Titel:
Manteltarifvertrag für die Futtermittelindustrie in Bayern vom 22.04.2005 - kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz beim Nachtarbeitszuschlag
Normenketten:
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3
MTV Futtermittelindustrie § 4 Ziff. 2, Ziff. 3, § 5 Ziff. 1a, § 6 Ziff 1, Ziff. 3d, Ziff. 5
TVG § 3 Abs. 1
Leitsatz:
Eine tarifvertragliche Regelung, die für Nachtarbeit einen Zuschlag von 50% zum Stundenlohn vorsieht, während Nachtarbeit im Dreischichtbetrieb lediglich mit 25% vergütet wird, stellt Nachtschichtarbeitnehmer gegenüber Arbeitnehmer, die in der Zeit von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr unregelmäßig Arbeit leisten, nicht gleichheitswidrig schlechter, insbesondere wenn die Belastungen von Nachtschichtarbeit zusätzlich durch Freischichten kompensiert werden (Rn. 31 – 32)
Schlagworte:
Nachtarbeitszuschlag, Manteltarifvertrag für die Futtermittelindustrie in Bayern vom 22.04.2005, Gleichheitssatz
Vorinstanz:
ArbG Kempten, Urteil vom 20.01.2020 – 3 Ca 1032/19
Fundstelle:
BeckRS 2020, 44341
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kempten vom 20.01.2020 - 3 Ca 1032/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge für im Rahmen von Nachtschichten geleistete Arbeitszeit.
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Die Klagepartei ist seit 2015 bei der Beklagten als Maschinist beschäftigt. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Futtermittelindustrie. Bei ihr sind ca. 10 Arbeitnehmer in einem Wechselschichtmodell in drei Schichten: Frühschicht (4 Arbeitnehmer) / Spätschicht (4 Arbeitnehmer) / Nachtschicht (2 Arbeitnehmer) tätig. Die Schichtpläne werden im Betrieb der Beklagten jeweils drei Wochen vorher ausgehängt. Im Fall von Krankheit oder Urlaub der danach eingeteilten Arbeitnehmer werden die Schichtpläne kurzfristig angepasst.
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Aufgrund beiderseitiger Tarifbindung ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Manteltarifvertrag für die Futtermittelindustrie in Bayern vom 22.04.2005 (Anlage K1 = Bl. 5 ff. d. A. und Anlage B1 = Bl. 38 ff. d. A.; nachfolgend: MTV Futtermittelindustrie) anwendbar. Darin heißt es u.a.:
§ 4 Mehr-, Nacht-, Wechselschicht-, Sonn- und Feiertagsarbeit
1. Mehrarbeit ist jede über die betrieblich vereinbarte regelmäßige werktägliche Arbeitszeit hinausgehend geleistete Arbeit, soweit sie angeordnet oder genehmigt ist.
Mehrarbeit ist nach Möglichkeit zu vermeiden. Ist sie unvermeidlich, so kann sie nur unter Zustimmung des Betriebsrats angeordnet werden. Diese Zustimmung ist nicht erforderlich, wenn es sich um einzelne Arbeitnehmer oder um unvorhergesehene Fälle handelt.
2. Nachtarbeit ist die in der Zeit vom 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr unregelmäßig geleistete Arbeit.
3. Nachtschichtarbeit ist die in der Zeit von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr oder von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr auch im wöchentlichen Schichtwechsel geleistete regelmäßige Arbeit.
Wechselschichtarbeit liegt dann vor, wenn der Arbeitstag in verschiedene Abschnitte - Schichten - eingeteilt wird.
Bei Dreiteilung entstehen hierdurch eine Frühschicht (1. Schicht), eine Spätschicht (2. Schicht) und eine Nachtschicht (3. Schicht);
bei Zweiteilung eine Frühschicht und eine Spätschicht bzw. eine Spät- und Nachtschicht bzw. eine Nach- und Frühschicht.
4. Sonn- und Feiertagsarbeit ist die an den Tagen zwischen 0.00 Uhr und 24.00 Uhr geleistete Arbeit.
§ 5 Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Wechselschicht-, Sonn- und Feiertagsarbeit
1. a) Die Zuschläge zum Stundenentgelt bzw. zur Stundenvergütung betragen grundsätzlich
für Nachtschichtarbeit 25%
für Arbeit an gesetzlichen lohnzahlungspflichtigen Feiertagen in der Zeit zwischen 0.00 Uhr und 24.00 Uhr 175%
für Arbeit am Neujahrstag, am 1. Mai und am 1. und 2. Weihnachtsfeiertag, wenn sie auf einen Sonntag fallen, und am Oster- und am Pfingstsonntag 125%
c) Wächter und Pförtner erhalten für Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit einen Zuschlag zur vereinbarten Stundenvergütung von 25%
2. Arbeitnehmer, die am letzten Arbeitstag vor oder am ersten Arbeitstag nach Feiertagen unentschuldigt der Arbeit fernbleiben, haben keinen Anspruch auf Bezahlung für diese Feiertage.
3. Müssen Arbeitnehmer am 24. oder 31. Dezember über 12.00 Uhr hinaus arbeiten, erhalten sie für den 24. Dezember einen Zuschlag vom 75% und am 31. Dezember einen Zuschlag von 25%.
4. Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge wird grundsätzlich nur jeweils der höchste bezahlt. Erschwerniszulagen nach § 7 sind jedoch in jedem Falle zu zahlen. Mit Mehrarbeit zusammentreffende Zuschläge für Nachtarbeit sind zusätzlich zu bezahlen.
5. Maßgeblich für die Berechnung der Zuschläge ist bei den gewerblichen Arbeitnehmern der vereinbarte tatsächliche Stundenlohn; bei den Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmern, die ein Monatsentgelt erhalten, errechnet sich die Stundenvergütung aus der Teilung des vereinbarten Monatsgehalts (Monatsentgeltes) einschließlich Leistungs-, Funktions- und tariflicher Zulagen mit der Zahl, die sich aus der Multiplikation der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit mit 4,33 ergibt.
1. a) Arbeitnehmer, die ausschließlich in Nachtarbeit beschäftigt sind, erhalten für 50 geleistete Nachtschichten je 1 Tag Schichtfreizeit;
b) Arbeitnehmer, die regelmäßig im 3-Schicht-Betrieb arbeiten, erhalten für 30 geleistete Nachtschichten je 1 Tag Schichtfreizeit.
2. Abwesenheitstage aller Art, wie Urlaub, Krankheit, Schichtfreizeit usw. zählen nicht als Arbeitstage im Sinne der Ziffer 1.
3. Die zeitliche Festlegung der Schichtfreizeit erfolgt im Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
4. Kann die Schichtfreizeit wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden, so ist der Anspruch abzugelten.
5. Jeder Arbeitstag Schichtfreizeit wird wie ein Urlaubstag bezahlt, jedoch ohne das tarifliche Urlaubsgeld.
Schichttage, die nicht zu einer Schichtfreizeit führen, können nur in das Folgejahr vorgetragen werden.
Erworbene Schichtfreizeit ist grundsätzlich während des Kalenderjahres, spätestens jedoch bis zum 31. März des Folgejahres zu nehmen; andernfalls verfällt sie.
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Im streitgegenständlichen Zeitraum leistete die klagende Partei regelmäßige Nachtschichtarbeit und erhielt hierfür von der Beklagten tarifliche Zuschläge in Höhe von 25% zur Stundenvergütung gemäß § 5 Ziffer 1. a) MTV Futtermittelindustrie.
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Die klagende Partei hat in rechnerisch unstreitiger Höhe von 546,25 € brutto weitere 25% Zuschlag je geleisteter Nachtarbeitsstunde begehrt. Hierzu hat sie erstinstanzlich im Anschluss an die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (U. v. 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 -), des Landesarbeitsgerichts Bremen (U. v. 10.04.2019 - 3 Sa 12/18 -) und des Arbeitsgerichts Eberswalde (U. v. 17.09.2019 - 2 Ca 367/19 -) die Auffassung vertreten, dass eine tarifliche Regelung, die für regelmäßige Nachtarbeit einen erheblich niedrigeren Zuschlag vorsieht als für unregelmäßige Nacharbeit, wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unwirksam sei. In der Folge seien die höheren Zuschläge für unregelmäßige Nachtschichtarbeit zu zahlen.
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Die Beklagte hat für ihren Klageabweisungsantrag erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass die Zuschlagsregelungen für Nachtarbeit des MTV Futtermittelindustrie nicht am Gleichheitssatz geprüft werden könnten. Jedenfalls seien die unterschiedlichen Zuschlagshöhen sachlich gerechtfertigt. Eine Anpassung „nach oben“ sei unzulässig Das Arbeitsgericht Kempten hat durch Urteil vom 20.01.2020 - 3 Ca 1032/19 - die Klage abgewiesen. Die Klagepartei habe für die in regelmäßiger Nachtarbeit erbrachten Arbeitsstunden keinen Anspruch auf einen Zuschlag von 50% zur Stundenvergütung. Ein solcher Anspruch ergebe sich nicht aus § 5 Ziff. 1 a) 2. Alt. MTV Futtermittelindustrie, weil dessen Anspruchsvoraussetzung - die Leistung von unregelmäßiger Nachtarbeit im Tarifsinne - nicht vorliege. Er begründe sich auch nicht aus dem Tarifvertrag i. V. m. Art. 3 GG. Es liege kein Verstoß gegen Art. 3 GG vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 -) komme den Tarifvertragsparteien als selbständigen Grundrechtsträgern aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Soweit die Grundrechtsgewährung den Staat verpflichte, solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führten oder eine unangemessene Beschränkung eines grundrechtlichen Freiheitsrechts zur Folge hätte, bestünden Bedenken, soweit auf den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG gestützt durch judikative Einzelakte in die Tarifautonomie eingegriffen werde. Darüber hinaus seien die unterschiedlichen Zuschlagshöhen sachlich gerechtfertigt. Zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit bestünden hinreichende Unterschiede, die eine höhere Nachtarbeitsvergütung bei unregelmäßiger Nachtarbeit rechtfertigten. Bei regelmäßiger Nachtarbeit handele es sich um geplante, d. h. durch Dienstplan festgelegte Nachtarbeit, während unregelmäßige Nachtarbeit für unvorhergesehene und damit nicht planbare Ausnahmefälle gelten solle, wie etwa für das kurzfristige Einteilen eines Arbeitnehmers in die Schicht wegen Ausfällen oder Vertretungen oder bei einem betrieblichen Eil- oder Notfall. Diese Auslegung des § 4 Ziff. 2 und 3 MTV Futtermittelindustrie führe zu einer sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Zuschlagsregelung. Der MTV Futtermittelindustrie enthalte so ein abgestuftes System mit entsprechenden Zuschlägen, das den Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit gerade aufgrund seiner Höhe Sonder- bzw. Ausnahmefällen vorbehalte. Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - habe ein abweichender Sachverhalt zugrunde gelegen. Vorliegend sei die absolute und relative Differenz der Zuschläge geringer als im vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall. Dort hätten Zuschläge von 15% oder 50% für Nachtarbeit im Streit gestanden, hier seien es 25% und 50%. Hinzukäme, dass die Tarifvertragsparteien die unterschiedlichen Zuschlagshöhen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit zumindest teilweise durch zusätzliche Schichtfreizeiten gem. § 6 MTV Futtermittelindustrie kompensiert hätten. Hierdurch würde die Differenz der Zulagen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit geringer. Darüber hinaus hätte wegen der Verderblichkeit der Futtermittel, die zeitnah verarbeitet werden müssten, ein Anreiz für Arbeitnehmer geschaffen werden sollen, im Bedarfsfalle kurzfristig freiwillig Nachtschichten zu übernehmen. Auch hierbei handele es sich um Einzel- und Ausnahmefälle, wie sie weder in der Textilindustrie noch im Brauereiwesen noch in der Metallindustrie Unterweser noch in der Speiseeisindustrie vorlägen.
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Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien, ihrer erstinstanzlichen Anträge und die weiteren Entscheidungsgründe wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.
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Gegen dieses, ihren Prozessbevollmächtigen am 30.01.2020 zugestellte Urteil hat die Klagepartei am 26.02.2020 Berufung beim Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 25.05.2020 am 21.04.2020 begründet.
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Der Anspruch der Klagepartei ergebe sich aus dem MTV Futtermittelindustrie i. V. m. dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die Tarifvertragsparteien seien im Bereich des Gesundheitsschutzes nicht „frei“ in der Gestaltung ihrer Ausgleichsregelungen. Der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien werde durch § 6 Abs. 1 ArbZG eingeschränkt. Denn wenngleich den Tarifvertragsparteien aufgrund der grundrechtlich verankerten Tarifautonomie erlaubt sei, Regelungen zum Gesundheitsschutz bei Nachtschichtarbeit zu schaffen, bestehe die grundrechtlich verankerte und europarechtlich durch Art. 12 RL 2003/88/EG vermittelte staatliche Schutzpflicht, die den Staat zur Rechtsaufsicht und bei unzureichender Umsetzung der Schutzpflicht durch die Tarifvertragsparteien zum Eingreifen durch staatliche Mittel zwinge. Danach seien Schicht- und Nachtarbeit nach den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu organisieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestimme sich die rechtliche Prüfungstiefe nach dem Zweck, den die Tarifvertragsparteien mit einer Regelung verfolgten. Die konkreten tarifvertraglichen Regelungen zum Ausgleich von Nachtschichtarbeit müssten vor dem Hintergrund des Europarechts und Arbeitszeitgesetzes den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bezwecken. § 5 Ziff. 1 a) MTV Futtermittelindustrie diene dem Gesundheitsschutz. Bei der Frage, ob dieser Zweck erreicht werde, sei die Gruppenbildung zwischen Arbeitnehmer/innen mit Nachtschichtarbeit und denjenigen mit unregelmäßiger Nachtarbeit zu berücksichtigten. Insofern komme es wegen der vorzunehmenden Normenkontrolle nicht darauf an, ob die Vergleichsgruppe - hier Arbeitnehmer/innen mit unregelmäßiger Nachtarbeit - im Betrieb der Beklagten bestehe, sondern es sei ausreichend, dass sie überhaupt vorhanden sein könne (vgl. BAG, Urteil vom 11.12.2013 - 10 AZR 736/12 -). Die unterschiedlichen Zuschlagshöhen seien sachlich nicht gerechtfertigt. Es sei arbeitsmedizinisch gesichert, dass gelegentliche Nachtarbeit im Vergleich zu regelmäßiger Nachtarbeit (wohl umgekehrt) gesundheitlich nicht anders berücksichtigt werden könne. Nach den heutigen gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnissen könnten keine Gewöhnungseffekte an die biologische Desynchronisation, d. h. dem Arbeiten zeitverschoben zur Tagesperiodik, eintreten. Demgegenüber seien die Tarifvertragsparteien „erkennbar“ von einem Gewöhnungseffekt an dauerhafte Nachtarbeit ausgegangen und hätten einen geringeren Zuschlag für regelmäßige Nachtschichtarbeit als für sonstige (unregelmäßige) Nachtarbeit angesetzt. Daran ändere der Umstand, dass die regelmäßige Nachtarbeit geplant sei, nichts, weil für die Gesundheitsschädigung maßgeblich sei, in welchem Umfang Nachtarbeit geleistet werde. Zusätzlich könne Nachtschichtarbeit zu sozialer Desynchronisation führen, womit Störungen bei der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben sowie am Familienleben umfasst seien. Es würden Arbeitnehmer, die regelmäßig ganze Wochen nachts arbeiten müssten, mehr aus dem sozialen Leben gerissen, ab diejenigen, die nur ab und zu nachts eingesetzt würden. Die Unterscheidung hinsichtlich der Planbarkeit der Nachtarbeit treffe zudem nicht zu. Das Arbeitsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass regelmäßige Nachtarbeit nur vorliege, wenn es einen Schichtplan gebe. Der Schichtplan sage nicht unbedingt etwas über die Planbarkeit aus. Im Betrieb der Beklagten würde bei einem kurzfristig auftretenden Krankheitsfall der bereits bekanntgegebene Schichtplan oft nur einen Tag vorher geändert werden. Dennoch zahle die Beklagte keinen Zuschlag für unregelmäßig geleistete Nachtarbeit. Es gebe daher keinen Unterschied zwischen der regelmäßigen und unregelmäßigen Nacharbeit, der die unterschiedliche Höhe der Nachtzuschläge rechtfertigen würde.
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Die nach § 6 MTV Futtermittelindustrie zu gewährenden Schichtfreizeiten kompensierten nicht die unterschiedliche Zuschlagshöhe für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit. Das Bundesarbeitsgericht habe ausschließlich die Höhe der Nachtzuschläge miteinander verglichen. Die Schichtfreizeiten würden die Gesundheitsgefährdungen, denen sich die Klagepartei als regelmäßig im Dreischichtbetrieb tätige/r Beschäftigte/r aussetze, nicht adäquat ausgleichen. Setze man die Anzahl der Freischichten ins Verhältnis zur Anzahl der erforderlichen Nachtschichten erhöhe dies den Zuschlag für die Klagepartei um unstreitige 3,3% und gleiche die Differenz von 25% zu 50% nicht aus. Im Übrigen begründe sich der Anspruch auf Schichtfreizeit erst nach Ableistung einer vollen Staffel von 50 bzw. 30 Nachtschichten und vermittle folglich keinen zeitnahen Ausgleich, wie er nach arbeitsmedizinischen Erkenntnissen geboten sei. Gegen eine hinreichende Kompensation spreche zudem die Verfallklausel in § 6 Nr. 5 MTV Futtermittelindustrie. Aufgrund der Regelungen des § 6 Ziff. 1 a) und b) MTV Futtermittelindustrie sei davon auszugehen, dass neben der Nachtarbeit auch die Belastung durch den Schichtwechsel kompensiert werden solle. Schließlich seien keine für die Futtermittelindustrie spezifischen Aspekte zu berücksichtigen. Die zu verarbeitenden Produkte wie Getreide und Salz seien lange haltbar und gut eingepackt. Es spiele für die Ungleichbehandlung und den Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG keine Rolle, dass die Zuschlagsdifferenz im vom Bundesarbeitsgerichts entschiedenen Fall 15% zu 50% und im vorliegenden 25% zu 50% betrage. Es läge in jeden Fall eine Ungleichbehandlung vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei die gleichheitswidrige Bestimmung für unwirksam zu erklären und der gleichheitswidrig benachteiligten Partei der höhere Betrag auf der Grundlage der bestehenden rechtmäßigen Regelung zu zahlen.
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Die Klagepartei beantragt,
I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Kempten vom 20.01.2020, Az.: 3 Ca 1032/19, wird abgeändert.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 546,25 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
- aus 134,73 € seit 01.02.2019,
- aus 4,95 € seit 01.03.2019,
- aus 129,77 € seit 01.05.2019,
- aus 130,76 € seit 01.06.2019,
- aus 7,15 € seit 01.07.2019 und
- aus 138,89 € seit 01.08.2019 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Die Klagepartei setze sich mit den differenzierenden Zuschlagshöhen nicht konkret auseinander, sondern beschränke sich darauf vorzutragen, dass gesundheitliche Aspekte der Nachtarbeit einen höheren Zuschlag erforderlich machten.
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Die Differenzierung der Zuschlagshöhe für regelmäßige Nachtarbeit mit 25% einerseits und für unregelmäßig Nachtarbeit mit 50% andererseits zur Stundevergütung sei von der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien im Rahmen der Tarifautonomie gem. Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt. Es werde bereits dann den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG genügt, wenn ein an der Gruppenbildung orientierter sachlich vertretbar Grund vorliege und die Differenzierung nicht elementare Gerechtigkeitsvorstellungen verkenne. Die Tarifvertragsparteien seien nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung zu wählen. Der Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien werde durch Art. 12 RL 2003/88/EG nicht berührt, weil die Richtlinie nicht vorgebe, ob und wie ein Ausgleich für Nachtschichtarbeit auszusehen habe. Sie werde auch nicht durch § 6 Abs. 1 ArbZG eingeschränkt, weil die Tarifvertragsparteien die ausdrückliche Kompetenz hätten (§ 6 Abs. 5 ArbZG), eine Ausgleichsregelung zu schaffen. Die Arbeitnehmer, die regelmäßige Nachtarbeit leisteten, seien mit Arbeitnehmern in unregelmäßiger Nachtschicht nicht vergleichbar. Aus der Auslegung des § 5 Ziff. 1 MTV Futtermittelindustrie ergebe sich, dass zwischen diesen Arbeitnehmern ein Regel-Ausnahme-Verhältnis bestehe. Die Anzahl der Arbeitnehmer, die im Rahmen der Wechselschicht Nachtarbeit leisteten, sei um ein Vielfaches größer als die Anzahl der Arbeitnehmer, die zu „unregelmäßiger Nachtarbeit“ herangezogen würden.
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Die Differenzierung zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtschicht sei jedenfalls gerechtfertigt, weil nach dem maßgeblichen Tarifvertrag für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der Regelmäßigkeit allein relevant sei, ob die Nachtarbeit geplant, d. h. in einem Schichtplan eingebettet sei oder nicht. Das Kriterium der Planbarkeit rechtfertige eine Differenzierung. Unregelmäßige Nachtarbeit läge nur vor, wenn die Nachtarbeit unvorhergesehen sei und dieser Ausnahmefall nicht planbar gewesen sei. Dies sei nicht der Fall, wenn der ursprüngliche Schichtplan geändert, sondern nur, wenn im Ausnahmefall über die Schicht sehr kurzfristig weitergearbeitet werde, insbesondere Mehrarbeit geleistet werden müsse. Für die abweichende Auffassung der Klagepartei ergäben sich keinerlei Anhaltspunkte im Wortlaut. Die Tarifvertragsparteien brächten mit dem höheren Zuschlag für diesen Ausnahmefall ihre Steuerungsfunktion zum Ausdruck, dass unregelmäßige Nachtarbeit nur in besonderen, unvorhergesehenen Fällen angeordnet werden solle. Darüber hinaus hätten die Tarifvertragsparteien im MTV Futtermittelindustrie einen unmittelbaren Ausgleich geschaffen, indem sie Schichtfreizeiten gewährten. Auch müsse berücksichtigt werden, dass tarifvertraglich ein Zuschlag für acht Stunden (22:00 Uhr bis 06:00 Uhr) gewährt werde, während die gesetzliche Nachtarbeitszeit nur sieben Stunden (23:00 Uhr bis 06:00 Uhr) betrage, was einen Unterschied von 8/8 zu 7/8 = 0,125 bzw. 12,5% ergebe. Schließlich sollten mit dem Zuschlag nicht nur die (gesundheitlichen) Belastungen der Arbeitnehmer kompensiert werden. Die Tarifvertragsparteien hätten einerseits durch Verteuerung der unregelmäßigen Nachtschicht eine Vermeidungswirkung erzielen bzw. unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Futtermittelindustrie einen finanziellen Anreiz zur Erbringung unregelmäßiger Nachtschicht setzen wollen.
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Demgegenüber habe die Klagepartei nicht dargelegt, dass kein sachlicher Grund bestehe, der die tarifliche Differenzierung bei der gewährten Zuschlagshöhe für „regelmäßige Nachtarbeit“ bzw. „unregelmäßige Nachtarbeit“ rechtfertige. Dabei sei die Auffassung, regelmäßige Nachtarbeit führe zu einer höheren gesundheitlichen Gefährdung, zu bestreiten; es gebe dafür keine gesicherte wissenschaftliche Basis. Der Biorhythmus des Menschen und damit die Toleranz für Schichtarbeit seien individuell verschieden. Hinsichtlich der Auswirkungen von Schichtarbeit auf das Sozial- und Privatleben bestehe ein großes Forschungsdefizit. Aus Sicht der Beklagten sei die soziale Desynchronisation bei einer spontanen und unregelmäßigen Anordnung von Nachtarbeit wesentlich schwieriger und keineswegs vergleichbar mit einer für den Schichtdienst langfristig im Voraus planbaren Nachtarbeitssituation. Die Regelungen des MTV Futtermittelindustrie seien mit dem Fall, den das Bundesarbeitsgericht durch Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - entschieden habe, nicht vergleichbar. Auch bestehe aufgrund des zwischen den Tarifvertragsparteien fehlenden Machtgefälles eine Richtigkeitsgewähr dafür, dass die Vermutung der sachgerechten Interessenregelung zutreffe (§ 310 Abs. 4 S. 1 BGB). Eine Anpassung nach oben sei wegen der Befriedungsfunktion des Tarifvertrags und der Notwendigkeit, die daraus resultierenden wirtschaftlichen Belastungen planen zu können, nicht vereinbar.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und die Gutachten von Eylert/Creutzfeldt, Rechtsgutachten zur Zulässigkeit von differenzierenden Nachtzuschlägen in Tarifverträgen der Ernährungswirtschaft, Kohte, Gutachten zur Systematik und Differenzierung tarifvertraglicher Nachtarbeitszuschlagsregelungen und Langhoff/Satzer, Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachschichtarbeit Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
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Die nach §§ 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.
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Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Klagepartei für die im Rahmen von Schichtarbeit geleisteten Nachtstunden kein Zuschlag in Höhe von 50% zur Stundenvergütung aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. §§ 4 Ziff. 2 und 3, 5 Ziff. 1 a) 2. Alt. MTV Futtermittelindustrie zusteht.
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1. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sich ein Zuschlag in Höhe von 50% zur jeweiligen Stundenvergütung nicht aus den tarifvertraglichen Vorschriften ergibt.
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2. Dieser Zuschlag begründet sich auch nicht wegen gleichheitswidriger Behandlung der Arbeitnehmer, die Nachtschichtarbeit leisten, im Vergleich zu denjenigen Arbeitnehmern, die unregelmäßige Nachtarbeit verrichten, Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. §§ 4 Ziff. 2 und 3, 5 Ziff. 1 a) 2. Alt. MTV Futtermittelindustrie.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt den Tarifvertragspar teien als selbstständigen Grundrechtsträgern aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sie haben eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und die betroffenen Interessen. Bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte sind sie nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht (vgl. Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 43). Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte jedoch, solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu einer Gruppenbildung führen, mit der Art. 3 GG verletzt wird. Aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Dabei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen die Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Die aus dem Gleichheitssatz folgenden Grenzen sind überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten in Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestünden, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können (vgl. BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 44). Bei der Überprüfung von Tarifverträgen anhand des allgemeinen Gleichheitssatzes ist dabei auf die generellen Auswirkungen der Regelungen abzustellen (vgl. BAG, Urteil vom 11.12.2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 15).
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Die Tarifvertragsparteien sind auch im Rahmen des § 6 ArbZG grundsätzlich darin frei, wie sie den Ausgleich für Nacht- und Schichtarbeit regeln. Um den gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers nach Wahl des Arbeitgebers durch eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das Bruttoarbeitsentgelt nach § 6 Abs. 5 ArbZG zu ersetzen, muss die tarifliche Regelung eine Kompensation für die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen vorsehen. Dies folgt aus dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck des dem Gesundheitsschutz dienenden § 6 Abs. 5 ArbZG (vgl. BAG, Urteil vom 13.12.2018 - 6 AZR 549/17 - Rn. 18). Erschöpft sich eine tarifvertragliche Regelung darin, den Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag auszuschließen, liegt dementsprechend keine Ausgleichsregelung im Sinne des § 6 Abs. 5 ArbZG vor, die den gesetzlichen Anspruch auf Nachtarbeitszuschläge sperren könnte (vgl. BAG, Urteil vom 12.03.2008 - 4 AZR 616/06 - Rn. 62).
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b) Der MTV Futtermittelindustrie enthält Zuschläge für Nachtschichtarbeit und (unre gelmäßige) Nachtarbeit. Mit einer Zuschlagshöhe von 25% zur Stundenvergütung reicht der Zuschlag für Nachtschichtarbeit an den Wert heran, den das Bundesarbeitsgericht als angemessen im Sinne des § 6 Abs. 5 ArbZG angesehen hat (vgl. BAG, Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 16 ff.). Die Frage, ob die Tarifvertragsparteien Zuschläge für Nachtschichtarbeit einerseits und unregelmäßige Nachtarbeit andererseits rechtswirksam in unterschiedlicher Höhe vereinbaren konnten, ist deshalb im vorliegenden Fall keine des angemessenen Ausgleichs im Sinne des § 6 Abs. 1 und 5 ArbZG, sondern der Gleichbehandlung (so auch BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 43 und 44; LAG Bremen, Urteil vom 10.04.2019 - 3 Sa 12/18 - Rn. 54 ff.).
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c) Ausgehend von der dargestellten Rechtsprechung liegt mit der Differenzierung des MTV Futtermittelindustrie bei den Zuschlägen für „Nachtschichtarbeit“ einerseits (§§ 4 Ziff. 3, 5 Ziff. 1 a)) und für „Nachtarbeit“ (§ 4 Ziff. 2, 5 Ziff. 1 a)) andererseits kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor.
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(1) Zwar liegt eine Gruppenbildung vor. Die Gruppe der Arbeitnehmer, die - wie die Klagepartei - Nachtschichtarbeit leistet, ist mit der Gruppe der Arbeitnehmer, die unregelmäßig Nachtarbeit leistet, vergleichbar. Beide Arbeitnehmergruppen erbringen ihre Arbeitsleistung innerhalb eines Zeitraums, der in § 4 Ziff. 2 und Ziff. 3 MTV Futtermittelindustrie als Nacht(schicht) arbeit gekennzeichnet ist und sich dadurch von Arbeit zu anderen Zeiten unterscheidet. Durch die Zuschlagsregelungen in § 5 Ziff. 1 a) MTV Futtermittelindustrie haben die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebracht, dass sie die Arbeitsleistung in diesem Zeitraum als Erschwernis betrachten, die durch einen Zuschlag zur Stundenvergütung auszugleichen ist (vgl. in diesem Sinne BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 46). Dabei kommt es auf eine zahlenmäßige Verteilung der Arbeitnehmer, die Nacht(schicht) arbeit leisteten, nicht an; maßgeblich ist allein, dass beide Gruppen von Arbeitnehmern durch Nachtarbeit erschwert ihre Arbeitsleistungen erbringen. Die Tarifvertragsparteien unterscheiden zwischen beiden Arbeitnehmergruppen, indem sie für sie unterschiedlich hoch ausgestaltete Zuschläge für erbrachte Nacht(schicht) arbeit vorsehen, § 5 Ziff. 1 a) MTV Futtermittelindustrie.
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(2) Die Tarifvertragsparteien des MTV Futtermittelindustrie haben jedoch mit der für die Nachtarbeitszuschläge vorgenommenen Gruppenbildung den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht überschritten.
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(a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts überschreiten die Tarifvertragsparteien den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum, wenn sie für die Gruppe von Arbeitnehmern, die Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit leisten, eine erheblich weniger günstige Zuschlagsregelung geschaffen haben als für die Gruppe von Arbeitnehmern, die außerhalb von Schichtsystemen Nachtarbeit erbringt (vgl. BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 45). Eine solche „deutliche Schlechterstellung“ (Rn. 46) sei anzunehmen, wenn der Zuschlag von 50% zum Stundenlohn für eine Nachtarbeitsstunde, mit dem erkennbar die mit Nachtarbeit verbundenen herausgehobenen Belastungen abgegolten werden sollten, mehr als das Dreifache höher sei als der Zuschlag für Nachtarbeit im Schichtbetrieb mit 15% (1.), die im Rahmen der Nachtschicht geleistete Nachtarbeit teilweise (sechs Stunden) zuschlagsfrei bliebe (2.) und der tarifliche Nachtarbeitszeitraum für Schichtarbeitnehmer kürzer sei als für Nachtarbeitnehmer (vgl. BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - Rn. 47). Andererseits bleibt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die Einschätzung von Tarifvertragsparteien im Hinblick auf die branchentypischen Besonderheiten des Einzelhandels „noch unbeanstandet“, wenn nach der tarifvertraglichen Regelung für Nachtarbeit im Schichtdienst ein Zuschlag von 20% und für unregelmäßige Nachtarbeit ein Zuschlag von 50% zu zahlen sei. Im Einzelhandel würden typischerweise Nachtarbeiten weder im größeren Umfang noch gar ausschließlich geleistet werden (vgl. BAG, Urteil vom 11.12.2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 21 ff.).
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(b) Danach sind die Regelungen des MTV Futtermittelindustrie unter Gleichheitsgesichtspunkten als noch unbedenklich anzusehen.
30
(aa) Die hier vorliegenden Regelungen enthalten keine erheblich weniger günstige Zuschlagsregelung für Nachtschichtarbeit leistende Arbeitnehmer im Vergleich zu den Arbeitnehmern, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten.
31
Der Zuschlag für Arbeitnehmer, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, beträgt mit 50% zur Stundenvergütung lediglich das Doppelte und nicht mehr als das Dreifache des Zuschlags für Nachtschichtarbeit mit 25% zur Stundenvergütung. Dabei verringert sich das Verhältnis der beiden Nachtarbeitszuschläge wegen der in § 6 Ziff. 1 MTV Futtermittelindustrie vorgesehenen Regelung zu Schichtfreizeiten. Nach § 6 Ziff. 1 b) MTV Futtermittelindustrie erhalten Arbeitnehmer, die regelmäßig im Dreischichtbetrieb arbeiten, für 30 geleistete Nachtschichten einen Tag Schichtfreizeit. Monetär beträgt dieser Wert unstreitig 3,3% einer Stundenvergütung, so dass sich ein Verhältnis von 28,3% zu 50% bei den Zuschlägen für Nachtschichtarbeit einerseits und unregelmäßige Nachtarbeit andererseits ergibt. Im Hinblick auf die unmittelbar gesundheitsschützende Wirkung eines bezahlten Freizeitausgleichs (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 156/15 - Rn. 22; Urteil vom 11.12.2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 17) ist darüber hinaus ein nicht monetärer Wert zu berücksichtigen. Da die zeitliche Festlegung der Schichtfreizeit gemäß § 6 Ziff. 3 MTV Futtermittelindustrie im Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfolgt, kann sie grundsätzlich bei Wunsch des Arbeitnehmers auch zeitnah erfolgen. Sofern die betriebliche Praxis diese tarifvertragliche Regelung nicht wiederspiegelt, wäre sie ggf. zu korrigieren. Die tarifliche Verfallsregelung in § 6 Ziff. 5 MTV Futtermittelindustrie mindert den Wert der Schichtfreizeit nicht, sondern bewirkt im Gegenteil, dass sie im zeitlichen Zusammenhang spätestens mit dem Kalenderjahr, in dem sie begründet wird, genommen wird und sich ihre ausgleichende Wirkung einstellen kann. Dieser monetäre und ideelle Wert des Zuschlags für Nachtschichtarbeit wird im vorliegenden Fall im Gegensatz zu dem Sachverhalt, der dem Bundesarbeitsgericht zugrunde lag, nicht dadurch entwertet, dass die Zahlung des Zuschlags nicht bereits ab Beginn, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt der Nachtschichtarbeit gezahlt wird. Nach dem MTV Futtermittelindustrie erfolgt die Zahlung des Nachtschichtarbeitszuschlags ab der ersten Stunde der Nachtschichtarbeit.
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(bb) Darüber hinaus ist die Futtermittelindustrie in Bayern nach der unbestritten gebliebenen Aussage der Beklagten geprägt von Betrieben, die in Wechselschicht produzieren. Folglich besteht die Möglichkeit, dass sich die Arbeitnehmer, die nach einem Schichtplan tätig sind, auf diesen einstellen können. Damit werden die sozialen Folgen („soziale Desyndronation“), die mit jeder Arbeit außerhalb der üblichen Arbeitszeiten der Mehrheit der Arbeitnehmer und damit außerhalb des üblichen Tagesablaufs verbunden sind, gemindert (vgl. BAG, Urteil vom 11.12.2013 - 10 AZR 736/12 - Rn. 22). Soweit die Klagepartei gegen die Planbarkeit der Nachtschichtarbeit eingewandt hat, dass es keinen Unterschied zwischen regelmäßiger Nachtschichtarbeit und unregelmäßiger Nachtarbeit gebe, weil die Mitarbeiter im Betrieb der Beklagten bei Bedarf auch spontanen Nachtschichteinsatz leisteten und dennoch nur den 25%igen Nachtschichtzuschlag gezahlt erhielten, ist damit kein Fall einer Ungleichbehandlung, sondern der wohl rechtsfehlerhaften Anwendung des Tarifvertrags angesprochen. Nach dem für die Auslegung von Tarifverträgen maßgeblichen Wortlaut des § 4 Ziff. 3 MTV Futtermittelindustrie ist Nachtschichtarbeit „die in der Zeit von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr oder von 22.0 Uhr bis 6.00 Uhr auch im wöchentlichen Schichtwechsel geleistete regelmäßige Arbeit.“ Was regelmäßig ist, bestimmt im Betrieb der Beklagten, in dem Wechselschicht gearbeitet wird, der den Arbeitnehmern drei Wochen vorher bekanntgegebene Schichtplan. Mit dem Schichtplan legt die Beklagte „die Arbeitsaufgabe, die für diese Arbeitsaufgabe eingesetzten Arbeitnehmer und den zeitlichen Umfang ihres Einsatzes im Voraus fest“ (vgl. BAG, Urteil vom 11.04.2019 - 6 AZR 249/18 - Rn. 16). Weicht der kurzfristig angeordnete oder abgesprochene Arbeitseinsatz davon ab, ist die Regel „Schichtplan“ nicht eingehalten und es liegt unregelmäßig geleistete Arbeit vor, die in der Zeit von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr Nachtarbeit i.S.d. § 4 Nr. 2 MTV Futtermittelindustrie ist und mit dem höheren Nachtarbeitszuschlag von 50% zur Stundenvergütung zu vergüten ist. Andernfalls träte auch nicht die Planbarkeit der Arbeits- bzw. Freizeitzeiträume für die Arbeitnehmer ein, die die Beklagte als sachlichen Grund für die Differenzierung der Zuschlagshöhe bei unregelmäßiger Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit anführt. Soll Maßstab für Gleichbehandlung bzw. Ungleichbehandlung der Normzweck der jeweiligen Regelung sein (so Kothe, Gutachten zur Systematik und Differenzierung tarifvertraglicher Nachtarbeitszuschlagsregelungen, Seite 5), rechtfertigt das Differenzierungsmerkmal der Planbarkeit vorliegend die Differenzierung der Nachtarbeitszuschläge (vgl. auch LAG München, Urteil vom 19.06.2018 - 7 Sa 20/18 - für den Manteltarifvertrag für das Braugewerbe in Bayern vom 06.10.1999).
33
Die Klagepartei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
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Es bestand kein Grund, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen. Die Entscheidung basiert auf der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 - und den dort zitierten weiteren Entscheidungen), § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Das Urteil weicht auch nicht von einer Entscheidung einer anderen Kammer des LAG München oder des LAG Nürnberg ab, § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG.