Titel:
Kündigungsschutzklage - Kurierfahrer
Normenketten:
BGB § 389, § 626 Abs. 1
BUrlG § 7 Abs. 4
Leitsätze:
1. Ein wichtiger Grund für die ausserordentliche Kündigung des Arbeitnehmers ist gegeben. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dieser ist bereits in dem offboarding des Arbeitnehmers durch das Unternehmen zu, für welches ausschließlich der aktuelle Arbeitgeber Paketlieferdienste übernimmt. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Parteien war dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für den Zeitraum bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
außerordentliche Kündigung, Feststellungsinteresse, Kurierfahrer, Offboarding, wichtiger Grund, Unzumutbarkeit, Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, Urlaubsabgeltung, Aufrechnung
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 03.03.2021 – 2 Sa 323/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 45193
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Der Streitwert wird auf 1.422,66 € festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Arbeitgeberkündigung sowie Zahlungsansprüche des Klägers und die Erteilung von Abrechnungen.
2
Der am xx geborene, verheiratete Kläger war seit 12.11.2019 bei der Beklagten als Kurierfahrer mit einer durchschnittlichen monatlichen Bruttovergütung von 2.000,00 Euro beschäftigt. Ausweislich des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages vom 24.10.2019 (Bl. 5 ff. d.A.) oblag es dem Kläger, vorsortierte Pakete nach einer vorgeplanten Route zuzustellen. Die Beklagte übernimmt ausschließlich Aufträge für das Unternehmen A. Ein Betriebsrat besteht bei der Beklagten nicht.
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Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16.12.2019, dem Kläger am 20.12.2019 zugegangen, außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich innerhalb der Probezeit.
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Gegen die Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019 wandte sich der Kläger mit Kündigungsschutzklage vom 9.1.2020, beim Arbeitsgericht Nürnberg am 10.1.2020 eingegangen und der Beklagten am 15.1.2020 zugestellt. Mit Klageerweiterung vom 19.2.2020, beim Arbeitsgericht Nürnberg am 21.2.2020 eingegangen und der Beklagten am 26.2.2020 zugegangen, machte der Kläger Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung, Urlaubsabgeltung, Spesen sowie Abrechnungserteilung geltend.
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Der Kläger trägt vor, die außerordentliche Kündigung der Beklagten sei nicht gerechtfertigt. Das Arbeitsverhältnis könne daher erst durch die hilfsweise ordentliche Kündigung in der Probezeit enden; da ihm die Kündigung erst am 20.12.2019 zugestellt worden sei, ende das Arbeitsverhältnis erst zum 3.1.2020.
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Es sei nicht erkennbar, durch wen die Kündigung unterzeichnet sei, daher werde bestritten, dass die Kündigung durch eine berechtigte Person unterschrieben worden sei. Die Kündigung sei ausgesprochen worden, da es im November 2019 einen Streit zwischen ihm und der Geschäftsleitung der Beklagten gegeben habe. Er habe hier gegenüber dem Schichtleiter Herrn … beanstandet, dass sich an seinem LKW trotz des bevorstehenden Winters keine Winterreifen befunden hätten, sondern lediglich Sommerreifen mit unzureichendem Profil (vgl. Lichtbilder Bl. und 76 d.A.). Einige Tage später habe sich der Geschäftsführer der Beklagten die Reifen ebenfalls angesehen und deren Zustand als nicht verkehrssicher bestätigt. Nachdem sich die Geschäftsleitung geweigert habe, den LKW entsprechend in einen verkehrssicheren Zustand zu versetzen, habe er angekündigt, dies pflichtgemäß der zuständigen Berufsgenossenschaft zu melden.
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Empfangsquittungen habe er nicht gefälscht. Allein aus der Unleserlichkeit der Unterschriften könne nicht der Schluss auf eine Fälschung seinerseits gezogen werden. Sofern Pakete Kunden nicht erreicht haben sollten könne dies verschiedene Ursachen haben. Die vorgelegten Empfangsbestätigungen seien ihm teilweise gar nicht zuzuordnen. So weise die Quittung vom 9.12.2019 eine Übernahmezeit durch ihn um 7:15:20 Uhr auf, obwohl er seine Arbeit stets erst gegen 9 Uhr begonnen habe. Die auf der Quittung vom 28.11.2019 angegebene Übergabezeit 13:14:44 Uhr könne ihn nicht betreffen, da er an diesem Tag aufgrund eines Gerichtstermins seine Arbeit erst um ca. 17 Uhr begonnen habe. Ein Offboarding durch Firma … sei ihm nicht bekannt, jedenfalls könne ein solches nicht aufgrund eines Fehlverhaltens seinerseits erfolgt sein. Anhand der von der Beklagten vorgelegten Concessions ergebe sich schon nicht, dass es sich überhaupt um Kundenbeschwerden handle und welcher Art diese gewesen sein sollten bzw. welcher Kunde sich worüber beschwert habe. Weiter werde bestritten, dass es sich bei der dort angegeben Nummer des Fahrers um seine Nummer handle, insbesondere da dort Daten aufgeführt seien, welche nach seinem Arbeitsende am 18.12.2019 lägen. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere bereits mangels vorheriger Abmahnung. Die Beklagte sei nach den angeblichen Beschwerden seit November 2019 nicht an ihn herangetreten. Die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB werde gerügt. Er habe sich noch in der Probezeit befunden, sodass es der Beklagten nicht unzumutbar gewesen sei, ihn bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Die Beklagte hätte ihn auch für andere Auslieferungsfahrten oder ausschließlich zur Beladung und/oder Fahrzeugpflege einsetzen können.
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Ihm sei die Zahlung eines Verpflegungszuschusses zugesagt worden, welche für den Monat November 2019 auch in Höhe von 156,00 Euro zur Auszahlung gekommen sei. Für den Monat Dezember sei kein Verpflegungszuschuss bezahlt worden, daher stehe ihm für Dezember 2019 ein entsprechender Anspruch in Höhe von 156,00 Euro netto zu.
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Für den Zeitraum vom 1.1.2020 bis 3.1.2020 stehe ihm ein Vergütungsanspruch in Höhe von 200,00 Euro brutto zu. Zudem habe er Anspruch auf Urlaubsabgeltung für zwei Tage in Höhe von 133,33 Euro brutto.
I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.12.19, zugegangen am 20.12.2019, nicht aufgelöst worden ist.
II. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019, zugegangen am 20.12.2019, nicht aufgelöst worden ist, sondern bis zum Ablauf des 03.01.2020 fortbestand.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 333,33 Euro brutto sowie 156,00 Euro netto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 489,33 Euro seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger nach erfolgter Zahlung gemäß Ziff. III. Entgeltabrechnungen für den Monat Dezember 2019 unter Berücksichtigung eines Bruttoentgelts in Höhe von 1.935,00 € sowie einer zusätzlichen steuer- und sozialversicherungsfreien Zahlung eines Verpflegungszuschusses i.H.v. 156,00 € sowie für den Monat Januar 2020 über einen Bruttobetrag i.H.v. 200,00 € für die Zeit vom 01.01. bis 03.01.2020 sowie eine Urlaubsabgeltung i.H.v. 133,33 € für 2 Urlaubstage unter Berücksichtigung der Steuerklasse 3 und Konfessionslosigkeit ohne Kinderfreibetrag zu erteilen.
V. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
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Die Beklagte beantrag:
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Sie trägt vor, Hintergrund der außerordentlichen Kündigung sei, dass der Kläger von Firma … als Fahrer aufgrund von erheblichen Fehlbeständen bei der Auslieferung von Paketen, die er in seinem Besitz gehabt habe, gesperrt worden sei. Eine Abmahnung sei nicht erforderlich, da sich der Kläger grob treuwidrig verhalten habe. Die Kündigung sei vom CFO … unterzeichnet worden.
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Ein Streit im November 2019 mit dem Kläger sei der Geschäftsleitung nicht bekannt. Zudem nutze sie fast ausschließlich Neufahrzeuge. Es könne nicht nachvollzogen werden, ob es sich bei dem klägerseits vorgelegten Lichtbild um ein Fahrzeug der Beklagten handle, ob dies der Kläger gefahren habe und ob der Reifen ausreichendes Profil aufweise.
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Alleiniger Grund für die Kündigung seien Beschwerden von Kunden über den Kläger. Aus den von Firma … übermittelten sog. Concessions (Anlage B3, Bl. 50 ff. d.A.) ergäben sich allein für den Zeitraum vom 1.12.2019 bis 28.12.2019 insgesamt 21 Beschwerden über den Kläger, wobei letzter Arbeitstag des Klägers bereits der 18.12.2019 gewesen sei. Auch zuvor habe es schon Beschwerden über den Kläger gegeben. Die Beschwerden seien dem Kläger eindeutig zuzuordnen, da jeder Fahrer eine spezielle, nur für ihn vergebene Nummer erhalte, anhand derer unzweifelhaft nachvollziehbar sei, wer der Auslieferungsfahrer gewesen sei. Aufgrund der massiven Beschwerden sei der Kläger von Firma … mit E-Mail vom 16.12.2019 (Anlage B4, Bl. 54 d.A.) als Fahrer gesperrt worden mit einem sog. Offboarding. Aufgrund des Offboardings könne der Kläger nicht mehr für Fahrten bei Firma … eingesetzt werden. Das Offboarding sei von Firma … mit E-Mail vom 21.12.2019 (Anlage B5, Bl. 56 d.A.) nochmals bestätigt worden. Bei den vorgelegten Ausdrucken der einzelnen Auslieferungstouren mit den angelblichen Unterschriften von Nachbarn handle es sich um von Kunden bei Firma … gemeldete Vorgänge, bei denen laut Kunde das entsprechende Paket bei diesem nicht abgegeben worden sei. Beispielsweise ergebe der Auszug zur angeblichen Lieferung betreffend die Concession zur Tracking-Nr. … (Bl. 60 d.A.), dass der Kläger die Ware am 3.12.2019 um 10.10 Uhr aufgenommen und am selben Tag um 17.17 Uhr abgeliefert habe. Aus der Empfangsquittung zur Tracking-Nr. … (Bl. 64 d.A.) ergebe sich nicht, dass der Kläger die Ware um 7:15:20 Uhr aufgenommen habe, sondern dass dies ausweislich des Vermerks „out on road“ um 10:19:10 Uhr erfolgte; aus der Empfangsquittung zur Tracking-Nr. … (Bl. 59 d.A.) ergebe sich, dass der Kläger die Ware um 10:44:47 Uhr übernommen habe. Die Angabe „ready für departure“ habe nichts mit der Übernahme durch den jeweiligen Fahrer zu tun. Die Zeile „Concession Date“ bei der Übersicht Concessions (Anlage B3, Bl. 50 ff. d.A.) betreffe nicht den Zeitpunkt der Auslieferung, sondern den des Eingangs der Beschwerde bei Firma ….
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Die fristlose Kündigung sei gerechtfertigt. Der Kläger habe aufgrund des Offboardings durch A nicht mehr für die Fahrten eingesetzt werden können. Sie übernehme ausschließlich Aufträge für das Unternehmen A. Eine alleinige Beschäftigung des Klägers mit Be-/Entladung bzw. Fahrzeugpflege sei nicht möglich, da jeder Fahrer hierfür selbst verantwortlich sei.
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Zahlungsansprüche stünden dem Kläger nicht zu. Ein Verpflegungszuschuss sei vertraglich nicht vereinbart gewesen; ausweislich der Arbeitszeiten des Klägers im Dezember ergebe sich zudem allenfalls ein Betrag i.H.v. 132,00 Euro netto. Aufgrund der Abrechnung des Arbeitsverhältnisses bis 31.12.2019 liege eine Überzahlung i.H.v. 62,42 Euro brutto pro Tag für den Zeitraum ab Zugang der Kündigung vor. Sie erkläre diesbezüglich die Aufrechnung mit dem Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers i.H.v. 133,33 Euro brutto sowie mit einem etwaigen Verpflegungskostenzuschuss i.H.v. 132,00 Euro netto.
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Zum weiteren Vorbringen der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 313 Abs. 2 ZPO.
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Die Kammer hat keinen Beweis erhoben.
Entscheidungsgründe
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Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 a und b ArbGG) und das Arbeitsgericht Nürnberg örtlich zuständig, da die Beklagte ihren Sitz in A-Stadt hat (§ 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 12, 17 ZPO).
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Die Klage ist teilweise bereits unzulässig. So fehlt für den Zusatz im Klageantrag zu 1 betreffend den Zugangszeitpunkt der Kündigung vom 16.12.2019 sowie für den Klageantrag zu 2 betreffend den Zeitpunkt der Beendigung durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019 in der Probezeit bereits das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis des Klägers, insbesondere war der Zugangszeitpunkt der Kündigung vom 16.12.2019 zuletzt zwischen den Parteien unstreitig der 20.12.2019.
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Im Übrigen ist die Klage zulässig. Das für den Klageantrag zu 1 nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich bereits aus der drohenden Präklusionswirkung des § 4 KSchG.
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Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet. Dem Kläger stehen keine Zahlungsansprüche gegen die Beklagte zu. Ein Anspruch auf Erteilung von Abrechnungen ist nicht gegeben.
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1. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Zugang beim Kläger am 20.12.2019 beendet.
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a) Der Kläger hat innerhalb der Dreiwochenfrist der §§ 4, 7, 13 KSchG Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Nürnberg erhoben.
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b) Von der Kündigungsberechtigung des CFO … ist nach dem Vortrag der Beklagten, welcher durch den Kläger nicht substantiiert bestritten wurde (§ 138 Abs. 3 ZPO) auszugehen.
26
c) Ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB zur Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigung ist gegeben.
27
aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung erfolgt in zwei Stufen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Grund an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. z.B. BAG vom 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16, juris). Die Darlegungs- und Beweislast für alle Tatsachen, die eine außerordentliche Kündigung begründen, trägt im Kündigungsschutzprozess der Arbeitgeber.
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An das Vorliegen eines wichtigen Grundes sind strenge Anforderungen zu stellen. Die außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, wenn sie das letzte Mittel ist, um das Arbeitsverhältnis vorzeitig zu beenden. Sie greift bei besonders schwerwiegenden Gründen durch und kommt dann in Betracht, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und angemessenen Mittel erschöpft sind. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalles unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Vertragsverletzungen, etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlustes und der wirtschaftlichen Folgen, der Grad des Arbeitnehmerverschuldens, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf und die Sozialdaten des Arbeitnehmers (BAG vom 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09, juris).
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Ein wichtiger Grund setzt dabei nicht voraus, dass dem Gekündigten ein Verschulden vorzuwerfen ist. Auch in der Person des Gekündigten liegende unverschuldete und von ihm nicht zu vertretende Umstände können eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. In Betracht kommt eine außerordentliche Kündigung je nach den Umständen des Einzelfalles hier insbesondere dann, wenn dem Arbeitnehmer für die Durchführung erforderliche Genehmigungen oder Erlaubnisse entzogen werden, wie Arbeitsgenehmigungen oder Fahrerlaubnisse (vgl. KR/Fischermeier, § 626 BGB, Rn. 136 ff. m.w.N.).
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bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 2 BGB vorliegend gegeben.
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Dabei kann dahinstehen, ob tatsächlich Empfangsquittungen durch den Kläger unterschrieben und die entsprechenden Pakete nicht beim jeweiligen Kunden abgegeben wurden. Es genügt bereits das sog. Offboarding des Klägers durch Firma … mit E-Mail vom 16.12.2019 bzw. Bestätigung vom 21.12.2019 als wichtiger Grund an sich, um die außerordentliche Kündigung der Beklagten zu rechtfertigen. Mit E-Mail vom 16.12.2019 (Bl. 54 d.A.) erklärte Firma … gegenüber der Beklagten das Offboarding des Klägers. Das Offboarding hat nach dem Vortrag der Beklagten, welcher durch den Kläger nicht bestritten wurde und somit als unstreitig gilt (§ 138 Abs. 3 ZPO) zur Folge, dass der Kläger für sämtliche Fahrten für Firma … gesperrt ist und hierfür von der Beklagten nicht mehr eingesetzt werden kann. Ob die auf der E-Mail vom 16.12.2019 angegebene Fahrernummer („ID“) dem Kläger zuzuordnen ist kann dabei dahinstehen, da die E-Mail jedenfalls auch den Klarnamen des Klägers enthält. Die Beklagte übernimmt unstreitig ausschließlich Aufträge für Firma …. Infolge der Sperrung durch Firma … kann der Kläger seine arbeitsvertragliche Verpflichtung als Kurierfahrer für die Beklagte nicht mehr erbringen, die Beklagte kann den Kläger nicht mehr beschäftigen. Der Vortrag des Klägers, er könne ausschließlich zu Be- und Entladetätigkeiten bzw. zur Fahrzeugpflege eingesetzt werden, trägt nicht. Denn nach dem Vortrag der Beklagten, welcher klägerseits nicht substantiiert bestritten wurde, werden diese Tätigkeiten in einem eng getakteten System von den jeweiligen Fahrern selbst durchgeführt, so dass ein wie vom Kläger geschilderter Arbeitsplatz gerade nicht bei der Beklagten vorhanden ist. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile war der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für den Zeitraum bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Kläger sich noch in der Probezeit befand, mit der Folge, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist einen relativ kurzen Zeitraum bis zum 3.1.2020 betraf. Allerdings ist dies gerade auch zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, da insofern auch nur eine sehr kurze Betriebszugehörigkeit des Klägers von etwa einem Monat vorlag. Auch die sonstigen Sozialdaten des Klägers lassen keine erhöhte Schutzbedürftigkeit des Klägers erkennen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Einsatz des Klägers aufgrund des Offboardings vollständig unmöglich wurde, war der Beklagten selbst das Einhalten der kurzen Probezeitkündigungsfrist nicht zumutbar. Eine Abmahnung war vorliegend nicht erforderlich, da sich die Kündigung unabhängig von einem Verschulden des Klägers bereits aufgrund der Sperre durch A und der hieraus resultierenden fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers durch die Beklagte ergibt.
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Als Ergebnis der Einzelfallabwägung ist festzuhalten, dass unter Abwägung der wechselseitigen Parteiinteressen der Beklagten ein Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum Zeitpunkt des Ablaufs der Probezeitkündigungsfrist nicht zumutbar war. Das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung überwiegt das Interesse des Klägers an einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 3.1.2020.
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cc) Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt. Unabhängig von etwaigen Beschwerden über den Kläger bereits im November 2019 hatte die Beklagte von der für den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers maßgeblichen Sperre durch Firma … erst Kenntnis aufgrund der E-Mail vom 16.12.2019.
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dd) Der Einwand des Klägers, Grund der Kündigung durch die Beklagte sei ein Streitgespräch im November 2019 gewesen, verfängt vor dem Hintergrund obiger Ausführungen nicht. Im Übrigen ist ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen einem etwaigen Streit im November 2019 und dem Ausspruch der Kündigung schon nicht ersichtlich.
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2. Dem Kläger stehen keine Zahlungsansprüche gegen die Beklagte zu.
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a) Der klägerseits geltend gemachte Vergütungsanspruch für den Zeitraum vom 1.1.2020 bis zum 3.1.2020 ist nicht gegeben, da zu diesem Zeitpunkt zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis mehr bestand. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 16.12.2019 zum 20.12.2019.
37
b) Zwar ist ein Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung i.H.v. 133,33 Euro brutto entstanden, jedoch aufgrund der durch die Beklagte erklärten Aufrechnung bereits erloschen.
38
Der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von zwei Urlaubstagen folgt aus § 7 Abs. 4 BUrlG. Der Kläger hatte einen jährlichen gesetzlichen Urlaubsanspruch in Höhe von 20 Arbeitstagen, vgl. § 6 Abs. 1 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrages vom 24.10.2019. Der Kläger hat Anspruch auf Teilurlaub für einen vollen Monat, mithin 1,66 Tage, da er vor erfüllter Wartezeit (§ 4 BUrlG) zum 20.12.2019 aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, § 5 Abs. 1 lit. b BUrlG. Dieser war gemäß § 5 Abs. 2 BUrlG auf zwei Tage aufzurunden. Die Berechnung der Höhe des klägerischen Anspruchs auf Urlaubsabgeltung folgt den Regeln des § 11 BUrlG. Die Höhe entspricht dem Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer während einer urlaubsbedingten Freistellung im Falle des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses fortzuzahlen gewesen wäre. Der Arbeitsverdienst des Klägers betrug monatlich 2.000,00 Euro brutto. Dem Kläger steht damit für zwei Urlaubstage ein Abgeltungsanspruch in der geltend gemachten Höhe von 133,33 Euro brutto zu.
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Der Anspruch des Klägers ist jedoch aufgrund Aufrechnung erloschen, § 389 BGB. Eine Aufrechnungserklärung der Beklagten i.S.d. § 388 BGB liegt vor. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 17.4.2020 im Hinblick auf ihren Zahlungsanspruch gegen den Kläger betreffend die Lohnüberzahlung für den Zeitraum vom 21.12.2019 bis zum 31.12.2019 i.H.v. 686,61 Euro brutto in Bezug auf den Anspruch des Klägers gegen sie auf Urlaubsabgeltung i.H.v. 133,33 Euro brutto die Aufrechnung erklärt. Eine Aufrechnungslage ist gegeben, § 387 BGB. Insbesondere kann bei der Rückforderung von Lohnbestandteilen die Bruttoüberzahlung gegen die Bruttoforderung auch aufgerechnet werden, da sich dann die sich gegenüberstehenden Forderungen im wirtschaftlichen Ergebnis gleich sind (EK/Preis, § 611 a BGB, Rn. 450).
40
c) Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung eines Verpflegungszuschusses für Dezember 2019 ist nicht gegeben. Es fehlt bereits an einer entsprechenden Anspruchsgrundlage. Die Beklagte hat den Vortrag des Klägers, ihm sei ein Verpflegungszuschuss zugesagt worden, bestritten und vorgebracht, ein solcher sei nicht vereinbart worden. Der Kläger hat sich hierzu nicht näher erklärt, insbesondere nicht vorgetragen, vom wem wann auf welche Art und Weise eine solche Zusage erfolgt sein sollte, sodass das pauschale Bestreiten durch die Beklagte genügt. Auch dem vorgelegten Arbeitsvertrag vom 24.10.2019 ist eine Vereinbarung über einen Verpflegungszuschuss nicht zu entnehmen.
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3. Der Klageantrag auf Abrechnungserteilung war ebenfalls abzuweisen. Der Kläger hat für den Monat Dezember 2019 bereits eine Abrechnung erhalten, welche er selbst im Verfahren vorgelegt hat (Anlage K4, Bl. 32 d.A.), sodass sein Anspruch aus § 108 Abs. 1 GewO diesbezüglich bereits erfüllt ist (§ 362 Abs. 1 BGB). Im Übrigen steht dem Kläger unabhängig von der fachlichen Zuständigkeit hierfür ein Anspruch auf inhaltliche Änderung jedenfalls mangels entsprechender Zahlungsansprüche nicht zu, vgl. obige Ausführungen. Für Januar 2020 bestehen keine Zahlungsansprüche des Klägers (vgl. oben), sodass ein Anspruch nach § 108 Abs. 1 GewO für Januar 2020 nicht gegeben ist.
42
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO und begründet sich mit dem Unterliegen des Klägers.
43
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ff. ZPO.
44
Soweit die Berufung nicht bereits kraft Gesetzes statthaft ist (§ 64 Abs. 2 lit. b und c ArbGG), war sie nicht zuzulassen, da die Zulassungsvoraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG nicht gegeben sind. Insbesondere kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu, § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG.