Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 10.11.2020 – RN 16 K 20.30558
Titel:

Abschiebungsverbot hinsichtlich Afghanistan

Normenketten:
VwVfG § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2
AsylG § 4 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsätze:
1. Eine unterlassene Anhörung im Asylverfahren kann auch im Aufhebungsverfahren nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz geheilt werden. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die über die Aufhebung entscheidende Behörde darf das Vorliegen der Ausschlussgründe des § 4 Abs. 2 AsylG nur annehmen, wenn dies auf schwerwiegende Gründe gestützt wird. Darunter werden hinreichende, auf Tatsachen gestützte Feststellungen von einigem Gewicht verstanden. (Rn. 65) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für ehemalige Taliban-Unterstützer besteht im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan die beachtliche Wahrscheinlichkeit von den afghanischen Behörden in Gewahrsam genommen und in diesem Zusammenhang der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden. (Rn. 90) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylverfahren, Afghanistan, unterlassene Anhörung, Taliban-Unterstützer, Folter, unmenschliche Behandlung, Abschiebungsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2020, 43797

Tenor

I.    Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26.02.2020 (Gz. 7431373-423) wird in der Ziffer 3 aufgehoben.  Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegt. 
II.    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 
III.    Von den Kosten des Verfahrens haben der Kläger und die Beklagte je die Hälfte zu tragen. 

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Aufhebung des Bescheides, durch den der mit Bescheid vom 29.07.2015 zuerkannte subsidiäre Schutz nach §§ 73b Abs. 3, 4 Absatz 2 Nummer 3 AsylG durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend Bundesamt) zurückgenommen wurde, hilfsweise die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
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Der Kläger, geboren am …1983 in B… B…, Afghanistan, ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volkszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 28.11.2012 mit einem Auto in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10.12.2012 einen Asylantrag beim Bundesamt.
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Im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt am 07.01.2013 gab der Kläger an, dass er Afghanistan Ende Juni/Anfang Juli 2012 verlassen habe. Bis zu seiner Ausreise habe er mit seiner Familie im Dorf T …, im Distrikt B … B …, Provinz L …, gelebt. Er habe seit 2003 beim Roten Halbmond gelernt und als Sanitäter gearbeitet und ehrenamtlich medizinische erste Hilfe in den Dörfern geleistet. Das Dorf, in dem der Kläger gelebt habe, werde seit etwa fünf bis sechs Jahren von den Taliban kontrolliert.
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Zu seinem Verfolgungsschicksal befragt erklärte der Kläger, dass er seit 2006 von den Taliban gezwungen worden sei, für sie zu arbeiten. Er habe sich zunächst dagegen verwehrt, sei dann aber körperlich misshandelt worden. Er habe die Verletzten versorgen müssen und eine Kalaschnikow erhalten. Er habe keine militärische Ausbildung erhalten, man habe ihm gezeigt, wie man schieße. Er sei zu den Kämpfen der Taliban gerufen worden. Er habe ein Motorrad und ein Mobiltelefon erhalten und sei angerufen worden, wenn er gebraucht worden sei. Nachdem die Kämpfe zugenommen hätten und sein Haus von Amerikanern und afghanischen Soldaten durchsucht worden war, habe er beschlossen, das Land zu verlassen.
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Der Kläger trug zudem vor, dass zum Schluss sein Leben von Seiten der Regierung und von Seiten der Taliban gefährdet worden sei, da die Taliban nicht erlaubt hätten, dass er gehe und er auf der Schwarzen Liste der Regierung gestanden habe.
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Mit Schriftsatz vom 23.06.2015, dem Gericht am 24.6.2015 zugegangen, ließ der Kläger durch seinen damaligen Verfahrensbevollmächtigten beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg Untätigkeitsklage erheben. Mit Gerichtsbescheid vom 17.08.2015 wurde das Bundesamt verpflichtet, das Verfahren gegen den Kläger fortzuführen und über den Asylantrag innerhalb von drei Monaten nach Rechtskraft zu entscheiden.
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Mit rechtskräftigem Bescheid vom 29.07.2015 (Gz. 5597222 - 423), laut behördlichem Aktenvermerk als Einschreiben am 01.09.2015 zur Post gegeben (siehe BA Az. 5597222 - 423, Seite 153), wurde dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt und der Asylantrag im Übrigen abgelehnt. Laut behördlichem Aktenvermerk vom 29.07.2015 (siehe BA Az. 5597222 - 423, Seite 97) wurde der subsidiäre Schutz zuerkannt, da das Leben und die Gesundheit des Klägers im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes ständig von willkürlicher Gewalt bedroht seien.
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Aufgrund der Anklage der Generalstaatsanwaltschaft München vom 01.08.2019 (Gz. OJs 46/18) wegen mitgliedschaftlicher Betätigung in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer Kriegswaffe wurde durch das Bundesamt ein Rücknahmeverfahren eingeleitet.
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Der Kläger befand sich aufgrund eines Haftbefehls des OLG München vom 07.03.2019 (Gz. OGs 51/19) vom 07.03.2019 bis zum 27.11.2019 in Untersuchungshaft.
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Das Bundesamt fertigte im Rücknahmeverfahren ein Anhörungsschreiben vom 25.11.2019 an. Darin wurde mitgeteilt, dass aufgrund der Anklage der Generalstaatsanwaltschaft München vom 01.08.2019 und der darin vorgeworfenen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie des vorgeworfenen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz bezüglich des zuerkannten subsidiären Schutzes nach § 4 Absatz 1 Nummer 3 AsylG ein Rücknahmeverfahren gemäß § 73b AsylG eingeleitet wurde. Es werde beabsichtigt, den subsidiären Schutzstatus zurückzunehmen und im Übrigen festzustellen, dass kein sonstiger subsidiärer Schutz zuerkannt wird und auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Absatz 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Dem Kläger wurde Gelegenheit gegeben, sich zu der beabsichtigten Entscheidung innerhalb eines Monats nach Zugang des Schreibens schriftlich zu äußern. Ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 26.11.2019 wurde das Anhörungsschreiben am selben Tag in der Justizvollzugsanstalt einem zum Empfang ermächtigten Vertreter übergeben. Am 06.12.2019 ging das Anhörungsschreiben im Original beim Bundesamt ein mit dem Hinweis „urkundlich zurück an Absender/(…) bereits entlassen“. Auf dem Briefumschlag, mit dem das Anhörungsschreiben versendet worden war, war als Zustellungsdatum der 27.11.2019 vermerkt.
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Mit Urteil des OLG München vom 27.11.2019 (Az. 9 St 5/19) wurde der Kläger der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe ohne Genehmigung schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
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Mit Bescheid vom 26.02.2020 (Gz. 7431373 - 423), in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten eingelegt am 04.03.2020, nahm die Beklagte den mit Bescheid vom 29.07.2015 (Az.: 5597222 - 423) zuerkannten subsidiären Schutzstaus nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zurück (Ziffer 1), erkannte sinngemäß den subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG nicht an (Ziffer 2) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 3).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Gewährung subsidiären Schutzes gem. §§ 73b Abs. 3 i.V.m. 4 Abs. 2 Nr. 3 AsylG zurückzunehmen sei, da schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen würden, dass der Kläger sich Handlungen zuschulden hat kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Dem Kläger hätte aufgrund der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und des Verstoßes gegen das Kriegswaffengesetz zu keinem Zeitpunkt in seinem Asylverfahren der subsidiäre Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zuerkannt werden dürfen. Die Zuerkennung des Schutzstatus sei rechtswidrig gewesen, da der Ausschlusstatbestand nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 73b Abs. 3 AsylG greife und die Gewährung des Schutzes somit ausgeschlossen sei. Das Bundesamt berief sich dabei im Wesentlichen auf die eigenen Erkenntnisse aus dem Asylverfahren (Az.: 5597222-423), auf die Erkenntnisse, auf die die Anklageschrift vom 01.08.2019 der Generalstaatsanwaltschaft München beruht und die Erkenntnisse des OLG München in seinem Urteil vom 27.11.2019. Bezüglich einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bedürfe es keiner Differenzierung zwischen einem Kreis von herausgehobenen Funktionären bzw. Kadern und den sonstigen Angehörigen. Soweit sich der Ausländer auf einen rechtfertigenden oder entschuldigenden Notstand berufe, schließe sich das Bundesamt der Einschätzung des OLG München an, wonach der Kläger zwar zu Beginn seiner Tätigkeit für die Taliban einmal misshandelt worden, danach aber aus freien Stücken für diese tätig gewesen sei. Auch die lange Zeit der Tätigkeit spreche gegen eine zwangsweise Tätigkeit.
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Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG sei wegen des Vorliegens von Ausschlusstatbeständen ausgeschlossen.
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Zudem lägen keine Abschiebungsverbote vor, da nicht davon auszugehen sei, dass nach dem langen Zeitablauf afghanische Sicherheitsorgane oder Taliban an der Person des Klägers noch ein gesteigertes Verfolgungsinteresse hegen könnten. Eine Strafverfolgung des Klägers sei unter Berücksichtigung der komplizierten Gemengelage, Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Taliban und der letztlich untergeordneten Rolle des Klägers und verschiedenster Interessen als unwahrscheinlich anzusehen. Darüber hinaus könne der Kläger in den Regionen um Herat oder Mazar e Sharif inländischen Schutz erlangen.
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Im Übrigen wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 18.03.2020, dem Verwaltungsgericht am selben Tag zugegangen, hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage gegen den Bescheid erheben lassen. Zugleich hat er um Eilrechtsschutz nach § 80 Absatz 5 VwGO ersuchen lassen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Bescheid rechtswidrig sei, da der Widerruf des zuerkannten subsidiären Schutzstatus nur aufgrund neuer oder neu bekannt gewordener Tatsachen zulässig sei. Im Rahmen des § 73b Abs. 3 AsylG sei es nicht ausreichend, dass das Bundesamt aufgrund eines bekannten Sachverhalts eine Entscheidung korrigieren möchte, weil es nunmehr vom Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 4 Abs. 2 AsylG ausgehe. Darüber hinaus läge ein Abschiebungsverbot vor, da der Kläger bei der Rückkehr nach Afghanistan der Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt sei und befürchten müsse, durch den afghanischen Staat einer menschenrechtswidrigen Behandlung unterworfen zu werden.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
Die Ziffer 1 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26.02.2020, dem Kläger zugestellt am 04.03.2020, wird aufgehoben.
Hilfsweise: Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 26.02.2020 verpflichtet festzustellen, dass für den Kläger ein Abschiebungsverbot besteht.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
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Das Gericht hat dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 12.5.2020 den richterlichen Hinweis erteilt, dass nach seiner Ansicht ein isolierter Anfechtungsantrag bezüglich der Ziffern 2 und 3 des streitgegenständlichen Bescheides wegen der dort vorliegenden Sachentscheidung nicht zulässig sei. Es ist darum gebeten worden, den Antrag in der Hauptsache und den Antrag auf aufschiebende Wirkung gegebenenfalls zu konkretisieren. Mit Schreiben vom 15.05.2020 hat der Prozessbevollmächtigte klarstellend mitgeteilt, dass sich der Anfechtungsantrag auf die Ziffer 1 des Bescheides beziehe.
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Mit Schreiben vom 18.05.2020 hat die Beklagte ausgeführt, dass der gestellte isolierte Anfechtungsantrag und somit auch der Antrag auf aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig sei. Darüber hinaus hat die Beklagte erklärt, dass ihr die zur Rücknahme führenden Umstände bzw. Tatsachen erst nachträglich bekannt geworden und durch die Entscheidung im Strafprozess durch ein Gericht nachträglich festgestellt worden seien. Dem Kläger sei zum damaligen Zeitpunkt der subsidiäre Schutz wegen eines innerstaatlichen Konfliktes gewährt worden. Darüber hinaus sei nicht bekannt, dass die Verurteilung des Klägers an die afghanischen Sicherheitsbehörden bei Rückkehr gemeldet werden würden. Selbst wenn dies der Fall wäre, seien die Interessen der afghanischen Sicherheitsbehörden an dem Kläger aufgrund seiner untergeordneten und nicht höher gestellten Position bei den Taliban zum damaligen Zeitpunkt vor 8 Jahren als äußerst gering bzw. als nicht vorhanden einzuschätzen.
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Mit Schriftsatz vom 30.05.2020 hat der Kläger ausführen lassen, dass es bei der Rücknahme der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 73 b Abs. 3 1. Alt. AsylG um schon bei der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bestandene Ausschlussgründe gehe, die die Behörde nicht kannte. Der angegriffene Bescheid stütze sich aber allein auf den Sachverhalt, den der Kläger bereits bei seiner Anhörung durch das Bundesamt angegeben hatte und der der Schutzzuerkennung zugrunde gelegen habe. Entgegen der Auffassung der Beklagten komme es weder auf die Kenntnis der strafrechtlichen Ermittlungen noch auf die Kenntnis des Strafurteils an, sondern auf die Kenntnis des vom Kläger bereits im Asylverfahren offenbarten Sachverhalts. Denn allein dieser könne vorliegend gegebenenfalls einen Ausschlussgrund i.S.d. § 4 Abs. 2 AsylG darstellen.
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Mit Beschluss vom 18.06.2020 hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Rücknahme der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG in Ziffer 1 des Bescheides vom 26.02.2020 angeordnet. Auf den Inhalt des Beschlusses im Eilverfahren (Az.: RN 16 S 20.30557) wird Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 23.06.2020 hat die Beklagte auf den Schriftsatz des Klägers vom 30.05.2020 insofern Stellung genommen, dass sich auch nach Kenntnis des oben genannten Schriftsatzes keine Änderung der getroffenen Entscheidung ergebe.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 30.06.2020 wurden die Beteiligten des Verfahrens aufgefordert, zu den im Beschluss vom 18.06.2020 aufgeworfenen Rechtsfragen bis zum 14.08.2020 Stellung zu nehmen.
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Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.08.2020 folgendes ausgeführt. Hinsichtlich der formellen Zustellung des Anhörungsschreibens ergebe sich aus der Postzustellungsurkunde und dem Briefumschlag, dass die Postbotin das Schreiben am 26.11.2019 der JVA ausgehändigt habe. Zu diesem Zeitpunkt habe die JVA dem Kläger noch als Wohnung gedient. Ein möglicher Zustellungsmangel und die sich daraus ergebende fehlende Anhörung könne durch die mündliche Verhandlung im Hauptsacheverfahren geheilt werden, da der Kläger dort die Möglichkeit bekomme, seine Gründe, die gegen die Rücknahme sprechen würden, ausführlich zu schildern. Die fehlende Anhörung könne nachgeholt und der Mangel an rechtlichem Gehör könne somit beseitigt werden. Die Beklagte hat diesbezüglich auf einen Beschluss des VG Berlin vom 24.01.2020 (Az.: 25 L 506.19A) verwiesen. Nach wie vor werde an der materiellen Rechtmäßigkeit des Bescheides festgehalten. Die Beklagte als Verwaltungsbehörde sei im Gegensatz zur Justiz im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nicht in der Lage und auch nicht in der Pflicht, „objektive und subjektive Kriterien für die individuelle Verantwortung“ des Klägers hinsichtlich der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung festzustellen. Der reine Anfangsverdacht einer solchen Mitgliedschaft, wie er im Zeitpunkt der Bescheiderstellung vorlag, reiche für das Prüfen bzw. Vorliegen von Ausschlusstatbeständen nicht aus. Durch die späteren Ermittlungen und die Verurteilung des Klägers seien aber neue Tatsachen aufgrund strafrechtlicher Würdigung des gleichen Sachverhalts geschaffen worden, die eine Rücknahme des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Im Übrigen wird auf den Schriftsatz der Beklagten verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 14.08.2020 ließ der Kläger folgendes vortragen. Der angegriffene Bescheid sei bereits formell rechtswidrig, da die vorgeschriebene Anhörung nicht stattgefunden habe. Eine Nachholung der Anhörung im Klageverfahren sei nicht möglich. Im Rahmen der Rücknahme des subsidiären Schutzes nach § 73b Abs. 3 Alt. 1 AsylG gehe es außerdem um nachträglich aufgetretene Ausschlussgründe, die die Behörde nicht kannte. Der angegriffene Bescheid stütze sich allein auf den Sachverhalt, den der Kläger bereits bei seiner Anhörung durch die Beklagte angegeben hatte und der der Schutzzuerkennung zugrunde lag. Der Ausschlussgrund gem. § 4 Abs. 2 AsylG liege nicht in der Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, sondern in dem Begehen von Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider laufen. Es komme daher weder auf die Kenntnis der strafrechtlichen Ermittlungen noch auf die Kenntnis der Strafurteile an. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Schriftsatzes verwiesen.
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Mit Beschluss vom 03.09.2020 hat die Kammer den Rechtstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.
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Mit Schreiben vom 04.09.2020, zugestellt am 08.09.2020, ist dem Kläger eine Frist zur Angabe weiterer Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Asylverfahren sich die Klagepartei beschwert fühlt, sowie zur Angabe von Beweismitteln zur politischen Verfolgung der Klagepartei bzw. zu Abschiebungshindernissen bis 19.10.2020 (Eingang bei Gericht) gesetzt worden. Zugleich ist darauf hingewiesen worden, dass das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der Frist des § 74 Abs. 2 AsylG oder der oben genannten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden kann, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Weiterer Vortrag ist daraufhin nicht erfolgt.
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Mit Email vom 27.10.2020 hat die zuständige Ausländerbehörde eine E-Mail des Landesamtes für Asyl und Rückführung vom 13.08.2020 übermittelt, in der mitgeteilt wurde, dass dem Kläger ein Reisepass ausgehändigt werden könne, da er voraussichtlich länger nicht ausreisepflichtig werden wird. Nach Auskunft der zuständigen Ausländerbehörde werde nach derzeitigem Stand keine Ausweisungsverfügung erlassen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des Hauptsacheverfahrens und des Eilverfahrens (Az.: RN 16 S 20.30557 und RN 16 K 20.30558), sowie der in elektronischer Form vorgelegten Behördenakten (Gz. 7431373-423 und Gz. 5597222-423) verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige, insbesondere innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG erhobene Klage ist teilweise begründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 26.02.2020 ist in seinen Ziffern 1 und 2 rechtmäßig. Der Kläger wird durch die Rücknahme des subsidiären Schutzes und der Feststellung, dass der subsidiäre Schutzstatus gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG nicht zuerkannt wird, nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Die Ziffer 3 des Bescheides ist dagegen rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, da er im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG, einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gem. § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistan hat, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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1. Die in der Ziffer 1 des Bescheides der Beklagten vom 26.02.2020 enthaltene Rücknahme des mit Bescheid vom 29.07.2015 zuerkannten subsidiären Schutzes ist formell (nachfolgend a)) und materiell (nachfolgend b)) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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a) Die Rücknahme des subsidiären Schutzes erging zum maßgeblichen Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG in formell rechtmäßiger Weise. Die etwaige fehlende Anhörung des Klägers konnte zumindest im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden, § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG.
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Gemäß § 73b Abs. 4 AsylG gelten für die Rücknahme des subsidiären Schutzes § 73 Absatz 2b Satz 3 und Absatz 2c bis 6 AsylG entsprechend. Nach § 73 Abs. 4 AsylG ist dem Ausländer in den Fällen, in denen keine Aufforderung durch das Bundesamt nach Absatz 3a erfolgt ist, die beabsichtigte Entscheidung über die Rücknahme nach dieser Vorschrift schriftlich mitzuteilen, und ihm ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Dem Ausländer kann aufgegeben werden, sich innerhalb eines Monats zu äußern. Er ist darüber zu belehren, dass im Falle der Nichtäußerung nach Aktenlage entschieden wird. Nach § 73 Abs. 5 AsylG sind diese Mitteilungen und die Entscheidung des Bundesamtes, die eine Frist in Lauf setzt, dem Ausländer zuzustellen. Eine Anhörung war demnach im vorliegenden Fall erforderlich, da keine Aufforderung zur persönlichen Mitwirkung ergangen ist. Darüber hinaus war die Anhörung zuzustellen, da sie eine Frist zur Äußerung von einen Monat in Lauf gesetzt hat und eine entsprechende Belehrung über die Entscheidung nach Aktenlage im Falle der Nichtäußerung enthielt, § 73 Abs. 5 AsylG.
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aa) Im vorliegenden Fall wurde der Kläger nicht ordnungsgemäß angehört, da ihm das Anhörungsschreiben nicht zugestellt worden ist und dieser somit keine Gelegenheit hatte, sich zu der beabsichtigten Rücknahme des subsidiären Schutzes zu äußern.
40
Zunächst ist festzuhalten, dass § 10 AsylG im Aufhebungsverfahren nicht anzuwenden ist. § 10 AsylG findet nur im Asylverfahren Anwendung, dem Asylgesetz ist nicht zu entnehmen, dass Statusberechtigte nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung eine Verpflichtung treffen sollte, das Bundesamt fortwährend über jeglichen Adresswechsel zu informieren (vgl. BayVGH, U.v. 11.1.2010 - 9 B 08.30223 - juris Rn. 14f). Damit richtet sich im vorliegenden Fall die ordnungsgemäße Zustellung des Anhörungsschreibens mittels Postzustellungsurkunde nach § 73 Abs. 5 AsylG i.V.m. § 3 VwZG. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kann eine Zustellung in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der der Empfänger wohnt, durch die Zustellung an den Leiter der Gemeinschaftseinrichtung oder einen dazu ermächtigten Vertreter erfolgen. Als Wohnung sind die Räume zu verstehen, in denen der Adressat - wenn auch nur vorübergehend - tatsächlich lebt und insbesondere schläft (Zöller-Schultzky, ZPO, 33. Auflage 2020, § 178 Rn. 4, 20). Damit hat die JVA dem Kläger am 26.11.2019 noch als Wohnung gedient, am 27.11.2019 jedoch nicht mehr, da der Kläger an diesem Tag aus der Haft entlassen worden ist und die JVA somit am 27.11.2019 dauerhaft verlassen hat. Folglich war eine Ersatzzustellung gem. § 178 Abs. 1 Nummer 3 ZPO in der JVA durch Zustellung an einen zum Empfang ermächtigten Vertreter am 26.11.2019 noch möglich, am 27.11.2019 dagegen nicht mehr. Ausgehend von der Postzustellungsurkunde wurde das Anhörungsschreiben einem zum Empfang ermächtigten Vertreter am 26.11.2019 ausgehändigt. Die Postzustellungsurkunde beweist als öffentliche Urkunde gem. § 182 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 418 ZPO in vollem Umfang die Tatsache, dass das Anhörungsschreiben am 26.11.2019 zugestellt wurde. Gegen die nach § 182 ZPO bezeugten Tatsachen ist der Gegenbeweis in der Form zulässig, dass die bezeugten Tatsachen unrichtig sind. Der Gegenbeweis erfordert den Nachweis eines anderen Geschehensablaufs (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2017 - 10 ZB 16.2180 - juris Rn. 9). Nach Ansicht des Gerichts wurde durch die Rücksendung des Umschlages an die Beklagte, auf dem als Zustellungsdatum auch der 27.11.2019 vermerkt ist, ein geeigneter Gegenbeweis erbracht. Durch das auf dem Umschlag vermerkte spätere Datum (27.11.2019) ist nachgewiesen, dass das Schreiben unter Umständen nicht schon am 26.11.2019 zugestellt worden ist, sondern die Möglichkeit besteht, dass es erst am 27.11.2019 zugestellt worden ist. Insbesondere ist aber durch die Rücksendung des gesamten Anhörungsschreibens mit dem Hinweis, der Kläger sei bereits aus der JVA entlassen worden, nachgewiesen, dass das Anhörungsschreiben dem Kläger tatsächlich nie zugegangen ist.
41
bb) Die fehlerhaft erfolgte bzw. unterlassene Anhörung ist aber gem. § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG dadurch geheilt worden, dass sich der Kläger im Gerichtsverfahren äußern konnte und die Beklagte sein Vorbringen zur Kenntnis genommen und sich nicht lediglich darauf beschränkt hat, ihre getroffene Sachentscheidung zu verteidigen, sondern sich kritisch mit dem Vortrag des Klägers auseinandergesetzt hat.
42
Nach Ansicht des Gerichts kann die unterlassene Anhörung im Asylverfahren, auch im Aufhebungsverfahren, nach § 45 Absatz 1 Nummer 3, Absatz 2 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz geheilt werden. Die Vorschrift des VwVfG ist anwendbar, spezielle im AsylG und das Asylverfahren insoweit abschließend regelnde Sondervorschriften sind nicht ersichtlich (so auch VG Berlin, B.v. 24.1.2020 - 25 L 506.19 A - juris Rn. 32; a.A. VG München, U.v. 29.6.2004 - M 2 K 04.50845 - juris Rn. 17f., VG Bremen, Gb. v. 29.3.2019 - 4 K 3055/18 - BeckRS 2019, 10743 - Rn. 17f.). Damit wird nicht verkannt, dass der persönlichen Äußerung des Ausländers ein erheblicher Erkenntniswert zukommt (VG München, U.v. 29.6.2004 - M 2 K 04.50845 - juris Rn. 15; VG Bremen, Gb. v. 29.3.2019 - 4 K 3055/18 - BeckRS 2019, 10743 - Rn. 18). Dem wird nach Ansicht des Gerichts damit Rechnung getragen, dass die Nachholung der Anhörung eine kritische Auseinandersetzung der Behörde verlangt und somit nicht lediglich die Kenntnisnahme des Vortrages des Klägers genügt, um den formellen Mangel der fehlenden Anhörung zu heilen, sondern eine qualifizierte Auseinandersetzung der Beklagten mit dem Vortrag des Klägers verlangt wird.
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Eine Heilung gem. § 45 Absatz 1 Nummer 3 VwVfG tritt ein, wenn die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Diese Funktion besteht darin, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zum Anlass nimmt, die eigene Entscheidung kritisch zu überdenken und sich nicht auf eine reine Kenntnisnahme und Verteidigung der Entscheidung beschränkt (vgl. VG Berlin, B.v. 24.1.2020 - 25 L 506.19 A - juris Rn. 33).
44
Dies ist vorliegend auch geschehen. So hat sich die Beklagte im Gerichtsverfahren nicht lediglich auf die Klageerwiderung vom 31.03.2020 beschränkt. Die Beklagte hat sich vielmehr in mehreren Schriftsätzen, insbesondere mit Schriftsatz vom 18.05.2020 und 10.08.2020, mit dem Vortrag des Klägers auseinandergesetzt und in der Sache diesen Vortrag erwidert und dargestellt, warum trotz des Vortrages an der getroffenen Entscheidung festgehalten wird.
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b) Die Rücknahmeentscheidung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides erging auch in materieller Hinsicht rechtmäßig.
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Die Voraussetzungen des § 73b Abs. 3 AsylG sind vorliegend gegeben. Gemäß § 73b Abs. 3 AsylG ist die Zuerkennung des subsidiären Schutzes zurückzunehmen, wenn der Ausländer nach § 4 Absatz 2 AsylG von der Gewährung des subsidiären Schutzes hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist oder eine falsche Darstellung oder das Verschweigen von Tatsachen oder die Verwendung gefälschter Dokumente für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausschlaggebend war. Der Kläger hat im vorliegenden Fall durch sein Verhalten in Afghanistan den Ausschlussgrund des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG erfüllt (siehe aa)) und die Beklagte durfte die Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Übrigen nach § 73 Abs. 3 AsylG zurücknehmen (siehe bb)).
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aa) Der Kläger hat durch sein Verhalten in Afghanistan den Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylG erfüllt. Von den Ausschlusstatbeständen werden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes auch mittelbare Beiträge zu terroristischen Aktivitäten, die diese unterstützen, erfasst. Dieser Ansicht schließt sich das erkennende Gericht an.
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Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG ist ein Ausländer von der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen.
49
Das Bundesverwaltungsgericht führt zu dem Vorliegen des Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG in seinem Urteil vom 7.7.2011, Az. 10 C 26/10, folgendes aus:
50
Die Resolution 1373 (2001) vom 28.09.2001 bestimmt die Begrifflichkeiten der Ziele und Grundsätze näher. Darin ist unter anderem verankert, dass „die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen“ und „dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen“. Wie sich aus den UN-Resolutionen 1373 (2001) und 1377 (2001) ergibt, geht der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von dem Grundsatz aus, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer allgemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Daraus folgert der Europäische Gerichtshof, dass dieser Ausschlussgrund auch auf Personen Anwendung finden kann, die im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu einer in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunktes 2001/931 aufgeführten Organisation an terroristischen Handlungen beteiligt waren, die eine internationale Dimension aufweisen. Danach können Zuwiderhandlungen gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen jedenfalls bei Aktivitäten des internationalen Terrorismus auch von Personen begangen werden, die keine Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen oder zumindest in einer staatsähnlichen Organisation innehaben (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 7.7.2011 - 10 C 26/10 - juris Rn. 28 m.w.N.).
51
Nach der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes setzt der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG nicht notwendigerweise die Begehung einer strafbaren Handlung voraus. Das Bundesverwaltungsgericht führt weiter aus, dass in den einschlägigen UN-Resolutionen zu Antiterrorismusmaßnahmen in Bekräftigung dessen, jede Handlung des internationalen Terrorismus stelle eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar, ausdrücklich erklärt wird, dass „die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen und dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen“. Daraus ergibt sich, dass Handlungen des internationalen Terrorismus allgemein und unabhängig von ihrer strafrechtlichen Relevanz im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen. Von diesem Ausschlussgrund können auch Personen erfasst sein, die im Vorfeld Unterstützungshandlungen zugunsten solcher terroristischen Aktivitäten vornehmen. Zusätzlich wird allerdings - um der Funktion des Ausschlussgrundes gerecht zu werden - in jedem Fall zu prüfen sein, ob der individuelle Beitrag ein Gewicht erreicht, das dem der Ausschlussgründe in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylVfG entspricht (BVerwG, U.v. 7.7.2011 - 10 C 26/10 - juris Rn. 39).
52
Da der Wortlaut des Ausschlusstatbestandes des § 3 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG a.F. inhaltsgleich zu dem Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG ist, kann nach Ansicht des Gerichts für den Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG nichts Anderes gelten.
53
Vorliegend ist der Kläger mit Urteil des Oberlandesgerichts München vom 27.11.2019 der mitgliedschaftlichen Betätigung in einer terroristischen Vereinigung im Ausland und dem vorsätzlichen unerlaubten Besitz einer Kriegswaffe schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten verurteilt worden, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil geht im Wesentlichen von folgendem zugrundeliegenden Sachverhalt aus (vgl. OLG München, U.v. 27.11.2019 - 9 St 5/19, Seite 14ff; BA Gz.: 7431373-423, Seite 143ff.): Das Heimatdorf des Klägers stand zum Tatzeitpunkt unter der Kontrolle der Taliban. Im Jahr 2006 traten Kämpfer der Taliban an den Kläger heran und forderten ihn auf, einen Kämpfer medizinisch zu versorgen. Der Kläger lehnte dies ab. Nachdem der Talibankämpfer seinen Verletzungen erlegen war, suchten mehrere Mitglieder der Taliban den Kläger auf und misshandelten ihn körperlich schwer. In der Folge war ein einmonatiger stationärer Krankenhausaufenthalt notwendig. Nach einigen Wochen kamen erneut Mitglieder der Taliban auf den Kläger zu und forderten ihn auf, die medizinische Versorgung der Verwundeten zu übernehmen. Der Kläger willigte schließlich unter Erinnerung an die vorgehende körperliche Misshandlung ein. Der Kläger hielt sich von 2006 an bis zum Ende des Jahres 2011 auf Abruf bereit, um verwundete Kämpfer der Taliban oder andere hilfsbedürftige Personen medizinisch zu versorgen. Bei diesen Einsätzen führte der Kläger stets das Sturmgewehr Typ AK 47 mit sich. Der Kläger fuhr zudem mit einem weiteren Talibankämpfer im Auftrag der Taliban Patrouille in seiner Ortschaft und führte hierbei stets das Sturmgewehr Typ AK 47 mit sich.
54
Der Sachverhalt, der dem Urteil des OLG München vom 27.11.2019 zugrunde liegt, wurde in der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2020 ausdrücklich nicht bestritten.
55
Nach dem Vortrag des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung komme dem Tatbeitrag des Klägers nur ein untergeordnetes Gewicht zu. Er habe nie an aktiven Kampfhandlungen teilgenommen und sich sowohl um die medizinische Versorgung der Talibankämpfer, als auch der Zivilisten gekümmert. Die durch das OLG München im Urteil vom 27.11.2019 ausgesprochene Strafe bewege sich am unteren Rand der Strafbarkeit. Es sei die Frage zu berücksichtigen, ob es dem Kläger zumutbar gewesen sei, das Land früher als tatsächlich geschehen zu verlassen. Damit sei an der Erfüllung des Ausschlusstatbestandes des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG zu zweifeln.
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Diesem Vortrag ist zunächst entgegenzusetzen, dass die Rolle des Klägers nicht ganzheitlich untergeordnet war und von den Ausschlusstatbeständen auch mittelbare Beiträge zu terroristischen Aktivitäten, die diese unterstützen, erfasst werden. Der Vortrag der Klägerseite übersieht, dass in seinem Tatbeitrag Unterstützungshandlungen zugunsten terroristischer Aktivitäten liegen, die nach oben dargestellter Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes von dem Ausschlusstatbestand erfasst werden können. Die Versorgung der Zivilisten diente dazu, den Machtanspruch der Taliban und ihr Ansehen in der Bevölkerung zu stärken. Die medizinische Versorgung der Taliban diente dazu, diese kampffähig zu machen. Die Argumentation verkennt überdies, dass der Kläger mit seinen Unterstützungshandlungen die Taliban dahingehend unterstützt hat, dass diese weiterhin Handlungen verwirklichen können, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Auch wenn die Tatbeiträge des Klägers an sich ein nur geringes Unrechtsgehalt aufweisen, so stellen sie doch Unterstützungshandlungen dar, die den Taliban als terroristische Vereinigung gedient haben. Wie bereits dargestellt, kann der Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes auch durch Unterstützungshandlungen zu terroristischen Aktivitäten erfüllt werden. Damit ist es nicht zwingend notwendig, dass die Handlung, die von § 4 Abs. 2 Nr. 3 AsylG erfasst wird, unmittelbar eine terroristische Handlung darstellt. Es genügt auch jeder unterstützende Beitrag. Diese Auslegung findet auch Ausdruck in § 4 Abs. 2 Satz 2 AsylG, wonach die Ausschlussgründe auch für Ausländer gelten, die sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.
57
Der Kläger hat zudem die Taliban nicht nur mittelbar durch die medizinische Versorgung unterstützt, sondern auch unmittelbar durch die Übernahme der Patrouillenfahrten mit anderen Kämpfern.
58
Darüber hinaus ist festzustellen, dass es für die Ausschlussgründe keiner (nachgelagerten) auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung bedarf. Erfüllt eine Person die in den Ausschlussgründen festgelegten Voraussetzungen, ist sie zwingend von der Anerkennung als Flüchtling bzw. der Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausgeschlossen (vgl. BVerwG, U.v. 7.7.2011 - 10 C 26/10 - juris Rn. 26). Damit können die Begleitumstände der Tat nur in der oben beschriebenen Prüfung des individuellen Tatbeitrages berücksichtigt werden. Sobald im Ergebnis von dem Vorliegen einer Handlung i.S.d. § 4 Abs. 2 Nr. 3 AsylG auszugehen ist, kann von diesem Ergebnis nicht mehr unter Verweis auf die Umstände des Einzelfalles abgewichen werden.
59
Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen rechtfertigenden Umstände wurden von der Beklagten im Rahmen der Würdigung des Tatbeitrages des Klägers i.S.d. § 4 Abs. 2 AsylG berücksichtigt. Im streitgegenständlichen Bescheid hat die Beklagte im Rahmen der Prüfung, ob ein Ausschlusstatbestand gegeben ist, gewürdigt, dass sich der Kläger auf einen rechtfertigenden oder entschuldigenden Notstand berufen hat und sich der Ansicht des OLG München angeschlossen. Insofern hat die Beklagte ausgeführt, dass der Kläger zwar zu Beginn der Tätigkeit für die Taliban körperlich misshandelt worden ist, die lange Zeit der Tätigkeit für die Taliban von sechs Jahren aber gegen eine zwangsweise Tätigkeit spreche.
60
Dass der Kläger zu einer Freiheitsstrafe im unteren Bereich des Strafrahmen verurteilt worden ist, ist insoweit unerheblich, als dass die Beurteilung des Tatbeitrages nach der oben aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes unabhängig von ihrer strafrechtlichen Relevanz zu erfolgen hat. Die einzelnen Umstände, die im Rahmen der Strafzumessung des Urteils des OLG München vom 27.11.2019 zu der Strafbarkeit im unteren Bereich des Strafrahmens geführt haben, wurden überdies bei der Würdigung des Tatbeitrages des Klägers berücksichtigt.
61
Nach alledem stellt das Verhalten des Klägers in Afghanistan zumindest eine Unterstützungshandlung zugunsten terroristischer Aktivitäten dar. Damit ist der Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 2 Nr. 3 AsylG erfüllt.
62
bb) Die Rücknahme des subsidiären Schutzes gem. § 73 b Abs. 3 AsylG war vorliegend auch im Übrigen möglich. Die Beklagte durfte den mit Bescheid vom 29.07.2015 gewährten subsidiären Schutzstatus nach § 73b Abs. 3 AsylG zurücknehmen, auch wenn der Sachverhalt, der die Rücknahme begründet, im Wesentlichen bereits bei der Zuerkennung bekannt war.
63
Zunächst ist festzustellen, dass § 73b Abs. 3 AsylG keine Änderung der Umstände, sondern allein das Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 4 Abs. 2 AsylG verlangt. Damit ist der subsidiäre Schutz auch zurückzunehmen, wenn der Ausländer von der Gewährung subsidiären Schutzes „hätte ausgeschlossen werden müssen“. Dieser Formulierung ist zu entnehmen, dass die Ausschlussgründe auch schon früher bestanden haben können. Aus diesen Gründen kann sich der Kläger auch nicht auf Vertrauensschutz berufen (vgl. VG München, Urteil vom 06.10.2016, M 17 K 16.30970 - juris Rn. 33). Damit ist es nicht erforderlich, dass der Ausschlussgrund auf einem neuen Sachverhalt beruht, der vom ursprünglichen Sachverhalt abweicht.
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Darüber hinaus steht der Rücknahme nach § 73b Abs. 3 AsylG nicht entgegen, dass der Kläger bei seiner Anhörung im Asylverfahren durch das Bundesamt am 07.01.2013 den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt dem Bundesamt mitgeteilt und dieses somit in Kenntnis des Sachverhaltes den subsidiären Schutz mit Bescheid vom 29.07.2015 zuerkannt hat.
65
Die über die Aufhebung entscheidende Behörde darf das Vorliegen der Ausschlussgründe des § 4 Abs. 2 AsylG nur annehmen, wenn dies auf schwerwiegende Gründe gestützt wird. Darunter werden hinreichende, auf Tatsachen gestützte Feststellungen von einigem Gewicht verstanden (BVerwG, U.v. 31.3.2011 - 10 C 2/10 - juris Rn. 26).
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Die bloße Kenntnis eines Sachverhaltes genügt demnach nicht um zu beurteilen, ob ein Ausschlussgrund vorliegt. Zwar ist eine wirksame strafrechtliche Verurteilung keine Voraussetzung, andererseits darf der ultima-ratio Charakter der Vorschrift und die sich daraus ergebenden Anforderungen an die Gründe, aufgrund derer das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes anerkannt wird, nicht verkannt werden (vgl. EuGH, Urteil vom 9.11.2010 - C-57/09 und 101/09 - NVwZ 2011, 285, 286). Vielmehr ist eine gewissenhafte Prüfung und Beurteilung der Umstände des Einzelfalls erforderlich. Es bedarf in jedem Einzelfall einer Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, um unter anderem auch zu ermitteln, ob der betreffenden Person eine individuelle Verantwortung für die Handlung zugerechnet werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 7.7.2011 - 10 C 26/10 - juris Rn. 35).
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Damit sind an die Tatsachen, die einen Ausschlussgrund begründen, hohe Anforderungen zu stellen. Es genügt nicht jedweder Sachverhalt, um die Verwirklichung eines Ausschlusstatbestandes zu begründen. Insbesondere wäre der Sachverhalt, der aufgrund der Anhörung vor dem Bundesamt am 07.01.2013 bekannt war, nicht ausreichend gewesen, um den Tatbeitrag des Klägers nach den oben dargestellten und vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Kriterien umfassend zu würdigen.
68
Die Beklagte hat in dem streitgegenständlichen Bescheid hinsichtlich der Frage der Erfüllung des Ausschlusstatbestandes nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG den Sachverhalt bewertet, der aufgrund der Anhörung vor dem Bundesamt am 07.01.2013, der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft München vom 01.08.2019 und dem Urteil des OLG München 27.11.2019 letztendlich feststand und somit alle verfügbaren Erkenntnisquellen herangezogen. Dies erscheint aufgrund der Folgen, die die Annahme eines Ausschlussgrundes hervorrufen, auch sachgerecht. Damit ist kein rechtswidriges Verhalten der Beklagten zu erkennen.
69
2. Die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides getroffene Feststellung, dass dem Kläger der subsidiäre Schutz nicht zuzuerkennen ist, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes gem. § 4 AsylG.
70
Im Falle der Rücknahme des subsidiären Schutzes ist die Beklagte verpflichtet zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz oder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 des AufenthG vorliegen, § 73b Abs. 4 i.V.m. § 73 Abs. 3 AsylG. Im vorliegenden Fall hat der Kläger - wie bereits dargestellt - Handlungen verwirklicht, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, weshalb der Ausschlusstatbestand gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG erfüllt ist.
71
3. Die in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, ist jedoch rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG hat der Kläger einen Anspruch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG im Hinblick auf Afghanistan vorliegen.
72
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30285 - juris), wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Für die Beurteilung der Frage, ob dem Ausländer in dem Land, in das er zurückkehrt, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht, ist nach der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte darauf abzustellen, ob für den Betroffenen die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer solchen Behandlung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - juris Rn. 22).
73
Im vorliegenden Fall besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger im Falle einer Abschiebung einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung durch den afghanischen Staat ausgesetzt wird (siehe b)), nicht aber, dass er dieser Behandlung durch die Taliban ausgesetzt wird (siehe a)).
74
a) Es ist nicht davon auszugehen, dass dem Kläger im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende und damit eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung durch die Taliban droht.
75
Die Bedrohung durch die Taliban im Falle der Rückkehr konnte nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht werden.
76
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Taliban insbesondere aufgrund der religiösen Legitimierung ihres Herrschaftsanspruches eine Abkehr von ihnen als Abfall vom Islam und damit als besonders todeswürdiges Verbrechen erachten. Die Taliban sind zudem in der Lage, Personen, auf denen ihr besonderer Fokus liegt, auch in ganz Afghanistan aufzuspüren (vgl. VG München, U.v. 7.8.2020 - M 18 K 17.34616 - juris Rn. 37 ff. m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist aber nicht davon auszugehen, dass die Taliban im für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt nach § 77 Abs. 1 AsylG noch einen besonderen Fokus auf den Kläger gelegt haben.
77
Seit der Ausreise des Klägers sind nun über acht Jahre vergangen. Der Kläger hatte keine herausgehobene Stellung innerhalb der örtlichen Taliban-Gruppierung. Der Kläger hat zwar Waffen der Taliban verkauft, um seine Ausreise zu finanzieren, dies begründet aber kein derartiges Interesse, dass anzunehmen wäre, dass die Taliban immer noch aktiv nach dem Kläger suchen würden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Taliban-Kommandant, der das Kommando in der damaligen Heimatstadt des Klägers inne hatte, nach der Auskunft des Bundesnachrichtendienstes im Strafverfahren des Klägers mittlerweile verstorben ist (BA Gz.: 7431373-423, Seite 52). Bei den Taliban handelt es sich nicht um eine homogene Organisation, sondern um einen losen Zusammenschluss lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 21.07.2020, Seite 37f.). Damit ist davon auszugehen, dass sich mit dem Versterben des örtlichen Taliban-Kommandanten die Strukturen in dieser Taliban-Gruppe verändert haben und ein etwaiges Interesse an dem Kläger mit dem Wechsel der Person des Machthabers zumindest abgeschwächt wurde.
78
Der Kläger hatte zwar im Strafverfahren die Fotografie eines Drohbriefes der Taliban an seinen Bruder vom 04.10.2012 sowie die Antwort des Bruders vom 05.10.2012 vorgelegt und das OLG München war davon überzeugt, dass der Drohbrief von den Taliban herrührt (BA Gz.: 7431373-423, Seite 52). Ein Drohbrief aus dem Jahre 2012 genügt jedoch nicht zur Glaubhaftmachung einer weiterhin bestehenden Bedrohung zum jetzigen Zeitpunkt. Die weiterhin bestehende Bedrohung seiner Person oder seiner Familie konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht glaubhaft darstellen. So hat der Kläger vorgetragen, dass seine Familie den letzten Drohbrief, von dem er wisse, zwischen Juni und September 2019 erhalten habe. Er wisse nicht genau, ob seither ein weiterer Drohbrief bei seiner Familie angekommen sei. Da der Kläger nach eigenem Vortrag in der mündlichen Verhandlung ein- oder zweimal im Monat Kontakt zu seiner Mutter habe und dabei auch mit ihr über die Gefahren seiner Rückkehr spreche und ihm seine Mutter auch berichtet habe, sie hätte Angst wegen der Taliban, ist anzunehmen, dass der Kläger informiert worden wäre, wenn weitere Drohbriefe hinzugekommen wären. Außerdem war es dem Kläger nicht möglich zu benennen, wie oft seine Familie Drohbriefe bekomme. Desweiteren hat der Kläger keinen Drohbrief, ausgenommen den vom 04.10.2012, gesehen oder das Original oder eine Kopie davon erhalten. Ihm wurde lediglich von seinem Bruder erzählt, dass weitere abgegeben worden wären. Folglich wurde nicht zur Überzeugung der erkennenden Einzelrichterin vorgetragen, dass seit 2012 weitere Drohbriefe bei der Familie angekommen sind.
79
Darüber hinaus verblieb der Kläger bei einem nur vagen Vortrag, als er in der mündlichen Verhandlung gefragt worden ist, wie sich die Bedrohung seiner Familie geäußert habe. Er hat zunächst lediglich vorgetragen, dass die Taliban wiederholt seinen Bruder angesprochen und nach ihm gefragt hätten. Konkrete Beispiele dafür hat der Kläger aber nicht benannt. Er hat auf spätere Nachfrage berichtet, sein Bruder sei öfter in dem Dorf, in dem sie bei der Ausreise des Klägers gelebt hätten, um sich um ihr Eigentum zu kümmern. Jedoch fehlen auch hierzu konkrete Ausführungen.
80
Eine etwaige Bedrohung durch die Taliban ist von der Bedrohung durch den afghanischen Staat insoweit zu unterscheiden, dass der Kläger im Rahmen der Abschiebung an die afghanische Regierung übergeben wird und diese somit Kenntnis von seiner Rückkehr erhält. Dies findet im Hinblick auf die Taliban aber gerade nicht statt. Die Taliban würden somit von der Rückkehr des Klägers erst dann erfahren, wenn sie aktiv in ihren Netzwerken landesweit nach ihm suchen würden. Aus den oben genannten Gründen ist aber gerade nicht anzunehmen, dass die Taliban zum jetzigen Zeitpunkt noch immer landesweit nach dem Kläger suchen. Damit ist davon auszugehen, dass der Kläger nicht mehr landesweit einer Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt wäre, wenn er zurückkehren müsste.
81
b) Dem Kläger droht aber im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder unmenschliche oder erniedrigende und damit eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung durch den afghanischen Staat.
82
Zur Überzeugung der erkennenden Einzelrichterin besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger aufgrund des Sicherheitsinteresses der afghanischen Regierung im Zuge des innerstaatlichen Konflikts sowie zum Schutze der Öffentlichkeit, und um Erfolge im Kampf gegen den Terror zu beweisen, von afghanischen Sicherheitsbehörden in Gewahrsam genommen wird und dort der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt ist.
83
Das Gericht ist in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass die afghanische Regierung bereits vor der Ausreise des Klägers Kenntnis davon hatte, dass dieser die Taliban unterstützt und zudem von dem Ermittlungsverfahren und der Verurteilung des Klägers in Deutschland durch das OLG München vom 27.11.2019 wegen unter anderem Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung Kenntnis erlangt hat.
84
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 07.01.2013 hatte der Kläger vorgetragen, dass er das Land verlassen habe, weil sein Name bei der Regierung auf der schwarzen Liste gestanden habe. Einmal hätten die Amerikaner gemeinsam mit afghanischen Soldaten sein Haus durchsucht. Ein weiteres Mal seien die afghanischen Soldaten alleine gekommen. Er sei nicht verhaftet worden. Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung war es dem Kläger möglich, schlüssig zu erklären, warum er nicht verhaftet worden war. So hat der Kläger vorgetragen, dass er bei den Hausdurchsuchungen nicht daheim gewesen sei. Es habe keine weiteren Durchsuchungen gegeben, da die Taliban die ganze Ortschaft kontrolliert hätten und die afghanische Regierung damit keinen Zugriff mehr auf den Ort gehabt hatte. Die erkennende Einzelrichterin hat in der mündlichen Verhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Kläger hinsichtlich dieses Vortrages glaubwürdig ist und somit keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Schilderungen hinsichtlich des Geschehens in Afghanistan vor seiner Ausreise bestehen. Einzelne Widersprüche sind nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers insgesamt zu erschüttern.
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Es ist davon auszugehen, dass die afghanische Regierung weiterhin Interesse an der Person des Klägers im Falle seiner Rückkehr haben wird, auch wenn seit seiner Ausreise bereits acht Jahre vergangen sind und seinem Tatbeitrag eine vermeintlich untergeordnete Rolle zugesprochen wird. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die deutschen Ermittlungsbehörden bei der afghanischen Regierung nach dem Taliban-Kommandeur, der im Dorf des Klägers tätig gewesen sei, gefragt hätten, als er in Untersuchungshaft gewesen sei. Die afghanische Regierung habe dann den Namen des Kommandeurs und seinen eigenen Namen bestätigt. Daher wisse die afghanische Regierung, dass er wegen der Unterstützung der Taliban in Untersuchungshaft gewesen sei. Die Existenz dieser Anfrage wird durch die Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft München vom 01.08.2019 und durch das Urteil des OLG München vom 27.11.2019 belegt (BA Gz.: 7431373-423, Seite 51 f., 149, 161f.). Darüber hinaus konnte schlüssig vorgetragen werden, warum die Anfrage bisher im Verwaltungsgerichtsverfahren nicht vorgelegt worden ist, um die Kenntnis der afghanischen Regierung von dem Ermittlungsverfahren und der Anklage des Klägers zu belegen. Bei der Anfrage handelt es sich um ein als VSvertraulich eingestuftes Behördenzeugnis des Bundesnachrichtendienstes vom 04.04.2019 (BA Gz.: 7431373-423, Seite 51 f.). Damit ist glaubhaft vorgetragen, dass die afghanische Regierung zumindest Kenntnis von dem Ermittlungsverfahren und der Anklage des Klägers und somit Kenntnis von seiner Tätigkeit bei den Taliban hat.
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Nach den Ausführungen des Staatsministeriums des Innern und für Integration auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Christine Kamm vom 01.03.2018 hin, würden alle abgeschobenen Personen nach der Landung an die afghanischen Behörden übergeben. Nach der Übergabe seien allein diese für ihre Staatsangehörigen zuständig (Bayerischer Landtag, Drucks. 17/21600 vom 22.06.2018). Dies zugrunde gelegt ist es äußerst wahrscheinlich, dass der Kläger nach seiner Übergabe an die afghanischen Behörden von diesen in Gewahrsam genommen und in diesem Zusammenhang der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen wird. Angehörige regierungsfeindlicher Gruppierungen wie den Taliban, sowie Zivilpersonen, die als Unterstützer solcher Gruppierungen betrachtet oder verdächtigt werden, sind dem hohen Risiko ausgesetzt, willkürlich festgenommen oder gefoltert zu werden (Auskunft von Amnesty International an das VG Wiesbaden vom 05.02.2018; SFH, Afghanistan: Gefährdungsprofile, 12.09.2019, S. 11). Frau S … führt in ihrem Gutachten vom 28.03.2018 an das Verwaltungsgericht Wiesbaden aus, dass die Wahrscheinlichkeit sehr groß sei, zum Kriegsgefangenen zu werden, und dass dies auch mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führe, dass man Folter und erniedrigender Behandlung ausgesetzt werde. Die große Wahrscheinlichkeit, zum Kriegsgefangenen zu werden, sei zum einen in der Kriegsführung der Taliban und anderer militanter Oppositioneller begründet, die einen immensen Bedarf an geheimdienstlicher Aufklärung nach sich zögen. Sofern auch nur der leiseste Verdacht bestehe, dass man über Informationen verfügen könnte, die Aufschluss über den Aufenthaltsort von gesuchten Gegnern, die Planung von Terrorattentaten oder andere geheimdienstliche relevante Informationen geben könnten, sei die Wahrscheinlichkeit in Haft zu geraten, enorm. Der große Erfolgs- und Legitimationsdruck, unter dem die Sicherheitskräfte stünden, in der Verfolgung von Terroristen und Taliban Erfolge nachzuweisen, erhöhe zudem das generelle Risiko willkürlicher Verhaftungen (S. 127 f.). Ein noch größeres Problem sei es jedoch, dass alle Akteure, die mit vermeintlichen Kriegsgefangenen zu tun haben, sich durch den systematischen Einsatz von Folter auszeichnen würden - sei es um illegitime Verhaftungen durch „Geständnisse“ zu rechtfertigen, „Erfolge“ im Kampf gegen Terror und Taliban zu beweisen, sich privater Gegner zu entledigen, durch ein Regime der Angst Widerstand zu brechen oder Kritik zu unterbinden, oder schlicht Geld zu erpressen (S. 129). Auch nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes seien Folter und andere Misshandlungen in afghanischen Haftanstalten weiterhin verbreitet, obwohl aufgrund der afghanischen Verfassung und verschiedenen Gesetzen Folter verboten sei. Mit dem Anti-Folter Gesetz sei eine hochrangige Anti-Folter-Kommission etabliert worden, der Mechanismus zeige sich aber weder bei dem Geheimdienst noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig (Auswärtiges Amt, Bericht über die Asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 16.07.2020, Stand Juni 2020, Seite 20).
87
Damit ist die Folter in afghanischen Haftanstalten weiterhin verbreitet. Der Bericht von UNAMA/OHCHR (Treatment of Conflict-Related Detainees in Afghanistan: Preventing Torture and III-Treatment under the Anti-Torture Law, April 2019) führt aus, dass die normativen und legislativen Maßnahmen, die die Regierung ergriffen habe, zu konkreten Verbesserungen im Vergleich zum vorherigen Berichtszeitraum (01.01.2015 bis 31.12.2017) geführt hätten, insbesondere zu einer Reduzierung des Gesamtanteils der im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt von den Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) Festgenommenen, die glaubhaft von Folter und Misshandlungen berichtet hätten, von 39% auf 31,9%, wobei ein deutlicher Rückgang für das Jahr 2018 verzeichnet worden sei. Hinzu komme ein erheblicher Rückgang von 29% auf 19,4% bei den Fallzahlen von Folter oder Misshandlungen bei den Befragten, die sich in Gewahrsam des National Directorate of Security (NDS) im Jahr 2018 befunden hätten. Hierbei sei besonders bemerkenswert die Verbesserung in Kandahar von 60% auf 7,4% und Herat von 48% auf 8,4%. Schließlich sei eine erhebliche Reduzierung der hohen Fallzahlen von Folter und Misshandlungen bei der Afghan National Police (ANP) von 45% auf 31,2% zu verzeichnen. Während die von der Regierung eingeleiteten Maßnahmen vielversprechend seien, bleibe der Gesamtanteil der Folter von im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt Festgenommenen beunruhigend hoch, nahezu jeder Dritte, der im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt festgenommen worden ist, habe glaubhaft und belastbar über Folter oder Misshandlungen berichtet. Die erhobenen Fallzahlen deuteten darauf hin, dass jüngere Personen einem erhöhten Risiko von Folter und Misshandlungen in Gewahrsam der ANDSF ausgesetzt seien und dass die Behandlung der im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt Festgenommenen in einigen Haftanstalten des NDS besorgniserregend blieben, insbesondere in jenen in den Provinzen Kabul, Khost und Samangan sowie in derjenigen des NDS 241 (Terrorismus-Abteilung). Der Rückgang bei dem Gebrauch von Folter und Misshandlung sei noch nicht so bedeutend, dass die bereits unternommenen Abhilfemaßnahmen als ausreichend anzusehen seien (vgl. hierzu VG Würzburg, U.v. 20.12.2019 - W 5 K 17.30131 - Urteilsgründe Seite 41 f. - n.v.; Treatment of Conflict-Related Detainees in Afghanistan: Preventing Torture and III-Treatment under the Anti-Torture Law, April 2019, Seite iii und iv).
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Die momentan stattfindenden Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban und der damit verbundene Gefangenenaustausch führen zu keiner anderen als der vorstehenden Beurteilung.
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Bei den Friedensgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban konnte bisher noch keine Einigkeit über die Modalitäten gefunden werden (BAMF-Gruppe 62, Briefing Notes vom 28.09.2020). Die am 12.09.2020 in Doha (Katar) begonnenen Friedensgespräche verlaufen bisher schleppend (BAMF-Gruppe 62, Briefing Notes vom 21.09.2020; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 21.07.2020, Seite 30). Die Durchführung der Friedensgespräche und die Freilassung von Mitgliedern der Taliban lässt nicht darauf schließen, dass zukünftig keine Taliban mehr durch die afghanische Regierung verfolgt werden würden und dass die Regierung kein Interesse mehr an Personen haben soll, bei denen der Verdacht besteht, dass sie Handlungen der Taliban unterstützt haben. Die Friedensgespräche haben bisher noch zu keinem Ergebnis geführt. Trotz der Friedensgespräche finden weiterhin Anschläge durch die Taliban statt (BAMF-Gruppe 62, Briefing Notes vom 14.09.2020, 12.10.2020 und 19.10.2020).
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Nach alledem besteht für den Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan die beachtliche Wahrscheinlichkeit nach seiner Übergabe an die afghanischen Behörden von diesen in Gewahrsam genommen und in diesem Zusammenhang der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden. Von einer Ingewahrsamnahme im Falle der Rückkehr ist bereits aufgrund der Sicherheitsinteressen der afghanischen Regierung im Zuge des innerstaatlichen Konflikts und zum Schutz der Öffentlichkeit aber auch, um Erfolge im Kampf gegen den Terror zu beweisen, auszugehen. Da es sich bei dem Kläger um einen ehemaligen Taliban-Unterstützer handelt, ist er der Gruppe der Gefangenen zuzurechnen, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt festgenommen wurden. Bei dem Kläger handelt es sich zudem um eine relativ junge Person. Unter Berücksichtigung aller aufgezeigten Umstände ist eine Verletzung des Klägers in seinen Rechten aus Art. 3 EMRK im Falle einer Rückführung nach Afghanistan beachtlich wahrscheinlich i.S.d. § 60 Abs. 5 AufenthG.
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Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung und Entscheidung mehr, da es sich beim national begründeten Abschiebungsverbot um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand handelt (BayVGH, Urteil v. 21.11.2014 - 13a B 14.30285 Rn. 14; BVerwG, Urteil v. 08.09.2011 - 10 C 14/10 Rn. 17).
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.
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5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.