Inhalt

OLG München, Urteil v. 03.12.2020 – 29 U 7097/19
Titel:

Lio

Keine Verwechslungsgefahr wegen absoluter Waren-/Dienstleistungsunähnlichkeit

Normenkette:
UMV Art. 9
Leitsätze:
1. Die Bejahung von Waren-/Dienstleistungsähnlichkeit zwischen den Dienstleistungen der Klagemarke (u.a. Betrieb von Nachtclubs; Betrieb von Diskotheken; Organisation von Vergnügungs- und Unterhaltungsaktivitäten; Verpflegung von Gästen) einerseits und den Waren Bekleidung, Kopfbedeckungen, Taschen und Hüllen für Mobiltelefone und Smartphones andererseits kann nicht allein deswegen angenommen werden, weil derartige Waren auch als Merchandising-Artikel im Bereich Kultur und Unterhaltung Verwendung finden.
2. Ein Merchandising-Artikel dient in erster Linie dazu, das Hauptbetätigungsfeld des in einem anderen Bereich tätigen Kennzeichenrechtsinhabers zu bewerben und sein Zeichen nicht nur über die von diesem geschützten Waren/Dienstleistungen zu vermarkten, sondern - vornehmlich zur Förderung des Absatzes seines Kerngeschäfts - sein Zeichen über Werbeträger bei den angesprochenen Verkehrskreisen in Erinnerung zu rufen.
3. Der Verkehr erkennt in einer Ware einen Merchandising-Artikel nur dann, wenn er aufgrund bestimmter Umstände Veranlassung hat, diese als Teil einer Vermarktungsstrategie im Hinblick auf das Kerngeschäft (oder das Unternehmen als solches) anzusehen (im Streitfall verneint).
Schlagwort:
Markenschutz
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 03.12.2019 – 33 O 12787/18
Fundstellen:
WRP 2021, 816
MittdtPatA 2021, 290
LSK 2020, 44346
GRUR-RS 2020, 44346
GRUR-RR 2021, 308

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Landgerichts München I vom 03.12.2019, Az. 33 O 12787/18 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung iHv 115% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit iHv 115% des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

A.
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagten markenrechtliche Unterlassungs- und Folgeansprüche wegen einer aus ihrer Sicht erfolgten widerrechtlichen Nutzung der Zeichen „Lio“ bzw. „LIODesigns“ geltend.
2
Die Klägerin, eine Gesellschaft spanischen Rechts, betreibt seit 15.06.2011 auf der Insel Ibiza eine Diskothek mit dazugehörigem Restaurant unter der Bezeichnung „Lio“. Auf Grundlage eigener Schätzung haben seit Eröffnung des Lio-Clubs in Ibiza im Jahre 2011 etwa 1.140.000 Menschen diesen Club besucht. Ferner gastierte die „Lio London“ Kabarettshow für 6 Wochen zwischen Mitte Februar und Ende März 2019 in London (mit - laut Schätzungen der Klägerin - ca. 7.000 Besuchern). Im Zeitraum von 2014 - 2018 erzielte die Klägerin Umsätze iHv EUR 97.224.000.
3
Der Beklagte zu 1) ist nach seinen eigenen Angaben Filmproduzent und Geschäftsmann und zudem Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der in … ansässigen Beklagten zu 2), deren Geschäftsgegenstand ua die Herstellung und der Vertrieb von multimedialen Ton- und Bildträgern sowie von Bild- und Fotomagazinen ist.
4
Die Klägerin ist Inhaberin der am 31.07.2014 angemeldeten und am 03.03.2017 eingetragenen, nachfolgend eingelichteten Unionsmarke EU 013130364, die Schutz beansprucht für die Dienstleistungen „Betrieb von Nachtclubs; Betrieb von Kabaretts (Vergnügung); Betrieb von Festsälen, Diskotheken, Konzertsälen (Varietétheater); Organisation von Live-Veranstaltungen, Partys, Empfängen, Vergnügungs- und Unterhaltungsaktivitäten“ sowie die Dienstleistungen „Betrieb von Hallenbars, Verpflegung von Gästen in Cafeterias, Restaurants (Verpflegung von Gästen in-), Betrieb von Hotels“:
5
Der Beklagte zu 1) ist Inhaber der am 03.06.2015 angemeldeten und am 15.11.2016 eingetragenen, nachfolgend eingelichteten Unionsmarke 014194872, die ua Schutz für die Waren „Tassen und Becher, Tassen aus Glas; Tassen; Badetücher, Große Badetücher; Frottiertücher [Badetücher]; T-Shirts; Bedruckte T-Shirts; Kurz- oder langärmelige T-Shirts; Polohemden [Bekleidung]; Polohemden; Baseballkappen“ beansprucht:
6
Ein von der Klägerin gegen diese Marke erhobener Widerspruch wurde vom EUIPO am 12.08.2016 mangels bestehender Waren-/Dienstleistungsähnlichkeit zu den von der Widerspruchsmarke geschützten Dienstleistungen zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung, die die Klägerin für falsch hält, hatte diese gleichwohl kein Rechtsmittel eingelegt.
7
Die Beklagte zu 2) ist Inhaberin der am 20.09.2017 angemeldeten und am 08.01.2018 eingetragenen, nachfolgend eingelichteten Unionsmarke 017225939 mit Schutz ua für die Waren „Hüllen für Smartphones; Gepäck, Taschen, Brieftaschen, und andere Tragebehältnisse; Accessoires für Bekleidung, Nähartikel und schmückende textile Artikel“:
8
Gegen beide oben genannten Marken der Beklagten hat die Klägerin am 26.07.2018 Löschungsverfahren wegen bösgläubiger Markenanmeldung eingeleitet.
9
Über die Internetseite www.liodesigns.com können mit den Zeichen „Lio“ und „Lio-Designs“ gekennzeichnete Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen und Handyhüllen erworben werden, wobei die Abwicklung der Bestellungen über die Geschäftsadresse der Beklagten zu 2) erfolgt und der Beklagte zu 1) nach außen hin als Inhaber des Internetauftritts auftritt. Die Beklagte zu 2) stellt dem Beklagten zu 1) für den Vertrieb der streitgegenständlichen Waren ihre Geschäftsräume zur Verfügung.
10
Die von den Beklagten angebotenen und vertriebenen Waren werden wie nachfolgend dargestellt präsentiert:
11
Die Klägerin meint, die Beklagten verletzten durch die Verwendung der Zeichen „Lio“ bzw. „LIO-DESIGNS“ - auch in den verwendeten Schreibweisen - die Markenrechte der Klägerin an ihrer Unionsmarke „Lio“. Sie gehöre zur berühmten P.-Gruppe, und die von ihr auf Ibiza betriebene Diskothek sei über die Grenzen Spaniens hinaus weltweit bekannt.
12
Bei dem Beklagten zu 1) handele es sich um einen Porno-Regisseur und Markenpiraten, der mit der Beklagten zu 2) deren hier in Frage stehende Unionsmarken in Kenntnis des bestehenden Rechts der Klägerin bösgläubig angemeldet habe.
13
Zwischen der Klagemarke und den auf den streitgegenständlichen Waren benutzten Zeichen bestehe Verwechslungsgefahr gem. Art. 9 Abs. 2 lit. b) UMV angesichts einer von Hause aus hohen und durch langjährige umfangreiche Benutzung gesteigerten Kennzeichnungskraft der Klagemarke, der gegebenen Zeichenähnlichkeit und der bestehenden Ähnlichkeit zwischen den Dienstleistungen, für die die Klagemarke Schutz beanspruche, und den von den Beklagten vertriebenen Waren. Diese seien typische Merchandising-Artikel, wie sie auch von Diskotheken und Gastronomiebetrieben angeboten und vertrieben würden.
14
Nach den insoweit unbestrittenen Angaben der Klägerin habe sich der Bereich des ProduktMerchandising in den vergangenen Jahrzehnten weiterentwickelt. In diesem Zusammenhang erzielten mittlerweile viele Unternehmen mit Merchandisingprodukten höhere Umsätze als mit ihren Kernprodukten oder -dienstleistungen. Dem angesprochenen Publikum sei insbesondere bekannt, dass Merchandising-Artikel von den verschiedensten Unternehmen angeboten und vertrieben würden, und ferner, dass die Herstellung, aber auch der Vertrieb unter Kontrolle des jeweiligen Anbieters erfolge, auch wenn die Herstellung durch Dritte - zB im Wege der verlängerten Werkbank - stattfinde. Im kulturellen Bereich und in der Unterhaltungsindustrie habe sich dabei jedenfalls auch eine den angesprochenen Verkehrskreisen bekannte Branchenübung herausgebildet, wonach Diskotheken und Clubs, Festivals, Zirkusse, Restaurants, Hotels, Musicalshows, Filmhersteller und Fußballstadien in großem Umfang Merchandising-Artikel anbieten und - unter eigener Kontrolle - vertreiben würden. Dies gelte insbesondere für Bekleidung, Kopfbedeckungen, Taschen und Gepäckstücke sowie Handyhüllen. Dabei würden nahezu alle Merchandising-Artikel mit der Marke oder besonderen Bezeichnung des jeweiligen Clubs, Festivals etc. versehen.
15
Die Beklagten sind demgegenüber der Auffassung, dass die Markenrechte der Klägerin nicht verletzt seien. Es fehle sowohl an der Zeichen-, insbesondere aber an auch der Waren- /Dienstleistungsähnlichkeit. Die Klägerin wolle das Konzept des Markenschutzes anhand der Klassifikation von Nizza dadurch durchbrechen, dass sie eine besondere Branchenübung für den Vertrieb von sogenannten Merchandising-Produkten im kulturellen Bereich und in der Unterhaltungsindustrie behaupte. Eine solche „besondere“ Branchenübung gebe es indes nicht. Die im Streit stehenden Merchandising-Produkte würden vielmehr von Unternehmen aus allen Branchen vertrieben. Daraus sei ersichtlich, dass der von der Klägerin beschriebene Wandel nicht allein den kulturellen Bereich bzw. die Unterhaltungsindustrie, sondern die gesamte Dienstleistungsbranche erfasse.
16
Mit Urteil vom 03.12.2019, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagten antragsgemäß verurteilt und wie folgt tenoriert:
I. Die Beklagten werden verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fällig werden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, im Fall der Beklagten zu 2) die Ordnungshaft zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr in der Europäischen Union unter dem Zeichen
Lio
auch in der Schreibweise
und/oder dem Zeichen
LIO-DESIGNS
auch in der Schreibweise
und/oder dem Zeichen
www.liodesigns.com
Bekleidungen, Kopfbedeckungen, Taschen, Hüllen für Mobiltelefone und Smartphones anzubieten, zu bewerben, zu verkaufen, in den Verkehr zu bringen und/oder in die EU zu importieren und/oder aus der EU zu exportieren und/oder zu diesen Zwecken zu besitzen und/oder vorstehende Handlungen durch Dritte durchführen zu lassen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser aus den in Ziff. I beschriebenen Handlungen bereits entstanden ist oder künftig noch entstehen wird.
III. Die Beklagten werden verurteilt, der Klägerin schriftlich Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über den Umfang der Verletzungshandlungen gemäß Ziffer I und zwar unter Angabe von:
1. der Menge der hergestellten Erzeugnisse gemäß Ziff. I, der Namen und Anschriften der Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise;
2. der einzelnen Lieferungen von Erzeugnissen gemäß Ziff. I., aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten und Lieferpreisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Name und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren;
3. der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebotszeiten und Angebotspreisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger;
4. der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;
5. den einzelnen Kostenfaktoren, aufgeschlüsselt nach Entstehungskosten und des erzielten Gewinns;
IV. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
V. <Vorläufige Vollstreckbarkeit>
17
Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens aus dem ersten Rechtszug. Das Landgericht sei zum einen zu Unrecht von einer hochgradigen Zeichenähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Zeichen ausgegangen und habe zum anderen rechtsirrig Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Dienstleistungen und Waren angenommen, ohne sich mit den für die entsprechende Prüfung maßgeblichen Faktoren auseinanderzusetzen und unter fälschlicher Annahme, dass es sich bei den Waren der Beklagten, die zu einer von diesen aufgelegten Modelinie gehörten, um Merchandising-Produkte handeln würde.
18
Sie beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
19
Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
20
Im Übrigen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

B.
21
Die zulässige Berufung ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landgerichts bestehen die seitens der Klägerin geltend gemachten Ansprüche nicht. Da sich die Klägerin nicht auf Bekanntheitsschutz ihrer Klagemarke beruft (und es für das Eingreifen eines solchen auch an entsprechendem Vortrag fehlt), sind die geltend gemachten Unterlassungs- und Folgeansprüche mangels Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Waren einerseits und Dienstleistungen andererseits zu verneinen.
I.
22
Der geltend gemachte und auf Art. 9 Abs. 2 lit. b) UMV gestützte Unterlassungsanspruch setzt - wie auch die behaupteten Folgeansprüche - voraus, dass zwischen der Klagemarke und den streitgegenständlichen, von den Beklagten benutzten Zeichen Verwechslungsgefahr im kennzeichenrechtlichen Sinne besteht. Eine solche rechtsrelevante Verwechslungsgefahr liegt dann vor, wenn das Publikum glauben könnte, dass die betreffenden Waren oder Dienstleistungen - die mit den jeweiligen Kollisionszeichen gekennzeichnet sind - aus demselben Unternehmen oder ggf. aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen (Büscher/Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 18. Ed., Art. 8 Rn. 22 mwN). Sie muss objektiv vorliegen, so dass es nicht auf die Intention des Zeichenverwenders ankommt, sondern auf die Verkehrsauffassung (vgl. Büscher/Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 18. Ed., Art. 8 Rn. 24 mwN), und sie ist abstrakt zu beurteilen, da es sich um eine Rechtsfrage handelt (Büscher/Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 18. Ed., Art. 8 Rn. 25 mwN).
23
Zutreffend legt das Landgericht seiner Beurteilung zugrunde, dass die vorzunehmende umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr eine Wechselbeziehung impliziert zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren / Dienstleistungen und der Kennzeichnungskraft der älteren Marke, wobei ein geringer Grad der Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt (Büscher/Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 18. Ed., Art. 8 Rn. 34 mwN). Kein „Ausgleich“ ist allerdings möglich bei absoluter Unähnlichkeit der gegenüberstehenden Produkte oder Zeichen, denn bei der Zeichen- und Produktähnlichkeit handelt es sich um kumulative Voraussetzungen (Büscher/Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 18. Ed., Art. 8 Rn. 34 mwN).
II.
24
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist vorliegend von einer solchen absoluten Unähnlichkeit zwischen den für die Klägerin geschützten Dienstleistungen „Betrieb von Nachtclubs; Betrieb von Kabaretts (Vergnügung); Betrieb von Festsälen, Diskotheken, Konzertsälen (Varietétheater); Organisation von Live-Veranstaltungen, Partys, Empfängen, Vergnügungs- und Unterhaltungsaktivitäten“ sowie „Betrieb von Hallenbars, Verpflegung von Gästen in Cafeterias, Restaurants (Verpflegung von Gästen in-), Betrieb von Hotels“ einerseits und den vom Antrag erfassten Waren „Bekleidungen, Kopfbedeckungen, Taschen, Hüllen für Mobiltelefone und Smartphones“ auszugehen, so dass die für die geltend gemachten Unterlassungs- und Folgeansprüche erforderliche Verwechslungsgefahr von vornherein ausscheidet, ohne dass es auf die Kennzeichnungskraft der Klagemarke oder den Grad der Zeichenähnlichkeit der zu vergleichenden Zeichen ankommt.
25
1. Waren-/Dienstleistungsähnlichkeit ist anzunehmen, wenn die jeweiligen Waren/Dienstleistungen in Berücksichtigung aller erheblichen Faktoren, die ihr Verhältnis zueinander kennzeichnen - insbesondere ihrer Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte und Leistungen oder anderer für die Frage der Verwechslungsgefahr wesentlicher Gründe - so enge Berührungspunkte aufweisen, dass die beteiligten Verkehrskreise der Meinung sein könnten, sie stammten aus denselben oder ggf. wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (st. Rspr., vgl. die Nachweise bei Hacker, in: Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 9 Rn. 59 mwN).
26
2. Die absolute Grenze der Ähnlichkeit der Waren / Dienstleistungen liegt aber dort, wo trotz Identität der Marken und einem höchst denkbaren Schutzumfang der älteren Marke angesichts des Abstands der Waren / Dienstleistungen eine Verwechslungsgefahr von vornherein auszuschließen und allenfalls eine unlautere Verwässerung oder Rufausbeutung möglich ist (die aber nur als Verletzung einer bekannten Marke iSv Art. 9 Abs. 2 lit. c) UMV Relevanz hätte). Das setzt voraus, dass ausgeschlossen werden kann, die beteiligten Verkehrskreise könnten der Auffassung sein, die gegenüberzustellenden Waren / Dienstleistungen stammten aus demselben oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen (Hacker, in: Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 9 Rn. 69 mwN). Dabei ist - da es sich vorliegend um einen Verletzungsfall handelt - auf die konkrete Benutzungssituation abzustellen (Büscher/Kochendörfer, in: BeckOK UMV, 18. Ed., Art. 8 Rn. 28).
27
3. Das Landgericht hat im Streitfall eine Ähnlichkeit der von der Klagemarke erfassten Dienstleistungen mit den antragsgegenständlichen Waren angenommen und dabei darauf abgestellt, dass zwischen den Parteien unstreitig sei, dass es sich bei den fraglichen Waren sämtlich um sog. Merchandising-Artikel handele. In Bezug auf solche gehe das angesprochene Publikum jedenfalls im Bereich der Unterhaltungsindustrie und im kulturellen Bereich aufgrund einer gefestigten Branchenübung davon aus, dass die „dort angebotenen“ Merchandising-Artikel unter eigener Kontrolle des jeweiligen Unternehmens vertrieben würden. Hierfür spreche auch der Umstand, dass Anbieter von kulturellen Dienstleistungen und Unterhaltungsdienstleistungen durch den Vertrieb derartiger Merchandising-Produkte oftmals höhere Umsätze erzielten, als mit ihrem eigentlichen Kerngeschäft, sich jedenfalls aber eine weitere Einnahmequelle durch Merchandising-Artikel verschafft hätten. Insoweit ergänzten die vertriebenen Artikel die jeweiligen Kerndienstleistungen der hier in Frage stehenden Marktteilnehmer.
28
4. Die vom Landgericht zur Begründung des angenommenen Verkehrsverständnisses herangezogenen tatsächlichen Umstände tragen den gezogenen Schluss jedoch nicht. Auch unter Berücksichtigung der beschriebenen Branchenübung in Bezug auf Merchandising-Artikel im kulturellen Bereich bzw. im Zusammenhang mit Unterhaltungsdienstleistungen hat der angesprochene Verkehr keine Veranlassung, bei den hier antragsgegenständlichen Waren davon auszugehen, dass sie von einem Inhaber einer identischen Marke stammten, die lediglich die hier maßgeblichen Dienstleistungen der Klagemarke schützt, oder dass Unternehmensverbindungen zu einem solchen Markeninhaber bestehen. Der Verkehr wird vielmehr davon ausgehen, dass ihm trotz (unterstellt) identischer Zeichen zwei voneinander unabhängige Wirtschaftsteilnehmer gegenüberstehen.
29
a) Generell stellt sich die Frage, inwieweit über das Verkehrsverständnis grds. auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogene und tatsächlich bestehende Unterschiede zwischen Dienstleistungen im kulturellen Bereich einerseits und Waren wie Bekleidungsstücken, Kopfbedeckungen etc. andererseits negiert werden können. Dem könnte entgegen zu halten sein, dass die Marke als Schutzrecht ihrem Inhaber einen ausschließlichen Schutz gewährt, dessen Reichweite weitgehend (unter Berücksichtigung zB etwa entgegenstehender älterer Rechte) vom Markeninhaber bei der Anmeldung bestimmt wird: er hat es in der Hand, durch die Auswahl der von der Marke erfassten Waren und/oder Dienstleistungen zu bestimmen, welchen Schutz er für sich in Anspruch nehmen will (mit der Folge, dass er insoweit auch - nach Ablauf der Benutzungsschonfrist - einem Benutzungszwang unterworfen ist) und inwieweit er die Nutzung eines identischen Zeichens für andere Waren oder Dienstleistungen durch Dritte freihält. Dieses System, was auch dadurch geprägt ist, dass jeder Dritte durch eine Markenrecherche vor Benutzungsaufnahme eines Zeichens vorhersehen können soll, ob der Zeichenbenutzung Rechte Dritter entgegenstehen könnten, würde ad absurdum geführt, würde man allein aufgrund der - etwa durch das Verhalten von in vielen unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen tätigen Großkonzernen beeinflussten - Verkehrsauffassung, dass die unterschiedlichsten Waren und Dienstleistungen „aus einer Hand“ stammen können, von einer rechtlichen Ähnlichkeit solcher unterschiedlichen Wirtschaftsgüter ausgehen.
30
b) Ungeachtet dessen kann vorliegend aber auch nicht angenommen werden, dass unter Berücksichtigung des Verkehrsverständnisses von der erforderlichen Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Waren und Dienstleistungen auszugehen wäre.
31
aa) Sowohl die seitens der Klagemarke geschützten Dienstleistungen als auch die antragsgegenständlichen, von den Beklagten vertriebenen Waren richten sich an den Endverbraucher, so dass es auf das Verkehrsverständnis eines durchschnittlich informierten, situationsbedingt adäquat aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers ankommt.
32
bb) Die Mitglieder des Senats gehören zu den angesprochenen Verkehrskreisen und sind zudem seit vielen Jahren mit kennzeichenrechtlichen Streitigkeiten befasst; sie können daher das Verkehrsverständnis aus eigener Sachkunde ermitteln. Da es sich bei der Feststellung des Verkehrsverständnisses nicht um die Feststellung von Tatsachen handelt, sondern dieser die Anwendung speziellen Erfahrungswissens zugrunde liegt (vgl. Bornkamm/Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 5 Rn. 1.231), ist der Senat nicht an die Beurteilung des Landgerichts gebunden und ist - da er das Verkehrsverständnis aufgrund der vom Landgericht festgestellten Tatsachen selbst ermitteln kann - auch nicht gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen, wenn er von der Auffassung des Erstgerichts abweichen will (vgl. BGH, GRUR 2013, 401 Rn. 43 - Biomineralwasser).
33
cc) Sowohl nach den Ausführungen des Landgerichts als auch nach dem Vortrag der Klägerin kommt die behauptete Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Dienstleistungen und Waren allenfalls deshalb in Betracht, weil der angesprochene Verkehr in den streitgegenständlichen Waren angesichts einer entsprechenden Branchenübung im Bereich Unterhaltung und Kultur Merchandising-Artikel erkennen würde. Zu Recht gehen mithin sowohl das Landgericht als auch die Klägerin nicht davon aus, dass eine Ähnlichkeit bereits aufgrund ihrer jeweiligen Beschaffenheit, ihrer regelmäßigen betrieblichen Herkunft, ihrer regelmäßigen Vertriebs- oder Erbringungsart, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung, ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, ihrer Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Produkte und Leistungen angenommen werden kann, denn weder dem Vortrag der Klägerin noch den Feststellungen des Landgerichts lässt sich entnehmen, dass diejenigen, die Nachtclubs, Kabaretts, Diskotheken, Hallenbars oder Hotels betreiben, Partys, Empfänge oder Ähnliches organisieren oder Gäste in Cafeterien oder Restaurants verpflegen, regelmäßig Bekleidung, Kopfbedeckungen, Taschen oder Handy-Hüllen herstellen oder auch nur vertreiben würden.
34
dd) Dass es eine Branchenübung geben mag, dass solche Dienstleistungsunternehmen gleichwohl derartige „mit den Marken der Dienstleistungen gekennzeichnete“ (vgl. zuletzt S. 3 des klägerischen Schriftsatzes vom 20.11.2020) Waren in eigenen, lokalen Ladengeschäften und/oder Onlineshops durch die Dienstleistungsunternehmen vertreiben, führt nicht zu dem vom Landgericht angenommenen Verkehrsverständnis, dass derartige Waren generell als Merchandising-Artikel anzusehen wären. Wäre dies so, müsste man stets und immer - egal, in welcher Form ein Vertrieb von Bekleidung, Kopfbedeckungen, Taschen oder Handy-Hüllen erfolgt - unterstellen, dass der Verkehr davon ausgeht, es handele sich dabei unter Umständen um einen „Merchandising“-Artikel.
35
ee) Ein solches Verständnis kann jedoch nicht angenommen werden, denn es widerspricht dem Wissen des Verkehrs um die Bedeutung eines Merchandising-Artikels. Ein solcher dient nämlich in erster Linie dazu, das Hauptbetätigungsfeld des in einem anderen Bereich tätigen Kennzeichenrechtsinhabers zu bewerben und sein Zeichen nicht nur über die von diesem geschützten Waren/Dienstleistungen zu vermarkten, sondern - vornehmlich zur Förderung des Absatzes seines Kerngeschäfts - sein Zeichen über Werbeträger bei den angesprochenen Verkehrskreisen in Erinnerung zu rufen. Ob diese Werbeträger als Giveaway verschenkt oder als eigene Ware gegen Entgelt vertrieben werden, hängt im Wesentlichen davon ab, ob der Markeninhaber annimmt, der angesprochene Verkehr sei bereit, für einen solchen Werbeträger zu bezahlen oder nicht. Und selbst in den Fällen, in denen ein Unternehmer über den Vertrieb von Merchandising-Artikeln mehr erzielt als mit seinem Kerngeschäft, ändert dies nichts daran, dass der Verkehr in einer Ware einen Merchandising-Artikel nur dann erkennt, wenn er Veranlassung hat, diesen als Teil einer Vermarktungsstrategie im Hinblick auf das Kerngeschäft (oder das Unternehmen als solches) anzusehen.
36
ff) Angesichts dieses Wissens würde der Verkehr in den hier antragsgegenständlichen Waren überhaupt nur dann Merchandising-Artikel sehen, wenn er entweder auf diesen zugleich einen deutlichen Hinweis auf den Werbenden selbst erkennt (etwa einen Bezug auf das mit dem Merchandising-Artikel zugleich beworbene Restaurant, den Club oder die Veranstaltung), oder wenn dieser Bezug auf dem Produkt zwar fehlt, er aber durch die Art des Vertriebs hergestellt wird (Verkauf des Artikels in dem Restaurant, dem Club oder auf der Veranstaltung bzw. unter einer Website, die zu derjenigen des Restaurants etc. einen inhaltlichen Bezug herstellt), oder wenn er die auf dem Zeichen angebrachte Marke als solche des Restaurants, des Clubs der Veranstaltung wiedererkennt und zudem meint, es müsse sich aufgrund der Bekanntheit um ein unter der Verantwortung des Inhabers der bekannten Marke hergestelltes Produkt handeln.
37
gg) Die ersten beiden Varianten liegen hier unstreitig nicht vor, so dass der Verkehr in den angegriffenen Waren keine Merchandising-Artikel erkennt und daher eine Verwechslungsgefahr mangels Ähnlichkeit der Waren / Dienstleistungen zu verneinen ist. Es bleibt dabei, dass die angesprochenen Verkehrskreise nicht davon ausgehen, dass Waren der streitgegenständlichen Art regelmäßig von Kennzeichenrechtsinhabern hergestellt oder vertrieben werden, die nur Schutz für die Dienstleistungen der Klagemarke beanspruchen.
38
Zwar könnte in Betracht kommen, dass diejenigen, die den Club der Klägerin auf Ibiza (oder die Kabarettshow in London) besucht haben, in den von den Beklagten verwendeten Zeichen die Marke der Klägerin wiedererkennen. Dies allein reicht indes ebenfalls nicht, um die hier erforderliche Ähnlichkeit der gegenüberstehenden Dienstleistungen und Waren im Rechtssinne herleiten zu können, denn dieser Umstand wäre kennzeichenrechtlich nur dann relevant, wenn es sich bei dem klägerischen Zeichen um eine bekannte Marke handelte und sich die Klägerin auf Bekanntheitsschutz gem. Art. 9 Abs. 2 lit. c) UMV berufen könnte (was sie - zu Recht - nicht tut), denn dann könnte eine Verletzung auch angenommen werden, wenn es an der erforderlichen Ähnlichkeit - wie hier - fehlt. Im Übrigen kann im Streitfall selbst bei denjenigen, die in den Zeichen der Beklagten die Marke der Klägerin wiedererkennen, nicht davon ausgegangen werden, dass diese mangels weiterer erkennbarer Hinweise auf die Klägerin und ihre geschützten Dienstleistungen annehmen würden, es handele sich um von der Klägerin oder unter ihrer Produktverantwortung hergestellte Waren.
39
hh) Dass Merchandising in vielen Bereichen und möglicherweise insbesondere im Bereich Kultur und Unterhaltung eine wesentliche Rolle spielen kann, ist daher für die Bejahung der Waren-/Dienstleistungsähnlichkeit im hier zu entscheidenden Fall per se nicht ausreichend (so auch die st. Rspr., vgl. ua BGH, GRUR 2004, 594, 596 - Ferrari-Pferd; OLG München, GRUR 2015, 590 Rn. 41 - Adler im Kreis, sowie die weiteren Nachweise bei Hacker, in: Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 9 Rn. 105).
40
ii) Darauf, ob der Beklagte zu 1) Pornoproduzent ist, ob er bzw. die Beklagte zu 2) ihre jeweiligen Marken bösgläubig zur Anmeldung gebracht haben könnten oder ob der Hund der Ehefrau des Beklagten zu 1) tatsächlich Lio heißen mag, kommt es ersichtlich nicht an.
III.
41
Auf die Berufung der Beklagten war daher das Ersturteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
C.
42
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO.
43
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
44
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache erfordert, wie die Ausführungen unter B. zeigen, lediglich die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den Einzelfall.