Inhalt

LG München I, Endurteil v. 27.08.2020 – 5 HK O 17731/19
Titel:

Nichtigkeit einer Aufsichtsratswahl bei unklarem Hauptversammlungsprotokoll

Normenkette:
AktG § 130 Abs. 2, § 241, § 246 Abs. 2 S. 2, § 249
Leitsätze:
1. Die Tatsache, dass mit der Klage die Nichtigkeit der Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats geltend gemacht wird, steht weder der Prozessfähigkeit noch der Wirksamkeit der Zustellung und damit der Rechtshängigkeit der Klage entgegen. Wenn das Gesetz ausdrücklich die Doppelvertretung anordnet, dann muss daraus zwingend die Schlussfolgerung gezogen werden, dass bei einer sich gegen die Wahl des Aufsichtsrats richtenden Nichtigkeitsfeststellungsklage die Gesellschaft dennoch im Verfahren vom Vorstand und vom Aufsichtsrat vertreten werden muss – anderenfalls würde die Verweisung keinen Sinn ergeben. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kann dem Protokoll im Wege der Auslegung ein eindeutiger Inhalt des Beschlusses nicht entnommen werden, so ist der Beschluss wegen eines Verstoßes gegen § 130 Abs. 2 S. 1 AktG nichtig.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Hauptversammlung, Aufsichtsratswahl, Nichtigkeitsklage, Prozessfähigkeit, Doppelvertretung, Hauptversammlungsprotokoll, eindeutiger Inhalt
Fundstellen:
AG 2021, 246
LSK 2020, 43072
BeckRS 2020, 43072

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.10.2019 zu Tagesordnungspunkt 10 über die Neuwahl von Herrn … Wa… als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat der Beklagten nichtig ist.
II. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.10.2019 zu Tagesordnungspunkt 12 über die Neuwahl von Herrn … W… als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat der Beklagten nichtig ist.
III. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.10.2019 zu Tagesordnungspunkt 14 über die Neuwahl von Herrn … M… als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat der Beklagten nichtig ist.
IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
VI. Der Streitwert wird auf € 50.000,- festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten mittels Beschlussmängelklage um die Wirksamkeit dreier Beschlüsse einer Hauptversammlung der Beklagten.
I.
2
1. Die über ein Grundkapital von € 986.112,- verfügende Beklagte, deren Aktien im Basic Board bzw. dem M:access der Börsen in Frankfurt am Main bzw. München gehandelt wurden, veröffentlichte im Bundesanzeiger vom 13.9.2019 die Einladung zu ihrer ordentlichen Hauptversammlung auf den 23.10.2019 (Anlage K 4). Der Aktionär … S… stellte mit Schreiben vom 19.9.2019 (Anlage B 14) unter Hinweis auf seine Beteiligung mit 65.000 Aktien an der Beklagten ein auf § 122 Abs. 2 AktG gestütztes Ergänzungsverlangen, mit dem er jeweils die Abberufung der zu diesem Zeitpunkt amtierenden Aufsichtsratsmitglieder Claus F. Vogt, Markus X… und Dr. O. V… begehrte; weiterhin möge die Hauptversammlung anstelle des jeweils abberufenen Mitglieds für die Restdauer des bisherigen Aufsichtsrat in den Aufsichtsrat Herrn … Wa…, Herrn … W… sowie Herrn … M… wählen. In dem Schreiben begründete er die Abberufungsverlangen zu den Tagesordnungspunkten 9, 11 und 13 und beschrieb den beruflichen Werdegang der drei von ihm vorgeschlagenen Kandidaten. Dem Schreiben beigefügt war eine Vollmacht „in Sachen S… gegen v… wegen Beratung“ vom 11.7.2019 und der Ortsangabe „S…-P…“ sowie eine weitere Vollmacht „in Sachen S… gegen v… wegen Beratung, insbesondere Verlangen nach § 122 Abs. 1, 2, 3 AktG“ mit dem Datum 7.8.2019 und der Ortsangabe „Berlin“. Beide Vollmachten trugen eine unleserliche Unterschrift. Nach Übergabe des Schreibens an die Kanzlei Z… mbB durch den Vorstand der Beklagten teilte Herr Rechtsanwalt Dr. … Z… mit Schreiben vom 23.9.2020 der Rechtsanwaltskanzlei N… unter anderem Folgendes mit:
„Sehr geehrter Herr Kollege N…,
Ihr auf den 19.09.2019 datiertes Schreiben liegt uns vor. Leider war diesem keine Vollmacht beigefügt, die ihre Vertretungsberechtigung nachweist. Wir bitten daher um Verständnis, dass wir den von Ihnen formulierten Antrag namens und im Auftrag unserer Mandantin wegen des fehlenden Vertretungsnachweises zurückweisen.
Soweit ein wirksamer Vertretungsnachweis vorliegt, wird der Vorstand unsrer Mandantin Ihren Antrag prüfen und über ihn entscheiden.
…“
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Die Rechtsanwaltskanzlei N… übermittelte mit Schriftsatz vom 23.9.2010 im Verfahren vor dem Amtsgericht - Registergericht - M…, Az. HRB 123226 die auf diese Kanzlei lautenden Vollmachten vom 11.7. und 7.8.2019, wobei eine weitere Vollmacht vom 7.8.2019 unter der Unterschrift auch den in Klammern gesetzten Zusatz „… S…“ aufwies; als Betreff war in dieser Vollmacht „Beratung, insbesondere Verlangen nach § 122 Abs. 1, 2, 3 AktG aufgeführt. Dieser Schriftsatz ging der Rechtsanwaltskanzlei Z… am 2.10.2019 zu. Daraufhin ließ der Vorstand der Beklagten das Ergänzungsverlangen am 4.10.2019 zur Veröffentlichung an den Bundesanzeiger übermitteln; die Veröffentlichung geschah dann am 8.10.2019.
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Die Satzung der Beklagten (Anlage K 2) enthielt unter anderem folgende Regelungen:
„IV. Aufsichtsrat
§ 7 Zusammensetzung, Wahl und Amtsdauer
(2) Soweit die Hauptversammlung nicht bei der Wahl einen kürzeren Zeitraum beschließt, werden die Mitglieder des Aufsichtsrats für die Zeit bis zur Beendigung der Hauptversammlung gewählt, die über die Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach der Wahl beschließt. Das Geschäftsjahr in dem gewählt wird, wird hierbei nicht mit eingerechnet. Eine Wiederwahl ist möglich. Die Wahl des Nachfolgers eines vor Ablauf seiner Amtszeit ausgeschiedenen Mitglieds erfolgt nur für den Rest der Amtszeit des ausgeschiedenen Mitglieds.
(4) Jedes Aufsichtsratsmitglied kann sein Amt unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten niederlegen. Die Niederlegung muss durch schriftliche Erklärung gegenüber einem Mitglied des Vorstands unter Benachrichtigung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats erfolgen. Das Recht zur Amtsniederlegung aus wichtigem Grund bleibt hiervon unberührt.“
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2. Am 23.10.2019 fand die Hauptversammlung der Beklagten statt, an der der Kläger, der seine Aktien bereits vor der Einberufung erworben hatte, von seinem nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vertreten wurde; dieser erklärte für den Kläger Widerspruch zur Niederschrift zu allen Beschlüssen der Hauptversammlung. Im Verlauf der Hauptversammlung verlas der Versammlungsleiter - Herr … X… als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender - die Tagesordnungspunkte, um die die Tagesordnung auf Antrag des Aktionärs … S… ergänzt wurde, in verkürzter Form und wies darauf hin, er erachte diese für nicht hinreichend bestimmt und werde sie in dieser Form nicht zur Abstimmung stellen. Ferner führte der Versammlungsleiter aus, es sei ein hinreichender Beschlussvorschlag durch einen Aktionär oder Aktionärsvertreter auf dieser Hauptversammlung mündlich zu stellen. Hierzu erklärte der Versammlungsleiter, er werde Herrn Rechtsanwalt N… später Gelegenheit geben, beispielsweise für den von ihm vertretenen Aktionär S… die entsprechenden Gegenanträge zu stellen; zudem bat er Herrn Rechtsanwalt N…, diese gegebenenfalls entsprechend vorzubereiten. Er bat für den Notar und das Back Office, diese Gegenanträge zusätzlich in ausformulierter Form zu übergeben. Vor der Eröffnung der Generaldebatte informierte der Versammlungsleiter die Teilnehmer der Hauptversammlung über die Erklärung aller amtierender Mitglieder des Aufsichtsrats, ihr Amt mit Ablauf der Hauptversammlung niederzulegen.
6
Rechtsanwalt S. stellte im weiteren Verlauf der Hauptversammlung als Aktionärsvertreter für Herrn … T… einen Gegenantrag zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 wie folgt:
„I. Tagesordnungspunkt 10
Der Aktionär schlägt vor,
Herrn … Wa…
als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat zu wählen.
Die Wahl erfolgt mit Wirkung ab Beendigung dieser Hauptversammlung bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung für das Geschäftsjahr 2020 beschließt.
II. Tagesordnungspunkt 12
Der Aktionär schlägt vor,
Herrn … W…,
als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat zu wählen.
Die Wahl erfolgt mit Wirkung ab Beendigung dieser Hauptversammlung bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung für das Geschäftsjahr 2020 beschließt.
III. Tagesordnungspunkt 14
Der Aktionär schlägt vor,
Herrn … M…,
als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat zu wählen.
Die Wahl erfolgt mit Wirkung ab Beendigung dieser Hauptversammlung bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung für das Geschäftsjahr 2020 beschließt.
IV. Begründung
Die Gegenanträge basieren auf den Formulierungen der Beschlussvorschläge der Gesellschaft aufgrund der Ergänzungsverlangens des Aktionärs … S…. Die Gesellschaft hat mit Veröffentlichung im Bundesanzeiger vom 08.10.2020 die heutige Tagesordnung entsprechend ergänzt. Nach diesseitigem Dafürhalten könnten jedoch die Beschlussvorschläge zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 zur Verdeutlichung und Klarstellung des Aktionariat aufgrund der Satzung der Gesellschaft in § 7 Abs. 2 Satz 4 und den aktienrechtlichen Vorschriften genauer gefasst werden. Damit können wir heute in der Hauptversammlung erreichen, dass unsere Gesellschaft ein Aufsichtsgremium mit neuen und fähigen Mitgliedern erhält.“
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Die notarielle Niederschrift, der dieser Gegenantrag als Anlage beigefügt war, enthielt dazu auf Seite 11 folgende Ausführungen:
„Es meldeten sich zu Wort:
1. Herr … Y…, Frankfurt, als Aktionärsvertreter für Frau … T…, Berlin (Stimmkarten-Nr. 1013);
Herr … Y… stellt einen Gegenantrag zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 der heutigen Hauptversammlung, beantragt die Tagesordnungspunkte 10, 12 und 14 klarstellend zu ändern und liest die geänderten Vorschläge vor und begründet diese. Die klarstellenden Änderungsvorschläge zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 der heutigen Hauptversammlung sind dieser Niederschrift als
Anlage 3
beigefügt.
…“
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Zu den Abstimmungen und der Feststellung des Beschlussergebnisses nahm der beurkundende Notar folgende Feststellungen in die notarielle Niederschrift auf den Seiten 20 bis 22 auf:
„Der Vorsitzende informierte die Aktionäre und Aktionärsvertreter darüber, dass er nunmehr die klargestellte Version der Gegenanträge des Aktionärs Herrn … S… zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 zur Abstimmung stellen werde und las den Beschlussvorschlag des Aktionärs Herrn … S… zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 vor. Die klarstellende Version der Gegenanträge des Aktionärs Herrn … S… zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 ist dieser Niederschrift als Anlage 3 beigefügt. Der Vorsitzende wies weiter darauf hin, dass über die Beschlussvorschläge des Aktionärs Herrn … S… zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 in Einzelabstimmung abgestimmt werde.
Sodann rief der Vorsitzende auf:
Tagesordnungspunkt 10
Beschlussfassung über die Neuwahl eines Aufsichtsratsmitgliedes
Der Vorsitzende gab der Hauptversammlung den Vorschlag des Aktionärs Herrn … S…, Herrn … Wa… als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat zu wählen bekannt. Er wies darauf hin, dass die Wahl mit Wirkung ab Beendigung der heutigen Hauptversammlung bis zur Beendigung der Hauversammlung, die über die Entlastung für das Geschäftsjahr 2020 beschließt, erfolge.
Der Vorsitzende stellte den klargestellten Gegenantrag des Aktionärs, Herrn … S… gemäß Anlage 3 zu dieser Niederschrift, Herrn … Wa… als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat zu wählen, zur Abstimmung.
Er bat die Aktionäre bzw. Aktionärsvertreter, die gegen den Vorschlag des Aktionärs Herrn … S… stimmen oder sich der Stimme enthalten möchten, den Stimmabschnitt „10“ aus dem Stimmabschnittbogen zu lösen und für den Sammelgang bereit zu halten. Aktionäre bzw. Aktionärsvertreter, die für den Vorschlag des Aktionärs Herrn … S… stimmen wollen, müssen keinen Stimmabschnitt abgeben“.
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In gleicher Weise enthielt die notarielle Niederschrift Ausführungen zu den Tagesordnungspunkten 12 über die Wahl von Herrn … W… sowie zu Tagesordnungspunkt 14 zur Beschlussfassung über die Neuwahl des Aufsichtsratsmitglieds … M….
10
Nach der Abstimmung gab der Versammlungsleiter das Abstimmungsergebnis zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 bekannt. In der notariellen Niederschrift ist dabei auf den Seiten 26/27 vermerkt, dass der klargestellte Gegenantrag des Aktionärs … S… zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 über die Wahl von Herrn … Wa…, von Herrn … W… und von Herrn … M… jeweils mit der erforderlichen stimmberechtigten Mehrheit angenommen worden sei. Der Vorsitzende teilte ferner mit, dass er die Ergebnisse festgestellt und bekannt gemacht habe. Anlage 5 zur notariellen Niederschrift enthielt die genaueren Abstimmungsergebnisse zu den einzelnen Tagesordnungspunkten, wobei sich zu Tagesordnungspunkt 10 dort folgende Feststellungen finden:
„Abstimmungsergebnis zu Tagesordnungspunkt 10.
Ich stelle fest und verkünde:
Die Abstimmung ergab bei 577.817 Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben wurden, dies entspricht 58,60 % des satzungsmäßigen Grundkapitals,
554.614 Ja-Stimmen (= 95,98 %) und
23.203 Nein-Stimmen (= 4,02 %) sowie
0 Enthaltungen.
Die Hauptversammlung hat zu Tagesordnungspunkt 10 „Beschlussfassung über die Neuwahl eines Aufsichtsratsmitgliedes - … Wa…“ den Beschlussvorschlag von Herrn … S… - wie im Bundesanzeiger vom 08.10.2019 veröffentlicht - mit der erforderlichen Mehrheit angenommen.“
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Entsprechende Feststellungen enthielt Anlage 5 zur notariellen Niederschrift auch zu den Tagesordnungspunkten 12 und 14 unter Hinweis auf den Beschlussvorschlag von Herrn … S…“ wie im Bundesanzeiger vom 08.10.2019 veröffentlicht.
II.
12
Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, die fehlerhafte Protokollierung der gefassten Beschlüsse führe jeweils zu deren Nichtigkeit. Es fehle die Beurkundung der festgestellten Beschlüsse angesichts der nicht korrekten Wiedergabe des Beschlussinhalts. Die notarielle Niederschrift verweise bei der Feststellung des bestimmten Abstimmungsergebnisses in ihrer Anlage 5 auf die im Bundesanzeiger vom 8.10.2019 veröffentlichen Beschlussvorschläge, während die klargestellte Fassung der Tagesordnungspunkte 10, 12 und 14 in der Fassung der Gegenanträge von Herrn T… zur Abstimmung gestellt worden sei. Auch wenn beide Fassungen die Wahl derselben Aufsichtsratsmitglieder zum Gegenstand habe, so liege ein Unterschied in unterschiedlich langen Amtszeiten. Zudem genüge das Protokoll angesichts des Fehlens der Angabe von Ja- und Nein-Stimmen nicht den gesetzlichen Anforderungen.
13
Die Beschlüsse über die Wahl seien aber angesichts der nicht unverzüglich erfolgten Bekanntmachung des Ergänzungsverlangens des Aktionärs S… erst 19 Tage nach dem Zugang bei der Gesellschaft zumindest für nichtig zu erklären. Es könne keinen vernünftigen Zweifel geben, dass die Ergänzungsverlangen vom 19.9.2019 von der Kanzlei N… im Namen des Aktionärs S… gestellte worden seien, was sich auch aus den beigefügten Bestätigungen der Bank Julius Bär ergebe. Die angeforderten Vollmachten seien bereits vor dem Schriftsatz des Amtsgerichts - Registergericht - M… direkt an die Beklagte versandt worden. Jedenfalls aber resultiere die Gesetzesverletzung aus dem Stattgeben eines verfristeten Einberufungsverlangen, weil der Vorstand dann mit einer erkennbar vorgeschobenen Formalie die Ergänzung der Tagesordnung bis über den Record Date hinaus verzögert habe; dadurch seien Aktionäre gehindert worden, durch Zukauf von Aktien ihr Stimmengewicht im Wissen um die für die Zusammensetzung des Aufsichtsrat entscheidenden neuen Tagesordnungspunkte zu vergrößern. Bei diesem Mangel bestehe auch die erforderliche Relevanz für die Beschlussfassung. Die Anfechtbarkeit resultiere weiterhin aus einem Verstoß gegen § 7 Abs. 4 Satz 1 der Satzung; es werde mit Nichtwissen bestritten, dass die Herren Vogt, X… und Dr. V… ihre Ämter unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten niedergelegt hätten. Angesichts des nicht erfolgten Verlusts der Aufsichtsratsmandate sei eine Wahl weiterer Mitglieder infolge der unterbliebenen Abstimmung zu den Beschlussanträgen zur Abberufung dieser drei Aufsichtsratsmitglieder nicht möglich gewesen.
14
Der Kläger beantragt daher:
I. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.10.2019 zu Tagesordnungspunkt 10 über die Neuwahl von Herrn … Wa… als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat der Beklagten nichtig ist.
II. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.10.2019 zu Tagesordnungspunkt 12 über die Neuwahl von Herrn … W… als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat der Beklagten nichtig ist.
III. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 23.10.2019 zu Tagesordnungspunkt 14 über die Neuwahl von Herrn … M… als Aufsichtsratsmitglied der Aktionäre in den Aufsichtsrat der Beklagten nichtig ist.
15
Der Kläger beantragt zudem hilfsweise:
Die Beschlüsse der ordentlichen Hauptversammlung zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 mit dem im Hauptantrag wiedergegebenen Inhalt werden für nichtig erklärt.
III.
16
Die Beklagte beantragt demgegenüber:
Klageabweisung.
17
Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, die Feststellungen des Versammlungsleiters seien ordnungsgemäß beurkundet worden. Dieser habe das jeweilige Abstimmungsergebnis unter Angabe des jeweiligen Beschlussergebnisses entsprechend Anlage 5 verkündet, wobei dies gerade unter Hinweis auf den für den Aktionär … T… gestellten Beschlussvorschlag erfolgt sei. Aus einer Zusammenschau der Ausführungen in der notariellen Niederschrift ergebe sich unzweifelhaft, dass der Notar die vom Versammlungsleiter festgestellten und verkündeten Beschlüsse habe protokollieren wollen und dies auch getan habe. Die Falschbezeichnung „wie im Bundesanzeiger vom 08.10.2019 veröffentlicht“ schade nicht; eine Verwechslung könne angesichts der Abstimmung ausschließlich über die Gegenanträge des Aktionärs T… nicht vorliegen. Die Abstimmungsergebnisse seien entsprechend der Teil der Niederschrift gewordenen Anlage 5 ordnungsgemäß protokolliert worden, wobei sich aus den Angaben in der Niederschrift zweifelsfrei das Abstimmungsergebnis ergebe.
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Ein zur Anfechtbarkeit führender Gesetzesverstoß lasse sich gleichfalls nicht bejahen. Die Veröffentlichung der Ergänzung der Tagesordnung am 8.10.2019 und damit nach dem Record Date rechtfertige dies nicht, weil die Unverzüglichkeit bei nicht börsennotierten Gesellschaften keine zeitliche Grenze finde. Der Beginn des angemessenen Prüfungszeitraums könne erst auf den 2.10.2019 datiert werden, weil der Aktionär S… die Bevollmächtigung der Kanzlei N… nicht ordnungsgemäß nachgewiesen habe. Jedenfalls lasse sich die Relevanz mit Blick auf die eine absolute Mehrheit darstellenden und für die Beschlussfassung stimmenden Aktionäre bzw. Aktionärsvertreter nicht bejahen. Die Relevanz fehle ebenso in Bezug auf die unterbliebene Angabe der Vorschriften, nach denen sich der Aufsichtsrat zusammensetze. Ein Verstoß gegen § 7 Abs. 4 Satz 1 der Satzung liege angesichts der jederzeit möglichen Niederlegung des Amtes eines Aufsichtsratsmitglieds nicht vor, was selbst bei Vorliegen eines satzungsmäßigen Erfordernisses eines wichtigen Grundes gelte. Angesichts der Vorwürfe in dem Schreiben über das Ergänzungsverlangen, die Aufsichtsratsmitglieder seien ihren Aufgaben nicht bzw. nur sorgfaltswidrig nachgekommen, sei ein Vertrauensverlust zu Tage getreten, der die Amtsniederlegung rechtfertige.
IV.
19
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9.7.2020 (Bl. 129/133 d.A.).

Entscheidungsgründe

I.
20
Die im Hauptantrag erhobene Nichtigkeitsfeststellungsklage ist zulässig und begründet.
21
1. Die Klage ist zulässig, wobei namentlich die Prozessfähigkeit der Beklagten im Sinne des § 51 Abs. 1 ZPO zu bejahen ist. Nach dieser Vorschrift bestimmt sich die Vertretung nicht prozessfähiger Parteien durch andere Personen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nachdem §§ 51 ff. ZPO keine davon abweichende Regelung enthalten. Dies bedeutet, dass die Beklagte in diesem Verfahren aufgrund von §§ 250 Abs. 3 Satz 1, 246 Abs. 2 Satz 2 AktG durch den Vorstand und den Aufsichtsrat vertreten wird und demnach prozessfähig ist. Die Tatsache, dass mit der Klage die Nichtigkeit der Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats geltend gemacht wird, steht weder der Prozessfähigkeit noch der Wirksamkeit der Zustellung und damit der Rechtshängigkeit der Klage entgegen. Wenn das Gesetz ausdrücklich die Doppelvertretung anordnet, dann muss daraus zwingend die Schlussfolgerung gezogen werden, dass bei einer sich gegen die Wahl des Aufsichtsrats richtenden Nichtigkeitsfeststellungsklage die Gesellschaft dennoch im Verfahren vom Vorstand und vom Aufsichtsrat vertreten werden muss - anderenfalls würde die Verweisung keinen Sinn ergeben (vgl. LG München I ZIP 2004, 853 = WM 2004, 880; Hüffer-Koch, AktG, 14. Aufl., § 250 Rdn. 14, Stilz in: BeckOGK, Aktiengesetz, Stand 1.7.2020, § 250 Rdn. 27).
22
2. Die Klage ist begründet, weil die Beschlüsse der Hauptversammlung zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 aufgrund von §§ 250 Abs. 1, 241 Nr. 2 AktG nichtig sind. Aufgrund der über die Verweisungsnorm des § 250 Abs. 1 AktG anwendbaren Vorschrift des § 241 Nr. 2 AktG ist ein Beschluss der Hauptversammlung nichtig, wenn er nicht nach § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG beurkundet ist. Aufgrund dieser Vorschrift sind in der Niederschrift unter anderem die Art und das Ergebnis der Abstimmung sowie die Feststellungen des Vorsitzenden über die Beschlussfassung anzugeben. Hiergegen wurde mit der Folge der Nichtigkeit der angegriffenen Beschlüsse verstoßen, weil unter Berücksichtigung des Normzwecks von § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG der notariellen Niederschrift der Inhalt des Beschlusses nicht mit der erforderlichen Klarheit zu entnehmen ist.
23
a. Die notarielle Protokollierung soll eine zweifelsfreie Dokumentation der Willensbildung der Hauptversammlung gewährleisten. Es liegt dabei im Interesse der Gesellschaft, der künftigen Aktionäre und der Gläubiger, dass dies in ordnungsgemäßer und Streitigkeiten ausschließender Weise geschieht (vgl. BGHZ 216, 110, 129 = NJW 2018, 52, 56 f. = NZG 2017, 1374, 1379 = AG 2018, 28, 33 = ZIP 2017, 2245, 2251 = WM 2017, 2263, 2269 = DB 2017, 2794, 2799 = BB 2017, 2889, 2894 = DNotZ 2018, 382, 393; Drescher in: BeckOGK, AktG, a.a.O., § 130 Rdn. 191). Demgemäß ist beim Ergebnis der Abstimmung auch die Feststellung eines Beschlusses mit einem bestimmten Inhalt zwingender Bestandteil des Protokolls; er muss mit seinem konkreten Inhalt aus Gründen der Rechtssicherheit klar festgehalten sein. Demgemäß muss das Protokoll den vom Versammlungsleiter festgestellten Inhalt wiedergeben (vgl. BGHZ 127, 107, 113 = NJW 1994, 3094, 3095 = AG 1994, 559, 561 = ZIP 1994, 1597, 1599 = BB 1994, 2091, 2092; BGHZ 216, 110, 123 = NJW 2018, 52, 55 = NZG 2017, 1374, 1377 = AG 2018, 28, 31 = ZIP 2017, 2245, 2248 = WM 2017, 2263, 2267 = DB 2017, 2794, 2797 = BB 2017, 2889, 2892 = DNotZ 2018, 382, 389; Drescher in: BeckOGK, AktG, a.a.O., § 130 Rdn. 195; Heidel in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 241 AktG Rdn. 7; Drinhausen in: Hölters, AktG, 3. Aufl., § 130 Rdn. 34; Noack/Zetzsche in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 130 Rdn. 4).
24
b. Unter Zugrundelegung dieses Normzwecks von § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG muss von Nichtigkeit der Beschlussfassungen ausgegangen werden, weil ein eindeutiger Inhalt des festgestellten Beschlusses nicht angenommen werden kann. Zwar wird die Niederschrift einer Auslegung zugänglich sein. Da dabei aber der Inhalt der gefassten Beschlüsse wiedergegeben wird, müssen dieselben Grundsätze zur Auslegung herangezogen werden wie für den Beschluss selbst.
25
(1) Bei dem Beschluss einer Hauptversammlung handelt es sich um ein mehrseitiges, aber nicht vertragliches Rechtsgeschäft eigener Art (vgl. Hüffer/Koch, AktG, 13. Aufl., § 133 Rdn. 3; Spindler in: Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 133 Rdn. 2; Rieckers in: Spindler/Stilz, AktG, 4. Aufl. § 133 Rdn. 3; Tröger in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 133 Rdn. 40; Dürr in: Wachter, AktG, 3. Aufl., § 133 Rdn. 2), weil die Aktionäre ihre Rechtsverhältnisse und die der Aktiengesellschaft durch eine verbindliche kollektive Willensbildung privatautonom regeln wollen, wobei die bloße Innenwirkung dem nicht entgegensteht. Demgemäß gelten die Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre auch hier, sofern nicht das Aktiengesetz Spezialregelungen enthält oder die Eigenart des Beschlusses etwas anderes gebietet. Dies bedeutet indes, dass die allgemeinen Vorschriften der §§ 133, 157 BGB über die Auslegung von Willenserklärungen keine Anwendung finden können. Es kommt daher weder auf den wirklichen Willen des Abstimmenden noch auf den objektiven Empfängerhorizont an der Hauptversammlung teilnehmenden Aktionäre an. Die Auslegung eines Hauptversammlungsbeschlusses richtet sich vielmehr nach dem Willen der Hauptversammlung, der - nachdem die subjektiven Vorstellungen einzelner Aktionäre nicht relevant sein können - durch eine objektive, aus der Sicht eines Dritten vorzunehmenden Auslegung zu bestimmen ist (vgl. OLG München AG 2008, 864, 869 = ZIP 2008, 1916, 1922 = WM 2008, 1971, 1977; LG München I AG 2015, 639, 640 = Der Konzern 2015, 453, 455; AG 2020, 448, 450 = ZIP 2020, 915, 917; Hüffer/Koch, AktG, a.a.O., § 133 Rdn. 4; Rieckers in: Spindler/Stilz, AktG, a.a.O., § 133 Rdn. 5; Tröger in: Kölner Kommentar zum AktG, a.a.O., § 133 Rdn. 53; Dürr in: Wachter, AktG, a.a.O., § 133 Rdn. 3; Spindler in: Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 133 Rdn. 2).
26
(2) Aus der Niederschrift sind unterschiedliche Beschlussinhalte zu entnehmen. Namentlich auf Seiten 21/22 wurde jeweils auf einen klargestellten Gegenantrag des Aktionärs … S… gemäß Anlage 3 hingewiesen, der nach dem Inhalt der Niederschrift zur Abstimmung gestellt wurde. Diese Aussage ist allerdings bereits deshalb unklar, weil objektiv über den Gegenantrag des Aktionärs T… abgestimmt wurde. Ganz entscheidend ist aber, dass bei der Feststellung der Abstimmungsergebnisse in Anlage 5 bei der erforderlichen Wiedergabe der Stimmenzahlen auch ausgeführt wurde, die Hauptversammlung habe zu den Tagesordnungspunkten 10, 12 und 14 jeweils den Beschlussvorschlag des Aktionärs … S… entsprechend der Veröffentlichung im Bundesanzeiger vom 8.10.2019 mit der erforderlichen Mehrheit angenommen. Dies bedeutet indes einen unauflösbaren Widerspruch zu dem Beschlussvorschlag, der zur Abstimmung gestellt wurde. Allein der Umstand, dass der Versammlungsleiter zunächst ausführte, was auch in der Niederschrift enthalten ist, den ursprünglichen Beschlussvorschlag von Herrn S… nicht zur Abstimmung stellen zu wollen, führt indes nicht dazu, dass die künftigen Aktionäre und die Gläubiger der Gesellschaft zwingend ermitteln können, welcher Beschluss in der Hauptversammlung gefasst wurde, nachdem die beiden Fassungen auch unterschiedlich lange Laufzeiten aufwiesen. Anders als in dem Urteil des II. Zivilsenats des BGH vom 10.10.2017, Az. II ZR 375/15 (BGHZ 216, 110, 129 f. = NJW 2018, 52, 57 = NZG 2017, 1374, 1379 = AG 2018, 28, 34 = ZIP 2018 2245, 2251 = WM 2017, 2263, 2269 = DB 2017, 2794, 2800 = BB 2017, 2889, 2894 = DNotZ 2018, 382, 392) bleiben erhebliche Zweifel darüber, für welche Amtszeit die drei im Gegenantrag benannten Mitglieder des Aufsichtsrats gewählt werden sollten. Der Zweck der eindeutigen Dokumentation der Willensbildung der Gesellschaft ist dann aber nicht zweifelsfrei und in Streit ausschließender Weise dokumentiert. Außerhalb der notariellen Niederschrift liegende Umstände zur Auslegung des Beschlussinhalts regelmäßig nicht herangezogen werden. Daher kann es nicht darauf ankommen, dass zwischen den Parteien dieses Verfahrens unstreitig ist, welcher Beschluss mit welchem Inhalt gefasst wurde.
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Aus diesem Grund musste die Nichtigkeitsfeststellungsklage Erfolg haben, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme, inwieweit die weiteren Anfechtungsgründe, die die hilfsweise erhobene Anfechtungsklage stützen sollen, Erfolg haben.
II.
28
1. Die Entscheidung über die Kosten hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO; als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
29
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
30
3. Der Streitwert war in Anwendung von §§ 247 Abs. 1 AktG, 5 ZPO festzusetzen.