Titel:
Keine Befreiung von gesetzlich vorgeschriebenen baulichen Mindestanforderungen für Altenheim
Normenketten:
BayPfleWoqG Art. 1, Art. 3 Abs. 2
AVPfleWoqG § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 2, § 8 Abs. 1, § 50 Abs. 1
HeimMindBauV § 31 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei der Definition des Begriffs der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner in § 50 Abs. 1 S. 1 AVPfleWoqG ist auf die gesetzlichen Vorgaben des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes und die Ausführungsverordnung dazu sowie auf die Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen abzustellen. (Rn. 65, 70 und 76) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Abweichung von den Mindestgrößen bei Einzel- und Doppelzimmern um mehr als 1 m² ist in der Regel nicht mit den Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar. (Rn. 87) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine besonders gute Personalausstattung, die eine besonders intensive Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner ermöglicht, kann nicht zu dem Ergebnis führen, eine Unterschreitung der Mindestanforderungen an die Barrierefreiheit und Rollstuhlgerechtigkeit sei mit den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar. (Rn. 92) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Befreiung von der Vorgabe, dass jeder Wohn-Schlaf-Raum einen direkten Zugang oder einen Zugang über einen Vorraum zu einem Sanitärraum haben muss, entspricht nicht den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner. (Rn. 94) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Heimrecht, stationäre Einrichtung, Qualitätsanforderungen, Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen, Wohnplätze, Größe, Zugang zu einem Sanitärraum, Barrierefreiheit, Nutzbarkeit mit Rollstuhl, wirtschaftliche Unzumutbarkeit, Interessen und Bedürfnisse der Bewohner, Vereinbarkeit, Ermessen, Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen, Waschplatz im Wohn-Schlaf-Raum, keine Kompensation der Barrierefreiheit durch hilfsbereites Personal, keine Kompensation der Unterschreitung baulicher Mindestanforderungen durch besondere Lage der Einrichtung, Altenheim, bauliche Mindestanforderungen, Befreiung, Sanitärraum, Kompensation, Personal, Lage
Fundstelle:
BeckRS 2020, 42314
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin betreibt das Alten- und Pflegeheim … (im Folgenden: Altenheim) in … Die Beteiligten streiten um die Befreiung von den für Altenheime gesetzlich vorgeschriebenen baulichen Mindestanforderungen.
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Die Klägerin ist eine rechtsfähige, örtliche Stiftung des öffentlichen Rechts (§ 1 der Satzung vom 19.12.2013). Der Satzungszweck wird insbesondere verwirklicht durch den Betrieb eines Alten- und Pflegeheims in … (§ 2 Nr. 2 Satz 2 der Satzung). Nach § 8 Abs. 1 der Satzung wird die Stiftung von der Stadt … verwaltet.
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Gemäß dem für das Altenheim aufgestellten Pflegekonzept vom 2. Juli 2009, zuletzt geändert am 3. Februar 2017, finden alle Personen, auch mit de-menziellen Erkrankungen, die pflegebedürftig sind, Aufnahme in das Altenheim, wobei jedoch im Einzelfall durch die Pflegedienstleitung entschieden wird, für welche Person die Möglichkeit einer fachlichen Betreuung gegeben ist. Unter anderem Personen mit Weglauftendenzen sind von der Aufnahme ausgeschlossen. Erklärtes Ziel des Pflegekonzepts ist die Erhaltung der Selbständigkeit der Bewohner.
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Das Altenheim wird in einem im Jahr 1854 errichteten, zuletzt in den Jahren 1999 bis 2004 modernisierten denkmalgeschützten Gebäude, welches sich in der Kernstadt von … befindet, betrieben. Es weist verteilt auf drei Stockwerke 24 Einzelzimmer, 7 Doppelzimmer und 1 Ausweichzimmer für Notfälle auf, in denen insgesamt 38 Personen aufgenommen werden können. 30 Heimplätze sind barrierefrei, 22 uneingeschränkt rollstuhlgeeignet. Ein Aufzug ist vorhanden.
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Die Einzelzimmer weisen folgende Grundflächen auf:
Erdgeschoss: 14,79 m², 14,61 m², 11,42 m² (Ausweichzimmer), 13,43 m².
1. Obergeschoss: 14,79 m², 14,46 m², 11,27 m², 13,39 m², 13,80 m², 14,44 m², 13,71 m², 14,61 m², 13,22 m², 12,90 m².
2. Obergeschoss: 16,53 m², 17,02 m², 14,46 m², 13,80 m², 13,45 m², 14,42 m², 14,41 m², 14,60 m², 14,02 m², 14,29 m², 14,15 m².
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Die Doppelzimmer weisen folgende Grundflächen auf:
1. Obergeschoss: 26,01 m², 16,84 m², 17,77 m², 23,50 m².
2. Obergeschoss: 18,21 m², 19,16 m².
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Sämtliche Einzel- und Doppelzimmer weisen Waschbecken auf, jedoch keine Nasszellen. Im Erdgeschoss sind ein Pflegebad mit WC und Dusche und zwei zusätzliche Bewohner-WCs (nicht barrierefrei) vorhanden, im 1. Obergeschoss ein Pflegebad mit Dusche und WC, ein Bewohner-WC (nicht barrierefrei) sowie zwei weitere Bewohner-WCs, im 2. Obergeschoss ein Pflegebad mit Dusche und WC, zwei weitere Duschen mit WC, ein Bewohner-WC (nicht barrierefrei) sowie ein weiteres Bewohner-WC. Darüber hinaus sind Gemeinschaftsräume, ein Therapieraum, Räume zur Speisenversorgung, zur Lagerung und für die Verwaltung, Teeküchen, Schwesternzimmer und ein Personalraum vorhanden.
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Die den in den Jahren 1999 bis 2004 durchgeführten Umbau- und Sanierungsmaßnahmen zugrundeliegende Baugenehmigung vom 13. Februar 1996 weist darauf hin, dass der gesamten Bauausführung die Neufassung der Verordnung über bauliche Mindestanforderungen für Altenheime und Pflegeheime für Volljährige (Heimmindestbauverordnung) zugrunde zu legen ist.
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Auf der Grundlage der zum 1. September 2006 in Kraft getretenen ersten Stufe der Föderalismusreform ging die Gesetzgebungskompetenz für die ordnungsrechtlichen Vorschriften auf dem Gebiet des Heimrechts vom Bund allein auf die Länder über. Auf dieser Grundlage erließ der Freistaat Bayern anstelle des zuvor gültigen Heimgesetzes das Pflege- und Wohnqualitätsgesetz einschließlich einer entsprechenden Ausführungsverordnung.
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Die Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz weist verschiedene höhere bauliche Anforderungen an stationäre Einrichtungen auf als die zuvor gültige Heimmindestbauverordnung.
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Auf der Grundlage der Erkenntnis, dass das Altenheim nicht den baulichen Anforderungen der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz entspricht, wurden ab Januar 2016 verschiedene Gespräche zwischen dem Bürgermeister der Stadt … als Vertreter der Klägerin und der Beklagten geführt.
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Mit Schreiben vom 18. Juli 2016 beantragte die Klägerin für die Herstellung eines detaillierten Abweichungsantrages zu einer weiteren Nutzung des Altenheimes in den nächsten fünf Jahren bis August 2021 die Verlängerung des Abgabetermins. Ein Befreiungsantrag könne nicht vor Ende November 2016 gestellt werden.
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Mit Schreiben vom 4. August 2016 beantragte die Stadt … für die Klägerin beim Beklagten eine Verlängerung der Angleichungsfrist (§ 10 AVPfleWoqG) für das Altenheim bis maximal 25 Jahre.
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Unter dem 20. Oktober 2016 begründete die Stadt … diesen Antrag damit, das Altenheim sei gemütlich und überschaubar und biete 38 pflegebedürftigen Menschen Geborgenheit und eine familiäre Atmosphäre. Für den Fortbestand des Altenheims müsse um alle Möglichkeiten für eine längere Zulassung oder auch Befreiung nach § 50 AVPfleWoqG gerungen werden. Nach der gesetzlich vorgesehenen im Jahr 2016 auslaufenden fünfjährigen Angleichungsfrist könne auf Antrag eine längere angemessene Frist zur Angleichung an die einzelnen Anforderungen eingeräumt werden, maximal 25 Jahre nach In-Kraft-Treten der Ausführungsverordnung. Zudem könnten nach § 50 AVPfleWoqG Befreiungen und Abweichungen von den baulichen Mindestanforderungen gewährt werden. Das Haus sei im Jahr 2004 mit großem Aufwand nach den damaligen Vorgaben der Behörde generalsaniert worden. Es müsste geschlossen werden, da weder die Klägerin noch die Stadt … die notwendigen Investitionen von etwa vier Millionen EUR für einen Umbau stemmen könnten. Sie seien auch nicht in der Lage, bei einer Reduzierung der Bettenzahl von jetzt 39 (sic) auf dann vermutlich ca. 26 Betten den jährlichen Fehlbetrag von geschätzten 200.000,00 EUR bis 250.000,00 EUR zu tragen.
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Mit Schreiben vom 18. November 2016 machte der Beklagte Ausführungen zur beantragten Fristverlängerung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG für 25 Jahre und zur beantragten Befreiung gemäß § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG. Eine der gesetzlich vorgegebenen Voraussetzungen für eine Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen sei die Vereinbarkeit mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner. Dies werde bei fehlender Barrierefreiheit, Ungeeignetheit von Zimmern für Rollstuhlfahrer und fehlenden Nasszellen nicht gegeben sein. Eine Fristverlängerung von fünf bis zehn Jahren könne unter bestimmten Voraussetzungen in Aussicht gestellt werden; bei Fristende müssten die nötigen Umbaumaßnahmen realisiert werden.
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Mit Schreiben vom 24. Februar 2017 begründete die Stadt … den Antrag auf Befreiung damit, für die Sanierungsmaßnahmen in den Jahren 1999 bis 2004 seien Kosten von insgesamt 3.251.000,11 EUR entstanden, welche von der Regierung von Unterfranken, dem Bezirk Unterfranken und vom Landkreis Bad Kissingen gefördert worden seien. Die Bewilligung der Fördermittel durch die Regierung von Unterfranken und den Landkreis sei mit der Maßgabe erfolgt, dass die geförderten Pflegeplätze mindestens 30 Jahre entsprechend dem Nutzungszweck verwendet werden würden. Die Zweckbindung ende im Januar 2034. Der Modernisierungszyklus für Pflegeeinrichtungen betrage bei intensiver Nutzung der Einrichtung 25 bis 30 Jahre. Nach der zum 1. September 2011 in Kraft getretenen Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz sei eine Barrierefreiheit entsprechend DIN 18040-2 erforderlich; ein Einzelwohnplatz müsse mindestens 14 m² (bisher 12 m²), ein Wohnplatz für zwei Personen mindestens 20 m² (bisher 18 m²) Größe ohne zugehörigen Sanitärraum und ohne Vorraum aufweisen. Der gesetzlich geforderte angemessene Anteil von Einzelwohnplätzen sei gemäß einem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege bei einem Einzelplatzanteil von 75% anzusetzen. Ein angemessener Anteil an rollstuhlgerechten Bewohnerzimmern und -bädern liege bei 25% (sog. R-Anteil). Für die diesbezügliche Angleichung von Bestandsbauten sei eine gesetzliche Frist von fünf Jahren vorgesehen, die auf bis zu 25 Jahre verlängert werden könne. Auch könnten Anträge auf Abweichung und Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen unabhängig von der Angleichungsfrist beantragt werden.
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Es bestehe die Möglichkeit, das 11,27 m² große Einzelzimmer im 1. Obergeschoss künftig als Nasszelle mit Dusche und WC zu verwenden. Für die weiteren nunmehr zu kleinen Einzel- und Doppelzimmer sei eine Befreiung erforderlich. Gemäß den pflegefachlichen Vorgaben des Pflegekonzepts seien die Bewohner beim Toilettengang sowie beim Duschen und Baden vom Pflege- und Betreuungspersonal im gebotenen Umfang über 24 Stunden rund um die Uhr unterstützt. Zahlreiche diesbezügliche Hilfsmittel stünden zur Verfügung. Bei einer möglichen Reduzierung der Pflegeplätze von 38 auf 36 ergäben sich Investitionskosten in Höhe von 319,11 EUR pro Monat für einen Doppelzimmerplatz und 413,08 EUR pro Monat für einen Einzelzimmerplatz. Für einen Umbau nach den Vorgaben der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz und nach der DIN 18040-2 entstünden Kosten von etwa 4 bis 4,3 Millionen EUR. Die Platzzahl reduziere sich auf 25 Plätze zuzüglich Ausweichzimmer. Die Investitionskosten bei einer Generalsanierung lägen künftig bei 9.200,00 EUR pro Pflegeplatz und Jahr, also bei etwa 766,00 EUR pro Monat. Die Klägerin habe nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, diese Kosten zu stemmen. Mit 25 Plätzen lasse sich die Einrichtung nicht mehr wirtschaftlich führen. Nach der Umlage der Investitionskosten auf die Bewohner sei die Stiftung nicht mehr marktfähig. Demgegenüber sei das Altenheim zur Versorgung der Region bedarfsnotwendig. Zugunsten der Bewohner und deren Angehörigen müssten belastende Auswirkungen in der letzten Lebensphase wie steigende Kostensätze oder Umzüge aufgrund von Baumaßnahmen vermieden werden.
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Die Untere Denkmalschutzbehörde nahm auf eine entsprechende Anfrage des Beklagten hin dahingehend Stellung, im Inneren des Altenheimes sei keine historische Bausubstanz betroffen, so dass die erforderlichen Umbaumaßnahmen durchgeführt werden könnten. Eine Vergrößerung der Fenster der wohlproportionierten Fassade würde das Einzeldenkmal entstellen. Dies sei aus gewichtigen Gründen des Denkmalschutzes abzulehnen.
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Mit Bescheid vom 5. Januar 2018 lehnte der Beklagte den Antrag auf Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen nach dem Pflege- und Wohnqualitätsgesetz bzw. der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz vom 24. Februar 2017 für die stationäre Einrichtung „Altenheim …“ ab (Ziffer 1) und erteilte aus denkmalschutzrechtlichen Gründen eine Befreiung von der Brüstungshöhe und den Griffhöhen der Fenster (Ziffer 2). Zur Begründung wurde ausgeführt, das Altenheim erfülle die folgenden Anforderungen des Ausführungsgesetzes zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz in Verbindung mit der DIN 18040-2 nicht:
- Erfüllung der geforderten 25%-Quote von Rollstuhlzimmern,
- Erfüllung der Einzelzimmerquote von 75%,
- fehlende Nasszellen in allen Bewohnerzimmern,
- Nasszellen nur über Flur/Gang erreichbar bzw. nutzbar,
- einige Zimmer unter der geforderten Mindestgröße des Wohn- und Schlafraums der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz und sogar der Heimmindestbauverordnung.
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In Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens könne dem Antrag auf Befreiung nicht stattgegeben werden, da viele auch besonders bedeutende Mindestanforderungen nicht erfüllt seien. Unter Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner sei mit Blick auf die örtlichen Gegebenheiten eine Ablehnung des Befreiungsantrages verbunden mit einer weiteren Fristverlängerung von fünf Jahren gemäß gesondertem Bescheid angemessen. Abweichungen gemäß § 50 Abs. 2 AVPfleWoqG seien nicht anhängig, da es hier an einer Begründung gemäß dem fachlichen Konzept fehle. Das vorliegende Pflegekonzept der Klägerin sehe unter anderem die Unterstützung der Bewohner beim Toilettengang sowie Duschen und Baden durch das Pflege- und Betreuungspersonal im gebotenen Umfang über 24 Stunden vor; dies sei in einer Pflegeeinrichtung jedoch Standard. Dieses Konzept könne den fehlenden direkten Zugang zu einem Sanitärraum vom Bewohnerzimmer nicht ersetzen. Eine Abweichung gemäß § 50 Abs. 2 PfleWoqG dürfe nach der Begründung zur Ausführungsverordnung nicht dazu führen, dass die in der Verordnung vorgegebenen Mindestanforderungen im baulichen Bereich ausgehöhlt würden.
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Eine Befreiung nach § 50 Abs. 1 PfleWoqG könne nicht erteilt werden. Die baulichen Mindestanforderungen dienten dem Schutz der älteren und pflegebedürftigen Menschen. Im vorliegenden Fall seien die Hauptprobleme hinsichtlich der baulichen Mindestanforderungen die fehlenden Sanitärräume in den Bewohnerzimmern, die Größe und Ausstattung der vorhandenen WC-Räume/Nasszellen auf den Fluren sowie die damit einhergehenden Rollstuhlanforderungen. Hinzu kämen die teilweise nicht gegebene Barrierefreiheit und Bewegungsfläche für Rollstuhlfahrer sowie der dementsprechend nicht vorhandene Anteil an Bewohnerzimmern, die den R-Anforderungen entsprächen.
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Aufgrund einer dem Befreiungsantrag beigefügten Konzeptentwicklung sei ersichtlich, dass ein Umbau des Altenheims unter Berücksichtigung der Vorgaben der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz und der DIN 18040-2 grundsätzlich technisch im Gebäudebestand möglich sei. Jedes Bewohnerzimmer, mit Ausnahme des Ausweichzimmers, könne mit einer eigenen Nasszelle versorgt werden. Auch könnten die vorgegebenen Zimmergrößen und die Rollstuhlvorgaben eingehalten werden. Aus diesen Gründen scheide eine Befreiung aufgrund technischer Unmöglichkeit nach § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG aus.
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Gemäß der Aussage der Unteren Denkmalschutzbehörde seien diese Umbauarbeiten im Inneren des Hauses zulässig. Deshalb scheide eine Befreiung aufgrund denkmalschutzrechtlicher Gründe aus.
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Aus den dem Befreiungsantrag beigefügten Unterlagen seien die Kostenschätzung für eine Generalsanierung und die damit einhergehenden Steigerungen der Investitionskosten sowie die daraus resultierenden Verluste von Bewohnerplätzen ersichtlich. Im Landkreis Bad Kissingen gebe es neben dem Altenheim der Klägerin auch „kleinere Einrichtungen“, die seit Jahren eine Größe und Struktur aufwiesen, die derjenigen nach einem möglichen Umbau des vorliegenden Altenheims vergleichbar sei.
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Das Pflege- und Wohnqualitätsgesetz schütze die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Einrichtungen. Wenn ein würdevoller Umgang mit ihnen aufgrund baulicher Gegebenheiten nicht ermöglicht werden könne, dürfe eine Interessenabwägung nicht zu Lasten der Schutzbedürftigen ausfallen, selbst wenn hierdurch existenzielle Nachteile für den Träger erwüchsen.
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Mit weiterem Bescheid vom 5. Januar 2018 lehnte der Beklagte den Antrag auf Fristverlängerung vom 4. August 2016 für 25 Jahre zur Angleichung an die baulichen Mindestanforderungen nach dem Pflege- und Wohnqualitätsgesetz bzw. der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz für das Altenheim ab (Ziffer 1) und verlängerte für das Altenheim die Frist zur Umsetzung der baulichen Mindestanforderungen bis zum 31. August 2021 (Ziffer 2). Zudem wurde angeordnet, die im Erhebungsbogen vom 20. Februar 2017 nicht erfüllten baulichen Kriterien ab dem 1. September 2021 zu erfüllen (Ziffer 3), das zu kleine Einzelzimmer 103 (11,27 m²) nach dem Auszug des Bewohners nicht mehr als Bewohnerzimmer zu belegen und die beiden bisherigen Doppelzimmer 113 (16,84 m²) und 114 (17,77 m²) spätestens ab dem Auszug eines Bewohners nur noch als Einzelzimmer zu belegen sowie das bisherige Ausweichzimmer (11,42 m²) ab Bestandskraft des Bescheides nicht mehr als Ausweichzimmer zu nutzen (Ziffer 6).
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Mit Schreiben vom 6. Februar 2018 ließ die Klägerin Widerspruch gegen die Bescheide vom 5. Januar 2018 erheben und hinsichtlich des Bescheides zur Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen damit begründen, die Erfüllung der baulichen Mindestanforderungen sei aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar. Derzeit koste ein Einzelzimmer pro Tag 13,00 EUR, ein Doppelzimmer 10,00 EUR. Nach der Generalsanierung würde der Preis eines Pflegeplatzes um 26,51 EUR pro Tag steigen; nach Umlage der Investitionskosten auf die Bewohner sei das Altenheim nicht mehr marktfähig. Zudem stünden die Umbaumaßnahmen in keinem Verhältnis zum Nutzen für die Bewohnerinnen und Bewohner. Das rund um die Uhr zur Verfügung stehende Pflegepersonal helfe, bestehende Barrieren zu überwinden. Mit einer Generalsanierung wären belastende Auswirkungen auf die Bewohner aufgrund steigernder Kostensätze, Umzüge und Teilschließung verbunden. Die begehrte Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen sei den Bewohnern auch zumutbar. Da die DIN 18040-2 lediglich für Neubauten gelte, sei sie für die Planung von Umbauten und Modernisierung lediglich sinngemäß anwendbar. Die Schutzziele könnten auch auf andere Weise als in der Norm festgelegt erfüllt werden. Das Wohlergehen der Bewohnerschaft stehe mit dem zur Anwendung kommenden Betreuungs- und Pflegekonzept im Vordergrund. Im Altenheim erfolge eine Unterstützung der Bewohner rund um die Uhr beim Toilettengang, Duschen, Baden etc. Hinsichtlich des Wohlergehens der Bewohner könne nicht lediglich auf die Erfüllung baulicher Vorgaben abgestellt werden. Insbesondere die Lage des Altenheims im Stadtkern von … ermögliche den älteren und hilfsbedürftigen Bewohnern die Integration in das Stadtgeschehen und fördere die Selbständigkeit.
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Dem hielt der Beklagte entgegen, ein Konzept für die zukünftige Nutzung des Altenheims sei bislang nicht vorgelegt worden. Aussagekräftige Nachweise für eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit lägen nicht vor. Die baulichen Mindestanforderungen seien gezielt erlassen worden, um ein menschenwürdiges Leben bei Pflegebedürftigkeit, im Alter und bei Behinderung entsprechend den heutigen Vorstellungen zu ermöglichen. Die Vorgaben berücksichtigten insbesondere die Bedürfnisse von Menschen mit Einschränkungen hinsichtlich des Sehvermögens, des Hörvermögens und der Motorik. Dies treffe auf einen sehr großen Personenkreis von in stationären Einrichtungen lebenden Menschen zu. Eine Unterstützung der Bewohner rund um die Uhr in der Hygiene sowie bei der Mobilität gehöre heutzutage zum Standard des stationären Pflegealltags. Eine allgemeine Grundversorgung von Bewohnern in Einrichtungen der Altenhilfe sei aber nicht gleichzusetzen mit den Schutzzielen bei Umbauten und Modernisierungen, die auch auf eine andere Weise erreicht werden könnten. Die Abwicklung des Pflegealltags und die Durchführung der pflegerischen Grundversorgung gestalteten sich unter den derzeitigen baulichen Gegebenheiten schwierig bzw. aufwendig. Dies führe nicht nur zu einer Mehrbelastung für die Bewohner, sondern auch für das Pflegepersonal. Hinzu komme die Wahrung der Intimsphäre, zum Beispiel bei Bewohnern in Doppelzimmern ohne Sanitärraum. Dies betreffe insbesondere Bewohner, die in einem Doppelzimmer ihre Notdurft auf dem Toilettenstuhl im Beisein des anderen Bewohners verrichten müssten.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2019 wies die Regierung von Unterfranken den Widerspruch gegen den Bescheid vom 5. Januar 2018 zur Ablehnung einer Befreiung nach § 50 AVPfleWoqG zurück. Im Rahmen einer Begehung im Jahr 2016 sei von der FQA Abweichungen von den baulichen Mindestanforderungen festgestellt worden. Es handele sich um eine erhebliche Anzahl an Verstößen, so insgesamt 81 Verstöße gegen die Barrierefreiheit sowie 84 Verstöße gegen die uneingeschränkte Rollstuhlnutzung. Das Altenheim könne weder die Quote von 100% barrierefreien Zimmern noch die Quote von 25% die R-Anforderungen erfüllende Zimmer einhalten. Insgesamt 14 Wohn-Schlaf-Räume wiesen eine zu geringe Wohnfläche auf, fünf dieser Zimmer in einem solchen Maße, dass hierfür grundsätzlich keine Befreiung in Frage käme. Es werde kein Abschiedsraum vorgehalten. Kein Wohn-Schlaf-Raum verfüge über einen direkten Zugang zu einem Sanitärraum. Der Beklagte habe zu Recht das Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen verneint. Die Erfüllung der baulichen Mindestanforderungen sei technisch durchaus möglich und aus denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht unmöglich. Eine Befreiung aufgrund wirtschaftlicher Unzumutbarkeit komme ebenfalls nicht in Betracht. In die Überlegungen der Klägerin sei die Tatsache nicht miteinbezogen worden, dass die Finanzierung der erforderlichen Baumaßnahmen durch die Nutzung von Darlehensprogrammen erleichtert werden könne. Die Marktfähigkeit des Altenheimes könne nur durch einen Vergleich mit regionalen Entgelten der stationären Pflegeeinrichtungen erfolgen. Ein Abgleich mit einer Mehrzahl von Pflegeeinrichtungen in der Region sei jedoch nicht erfolgt. Die wirtschaftliche Unzumutbarkeit sei demnach nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden. Eine Unverhältnismäßigkeit bei der Kosten-Nutzen-Analyse sei nicht festzustellen.
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Unabhängig hiervon sei eine Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohner nicht vereinbar. Hierbei spiele die Würde des Menschen eine erhebliche Rolle. Zu beachten sei das Recht auf einen eigenen Lebensbereich mit der Möglichkeit der selbst bestimmten, selbst verantworteten und selbständigen Nutzung, Intimsphäre und Privatsphäre und die damit verbundenen Begriffe wie Respekt, Achtung, Anerkennung und Wertschätzung. Aufgrund der fehlenden Barrierefreiheit seien die Bewohner in ihrer Beweglichkeit erheblich eingeschränkt, sie seien bei einem Ortswechsel auf fremde Hilfe angewiesen. Zudem sei die Bewegungsfreiheit auf eine zu kleine Wohnfläche reduziert. Das Bedürfnis nach Privat- und Intimsphäre könne nur unzureichend gelebt werden, denn die Sanitärräume seien nur indirekt über den Flur zugänglich. Die Intimsphäre sei insbesondere bei Doppelzimmern ohne Nasszelle besonders eingeschränkt. Da die Bewohner sich oft nicht trauten, ihre Wünsche zu äußern, um dem Personal nicht noch mehr zur Last zu fallen, verringere sich die Selbstbestimmung noch mehr. Der Hang zur Isolation werde verstärkt. Das Personal könne die baulichen Defizite keineswegs soweit kompensieren, dass die fehlenden Voraussetzungen gar nicht erst vermisst würden. Zudem sei die personelle Ausstattung in stationären Einrichtungen grundsätzlich eng. Das Altenheim verfüge über keine bessere Personalausstattung als andere stationäre Einrichtungen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Januar 2019 wurde auch der Widerspruch hinsichtlich des Bescheides vom 5. Januar 2018 zur Fristverlängerung zurückgewiesen.
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Am 1. Februar 2019 ließ die Klägerin im vorliegenden Verfahren Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg gegen den Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 2018 hinsichtlich der Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen erheben; zugleich ließ sie im Verfahren W 3 K 19.100 Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 2018 hinsichtlich der Fristverlängerung erheben.
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Die Klägerin ließ im vorliegenden Verfahren zuletzt beantragen,
1. Der Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin für den Betrieb der stationären Einrichtung Alten- und Pflegeheim … von folgenden Verpflichtungen zu befreien:
§ 4 Abs. 2 AVPfleWoqG bezüglich der Mindestwohnflächen für die Wohn- und Schlafräume mit den Zimmernummern E03, E05, 110, 111, 113, 115, 116, 119, 223, 224, 231 und 232
§ 2 Abs. 1 AVPfleWoqG bezüglich der barrierefreien Erreichbarkeit und Nutzbarkeit, auch hinsichtlich der Wohnplätze und der Sanitärräume und bezüglich der Anzahl von Rollstuhlzimmern
§ 8 Abs. 1 AVPfleWoqG bezüglich des direkten Zugangs oder des Zugangs über einen Vorraum zu einem Sanitärraum von jedem Wohn-Schlaf-Raum aus
Der Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Unterfranken vom 2. Januar 2019 wird insoweit aufgehoben, als er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Befreiung von den folgenden Verpflichtungen für den Betrieb der stationären Einrichtung Alten- und Pflegeheim … hinsichtlich folgender Einzelpunkte erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden:
§ 4 Abs. 2 AVPfleWoqG bezüglich der Mindestwohnflächen für die Wohn- und Schlafräume mit den Zimmernummern E03, E05, 110, 111, 113, 115, 116, 119, 223, 224, 231 und 232
§ 2 Abs. 1 AVPfleWoqG bezüglich der barrierefreien Erreichbarkeit und Nutzbarkeit, auch hinsichtlich der Wohnplätze und der Sanitärräume und bezüglich der Anzahl von Rollstuhlzimmern
§ 8 Abs. 1 AVPfleWoqG bezüglich des direkten Zugangs oder des Zugangs über einen Vorraum zu einem Sanitärraum von jedem Wohn-Schlaf-Raum aus
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Der Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Unterfranken vom 2. Januar 2019 wird insoweit aufgehoben, als er dieser Verpflichtung entgegensteht.
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Zur Begründung wurde vorgebracht, die Generalsanierung in den Jahren 1999 bis 2004 habe 3.251.000,11 EUR gekostet, dies entspreche einem Aufwand in Höhe von 85.553,00 EUR pro Pflegeplatz. Der Eigenanteil der Klägerin habe 2.143.553,00 EUR betragen. Ein worst-case-Betrachtung für den Umbau der Einrichtung nach den Vorgaben der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz habe Kosten in Höhe von 4.330.000,00 EUR ergeben. Die Zahl der Pflegeplätze würde sich von 38 auf 25 reduzieren. Es ergäben sich Kosten pro Pflegeplatz in Höhe von etwa 159.000,00 EUR bzw. 173.000,00 EUR. Ein derartiger Umbau sei für die Klägerin wirtschaftlich unzumutbar. Dies ergebe sich aus der Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben vor und nach Durchführung der Baumaßnahmen, aus der Beurteilung der Marktfähigkeit nach der Umlage der Investitionskosten auf die Bewohner und aus der mangelnden Verhältnismäßigkeit der Kosten der notwendigen Umbaumaßnahmen zum Nutzen für die Bewohner. Die Klägerin habe nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Kosten für die Generalsanierung aufzubringen. Eine Marktfähigkeit des Altenheimes wäre nicht mehr gegeben. Demgegenüber sei das Altenheim zur Versorgung des Regionsbedarfs notwendig.
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Im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Analyse seien nicht nur der Nutzen für die Bewohner des Altenheimes zu berücksichtigen, sondern auch die Kosten für die Generalsanierung. Diese lägen weit über den Kosten für einen Neubau. Die Bewohner würden von dem theoretischen Vorteil eines Umbaus nicht profitieren, da zum einen Pflegeplätze entfielen und zum anderen mit großer Wahrscheinlichkeit das gesamte Altenheim geschlossen werden müsste.
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Eine Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen sei auch mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohner vereinbar. Im Altenheim erfolge die Unterstützung der Bewohner rund um die Uhr beim Toilettengang, Duschen, Baden etc. Die Lage im Stadtkern von … ermögliche den älteren und hilfsbedürftigen Bewohnern die Integration in das Stadtgeschehen. Bei der Prüfung der Bedürfnisse der Bewohner sei zu berücksichtigen, ob sie sich in ihrer derzeitigen Umgebung wohlfühlten. Dies sei der Fall. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege habe darauf verwiesen, dass Bayern großzügige und vor allem flexible Übergangs- und Befreiungsmöglichkeiten für Bestandsbauten vorgesehen habe, um weder die Träger noch die Bewohner finanziell zu überfordern. Eine komplette Generalsanierung des Altenheimes könnte finanziell seitens der Bewohner nicht bewältigt werden. Sie wären dazu gezwungen, ihre gewohnte Umgebung zu verlassen und sie hätten keine Möglichkeit, innerhalb der Region andernorts unterzukommen. Demgegenüber habe die Klägerin einige kleinere Umbaumaßnahmen zur Sicherung des Wohlergehens der Bewohner geplant.
38
Der Beklagte beantragte,
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Zur Begründung wurde ausgeführt, bislang seien von Seiten der Klägerin noch keine schlüssigen Angaben zur wirtschaftlichen Zumutbarkeitsgrenze gemacht worden, welche jedoch für die Beurteilung über mögliche Teilbefreiungen unumgänglich seien. Entgegen den bisher vorgelegten Umbauplänen, die für jedes Bewohnerzimmer einen eigenen Sanitärraum vorsähen, könnten sich durchaus zwei bis drei Bewohnerzimmer einen Sanitärraum teilen. Möglicherweise könnten weitere Planänderungen zu Kosteneinsparungen und damit zur Umsetzbarkeit der erforderlichen Maßnahmen führen. In diesem Zusammenhang wäre eine Beurteilung möglich, welche Maßnahmen im Interesse der Bewohner Vorrang hätten und von welchen Anforderungen gegebenenfalls befreit werden könnte.
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Eine - im Übrigen in jedem Pflegeheim standardmäßig vorgehaltene - dauerhafte Betreuung könne die baulichen Mängel nicht kompensieren. Die zentrale Lage im Stadtkern von … könne nur bedingt positiv berücksichtigt werden, denn eine Befragung habe ergeben, dass die Bewohner sich kaum außerhalb der Einrichtung aufhielten.
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Hierauf ließ die Klägerin replizieren, die Meinung des Beklagten, auch zwei oder drei Bewohner könnten sich einen Sanitärraum teilen, entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben. Im Rahmen der Generalsanierung von 1999 bis 2004 habe der Beklagte zusammen mit der Regierung von Unterfranken und der FQA bewusst auf zimmerbezogene Nasszellen verzichtet, um mit 38 Pflegeplätzen den Bestand der Einrichtung in der Stadtmitte von … sicher zu stellen. Die Bewilligung der damaligen Fördermittel sei mit der Maßgabe erfolgt, dass die geförderten Pflegeplätze mindestens 30 Jahre entsprechend dem Zuwendungszweck verwendet werden würden. Schon vor der Heimaufnahme informiere man die Bewohner und deren Angehörige über die bauliche Ausstattung sowie die fehlenden Nasszellen in den Bewohnerzimmern. Deshalb hätten lediglich zwei lnteressenten den Pflegeplatz abgesagt, dem gegenüber sei es zu zahlreichen Neuaufnahmen gekommen. Darüber hinaus machte die Klägerin Ausführungen zu ihrer wirtschaftlichen Situation.
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Im Übrigen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2020, auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte W 3 K 19.100, der einschlägigen Verwaltungsakten der Beklagten und der Regierung von Unterfranken, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das auf § 50 Abs. 1 der Verordnung zur Ausführung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes vom 27. Juli 2011 (GVBl. S. 346), zuletzt geändert durch § 2 Verordnung vom 14. Oktober 2014 (GVBl. S. 450) - AVPfleWoqG - gestützte Begehren der Klägerin, den Beklagten unter Aufhebung von Ziffer 1 des Bescheides des Landratsamts Bad ... vom 5. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Unterfranken vom 2. Januar 2019 zu verpflichten, sie für den Betrieb des Altenheims von den Verpflichtungen bezüglich der Mindestwohnflächen für die Wohn- und Schlafräume von zwölf im Einzelnen genannten Zimmern, bezüglich der barrierefreien Erreichbarkeit und Nutzbarkeit, dies auch hinsichtlich der Wohnplätze und der Sanitärräume, bezüglich der Anzahl von Rollstuhlzimmern und bezüglich des direkten Zugangs oder des Zugangs über einen Vorraum zu einem Sanitärraum von jedem Wohn-Schlaf-Raum aus zu befreien; hilfsweise begehrt die Klägerin, den Beklagten unter Aufhebung von Ziffer 1 des Bescheides vom 5. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Januar 2019 zu verpflichten, über den Befreiungsantrag bezüglich der genannten Verpflichtungen erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
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Demgegenüber ist nicht Streitgegenstand ein auf § 50 Abs. 2 AVPfleWoqG gestütztes Begehren auf Zustimmung des Beklagten zu einer Abweichung von den in der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetzt enthaltenen Vorschriften hinsichtlich der Raumgröße der Wohnplätze und der Sanitäranlagen. Dies ergibt sich daraus, dass die Klägerin zwar mit Schreiben vom 18. Juli 2016 einen diesbezüglichen Abweichungsantrag in Aussicht gestellt, jedoch in der Folge nicht eingereicht hat; zwar finden sich in der Begründung des angegriffenen Bescheides Ausführungen zu Abweichungen nach § 50 Abs. 2 AVPfleWoqG, die jedoch, wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein sollen.
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Die Klage hat sowohl in ihrem Hauptantrag als auch in ihrem Hilfsantrag keinen Erfolg.
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Die Klage ist hinsichtlich ihres Hauptantrags zulässig, jedoch unbegründet. Der Klägerin stehen die von ihr auf § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG gestützten Ansprüche nicht zu.
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1. Im vorliegenden Fall betreibt die Klägerin eine stationäre Einrichtung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 PfleWoqG, sodass die Vorschriften dieses Gesetztes anwendbar sind (vgl. zur Definition des Heimbegriffs: Burmeister/Dinter, NVwZ 2009, 628/629; zum Begriff selbst: Philipp in Philipp, Pflege- und Wohnqualitätsgesetz Bayern, 2015, A I 1). Der Betrieb einer derartigen stationären Einrichtung bedarf keiner vorherigen Erlaubnis, sondern lediglich nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 PfleWoqG einer Anzeige bei der zuständigen Behörde, die bestimmte im Einzelnen genannte Angaben enthalten muss (LT-Drs. 15/10182 Begr. S. 24; Dinter, Die Entwicklung des Heimrechts auf der Ebene des Bundes und der Bundesländer, 2015, S. 281). Allerdings sind beim in unternehmerischer Eigenverantwortung (Art. 1 Abs. 2 PfleWoqG) geführten Betrieb einer solchen stationären Einrichtung gemäß Art. 3 PfleWoqG besondere Qualitätsanforderungen einzuhalten. Unter anderem haben der Träger und die Leitung sicherzustellen, dass die Würde und die Interessen und die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner vor Beeinträchtigungen geschützt werden (Art. 3 Abs. 2 Ziffer 1 PfleWoqG) und dass die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner gewahrt und gefördert werden (Art. 3 Abs. 2 Ziffer 2 PfleWoqG). Zudem muss gemäß Art. 3 Abs. 2 Ziffer 6 PfleWoqG unter anderem eine angemessene Qualität des Wohnens gewährleistet sein. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass die Eingliederung und möglichst selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gemeinschaft gefördert wird. Art. 25 Abs. 1 PfleWoqG ermächtigt die Staatsregierung, durch Rechtsverordnung zur Durchführung des Gesetzes Regelungen zu erlassen unter anderem für die Räume in stationären Einrichtungen, insbesondere die Wohn- und Aufenthaltsräume sowie die Verkehrsflächen, sanitären Anlagen und die technischen Einrichtungen in sanitären Einrichtungen.
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Hierauf beruht die Verordnung zur Ausführung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes (AVPfleWoqG) vom 27. Juli 2011 (GVBl. S. 346), zuletzt geändert durch § 2 Verordnung vom 14. Oktober 2014 (GVBl. S. 450). Hier werden unter anderem bauliche Mindestanforderungen festgelegt.
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Zur Sicherung dieser Qualitätsanforderungen überwachen die zuständigen Behörden gemäß Art. 11 Abs. 1 Satz 1 PfleWoqG die stationären Einrichtungen und haben bei vorhandenen Mängeln aufzuklären, zu beraten und Anordnungen zu erlassen (vgl. Art. 11 bis Art. 15 PfleWoqG), die bis zu einer Betriebsuntersagung gehen können.
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Erfüllt eine stationäre Einrichtung die in der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz vorgegebenen baulichen Mindestanforderungen nicht und will der Träger dennoch Anordnungen nach Art. 11 bis Art. 15 PfleWoqG vermeiden, kann er bei der zuständigen Behörde einen Antrag nach § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG auf Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen stellen. Auf diese Vorschrift stützt die Klägerin im vorliegenden Fall den geltend gemachten Anspruch.
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2. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass das von der Klägerin betriebene Altenheim verschiedene Anforderungen, die Art. 3 PfleWoqG in Verbindung mit den Vorschriften der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz stellt, nach derzeitigem Stand nicht erfüllt.
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Hierbei handelt es sich zum einen um die in § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG enthaltenen Vorgaben für die Wohnplätze, die dem dauerhaften Wohnen und der Betreuung und Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner dienen. Nach dieser Vorschrift muss der Wohnplatz für eine Person mindestens einen Wohn-Schlaf-Raum mit einer Wohnfläche von 14 m², der Wohnplatz für zwei Personen mindestens einen Wohn-Schlaf-Raum mit einer Wohnfläche von 20 m² umfassen. Hierbei nicht enthalten ist ein zugehöriger Sanitärraum sowie ein etwaiger Vorraum, auch wenn er nicht baulich abgetrennt ist.
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Im vorliegenden Fall wird diese Vorschrift bei insgesamt zwölf Wohn-Schlaf-Räumen nicht eingehalten.
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Weiterhin handelt es sich um die in § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG enthaltene Vorgabe, dass jeder Wohn-Schlaf-Raum einen direkten Zugang oder einen Zugang über einen Vorraum zu einem Sanitärraum haben muss.
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Im vorliegenden Fall erfüllt keiner der in im Altenheim vorhandenen Wohn-Schlaf-Räume diese Voraussetzung.
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Zudem geht es um die in § 2 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG enthaltene Bestimmung, dass stationäre Einrichtungen und ihre Anlagen entsprechend der DIN 18040-2 (Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 2: Wohnungen, Ausgabe 2011) barrierefrei erreicht und genutzt werden können. Nach Satz 2 der Vorschrift müssen auch die Wohnplätze und ihre Sanitärräume uneingeschränkt mit dem Rollstuhl entsprechend der Norm nutzbar sein, wenn die Schwere der Behinderung der Bewohnerinnen und Bewohner es erfordert.
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Demgegenüber sind im Altenheim mehrere Heimplätze nicht barrierefrei und uneingeschränkt rollstuhlgeeignet. Gleiches gilt auch für verschiedene Sanitärräume. Insgesamt wurden 81 Verstöße gegen die Barrierefreiheit und 84 Verstöße gegen die uneingeschränkte Rollstuhlnutzung festgestellt.
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3. Deshalb hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 20. Oktober 2016, welches der Begründung eines Antrags auf Gewährung einer längeren angemessenen Frist zur Angleichung an die einzelnen Anforderungen dient, auf der Grundlage von § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG bei der Beklagten auch einen Antrag auf Befreiung von den genannten baulichen Mindestanforderungen gestellt. Ein solcher Anspruch auf Befreiung steht der Klägerin jedoch nicht zu.
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a) Ist dem Träger einer stationären Einrichtung die Erfüllung der in §§ 1 bis 9 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen im Gebäudebestand technisch oder aus denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht möglich oder aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar, kann die zuständige Behörde gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG auf Antrag des Trägers ganz oder teilweise von der Verpflichtung befreien, wenn die Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar ist.
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Dies bedeutet, dass zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm erfüllt sein müssen, nämlich zum einen die Unmöglichkeit der Einhaltung der Mindestanforderungen im Gebäudebestand aus technischen oder denkmalschutzrechtlichen Gründen oder die wirtschaftliche Unzumutbarkeit der Einhaltung dieser Mindestanforderungen und zum anderen die Vereinbarkeit der begehrten Befreiung von diesen Mindestanforderungen mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner. Ob diese Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sind, hat das Gericht vollumfänglich zu überprüfen (Philipp in Philipp, Pflege- und Wohnqualitätsgesetz, 2015, C II 2). Erst, wenn das Vorliegen beider Tatbestandsvoraussetzungen bejaht werden kann, eröffnet sich der zuständigen Behörde ein Ermessensspielraum, in dessen Rahmen die Ermessensausübung nur beschränkt gerichtlich überprüfbar ist (vgl. zur Struktur der Vorschrift die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 17.3.1998 [4 C 22/86 - juris Rn. 17 bis Rn. 24] zur im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgänger-Vorschrift § 31 Abs. 1 HeimMindBauV).
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b) Im vorliegenden Fall bedarf es keiner vertieften Erörterung, ob der Klägerin die Erfüllung der in § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 2 und § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG vorgegebenen Mindestanforderungen technisch oder aus denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht möglich ist. Aus der mit Schreiben der Klägerin vom 24. Februar 2017 vorgelegten Unterlage des Architektenbüros P* … „Konzeptentwicklung -> Umbau Altenpflegeheim unter Berücksichtigung der Vorgaben AVPfleWoqG und DIN 18040-2“ ergibt sich, dass ein entsprechender Umbau technisch möglich ist. Zudem ergibt sich aus den Akten (Bl. 168) der Klägerin, dass seitens der Unteren Denkmalschutzbehörde Einverständnis mit den erforderlichen Umbaumaßnahmen im Inneren des Gebäudes besteht.
62
Ob die Erfüllung der genannten Mindestanforderungen im Gebäudebestand der Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar ist, kann offenbleiben und es bedarf keiner detaillierten Überprüfung der von der Klägerin diesbezüglich vorgelegten Unterlagen; denn hierauf kommt es nicht an, weil das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die weitere in § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG enthaltene Tatbestandvoraussetzung nicht vorliegt.
63
c) Die begehrte Befreiung von der Verpflichtung, die genannten Mindestanforderungen zu erfüllen, ist nämlich mit den Interessen und den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner nicht vereinbar.
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Hierbei sind zunächst festzulegen, worin die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner bestehen und sodann ist zu prüfen, ob die von der Klägerin begehrte Befreiung von den Mindestanforderungen der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz mit diesen Interessen und Bedürfnissen vereinbar ist.
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aa) Bei der Definition des Begriffes der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner ist zunächst auf die gesetzlichen Vorgaben des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes und auf die Begründung des Gesetzentwurfes der Staatsregierung zur Förderung der Pflege-, Betreuungs- und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung vom 11. März 2008 (LT-Drs. 15/10182) abzustellen.
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Als Zweck des Gesetzentwurfs (LT-Drs. 15/10182 S. 15) ist festgehalten, dass sich die Notwendigkeit für die umfassende Wahrung der Rechte von Bewohnerinnen und Bewohnern von Heimen im Bereich der Alten- und Behindertenhilfe und damit die Notwendigkeit für die Einführung ordnungsrechtlicher Schutzmechanismen durch den Gesetzgeber aus dem Umstand ergibt, dass die Betroffenen vielfach in ihrer geistigen und körperlichen Beweglichkeit eingeschränkt sowie hilflos sind und daher ihre Fähigkeit, sich bei auftretenden Missständen selbst zu helfen, oft erheblich beeinträchtigt oder gar aufgehoben ist. Dies macht deutlich, dass es sich bei dem Pflege- und Wohnqualitätsgesetz einschließlich der Ausführungsverordnung um ein Schutzgesetz handelt. Diesen Schutzzweck nimmt Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 PfleWoqG auf, wonach es unter anderem Zweck des Gesetzes ist, die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse pflege- und betreuungsbedürftiger Menschen als Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Einrichtungen vor Beeinträchtigungen zu schützen. Nach Art. 1 Abs. 1 Nr. 2 PfleWoqG ist es weiterhin Zweck des Gesetzes, die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung, die Selbstverantwortung sowie die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner zu wahren und zu fördern. Nach Nummer 3 der Vorschrift soll unter anderem eine dem allgemein anerkannten Stand der fachlichen Erkenntnisse entsprechende Wohnqualität gesichert werden. Auf diese Weise wird, wie in LT-Drs. 15/10182 S. 18 ausgeführt wird, das Wohl der Bewohnerinnen und Bewohner als Kernelement und Qualitätsmaßstab des Gesetzes klar zum Ausdruck gebracht.
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In Konkretisierung dieses Schutzzwecks führt der Gesetzgeber in Art. 3 PfleWoqG konkrete Qualitätsanforderungen an den Betrieb einer stationären Einrichtung auf. Im Einzelnen werden hier unter anderem folgende Anforderungen genannt:
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Nach Art. 3 Abs. 2 Nr. 6 PfleWoqG hat der Träger einer stationären Einrichtung unter anderem sicherzustellen, dass eine angemessene Qualität des Wohnens gewährleistet wird. Dies bedeutet gemäß der Begründung zu Art. 3 Abs. 2 Nr. 7 (damalige Fassung) in der LT-Drs. 15/10182 S. 22, dass die Bewohnerinnen und Bewohner die Möglichkeit haben müssen, ihre unmittelbare Umgebung nach ihren persönlichen Bedürfnissen und Wünschen zu gestalten.
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Zu beachten ist weiterhin Art. 3 Abs. 2 Nr. 11 PfleWoqG, wonach sicherzustellen ist, dass eine Art. 3 Abs. 2 entsprechende fachliche Konzeption verfolgt wird und diese mit der baulichen Umsetzung übereinstimmt. Dies bedeutet entsprechend LT-Drs. 15/10182 S. 23, Begründung zu Art. 3 Abs. 2 Nr. 12 (damalige Fassung), dass der Baukörper dem Pflege- und Betreuungskonzept angepasst sein muss.
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Zur Definition des Begriffes der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner ist weiterhin die Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz sowie die diesbezügliche Begründung der Bayerischen Staatsregierung heranzuziehen.
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In deren Ziffer A.I. ist als Ziel des ordnungsrechtlichen Teils der Verordnung der Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner und die Stärkung ihrer Partizipation festgehalten. Die Verordnung soll die Rahmenbedingungen für das freiwillige Leben von älteren und pflegebedürftigen Menschen in stationären Einrichtungen gestalten, um ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und Teilhabe dieser Personen zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang wird auf den Paradigmenwechsel von der Fürsorge und Versorgung hin zur gleichberechtigten Teilhabe hingewiesen.
72
In Ziffer A.III.1. der Begründung wird darauf abgestellt, dass gegenüber der bundesrechtlichen Vorgängerregelung die Mindestanforderungen den heutigen Vorstellungen von einem menschenwürdigen Leben bei Pflegebedürftigkeit, im Alter und bei Behinderung angepasst werden sollen und das durch die Festlegung einer höheren Mindestquadratmeterzahl für die Wohnflächen und die Anforderungen an die Barrierefreiheit die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner deutlich verbessert werden soll. Gemäß Ziffer C. Teil 1 der Begründung sollen die baulichen Mindestanforderungen den Bewohnerinnen und Bewohnern stationärer Einrichtungen ein menschenwürdiges Wohnen gewährleisten und ihnen ein weitgehend selbständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Nach Ziffer C. Teil 1, zu § 4 der Begründung dienen Wohnplätze nicht nur dem Schlafen, sondern auch dem Wohnen, der Betreuung und Versorgung. Sie sind privater Rückzugs- und Wohnraum, in dem die Bewohnerinnen und Bewohner beispielsweise ihren Besuch empfangen. Die Vorgabe von Mindestquadratmeterzahlen sichert die Ausgestaltung einer Privat- und Intimsphäre. Sie kann auch das Mitbringen eigener Möbel erleichtern. Die Mindestgrößen für den privaten und häufig lebenslang genutzten Wohn-Schlaf-Raum entsprechen dem derzeit allgemein anerkannten Wohnstandard. Der Lebensort Heim soll einen persönlichen Wohnbereich mit privater Atmosphäre bieten. Auf dieser Grundlage legt § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG die oben genannten Mindestwohnflächen für Wohnplätze für eine Person von mindestens 14 m² und für zwei Personen von mindestens 20 m² fest.
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Ziffer C. Teil 1, zu § 8 der Begründung hebt darauf ab, dass die Zuordnung eines Sanitärraums zu jedem Wohn-Schlaf-Raum heutigem Standard entspricht. Durch diese Festlegung soll eine selbständige Benutzung durch die Bewohnerinnen und Bewohner sowie ihre Sicherheit gewährleistet werden. Auf dieser Grundlage legt § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG fest, dass jeder Wohn-Schlaf-Raum einen direkten Zugang oder einen Zugang über einen Vorraum zu einem Sanitärraum haben muss.
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Nach Ziffer C. Teil 1, zu § 2 der Begründung erfordern die Beeinträchtigungen der Bewohnerinnen und Bewohner eine barrierefreie Gestaltung der Einrichtung und ihrer Anlagen. Da sich der Anwendungsbereich der DIN 18040-2 allerdings nur auf Wohnungen beschränkt, muss für Wohnheime eine entsprechende Anwendung bestimmt werden, um Art. 4 des Bayerischen Behindertengleichstellungsgesetzes nachzukommen. Auf dieser Grundlage legt § 2 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG fest, dass stationäre Einrichtungen und ihre Anlagen entsprechend der DIN 18040-2 barrierefrei erreicht und genutzt werden können müssen; nach Satz 2 der Vorschrift müssen auch die Wohnplätze und ihre Sanitärräume uneingeschränkt mit dem Rollstuhl entsprechend der Norm nutzbar sein, wenn die Schwere der Behinderung der Bewohnerinnen und Bewohner es erfordert.
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Nach Ziffer C. Teil 5, zu § 50 der Begründung schützen das Pflege- und Wohnqualitätsgesetz und die darauf beruhende Verordnung die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Einrichtungen. Jede Befreiung von den baulichen Mindestanforderungen ist hieran zu messen.
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Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner kann weiterhin die Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen (herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie vom Bundesministerium für Gesundheit, Oktober 2018, im Folgenden: Pflege-Charta) herangezogen werden (Dinter, Die Entwicklung des Heimrechts auf der Ebene des Bundes und der Bundesländer, 2015, S. 176). Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 15/10182 S. 18). Hiernach soll durch Art. 1 Abs. 1 Nr. 1 PfleWoqG auf die vom Runden Tisch Pflege erarbeitete Charta der Rechte hilfe- und pflegebedüftiger Menschen inhaltlich Bezug genommen und deren Ziele unterstrichen werden. Die Charta hat keinen rechtsverbindlichen Charakter (Dinter, Die Entwicklung des Heimrechts auf der Ebene des Bundes und der Länder, 2015, S. 217), ist aber eine wichtige Grundlage für die Ausgestaltung würdevoller Pflege sowie Impulsgeber für den gesamten Bereich der Pflege (Pflege-Charta, Vorwort). Die Pflege-Charta fasst in acht Artikeln grundlegende Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen zusammen und erläutert diese, dies auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention, der Europäischen Sozialcharta, der Charta der Grundrechte der EU und verschiedener Vorschriften des Neunten und des Elften Buches Sozialgesetzbuch (Grundrechte-Charta, Präambel, Fußnote 1; Dinter, a.a.O. S. 276, S. 217).
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Im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit sind folgende Hinweise der Pflege-Charta beachtlich:
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Im Rahmen von Art. 1, Selbstbestimmung und Hilfe zur Selbsthilfe, ist festgehalten, dass hilfe- und pflegebedürftige Menschen erwarten können, dass mit ihnen abgestimmt wird, wie ihre Ziele und Wünsche hinsichtlich eines selbstbestimmten Lebens unter den rechtlichen und praktischen Möglichkeiten verwirklicht werden können. Dies betrifft beispielsweise, wo sie sich aufhalten und leben möchten, wie sie ihren Tagesablauf gestalten und welchen Gewohnheiten sie nachgehen, wie und wann sie sich waschen. Wenn es ihr gesundheitlicher Zustand erlaubt, muss gewährleistet sein, dass sie ihren Wohnraum jederzeit betreten, verlassen und abschließen können, dies auch in einer Einrichtung.
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Im Rahmen des Art. 3, Privatheit, ist unter anderem festgelegt, dass sie jederzeit Besuch empfangen können und die Möglichkeit haben müssen, einige Zeit allein zu sein sowie ungestört kommunizieren zu können, auch wenn sie in einer Einrichtung leben und nicht über ein Einzelzimmer verfügen. Sie sollten ihren persönlichen Lebensbereich mit persönlichen Gegenständen wie Kleinmöbeln und Bildern ausstatten können.
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Im Rahmen des Art. 6, Wertschätzung, Kommunikation und Teilhabe an der Gesellschaft, hält die Pflege-Charta unter anderem fest, dass hilfe- und pflegebedürftige Menschen ein Recht darauf haben, ihren Alltag so zu gestalten, wie es ihren Interessen und Fähigkeiten entspricht, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
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Aus alledem ergibt sich, dass die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner einer stationären Einrichtung davon geprägt sind, trotz ihrer möglicherweise bestehenden körperlichen und geistigen Einschränkungen in Würde ein selbstbestimmtes Leben führen zu können und dabei möglichst weitgehend am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben. Dies umfasst auch den Bereich des Wohnens hinsichtlich der Größe und Ausgestaltungsmöglichkeiten des Wohnraums, den Bereich der Körperpflege und Hygiene hinsichtlich möglichst selbständiger Erreichbarkeit und Intimität und den Bereich der Bewegungsfreiheit trotz körperlicher Einschränkungen, dies auch zum Zweck der Begegnung mit anderen Menschen im Rahmen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
82
Um diesen Interessen und Bedürfnissen gerecht zu werden, legt das Pflege- und Wohnqualitätsgesetz in Verbindung mit der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz allgemein und für den Regelfall fest, welche baulichen Mindestanforderungen den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner einer stationären Einrichtung entsprechen (BVerwG, B.v. 22.7.1985 - 4 B 73/85 - juris LS 3 und Rn. 4 zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift § 31 HeimMindBauV; vgl. hierzu auch § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG: „die Erfüllung der in §§ 1 bis 9 genannten Mindestanforderungen“), deren Einhaltung unerlässlich sind. Anders gewendet: Unterschreiten die baulichen Gegebenheiten einer stationären Einrichtung die Vorgaben der §§ 1 bis 9 AVPfleWoqG, entspricht dies grundsätzlich nicht den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner. Unterhalb dieses Mindeststandards gibt es keine allgemein zu ziehende Grenze, bis zu der geringere Anforderungen noch im Sinne der Befreiungsvorschrift den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner der stationären Einrichtung entsprächen (BVerwG, a.a.O. Rn. 4).
83
Dies gilt allerdings nur für den Regelfall. Demgegenüber kann eine Unterschreitung der Mindestanforderungen auf der Grundlage von § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG gerechtfertigt sein, wenn es sich um einen Einzelfall handelt, in dem aufgrund von dessen Besonderheiten die Regel nicht gilt, dass ein Unterschreiten der Mindestanforderungen der Verordnung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner nicht vereinbar ist (BVerwG, U.v. 17.3.1989 - 4 C 22/86 - Rn. 21 zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift § 31 HeimMindBauV). Für solche atyischen Fallgestaltungen lassen sich nämlich keine allgemeinen Maßstäbe festlegen (BVerwG, B.v. 22.7.1985 - 4 B 73/85 - LS 3).
84
Neben derartigen atypischen Fallgestaltungen kann zudem eine Unterschreitung der baulichen Mindestanforderungen auch dann mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar sein, wenn bei sehr genauen Regelungen - wie bei der Festlegung von Mindestgrößen für Räume nach Quadratmetern - eine sehr geringfügige Abweichung vorliegt, die im Einzelfall keinen spürbaren Nachteil für den Bewohner ergeben muss, dennoch aber die beabsichtigte Nutzung wegen des Verstoßes gegen die bauliche Mindestanforderung in Frage stellt. Auch derart unerwünschte Ergebnisse sollen im Wege einer Befreiung vermieden werden können. Dies bedeutet, dass mehr als nur geringfügige, also spürbare Unterschreitungen der baulichen Mindestanforderungen nicht mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar sind (BVerwG, U.v. 17.3.1989 - 4 C 41/85 - LS 2 und Rn. 25, Rn. 26).
85
Weiterhin ist zu beachten, dass jede bauliche Mindestanforderung für sich und unabhängig von anderen Anforderungen und Gegebenheiten bewertet werden muss. Eine „Kompensation“ einer Unterschreitung einer baulichen Mindestanforderung durch eine „Übererfüllung“ einer anderen baulichen Mindestanforderung oder durch einen anderen positiv bewertbaren Umstand ist nicht zulässig (VGH BW, U.v. 22.2.1994 - 10 S 1378/93 - Rn. 22 zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift § 31 HeimMindBauV für die Frage der Kompensation eines fehlenden Aufzugs durch die besonders schöne Lage der Einrichtung „im Grünen“ und durch ein „bauhistorisches Ambiente“; BVerwG, U.v. 17.3.1989 - 4 C 41/85 - juris LS 2 und Rn. 25).
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bb) Auf dieser Grundlage ist festzustellen, dass die begehrte Befreiung nach § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG von den in § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 2 und § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG festgelegten baulichen Mindestanforderungen nicht mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar ist.
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Es ist festzustellen, dass die in § 4 Abs. 2 Satz 1 AVPfleWoqG festgelegten Mindestgrößen bei insgesamt zwölf Wohn-Schlaf-Räumen um 0,20 m² bis 3,16 m² unterschritten werden. Angesichts der Tatsache, dass § 4 Abs. 2 Satz 1 AVPfleWoqG keine Durchschnitts- oder Standard-Größen vorgibt, sondern Mindestgrößen für eine „angemessene“ (Art. 3 Abs. 2 Nr. 6 PfleWoqG) Qualität des Wohnens, eine Unterschreitung dieser Flächen also unangemessen ist, liegt es auf der Hand und bedarf keiner weiteren vertieften Erörterung, dass eine Abweichung von den Mindestgrößen um mehr als 1 m² in der Regel mit mehr als geringfügigen, also spürbaren Nachteilen verbunden ist. Dies gilt sowohl für Einzelwie auch für Doppelzimmer (vgl. VG München, B.v. 14.10.2005 - M 9 S 05.3253 - juris Rn. 18 zur Unterschreitung der Mindestgröße von 0,20 m² und 0,42 m², die ohne Zuhilfenahme genauer Mess-Einrichtungen nicht feststellbar und praktisch nicht wahrnehmbar sei). Diese Fläche fehlt entweder als Verkehrsfläche im Rahmen des Wohnens und führt damit zu ungerechtfertigten Einengungen der Bewegungsfreiheit oder sie fehlt als Fläche für die Unterbringung von Kleinmöbeln und steht damit nicht zur individuellen Ausgestaltung des Wohnraums zur Verfügung. Besondere Zimmerschnitte, die eine gegenteilige Bewertung zuließen, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
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Aber auch hinsichtlich derjenigen Wohn-Schlaf-Räume, die um weniger als 1 m² von der vorgegebenen Mindestgröße abweichen, kann im vorliegenden Fall nichts anderes gelten. Dabei kann es offenbleiben, wo genau die Grenze zwischen einer spürbaren und einer nicht mehr spürbaren Abweichung zu ziehen ist. Denn im vorliegenden Fall sind alle betroffenen Wohn-Schlaf-Räume mit je einem Waschbecken versehen. Demgegenüber bestimmt § 4 Abs. 2 Satz 2 AVPfleWoqG, dass in den Mindestwohnflächen ein zugehöriger Sanitärraum sowie ein etwaiger Vorraum, auch wenn er nicht baulich abgetrennt ist, nicht enthalten sind. Dies macht deutlich, dass der Wohn-Schlaf-Raum in seiner ganzen Größe und vollständig dem angemessenen Wohnen zur Verfügung stehen muss. Ist dies deshalb nicht gegeben, weil ein Teil des Raumes von einem Waschbecken mit den dazugehörigen Utensilien (Handtuchhalter, Spiegel, Spritzschutz) in Anspruch genommen wird und die davor gelegene Fläche dem Waschen dient und nicht als allgemein verwendbare Fläche zum Wohnen zur Verfügung steht, kann dieser Teil des Raumes nicht in die erforderliche Mindestfläche einbezogen werden. Angesichts der Breite eines Waschplatzes von mindestens einem Meter und der Tiefe des zum Waschen erforderlichen Raumes von deutlich mehr als einem Meter (einschließlich der Tiefe des Waschbeckens) fehlt jedem der betroffenen Räume der Sache nach eine Fläche von deutlich mehr als 1 m², die somit dem allgemeinen Wohnbedürfnis entzogen ist.
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Damit ist die Befreiung von den in § 4 Abs. 2 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen nicht mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar.
90
Weiterhin ist festzustellen, dass im Altenheim die in § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AVPfleWoqG festgeschriebenen Voraussetzungen der DIN 18040-2 hinsichtlich Barrierefreiheit und Rollstuhlgerechtigkeit in vielfacher Hinsicht nicht eingehalten werden. Anhaltspunkte dafür, dass eine atypische Fallgestaltung vorliegen könnte mit der Folge, dass auch bei Unterschreitung dieser Mindestanforderungen die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner gewahrt werden könnten, sind nicht erkennbar. Insbesondere ist es nicht erkennbar, dass in das Altenheim nur Bewohnerinnen und Bewohner aufgenommen werden könnten, die körperlich so rüstig und damit so mobil wären, dass sie keinesfalls auf Rollstühle angewiesen wären und Barrieren ohne weiteres überwinden könnten. Denn das Pflegekonzept vom 2. Juli 2009, zuletzt geändert am 3. Februar 2017, sieht in seiner Ziffer 3. vor, dass alle Personen Aufnahme finden, die pflegebedürftig sind. Dies schließt Menschen mit körperlichen Einschränkungen ein, auch wenn im Einzelfall durch die Pflegedienstleitung entschieden wird, für welche Personen die Möglichkeit einer fachlichen Betreuung gegeben ist. Damit ist die in § 2 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG i.V.m. DIN 18040-2 geforderte Barrierefreiheit und Rollstuhlgerechtigkeit unerlässlich, um den Bewohnerinnen und Bewohnern ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, dessen Rahmen so ausgestaltet ist, dass sie sich entsprechend ihren Kräften und Fähigkeiten möglichst selbstbestimmt innerhalb der Einrichtung bewegen und mit anderen Menschen Kontakt aufnehmen können, dies auch in deren Wohn-Schlaf-Räumen und in den vorhandenen Sozialräumen; die gleiche Erreichbarkeit ist auch für die Sanitärräume erforderlich. Zudem ist es unerlässlich, dass diese so ausgestaltet sind, dass sie barrierefrei und rollstuhlgerecht benutzt werden können.
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Demgegenüber kann das Gericht der Meinung der Beklagten nicht folgen, die fehlende Barrierefreiheit und Rollstuhlgerechtigkeit werde durch das besonders hilfsbereite und rund um die Uhr zur Verfügung stehende Personal kompensiert. Es ist schon nicht erkennbar, dass die Klägerin deutlich mehr Personal als nach § 15 AVPfleWoqG vorgegeben beschäftigt, sodass schon in dieser Hinsicht kein von der Regel abweichender Sonderfall gegeben ist; dies gilt umso mehr, als es sich bei der Ausstattung einer stationären Einrichtung mit Personal immer um eine Momentaufnahme handelt, von der keinerlei Rückschlüsse auf die Zukunft gezogen werden können. Auch im Pflegekonzept ist keine über den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestumfang hinausgehende Personalausstattung festgeschrieben.
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Darüber hinaus und unabhängig hiervon würde auch eine besonders gute Personalausstattung, die eine besonders intensive Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner ermöglichen würde, nicht zu dem Ergebnis führen können, eine Unterschreitung der Mindestanforderungen an die Barrierefreiheit und Rollstuhlgerechtigkeit sei mit den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar. Denn hiermit wäre das vom Verordnungsgeber gewollte „Höchstmaß an Selbstbestimmung und Teilhabe“ (vgl. Ziffer A.I. der Begründung zur Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz), welches im Übrigen auch das Pflegekonzept der Klägerin aufnimmt, konterkariert. Ein körperlich eingeschränkter Bewohner der Einrichtung, der um Hilfe bitten muss, um in die sanitäre Einrichtung oder zu anderen Bewohnern in deren Wohn-Schlaf-Raum oder im Sozialraum zu gelangen, diese Hilfe aber bei einer Ausgestaltung der Einrichtung nach der DIN 18040-2 nicht benötigen würde, hat eben kein Höchstmaß an Selbstbestimmung und Teilhabe. Denn jede Bitte um Hilfe und deren Inanspruchnahme kann eine Hemmschwelle darstellen, die dazu führen kann, dass auf diese Hilfe und damit auf die Mobilität verzichtet wird.
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Damit ist die Befreiung von den in § 2 Abs. 1 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen nicht mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar.
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Gleiches gilt auch hinsichtlich der Mindestanforderungen gemäß § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG bezüglich der sanitären Anlagen. Eine Befreiung von der Vorgabe, dass jeder Wohn-Schlaf-Raum einen direkten Zugang oder einen Zugang über einen Vorraum zu einem Sanitärraum haben muss, entspricht nicht den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner. Denn ist ein Sanitärraum nicht direkt vom Wohn-Schlaf-Raum aus erreichbar, sondern nur ein Gemeinschaftssanitärraum „über den Flur“, so ist hiermit die selbständige Nutzbarkeit durch den Bewohner eingeschränkt; zudem ist damit umso weniger dessen Sicherheit gewährleistet, je weiter und ungeschützter der Weg zum Sanitärraum ist. Ein selbstbestimmtes Leben dahingehend, frei entscheiden zu können, wann man sich wäscht oder seine Notdurft verrichtet, ist damit eingeschränkt. Ist demgegenüber insbesondere im Doppelzimmer ein Bewohner darauf angewiesen, sich am im Zimmer befindlichen Waschbecken zu waschen und auf dem im Zimmer befindlichen Toilettenstuhl seine Notdurft zu verrichten, beides im Beisein des Mitbewohners, verstößt dies ohne weiteres gegen das Ziel, die Würde des Bewohners zu wahren. Demgegenüber ist keine atypische Fallgestaltung erkennbar, die dazu führen könnte, dass auch bei Unterschreitung dieser Mindestanforderung die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner gewahrt sein könnten. Insbesondere gelten die obigen Ausführungen zum Einsatz von besonders motiviertem und hilfsbereitem Personal als Kompensation uneingeschränkt auch hier. Auch das Argument, dass manche Bewohnerinnen und Bewohner körperlich so eingeschränkt seien, dass sie ohnehin nicht mehr selbständig einen Sanitärraum erreichen könnten, selbst wenn dieser direkt von ihrem Wohn-Schlaf-Raum aus erreichbar wäre, kann der Klägerin nicht weiterhelfen. Denn es kommt nicht auf einzelne aktuell in der Einrichtung lebende Menschen an, sondern mit Blick auf die Zukunft darauf, dass jeder Person, die gemäß dem Pflegekonzept im Altenheim wohnen wird, entsprechend ihrer körperlichen Einschränkung ein Höchstmaß an Selbstbestimmung ermöglicht wird.
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Damit ist auch eine Befreiung von den in § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen nicht mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar.
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Die Klägerin kann auch nicht mit ihrem Argument durchdringen, eine Befreiung von den in § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 2 und § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen sei deshalb gerechtfertigt, weil das Altenheim eine besonders gute Lage mitten im Ortskern von … besitze. Unabhängig von der Frage, welche konkreten Vorteile für pflegebedürftige und damit eher immobile Menschen aus dieser Lage entstehen könnten, kann - wie oben ausgeführt - die Unterschreitung einer baulichen Mindestanforderung durch einen anderen Umstand nicht kompensiert werden. Die besondere Lage der Einrichtung mitten im Stadtkern von … mag ein Argument für deren Beliebtheit sein, sie kann jedoch nicht dazu führen, dass die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner hinsichtlich der Größe der Wohn-Schlaf-Räume, der Mobilität und der Sanitärräume trotz der Unterschreitung der diesbezüglichen Mindestanforderungen in gleicher Art und Weise wie ohne deren Unterschreitung gewahrt werden.
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Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass die Tatbestandsvoraussetzung des § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG, dass die begehrte Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar ist, nicht gegeben ist. Damit steht der Klägerin ein entsprechender Anspruch auf Befreiung von den genannten Mindestanforderungen nicht zu, dies unabhängig von der Frage, ob die Erfüllung dieser Mindestanforderungen der Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar sein könnte. Auf die Korrektheit der Ermessenserwägungen des Beklagten kommt es damit nicht an.
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Die Klage ist auch hinsichtlich des Hilfsantrages zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass über ihren Antrag nach § 50 Abs. 1 AVPfleWoqG vom 20. Oktober 2016 auf Befreiung von den Mindestanforderungen der § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 2 und § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG erneut unter Rechtsauffassung des Gerichts entschieden wird.
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Dies ergibt sich schon daraus, dass - wie oben ausgeführt - das Tatbestandsmerkmal des § 50 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG nicht vorliegt, dass die begehrte Befreiung mit den Interessen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner vereinbar ist. Denn ist die Voraussetzung für eine Ermessensentscheidung einer Behörde die Erfüllung von bestimmten Tatbestandsvoraussetzungen und liegt eine dieser Tatbestandsvoraussetzungen nicht vor, steht schon deshalb der Behörde kein Ermessensspielraum zu, sondern sie ist dazu gezwungen, den Antrag abzulehnen.
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Schon deshalb kann der vorliegende Hilfsantrag in der Sache keinen Erfolg haben.
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Da die Klägerin, wie oben ausgeführt, weder einen Anspruch auf Befreiung von den in § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 2 und § 8 Abs. 1 AVPfleWoqG genannten Mindestanforderungen gegen die Beklagte hat noch einen Anspruch auf diesbezügliche erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts, war die Klage abzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.