Inhalt

LSG München, Urteil v. 11.11.2020 – L 11 AS 401/20
Titel:

Sozialgerichtsverfahren: Eingang einer nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Berufung im elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Gerichts

Normenketten:
SGB II § 16c
SGG § 151, § 54 Abs. 2 S. 2, § 65a Abs. 3, Abs. 4, § 67
Leitsätze:
1. Geht eine nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehene Berufung im elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eines Gerichts ein, ist der Kläger hierauf hinzuweisen. (Rn. 18)
2. Ist unter Berücksichtigung des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs bei Gericht davon auszugehen, dass ein erteilter Hinweis dem Kläger die Möglichkeit eröffnet hätte, die Berufung formgerecht einzulegen, kommt die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch von Amts wegen in Betracht. (Rn. 18)
3. Zur Beurteilung der Tragfähigkeit der selbständigen Tätigkeit kann im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Eingliederung von Selbständigen die Vorlage einer Tragfähigkeitsbescheinigung einer fachkundigen Stelle verlangt werden. (Rn. 18)
Schlagworte:
Amtsermittlungspflicht, Berufungseinlegung, Berufungsfrist, EGVP, Eingliederung von Selbständigen, elektronischer Rechtsverkehr, Ermessen, Form, Formmangel, Tragfähigkeitsbescheinigung, Qualifizierte Signatur, Wiedereinsetzung, Rechtsmitteleinlegung, Nachholung
Vorinstanz:
SG Nürnberg, Urteil vom 26.05.2020 – S 13 AS 651/17
Rechtsmittelinstanz:
BSG Kassel, Beschluss vom 20.01.2021 – B 14 AS 411/20 B
Fundstelle:
BeckRS 2020, 43716

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.05.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Streitig sind Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zur Eingliederung von Selbstständigen.
2
Der 1964 geborene Kläger übt eine selbstständige Tätigkeit aus. Zum 02.11.1985 meldete er zum Gewerberegister ein Einzelunternehmen mit dem Zweck Propagandist, Handel mit Musikinstrumenten und Musikstunden an. Am 07.11.2016 erfolgte eine weitergehende Gewerbeanmeldung „Verlag/Plattenfirma“, die nicht im Nebenerwerb betrieben werde. Seit dem 01.02.2016 bezieht der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem SGB II vom Beklagten. Zuletzt wurden mit Bescheid vom 04.08.2020 vorläufige Leistungen für die Zeit von August 2020 bis Januar 2021 i.H.v. monatlich 809,69 € bewilligt.
3
Im Rahmen einer Erstberatung beim Beklagten am 17.03.2016 gab der Kläger als die drei Standbeine seiner Tätigkeit Musikunterricht, die Komposition und Produktion von Filmmusik sowie Unterhaltung bei Betriebsfeiern, Hochzeiten etc. an. Der Beklagte erklärte in einem Beratungsgespräch vom 21.09.2016, die Selbstständigkeit werde nur noch als Nebenerwerb anerkannt, da die Chancen der Umsatz- und Gewinnsteigerung noch immer nicht erkennbar seien. Am 23.11.2016 erläuterte der Kläger sein weiteres geschäftliches Vorhaben und beantragte eine „berufliche Förderung“. Hierzu übersandte er einen Businessplan, wonach er die Produktion und den Vertrieb von Musikproduktionslizenzen für Radio- und vor allem Fernsehsender (Production Music) beabsichtige. Im Weiteren führte er aus, er sei bei der Geschäftsausstattung bereits mit 50.000,00 € und im Hinblick auf eine Geschäftsimmobilie mit 125.000,00 € - hier müsse noch ein Kredit abbezahlt werden - in Vorleistung getreten. Auch habe er bereits eine Webseite gestaltet. Aufgrund des derzeitigen Jahreseinkommens erhalte er von den Banken kein Geld. Ferner legte er eine Umsatz- und Rentabilitätsvorschau vor, wonach er im Gründungsjahr einen Gewinn vor Steuern i.H.v. 8.505,00 € und in den Folgejahren i.H.v. 11.015,00 € bzw. 13.465,00 € erwarte. Finanzielle Unterstützung würde insbesondere für die Markteinführung sowie zur Anschaffung verschiedener Software und von Zubehör benötigt. Der Kapitalbedarf für das erste Jahr betrage 10.045,00 €.
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Im Rahmen einer sozialmedizinischen Begutachtung teilte Dr. R. unter dem 12.01.2017 mit, der Kläger könne 20 Stunden wöchentlich neben seiner derzeitigen selbstständigen Tätigkeit - unter Berücksichtigung verschiedener Einschränkungen - weitere Tätigkeiten ausüben. In Betracht kämen z.B. Tätigkeiten am Telefon, Bürotätigkeiten oder Fahrdienste. Der Kläger erklärte sich hiermit nicht einverstanden, da nicht alle Befunde berücksichtigt worden seien. Ihm sei es nicht möglich, eine abhängige Beschäftigung aufzunehmen.
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In einem weiteren Beratungsgespräch am 22.02.2017 verwies der Beklagte darauf, dass vorrangig alternative Finanzierungsmöglichkeiten auszuschöpfen seien und auch Beratungsangebote für Selbstständige der IHK Nürnberg genutzt werden könnten.
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Mit Bescheid vom 07.03.2017 lehnte der Beklagte sodann den Antrag auf Förderung ab. Aufgrund bisheriger Erlöse und zukünftig zu erwartender Umsätze sei die gegenständliche Tätigkeit lediglich als Nebenerwerb einzuschätzen. Die vorgelegten Unterlagen zeigten nicht, dass mit der geplanten Tätigkeit die Hilfebedürftigkeit in absehbarer Zeit überwunden werden könne. Die im letzten Jahr erzielten Einnahmen seien konstant niedrig und Änderungen seien nicht zu erwarten. Der Geschäftsidee kämen keine Marktchancen zu, weil der Markt durch professionelle Unternehmen beherrscht werde. Die vorgelegten Unterlagen seien unstrukturiert und ließen keine unternehmerische Qualifikation erkennen. Im Rahmen der aktuellen Integrationsplanung sei die Aufnahme einer zumutbaren Teilzeitbeschäftigung vorgesehen. Diese erscheine besser geeignet, die Bedürftigkeit zu verringern. Der Einsatz der Mittel verspreche keine grundlegende Verbesserung der finanziellen Situation auf Dauer. Zudem seien die Kosten unangemessen hoch. Schließlich fehlten Angaben zu konkret angestrebten Maßnahmen in Bezug auf Aus- und Fortbildungsmaßnahmen bei Selbstständigen. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen sei ihm eine abhängige Beschäftigung nicht möglich. Die einzige Möglichkeit, die Hilfebedürftigkeit zu verringern, stelle die Ausweitung seiner selbstständigen Tätigkeit dar. Seine erbrachten Vorleistungen im Umfang von 50.000,00 € seien nicht berücksichtigt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die seit Mitte der 80er Jahre ausgeübte selbstständige Tätigkeit könne nur noch als Nebenerwerb angesehen werden, da zuletzt durchschnittlich lediglich rund 180,00 € und aktuell sogar nur rund 100,00 € monatlich erzielt worden seien. Der Förderantrag sei nicht hinreichend konkret und es sei nicht dargelegt worden, dass eine hinreichende Konkurrenzfähigkeit bestehe. Nach der ärztlichen Einschätzung sei die Aufnahme einer abhängigen Teilzeitbeschäftigung zumutbar.
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Mit E-Mail vom 06.06.2020 erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagten, eine Tragfähigkeitsbescheinigung könne niemand erbringen. Er habe zuletzt bei 31 Musikstücken 2.970,15 € eingenommen. Als Komponist und Label könne er bei noch 300 bislang unveröffentlichten Stücken 100 Prozent der Einnahmen erzielen und rechne daher mit 10.000,00 € pro Jahr bzw. nach drei Jahren gegebenenfalls mit 15.000,00 €. „Neoliberale Prognosen“ könne er nicht erstellen lassen. Hierzu fehle ihm auch das Geld. Vom Beklagten erstellte „neoliberale Prognosen“ könne er ebenfalls nicht akzeptieren.
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Am 16.06.2017 hat der Kläger beim Sozialgericht Nürnberg (SG) Klage erhoben und zuletzt die Zahlung von 5.000,00 € vom Beklagten gefordert. Nach § 16c SGB II könnten Darlehen und Zuschüsse für die Beschaffung von Sachgütern gewährt werden. Es seien Investitionen erforderlich, damit im Rahmen der Produktion und des Vertriebs von Musikproduktionslizenzen Radiostationen, TV-Stationen, Filmfirmen, Werbefirmen und Streamingdienste bemustert werden könnten. Damit erreiche er auch einen höheren Bekanntheitsgrad. Er selbst habe bereits erhebliche eigene finanzielle Mittel, z.B. für einen Schonarbeitsplatz investiert. Es werde auf den eingereichten Businessplan verwiesen. Der größte Teil künftig anfallender Ausgaben betreffe die Einlagerung von CDs beim Deutschen Rundfunk-Archiv, wofür ein besonderes Druckverfahren notwendig sei. Eine MP 3 oder eine Webseite sei hier nicht zulässig. Für eine professionelle Vermarktung seiner Musikstücke würde eine professionelle Ausstattung benötigt. Es bedürfe einer entsprechenden Software und der anschließenden Pressung der CDs. Hinzu kämen GEMA-Gebühren. CDs sollten zudem auch selbst vertrieben werden. Durch diese Maßnahmen sei davon auszugehen, dass die selbstständige Tätigkeit wirtschaftlich tragfähig werde und die Hilfebedürftigkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums zumindest verringert werde. Es handle sich um eine hauptberufliche Tätigkeit. Seine bereits veröffentlichten 31 Werke seien auch im Rundfunk verwendet worden. Nunmehr bestehe ein Vertriebsvertrag, mit dem es ihm möglich sei, seine Werke in gängigen Online-Shops zu vertreiben. Damit erreiche er ein deutlich größeres Publikum. Mit steigender Bekanntheit sei mit einer steigenden Nachfrage zu rechnen. Veröffentlichungen bei Inter-VOX seien weltweit gelaufen. Er sei daher sehr wohl in der Lage eigene Projekte zu starten. Seine Qualifizierung für die Tätigkeit ergebe sich auch aus der außerordentlichen Mitgliedschaft bei der GEMA, für die eine Eignung als Komponist nachzuweisen sei. Die Bank habe einen Finanzierungswunsch abgelehnt und auch andere Finanzierungsmöglichkeiten bestünden nicht. Aufgrund der Überhäufung mit der „Alg II-Bürokratie“ habe er seit 2016 nicht mehr viel Zeit für die Musikproduktionstätigkeit aufbringen können. Im Bereich der Direkt-Film-Musikerstellung bedürfe es sehr guter Kontakte. Er benötige daher auch ein Auto und einen Wohnwagen. Neben den Zahlungen von der GEMA erhalte er als Hersteller und Künstler auch Einnahmen über die GVL. Diese könnten ebenso wie die Einnahmen bei der GEMA hochgerechnet werden. Ihm stehe ein Recht auf Teilhabe zu, das sich auch aus der UN-Konvention ergebe, an der sich der Beklagte zu orientieren habe. Ein Gleichstellungsbescheid liege vor. Die Hartz IV-Gesetze entsprächen nicht der UN-Konvention und seien deshalb auch nicht anzuwenden. Seine gesundheitlichen Einschränkungen hätten sich dramatisch verschlechtert und er habe den Musikunterricht einschränken müssen. Sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze seien für ihn nicht vorhanden. Angebote zu sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen, welche seinen gesundheitlichen Einschränkungen entsprächen, seien nicht gemacht worden. Mangels Unterstützung könne er als Pianist keine Arbeit finden. Unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei eine selbstständige, hauptberufliche Tätigkeit besser geeignet, da mit dieser eine freie Zeiteinteilung möglich sei. Berufliche Bildungsmaßnahmen seien nicht erforderlich. Es spiele keine Rolle, ob die Existenzgründung tragfähig sei, denn wenn sie tragfähig wäre, dann bräuchte es keiner Förderung.
9
Der Beklagte hat ausgeführt, nach der bei ihm verorteten sachkundigen Stelle sei das Geschäftskonzept des Klägers nicht tragfähig. Nach dem hierzu vorgelegten Aktenvermerk der Sachbearbeiterin des Beklagten vom 06.03.2018 sei nach fachlicher Meinung nicht davon auszugehen, dass der Kläger in einem angemessenen Zeitraum durch die Ausweitung des Dienstleistungsangebotes die Hilfebedürftigkeit beenden werde. Mit seinem Produktionslabel stehe er in weltweitem Wettbewerb mit Weltkonzernen sowie einer immensen Anzahl an professionellen Produktionsfirmen. Die Geschäftsidee sei weder innovativ noch sei ein Alleinstellungsmerkmal zu erkennen. Es fehlten die notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten, um den Vertrieb von Produkten so voranzubringen, dass durch die Vermarktung von (Muster-)CDs die Hilfebedürftigkeit beendet werde. Dies ergebe sich auch aus den bisherigen Erfahrungen im direkten Kontakt in Beratungsgesprächen mit dem Kläger. Die Nachfrage nach Muster-CDs am freien Musikmarkt sei jedenfalls zweifelhaft. Das vorhandene Repertoire werde seit Jahren bereits auf einer Internetseite angeboten. Aktive Vermarktungsbemühungen bzw. Aktivitäten zur Steigerung des Bekanntheitsgrades außerhalb der Präsentation auf der Webseite seien bisher nicht durchgeführt worden. Dies wäre dem Kläger zumutbar gewesen.
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Mit Urteil vom 26.05.2020 hat das SG den Bescheid vom 07.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2017 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 23.11.2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zu Unrecht habe der Beklagte seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass die geltend gemachten Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt seien, und es in der Folge dieser Fehleinschätzung unterlassen, Ermessungserwägungen anzustellen. Mangels Einschätzung einer fachkundigen Stelle gäbe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die angestrebte Tätigkeit nicht tragfähig sei oder bei prognostischer Betrachtung nicht geeignet wäre, die Hilfebedürftigkeit des Klägers zumindest zu verringern. Unzureichend seien darüber hinaus die Feststellungen zur Frage, ob es sich lediglich um einen Nebenerwerb des Klägers handle. Es sei auf die Einnahmesituation der bislang ausgeübten Tätigkeit und auch nicht auf die zeitliche Erfassung abgestellt worden. Eine Verurteilung des Beklagten zu einer konkreten Leistung komme dennoch nicht in Betracht, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16c SGB II nicht nachgewiesen seien. Es bestehe kein Anlass, die fehlenden Feststellungen des Beklagten durch eigene Ermittlungen von Amts wegen zu heilen, da es keinen Anhaltspunkt für eine Ermessensreduzierung dahingehend gebe, dass der Beklagte zur Leistung zu verurteilen gewesen wäre. Bei den Ausführungen zur Hauptberuflichkeit der Tätigkeit und den unternehmerischen Fähigkeiten bleibe unklar, ob es sich hierbei um Überlegungen zur Tragfähigkeit handle, ob eine Prognose gestützt werden solle oder ob es sich bereits um Überlegungen zum Ermessen handle. Angesichts dieser Gesamtumstände könne nicht zweifelsfrei eine Entscheidung zu Gunsten oder zu Lasten des Klägers getroffen werden. Im Hinblick auf eine eventuell noch gebotene Ermessensentscheidung komme damit allenfalls eine Verurteilung des Beklagten zu einer erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in Betracht. Für die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle sei der Kläger beibringungspflichtig. Ihm sei eine Wahlmöglichkeit in Bezug auf die begutachtende Stelle eingeräumt. Ohne Mitwirkung des Klägers sei es daher nicht möglich gewesen, die Tragfähigkeit fachkundig klären zu lassen. Der Verweis des Beklagten auf die Stellungnahme der fachkundigen Stelle, die bei ihm verortet sei, sei nicht ausreichend, denn das Absehen von der Einholung einer externen Stellungnahme komme nur dann in Betracht, wenn die Entwicklungsmöglichkeiten oder der voraussichtliche Misserfolg wegen der Art und Struktur des Gewerbes klar auf der Hand lägen. Objektivierbare Anhaltspunkte hierfür gebe es aber nicht. Im Übrigen könne vorliegend ein Interessenskonflikt bei der Arbeitsvermittlerin nicht ausgeschlossen werden und dem Kläger würde seine Wahlmöglichkeit genommen. Im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung werde der Beklagte daher den Kläger zur Vorlage einer Stellungnahme einer fachkundigen Stelle auffordern müssen. Soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen als erfüllt angesehen werden könnten, hätte der Beklagte die Einkommenssituation prognostisch zu beurteilen und die Möglichkeit der Beseitigung oder Minderung der Hilfebedürftigkeit zu beurteilen. Im Anschluss an eine positive Prognose seien dann Erwägungen zum Ermessen anzustellen, wobei andere Möglichkeiten zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit berücksichtigt werden könnten, alternative Finanzierungsmöglichkeiten zu prüfen wären, der aktuelle Finanzbedarf zu klären wäre und zuletzt abzuwägen wäre, in welchem angemessenen, aber auch verhältnismäßigen Maße Mittel als Zuschuss oder als Darlehen eingesetzt werden könnten.
11
Dagegen hat der Kläger am 25.06.2020 beim SG über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) ohne Verwendung einer qualifizierten Signatur Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. In gleicher Weise hat er am 27.06.2020 auch beim LSG selbst Berufung eingelegt. Einer qualifizierten Unterschrift bedürfe es bei ihm nicht, da eine solche Barriere nicht mit der UN-Konvention vereinbar sei. Seine „eigenständig unterschriebene Unterschrift“ müsse ausreichend sein. Die handschriftlich abgegebenen Dokumente und die per EGVP eingebrachten Dokumente seien identisch, somit sei sichergestellt, dass diese von ihm seien und dadurch auch gültig wären. Er habe mindestens 5.000,00 € gefordert, was sich auch aus seinen Schriftsätzen an das SG ergebe. Eine Tragfähigkeitsbescheinigung könne niemand erbringen. Hierzu fehle ihm auch das Geld. Vom Beklagten erstellte Prognosen könne er ebenso wenig akzeptieren. Ein Tragfähigkeitsnachweis durch tatsächliche Einnahme- und Hochrechnung sei erbracht worden. Er habe längst bewiesen, dass seine Arbeit Geld einbringe. Seine Angaben seien Tatsachen und keine Prognose. Ihm stehe ein Anspruch auf diskriminierungsfreies Verhalten zu. Die UN-Konvention sei zu beachten. Er sei einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden. Im Übrigen sei seine Restleistungsfähigkeit zu beachten. Für eine Ladung zu einem Erörterungstermin des Gerichts fordere er 200.000,00 € Schadensersatz. Er benötige keine Amtshaftungsklage, da die Sozialgerichte gegen die Diskriminierung vorgehen müssten. Dies ergebe sich aus dem Umsetzungsprotokoll der UN-Konvention. Es seien die Sozialgerichte für die Entschädigung zuständig, ohne dass ihm ein Kostenrisiko entstünde. Die Gerichte und der Beklagte seien für die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes verantwortlich. Den Sozialgerichten stehe im Hinblick auf Schadensersatz eine rechtswegübergreifende Entscheidungskompetenz zu. Diese würde vom Land Bayern gefordert. Sein Anspruch auf berufliche Förderung begründe sich in Art. 30 Abs. 2 UN-Konvention. Er fordere rückwirkend bis zur Antragstellung auf berufliche Förderung eine monatliche Entschädigung von 3.500,00 €, die Übernahme der Kosten eines Urheber-Rechtsanwalts zur Geltendmachung von Forderungen gegenüber der GEMA, GVL und Fernsehsendern sowie die Übernahme von Betriebskosten i.H.v. mindestens 10.000,00 € für getätigte Ausgaben zur Einrichtung eines Schonarbeitsplatzes. Der Bundestag habe den Rechtsanwendungsbefehl hinsichtlich der UN-Konvention erteilt, so dass dieser auch für alle Gerichte gelte. Mit einem handschriftlich unterschriebenen und persönlich beim SG abgegebenen Schreiben vom 13.10.2020 hat er schließlich ausgeführt, er benötige auch Leistungen für einen Rechtsanwalt zur Rechtedurchsetzung gegenüber der GVL. Dies sei bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen. Er habe jede Menge Dokumente „auf“ seiner EGVP-Adresse geschickt, so dass das Gericht davon ausgehen müsse, die Dokumente kämen von ihm und eine andere Person sei als Absender absolut ausgeschlossen. Unter Berücksichtigung der UN-Konvention und einer Barrierefreiheit müsse für ihn als „Gleichgestellten“ die im Dokument eigenständige Unterschrift ausreichend sein. Andernfalls würde es eine Diskriminierung darstellen.
12
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.05.2020 und den Bescheid vom 07.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2017 aufzuheben sowie den Beklagten zu verurteilen, Leistungen der beruflichen Förderung für seine selbstständige Tätigkeit zu bewilligen und eine monatliche Entschädigung i.H.v. 3.500,00 € ab November 2016 zu zahlen, sowie den Freistaat Bayern zur Zahlung eines Schadensersatzes i.H.v. 200.000,00 € zu verurteilen.
13
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
14
Der Kläger sei mit Schreiben vom 03.06.2020 aufgefordert worden, ein Gutachten einer fachkundigen Stelle zur Tragfähigkeit seiner geplanten selbstständigen Tätigkeit vorzulegen, worauf er vorgebracht habe, eine solche nicht beibringen zu können. Der Kläger sei für eine Tragfähigkeitsbescheinigung beibringungspflichtig.
15
Der Kläger hat sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Der Beklagte hat einer solchen Entscheidung - auch nach weiteren Ausführungen des Klägers - ebenfalls zugestimmt.
16
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Eine über die im Urteil des SG hinausgehende Verpflichtung bzw. Verurteilung des Beklagten kommt nicht in Betracht.
18
Eine Unzulässigkeit der Berufung folgt nicht aus dem Umstand, dass der Kläger diese zunächst über das EGVP an das SG bzw. das LSG geschickt hat, ohne dass sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen war, und damit die Schriftform nach § 151 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 65a Abs. 3 und 4 SGG - auch nicht durch den Ausdruck des Dokuments mit der gescannten Unterschrift durch das Gericht - nicht gewahrt worden war (vgl. BSG, Urteil vom 12.10.2016 - B 4 AS 1/16 R; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24.10.2017 - L 6 AS 159/17 B ER - beide zitiert nach juris; Stäbler in jurisPK-SGG, 1. Aufl., Stand: 14.10.2020, § 65a SGG Rn. 34.1). Jedenfalls mit beim SG abgegebenem Schriftsatz vom 13.10.2020, welcher vom Kläger handschriftlich unterschrieben war und dem unzweifelhaft zu entnehmen ist, dass er ein Berufungsverfahren gegen das Urteil des SG führen will, ist die Schriftform des § 151 Abs. 1 und 2 SGG gewahrt und damit - jedenfalls konkludent - die Berufungseinlegung formwirksam nachgeholt worden. Soweit das Schreiben erst am 13.10.2020 beim SG und damit nach Ablauf der Berufungsfrist (§ 151 SGG) eingegangen ist, war dem Kläger auch ohne weiteren Antrag von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs. 1 und Abs. 2 SGG). Es wäre dem Kläger ein Hinweis auf die fehlende qualifizierte Signatur bei der Übersendung des Berufungsschriftsatzes im Rahmen der gerichtlichen Fürsorgepflicht (Art. 2 und 20 Abs. 3 Grundgesetz - GG) zu erteilen gewesen (zu einer etwaigen Mitteilungspflicht nach § 65a Abs. 6 SGG: Stäbler a.a.O. Rn. 35; dahin tendierend bzgl. § 65a Abs. 2 Satz 3 SGG a.F.: BSG, a.a.O; bejahend bei § 55a Abs. 2 Satz 3 a.F. Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO: BVerwG, Urteil vom 25.04.2012 - 8 C 18/11 - juris). Auch unter Berücksichtigung des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs in Bezug auf die Behandlung der Berufung beim LSG hätte der Hinweis so rechtzeitig erteilt werden können, dass der Kläger die Berufung formgerecht hätte übermitteln und einlegen können (vgl. dazu auch BAG, Beschluss vom 05.06.2020 - 10 AZN 53/20 - juris).
19
Streitgegenstand sind zunächst Leistungen zur Eingliederung von Selbständigen (§ 16c SGB II), die der Beklagte mit Bescheid vom 07.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2017 abgelehnt hat. Gegen die ablehnende Entscheidung hat der Kläger zulässigerweise eine kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 SGG) bzw. - sofern keine Ermessungsreduzierung auf Null gegeben sein sollte - eine kombinierte Anfechtungs- und Bescheidungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 SGG; vgl. dazu auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 13. Auflage, § 54 Rn. 20b). Der Anspruch auf Eingliederungsleistungen stellt einen abtrennbaren Streitgegenstand dar (vgl. bereits BSG, Urteil vom 01.06.2010 - B 4 AS 63/09 R - m.w.N. - juris). Der Höhe nach hat der Kläger seine Klage beim SG ausweislich des in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich gestellten Klageantrages - der ihm ausweislich der Niederschrift (§ 122 SGG i.V.m. § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung -ZPO-), die entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ausgefertigt und vom Vorsitzenden sowie von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterschrieben worden ist (§ 122 SGG i.V.m. §§ 159, 160 ZPO), vorgelesen und von ihm genehmigt worden ist - auf 5.000,00 € begrenzt. Der Antrag ist zur Überzeugung des Senats in der Niederschrift zutreffend aufgenommen worden. Der zuletzt gestellte Antrag war für die Entscheidung des SG maßgeblich.
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Soweit der Kläger im Berufungsverfahren über 5.000,00 € hinausgehende Eingliederungsleistungen begehrt, handelt es sich um eine zulässige Klageänderung (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG). Auch der Beklagte hat im angefochtenen Bescheid über einen Antrag auf Leistungen von 10.045,00 € entschieden.
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Soweit der Kläger darüber hinaus im Berufungsverfahren Schadenersatz i.H.v. 200.000,00 € vom Freistaat Bayern bzw. monatliche Entschädigungszahlungen i.H.v. 3.500,00 € rückwirkend ab Antragstellung vom Beklagten fordert, ist eine solche Klageänderung bzw. -erweiterung i.S.v. § 99 SGG unzulässig. Weder hat der Beklagte ihr zugestimmt, noch ist sie sachdienlich. Eine Zustimmung des Beklagten liegt nicht vor. Zwar wird auch ein rügeloses Einlassen durch das Stellen eines Gegenantrages oder Äußerung zur Sache, ohne durch eine Gegenerklärung die Zulässigkeit der Klageänderung wenigstens vorsorglich zu rügen, als ausreichend angesehen. Der Beklagte hat vorliegend aber lediglich beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und sich zum Vortrag des Klägers in Bezug auf den Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens geäußert, sich aber in keinster Art und Weise auf die erstmals im Berufungsverfahren neu vorgebrachten Erweiterungen hinsichtlich einer Klage auf Schadenersatz bzw. Entschädigung bezogen oder gar einen Antrag auf Abweisung der im Rahmen des Berufungsverfahrens erhobenen Klage auf Schadenersatz gestellt. Ein rügeloses Einlassen sieht der Senat daher nicht (so auch HessLSG, Urteil vom 11.03.2020 - L 6 AS 141/18 - juris). Auch eine Sachdienlichkeit vermag der Senat nicht zu erkennen. Es handelt sich um einen völlig neuen Anspruch und Prozessstoff. Die vom Beklagten geforderten Entschädigungszahlungen i.H.v. 3.500,00 € stellen keine Leistung i.S.v. §§ 16 ff. SGB II dar. Für entsprechende Amtshaftungsansprüche sind im Übrigen die Sozialgerichte nicht zu einer Entscheidung berufen (vgl. Art. 34 Satz 3 GG, §§ 12, 13, 71 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtsverfassungsgesetz -GVG-, § 51 SGG). Auch eine Teilverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht wäre nicht zulässig (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 30.07.2014 - B 14 AS 8/14 B - juris). Soweit man in der Schadenersatzforderung i.H.v. 200.000,00 € einen Ersatz (auch) für eine überlange Verfahrensdauer nach § 202 Satz 2 SGG i.V.m. § 198 GVG sehen wollte, handelt es sich ebenfalls um einen völlig anderen Anspruch, der mit der vorliegend zu entscheidenden Frage, ob dem Kläger Leistungen zur Eingliederung von Selbständigen nach dem SGB II zustehen, nicht im Zusammenhang steht, und für den weitere Sachverhaltsermittlungen anzustellen und eine völlig andere Anspruchsgrundlage zu prüfen wäre. Es kann daher dahinstehen, ob dieser Anspruch auch Gegenstand des Verfahrens ist, dessen Aktenzeichen der Kläger im Betreff entsprechender Schriftsätze ebenfalls aufgezählt hat. Auch für eine Entschädigungszahlung, die sich direkt auf die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) oder deren Umsetzungsprotokoll stützen soll, liegen die Voraussetzungen für eine zulässige Klageänderung bzw. -erweiterung nicht vor, denn eine Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichte i.S.v. § 51 SGG ist diesbezüglich nicht erkennbar, unabhängig davon, dass sich hieraus selbst keine Anspruchsgrundlage ergibt, sondern die Konvention nur als Auslegungshilfe in Bezug auf das einfache Recht heranzuziehen ist (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.12.2012 - L 29 AL 337/09; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015 - L 1 AS 2338/15 ER-B - beide zitiert nach juris).
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Im Ergebnis ist daher über die Klage auf Schadenersatz und Entschädigungszahlungen nicht zu entscheiden. Sie ist mangels Zulässigkeit der Klageerweiterung nicht Gegenstand des Verfahrens geworden.
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Eine über die vom SG hinausgehende Verpflichtung des Beklagten - allein der Kläger hat Berufung eingelegt - zur Neuverbescheidung des Antrages des Klägers unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des SG kommt nicht in Betracht.
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Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sowie hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger. Der Beklagte hat ihm daher auch (vorläufig) Alg II bewilligt.
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Eine Verpflichtung des Beklagte zur Zahlung von Leistungen zur Eingliederung von Selbständigen an den Kläger kann vom Senat nicht festgestellt werden. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, können Darlehen und Zuschüsse für die Beschaffung von Sachgütern erhalten, die für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit notwendig und angemessen sind (§ 16c Abs. 1 Satz 1 SGB II). Zuschüsse dürfen nach § 16c Abs. 1 Satz 2 SGB II einen Betrag von 5.000,00 € nicht übersteigen. Leistungen zur Eingliederung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, können nur gewährt werden, wenn zu erwarten ist, dass die selbständige Tätigkeit wirtschaftlich tragfähig ist und die Hilfebedürftigkeit durch die selbständige Tätigkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums dauerhaft überwunden oder verringert wird (§ 16c Abs. 3 Satz 1 SGB II). Zur Beurteilung der Tragfähigkeit der selbständigen Tätigkeit soll die Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle verlangen (§ 16c Abs. 3 Satz 2 SGB II).
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Die Eingliederungsleistungen müssen dabei u.a. auch erforderlich i.S.d. Zielvorgaben der §§ 1 und 3 SGB II sein - diese Regelungen sind zwar nicht anspruchsbegründend, stecken aber als programmatische Kernaussagen und Grundsätze den Leistungsrahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ab (vgl. dazu BSG, Urteil vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - juris - mit Verweis auf BT-Drs. 15/1516 S. 50, 51). Sie müssen zur Vermeidung oder Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich sein, was nur der Fall ist, wenn ein Eingliederungserfolg mit hinreichender Sicherheit vorhergesagt werden kann. Nach § 16c Abs. 3 Satz 1 SGB II muss zu erwarten sein, dass die selbständige Tätigkeit wirtschaftlich tragfähig ist. Die dabei anzustellende Prognose im Rahmen einer ex-ante-Betrachtung setzt eine Plausibilitätsprüfung eines schlüssigen Konzeptes in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit der Überwindung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit voraus (vgl. dazu auch Harks in jurisPK-SGB II, 4. Aufl., Stand: 11.10.2019, § 16c Rn. 25 und 26 m.w.N.). Den Kläger treffen dabei Mitwirkungspflichten zur Vorlage von Unterlagen, um den Sachverhalt ermitteln zu können (vgl. zum Einstiegsgeld: BSG, Urteil vom 05.08.2015 - B 4 AS 46/14 R - juris).
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Ein Nachweis für die Tragfähigkeit der vom Kläger geplanten (Erweiterung seiner) selbständigen Tätigkeit ist nicht ersichtlich. Wie sich aus § 16c Abs. 3 Satz 2 SGB II ergibt, soll der Beklagte zur Beurteilung der Tragfähigkeit der selbständigen Tätigkeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle verlangen. Hierzu hat der Kläger zuletzt gegenüber dem Beklagten per E-Mail vom 06.06.2020 mitgeteilt, dass eine Tragfähigkeitsbescheinigung niemand erbringen könne und er eine Prognose des Beklagten nicht akzeptiere. Es kann daher dahinstehen, ob sich der Beklagte auf den Aktenvermerk seiner Mitarbeiterin vom 06.03.2018 stützen kann, die von einer fehlenden Tragfähigkeit ausgeht - nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs.16/10810, S. 47) sollen SGB II-Leistungsträger, die eine eigene Kompetenz zur Bewertung von Unternehmen aufgebaut haben, auf die Einschaltung einer externen fachkundigen Stelle verzichten können (vgl. dazu auch Harks a.a.O. Rn. 27) -, denn ohne die vom Kläger im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (§ 16c Abs. 3 Satz 2 SGB II) vorzulegende Tragfähigkeitsbescheinigung wäre eine anders ausfallende Prognosentscheidung nicht zu treffen. Anhand einer Tragfähigkeitsbescheinigung kann die Rentabilität der angedachten selbständigen Tätigkeit beurteilt werden. Die Nichtbeibringung stellt damit einen Umstand dar, der in der Sphäre des Klägers liegt, so dass die Nichterweislichkeit zu seinen Lasten geht (so auch Urteil des Senats vom 16.05.2019 - L 11 AS 869/18 - nicht veröffentlicht). Soweit der Kläger selbst Hochrechnungen anstellt, welche Gewinne ihm möglich wären, kann dies die Tragfähigkeitsbescheinigung nicht ersetzen, denn der Kläger selbst ist - auch wenn er über Fachkenntnisse im Musikbereich verfügt - keine sachkundige Stelle für die Beurteilung der maßgeblichen wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Geschäftskonzepts.
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Soweit der Kläger vorbringt, dass ihm das Geld für eine Tragfähigkeitsbescheinigung fehle, hat er hierzu keine Nachweise erbracht, zumal eine Recherche im Internet ergeben hat, dass nach der Initiative des Expertennetzwerks Deutschland „Deutschland startet“ (https://www.deutschland-startet.de/tragfaehigkeitsbescheinigung/) je nach Stelle die Bescheinigung zwischen 30,00 € und 150,00 € kostet und bei der IHK meist kostenlos ist. Es ist damit nicht erkennbar, dass es dem Kläger nicht zumutbar wäre, eine solche Stellungnahme einzuholen, da er grds. auch im Hinblick auf die Modifizierung des Amtsermittlungsgrundsatzes durch § 16c Abs. 3 Satz 2 SGB II zur Kostentragung verpflichtet ist (vgl. Harks in jurisPK-SGB II, 4. Aufl., Stand: 11.10.2019, § 16c Rn. 27 und 27.2). Ggf. bestünde zudem die Möglichkeit, eine Übernahme der Kosten im Rahmen der freien Förderung nach § 16f SGB II beim Beklagten zu beantragen (vgl. dazu Sächsisches LSG, Beschluss vom 09.12.2013 - L 3 AS 1800/13 B PKH - juris; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, Stand: März 2019, § 16b Rn. 92).
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Weitere Anhaltspunkte dafür, dass eine Tragfähigkeitsbescheinigung nicht erforderlich ist, sind nicht ersichtlich, so dass ein Abweichen vom im Regelfall vorgegebenen Verlangen („soll“) im Rahmen des § 16c Abs. 3 Satz 2 SGB II nicht angezeigt ist. Wollte man den Aktenvermerk der Mitarbeiterin des Beklagten vom 06.03.2018 als Stellungnahme einer fachkundigen Stelle ansehen, dann würde sich aufgrund der dort vorgenommenen Beurteilung der geplanten Tätigkeit ebenfalls kein Hinweis auf eine Tragfähigkeit geben.
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Damit können die Tatbestandsvoraussetzungen schon mangels Tragfähigkeitsnachweises nicht festgestellt werden. Der Kläger lehnt die Einholung und Vorlage einer Stellungnahme einer fachkundigen Stelle ab, so dass ihn die Feststellungslast trifft. Es handelt sich um Umstände, die in seiner Sphäre liegen. Eine Verpflichtung des Beklagten zur Bewilligung von Leistungen zur Eingliederung von Selbständigen scheidet damit aus. Im Übrigen ist im Hinblick auf die nunmehr über 5.000,00 € hinausgehenden Forderungen des Klägers darauf zu verweisen, dass Zuschüsse für die Anschaffung von Sachgütern (§ 16c Abs. 1 Satz 1 SGB II) einen Betrag von 5.000,00 € nicht übersteigen dürfen (§ 16c Abs. 1 Satz 2 SGB II).
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Eine Abänderung des Urteils des SG dahingehend, den Beklagten zur Leistungserbringung an den Kläger zu verurteilen, scheitert schließlich auch daran, dass selbst bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen die Leistungserbringung im Ermessen des Beklagten steht. Die Gerichte sind bezüglich der Überprüfung von Ermessensentscheidungen eines Leistungsträgers gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG darauf beschränkt zu kontrollieren, ob dieser (1.) seiner Pflicht zur Ermessensbetätigung nachgekommen ist (Ermessensnichtgebrauch), er (2.) mit seiner Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat, d.h. eine nach dem Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge gesetzt hat (Ermessensüberschreitung), oder (3.) von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Abwägungsdefizit und Ermessensmissbrauch). Bei der Überprüfung darf das Gericht nicht eigene Ermessenserwägungen an die Stelle derjenigen des Leistungsträgers setzen. Eine Verurteilung zur Leistung kommt nur dann in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Eine solche Ermessensreduzierung ist nicht erkennbar. Sofern die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen sollten, wären die verschiedenen Ermessensgesichtspunkte zu ermitteln und abzuwägen. Dabei können z.B. die Erfolgsaussichten der Maßnahme im Vergleich zu konkret entstehenden Kosten oder die Aussichten auf eine Eingliederung in ein Beschäftigungsverhältnis zu berücksichtigen sein. Auch die vom Kläger vorgebrachten Behinderungen sowie die Vorgaben der BRK könnten hierbei eine Rolle spielen. Zu Recht weist das SG darüber hinaus auf die Prüfung alternativer Finanzierungsmöglichkeiten, die Klärung des aktuellen Finanzbedarfs und die Abwägung, in welchem angemessenen, aber auch verhältnismäßigen Maße Mittel als Zuschuss oder als Darlehen eingesetzt werden könnten, hin. Dass das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert sein soll, mithin nur eine Erbringung der geforderten Leistungen in Betracht kommen würde, vermag der Senat demnach nicht zu erkennen.
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Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen. Nachdem der Beklagte selbst keine (Anschluss-)Berufung eingelegt hat, war eine Aufhebung des Urteils des SG in Bezug auf die darin enthaltene Aufhebung der Bescheide und die Verpflichtung des Beklagten zur erneuten Entscheidung nicht zu prüfen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.