Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 17.02.2020 – W 7 K 19.296
Titel:

Klagefrist versäumt, ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung, Zustellung an früheren Bevollmächtigten, keine Wiedereinsetzungsgründe

Normenketten:
VwGO § 74, § 58 Abs. 2, § 60
VwZVG Art. 8 Abs. 1
Schlagworte:
Klagefrist versäumt, ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung, Zustellung an früheren Bevollmächtigten, keine Wiedereinsetzungsgründe
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 08.03.2021 – 19 ZB 20.2084
Fundstelle:
BeckRS 2020, 43786

Tenor

I.  Die Klage wird abgewiesen.
II.  Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.  Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

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1. Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste im Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.
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Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 26. Oktober 2015 wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Diese wurde mit (bestandskräftigem) Bescheid des Bundesamts vom 25. Mai 2018 widerrufen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Syriens vorliegt.
3
Mit Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengerichts - Würzburg vom 23. Januar 2018, rechtskräftig seit dem 31. Januar 2018, wurde der Kläger wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tatmehrheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern in Tatmehrheit mit Besitz kinderpornografischer Schriften zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
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Mit Schreiben des Landratsamts Würzburg vom 3. Mai 2018 wurde der Kläger zu einer beabsichtigten Ausweisung angehört.
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Mit Bescheid vom 2. Oktober 2018 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer 1). Die Wiedereinreise und der Aufenthalt im Bundesgebiet wurden ihm für die Dauer von vier Jahren, beginnend ab Ausreise, untersagt (Ziffer 2). Die Abschiebung aus der Haft wurde angeordnet. Für den Fall, dass eine Abschiebung aus der Haft nicht möglich sein sollte wurde der Kläger aufgefordert, das Bundesgebiet innerhalb eines Monats nach Haftentlassung, frühestens jedoch innerhalb eines Monats nach Bestandskraft des Bescheides, zu verlassen (Ziffer 3). Die Abschiebung nach Syrien wurde angedroht (Ziffer 4). In Ziffer 5 des Bescheides wurde aufgrund des Abschiebungsverbotes hinsichtlich Syriens bis zur einer Änderung der Sach- und Rechtslage eine Duldung erteilt (Ziffer 5). Auf die Gründe des Bescheides, der dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers am 8. Oktober 2018 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt wurde, wird Bezug genommen.
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2. Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 24. März 2019, bei Gericht eingegangen am selben Tag, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg erheben und beantragen,
den Ausweisungsbescheid vom 2. Oktober 2018 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde zuletzt vorgetragen, eine Behörde müsse aufgrund Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VwZVG nur dann an den Bevollmächtigten zustellen, wenn derselben Behörde eine schriftliche Vollmacht vorgelegt wurde, die auch die einschlägige Art von Verfahren betreffe. Dies sei vorliegend nicht erfüllt, da die Vollmacht für den früheren Bevollmächtigten lediglich dem Bundesamt, nicht aber dem Landratsamt Würzburg vorgelegt worden sei. Zudem sei diese auf die Tätigkeit im Asylverfahren nebst eventueller Neben- und Folgeverfahren beschränkt. Es folge im Umkehrschluss, dass diese sich nicht auf die Vertretung in sonstigen ausländerrechtlichen Angelegenheiten erstrecke. Die Rechtslage sei daher dieselbe, wie wenn dem Landratsamt Würzburg nie eine schriftliche Vollmacht des früheren Bevollmächtigten vorgelegt worden wäre. Die Zustellung sei damit unwirksam, so dass die Klagefrist noch nicht zu laufen begonnen habe.
8
Der Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde zuletzt insbesondere vorgetragen, dass eine unterschriebene Vollmacht des Klägers vorgelegt worden sei, wie sich aus der Behördenakte ergebe. Da der frühere Bevollmächtigte aufgrund des Anhörungsschreibens vom 3. Mai 2018 und unter Anzeige einer anwaltlichen Vollmachtszusicherung die Vertretung im laufenden Verfahren übernommen habe, die dann mit der vorgelegten Vollmacht bestätigt worden sei, konnte die Zustellung an ihn bewirkt werden. Ein Wiedereinsetzungsantrag könne damit nicht begründet werden, da nicht auf den Kläger, sondern auf dessen damals tätigen Bevollmächtigten abzustellen sei.
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Ein Prozesskostenhilfeantrag des Klägers wurde mit Beschluss vom 9. Juli 2019 abgelehnt; die hiergegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2019 zurückgewiesen. Ein weiterer Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde mit Beschluss vom 13. Februar 2020 abgelehnt. Auf die genannten Beschlüsse wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 17. Februar 2020 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist bereits unzulässig. Über sie konnte auch bei teilweisem Ausbleiben der Beteiligten entschieden werden (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO). Ein erheblicher Grund für eine Terminsaufhebung im Sinne des § 173 VwGO, § 227 ZPO lag nicht vor; auf die Verfügung des Gerichts vom 14. Februar 2020 wird insofern Bezug genommen.
13
Die Klage wurde verfristet erhoben. Der streitgegenständliche Bescheid vom 2. Oktober 2018 wurde dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 8. Oktober 2018 zugestellt (Bl. 195 der Behördenakte). Damit begann die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 VwGO am 9. Oktober 2018 und endete am 8. November 2018 (§§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB). Die am 24. März 2019 beim Verwaltungsgericht Würzburg eingegangene Klage ist damit offensichtlich verfristet. Die Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Bescheides war auch nicht wegen Hinweises auf die Möglichkeit einer elektronischen Klageerhebung unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO; auf die Gründe des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. November 2019 - 19 C 19.1479 - wird insofern Bezug genommen.
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Die Zustellung des angefochtenen Bescheides erfolgte auch ordnungsgemäß an den damaligen Bevollmächtigten des Klägers. Gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 VwZVG können Zustellungen an den allgemein oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Bevollmächtigten gerichtet werden. Nach Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VwZVG sind sie an ihn zu richten, wenn er eine schriftliche Vollmacht vorgelegt hat. Dies ist hier der Fall. Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2018 zeigte der damalige Bevollmächtigte des Klägers seine Vertretung an und legte der Ausländerbehörde die ihm für das Asylverfahren erteilte Vollmacht vor (S. 179 und 180 der Behördenakte). Im genannten Schriftsatz bat der Bevollmächtigte explizit um einen Hinweis, ob die Ausländerbehörde die bereits erteilte Vollmacht als ausreichend ansehe oder ob erneut eine Vollmacht des Klägers eingeholt werden müsse. Der Schriftsatz ist daher als anwaltliche Versicherung zu werten, dass eine Bevollmächtigung auch für das Ausweisungsverfahren erfolgt ist. Anhaltspunkte, an dieser Versicherung zu zweifeln, lagen für die Behörde nicht vor. Wie sich aus Art. 8 Abs. 1 Satz 1 VwZVG ergibt, ist die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht auch nicht zwingend erforderlich. Selbst wenn man davon ausginge, dass die vorgelegte schriftliche Vollmacht das Ausweisungsverfahren nicht umfassen würde, so konnte die Behörde jedenfalls rechtsfehlerfrei nach Art. 8 Abs. 1 Satz 1 VwZVG wirksam an den Klägerbevollmächtigten zustellen. Die Klage wurde somit verfristet erhoben.
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Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen.
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Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor. Auf die Begründung des o.a. Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird zunächst Bezug genommen. Auch die Argumentation der Klägerbevollmächtigten, die vorgelegte schriftliche Vollmacht sei nicht ausreichend gewesen (s.o.), betrifft allein die Frage der ordnungsgemäßen Zustellung und stellt keinen Wiedereinsetzungsgrund dar. Im Übrigen müsste sich der Kläger auch ein etwaiges Verschulden seines früheren Bevollmächtigten zurechnen lassen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Es ist daher nicht ersichtlich, dass der Kläger unverschuldet an der Einhaltung der Klagefrist gehindert gewesen wäre.
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Die Klage war daher abzuweisen.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.