Inhalt

LG Kempten, Endurteil v. 30.12.2020 – 1 HK O 503/20
Titel:

Ankauf und Verwendung kundenspezifischer Daten eines privaten Krankenversicherers - "Tarifoptimierung"

Normenketten:
GeschGehG § 2 Nr. 1, Nr. 3, § 4 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 6, § 10
BGB § 823 Abs. 1, § 1004
BSDG § 34
DSG-VO Art. 15
StGB § 203 Abs. 1 Nr. 7
Leitsätze:
1. Ein Unterlassungsanspruch wegen der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen (hier: Ankauf und Verwendung kundenspezifischer Daten eines Krankenversicherers durch einen Versicherungsvermittler), der auf eine vor Inkrafttreten des GeschGehG am 26.4.2019 vorgefallene Verletzungshandlung gestützt wird, ist nach dem Inkrafttreten des GeschGehG allein nach dessen § 6 zu beurteilen. Er ist in einem solchen Fall dann gegeben, wenn das beanstandete Verhalten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig war, als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung rechtswidrig ist. Es muss demnach ein rechtsverletzendes Verhalten, welches vor dem Inkrafttreten des GeschGehG stattgefunden hat, noch andauern. (Rn. 35 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Derjenige, der eine Rechtsverletzung iSv § 4 GeschGehG geltend macht, muss darlegen und beweisen, dass die jeweiligen Voraussetzungen eines Verletzungstatbestands oder mehrerer Verletzungstatbestände erfüllt sind. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine mittelbare Verletzungshandlung iSv § 4 Abs. 3 GeschGehG setzt voraus, dass der Anspruchsgegner das Geschäftsgeheimnis über eine andere Person erlangt und zum Zeitpunkt der Erlangung, Nutzung oder Offenlegung weiß oder wissen muss, dass diese das Geschäftsgeheimnis entgegen § 4 Abs. 2 GeschGehG genutzt oder offengelegt hat. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
4. Allein aus der Interessenlage von Versicherern, dass die Daten ihrer Versicherungsnehmer nicht an Dritte gelangen, kann nicht der Rückschluss gezogen werden, versicherungsspezifische Datensätze ihrer Versicherungsnehmer seien auf dem freien Markt nicht oder nur dann verfügbar, wenn dem ein rechtwidriges Handeln vorangegangen ist. (Rn. 57 und 58) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
kundenspezifische Daten, Unterlassungsanspruch, Geschäftsgeheimnisse, Betriebsgeheimnisse, Krankenversicherung, Versicherungsvermittler, Tarifoptimierung, mittelbare Verletzungshandlung, Darlegungslast
Fundstellen:
MMR 2021, 581
LSK 2020, 45020
BeckRS 2020, 45020

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits, einschließlich der Kosten der Nebenintervention, trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um einen Unterlassungsanspruch, gestützt auf die Verletzung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen der Klägerin durch die Beklagte.
2
Die Klägerin ist eine private Krankenversicherungsgesellschaft. Die Beklagte ist eine Versicherungsvermittlung und bietet unter anderem Dienstleistungen als sogenannte „Tarifoptimierungen“ an.
3
Versicherungsnehmer der Klägerin ist der Zeuge R. S1.. Die kundenspezifischen Daten des Versicherungsnehmers S1., die bei ihr vorlagen, gab die Klägerin an keinen unberechtigten Dritten, insbesondere nicht an die Firma ..., Frau B. oder die Beklagte, heraus.
4
Am 11.04.2019 erhielt der Zeuge S1. einen Anruf einer „Frau S2. B.“, welche angab für eine Firma ... tätig sein.
5
Am 24.04.2019 erhielt der Zeuge S1. einen Anruf des Geschäftsführers der Beklagten. Dieser nahm Bezug auf das vorangegangene Telefonat mit Frau S2. B.. Auch forderte er den Zeugen auf, sich mit einem Passwort zu legitimieren. Er bot an, dessen Krankenversicherungsvertrag gegen Honorar zu optimieren.
6
Auf Bitten des Zeugen S1. gab der Geschäftsführer der Beklagten diesem für einen Rückruf seine Telefonnummer, da der Zeuge S1. zunächst Rücksprache mit der Rechtsabteilung der Klägerin halten wollte.
7
Nach Absprache mit der Klägerin ging der Zeuge S1. zum Schein auf das Angebot der Beklagten zur Tarifoptimierung ein und rief diese zurück. Im Anschluss an das Telefonat übersandte der Geschäftsführer der Beklagten dem Zeugen S1. am 08.05.2019 eine Mail. Bezüglich deren Inhalts wird auf die Anlage K 3 Bezug genommen.
8
Mit Schreiben vom 14.05.2019 mahnte die Klägerin die Beklagten ab und forderte sie zur Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auf. Aufgrund der eingetretenen Gesetzesänderung erfolgte am 12.07.2019 eine weitere Abmahnung, sowie die erneute Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung. Diese Abmahnung ging der Beklagten am 18.07.2019 zu. Mit Schreiben vom 20.08.2019 wies die Beklagte die von Klägerseite geltend gemachten Ansprüche zurück.
9
Der Zeuge S1. trat seine etwaigen Ansprüche am 30.09./05.10.2019 an die Klägerin ab.
10
Die Klägerin trägt vor, dass Frau B. alle wesentlichen Daten des Krankenversicherungsvertrags des Zeugen S1., so die Höhe der Versicherungsprämie und der abgeschlossene Versicherungstarif bekannt gewesen wären. Zudem habe Frau B. gegenüber dem Zeugen S1. angegeben, im Auftrag der Klägerin anzurufen, welche seine Daten der Firma ... mitgeteilt habe, das Kennwort laute „Optimierung“.
11
Der Zeuge S1. habe keine Einwilligung zu dem Anruf erteilt. Des Weiteren habe dieser seine Daten nicht an Dritte weitergegeben.
12
Auch der Geschäftsführer der Beklagte sei bei seinem Anruf am 24.04.2019 beim Zeugen S1. detailliert über dessen Krankenversicherungsvertrag informiert gewesen; so seien ihm die Höhe der Versicherungsprämie, sowie der abgeschlossene Versicherungstarif bekannt gewesen.
13
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte Daten verwendet habe, zu deren Besitz sie nicht berechtigt gewesen sei. Bei den Daten, so dem Namen, Geburtsdatum, der Anschrift und den Kontaktdaten des Zeugen S1., die Versicherungsdauer, die Beitragshöhe und der Umstand, dass sein Kind zusatzversichert sei, würden dem Schutz des § 203 I Nr. 7 StGB, des § 34 Bundesdatenschutzgesetz, Artikel 15 Datenschutzgrundverordnung und des § 2 GeschGehG unterfallen.
14
Die Mitarbeiter der Klägerin würden schriftlich auf die Geheimhaltungspflichten hinsichtlich der versicherungsspezifischen persönlichen Daten der Kunden der Klägerin, sowie die Pflichten auf dem Bundesdatenschutzgesetz und der Datenschutzgrundverordnung hingewiesen bzw. verpflichtet.
15
Auch würde der Zugriff auf die EDV dergestalt gesichert, dass auf die jeweiligen Daten nur die Personen Zugriff haben, die die Daten hausintern verarbeiten müssen. Zugriff auf die EDV hätten nur Mitarbeiter der Klägerin, was dadurch sichergestellt werde, dass den Mitarbeitern jeweils Passwörter zur Verfügung gestellt würden, mit denen sie jeweils im EDV-System im Rahmen ihrer Freigabe arbeiten könnten.
16
Aus dem Umstand, dass weder die Klägerin, noch der Kunde selbst dessen kundenspezifische Daten an Dritte oder die Beklagte herausgegeben hätten, würde folgen, dass die Beklagte über die krankenversicherungsvertragsspezifischen Daten des Zeugen S1. nicht legal verfügen würde.
17
Das Verfahren wurde mit Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 17.03.2020 abgetrennt und in der Folge an das Landgericht Kempten verwiesen (Blatt 44/45 der Akten).
18
Soweit die Klägerin im Wege einer Stufenklage beantragte hat, die Beklagte zu verurteilen
1.
Auskunft zu erteilen, wann sie sich welche Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Klägerin durch Anwendung welcher technischen Mittel und/oder Herstellung welcher verkörperter Wiedergabe des Geheimnisses und/oder Wegnahme welcher Sache, in der das Geheimnis verkörpert ist, wie und durch wen unbefugt verschafft oder gesichert hat und wann sie dieses sich so gesicherte Geheimnis wem unbefugt auf welche Art und Weise mitgeteilt oder in welcher sonstigen Weise gegenüber wem verwendet hat;
2.
gegebenenfalls die Vollständigkeit und Richtigkeit der erteilten Auskunft an Eides statt zu versichern;
3.3.
an die Klägerin Schadensersatz, in einer nach Erteilung der Auskunft und gegebenenfalls Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu beziffernden Höhe zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
haben die Parteien den Rechtsstreit mit Schriftsätzen vom 09.06.2020 (Bl. 66/70) und 04.08.2020 (Bl. 92) übereinstimmend für erledigt erklärt.
19
Die Klägerin hat zuletzt mit der am 22.11.2019 zugestellten Klage beantragt:
1.1.
Der Beklagten wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgelds bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monate, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem jeweiligen Geschäftsführer der Beklagten zu vollziehen ist untersagt,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Klägerin im Sinne von § 2 Geschäftsgeheimnisgesetz, wie beispielsweise Kundennamen, Versicherungstarif, Versicherungsprämie unrechtmäßig zu speichern und/oder zu verwerten und/oder zu verwenden und/oder in sonstiger Weise zu geschäftlichen Zwecken zu nutzen, wie im Zusammenhang mit der Kontaktaufnahme zu Herrn S 1 im April 2019 geschehen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.348,94 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
20
Die Beklagte beantragt:
die Klage abzuweisen.
21
Die Beklagte wendet ein, dass die Zeugin B. nicht für die Beklagte tätig sei. Die Beklagte habe den Datensatz des Zeugen S1. nach dem Telefonat vom 11.04.2019 von der Firma A. - welche dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten ist - angekauft. Hinsichtlich des Datensatzes wird auf die Anlage B1 Bezug genommen. Dieser beinhaltete - insoweit unstreitig - u.a. persönliche Daten des Zeugen S1., dessen Erreichbarkeit und in Bezug auf den Versicherungsvertrag die Versicherungsgesellschaft (die Klägerin), die Versicherungsdauer, den Beitrag und die Zusatzversicherung eines Kindes.
22
Die Beklagte bzw. deren Geschäftsführer sei dabei im guten Glauben an die Rechtmäßigkeit der erlangten Daten gewesen, insbesondere sei sie davon ausgegangen, dass der Zeuge S1. seine Einwilligung erteilt habe.
23
Auch bestreitet die Beklagte, dass die kundenspezifischen Daten nicht durch den Zeugen S1. an Dritte herausgegeben worden wären.
24
Der Zeuge S1. habe auf die Frage der Zeugin B., ob dieser mit einem Anruf zum Thema Tarifoptimierung einverstanden sei, seine Einwilligung hierzu erteilt. Mit Ausnahme der in dem Datensatz enthaltenen Daten habe die Beklagte bzw. deren Geschäftsführer, welcher das Telefonat mit der Klägerin getätigt habe, über keine weiteren persönlichen Daten verfügt.
25
Nach Auffassung der Beklagten handelt es sich bei diesen Daten nicht um Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin sei nicht hinreichend substantiiert. Auch werde nicht vorgetragen, gegen welches Handlungsverbot nach § 4 GeschGehG die Beklagte verstoßen habe.
26
Die Streitverkündete wendet ergänzend ein, dass sie den Lead selbst von einem den Lead generierenden Unternehmen, so von der Firma ... Direkt Marketing DOO, K. in Bosnien und Herzegowina, erworben habe. Sämtliche im Lead enthaltene Daten hätten vom Versicherungsnehmer gestammt. Die Zeugin B. sei Mitarbeiterin der Firma ... Direkt Marketing
27
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2020 Beweis erhoben durch informatorische Anhörung des Geschäftsführers der Beklagten und uneidliche Einvernahme des Zeugen S 1. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2020 (Blatt 126/132 der Akten) Bezug genommen.
28
Zur Ergänzung des Tatbestands nimmt das Gericht Bezug auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2020.

Entscheidungsgründe

I.
29
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
30
Die Klägerin hat gegen die Beklagte weder Anspruch auf Abgabe einer Unterlassungserklärung, noch Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Wege des Schadensersatzes.
1. GeschGehG
31
Ein Unterlassungsanspruch ergibt sich nicht aus § 6 GeschGehG.
a. Anwendbarkeit des GeschGehG
32
Der Unterlassungsanspruch richtet sich nach dem GeschGehG.
33
Das GeschGehG ist am Tag nach seiner Verkündung, mithin am 26.04.2019 in Kraft getreten. Das Telefonat mit dem Beklagten fand am 24.04.2019, die weitere Kontaktaufnahme zwischen dem Zeugen S1. und dem Geschäftsführer der Beklagten ... Anfang Mai 2019 statt. Abschließend sandte der Geschäftsführer der Beklagten den Zeugen S1.m 08.05.2019 eine Mail.
34
Auch wenn der Anspruch auf eine Gesetzesverletzung, mithin die Kontaktaufnahme der Beklagten zum Zeugen S1., gestützt wird, die vor dem Inkrafttreten des GeschGehG stattgefunden hat, ist zu berücksichtigen, dass ein auf Wiederholungsgefahr gestützter Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird.
35
Dieser hat zwingend zum Gegenstand, dass ein rechtsverletzendes Verhalten, welches vor dem Inkrafttreten des GeschGehG stattgefunden hat, noch andauert.
36
Wird ein Unterlassungsanspruch auf eine noch unter altem Recht vorgefallene Verletzungshandlung gestützt, so ist der Unterlassungsanspruch nach dem Inkrafttreten des GeschGehG allein nach § 6 zu beurteilen (Köhler/Bornkamm/Feddersen, GeschGehG vor § 1 Rn. 99).
37
Ein Unterlassungsanspruch ist gegeben, wenn das beanstandete Verhalten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig war, als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung rechtswidrig ist (Köhler/Bornkamm/Feddersen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, vor § 1 GeschGehG, Randnummer 99).
b. keine Rechtsverletzung gem. §§ 2 Nr. 3, 4 GeschGehG
38
Das Gericht konnte nicht feststellen, dass die Beklagte eine Rechtsverletzung im Sinne des § 2 Nr. 3 GeschGehG i.V.m. § 4 GeschGehG begangen hat.
39
(1) Die Darlegungs- und Beweislast für eine Rechtsverletzung nach § 4 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Geschäftsgeheimnisgesetz obliegt der Klägerin.
40
Auszugehen ist von den allgemeinen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast. Derjenige, der eine Rechtsverletzung i.S.d. § 4 geltend macht, muss darlegen und beweisen, dass die jeweiligen Voraussetzungen eines Verletzungstatbestands oder mehrerer Verletzungstatbestände erfüllt sind (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Alexander, 39. Aufl. 2021 Rn. 83, GeschGehG § 4 Rn. 83)
41
Das Gericht verkennt nicht, dass es der Klägerin zwangsläufig schwer fällt, dieser Darlegungs- und Beweislast nachzukommen, da regelmäßig konkrete Kenntnisse, wie bestimmte Personen in den Besitz bestimmter Daten gelangt sind, fehlen. Gleichwohl ist im Interesse der in Anspruch genommenen Personen zu berücksichtigen, dass auch an diese keine überobligatorischen Anforderungen gestellt werden können.
42
(2) Die durchgeführte Beweisaufnahme hat den Beklagtenvortrag bestätigt, wonach die Beklagte am 11.04.2019 einen Lead, so die Anlage B1, von der Fa. A. käuflich erwarben hat. Dieser Lead war Grundlage für die Kontaktaufnahme des Geschäftsführers der Beklagten zum Zeugen S1. am 24.04.2019.
43
Der Beklagten ist zuzustimmen, dass der Vortrag der Klägerin zum haftungsbegründenden Sachverhalt zu unsubstantiiert ist. Die Klägerin hat sich darauf beschränkt, den Rückschluss auf ein rechtswidriges Erlangen bzw. Nutzen von Geschäftsgeheimnissen durch die Beklagte zu ziehen, indem sie ausgeführt hat, dass weder sie bzw. ihre Mitarbeiter noch der Zeuge S 1 als Versicherungsnehmer die Daten weitergegeben hätten.
44
Die Beklagte hat sich - im Rahmen der ihr obliegenden sekundären Darlegungs- und Beweislast - dahingehend substantiiert eingelassen, dass sie den Lead von der Firma A. erworben habe. Diese hat wiederum ausgeführt, den Datensatz von der Firma ... Direkt Marketing DOO, K. in Bosnien und Herzegowina erlangt zu haben.
45
Im Rahmen seiner informatorischen Anhörung hat der Geschäftsführer der Beklagten, ..., zur Überzeugung des Gerichts angegeben den Lead mit Daten des Zeugen S1. am 11.04.2019 von der Firma A. käuflich erworben zu haben. Bestätigt werden diese Angaben durch die von Beklagtenseite vorgelegte Anlage B1, welche auf dem Blatt oben rechts auf die Firma A. ausweist. Auch wenn nicht ersichtlich ist, weshalb die zunächst als Anlage B1 vorgelegte Kopie die Firma A. nicht ausweist, so kann dies der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten Anlage B1 (nach Bl. 132 d.A.) entnommen werden. Hierbei handelt es sich um die vollständige Version, wie auch der Geschäftsführer der Beklagten im Rahmen seiner Anhörung bestätigt hat.
46
Die Angaben des Geschäftsführers der Beklagten, wie er an die Daten gelangt ist, wie das Telefonat mit dem Zeugen S1. abgelaufen ist und wie er mit der Absage des Zeugen S1. umgegangen ist, sind für das Gericht überzeugend und schlüssig. Diese decken sich mit der vorgelegten Anlage B1, so auch den handschriftlichen Vermerken, wie „k.l.“, mithin dass der Zeuge S1. kein Interesse an einer Tarifoptimierung habe.
47
Das Gericht ist deshalb davon überzeugt, dass der Geschäftsführer der Beklagten den Datensatz von der Firma A. erworben hat und es in der Folge am 24.04.2019 zu einem erstmaligen Kontakt zwischen der Beklagten und dem Versicherungsnehmer der Klägerin, dem Zeugen S1., gekommen ist.
48
Anhaltspunkte, welche gegen die Richtigkeit der Angaben des Geschäftsführers der Beklagten sprechen würden, liegen nicht vor. Insbesondere wurde seitens der Klägerin nicht dargelegt, wie die Beklagte die Daten des Zeugen S1.nderweitig erlangt hätte.
49
Soweit der Zeuge S1. bei seiner Einvernahme angegeben hat, dass Herr D. bei dem Telefonat über mehr Daten verfügt habe, als auf dem von der Firma A. übermittelten Datenblatt enthalten wären, kann sich das Gericht hiervon nicht überzeugen. Zwar hat der Zeuge S1. ausgesagt, dass der Anrufer neben den aufgeführten Daten auch den Tarif genannt habe. Auf Nachfrage räumte der Zeuge ein, dass ihm viele Daten genannt worden wären. Deshalb kann das Gericht nicht ausschließen, dass der Zeuge einzelne Daten nicht mehr richtig in Erinnerung hat, zumal das Geschehen bereits über 1 Jahr zurücklag. Ähnlich verhält es sich mit der Angabe des Zeugen S1., ob der Anrufer angab, im Auftrag der Krankenkasse zu handeln. Während er zu Beginn seiner Vernehmung ausführte, dass es für ihn ganz klar zu erkennen gewesen wäre, dass der Anrufer von der Zentralkrankenkasse anrufe bzw. es für ihn ganz klar gewesen wäre, meinte er sich am Ende der Vernehmung zu erinnern, dass ihm dies auch explizit im Rahmen des Telefonats gesagt worden wäre.
50
Es mag sein, dass der Zeuge S1. bei dem Telefonat mit dem Geschäftsführer der Beklagten davon ausgegangen ist, es rufe ihn jemand von seiner Krankenkasse an. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass dies gegenüber dem Zeugen S1. auch so geäußert wurde.
51
Der Geschäftsführer der Beklagten hat ausgeführt, er habe zu Beginn des Gesprächs Herrn S1. mitgeteilt, dass er dessen Daten von der Firma A. erworben habe. Auch die Mail vom 08.05.2019, welche die Beklagte an den Kläger sandte, spricht dafür, dass sich Herr D. nicht als Mitarbeiter der Klägerin ausgegeben hat oder angegeben hat in deren Auftrag anzurufen. So ist der Mail (Anlage K3) zu entnehmen, dass Absender die SD Finanz ist. Dies folgt bereits aus der Mailadresse, wie auch den umfangreichen Angaben zum Absender der Mail.
52
(3) Ausgehend von der Überzeugung des Gerichts, dass die Beklagte den Datensatz (Anlage B1) von der Firma A. erlangt hat, scheiden Rechtsverletzungen nach § 4 Abs. 1 oder 2 GeschGehG aus.
53
Auch eine mittelbare Verletzungshandlung nach § 4 Abs. 3 GeschGehG ist der Beklagten nicht vorzuwerfen.
54
Eine mittelbare Verletzungshandlung nach § 4 Abs. 3 GeschGehG würde voraussetzen, dass die Beklagte das Geschäftsgeheimnis über eine andere Person erlangt hätte und zum Zeitpunkt der Erlangung, Nutzung oder Offenlegung wusste oder hätte wissen müssen, dass diese das Geschäftsgeheimnis entgegen § 4 Abs. 2 genutzt oder offengelegt hätte.
55
Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass die Beklagte Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von einer Rechtsverletzung hatte.
56
Der Verletzungstatbestand fordert ein subjektives Element in der Person des Handelnden. Sie muss das Geschäftsgeheimnis erlangt haben, obwohl sie wusste oder hätte wissen müssen, dass die andere Person das Geschäftsgeheimnis entgegen § 4 Abs. 2 genutzt oder offengelegt hat. Dem steht es gleich, wenn die andere Person - vor dem Inkrafttreten des Geschäftsgeheimnisgesetzes - einen Verletzungstatbestand verwirklicht hat, der nach seinen Voraussetzungen seinem Unrechtsgehalt einer Rechtsverletzung im Sinne des § 4 Abs. 2 vollständig entspricht. Ein Wissen liegt vor, wenn die handelnde Person Kenntnis davon hatte, dass der Dritte einen Tatbestand gemäß § 4 Abs. 2 verwirklicht hat. Dies entspricht den Anforderungen an ein vorsätzliches Verhalten. Dem gegenüber ist davon auszugehen, dass eine Person von der Rechtsverletzung „wissen müsste“, wenn die Unkenntnis auf Fahrlässigkeit beruht, also bei Anlegung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt die Rechtsverletzung hätte erkannt werden können und müssen. Von einem Wissenmüssen ist insbesondere auch dann auszugehen, wenn sich die handelnde Person der Einsicht verschließt, dass das erlangte Geschäftsgeheimnis auf ein unerlaubtes Nutzen oder Offenlegen zurückzuführen ist (Köhler-Bornkamm-Feddersen, a.a.O., § 4 Randnummer 69, 70).
57
Der Klägerin ist zuzustimmen, dass die Versicherungsgesellschaften hohes Interesse daran haben, dass die Daten ihrer Versicherungsnehmer nicht an Dritte gelangen. Diese Dritte haben ein eigenes finanzielles Interesse daran, die Versicherungsnehmer zu einem Wechsel zu einer anderen Versicherungsgesellschaft zu bewegen oder zu einem günstigeren Tarif. Dem gegenüber steht das Interesse der Versicherungsgesellschaften die Kunden zu halten.
58
Gleichwohl kann aus dieser Interessenlage der Versicherungsgesellschaften nicht der Rückschluss gezogen werden, so wie es die Klägerin gerne vornehmen möchte, dass die versicherungsspezifischen Datensätze ihrer Versicherungsnehmer auf dem freien Markt nicht verfügbar wären bzw. nur verfügbar wären, wenn dem ein rechtwidriges Handeln vorangegangen ist.
59
So ist zu sehen, dass dem Interesse der Versicherungsgesellschaften das Interesse der Versicherungsnehmer gegenübersteht, zu optimalen Konditionen versichert zu sein. Abhängig von dem jeweiligen Versicherungsnehmer kann dies darin bestehen, zu einem günstigeren Tarif oder zu besseren Versicherungsbedingungen versichert zu sein. Aus diesem Interesse heraus erklären viele Versicherungsnehmer ihr Einverständnis, beispielsweise bei bestimmten Internetportalen, ihnen Angebote zukommen zu lassen bzw. mit einer Kontaktaufnahme, um Weiteres abzuklären.
60
Aus diesem Grund durfte die Beklagte von einem rechtmäßigen Angebot des Datensatzes ausgehen und davon, dass die Daten durch den Versicherungsnehmer erlangt worden waren und dieser seine Einwilligung mit einer Kontaktaufnahme durch die Beklagte erteilt hatte. Umstände, welche dafür sprachen, dass der streitgegenständliche Datensatz nicht rechtmäßig erlangt worden wäre, wurden von der Klägerin nicht dargelegt. Auch oblag es der Beklagten bzw. einem Käufer von Datensätzen nicht im Einzelfall zu prüfen, ob die Datensätze rechtmäßig erlangt worden sind.
61
Das Gericht schließt sich den Ausführungen des Landgerichts Augsburg im Teilurteil vom 14.07.2020 an, dass die Klägerin nicht dargelegt habe, dass die Beklagte über weitergehende Kenntnisse - über den erworbenen Lead hinaus - verfügen müsste. Der Erwerb von Leads ist ein üblicher Geschäftsvorgang. Auch liegen keine Anhaltspunkte vor, dass die Beklagte, z.B. aufgrund anderer Vorgänge, mit falschen Angaben der Verkäuferin hätte rechnen müssen.
62
Die Rechtsverletzung lässt sich auch nicht auf die im Rahmen der Abmahnungen bzw. des Klageverfahrens durch die Beklagte, gegenüber der Klägerin geltend gemachte Verletzung von Geschäftsgeheimnissen stützen.
63
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen, bildet der Zeitpunkt bzw. Zeitraum der Verletzungshandlung, also des Erlangten, Nutzens oder Offenlegens der Geschäftsgeheimnisse. Erhält eine handelnde Person später von der vorausgegangenen Rechtsverletzung des Dritten Kenntnis, dann begründet dies allein keine mittelbare Rechtsverletzung (a.a.O. § 4 Randnummer 73).
64
Ein Unterlassungsanspruch nach § 6 GeschGehG ist bereits mangels Rechtsverletzung der Beklagten i.S.d. § 2 Nr. 3, § 4 GeschGehG nicht gegeben.
c. Geschäftsgeheimnis i.S.d. § 2 Nr. 1 GeschGehG
65
Mangels Entscheidungsrelevanz kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei den krankenversicherungsspezifischen Daten des Zeugen S 1, so seinem Namen, dem Geburtsdatum, der Anschrift und den Kontaktdaten, die Versicherungsdauer, die Beitragshöhe und der Zusatzversicherung eines Kindes und seinem Versicherungstarif, um Geschäftsgeheimnisse im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG handelt oder nicht.
66
Mithin bedarf es auch keiner Entscheidung, ob der klägerische Vortrag insoweit hinreichend substantiiert ist und gegebenenfalls die vorgetragenen Schutzmaßnahmen, wie die Verpflichtung der Mitarbeiter zur Geheimhaltung und die Zugangssicherung mittels Passwörtern, zureichend sind.
67
2. Der Unterlassungsanspruch kann nicht auf §§ 823, 1004 BGB, gegebenenfalls i.V.m. § 34 BDSG oder Artikel 15 Datenschutzgrundverordnung, gestützt werden.
68
Auch insoweit fehlt es an einem dargelegten und bewiesenen Verschulden der Beklagten. § 823 Abs. 1 greift nur dann ein, wenn der Schädiger vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.
69
3. Aus den vorgenannten Gründen besteht auch kein Schadensersatzanspruch. Ein solcher ergibt sich weder aus § 10 GeschGehG, noch aus § 823 BGB i.V.m. § 34 Bundesdatenschutzgesetz, Artikel 15 Datenschutzgrundverordnung oder § 203 StGB. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
II.
70
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 91a, 101 I ZPO.
71
Soweit der Rechtsstreit von den Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt wurde (ursprünglich Klageantrag Ziffer 3) (bzw. 3 a) bb), b), c)) sind die Kosten nach § 91a ZPO der Klägerin aufzuerlegen.
72
Das Gericht hat infolge der übereinstimmenden Teilerledigterklärung insoweit unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen darüber zu entscheiden, wie die Kosten des Rechtsstreits zu verteilen sind. Ausschlaggebend ist hierbei insbesondere der ohne die Erledigterklärung zu erwartende Verfahrensausgang, wobei lediglich eine summarische Prüfung der jeweiligen Erfolgsaussichten erfolgen kann.
73
Die Kosten sind danach der Klagepartei aufzuerlegen. Insoweit ist auf die vorangegangenen Ausführungen verweisen, wonach der Beklagten subjektiv kein Vorwurf gemacht werden kann. In dem Umstand, dass die Beklagte die gewünschte Auskunft im Wege der Klageerwiderung erteilt hat, ist kein Anerkenntnis der Klageforderung zu sehen. Ein Auskunfts- und ggf. Schadensersatzanspruch ergab sich weder aus § 10 GeschGehG, noch aus §§ 823, 259 ff. BGB.
III.
74
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
Verkündet am 30.12.2020