Inhalt

LG München II, Endurteil v. 12.11.2020 – 5 O 172/20 Bau
Titel:

Widerruf eines Werkvertrages über Lieferung und Einbau einer Holztreppe

Normenkette:
BGB § 242, § 312g Abs. 1, § 355 Abs. 3, § 631
Leitsätze:
1. Die Bereichsausnahme des § 312 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist dahingehend restriktiv auszulegen, dass darunter nur Maßnahmen fallen, die dem Bau eines Gebäudes gleich stehen. Nicht darunter fallen demzufolge Instandsetzung - oder Renovierungsarbeiten. Eine Treppenrenovierung greift nicht derart tief in die Substanz eines Gebäudes ein, dass sie dem Bau eines neuen Gebäudes gleichgestellt werden könnte. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist von einem Werkvertrag gemäß § 631 BGB auszugehen, wenn der Schwerpunkt der zu erbringenden Leistungen nicht auf der Lieferung der Treppe, sondern auf dem Einbau liegt und nicht eine Treppe „von der Stange“ geschuldet ist, sondern eine maßgefertigte Treppe. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein das Fehlen eines sachlichen Grundes reicht für die Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung durch Ausübung eines Widerrufsrechts nicht aus, da das Widerrufsrecht an keine Voraussetzungen (etwa eine Vertragsverletzung des Unternehmers) geknüpft ist. Lediglich bei einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Unternehmers kann der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung durchgreifen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Verbraucher den Unternehmer zu sich einlädt und schon zu diesem Zeitpunkt plant, den Vertrag nach Erbringung der Werkleistung zu widerrufen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Werkvertrag, Bereichsausnahme, maßgefertigte Treppe, Widerrufsrecht, unzulässige Rechtsausübung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Verfügung vom 22.02.2021 – 28 U 7186/20 Bau
OLG München, Beschluss vom 24.03.2021 – 28 U 7186/20 Bau
Fundstelle:
BeckRS 2020, 45372

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.967,94 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.09.2019 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Widerklage wird abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 19.925,07 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die den Werklohn aus dem Einbau einer Treppe durch die Beklagte in das Haus des Klägers. Der Kläger begehrt die Rückzahlung des bereits gezahlten Werklohns, die Beklagte begehrt im Rahmen der Widerklage noch ausstehenden Werklohn.
2
Der Kläger kontaktierte 2018 die Beklagte, um in dem von ihm bewohnten Haus in der Alten P. straße 45 in B. eine Massivholztreppe vom Keller bis ins Dachgeschoss einbauen zu lassen. Am 23.08.2018 erschien der Geschäftsführer der Beklagten gemeinsam mit seiner Ehefrau auf Einladung des Klägers bei diesem zuhause, um das Aufmaß zu nehmen. Im Rahmen dieses Termins wurde - immer noch im Haus des Klägers - ein mit „Angebot 3“ überschriebenes Schriftstück von beiden Seiten unterschrieben (Anlage K1). Auch wenn dieses Angebot alle wesentlichen Vertragsinhalte enthält, war beiden Parteien zu diesem Zeitpunkt klar, dass in der Folge noch Details geklärt werden sollten. Eine Belehrung über ein Widerrufsrecht durch den Geschäftsführer der Beklagten fand am 23.08.2018 nicht statt. In der Folge übersandte die Beklagte aufgrund der noch zu klärenden Details ein „Angebot 4“, bevor eine endgültige Einigung über das „Angebot 5“ zustande kam. Dieses übersandte die Beklagte am 12.10.2018 an den Kläger, der dieses per Post unterschrieben an die Beklagte zurücksandte. Im Januar 2019 wurde die alte Treppe durch die Beklagte aus- und die neue Treppe geliefert und eingebaut. Die Abnahme wurde am 30.01.2019 erklärt. Nachdem der Kläger bereits eine Abschlagszahlung in Höhe von 15.967,94 € geleistet hatte, stellte die Beklagte unter dem 11.02.2019 die Schlussrechnung in Höhe von insgesamt 19.924,06 €, mit der sie abzüglich der Abschlagszahlung einen Betrag in Höhe von 3.957,12 € forderte. Mit Schreiben vom 10.07.2019, zugestellt am 11.07.2019, erklärte der Kläger den Widerruf des Vertrages und forderte mit Schreiben vom 06.08.2019 die Beklagte zur Rückzahlung der Abschlagszahlung bis 12.08.2019 auf.
3
Der Kläger behauptet, die Treppe sei mangelhaft. Er habe die Beklagte aufgefordert, nachzubessem. Dies sei jedoch durch die Beklagte abgelehnt worden. Worin die Mängel bestehen, brachte der Kläger nicht vor.
4
Der Kläger ist der Auffassung, die Ausübung seines Widerrufsrechts stelle keine unzulässige Rechtsausübung dar. Das Widerrufsrecht bestünde trotz der Spezifizierung durch das Unterschreiben des „Angebots 5“.
5
Mit Schriftsatz vom 11.03.2020 hat die Beklagte Widerklage auf Zahlung des ausstehenden Werklohns erhoben.
6
Der Kläger beantragt:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.967,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 13.08.2019 zu zahlen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
7
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
8
Im Rahmen der Widerklage beantragt die Beklagte:
9
Der Kläger und Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte und Widerklägerin einen Betrag in Höhe von 3.957,13 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 27.06.2019 zu bezahlen.
10
Der Kläger beantragt insofern Widerklageabweisung.
11
Die Beklagte ist der Ansicht, dass mit der Einigung auf das Angebot 5 ein neuer Vertrag zustande gekommen sei. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Hausbesuch nicht der Vertragspraxis der Beklagten entspreche, sondern der Geschäftsführer auf expliziten Wunsch des Klägers erschienen sei.
12
Das Gericht hat am 10.09.2020 einen Haupttermin durchgeführt, dort jedoch keine Beweise erhoben. Zur Vervollständigung des Sach- und Streitstandes wird auf die Klageschrift vom 14.01.2020, die Klageerwiderung bzw. Widerklageschrift vom 11.03.2020 sowie die Schriftsätze vom 25.03.2020, vom 29.04.2020 sowie vom 10.08.2020 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13
Die Klage ist zulässig und teilweise begründet, die Widerklage ist zulässig, jedoch unbegründet.
14
A. Die zulässige Klage ist begründet.
15
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 15.967,94 € aus den §§ 312 g Abs. 1, 355 Abs. 3 Satz 1 BGB. Zwischen den Parteien besteht ein Rückgewährschuldverhältnis gemäß § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB.
16
I. Das Widerrufsrecht besteht. Dem Kläger steht ein Widerrufsrecht gemäß §§ 312 g Abs. 1, 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB zu.
17
1. Der Anwendungsbereich der besonderen Vorschriften des BGB über die Verbraucherverträge ist eröffnet. Beim Kläger handelt es sich um einen Verbraucher (§ 13 BGB), die Beklagte ist eine Unternehmerin (§ 14 BGB). Zwischen den Parteien war eine entgeltliche Leistung vereinbart, mithin die Lieferung und der Einbau einer Holztreppe. Die Anwendbarkeit des § 312 b BGB ist auch nicht ausgeschlossen gemäß § 312 Abs. 2 Nr. 3 BGB. Es handelt sich vorliegend nicht um einen Vertrag „über den Bau von neuen Gebäuden oder erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden“. Diese Bereichsausnahme für Verbraucherbauverträge sollte ausweislich des Erwägungsgrundes 26 zur Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher (Verbraucherrechterichtlinie) nicht solche Verträge umfassen, für die es bereits eine Vielzahl innerstaatlicher Rechtsvorschriften gibt. Da hierbei insbesondere auf die besonderen Vorschriften betreffend den Bau eines Gebäudes abgestellt wird, ist der Begriff „erhebliche Umbaumaßnahmen“ auch dahingehend restriktiv auszulegen, dass darunter nur Maßnahmen fallen, die dem Bau eines Gebäudes gleich stehen. Nicht darunter fallen demzufolge Instandsetzung - oder Renovierungsarbeiten (Palandt, § 650, Rn. 4; BGH, Urteil v. 30.08.2018, VII ZR 243/17). Eine Treppenrenovierung greift nicht derart tief in die Substanz eines Gebäudes ein, dass sie dem Bau eines neuen Gebäudes gleichgestellt werden könnte.
18
2. Das Widerrufsrecht ist nicht gemäß § 312 g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen. Gem. § 312 g Abs. 2 Nr. 1 BGB besteht ein Widerrufsrecht nicht für Verträge zur Lieferung von Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Bestimmung durch den Verbraucher maßgeblich ist oder die eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Verbrauchers zugeschnitten sind. Nach dem Wortlaut und in Übereinstimmung mit dem Text der Verbraucherrechterichtlinie sind damit nur Kaufverträge gemäß § 431 BGB sowie Werklieferungsverträge gemäß § 651 BGB gemeint (BGH, Urteil v. 30.08.2018, VII ZR 243/17). Vorliegend wurde jedoch nicht ein Werklieferungsvertrags abgeschlossen, sondern ein Werkvertrag gemäß § 631 BGB. Der Schwerpunkt der zu erbringenden Leistungen liegt hier nicht auf der Lieferung der Treppe, sondern auf dem Einbau. Ausweislich der vertraglichen Grundlagen (Anlage K1, Anlage B2) war nicht eine Treppe „von der Stange“ geschuldet, sondern eine maßgefertigte Treppe. Zudem war neben dem Einbau auch der Ausbau der alten Treppe geschuldet.
19
3. Die Voraussetzungen des § 312 b BGB liegen vor. Der Vertrag wurde auch an einem Ort geschlossen, der kein Geschäftsraum des Unternehmers war, § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB, nämlich am 23.08.2018 im Wohnhaus des Klägers in der Alten P. straße 45 in B.. Nach übereinstimmenden Vortrag beider Parteien wurden an diesem Tag die Unterschriften beider Seiten geleistet, sodass es auf die Einvernahme der Zeugin K., die zu den Umständen des Vertragsschlusses am 23.08.2018 angeboten war, nicht mehr ankam. Die jeweiligen Behauptungen der Parteien zu den Vorgängen am 23.08.2018 blieben unbestritten.
20
Entgegen der Argumentation der Beklagten ist hier nicht § 150 Abs. 2 BGB einschlägig. In der Vorlage eines neuen, abändernden Angebots kann nicht eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen im Sinne dieser Vorschrift gesehen werden, wenn bereits zuvor beide übereinstimmenden Willenserklärungen abgegeben wurden. Vielmehr wurden am 23.08.2018 nach unbestritten gebliebenen Vortrag des Klägers bewusst einige Details offen gelassen. Der Auftrag sollte jedoch wegen der langen Lieferfristen schon erteilt werden. Gemäß §§ 133, 157 BGB ist der Vertragsinhalt also dahingehend auszulegen, dass die Parteien sich jedenfalls schon einmal aneinander vertraglich binden wollten, jedenfalls also zwischen den Parteien ein Vertrag über den Einbau einer Treppe bestehen sollte. Einigung wurde darüber hinaus aber auch über die konkrete Treppe erzielt. Diese wurde durch die Beklagte im Anschluss an den Termin vom 23.08.2018 beim Hersteller in Auftrag gegeben und unterfiel in der Folge dementsprechend auch nicht den Änderungen durch „Angebot 4“ (Anlage B1) und „Angebot 5“ (Anlage B2). Wenn nun die Parteien in der Folge Einigkeit über das Angebot 5 erlangt haben, ist darin keine Aufhebung des Vertrags vom 23.08.2018 zu sehen. Aufgrund der schon weitgehenden Einigung über maßgebliche Positionen des Vertrages und insbesondere aufgrund der übereinstimmenden mündlichen Erklärung der Parteien, dass es noch zur Detailabstimmung kommen werde, ist darin lediglich ein Vertragszusatz zu sehen. Die Änderungen betreffen lediglich den Handlauf der Treppe sowie die Rohbautreppe. Das Interesse der Beklagten ging gemäß §§ 133, 157 BGB aufgrund des Umstands, dass sie bereits selbst Verbindlichkeiten gegenüber dem Hersteller der Treppe eingegangen ist, nicht dahin, dass ein komplett neuer Vertrag abgeschlossen werden würde. Dies würde bedeuten, dass sie am alten Vertrag nicht hätte festhalten wollen, wenn der Kläger eine Bindung an diesen nicht mehr gewollt hätte. Ebenso gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Kläger eine grundsätzliche Bindung an das unterzeichnete „Angebot 3“ nicht mehr wollte.
21
4. Das Widerrufsrecht ist nicht durch die Einigung über die noch ausstehenden Details durch Unterzeichnung des „Angebots 5“ ausgeschlossen. Das Angebot 5 ist unstreitig nicht unter den Voraussetzungen des § 312 b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB zustande gekommen, da die Parteien hier nicht gleichzeitig körperlich anwesend waren. Trotz der Übersendung des Angebotes per E-Mail und der Rücksendung per Brief liegt kein Fernabsatzvertrag im Sinne des § 312 c BGB vor, da bereits zuvor während der Vertragsanbahnung persönliche Kontakte zwischen den Parteien stattgefunden haben (Palandt § 312 c, Rn. 4). Durch die Unterzeichnung des Angebots 5 außerhalb einer besonders schützenswerten Situation verwirkt der Verbraucher jedoch nicht das Widerrufsrecht. Die §§ 312 ff. BGB bzw. die Vorschriften der zugrunde liegenden Verbraucherrechterichtlinie bezwecken einen möglichst weitgehenden Schutz von Verbrauchern. Wie bereits ausgeführt stand bei der Unterzeichnung des „Angebots 5“ nicht die grundsätzliche vertragliche Bindung zur Disposition, es sollten lediglich die vorher bewusst offengelassenen Details festgelegt werden. Der weitgehende Schutz vor Überrumpelungssituationen greift auch hier. Wenn ein Verbraucher sich unter den situativen Voraussetzungen des § 312 b BGB vertraglich an einen Unternehmer gebunden hat, so kann durch geringfügige Änderungen dieses Vertrags die Möglichkeit des Verbrauchers, den Vertrag zu widerrufen, nicht wegfallen. Denn auch im Rahmen der Einigung über die Details wird die Überrumpelungswirkung regelmäßig noch fortwirken. Solange der Vertrag, der in einer Situation geschlossen wurde, in der die Gefahr der Überrumpelung bestand, dem Grunde nach und in seinen wesentlichen Teilen bestehen bleibt, wohnt ihm der Makel des Vertragsabschlusses inne. Etwas anderes kann daher nur gelten, wenn der gesamte Vertrag erneut zur Disposition steht und der Verbraucher erneut und ohne jegliche Bindung an vorherige Willenserklärungen über den Abschluss entscheiden kann. Dies ist hier nicht der Fall, siehe oben. Das gegenteilige Ergebnis hätte zudem erhebliches Missbrauchspotenzial und würde den bezweckten weitgehenden Schutz des Verbrauchers aushöhlen.
22
Etwas anderes gilt schließlich auch nicht unter Berücksichtigung des Umstands, dass hier der Geschäftsführer der Beklagten durch den Kläger eingeladen wurde. Sicherlich besteht eine höhere Überrumpelungsgefahr, wenn ein Unternehmer ohne vorherige Anmeldung an der Haustür des Verbrauchers erscheint. Auch bei der vorliegenden Situation besteht jedoch eine Überrumpelungsgefahr. Im Gegensatz zum Vertragsschluss im Geschäftsraum des Unternehmers, bei dem ihm stets die Möglichkeit bleibt, sich durch Verlassen des Geschäftsraums dem Vertragsschluss zu entziehen, ist ihm diese Möglichkeit bei einem Vertragsschluss in den eigenen Wohnräumen verwehrt. Dabei ist es irrelevant, auf wessen Geheiß der Unternehmer beim Verbraucher erscheint. Es besteht schlicht eine höhere psychologische Schwelle zur Beendigung Verkaufsgesprächs, da der Verbraucher den Unternehmer bitten müsste, das Haus zu verlassen. Des Weiteren ist § 312 b BGB auch richtlinienkonform auszulegen. Der Erwägungsgrund 21 der Verbraucherrechterichtlinie stellt hierzu klar, dass es „keine Rolle spielt, ob der Verbraucher den Besuch des Unternehmers herbeigeführt hat oder nicht“. Zu einem Erlöschen des Widerrufsrechts führt auch nicht die Vorschrift des § 356 Abs. 4 BGB. Diese ist ausweislich des klaren Wortlauts nur auf Dienstverträge anzuwenden, eine analoge Anwendung auf Werkverträge verbietet sich aufgrund des klaren Wortlauts und der Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Auslegung.
23
5. Eine ordnungsgemäße Widerrufserklärung liegt vor. Der Widerruf wurde durch den Kläger am 10.07.2019 erklärt, das Schreiben wurde am 11.07.2019 zugestellt, § 355 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Erklärungsinhalt genügt den Anforderungen des § 385 Abs. 1 Satz 3 BGB. Die Widerrufsfrist, die sich hier nicht nach § 354 Abs. 2 BGB, sondern aufgrund des Fehlens von Belehrungen über den Widerruf nach § 356 Abs. 3 BGB richtet, ist eingehalten. Der Widerruf wurde innerhalb der Frist von 12 Monaten und 14 Tagen nach dem Vertragsschluss erklärt.
24
6. In der Erklärung des Widerrufs ist auch kein Fall der unzulässigen Rechtsausübung im Sinne des § 242 BGB zu sehen. Das Gericht hatte dabei zu beachten, dass der Widerruf nicht nur nach Einbau der Treppe, sondern sogar nach der Abnahme erklärt wurde und dass Hintergrund der Widerrufserklärung die behaupteten, jedoch nicht näher spezifizierten Mängel an der Treppe sein dürften. Allein das Fehlen eines sachlichen Grundes reicht für die Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung jedoch nicht aus, da das Widerrufsrecht an keine Voraussetzungen (etwa eine Vertragsverletzung des Unternehmers) geknüpft ist. Lediglich bei einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Unternehmers kann der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung durchgreifen (BeckOGK/Mörsdorf BGB § 355 Rn. 89). Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der Verbraucher den Unternehmer zu sich einlädt und schon zu diesem Zeitpunkt plant, den Vertrag nach Erbringung der Werkleistung zu widerrufen. Ein derartiges arglistiges Verhalten des Klägers wurde durch den Beklagten nicht vorgebracht, geschweige denn nachgewiesen.
25
Auch unter Berücksichtigung des Zeitmoments gilt nichts anderes. Die gesetzliche Systematik erlaubt es dem Verbraucher, innerhalb von 12 Monaten und 14 Tagen zu widerrufen, § 356 Abs. 3 Satz 2 BGB. Ein darüber hinausgehender Schutz findet keine Entsprechung im Gesetz. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es der Unternehmer durch eine ordnungsgemäße Belehrung in der Hand hat, eine deutlich kürzere Frist von 14 Tagen herbeizuführen. Die Gefahr, eine Werkleistung zu erbringen, und nach Abnahme sich einem Widerruf des Vertrags ausgesetzt zu sehen, kann dadurch vermieden werden.
II. Rechtsfolge
26
Gemäß § 357 Abs. 1 BGB hat die Beklagte die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren, mithin die bereits erbrachte Werklohnzahlung in Höhe von 15.967,94 € an den Kläger zurückzuzahlen. Zwar müsste die Beklagte die Treppe wieder ausbauen dürfen (wobei sie den ursprünglichen Zustand wieder herstellen müsste), Wertersatz steht ihr jedoch mangels Anspruchsgrundlage in § 357 Abs. 7, Abs. 8 BGB nicht zu. Im Ergebnis wird der Kläger also die Treppe mangels Interesse des Beklagten an der maßangefertigten Treppe behalten können, ohne dafür einen Werklohn gezahlt zu haben. Dieses Ergebnis mag auf den ersten Blick unbillig erscheinen, ist jedoch vom Gesetz- bzw. Richtliniengeber so beabsichtigt. Es liegt keine planwidrige Regelungslücke vor. Zwar umfasst die Pflicht zum Ersatz des Wertes gemäß § 357 Abs. 7 BGB nicht den Fall, dass der Unternehmer aus anderen Gründen als der übermäßigen Benutzung nichts mehr mit der zurückerhaltenen Ware anfangen kann. Nicht umfasst sind demnach insbesondere die Fälle, in denen der Werkunternehmer eine Maßanfertigung leistet, die er nicht mehr weiterverkaufen kann bzw. nicht mehr woanders einbauen kann. Dabei ist auch zu beachten, dass es gerade die Fälle sind, die nicht unter die Bereichsausnahme des § 312 g Abs. 2 Satz 1 Nummer 1 BGB fallen, weil es sich um Werkverträge und nicht um Kauf- oder Werklieferungsverträge handelt. Die Zahl dieser Fälle dürfte beträchtlich sein, da wohl die meisten Werkverträge hierunter fallen dürften. Diese Regelungslücke ist jedoch nicht planwidrig. Vielmehr bestand bis 2014 gemäß § 357 Abs. 1 BGB a.F. im Rahmen der Rechtsfolgen des Widerrufs ein Verweis auf die gesetzlichen Vorschriften zum Rücktritt, §§ 346 ff. BGB. Der Verbraucher hatte dann jegliche Nutzungen zu erstatten, insbesondere auch solche, die mit einer bestimmungsgemäßen Benutzung einhergehen. Weiter war Wertersatz auch zu leisten, wenn die Herausgabe des Gegenstands nach der Natur des Erlangten nicht möglich war, worunter auch Werkleistungen fielen, die untrennbar mit anderen Sachen verbunden sind (BeckOK BGB/H. Schmidt BGB § 346 Rn. 50). Diesen Verweis hat der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 357 BGB ab dem 13.06.2014 bewusst aufgegeben. Der Umstand, dass eine Verpflichtung des Verbrauchers zur Leistung von Nutzungswertersatz nur noch äußerst begrenzt besteht, ist somit durch den Gesetzgeber gewollt. Dem zugrunde lag auch, dass der EuGH mit Urteil vom 03.09.2009 entschied, dass eine Auferlegung eines pauschalen Wertersatzes für die Nutzungsmöglichkeit der Ware während der Besitzzeit europarechtswidrig ist (EuGH, NJW 2009, 3015, Rn. 22).
27
Letztlich würde auch eine analoge Anwendung des § 357 Abs. 7 BGB der Beklagten hier nicht weiterhelfen, da die Vorschrift nur gilt, wenn eine Unterrichtung über das Widerrufsrecht stattgefunden hat. Diese Vorschrift kann ebenfalls harte Ergebnisse nach sich ziehen. Auch dies ist aber gewollt, denn der Verbraucherrechterichtlinie liegt auch zugrunde, dass Sanktionen gegen Verstöße gegen die Richtlinie „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“ sollen (Erwägungsgrund 57). Unternehmer sollen also „erzogen“ werden, eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung zu erteilen. Der dem § 357 BGB zugrunde liegende Art. 14 der Verbraucherrechterichtlinie statuiert so auch in Abs. 2 Satz 2 in eindeutiger Weise: „der Verbraucher haftet in keinem Fall für den Wertverlust der Waren, wenn er vom Unternehmer nicht gemäß Art. 6 Absatz 1 über sein Widerrufsrecht belehrt wurde“. Die erheblichen Folgen im Falle einer fehlenden Widerrufsbelehrung hat der Unternehmer nach dem Willen des Gesetz- bzw. Richtliniengebers zu tragen.
28
Auf die Frage, ob die Treppe mangelhaft ist, kam es daher nicht mehr an.
29
B. Dem Kläger stehen zudem Zinsen aus der Klagesumme seit 07.09.2019 zu.
30
Der Anspruch besteht gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 3, 288 Abs. 1 BGB. Der Kläger forderte mit Schreiben vom 06.08.2019 (Anlage K5) die Beklagte auf, den Betrag in Höhe von 15.967,94 € bis spätestens 12.08.2019 zurückzuzahlen. Diese Summe war zwar gem. § 357 Abs. 1 BGB 14 Tage nach Widerruf, mithin seit dem 26.07.2019 fällig, eine Mahnung ist in diesem Schreiben jedoch nicht zu sehen. Es handelt sich dabei vielmehr um eine Rechnung unter Angabe eines Zahlungsziels, da es sich um das erste Schreiben handelt, das die Forderung enthält. Für den Eintritt des Schuldnerverzugs genügt jedoch die Übersendung einer Rechnung mit der einseitigen Bestimmung eines Zahlungsziels seitens des Gläubigers nicht (BGH, Urteil vom 25.10.2007 - III ZR 91/07, Rn. 6). Die Mahnung war auch nicht entbehrlich gem. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, denn die „Leistungszeit nach dem Kalender“ bedarf einer vertraglichen Vereinbarung. Eine einseitige Bestimmung durch den Gläubiger reicht nicht aus (Palandt, § 286, Rn. 22). Somit kam die Beklagte erst gem. § 286 Abs. 3 BGB nach 30 Tagen in Verzug. Das Schreiben vom 06.08.2019 wurde per Mail versandt in ging unstrittig am selben Tag zu, sodass die Beklagte mit dem 07.09.2019 in Verzug kam.
31
Die Zahlung erfolgte nicht, obwohl der Kläger hierauf einen Anspruch hatte.
32
C. Der Kläger hat hingegen keinen Anspruch auf Zahlung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
33
Der Anspruch folgt nicht aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB. Die Beklagte kam erst mit dem 13.08.2019 in Verzug, da die mit Schreiben des Klägervertreters vom 06.08.2019 (Anlage K5) gesetzte Frist zur Rückzahlung des Werklohns bis zum 12.08.2019 lief. Insbesondere ist in dem Widerrufsschreiben des Klägervertreters vom 10.07.2019 (Anlage K4) eine Zahlungsaufforderung nicht enthalten. Eine sonstige Pflichtverletzung vor dem 10.07.2019 mit der Folge, dass die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB zu ersetzen wären, liegt nicht vor. Insbesondere durfte die Beklagte mit Schreiben vom 18.06.2019 die Restforderung einfordern, da diese zu diesem Zeitpunkt auch noch bestand.
34
D. Die zulässige Widerklage ist unbegründet.
35
Aufgrund des erfolgten Widerrufs durch den Kläger ist ein Rückgewährschuldverhältnis entstanden. Einen Anspruch auf Zahlung des ausstehenden Werklohns hat die Beklagte somit nicht.
E. Kostenentscheidung
36
Obwohl dem Kläger die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht zustehen, hat das Gericht in Anwendung des § 92 Abs. 2 Nummer 1 ZPO die Kosten der Beklagten auferlegt. Der Kläger unterlag insoweit lediglich mit ca. 6 % seiner Gesamtforderung. Ein Gebührensprung folgte aus dieser Zuvielforderung nicht, da der abweisende Teil lediglich die Nebenforderungen betraf.
F. Vorläufige Vollstreckbarkeit
37
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.