fragebogen mit „Unknown“ um vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen handelt, die auf einen Wohnsitzverstoß hinweisen, nicht beantwortet zu werden (vgl. zum Begriff „Unknown“ BayVGH, U.v. 4.3.2019 - 11 B 18.34 - juris Rn. 24; Dauer, a.a.O. § 28 FeV Rn. 30a; Koehl, a.a.O. § 28 FeV Rn. 31; Neu in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 28 FeV Rn. 45.2). … Die Frage, ob ein befristetes Führerscheindokument, mit dem eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis dokumentiert wird, nach Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland nach § 25 Abs. 3a FeV erneuert werden kann, braucht hier ebenfalls nicht entschieden werden, da der Kläger nach der Aufhebung seiner Fahrerlaubnis durch die Behörde in Sokolov über keine Fahrerlaubnis mehr verfügt.“
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Die vom Kläger vorgelegte Bestätigung über den vorübergehenden Aufenthalt in der Tschechischen Republik führt zu keiner anderen Einschätzung. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Ausstellung der tschechischen Fahrerlaubnis mit Wohnsitz in Deutschland gemeldet. Eine Bestätigung über einen „vorübergehenden“ Aufenthalt besagt nichts darüber, dass sich der Kläger tatsächlich an 185 Tagen in der Tschechischen Republik aufgehalten hat. Die Bestätigung spricht von einem vorübergehenden Aufenthalt „seit dem 21. Juli 2008“. Zwar wurde die Bestätigung am 30. November 2009 unterschrieben. Dies besagt aber nicht, dass sich der Kläger damit ununterbrochen seit dem 21. Juli 2008 dort aufgehalten hat.
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Soweit unbestreitbare Informationen des Ausstellungsmitgliedstaats vorliegen, aus denen sich die Möglichkeit ergibt oder die darauf hinweisen, dass die Wohnsitzvoraussetzung nicht gegeben war, sind zur endgültigen Beurteilung dieser Frage die Umstände des gesamten Falles heranzuziehen, also ergänzend auch die „inländischen Umstände“ (st. Rspr., vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 12.1.2018 - 11 CS 17.1257 - juris Rn. 10).
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Hier erscheint als gewichtiger inländischer Umstand, der gegen einen ordnungsgemäßen Wohnsitz in der Tschechischen Republik spricht, dass der Kläger dauerhaft, also auch im Zeitpunkt und im Jahr der Erteilung der Fahrerlaubnis, mit Hauptwohnsitz in Deutschland gemeldet war, was auf einen Lebensmittelpunkt in Deutschland hinweist.
35
Soweit inländische Umstände heranzuziehen sind, aber auch soweit unbestreitbaren Informationen aus dem Ausstellermitgliedstaat entgegengetreten werden soll oder ein anderer Berechtigungsgrund für die Erteilung der Fahrerlaubnis geltend gemacht wird, kommt es bei der Würdigung der vorliegenden Erkenntnisse ebenfalls entscheidend auf das Erklärungsverhalten des Betreffenden an (vgl. z. B. BayVGH, B.v. 20.10.2014 - 11 CS 14.1688 - juris Rn. 25 m.w.N.).
36
Das Gericht würdigt die Ausführungen des Klägers zu seinem Wohnsitz in der Tschechischen Republik als nicht glaubhaft. Insbesondere kann dem Kläger, der keine beruflichen Verpflichtungen in der Tschechischen Republik hatte, nicht geglaubt werden, dass er zu seiner Bekannten eine persönliche Bindung aufgebaut hat, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort der Bekannten erkennen lassen. Auffallend ist hierbei, dass sich der Kläger an die genauen Einzelheiten nicht erinnern kann. Hinzu kommt, dass die Angaben zur Häufigkeit der Besuche und zum Aufenthalt völlig unsubstantiiert sind. So soll er sich zunächst in Abständen von ein bis zwei Wochen dort hinbegeben haben, dann habe er sich „überwiegend“ bzw. „mehr oder weniger ständig“ dort aufgehalten. Inhaltliche Details zum Aufenthalt werden nicht genannt. Gegen die Glaubhaftigkeit des Vortrags spricht zudem, dass der Kläger beim Landratsamt zunächst keine Gründe angegeben hat, warum er seinen Aufenthalt an über 185 Tagen in der Tschechischen Republik gehabt haben könnte. Erst im Rahmen der Anhörung durch das Landratsamt behauptete er (Schreiben vom 13. Juni 2019), dass er sich geschämt habe. Er lebe in einer Partnerschaft und habe nicht zugeben wollen, dass er zum damaligen Zeitpunkt in Tschechien ein Verhältnis mit einer Person gehabt habe, die „in manchen Kreisen unter moralischen Gesichtspunkten als nicht präferiert werden würde.“ Hätte sich der Kläger tatsächlich in einem Zeitraum von 21. Juli 2008 bis zum 30. November 2009 bei der Frau aufgehalten - also dort gewohnt - so wären ihm diese Beziehungen bzw. die „häufig wechselnden Männerbekanntschaften“ aus „finanziellen Gründen“ (Schreiben vom 11. Februar 2020, Blatt 37 der Gerichtsakte) wohl schon früher aufgefallen. Dies spricht alles dafür, dass eine enge persönliche Bindung gerade nicht entstehen konnte und der Kläger dort auch nicht gewohnt hat. Selbst wenn der Kläger diese Frau gelegentlich oder „mehr oder weniger ständig“ besucht haben soll, so erscheint es dem Gericht doch eher wahrscheinlich, dass sein Interesse am Aufenthalt dort ein vorübergehendes war. Dies erklärt dann auch, warum er sich zunächst geschämt hatte, seine Besuche bei der Frau beim Landratsamt anzugeben.
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Widersprüchlich sind zudem die unterschiedlichen Ortsangaben: So hat der Kläger beim Landratsamt zunächst angegeben, dass sich sein Wohnsitz aus dem Führerschein ergebe. Dort ist als Wohnort: „V …“ und als Ausstellungsbehörde „…O …“ vermerkt. Als Aufenthaltsadresse auf der Bescheinigung zum vorübergehenden Aufenthalt ist „…, Kreis S …“ eingetragen. Wenn sich der Kläger seit dem 21. Juli 2008 (bis zum 30. November 2009 - Datum der Unterschrift) tatsächlich vorübergehend an dieser Adresse aufgehalten haben sollte, so hätte auch im Führerschein vom 11. Februar 2009 dieser Ort erscheinen müssen. Die Erklärung des Klägers im Klageverfahren (Schreiben des Bevollmächtigten vom 11. Februar 2020) überzeugt nicht: So gab der Kläger an, dass er sich seit dem Frühsommer 2008 mehr oder weniger ständig in O … bei seiner Bekannten aufgehalten habe. Die Frau soll im Frühjahr 2008 in O …gewohnt haben und einige Monate später nach S … gezogen sein. Dies erklärt zwar, warum bei der Adresse des vorübergehenden Aufenthalts S … ab 21. Juli 2008 erscheint, nicht aber, warum im Februar 2009 noch als Wohnort: „V …“ und als Ausstellungsbehörde „…O …“ in den Führerschein eingetragen wurden, wo doch selbst die Bekannte des Klägers dort nicht mehr gewohnt haben soll. Auf Grund der Widersprüchlichkeiten würdigt das Gericht den Vortrag, sich überwiegend bei der Bekannten aufgehalten zu haben, als reine Schutzbehauptung, die auf einen Scheinwohnsitz hinweist.
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Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, hat der Kläger vorliegend keinen Anspruch auf Umschreibung seiner tschechischen Fahrerlaubnis.
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4. Die Kostenentscheidung erging ebenfalls rechtmäßig. Die Auferlegung der Gebühren erfolgt nach § 6 a Abs. 1 Nr. 1 StVG i.V. m. §§ 1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr. Die Gebühr in Höhe von 100 Euro liegt im Gebührenrahmen, den Anlage 1 Nr. 206 zur Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr vorgibt. Der Kläger hat die Auslagen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr zu tragen.
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Der Kläger trägt als unterliegender Beteiligter die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung basiert auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.