Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 09.12.2020 – B 4 K 18.539
Titel:

Keine Straßenreinigungspflicht bei außerörtlichem Grundstück

Normenketten:
BayKAG Art. 2 Abs. 1 S. 1, Art. 8 Abs. 1 S. 1
BayStrWG Art. 4 Abs. 1 S. 2, S. 3, Art. 51 Abs. 4
Leitsätze:
1. Im Straßenrecht ist eine „geschlossene“ Ortslage der Teil des Gemeindegebiets, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend gebaut ist. Einzelne unbebaute Grundstücke, zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände oder einseitige Bebauung unterbrechen den Zusammenhang nicht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Reinigungspflicht des Straßenanliegers setzt voraus, dass sich nicht nur sein Grundstück sondern auch die streitbefangene Straße innerhalb der geschlossenen Ortslage befindet und nicht nur an ihr vorbeiführt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Straßenreinigungsgebühr, Geschlossene Ortslage, Reinigungspflicht, Straßenanlieger, Außenbereich, geschlossene Ortslage
Fundstelle:
BeckRS 2020, 46085

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 26.04.2018 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Erhebung einer Straßenreinigungsgebühr durch den Bescheid des Beklagten vom 26.04.2018.
2
Der Kläger ist Eigentümer des landwirtschaftlich genutzten Grundstücks Flurnummer aaa, Gemarkung B …, das an einer Gemeindeverbindungs straße liegt.
3
Mit Bescheid vom 26.04.2018 setzte das …, Kommunalunternehmen der Stadt W …, gegenüber dem Kläger eine Gebühr in Höhe von 48,25 EUR für die Straßenreinigung für die Zeit vom 06.08.2017 bis 31.12.2017 für das o.g. Grundstück fest. Die Berechnung und Erhebung erfolgte nach der Satzung über die Straßenreinigung in der Stadt W … durch das … (Straßenreinigungssatzung-SRS) vom 21.07.2017 i.V.m. der Satzung über die Erhebung einer Straßenreinigungsgebühr in der Stadt W … durch das … (Straßenreinigungsgebührensatzung-SRGS) vom 21.07.2017, in ihrer jeweils gültigen Fassung, auf Namen und Rechnung des … AöR.
4
Mit Schreiben vom 13.05.2018, eingegangen bei dem … am 14.05.2018, erhob der Kläger Widerspruch gegen den o.g. Gebührenbescheid.
5
Mit Schreiben vom 14.06.2018 wurde der fristgerechte Eingang des Widerspruchs bestätigt. Dem Kläger wurde mitgeteilt, dass dem Widerspruch nicht abgeholfen werde. Er wurde aufgefordert, den Widerspruch bis zum 06.07.2018 zurückzunehmen.
6
Mit Schriftsatz vom 26.05.2018, beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am 28.05.2018, erhob der Kläger Klage und beantragte sinngemäß,
den Gebührenbescheid des Beklagten vom 26.04.2018 aufzuheben.
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Zur Begründung führte der Kläger aus, es bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheides und der Berechnungsgrundlagen. Bei der besagten Liegenschaft handele es sich um ein rein landwirtschaftlich genutztes Grundstück, das außerhalb des Ortes an der Zufahrts- und Durchgangsstraße liege.
8
Der Beklagte beantragte mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 30.07.2018,
die Klage abzuweisen.
9
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Stadt W … habe der … die Befugnis zum Erlass einer „Satzung über die Straßenreinigung in der Stadt W …“ und zum Erlass einer „Satzung für die Erhebung einer Straßenreinigungsgebühr in der Stadt W …“ übertragen. Noch vor der Aufgabenübertragung an das Kommunalunternehmen habe die Stadt W … am 31.10.2016 eine „Verordnung über die Reinhaltung und Reinigung der öffentlichen Straßen und die Sicherung der Gehbahnen im Winter“ (Straßenreinigungs- und Sicherungsverordnung) erlassen.
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Der Beklagte betreibe im Rahmen seiner Aufgabenzuweisung eine Straßenreinigungsanstalt als öffentliche Einrichtung. Diese führe im Anschlussgebiet die Reinigung für die nach der städtischen Verordnung 2016 Pflichtigen durch. Wer im Reinigungsgebiet liege, sei zum Anschluss und zur Benutzung der kommunalen Reinigungsanstalt nach § 3 SRS verpflichtet.
11
Der Kläger unterliege nach der Straßenreinigungs- und Sicherungsverordnung der Stadt W … der Reinigungspflicht. Sein unbebautes Grundstück liege noch innerhalb der geschlossenen Ortslage an einer reinigungspflichtigen Ortsstraße. Als Eigentümer sei er zu der Straßenreinigungsgebühr heranzuziehen. Eine landwirtschaftliche Nutzung schließe dies nicht aus. Die Heranziehung des Klägers zu einer Straßenreinigungsgebühr auf Grundlage des Satzungsrechts für die Benutzung der Straßenreinigungsanstalt des Beklagten sei rechtmäßig.
12
Da der Kläger Widerspruch eingelegt habe, sei das Widerspruchsverfahren durchzuführen. Die Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage nach § 75 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) lägen nicht vor, seit Erhebung des Widerspruchs seien noch keine drei Monate verstrichen. Für das weitere Vorbringen wird auf den Schriftsatz vom 30.07.2018 Bezug genommen.
13
Mit Schriftsatz vom 08.08.2018 wurden zwei Lichtbilder, ein Luftbild und ein Katasterplan vorgelegt. Ein Lichtbild verdeutliche, dass das herangezogene Grundstück des Klägers mit 85,19 m Frontlänge innerhalb der geschlossenen Ortslage des Stadtteiles S … liege (Anlage B 1). Mit dem weiteren Lichtbild werde die Bedeutung der Reinigung gerade bei landwirtschaftlichem Verkehr belegt (Anlage B 4).
14
Mit Schriftsatz vom 10.04.2019 teilte der Kläger mit, dass vorsorglich eine Untätigkeitsklage erhoben werde. Bezüglich des weiteren Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 10.04.2010 Bezug genommen.
15
Mit Schreiben vom 12.11.2019 übersandte das Landratsamt W … die Widerspruchsakte und teilte gleichzeitig mit, der Erlass eines Widerspruchsbescheides sei nicht beabsichtigt. Seitens des Beklagten werde eine gerichtliche Entscheidung des Sachverhalts gewünscht.
16
Mit Schriftsatz vom 09.12.2020, auf den Bezug genommen wird, trug der Kläger im Wesentlichen vor, sein Grundstück befinde sich nicht innerörtlich an der Orts straße, sondern außerörtlich an der Zufahrts straße. Die Lage des zufällig aufgestellten Ortsschilds entscheide nicht über die Zugehörigkeit eines Grundstücks zur geschlossenen Ortslage.
17
Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 09.12.2020 Bezug genommen. Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

18
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO statthaft. Der Kläger hat mit Schreiben vom 13.05.2018 Widerspruch eingelegt und mit Schreiben vom 26.05.2018, noch bevor über den Widerspruch entschieden wurde, Klage erhoben. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, auf den nach h.M. abzustellen ist (Kopp, VwGO, 26. Auflage, § 75 Rn. 2), war über den Widerspruch ohne sachlichen Grund innerhalb einer angemessenen Frist (gemäß § 75 Satz 2 VwGO drei Monate) nicht entschieden worden. Im Übrigen hat die Widerspruchsbehörde bereits mit Schreiben vom 12.11.2019 mitgeteilt, dass ein Widerspruchsbescheid nicht erlassen wird.
19
2. Die Klage ist auch begründet. Der Gebührenbescheid über Straßenreinigung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage für die Erhebung der Straßenreinigungsgebühr ist Art. 2 Abs. 1 Satz 1, Art. 8 Abs. 1 Satz 1 KAG.
21
Danach kann der Beklagte aufgrund einer besonderen Abgabensatzung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 KAG gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 KAG für die Benutzung seiner öffentlichen Einrichtungen und seines Eigentums Benutzungsgebühren erheben. Zu diesen Einrichtungen zählt auch die von dem Beklagten betriebene Straßenreinigungsanstalt, die gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Satzung über die Straßenreinigung in der Stadt W … durch das … (Straßenreinigungssatzung - SRS) vom 21.07.2017 als öffentliche Einrichtung betrieben wird.
22
Der Beklagte hat entsprechend seiner ihm von der Stadt W … übertragenen Befugnis die Satzung für die Erhebung einer Straßenreinigungsgebühr in der Stadt W … durch das … (Straßenreinigungsgebührensatzung - SRGS) vom 21.07.2017 erlassen.
23
Gemäß § 1 SRGS erhebt der Beklagte für die Benutzung der Straßenreinigungsanstalt Gebühren von den gemäß § 2 SRGS zur Benutzung der Straßenreinigungsanstalt Verpflichteten (Gebührenschuldnern). Benutzungspflichtig sind gemäß § 3 SRS die Personen, denen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Straßenreinigungs- und Sicherungsverordnung für die im Anschlussgebiet liegenden Straßen die Reinigungspflicht obliegt. Das sind die Eigentümer und die zur Nutzung dinglich Berechtigten von Grundstücken, die innerhalb der geschlossenen Ortslage an die im Straßenreinigungsverzeichnis (Anlage 1) aufgeführten öffentlichen Straßen angrenzen.
24
Der Begriff der „geschlossenen Ortslage“ ist in Art. 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 BayStrWG definiert und in § 2 Abs. 3 Straßenreinigungs- und Sicherungsverordnung wortgleich übernommen worden. Danach ist eine „geschlossene“ Ortslage der Teil des Gemeindegebiets, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend gebaut ist. Einzelne unbebaute Grundstücke, zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände oder einseitige Bebauung unterbrechen den Zusammenhang nicht. Es handelt sich insoweit um eigenständige straßenrechtliche Begriffe (BayVGH U v.18.08.2016, 8 B 15.2552, Rn. 47, beck-online).
25
Die Reinigungspflicht des Straßenanliegers setzt voraus, dass sich nicht nur sein Grundstück sondern auch die streitbefangene Straße innerhalb der geschlossenen Ortslage befindet und nicht nur an ihr vorbeiführt. Grundstücke im Sinne des Art. 51 Abs. 4 BayStrWG grenzen nur innerhalb der geschlossenen Ortslage an öffentliche Straßen an, wenn die Straße „durch“ eine geschlossene Ortslage und nicht nur an einer geschlossenen Ortslage vorbeiführt, selbst aber im straßenrechtlichen Außenbereich verläuft (BayVGH U v.18.08.2016, 8 B 15.2552, Rn. 49, beck-online).
26
Entscheidend ist im Einzelfall, ob am fraglichen Standort der Eindruck vorherrscht, sich im freien Gelände zu befinden. Es ist auch vorstellbar, die eine Straßenseite als innerhalb, die andere dagegen als außerhalb der geschlossenen Ortslage anzusehen (Zeitler/Schmidt, 30. EL März 2020, BayStrWG Art. 51 Rn. 92, März 2020).
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Gemessen an diesen Grundsätzen ist der Kläger als Eigentümer des Grundstücks Flurnummer aaa, Gemarkung B…, nicht zur Benutzung der Straßenreinigungsanstalt verpflichtet und folglich nicht Gebührenschuldner.
28
Zwar liegt sein Grundstück in B …, Ortsteil S …, im Anschlussgebiet des § 2 Abs. 1 Satz 1 SRS i.V. m. dem Straßenverzeichnis (vgl. Anlage zur Satzung), jedoch nicht in einem Teil des Gemeindegebiets, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend gebaut ist. Das ergibt sich aus den vorgelegten Lageplänen und Luftbildern.
29
Betrachtet man die östliche Straßenseite der Gemeindeverbindungs straße, an der das landwirtschaftlich genutzte Grundstück des Klägers angrenzt, so ist auf dieser Seite im Ortsteil S … überhaupt keine zusammenhängende Bauweise ersichtlich. Das nächste Gebäude liegt ca. 50 m nördlich, im weiteren Straßenverlauf folgen unbebaute Grundstücke bis nach ca. 150 m ein zweites Gebäude zu sehen ist. An der nördlichen Grenze des klägerischen Grundstücks verläuft der öffentliche Feld- und Waldweg Fl. Nr. bbb, der eine Zäsur in Richtung des Ortsteils darstellt. Auch das nördlich dieses Weges liegende Grundstück Fl. Nr. ccc ist landwirtschaftlich genutzt und unbebaut (vgl. Luftbild Bayernatlas).
30
Eine zusammenhängende Bebauung gibt es nur auf der gegenüberliegenden, westlichen Straßenseite der Gemeindeverbindungs straße. Diese Bebauung endet aber mit dem letzten Haus auf Höhe der nördlichen Grundstücksecke des klägerischen Grundstücks. Danach beginnt in südlicher Richtung der Außenbereich.
31
In der Gesamtschau ergibt sich bei der Betrachtung der Lagepläne und Luftbilder, dass sich das Grundstück des Klägers im freien Gelände und nicht innerhalb geschlossener Ortslage befindet.
32
Damit ist der Kläger ist für sein Grundstück nicht reinigungspflichtig gemäß § 4 Straßenreinigungs- und Sicherungsverordnung. Folglich ist er nicht gemäß § 3 SRS zur Benutzung der gemeindlichen Straßenreinigungsanstalt verpflichtet und damit auch nicht gebührenpflichtig gemäß § 2 SRGS.
33
Der streitgegenständliche Gebührenbescheid zur Straßenreinigung war somit aufzuheben und der Klage stattzugeben.
34
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.