Titel:
Widmung als Ortsstraße
Normenketten:
BayStrWG Art. 6 Abs. 3, Art. 9, Art. 46 Nr. 2
BayVwVfG Art. 35 S. 2, Art. 41 Abs. 3 S. 2
BGB § 891 Abs. 1
Leitsatz:
Die Widmung steht grundsätzlich im Ermessen der Straßenbaubehörde. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind die Belange der Anlieger (des gewidmeten Grundstücks) und die gestaltende Wirkung der Widmung auf Rechte und Pflichten der Anlieger in die Abwägung einzubeziehen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Straße, Widmung, Ortsstraße, Zustimmung, Eigentum, Ermessen, Grundbuch, Vermutung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 12.04.2021 – 8 ZB 21.23
Fundstelle:
BeckRS 2020, 45366
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen haben die Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte bzw. der Beigeladene vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen die Widmung eines Teils der Straße „1“ als Ortsstraße.
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Die Kläger sind in ungeteilter Erbengemeinschaft Eigentümer des Grundstücks „1 a“ (Flur-Nr. H, Gemarkung ...). Das Grundstück wurde Mitte der 1930er Jahre von den Großeltern der Kläger - ... und ... - erworben. Diese wurden von ihren beiden Töchtern ... und ... beerbt. ... wurde von ... beerbt, ... von, ... und den Klägern. Durch Erbteilsübertragung ist nunmehr der Kläger zu 2) zu 5/16, der Kläger zu 1) zu 11/16 beteiligt. Das klägerische Grundstück grenzt mit seiner Süd-West-Spitze an die gewidmete Flur-Nr. L.
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Zwischen der Beklagten und den Anliegern der Straße „1“ fand Austausch hinsichtlich der Widmung der Straße „1“ statt (Behördenakte, Bl. 1 ff.,Bl. 10 ff.).
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Ein Teil der Straße „1“ wurde mit Widmungsverfügung vom 21. Mai 2019 mit der FlurNr. L, Gemarkung, als Ortsstraße gewidmet (Behördenakte, Bl. 24). Mit Eintragungsverfügung vom 19. Juni 2019 wurde die Eintragung in das Bestandsverzeichnis der Gemeindestraßen (Ortsstraßen) vorgenommen (Behördenakte, Bl. 26 ff.).
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Die Kläger ließen am 17. Juli 2019 Klage erheben und sinngemäß beantragen,
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Die Widmung der Straße „1“ der amtlichen Bekanntmachung vom 22. Juni 2019, die mit Wirkung vom 24. Juni 2019 in das Bestandsverzeichnis eingetragen wurde, wird aufgehoben.
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Zur Begründung ließen sie ausführen, dass die Flur-Nr. L erst nachträglich gebildet worden sei. Die Eigentumssituation sei zwischen den Beteiligten umstritten und bereits Gegenstand eines Zivilrechtsstreits. Die Anliegerwege - „1“ und „2“ - seien ursprünglich nur katastermäßig, nicht aber grundbuchmäßig erfasst gewesen. Ursprünglich habe das klägerische Grundstück ausweislich des Fortführungsnachweises Y mit seiner Süd-West-Spitze an die Flur-Nr. P („2“) angegrenzt. Ausweislich des Fortführungsnachweises X sei sodann aus der Flur-Nr. M herausgemessen und die Flurnummer Q unter der Bezeichnung „1“ gebildet worden. Die Kläger hätten daraufhin ihre Eintragung als Miteigentümer am ehemaligen Flur-Nr. O („1“), zusammen mit der Flur-Nr. Q der heutigen Flur-Nr. L („1“) im Wege des Anliegeranspruchs beantragt. Die Kläger hätten durch Verlängerung ihrer südlichen Grundstücksgrenze einen Anliegeranspruch zu der ehemaligen Flur-Nr. Q und somit der ehemaligen Flur-Nr. O, die zusammen mit anderen Flur-Nr. in der heutigen Flur-Nr. L aufgegangen seien. Das Verfahren zur Eintragung der Kläger als Miteigentümer schwebe vor dem Oberlandesgericht ... (Az: ...). Dieses Verfahren sei durch Beschluss vom 28. Juli 2020 beendet worden. Mit diesem sei die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Amtsgerichts ... vom 30. November 2018 zurückgewiesen worden (Gerichtsakte Bl. 164 ff.). Dieser Beschluss sei nicht nachvollziehbar und werde mit einer Verfassungsbeschwerde, eingereicht mit Schriftsatz vom 16. September 2020 (Gerichtsakte Bl. 179 ff.), angegriffen. Die Beschlüsse würden keine Bindungswirkung entfalten. Die Beschlüsse würden die Eintragungsanträge der Kläger abweisen, die präjudizielle Frage des Eigentums erwachse jedoch nicht in Rechtskraft. Der vorgelegte Grundbuchauszug belege, dass die Beklagte erst im Jahr 2019 eingetragen worden sei. Das OLG ... sei von einer Eintragung im Jahre 1979 und damit von einer falschen Tatsachengrundlage ausgegangen.
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Die materiellrechtliche Eigentumsposition der Kläger am „1“ sei durch Zusammenfassung der Flur-Nr. Q, O sowie K, D, B, C, A, E, F, G, J zur heutigen Flur-Nr. L nicht untergegangen. Als Alleineigentümerin der heutigen Flur-Nr. L sei im Grundbuch derzeit zwar (formell) die Beklagte eingetragen. Die Beklagte habe aber gewusst, dass die Kläger materiell (Mit-)Eigentümer eines Teils des gewidmeten „1“ seien und ein Verfahren vor den ordentlichen Gerichten zur Klärung der eigentums- und grundbuchmäßigen Situation anhängig sei. Ausgangspunkt sei das - mangels seinerzeitiger Grundbuchblätter grundstücksrechtlich maßgebliche - Liegenschaftskataster vom 25. Januar 2016. Daraus ergebe sich, dass die Kläger (Mit-)Eigentümer an dem fraglichen Wegegrundstück seien. Das klägerische Grundstück grenze an die damalige Flur-Nr. O, das Teil des „1“ und heutigen Flur-Nr. L sei.
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Das (Mit-)Eigentum der Kläger folge aus folgenden Erwägungen: Grundsätzlich gelte, dass die Eigentümer des Grundstücks auch Eigentümer des anliegenden Weges seien. Abzustellen sei für die Eigentumslage auf die verlängerten Grundstücksgrenzen. In derartigen Fällen sei es möglich, dass der Eigentümer des Grundstücks (Mit-)Eigentümer des anliegenden Wegs sei, auch wenn dessen Flur-Nr. andere Weggrundstücke umfasse. Die Flächen seien unselbstständige Bestandteile der angrenzenden Grundstücke. Eines Hinzuvermerks bedürfe es nach dieser Meinung nicht. Das Grundbuchamt habe seine bei der Anlage der Grundbuchblätter praktizierte abweichende Haltung nicht begründet. Sie fände keinen Halt in der Rechtsprechung und Literatur. Ein Hinzuvermerk sei nach herrschender Meinung möglich, aber nicht konstitutiv. Ansonsten wären die meisten Anliegerwege herrenlos. Die Beklagte sei somit am 26. Januar 2016 nicht Alleineigentümerin des „1“ gewesen. Sie sei es auch später nicht geworden, da die Kläger der Aufgabe ihres Miteigentums nicht zugestimmt hätten und es daher nicht später verloren hätten. Das Grundbuch sei vielmehr unrichtig. Die Widmung des „1“ habe somit nicht erfolgen dürfen. Dass die Beklagte eine Beschränkung „Anlieger frei“ anordnen wolle (Behördenakte, Bl. 33) sei für die Rechtswidrigkeit der Widmung ohne Belang. Die Vermutungswirkung des § 891 Abs. 1 BGB greife nur ein, wenn ein Erwerbstatbestand dargetan worden sei. Davon enthebe auch § 891 Abs. 1 BGB den Vermutungsbegünstigten nicht.
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Die Kläger hätten sich vorprozessual erfolglos um weitere Aufklärung bemüht. In einem Schreiben vom 4. Dezember 2019 gegenüber dem anwaltlichen Vertreter im Zivilrechtsstreit habe das Amt für Digitalisierung ... darauf verwiesen, ein „unpräziser Karteneintrag“ von 1935 stecke hinter allem. Dieser Umstand sei im Zuge der Ausarbeitung zu einem Vermessungsantrag der Beklagten bemerkt und die Kartendarstellung vom Amt für Digitalisierung ... berichtigt worden. Am 8. Januar 2020 habe eine Erörterung der Angelegenheit mit dem Amt für Digitalisierung ... und dem Kläger zu 1) stattgefunden. Das Amt für Digitalisierung ... habe zur Erläuterung seines Vorgehens gegenüber dem Kläger zu 1) auf dem Standpunkt beharrt, es sei 1935 ein Fehler bei der Buchung passiert und die Gemeinde ... als Rechtsvorgängerin der Beklagten sei damals schon Eigentümerin des fraglichen Wegestücks gewesen (Behördenakte Bl. 41). Das Amt für Digitalisierung ... sei also der Ansicht, dass das Liegenschaftskataster vom 25. Januar 2016 falsch und es daher berechtigt gewesen sei, die darin dokumentierte Eigentumslage zu Lasten der Kläger feststellend von Amts wegen zu ändern. Einen Nachweis für seine Behauptungen in tatsächlicher Hinsicht habe das Amt für Digitalisierung in dieser Besprechung gegenüber dem Kläger zu 1) nicht präsentiert. Es sei somit objektiv nicht nachvollziehbar, warum die Kläger ihr zum 25. Januar 2016 dokumentiertes Miteigentum am „1“ verlieren sollten.
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Das alles spiele jedoch keine Rolle, denn das Amt für Digitalisierung habe keine Zuständigkeit zur Prüfung und Klärung der zivilrechtlichen Eigentumslage. Eine derartige Rechtsgrundlage folge nicht aus Art. 7 Satz 2 des Gesetzes über die Landesvermessung und das Liegenschaftskataster (Vermessungs- und Katastergesetz - VermKatG). Die Aufgabe der Katasterbehörde sei es lediglich, die Merkmale der Liegenschaft (Grenze, Größe etc.) anhand der Katasterangaben zu bestimmen und ggf. zu prüfen, wie sich diese Angaben zu dem vor Ort anzutreffenden tatsächlichen Befund verhalten. Das Amt für Digitalisierung sei nach dieser Rechtsprechung verpflichtet, eigentumsändernde Buchungen zugunsten einer Kommune, soweit sie erfolgt seien, wieder rückgängig zu machen. Die Kläger hätten das Amt für Digitalisierung gebeten, dieser Rechtsprechung zu entsprechen und von amtsseitigen Feststellungen der Eigentumslage bezogen auf den „1“ abzusehen, die der materiellen Eigentumslage widersprächen. Das Amt für Digitalisierung habe dem durch sein Vorgehen und die Buchung des Grundbuchamtes nach dem 15. Januar 2016 bewirkten Eigentumseingriff (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht abgeholfen, sondern habe das Anliegen an das übergeordnete Landesamt für Vermessung und Geoinformation weitergeleitet. Der angebliche Fehler des Katasteramtes sei durch nichts belegt, das Amt für Digitalisierung sei zu einer Korrektur nicht berechtigt gewesen. Die damaligen Eigentümer des „1 a“ hätten nach Aktenlage keine Übereignung vorgenommen und auch keine Bewilligung nach §§ 19 f. GBO erklärt. Damit könne die Gemeinde ... nicht Eigentümerin geworden sein, ebenso wenig die Beklagte als deren Rechtsnachfolgerin. Der in Rede stehende Anteil am Straßengrund habe nicht im Eigentum der Gemeinde ... gestanden, die Buchung als Teil des „1“ oder als Teil des „2“ spiele keine Rolle. Der damalige Bürgermeister der Beklagten habe in der Anwohnerversammlung vom 13. August 2018 sinngemäß geäußert, die Beklagte habe einen Weg gefunden, dass die Beklagte im Wege der Umlegung Eigentümerin der jetzigen Flur-Nr. L werden könne. Den Brief des Klägers zu 1), dass die Voraussetzungen einer Umlegung nicht gegeben seien, habe der Bürgermeister entgegen einer Ankündigung nicht beantwortet. Ein Einverständnis zur Widmung sei von der Beklagten angefragt und durch die Kläger ausdrücklich verweigert worden.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung ließ sie ausführen, die Beklagte sei ausweislich des vorgelegten Grundbuchauszugs zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung als Eigentümerin des Grundstücks Flur-Nr. L der Gemarkung ... im Grundbuch eingetragen. Entsprechend der Vermutung in § 891 BGB sei die Beklagte damit auch als die wahre Berechtigte zu behandeln. Sie könne gemäß der Eintragung im Grundbuch davon ausgehen, dass sie Eigentümerin des strittigen Wegegrundstücks sei. Auch im Streitfalle seien die Eintragungen im Grundbuch jedenfalls so lange maßgebend, wie nicht der Nachweis der Unrichtigkeit des Grundbuchs durch die sich hierauf berufenden Kläger erbracht worden sei. Die Kläger hätten bislang lediglich diverse Bedenken aufgeworfen, aus denen sich schließen lasse, dass der Grundbuchstand falsch sei. Die Rechtsauffassung der Kläger, die Beklagte müsse den Nachweis führen, dass sie Eigentümerin sei, gehe fehl. Nach § 891 Abs. 1 BGB bestehe vielmehr die Vermutung, dass ihr das Recht zustehe. Die Widerlegung der Vermutung sei nur durch den vollen Beweis des Gegenteils möglich.
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Mit Beschluss vom 15. Juni 2019 lud das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg,,, zum Verfahren bei.
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Der Beigeladene beantragt,
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Der Beigeladene führt aus, die Klage erweise sich als unbegründet. Die Widmung des Grundstücks Flur-Nr. L als O2.rt straße in Gestalt der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 14. Mai 2019 sei rechtmäßig. Insbesondere die Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 BayStrWG seien gewahrt. Die Beklagte sei als Alleineigentümerin des gewidmeten Grundstücks Flur-Nr. L eingetragen. Aufgrund dieser dinglichen Rechtsposition könne sie wirksam über das als Straße dienende Grundstück verfügen. Der Zustimmung weiterer - hier nicht vorhandener - Eigentümer oder sonstiger dinglich zur Nutzung Berechtigter zur Widmung habe es daher nicht bedurft. Im Hinblick auf die Eigentümerstellung greife zugunsten der Beklagten die gesetzliche Vermutungswirkung des § 891 Abs. 1 BGB . Danach werde zum einen vermutet, dass der im Grundbuch als Eigentümer Eingetragene nicht nur gegenwärtig, sondern seit dem Eintragungstag Inhaber des Rechts sei. Die Eigentumsvermutung erstrecke sich zudem auch auf den sich aus dem Liegenschaftskataster ergebenden Grenzverlauf. Hieraus folge, dass zugunsten der Beklagten hinsichtlich des Umfangs des Eigentumsrechts die zeichnerische Darstellung im Liegenschaftskataster der Flur-Nr. L bis zum Beweis des Gegenteiles als richtig gelte. Zudem sei davon auszugehen, dass historische Eigentümerin der Wegefläche Flur-Nr. P („2“) die Rechtsvorgängerinnen der Beklagten gewesen seien. Die Wegfläche Flur-Nr. P des „2“ umfasse gemäß der vorgelegten Fortführungsrisse ursprünglich auch den Kreuzungsbereich des von Nord nach Süd verlaufenden „1“ und habe diesen in zwei Abschnitte unterteilt. Im März 1935 sei versehentlich eine abweichende Darstellung in die Flurkarte übernommen worden, die im März 2018 jedoch berichtigt worden sei. Weder die Abtrennung, noch die erneute Zuschreibung zum Wegestück des „2“ - Flur-Nr. P - im Liegenschaftskataster habe in materiellrechtlicher Hinsicht eigentumsrechtliche Wirkung. Durch eine Berichtigung der Nachweise des Liegenschaftskatasters sei keine Änderung der zivilrechtlichen Eigentumsverhältnisse bewirkt worden. Sie führe insbesondere nicht dazu, dass Grundstückseigentum verloren gehe. Erwerb und Verlust der Eigentümerstellung würden sich ausschließlich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts bestimmen. Soweit ersichtlich, habe das Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung für die Korrektur im Jahr 2018 auch keine eigentumsrechtlichen Umstände angeführt, sondern alleine auf die Darstellung der Fläche im Kataster und in den Fortführungsrissen Bezug genommen. Durch die zwischenzeitlich abweichende Darstellung habe die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgänger ihr einmal erworbenes Eigentum nicht mehr verloren. Hieraus ergebe sich zugleich, dass die Wegefläche Flur-Nr. P, welches als selbstständiges Grundstück gebucht worden sei, nicht nachträglich zu einem Anliegerweg habe werden können.
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Der Kläger habe die gesetzliche Vermutung nach § 891 Abs. 1 BGB weder im Hinblick auf das Eigentumsrecht noch dessen Umfang widerlegt. Wer das Bestehen des Rechts oder die Inhaberschaft des Eingetragenen bestreite, habe den vollen Beweis des Gegenteils zu erbringen. Diese Beweislastregel finde in prozessualer Hinsicht auch im Verwaltungsprozess Anwendung. Die Argumentation der Kläger bezüglich ihrer behaupteten Rechtsposition an der gewidmeten Wegstrecke könne schon nicht tragen, weil es sich bei dem fraglichen Bereich nicht um einen Anliegerweg handele bzw. zum Zeitpunkt der Widmung nicht um einen solchen gehandelt habe. Anliegerwege seien Wege, denen bei der Anlegung des Liegenschaftskatasters in Bayern aus steuerlichen Gründen katastermäßig eine selbstständige Flur-Nr. zugewiesen worden sei. Eine selbstständige Buchung dieser Flur-Nr. im Grundbuch sei jedoch nicht möglich. Damit scheide ein gebuchtes Grundstück als Anliegerweg generell aus. In diesem Fall sei die klägerische Argumentation bereits unschlüssig. Selbst wenn die Flur-Nr. im Grundbuch nicht gebucht worden wäre, habe dies nicht automatisch zur Folge, dass ein Anliegerweg vorliege. Möglich wäre auch, dass es dann herrenlos oder buchungsfrei nach § 3 Abs. 2 GBO im Eigentum des Bundes, des Landes oder der Gemeinde wäre. Die Kläger hätten nicht einmal behauptet, geschweige denn dargelegt, dass diese Alternativen vorliegend ausschieden. Dies hätten sie jedoch aufgrund ihrer Darlegungs- und Beweislast tun müssen. Selbst wenn einzig möglich ein Anliegerweg in Betracht kommen würde, hätten die Kläger darzulegen und zu beweisen, dass ihr Grundstück an einen Anliegerweg angrenze. Ausweislich des Fortführungsrisses ... vom Oktober 1934 grenze das Grundstück der Kläger - Flur-Nr. H - nicht an den Weg Flur-Nr. N. Damit liege weder die Darlegung noch ein Beweis für das Eigentum der Kläger an Teilen der gewidmeten Fläche vor. Der Verweis auf den Auszug des Liegenschaftskatasters vom 25. Januar 2016 genüge hierfür nicht.
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Am 18. November 2020 wurde die Verwaltungsstreitsache mündlich verhandelt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtene Widmungsverfügung der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Klage ist unbegründet. Die angefochtene Widmungsverfügung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in eigenen Rechten.
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1. Die Voraussetzungen für die neue Widmung zur Ortsstraße nach Art. 6 Abs. 1,Art. 46 Nr. 2 BayStrWG liegen vor. Die Beklagte war als Straßenbaubehörde für die Widmung zuständig (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG). Die Widmung wurde zulässigerweise als Allgemeinverfügung nach Art. 35 Satz 2 BayVwVfG öffentlich bekannt gegeben, Art. 41 Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG.
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2. Entgegen der klägerischen Ansicht war eine Zustimmung zur erfolgten Widmung gemäß Art. 6 Abs. 3 BayStrWG durch die Kläger nicht erforderlich.
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Die Widmung setzt nach Art. 6 Abs. 3 BayStrWG voraus, dass der Träger der Straßenbaulast das dingliche Recht hat, über das der Straße dienende Grundstück zu verfügen, oder dass der Eigentümer und ein sonst zur Nutzung dinglich Berechtigter der Widmung zugestimmt haben, oder dass der Träger der Straßenbaulast den Besitz des der Straße dienenden Grundstücks durch Vertrag, durch Einweisung oder in einem sonstigen gesetzlich geregelten Verfahren erlangt hat.
27
Die Beklagte war im maßgeblichen Zeitpunkt der Eintragung der Widmungsverfügung als Alleineigentümerin der streitgegenständlichen Flur-Nr. L im Grundbuch eingetragen. Dies wurde durch Vorlage eines Grundbuchauszugs (vgl. Gerichtsakte Bl. 91ff.) nachgewiesen. Demnach war die Beklagte laut Grundbuch im Widmungszeitpunkt Inhaberin des dinglichen Rechts, um über das als Straße dienende Grundstück zu verfügen. Ist im Grundbuch für jemand ein Recht eingetragen, so wird gesetzlich vermutet, dass ihm das Recht zusteht. Dies stellt die widerlegliche Vermutung des § 891 Abs. 1 BGB klar. Vorliegend streitet die gesetzliche Vermutung für das Alleineigentum der eingetragenen Beklagten an der gewidmeten Flur-Nr. L.
28
Diese gesetzliche Vermutung haben die Kläger weder im vorgelagerten zivilrechtlichen, noch im gegenwärtigen Verwaltungsgerichtsverfahren hinreichend erschüttert. Vielmehr stellt das Oberlandesgericht ... in seiner Entscheidung vom 28. Juli 2020 (Az.: ... - Gerichtsakte Bl. 164 ff.) klar, dass weder für die Eintragung der Kläger als Eigentümer bzw. Miteigentümer noch für die Eintragung eines Amtswiderspruchs die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen: Eine Unrichtigkeit des Grundbuchs hinsichtlich des Eigentums an der jetzigen Flur-Nr. L ist nicht ersichtlich. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Kläger Eigentum oder Miteigentum an diesem Grundstück erlangt haben. Es erschließt sich nicht, dass die Kläger Eigentümer an irgendeiner Teilfläche waren, die nunmehr zu der Flur-Nr. L verschmolzen wurde und insofern die Verschmelzung möglicherweise unwirksam ist. Insofern ist nicht hinreichend belegt, wann und wie die Kläger Eigentum an einer Teilfläche erworben haben sollen. Hinsichtlich der Flur-Nr. P (östlicher Teil des „2“) und der hieraus zerlegten Flur-Nr. Q, die an das Grundstück der Kläger angrenzt, war durchgängig die Beklagte als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Die Flur-Nr. O (nördlicher Teil des „1“), aus der ebenfalls Teilflächen der jetzigen Flur-Nr. L hervorgegangen sind, war vormals nicht auf einem eigenen Blatt im Grundbuch eingetragen. Dieses Grundstück stand im Eigentum mehrerer Anlieger, bei denen auch ein entsprechender Hinzuvermerk bestand, allerdings nicht bei den Klägern. Aufgrund der Eintragung der Flur-Nr. als Eigentum der Beklagten ist vielmehr davon auszugehen, dass der Weg nicht Bestandteil des klägerischen Grundstücks war (§ 891 BGB). Unzutreffend ist insoweit die Ansicht der Kläger, sie seien bereits deshalb Miteigentümer an einer der vormaligen Teilflächen, da ihr Grundstück FlurNr. H daran angrenzte bzw. alle Anlieger am „1“ seien gemeinschaftliche Eigentümer am gesamten Weg. Eine Rechtsgrundlage hierfür ist nicht ersichtlich.
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Dieser Beurteilung der damit abschließend materiellrechtlich geklärten Frage der Eintragung und damit der Eigentumsvermutung an der Flur-Nr. L durch das sachnähere Oberlandesgericht ... schließt sich das Verwaltungsgericht an.
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Eine Zustimmung der Kläger als vermeintliche (Mit)-Eigentümer der Flur-Nr. L war daher nicht erforderlich.
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3. Die angefochtene Widmung weist keine Ermessensfehler auf.
32
Die Widmung ist eine aus der Straßenbaulast des Art. 9 BayStrWG resultierende Pflicht (Zeitler/Häußler, 30. EL März 2020, BayStrWG Art. 6 Rn. 28). Sie steht grundsätzlich im Ermessen der Straßenbaubehörde. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind die Belange der Anlieger (des gewidmeten Grundstücks) und die gestaltende Wirkung der Widmung auf Rechte und Pflichten der Anlieger in die Abwägung einzubeziehen (BayVGH, U.v. 24.10.2002 - 8 B 98.873 - Rn. 22).
33
Die Ermessensentscheidung der Beklagten zur Widmung der Straße „Am 1“ ist nicht zu beanstanden, da keine gerichtlich überprüfbaren Ermessensfehler ersichtlich oder sonst von den Klägern aufgezeigt sind (§ 114 VwGO).
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Die Ermessensentscheidung ist im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar. Die gerichtliche Prüfungsdichte bemisst sich nach der Regelung des § 114 VwGO, was im Wesentlichen zur Folge hat, dass die Entscheidung lediglich daraufhin zu überprüfen ist, ob überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, ob in diese alle maßgeblichen und keine unzulässigen Erwägungen Eingang gefunden haben und ob einzelne Belange entgegen ihrer objektiven Wertigkeit in die Abwägung eingestellt worden sind.
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Dass bei der streitgegenständlichen Widmung der Flur-Nr. L „1“ als Orts straße mit der Beschränkung „Anlieger frei“ Ermessensfehler vorgelegen haben, ist seitens der Kläger weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Umgekehrt kann eine Gemeinde eine bestehende wegerechtliche Lage zwecks künftiger Bebauung auch im Vorfeld neu regeln, um dem erwarteten künftigen Verkehrsbedürfnis zu entsprechen (arg. ex Art. 7 Abs. 1 BayStrWG).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.