Inhalt

LArbG München, Urteil v. 01.10.2020 – 3 Sa 405/20
Titel:

Zur Auslegung eines Tarifvertrages

Normenketten:
ArbGG § 64, § 66 Abs. 1, § 69 Abs. 2
BGB § 133, § 157
Leitsätze:
1. Die Auslegung einer Tarifnorm hat nach ständiger Rechtsprechung der anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen des Bundesarbeitsgerichts für den normativen Teil eines Tarifvertrags zu erfolgen. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Abzustellen ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dies Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Bleiben auch dann Zweifel, können die Arbeitsgerichte weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Weihnachtsgeld, Nephrologie-Zulage, Auslegung, Tarifnorm, Tarifvertrag
Vorinstanz:
ArbG Augsburg, Endurteil vom 21.01.2020 – 8 Ca 501/19
Fundstelle:
BeckRS 2020, 45359

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 21.01.2020 - 8 Ca 501/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen
2. Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Frage, ob der Klägerin unter Berücksichtigung der sogenannten Nephrologie-Zulage im Jahr 2018 ein höheres Weihnachtsgeld zusteht.
2
Die Klägerin ist beim Beklagten, der bundesweit in 200 Nierenzentren und 26 Medizinischen Versorgungszentren die nephrologische Versorgung nierenkranker Patienten anbietet, seit 1989 als Krankenschwester für Dialyse im Dialysezentrum in G. beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die jeweiligen für den Beklagten geltenden tariflichen Regelungen entsprechend Anwendung.
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Mit Wirkung zum 01.04.1993 galt ein Hausmanteltarifvertrag vom 26.03./23.05.1993 (Anlage BK3 = Bl. 196 ff. d. A., im Folgenden: MTV 1993), der in § 13 unter der Überschrift „Überstundenvergütung, Zuschläge und Ausgleich für Dienste zu ungünstigen Zeiten“ Überstundenzuschläge (Ziff. 1), Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit (Ziff. 3 a), 3 b) und 3 c)) und Zuschläge für Zwei- und Dreiwechselschicht (Ziff. 3 d) und 3 e)) vorsah. Daneben bestimmte § 13 Ansprüche auf Freischichten (Ziff. 5 bis 7). § 14 Ziff. 6 a) MTV 1993 regelte die Vergütung der Rufbereitschaft. In dem mit „Sonderzahlungen“ überschriebenen § 17 MTV 1993 hieß es in Ziff. 4:
„Die Arbeitnehmer erhalten ein Weihnachtsgeld in Höhe von 100% des für den Monat November maßgeblichen Tarifgehaltes zuzüglich regelmäßig wiederkehrender Zulagen. Sonstige Vergütungen (z. B. §§ 13, 14 MTV) bleiben unberücksichtigt…“ (Bl. 204 d. A.).
4
Seit dem 01.01.2010 gilt der MTV vom 17.12.2009 (Anlage K5 = Bl. 19 ff. d. A.; im folgenden MTV), der die Regelung zu Sonderzahlungen in Ziff. 4 beibehielt, nunmehr normiert in § 17 Ziff. 1 MTV. Zu einem nicht näher bekannten Datum wurde in § 13 Ziff. 11 MTV bestimmt, dass Arbeitnehmer, die nach Maßgabe ihres Arbeitsvertrags als „Springer“ eingestellt und mit wechselndem Einsatzort tätig sind, eine monatliche Zulage erhalten („Springerzulage“). Zum 01.01.2017 vereinbarten in § 13 Ziff. 9 MTV die Tarifvertragsparteien, dass Arbeitnehmer mit abgeschlossener bzw. anerkannter Fachweiterbildung Nephrologie eine monatliche Vergütungszulage in Höhe von € 50,00 brutto erhalten. Bei Teilzeitbeschäftigten berechnet sich diese Zulage anteilig.
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Der Klägerin wird monatlich neben ihrem Tarifgehalt eine Besitzstandszulage nach § 31 Ziff. 6 MTV und die Nephrologie-Zulage gemäß § 13 Ziff. 9 MTV anteilig zu ihrer Teilzeitbeschäftigung gezahlt. Im November 2018 erhielt sie ein Weihnachtsgeld in Höhe von 2.079,06 € brutto, das sich aus ihrem Tarifgehalt und der Besitzstandszulage zusammensetzte (vgl. Anlage K1 = Bl. 6 d. A.).
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Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin, bei der Berechnung des Weihnachtsgeldes die Nephrologie-Zulage in unstreitiger Höhe von 30,00 € brutto zu berücksichtigen. Dies folge aus dem Wortlaut des § 17 Ziff. 1 Satz 1 MTV.
7
Die Beklagte hat erstinstanzlich geltend gemacht, dass dieser Auffassung die Auslegung des § 17 Ziff. 1 MTV nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck seines Satzes 2, die Systematik sowie die Tarifgeschichte entgegenstehe.
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Durch Urteil vom 21.01.2020 - 8 Ca 501/19 - hat das Arbeitsgericht Augsburg der Klage stattgegeben. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Zahlung von weiteren 30,00 € brutto als Weihnachtsgeld 2018 aus § 17 Ziffer 1 Satz 1 MTV zu. Dies folge aus der Auslegung der Tarifnorm auf der Grundlage der Auslegungsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts. Neben dem Hinweis auf das Urteil des Arbeitsgerichts D-Stadt vom 26.08.2019 - 54 Ca 4990/19 - begründet das Arbeitsgericht seine Auffassung wie folgt: Nach § 17 MTV sei entscheidend, dass „regelmäßig wiederkehrende Zulagen“ hinzugerechnet werden; „sonstige Vergütungen bleiben unberücksichtigt“. Beide Sätze regelten im „Zusammenspiel“, welche tariflichen Zahlungen beim Weihnachtsgeld erfasst sein sollten und welche nicht. Ohne Klammerzusatz sei das Ergebnis eindeutig, da die Nephrologie-Zulage eine regelmäßig wiederkehrende Zulage sei (so auch Arbeitsgericht D-Stadt, Urteil vom 31.07.2019 - 55 Ca 4991/19 -). Der Klammerzusatz allein („z. B. §§ 13,14 MTV“) ergebe gar keinen Sinn. Es handele sich damit lediglich um eine Beispielaufzählung, um deutlich zu machen - vgl. auch die Überschriften der §§ 13, 14 MTV - was unter sonstigen Vergütungen verstanden werden könne.
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Das vom Beklagten gewünschte Ergebnis hätte eindeutig geregelt werden können; wie durch „Die in §§ 13, 14 MTV aufgeführten sonstigen Vergütungen bleiben unberücksichtigt“. Nur in diesem Fall würde es sich um eine speziellere Norm handeln. Im Übrigen bleibe es den Tarifvertragsparteien unbenommen, entsprechend § 31 Ziff. 6 MTV in § 13 Ziff. 9 MTV zu regeln, ob die Zulage hinzugerechnet werde oder nicht.
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Gegen dieses, ihrem Prozessbevollmächtigten am 02.03.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte Berufung beim Landesarbeitsgericht München am 24.03.2020 eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 04.06.2020 am 03.06.2020 begründet.
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Die Nephrologie-Zulage gemäß § 13 Ziff. 9 MTV sei bei der Berechnung des Weihnachtsgeldes nicht zu berücksichtigen. § 17 Ziff. 1 Satz 2 MTV sei lex specialis zu § 17 Ziff. 1 Satz 1 MTV. Die Nephrologie-Zulage gemäß § 13 Ziff. 9 MTV sei schon nach dem eindeutigen Wortlaut des § 17 Ziff. 1 MTV bei der Berechnung des Weihnachtsgeldes nicht zu berücksichtigen. Der weite Anwendungsbereich des § 17 Ziff. 1 Satz 1 MTV ließe zwar grundsätzlich die Berücksichtigung dieser monatlichen Vergütungszulage bei der Berechnung des Weihnachtsgeldes zu. Jedoch schränke § 17 Ziff. 1 Satz 2 MTV den Anwendungsbereich der zu berücksichtigenden Zahlungen ein, indem er ausdrücklich festlege, dass sonstige Vergütungen nach §§ 13, 14 MTV und somit auch die Nephrologie-Zulage nach § 13 Ziff. 9 MTV bei der Ermittlung des tariflichen Weihnachtsgeldes unberücksichtigt bleiben sollten. Schränke Satz 2 des § 17 Ziff. 1 MTV die allgemeinere Berechnung des Weihnachtsgeldes in Satz 1 dadurch ein, dass er bestimmte regelmäßig wiederkehrende Zulagen aus der Einberechnung in das Weihnachtsgeld herausnehme, sei er die speziellere Regelung. Einer lediglich klarstellenden Wiederholung in Satz 2, was bereits nach Satz 1 des § 17 Ziff. 1 MTV ausgeschlossen sei, hätte es nicht bedurft und wäre sinnentleert. Nach dem Sinn und Zweck des § 17 Ziff. 1 MTV sollten nur bestimmte regelmäßig wiederkehrende Zulagen bei der Berechnung des Weihnachtsgeldes berücksichtigt werden, nämlich außer- und übertarifliche Zulagen der Mitarbeiter, die persönliche Zulage nach § 12 Ziff. 3 MTV sowie die Besitzstandszulage nach § 31 Ziff. 6 MTV. Diesen Zulagen sei ihr enger Zusammenhang mit dem Tarifgehalt im Sinne des § 12 Ziff. 1 MTV gemeinsam, nämlich konkret die Frage der Eingruppierung und der allgemeinen Höhe des Tarifgehalts. Für die Besitzstandszulage hätten die Tarifvertragsparteien in § 31 Ziff. 6 MTV ausdrücklich in Übereinstimmung mit § 17 Ziff. 1 Satz 1 MTV klargestellt, dass die Besitzstandszulage bei der Berechnung des Weihnachtsgeldes zu berücksichtigen sei. Für die persönliche Zulage werde dies bereits an ihrem Regelungsort in § 12 Ziff. 3 MTV deutlich. Auch die außer- und übertariflichen Zulagen folgten dieser inneren Systematik, weil die Arbeitnehmer diese Zulagen zur Aufstockung ihres allgemeinen Tabellenentgelts regelmäßig erhielten. Demgegenüber verfolgten die Zulagen i. S. d. §§ 13, 14 MTV andere Zwecke, indem sie an besondere persönliche Merkmale oder Arbeitsbedingungen und nicht an die tarifliche Eingruppierung anknüpften. Diesem Auslegungsergebnis entspreche auch die gelebte Tarifpraxis, wonach z.B. die Springerzulage (§ 13 Ziff. 11 MTV) und die Wechselschichtzulage (§ 13 Ziff. 3 d) MTV und e) MTV) nicht berücksichtigt würden. Seit Inkrafttreten des Tarifvertrages am 01.04.1993 würden aber, wie in § 17 Ziff. 1 MTV angeordnet, außer- und übertarifliche Zulagen, die persönliche Zulage gemäß § 12 Ziff. 3 MTV sowie die Besitzstandszulage gemäß § 31 Ziff. 6 MTV in die Berechnung des Weihnachtsgeldes einbezogen werden. Auch bei einem „unbefangenen Durchlesen der Regelung“ erscheine es offensichtlich näherliegend, die Nephrologie-Zulage nicht bei der Berechnung des Weihnachtsgeldes zu berücksichtigen. Dabei hätte auch für die Nephrologie-Zulage durch eine Anordnung wie in § 31 Ziff. 6 MTV der Rechtsstreit womöglich vermieden werden können. Andererseits zeige die seit 1993 gelebte einheitliche Auslegung des Tarifwerks zwischen den Parteien, dass Unklarheiten über die Auslegung des § 17 Ziff. 1 MTV nicht bestanden hätten, sondern beide Tarifvertragsparteien davon ausgegangen seien, dass die in §§ 13, 14 MTV geregelten, regelmäßig wiederkehrenden Zulagen nicht in die Berechnung des Weihnachtsgeldes einflössen.
12
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg, Kammer Neu-Ulm vom 21. Januar 2020, Aktenzeichen 8 Ca 501/19, abzuändern und die Klage abzuweisen.
13
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
14
Der Zahlungsanspruch der Klägerin beruhe auf § 17 Ziff. 1 Satz 1 MTV. Die NephrologieZulage werde nach dessen klarem Wortlaut als regelmäßige, weil monatlich wiederkehrende Zulage erfasst. Das von diesem Wortlaut abgewichen werden sollte, ergebe sich weder aus dem Sinn und Zweck der Regelung noch aus der Tarifgeschichte. Es handele sich bei dem Klammerzusatz lediglich um eine Beispielaufzählung, um deutlich zu machen, was unter den sonstigen Vergütungen verstanden werden könne.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 03.06.2020 (Bl. 175 - 207 d. A.) und vom 23.09.2020 (Bl. 232 - 243 d. A.) und der Klägerin vom 14.09.2020 (Bl. 217 - 219 d. A.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.10.2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
I.
17
Die nach § 64 Abs. 2 lit. a) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.
II.
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Die Berufung ist aber unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffenden Ausführungen den Anspruch der Klägerin auf Zahlung von 30,00 € brutto als weiteres Weihnachtsgeld gemäß § 17 Ziff. 1 Satz 1 MTV bejaht. Hierauf wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ausdrücklich Bezug genommen. Das Berufungsvorbringen der Beklagten vermag eine andere rechtliche Beurteilung nicht zu begründen.
19
1. Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus § 17 Ziff. 1 Satz 1 und Satz 2 MTV. Dies folgt aus der Auslegung der Tarifnorm. Insoweit ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Auslegung nach den in ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anzuwendenden Auslegungsgrundsätzen für den normativen Teil eines Tarifvertrags zu erfolgen hat (vgl. BAG, Urteil vom 22.04.2010 - 6 AZR 962/08 - Rn. 17 m.w.N.).
20
Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dies Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfrei Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, Urteil vom 22.04.2010, 6 AZR 962/08, NZA 2011, 1293 Rn. 17).
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2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt mit der Nephrologie-Zulage eine regelmäßig wiederkehrende Zulage im Sinne des § 17 Ziff. 1 Satz 1 MTV vor, die bei der Berechnung des Weihnachtsgeldes zu berücksichtigen ist, weil sie keine sonstige Vergütung darstellt, § 17 Ziff. 1 Satz 2 MTV.
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Nach dem Wortlaut des Satz 1 des § 17 Ziff. 1 Satz 1 MTV erhalten die Arbeitnehmer ein Weihnachtsgeld in Höhe von 100% des für den Monat November maßgeblichen Tarifgehaltes zuzüglich regelmäßig wiederkehrender Zulagen. Danach ist das Tarifgehalt um solche Vergütungsbestandteile zu erhöhen, die 1. Zulagen sind und 2. regelmäßig wiederkehren. Die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung enthält Satz 2 des § 17 Ziff. 1 MTV: „Sonstige Vergütungen … bleiben unberücksichtigt …“.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist Satz 2 damit nicht überflüssig. Er trägt vielmehr zum besseren Verständnis der in § 17 Ziff. 1 Satz 1 MTV gemeinten Vergütungsbestandteile für die Berechnung des Weihnachtsgeldes bei. Regelmäßig wiederkehrende Zulagen werden für dessen Berechnung berücksichtigt, sonstige Vergütungen nicht. Dieser Sinngehalt des Satz 2 verdeutlicht sich auch im Klammerzusatz, der mit der Umschreibung „z.B. §§ 13, 14 MTV“ auf Beispiele nicht berücksichtigungsfähiger sonstiger Vergütungen hinweist. Dabei bleibt mit der Formulierung „z.B. §§ 13, 14 MTV“ nur scheinbar offen, ob die Tarifvertragsparteien damit auf §§ 13, 14 MTV insgesamt oder nur auf die dort geregelten Beispiele sonstiger Vergütungen verweisen wollten, die nicht regelmäßig wiederkehrende Zulagen sind. Für eine nur eingeschränkte Verweisung spricht bereits, dass § 17 Ziff. 1 S. 2 MTV lediglich „sonstige Vergütungen“ von der Berücksichtigung im Rahmen des Weihnachtsgeldes ausnimmt. Regelungen in §§ 13, 14 MTV, die sich auf Anderes beziehen, können nicht als Beispiel für eine sonstige Vergütung dienen. Dies gilt etwa für den Ausgleich für Dienste zu ungünstigen Zeiten in Form von freien Tagen (§ 13 Ziff. 5, 6, 7 MTV) bzw. grundsätzliche Regelungen zur Rufbereitschaft (§ 14 Ziff. 1 - 5 MTV) und Freizeitausgleich (§ 14 Ziff. 6 b) MTV). Diese Regelungen spielen für die Berechnung des Weihnachtsgeldes keine Rolle. Darüber hinaus sprechen der systematische Zusammenhang des Satz 2 zu Satz 1 und der sonst bestehende Widerspruch dieser Bestimmungen dafür, den Klammerzusatz „z. B. §§ 13, 14“ als Verweisung auf Beispiele sonstiger, d. h. nicht regelmäßig wiederkehrender Vergütungen in §§ 13, 14 MVT zu verstehen. Andernfalls würde § 17 Abs. 1 Satz 2 MTV die Berücksichtigung eines Vergütungsbestandteils ausschließen, der durch § 17 Ziff. 1 Satz 1 MTV gerade geboten wäre. Es kann aber den Tarifvertragsparteien nicht unterstellt werden, eine widersprüchliche und damit unvernünftige Regelung treffen zu wollen. Gegen die Annahme der Beklagten, § 17 Ziff. 1 Satz 2 MTV sei lex speciales zu § 17 Ziff. 1 Satz 2 MTV spricht schließlich ein rechtstechnisches Argument: ein Beispiel (hier: „z. B.“) ist keine generelle Regelung des Normsetzenden, sondern eine Verdeutlichung der vorangehenden Regelung. Der Klammerzusatz „z.B. §§ 13, 14 MTV“ in § 17 Ziff. 1 Satz 2 MTV ist daher dahin zu verstehen, dass nur auf diejenigen sonstigen Vergütungen i. S. d. §§ 13, 14 MTV, die nicht regelmäßige wiederkehrende Zulagen sind, verwiesen wird.
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Für dieses Verständnis spricht schließlich die Tarifhistorie, auf die sich gerade der Beklagte beruft. Zur Zeit des erstmaligen Inkrafttretens des MTV 1993 zum 01.04.1993 enthielt § 13 lediglich Zuschläge, die nicht regelmäßig wiederkehrten. Es handelte sich dabei um Überstundenzuschläge (§ 13 Ziff. 1 MTV 1993), Zuschläge für Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie während der Nacht (§ 13 Ziff. 3 a), 3 b) und 3 c)) und für Arbeiten in Zweier-Wechselschicht und Dreier-Wechselschicht (§ 13Ziff. 3 d) und 3 e)). Der damalige pauschale Verweis auf „sonstige Vergütungen z.B. §§ 13, 14 MTV“ 1993 machte Sinn. Demgegenüber ist nunmehr zwischen Zuschlägen, die sonstige Vergütung darstellt, und Zulagen, die monatlich zahlbar und damit regelmäßig wiederkehrend sind, zu unterscheiden, wie die geänderten Überschriften des § 13 MTV nahelegen. Während § 13 MTV 1993 lediglich „Überstundenvergütung, Zuschläge und Ausgleich für Dienste zu ungünstigen Zeiten“ näher bestimmte, regelt § 13 MTV schon ausweislich der Überschrift „Überstundenvergütung, Zuschläge, Ausgleich für Dienste zu ungünstigen Zeiten und Springerzulage“.
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Darüber hinaus spricht der Sinn und Zweck des § 17 Ziff. 1 MTV für die Berücksichtigung auch der Nephrologie-Zulage. Mit 100% des für den Monat November maßgeblichen Tarifgehalts und den regelmäßig wiederkehrenden Zulagen wollten die Tarifvertragsparteien den Arbeitnehmern erkennbar ein Weihnachtsgeld gewähren, das dem Niveau ihres regelmäßigen monatlichen Einkommens entspricht. Würde die monatliche Nephrologie-Zulage bei der Berechnung des Weihnachtsgeldes unberücksichtigt bleiben, würde dieses Niveau nicht erreicht werden. Dabei ist ein „enger Zusammenhang mit dem Tarifgehalt“ auch bei der Nephrologie-Zulage gegeben. Sie wird nur an Arbeitnehmer gezahlt, die eine abgeschlossene bzw. anerkannte Fachweiterbildung Nephrologie aufweisen können und somit von ihrer Person und für die Anforderungen ihres Arbeitsplatzes besonders qualifiziert sind. Diese Qualifikation fließt regelmäßig in die Bemessung des Gehalts mit ein. Dementsprechend spricht gerade auch die Berücksichtigung über- und außertariflicher Zulagen bei der Berechnung des Weihnachtsgeldes, die unstreitig und ohne konkrete Regelung im MTV erfolgt, für die Berücksichtigung auch der monatlich gezahlten Nephrologie-Zulage. Allen diesen Zulagen ist gemein, dass sie regelmäßig wiederkehrend für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers in Ergänzung des Tarifgehalts gezahlt werden. Demgegenüber werden Überstundenzuschläge, Zuschläge für Wechselschichten, Zuschläge für Sonn-, Feiertagsund Nachtarbeit etc. nicht für die Arbeitsleistung als solche, sondern für deren besondere Bedingungen gezahlt.
26
Schlussendlich spricht nicht die Tarifpraxis gegen diese Auslegung. Die Nephrologie-Zulage wurde erst mit Wirkung zum 01.01.2017 eingeführt. Eine „Praxis“ ist im November 2018, d.h. im zweiten Jahr der Einführung noch nicht entstanden. Durch die Vereinbarung der Springerzulage (§ 13 Nr. 1 MTV) und der Nephrologie-Zulage (§ 13 Nr. 9 MTV) haben die Tarifvertragsparteien vielmehr weitere Regelungen eingeführt, die durch Auslegung in den sonst unverändert gebliebenen Tarifvertrag so einzupassen sind, dass er vernünftig, sachgerecht, zweckorientiert und praktisch brauchbar ist.
III.
27
Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
IV.
28
Es bestand kein Grund, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen. Die vorliegende Entscheidung erfolgt auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und in Übereinstimmung mit einem gleichgelagerten Fall des LAG D-StadtBrandenburg (vgl. LAG D-Stadt-Brandenburg, Urteil vom 28.08.2020 - 13 Sa 1670/19 -).