Titel:
Erfolglose Klage gegen eine (erweiterte) Gewerbeuntersagung
Normenkette:
GewO § 35 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein Gewerbetreibender ist unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung ergeben. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände kommt es nicht an. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ob länger zurückliegende Straftaten einem Gewerbetreibenden im Rahmen eines Untersagungsverfahrens nach § 35 GewO noch entgegengehalten werden dürfen, hat auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller einschlägigen Umstände zu erfolgen, in die namentlich die Art und die Umstände der Delikte sowie die Entwicklung der Persönlichkeit des Betroffenen einzubeziehen sind. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit liegt vor, wenn der Gewerbetreibende Verpflichtungen verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur einen Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dies ist zB bei steuerlichen Pflichtverletzungen und bei ungeordneten Vermögensverhältnissen der Fall. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erweiterte Gewerbeuntersagung, Unzuverlässigkeit, Gewerbebezogene Straftat, Gewerbeuntersagung, Gesamtwürdigung, Gewerbe, Gewerbetreibender
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 03.03.2021 – 22 ZB 20.1576
Fundstelle:
BeckRS 2020, 43396
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags ab-wenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in glei-cher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung.
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Zum 1. Februar 2017 zeigte der Kläger bei der Beklagten die Ausübung des Gewerbes „Tätigkeit als Generalunternehmer für Bauvorhaben (ausgenommen Tätigkeiten nach § 34c GewO und im handwerklichen Bereich), Durchführung von Abbrucharbeiten (ohne Eingriff in die Statik), Vermittlung von Geschäftskontakten (ausgenommen erlaubnispflichtige Tätigkeiten), Durchführung von Gartenbau- und Landschaftsbauarbeiten, Durchführung von Facility Management Tätigkeiten, Durchführung von Hausmeisterarbeiten, Tätigkeit im Holz- und Bautenschutzgewerbe (Mauerschutz und Holzimprägnierung in Gebäuden), Groß- und Einzelhandel mit Baumaschinen und -geräten, Durchführung von Gütertransporten mit Kraftfahrzeugen bis 3,5 t“ an.
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Mit Schreiben vom 25. Januar 2018 teilte die Staatsanwaltschaft München I der Beklagten mit, dass der Kläger mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom … Dezember 2017, rechtskräftig seit 12. Januar 2018, wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 1 und Abs. 4 Insolvenzordnung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15,- Euro verurteilt wurde. Der Verurteilung liegt nach den Feststellungen des Amtsgerichts … zugrunde, dass der Kläger seit 22. November 2011 einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer einer Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) war, die spätestens seit 5. August 2016 zahlungsunfähig war. Dem Kläger sei bekannt gewesen. Am 5. August 2016 habe eine fällige Verbindlichkeit in Höhe von 2.503,50 Euro bestanden, es seien aber keine ausreichenden liquiden Mittel vorhanden gewesen. Die Geschäftskonten bei der … …bank seien zum 1. Juni 2016 aufgelöst worden. In der Folgezeit habe sich die finanzielle Situation nicht verbessert, vielmehr hätten sich die fälligen Verbindlichkeiten kontinuierlich auf 12.930,93 Euro zum 28. Dezember 2016 erhöht. Dennoch habe es der Kläger unterlassen, unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen für die von ihm vertretene UG Insolvenzantrag zu stellen. Einen Eigeninsolvenzantrag habe der Kläger erst am 5. Januar 2017 gestellt. Das Amtsgericht … - Insolvenzgericht habe mit Beschluss vom 6. Juni 2016 den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen.
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Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 20. Juni 2018 zu einer beabsichtig ten erweiterten Gewerbeuntersagung an und gab zugleich der Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger nahm mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom *. August 2018 Stellung und führte im Wesentlichen aus, eine Gewerbeuntersagung sei übertrieben und unangemessen. Zwar sei der Kläger verurteilt worden, jedoch habe es sich lediglich um eine relativ kleine Insolvenz mit wenig Schadensvolumen und ohne weitere insolvenzrechtliche Delikte gehandelt. Die verhängte Strafe bewege sich am untersten Ende. Der Kläger habe die Strafe sofort akzeptiert und vollständig bezahlt. Der Tat habe ein einmaliger Schicksalsschlag zugrunde gelegen, namentlich massive Depressionen in Folge einer zahnärztlichen Fehlbehandlung mit anschließendem jahrelangem Rechtsstreit. Der Kläger habe geglaubt, die finanzielle Krise mit entsprechender Mehrarbeit bewältigen zu können, und daher verspätet Insolvenz angemeldet. Inzwischen sei die psychische Krise beendet. Insofern bestehe keine Wiederholungsgefahr. Aus dem einmaligen Schicksalsschlag könnten keine Rückschlüsse für das zukünftige Verhalten des Klägers gezogen werden. Der Kläger befinde sich in geordneten finanziellen Verhältnissen. Er sei weder zahlungsunfähig noch überschuldet und habe keinerlei Schwierigkeiten, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Er führe ein erfolgreiches Gewerbe, das er sich durch harte Arbeit aufgebaut habe. Unter Berücksichtigung des Alters, der Herkunft und der Ausbildung des Klägers sei dessen Prognose auf dem Arbeitsmarkt eher negativ. Es bestehe die Gefahr, dass der Kläger zumindest zeitweilig arbeitslos würde und auf Sozialleistungen angewiesen wäre.
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Mit Bescheid vom 7. November 2018, zugestellt am … November 2018, untersagte die Beklagte dem Kläger die Ausübung des Gewerbes „Tätigkeit als Generalunternehmer für Bauvorhaben (ausgenommen Tätigkeiten nach § 34c GewO und im handwerklichen Bereich), Durchführung von Abbrucharbeiten (ohne Eingriff in die Statik), Vermittlung von Geschäftskontakten (ausgenommen erlaubnispflichtige Tätigkeiten), Durchführung von Gartenbau- und Landschaftsbauarbeiten, Durchführung von Facility Management Tätigkeiten, Durchführung von Hausmeisterarbeiten, Tätigkeit im Holz- und Bautenschutzgewerbe (Mauerschutz und Holzimprägnierung in Gebäuden), Groß- und Einzelhandel mit Baumaschinen und -geräten, Durchführung von Gütertransporten mit Kraftfahrzeugen bis 3,5 t“ im stehenden Gewerbe (Nummer 1). Zudem wurde dem Kläger die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit im stehenden Gewerbe untersagt (Nummer 2). Dem Kläger wurde aufgegeben, seine Tätigkeit spätestens zehn Tage nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung einzustellen (Nummer 3). Für den Fall, dass der Kläger dieser Verpflichtung nicht nachkommt, wurde die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht (Nummer 4). Die Kosten des Verwaltungsverfahrens in Höhe von 454,98 Euro wurden dem Kläger auferlegt (Nummern 5 und 6).
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Zur Begründung führt die Beklagte im Wesentlichen aus, der Kläger besitze nicht die erforderliche Zuverlässigkeit. Sein bisheriges Verhalten biete keine Gewähr für eine künftige ordnungsgemäße Ausübung eines Gewerbes. Die Tatsache, dass gegen den Kläger ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung verhängt werden musste, zeige auf, dass er sich nicht an die bestehende Rechtsordnung halte. Maßgeblich sei nicht die strafrechtliche Verurteilung als solche, sondern das der Verurteilung zugrunde liegende Delikt. Bei einer vorsätzlichen Insolvenzverschleppung handele es sich um ein Vermögensdelikt mit Gewerbebezug für alle Gewerbezweige. Zwar habe der Kläger die Straftat in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der von ihm vertretenen Gesellschaft begangen, jedoch lasse sein Verhalten Rückschlüsse auch auf sein gewerberechtliches Verhalten als Einzelgewerbetreibender zu. Die Zukunftsprognose falle angesichts dieses Sachverhalts negativ aus. Das Schutzinteresse der Allgemeinheit bedinge die Gewerbeuntersagung. Die Gewerbeuntersagung sei verhältnismäßig. Nach pflichtgemäßem Ermessen werde die Gewerbeuntersagung erweitert, da der Kläger gewerbeübergreifend unzuverlässig sei und ein Ausweichen auf anderweitige Gewerbetätigkeiten zu erwarten sei. Die Ausdehnung der Gewerbeuntersagung sei sachgerecht und geboten. Das Interesse des Klägers an der Ausübung einer von der Gewerbeuntersagung erfassten Tätigkeit habe hinter dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit zurückzutreten. Die Frist zur Einstellung des Betriebs sei angemessen. Insbesondere sei sie ausreichend, um dem Kläger eine vernünftige, aber zügige Abwicklung zu ermöglichen. Die Androhung des unmittelbaren Zwangs erfolge nach Art. 29, 34 und 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz. Das weniger einschneidende Zwangsgeld verspreche keinen Erfolg.
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Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom … Dezember 2018, bei Gericht eingegangen am selben Tag, ließ der Kläger Klage erheben und beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 7. November 2018 aufzuheben.
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Zur Klagebegründung führt der Bevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen aus, die in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer einer UG begangenen Fehler des Klägers seien nicht geeignet, hieraus negative Rückschlüsse auf das zukünftige Verhalten des Klägers zu ziehen, da diesen außergewöhnliche besondere Umstände zugrunde gelegen hätten. Es habe sich um einen einmaligen Schicksalsschlag gehandelt, namentlich massive Depressionen in Folge einer zahnärztlichen Fehlbehandlung mit anschließendem jahrelangem Rechtsstreit. Der Kläger habe geglaubt, die finanzielle Krise mit entsprechender Mehrarbeit bewältigen zu können und daher verspätet Insolvenz angemeldet. Inzwischen sei die psychische Krise beendet. Insofern bestehe keine Wiederholungsgefahr. Zudem habe es sich nur um eine kleine Insolvenz mit wenig Schadensvolumen und ohne weitere insolvenzrechtliche Delikte gehandelt. Die Vermögensverhältnisse des Klägers seien geordnet, die Einkommens- und Vermögensprognose sei gut. Im Falle einer Gewerbeuntersagung bestehe unter Berücksichtigung des Alters, der Herkunft und der Ausbildung des Klägers die Gefahr der Arbeitslosigkeit.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung führt die Beklagte mit Schreiben vom 16. Januar 2019 im Wesentlichen aus, die Unzuverlässigkeit des Klägers ergebe sich aus den dem Strafbefehl zugrundeliegenden Tatsachen. Es liege der Schluss nahe, dass der Kläger nicht in der Lage sei, für eine ordnungsgemäße Gewerbeausübung zu sorgen und sich an die bestehende Rechtsordnung zu halten. Die Verurteilung wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung stehe im engen Zusammenhang mit der gewerblichen Tätigkeit des Klägers. Sein Verhalten als Geschäftsführer der von ihm vertretenen Gesellschaft lasse Rückschlüsse auf sein gewerberechtliches Verhalten als Einzelgewerbetreibender zu, zumal es sich um eine Ein-Mann-Gesellschaft gehandelt habe.
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Mit Beschluss vom 4. Mai 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Das Gericht hat am 25. Mai 2020 zur Sache mündlich verhandelt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie innerhalb der Klagefrist von einem Monat gemäß § 74 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erhoben. Die Klage ist aber nicht begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Rechtsgrundlage für die Untersagung des vom Kläger ausgeübten Gewerbes ist§ 35 Abs. 1 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO). Danach ist die Ausübung eines Gewerbes ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebs beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.
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a) Die Beklagte ist zu Recht von der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klä gers ausgegangen.
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Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gewerbetreibender unzuverlässig, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Die Unzuverlässigkeit kann sich insbesondere aus der mangelnden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dem Vorliegen von Steuerschulden, der Verletzung von steuerlichen Erklärungspflichten, dem Vorhandensein von Beitragsrückständen bei Sozialversicherungsträgern oder aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung ergeben (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6/14 - juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff).
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Für die erforderliche Prognose zur Feststellung der Unzuverlässigkeit ist aus den bereits vorhandenen tatsächlichen Umständen auf ein wahrscheinliches zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden zu schließen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit ist wegen der Möglichkeit der Wiedergestattung des Gewerbes nach § 35 Abs. 6 GewO der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Nachträgliche Veränderungen der Sachlage, wie eine Minderung von Verbindlichkeiten, bleiben außer Betracht (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6/14 - juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff).
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Aus dem ausschließlich sicherheitsrechtlichen, zukunftsbezogenen Regelungszweck von § 35 GewO folgt, dass es auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände nicht ankommt (BVerwG, B.v. 11.11.1996 - 1 B 226/96 - juris). Dies bedeutet aber nicht, dass die die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigenden Umstände bei rechtswidrigem Verhalten des Gewerbetreibenden ausnahmslos in jedem Fall bejaht werden können, ohne dass hierbei die Frage in den Blick genommen würde, inwieweit Pflichtverletzungen vorsätzlich bzw. fahrlässig begangen wurden. Ist ein strafrechtlich geahndetes persönliches Fehlverhalten des Gewerbetreibenden Anlass für die Prüfung einer Gewerbeuntersagung, so kann die Prüfung, ob sich der Gewerbetreibende künftig erneut falsch verhalten und damit die Allgemeinheit oder die im Betrieb Beschäftigten gefährden wird, regelmäßig nicht zutreffend beurteilt werden, ohne zum einen die Gründe für das Verhalten des Gewerbetreibenden zu kennen und zum anderen zu berücksichtigen, ob sich der Betreffende der Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens bewusst war (BayVGH, B.v. 20.7.2016 - 22 ZB 16.284 - juris).
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Nicht das Strafurteil, sondern das Verhalten des Gewerbetreibenden, das zu dem Urteil geführt hat, kann eine Gewerbeuntersagung erfordern (BVerwG, B.v. 23.5.1995 - 1 B 78/95 - juris). Die Gewerbebehörden und Verwaltungsgerichte müssen sich selbst davon überzeugen, welcher Sachverhalt einer Strafe zugrunde gelegen hat - wobei sie in der Regel von den tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts ausgehen dürfen -, und in eigener Verantwortung prüfen, ob die der Bestrafung zugrunde liegenden Tatsachen eine Verneinung der Zuverlässigkeit rechtfertigen (BVerwG, B.v. 26.2.1997 - 1 B 34/97 - juris). Dabei kann sich die von der Behörde anzustellende Prognose, wonach der Gewerbetreibende auf Grund der für die Vergangenheit festgestellten Verstöße auch für die Zukunft als unzuverlässig gilt, schon auf eine erhebliche gewerbebezogene Straftat stützen (OVG NRW, B.v. 16.6.2016 - 4 B 1401/15 - juris).
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Die Beantwortung der Frage, ob länger zurückliegende Straftaten einem Gewerbetreibenden im Rahmen eines Untersagungsverfahrens nach § 35 GewO noch entgegengehalten werden dürfen, hat auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller einschlägigen Umstände zu erfolgen, in die namentlich die Art und die Umstände der Delikte sowie die Entwicklung der Persönlichkeit des Betroffenen einzubeziehen sind (BayVGH, B.v. 5.3.2014 - 22 ZB 12.2174 - juris).
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Nach diesen Maßstäben durfte die Beklagte die negative Zukunftsprognose hinsichtlich der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers auf den der Verurteilung wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 1 und Abs. 4 Insolvenzordnung (InsO) zugrundeliegenden Sacherhalt, wie er vom Amtsgericht … ermittelt wurde, stützen. Danach ist der Kläger als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer einer UG nicht seiner Verpflichtung nachgekommen, innerhalb von drei Wochen für die von ihm vertretene UG einen Insolvenzantrag zu stellen, obwohl ihm bekannt war, dass diese zahlungsunfähig ist. Dieser gewerbebezogene Rechtsverstoß ist geeignet, die Unzuverlässigkeit des Klägers zu begründen. Aus dem Verhalten des Klägers wird deutlich, dass er den finanziellen Vorteil für die von ihm vertretene UG über die ihm als Geschäftsführer obliegende Verpflichtung zur unverzüglichen Stellung eines Insolvenzantrags gestellt hat und dabei in Kauf genommen hat, dass den Gläubigern der UG aufgrund des Risikos der Verringerung der Haftungsmasse ein erheblicher Schaden entstehen könnte. Dies lässt auf einen Charakter des Klägers schließen, der - obwohl seit Begehung der Tat einige Jahre vergangen sind und sich der Kläger seither nichts mehr zuschulden hat kommen lassen - die negative Zukunftsprognose, wie sie von der Beklagten angestellt wurde, trägt.
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b) Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung des Gewerbes bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen zu untersagen. Ein Ermessensspielraum steht der zuständigen Behörde insoweit grundsätzlich nicht zu. In Anbetracht des Verhaltens des Klägers, wie es der rechtskräftigen Verurteilung wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung zugrunde liegt, war die Untersagung der Gewerbeausübung auch zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich.
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c) Die Gewerbeuntersagung ist nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen kann (BVerwG, B.v. 19.1.1994 - 1 B 5/94 - juris). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines extremen Ausnahmefalls sind, auch unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen Umstände während der derzeitigen Coronakrise, im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
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2. Rechtsgrundlage für die Erweiterung der Gewerbeuntersagung auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie auf die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit ist § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO. Danach kann die Untersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist.
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a) Die Beklagte hat aus überzeugenden Gründen eine gewerbeübergreifende Unzu verlässigkeit des Klägers angenommen.
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Eine gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Gewerbetreibende Verpflichtungen verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten und nicht nur einen Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit haben. Dies ist beispielsweise bei steuerlichen Pflichtverletzungen und bei ungeordneten Vermögensverhältnissen der Fall (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6/14 - juris; U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff).
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Dass der Kläger nach den Feststellungen des Amtsgerichts … als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer einer UG nicht seiner Verpflichtung nachgekommen ist, innerhalb von drei Wochen für die von ihm vertretene UG einen Insolvenzantrag zu stellen, obwohl ihm bekannt war, dass diese zahlungsunfähig ist, und dabei in Kauf genommen hat, dass den Gläubigern der UG aufgrund des Risikos der Verringerung der Haftungsmasse ein erheblicher Schaden entstehen könnte, lässt auf einen Charakter des Klägers schließen, der - obwohl seit Begehung der Tat einige Jahre vergangen sind und sich der Kläger seither nichts mehr zuschulden hat kommen lassen - die Annahme rechtfertigt, dass er ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes oder anderer gewerblicher Tätigkeiten an den Tag legen würde.
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b) Die Erstreckung der Gewerbeuntersagung auf andere gewerbliche Tätigkeiten ist auch erforderlich.
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Erforderlich ist die Erstreckung der Gewerbeuntersagung, wenn zu erwarten ist, dass der Gewerbetreibende auf entsprechende andere gewerbliche Tätigkeiten ausweichen wird. Dabei folgt die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Gewerbeausübung schon daraus, dass der Gewerbetreibende trotz Unzuverlässigkeit an seiner gewerblichen Tätigkeit festgehalten hat, wodurch er regelmäßig seinen Willen bekundet hat, sich auf jeden Fall gewerblich zu betätigen. Die erweiterte Gewerbeuntersagung ist unter dem Gesichtspunkt wahrscheinlicher anderweitiger Gewerbeausübung schon dann zulässig, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende das andere Gewerbe in Zukunft ausübt, eine anderweitige Gewerbeausübung nach Lage der Dinge also ausscheidet (BVerwG, U.v. 15.4.2015 - 8 C 6/14 - juris; BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff). Solche besonderen Umstände sind im vorliegenden Fall weder vorgetragen noch ersichtlich.
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c) Ermessensfehler sind nicht ersichtlich, § 114 Abs. 1 VwGO.
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Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO steht im Ermessen der Behörde. Ist ein Gewerbetreibender in Bezug auf andere - nicht ausgeübte - gewerbliche Betätigungen unzuverlässig und ist die Untersagung auch hinsichtlich dieser Betätigungen erforderlich, so ist eine Ermessensentscheidung, die von der Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung Gebrauch macht, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht rechtswidrig, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, die anderweitige Gewerbeausübung sei so wahrscheinlich, dass sich die Untersagung auch darauf erstrecken soll (BVerwG, U.v. 2.2.1982 - 1 C 17/79 - BVerwGE 65, 9 ff). Eine Ermessenserwägung dieser Art lässt sich der angefochtenen Untersagungsverfügung entnehmen.
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d) Die Erweiterung der Gewerbeuntersagung ist nicht unverhältnismäßig. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Ausschluss eines gewerbeübergreifend unzuverlässigen Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsverkehr auch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner Ausprägung durch Art. 12 Grundgesetz in Einklang steht. Sind die Voraussetzungen auch der erweiterten Gewerbeuntersagung erfüllt, kann die Untersagung grundsätzlich nicht hinsichtlich der Folgen unverhältnismäßig sein (BVerwG, B.v. 12.1.1993 - 1 B 1/93 - juris). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines extremen Ausnahmefalls sind, auch unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen Umstände während der derzeitigen Coronakrise, im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
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3. Hinsichtlich der Bemessung der Frist zur Einstellung der Gewerbeausübung und hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung bestehen keine rechtlichen Bedenken.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Auch unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen Umstände während der derzeitigen Coronakrise, sind im vorliegenden Fall keine Gründe ersichtlich, die Berufung, wie vom Bevollmächtigten des Klägers beantragt, gemäß § 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen.