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OLG München, Beschluss v. 19.02.2020 – 25 U 6335/19
Titel:

Altersgrenze bei Kostenerstattungspflicht für eine Kinderwunschbehandlung in der privaten Krankenversicherung

Normenkette:
SGB V § 27 a
Leitsatz:
Eine Regelung in den Versicherungs- oder Tarifbedingungen eines privaten Krankenversicherers, wonach eine Kostenerstattung für eine In-Vitro-Fertilisation voraussetzt, dass zum Zeitpunkt der Behandlung die Frau das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist wirksam. (Rn. 10 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kostenerstattung, Krankenversicherung, Erfolgswahrscheinlichkeit, Altersgrenze, Selbstbestimmungsrecht, In-vitro-Fertilisation
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 25.10.2019 – 26 O 1183/19
Fundstelle:
BeckRS 2020, 4269

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 25.10.2019, Aktenzeichen 26 O 1183/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die beklagte Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.400,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt Feststellung, dass die Beklagte, seine private Krankenversicherung, verpflichtet ist, Kosten für eine Sterilitätsbehandlung für einen Kinderwunsch des Klägers mit seiner über 40 - jährigen Ehefrau zu tragen. Die Parteien streiten vor allem darüber, ob die Regelung in den vereinbarten Versicherungsbedingungen nach denen eine Erstattungsfähigkeit voraussetzt, dass zum Zeitpunkt der Behandlung die Frau das 40. und der Mann das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wirksam ist. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Bezug genommen (Bl. 41,42 d.A.).
2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Nach Auffassung des Landgerichts ist die der Regelung für die gesetzliche Krankenversicherung (§ 27 a SGB V) vergleichbare Regelung in den vorliegend zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungsbedingungen wirksam. Sie verstoße nicht gegen europäisches Recht oder auch das AGG. Auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils (Blatt 43-45 der Akten) wird Bezug genommen.
3
Der Kläger verfolgt mit der Berufung sein Begehren weiter. Auf die Berufungsbegründung vom 20.12.2019 (Bl. 59/63 d.A.) und die Gegenerklärung vom 14.02.2020 (Bl. 72/74 d.A.) wird Bezug genommen.
4
Der Kläger stellt im Berufungsverfahren folgende Anträge:
I. Das Urteil des LG München I vom 25.10.2019 (Az 26 O 1183/19) wird aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei in tarifgemäßem Umfang sämtliche Heilbehandlungs - und Arzneimittelkosten für Sterilitätsbehandlung in Form der kombinierten IVF/ICSI - Behandlung zu erstatten und zwar für 4 Behandlungszyklen und deren Gesamtkosten (Aufwendungen für ärztliche Behandlungsmaßnahmen am Körper des Klägers, am Körper der Partnerin des Klägers und extrakorporale Maßnahmen sowie Aufwendungen für Medikamente), die bis 01.09.2020 durchgeführt werden.
III. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Euro 633,32 (vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten als Nebenforderung) zu zahlen.
5
Die Beklagte stellt im Berufungsverfahren folgenden Antrag:
Die Berufung der Klagepartei wird zurückgewiesen.
6
Der Senat hat mit Beschluss vom 28.01.2020 (Bl. 65/71 d.A.) auf seine Absicht, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, hingewiesen.
II.
7
Die Berufung gegen das im Tenor bezeichnete Urteil ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
8
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
9
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
10
Zutreffend ist zwar, dass der Versicherungsfall eines (kranken) Mannes mit einer unter 40-jährigen Partnerin anders behandelt wird wie der eines (kranken) Mannes mit einer über 40-jährigen Partnerin. Die Ungleichbehandlung ist jedoch sachlich gerechtfertigt. Wie im Hinweisbeschluss bereits ausgeführt hat die Beklagte ein (gerechtfertigtes) Interesse, ab einem gewissen Alter - bei statistisch geringerer Erfolgswahrscheinlichkeit - in eine Prüfung überhaupt nicht mehr eintreten zu müssen und ihr Kostenrisiko gering zu halten. Mit zunehmendem Alter nimmt die Erfolgswahrscheinlichkeit ab. Das Landgericht hat insoweit - von der Berufung unbeanstandet - ausgeführt, dass die Wahrscheinlichkeit bei unter 35 - jährigen Frauen bei über 30% liegt und bei Frauen im 40. Lebensjahr auf 18% absinkt. Damit geht einher, dass die relevante und versicherungsmathematische auf statistischen Daten beruhende Risikobewertung für die Altersgrenze entscheidend ist. Offensichtlich ist, dass wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit sinkt, sich dadurch gleichzeitig die Zahl der erforderlichen Versuche erhöht, was zu einer Kostensteigerung führt. Das Leistungsversprechen der Beklagten berücksichtigt damit zulässigerweise die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau. Die mit steigendem Alter der Frau abnehmende Erfolgsquote einer Schwangerschaft ist senatsbekannt und ergibt sich auch aus dem - von der Beklagten in Bezug genommenen (Bl. 20 d.A.) - IVF - Register (dort: Statistik über die Schwangerschaftsraten und Schwangerschaftsverläufe in Abhängigkeit vom Alter der Frau), wobei maßgebend die Statistik die zur Zeit des Vertragsschlusses veröffentlicht war, ist, da die Wirksamkeit der verwendeten Klausel sich nach dem Zeitpunkt der Vereinbarung richtet; spätere Statistiken führen nicht zur nachträglichen Unwirksamkeit einer ursprünglich wirksam vereinbarten Regelung. Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die - pauschale - Kalkulation der Beklagten risikoadäquat ist; dass aufgrund der aufgeführten Erwägungen die Altersgrenzen eingeführt wurden, liegt auf der Hand.
11
Entsprechendes gilt auch im - von der Gegenerklärung angeführten - Fall einer 39-jährigen versicherten (kranken) Frau, die Versicherungsschutz erhalten würde im Vergleich zu einer 41-jährigen versicherten (kranken) Frau, für die die Beklagte nicht eintrittspflichtig wäre.
12
Auf das Selbstbestimmungsrecht der klagenden Ehegatten bzw. des Klägers und seiner Partnerin kann nicht abgestellt werden. Beiden steht es frei, zu versuchen sich einen Kinderwunsch in fortgeschrittenem Alter unter Inkaufnahme altersspezifischer Risiken zu erfüllen. Das bedeutet aber nicht, dass die Beklagte die Kosten hierfür zu erstatten hätte. Maßgeblich für diese Frage ist alleine die vertragliche Vereinbarung und die Leistungszusage der Beklagten.
13
Die in der Gegenerklärung zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs befasst sich nicht mit vertraglich vereinbarten Altersgrenzen, sondern mit der Erfolgsaussicht der Behandlung. Kernaussage der Entscheidung ist, dass für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer In-vitro-Fertilisation deren Erfolgsaussichten grundsätzlich nur am Behandlungsziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft zu messen sind (und die Abortrate ist nicht maßgebend ist - BGH, Urteil vom 04.12.2019 - Az. IV ZR 323/18, juris Rn. 14). In diesem Zusammenhang wurde ausgeführt, dass aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Kinderwunsch nicht auf seine Notwendigkeit hin gerichtlich überprüft werden kann und dass auch die Inkaufnahme des Risikos einer Fehlgeburt und einer hiermit verbundenen seelischen Belastung dem Selbstbestimmungsrecht unterliegt. Daraus ergibt sich aber nicht, dass das Selbstbestimmungsrecht dazu führt, dass der Versicherer vertraglich nicht zugesagte Leistungen zu erbringen hätte.
14
Bei dieser Sachlage kommt es auf die im Beschluss vom 28.01.2020 zusätzlich angestellten Überlegungen in Hinblick auf die Kindernachversicherungspflicht, an denen der Senat nicht festhält, für die vorliegend infrage stehende Beurteilung nicht an.
15
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1 (Kosten), § 708 Nr. 10, 711 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit) und §§ 47, 48 GKG (Streitwert).